EUROPÄISCHER GERICHTSHOF FÜR MENSCHENRECHTE
FÜNFTE SEKTION
RECHTSSACHE H. ./. DEUTSCHLAND
(Individualbeschwerde Nr. 50053/16)
URTEIL
STRASSBURG
11. April 2019
Dieses Urteil wird nach Maßgabe des Artikels 44 Abs. 2 der Konvention endgültig. Es wird gegebenenfalls noch redaktionell überarbeitet.
In der Rechtssache H. ./. Deutschland
verkündet der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (Fünfte Sektion) als Kammer mit den Richterinnen und Richtern
Yonko Grozev, Präsident,
Angelika Nußberger,
André Potocki,
Mārtiņš Mits,
Gabriele Kucsko-Stadlmayer,
Lәtif Hüseynov und
Lado Chanturia
sowie Claudia Westerdiek, Sektionskanzlerin,
nach nicht öffentlicher Beratung am 19. März 2019,
das folgende, an diesem Tag gefällte Urteil:
VERFAHREN
1. Der Rechtssache lag eine Individualbeschwerde (Nr. 50053/16) gegen die Bundesrepublik Deutschland zugrunde, die ein deutscher Staatsangehöriger, H. („der Beschwerdeführer“), am 19. August 2016 nach Artikel 34 der Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten („die Konvention“) beim Gerichtshof eingereicht hatte.
2. Der Beschwerdeführer wurde von Herrn P., Rechtsanwalt in H., vertreten. Die deutsche Regierung („die Regierung“) wurde durch ihren Verfahrensbevollmächtigten, Herrn H.-J. Behrens vom Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz, vertreten.
3. Der Beschwerdeführer machte geltend, dass sein Recht auf ein faires Verfahren nach Artikel 6 Abs. 1 der Konvention verletzt worden sei, da die innerstaatlichen Gerichte sich geweigert hätten, dem Gerichtshof der Europäischen Union („EuGH“) Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen, und diese Verweigerung nicht hinreichend begründet hätten.
4. Am 6. Februar 2017 wurde die Beschwerde der Regierung zur Kenntnis gebracht.
5. A., die Beklagte im innerstaatlichen Verfahren, die vom Vizepräsidenten zur Teilnahme am schriftlichen Verfahren ermächtigt worden war, gab eine Stellungnahme als Drittbeteiligte ab (Artikel 36 Abs. 2 der Konvention und Artikel 44 Abs. 3 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs).
SACHVERHALT
I. DIE UMSTÄNDE DER RECHTSSACHE
6. Der Beschwerdeführer wurde 19.. geboren und lebt in M. Er und Herr W. gründeten die B., einen Telefonauskunftsdienst. Gegen Entrichtung eines Entgelts erhielt die B. die erforderlichen Telefonteilnehmerdaten von der A. 2007 und 2008 wurde die A. angewiesen, der B. einen Teil der entrichteten Entgelte zurückzuzahlen, da diese überhöht gewesen seien.
7. 2005 erhob der Beschwerdeführer gegen die A. Klage und machte geltend, er und Herr W. hätten als Folge der von der B. gezahlten überhöhten Entgelte ihre Anteile an dieser Gesellschaft bis zum Börsengang reduzieren müssen. Deshalb und wegen einer geringeren Bewertung der Gesellschaft am Tag des Börsengangs habe er einen Schaden erlitten. Am 28. Mai 2013 wies das Landgericht die Klage ab.
8. Gegen die Entscheidung des Landgerichts legte der Beschwerdeführer Berufung ein. In der Berufungsbegründung machte er unter anderem Ausführungen zum EU-Recht und dessen Auslegung durch den EuGH und den Bundesgerichtshof. Einen Antrag auf Vorlage einer bestimmten Frage an den EuGH formulierte der Beschwerdeführer nicht. Während einer mündlichen Verhandlung vor dem Oberlandesgericht wurde das Thema EU-Recht erörtert und das Gericht erläuterte, dass seiner Ansicht nach die Rechtsprechung des EuGH eindeutig sei und dass im Gegensatz zum Vortrag des Beschwerdeführers das EU-Recht auf den vorliegenden Fall nicht anwendbar sei. In derselben Verhandlung verlangte der Beschwerdeführer die Aussetzung des Verfahrens und die Einholung einer Vorabentscheidung des EuGH. In einem Vorbringen nach der Verhandlung wiederholte er diese Forderung und schlug die folgende Formulierung einer möglichen Vorfrage vor:
„Steht Art. 86 EGV in der Fassung des Vertrages von Maastricht (Art. 102 AEUV) einer Auslegung und Anwendung des Rechts eines Mitgliedstaats entgegen, wonach es aus Rechtsgründen ausgeschlossen ist, dass ein marktbeherrschendes Unternehmen, das eine mit ihm im Wettbewerb stehende Aktiengesellschaft durch missbräuchlich überhöhte Preise unter Verstoß gegen Art. 86 EGV (Art. 102 AEUV) schädigt und so in die Gefahr des Konkurses bringt, auch für solche Schaden haftet, die Gründungsaktionäre der geschädigten Aktiengesellschaft dadurch erleiden, dass sie zur Abwendung des Konkurses neue Gesellschafter aufnehmen und auf diese Weise ihren eigenen Anteil an der Gesellschaft reduzieren?“
9. Am 2. Juli 2014 wies das Oberlandesgericht die Berufung des Beschwerdeführers zurück. In der Urteilsbegründung führte das Gericht insbesondere aus, dass die Forderung des Beschwerdeführers nicht auf EU-Recht gestützt werden könne, da er nicht vom Schutzzweck einer EU-Norm erfasst sei. Das Gericht legte diesbezüglich ausführlich dar, warum die Rechtsmeinung des Beschwerdeführers in der Rechtsprechung des EuGH, auf das es ausführlich Bezug nahm, keine Stütze finde. Es verwies auch auf die einschlägige Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs. Im Hinblick auf die Zulassung der Revision führte das Oberlandesgericht aus:
„Für die Zulassung der Revision gemäß § 543 Abs. 2 ZPO besteht kein Anlass. Die Ausführungen des Senats zu der Rechtsfrage, wer vom Schutzzweck des Art. 86 EGV, Art. 82 Abs. 2 EG, Art. 102 AEUV erfasst ist und infolgedessen Ersatzberechtigter im Sinne von § 823 Abs. 2 BGB bzw. § 33 Abs. 1 GWB ist, haben keine grundsätzliche Bedeutung. Die aufgeworfene Rechtsfrage ist nicht klärungsbedürftig, denn es bestehen über Umfang und Bedeutung jener Rechtsvorschriften keine Unklarheiten. In der Literatur und Rechtsprechung wird die Auffassung des Klägers, wonach unabhängig vom Schutzzweck der Norm jedermann, dem ein Schaden durch einen Kartellverstoß entstanden ist, zum Schadensersatz berechtigt sein soll, von niemandem geteilt.“
10. Gegen die Nichtzulassung der Revision legte der Beschwerdeführer Beschwerde ein. In seiner Beschwerde wiederholte er die Forderung einer Vorlage an den EuGH und schlug zwei Frageformulierungen vor, wobei eine davon eine leicht abgewandelte Fassung des vorherigen Fragevorschlags war:
„Steht Art. 86 EGV in der Fassung des Vertrages von Maastricht (Art. 102 AEUV) einer Auslegung und Anwendung des Rechts eines Mitgliedsstaats entgegen, wonach es aus Rechtsgründen ausgeschlossen ist, dass ein marktbeherrschendes Unternehmen, das eine mit ihm im Wettbewerb stehende Aktiengesellschaft unter Verstoß gegen Art. 86 EGV (Art. 102 AEUV) schädigt und so in die Gefahr des Konkurses bringt, auch für solche Schaden haftet, die Aktionäre der geschädigten Aktiengesellschaft dadurch erleiden, dass sie zur Abwendung des Konkurses neue Gesellschafter aufnehmen und auf diese Weise ihren eigenen Anteil an der Gesellschaft reduzieren?
[…]
Steht Art. 86 EGV (Art. 102 AEUV) im Sinne der Vorlagefrage 1 einer Auslegung der Anwendung des Rechts eines Mitgliedsstaates entgegen, wenn es sich bei den geschädigten Aktionären um Gründungsaktionäre (Investoren) handelt, die zum Zeitpunkt des schädigenden Ereignisses über eine wesentliche Gesellschaftsbeteiligung verfügen und als Vorstände der Gesellschaft das Wettbewerbsverhalten der Gesellschaft maßgeblich gestalten?“
11. Am 14. April 2015 wies der Bundesgerichtshof die Beschwerde des Beschwerdeführers zurück,
„[…] weil die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung [gehabt habe], die auf die Verletzung von Verfahrensgrundrechten gestützten Rügen nicht [durchgegriffen hätten] und die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts auch im Übrigen nicht [erfordert hätten] (§ 543 Abs. 1 ZPO). Von einer näheren Begründung [werde] gemäß § 544 Abs. 4 Satz 2 Halbsatz 2 ZPO abgesehen.“
12. Der Beschwerdeführer erhob Anhörungsrüge und brachte vor, der Bundesgerichtshof habe die Verweigerung der Vorlage an den EuGH nicht hinreichend begründet. Am 18. Mai 2015 wies der Bundesgerichtshof die Anhörungsrüge des Beschwerdeführers unter Verweis darauf zurück, dass er sein Vorbringen geprüft, aber für nicht durchgreifend erachtet habe und ein Beschluss eines letztinstanzlichen Gerichts keiner eingehenderen Begründung bedurft hätte.
13. Am 25. Februar 2016 lehnte es das Bundesverfassungsgericht ohne Angabe von Gründen ab, die Verfassungsbeschwerde des Beschwerdeführers zur Entscheidung anzunehmen (1 BvR 1410/16).
II. DAS EINSCHLÄGIGE INNERSTAATLICHE RECHT UND EUROPARECHT SOWIE DIE EINSCHLÄGIGE INNERSTAATLICHE UND EUROPARECHTLICHE PRAXIS
A. Das deutsche Recht und die deutsche Praxis
14. § 543 ZPO lautet wie folgt:
„(1) Die Revision findet nur statt, wenn sie
1. das Berufungsgericht in dem Urteil oder
2. das Revisionsgericht auf Beschwerde gegen die Nichtzulassung zugelassen hat.
(2) Die Revision ist zuzulassen, wenn
1. die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder
2. die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts erfordert.
Das Revisionsgericht ist an die Zulassung durch das Berufungsgericht gebunden.“
15. Die maßgeblichen Teile von § 544 ZPO lauten wie folgt:
„(1) Die Nichtzulassung der Revision durch das Berufungsgericht unterliegt der Beschwerde (Nichtzulassungsbeschwerde). […]
(4) Das Revisionsgericht entscheidet über die Beschwerde durch Beschluss. Der Beschluss soll kurz begründet werden; von einer Begründung kann abgesehen werden, wenn sie nicht geeignet wäre, zur Klärung der Voraussetzungen beizutragen, unter denen eine Revision zuzulassen ist, oder wenn der Beschwerde stattgegeben wird. Die Entscheidung über die Beschwerde ist den Parteien zuzustellen.
[…]“
16. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs und des Bundesverfassungsgerichts ist eine Rechtssache unter anderem dann von „grundsätzlicher Bedeutung“, wenn sie eine entscheidungserhebliche Frage aufwirft, die der einheitlichen Auslegung von EU-Recht bedarf, und ein Vorabentscheidungsersuchen im Revisionsverfahren sehr wahrscheinlich ist. Daher bedarf es für die Nichtzulassung der Revision der Einschätzung, dass in dem jeweiligen Fall eine Vorlage an den EuGH nicht erforderlich ist (siehe z. B. BGH, I ZR 130/02, 16. Januar 2003; BVerfG, 2 BvR 557/88, 22. Dezember 1992; 1 BvR 2534/10, 3. März 2014; 1 BvR 1320/14, 8. Oktober 2015). Damit das Bundesverfassungsgericht solche Entscheidungen auf Willkür überprüfen kann, ist es erforderlich, dass das Gericht die Gründe für die Entscheidung entweder aus der Begründung des letztinstanzlichen Gerichts oder anderweitig herleiten kann (siehe BVerfG, 2 BvR 557/88, 22. Dezember 1992; 1 BvR 2534/10, 3. März 2014; 1 BvR 1320/14, 8. Oktober 2015). In der Rechtssache 2 BvR 557/88 hatte das Urteil des erstinstanzlichen Gerichts eine ausführliche Begründung zum maßgeblichen EU-Recht und dazu enthalten, warum keinerlei Zweifel an der Auslegung der entsprechenden Bestimmungen bestünden. Es hatte sich auf die gefestigte Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs bezogen. Unter diesen Umständen befand es das Bundesverfassungsgericht für hinnehmbar, dass der Bundesfinanzhof die anschließende Nichtzulassungsbeschwerde ohne Begründung zurückgewiesen hat. In der Rechtssache 1 BvR 1320/14 hingegen stellte das Bundesverfassungsgericht eine Verletzung des Rechts auf den gesetzlichen Richter fest, da der Bundesgerichtshof eine Nichtzulassungsbeschwerde ohne Angabe von Gründen zurückgewiesen hatte. In dieser Rechtssache befand das Gericht, dass eine Vorlagepflicht an den EuGH im Beschwerdeverfahren nahegelegen habe und der Bundesgerichtshof nicht dargelegt habe, warum er die Revision dennoch nicht zugelassen habe. Der Beschluss des Fachgerichts habe zwar eine knappe Begründung enthalten, es bestünden jedoch keine Anhaltspunkte dafür, dass sich der Bundesgerichtshof diese zu eigen gemacht habe, zumal die Beschwerdeführerin in jenem Verfahren in ihrer Nichtzulassungsbeschwerde umfassend und unter Auseinandersetzung mit der Entscheidung des Fachgerichts vorgetragen habe.
B. Das EU-Recht und die europarechtliche Praxis
17. Artikel 267 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union („AEUV“) lautet wie folgt:
„Der Gerichtshof […] entscheidet im Wege der Vorabentscheidung
a) über die Auslegung der Verträge,
b) über die Gültigkeit und die Auslegung der Handlungen der Organe, Einrichtungen oder sonstigen Stellen der Union, […]
Wird eine derartige Frage einem Gericht eines Mitgliedstaats gestellt und hält dieses Gericht eine Entscheidung darüber zum Erlass seines Urteils für erforderlich, so kann es diese Frage dem Gerichtshof zur Entscheidung vorlegen.
Wird eine derartige Frage in einem schwebenden Verfahren bei einem einzelstaatlichen Gericht gestellt, dessen Entscheidungen selbst nicht mehr mit Rechtsmitteln des innerstaatlichen Rechts angefochten werden können, so ist dieses Gericht zur Anrufung des Gerichtshofs verpflichtet.“
18. In Auslegung dieser Bestimmung hat der EuGH in der Rechtssache S.r.l. CILFIT und Lanificio di Gavardo S.p.a. gegen Ministero della Sanità (C‑283/81, Urteil vom 6. Oktober 1982, ECLI:EU:C:1982:335, Rdnr. 21) Folgendes festgestellt:
„[…] dass ein Gericht, dessen Entscheidungen selbst nicht mehr mit Rechtsmitteln des innerstaatlichen Rechts angefochten werden können, seiner Vorlagepflicht nachkommen muss, wenn in einem bei ihm schwebenden Verfahren eine Frage des Gemeinschaftsrechts gestellt wird, es sei denn, es hat festgestellt, dass die gestellte Frage nicht entscheidungserheblich ist, dass die betreffende gemeinschaftsrechtliche Bestimmung bereits Gegenstand einer Auslegung durch den Gerichtshof war oder dass die richtige Anwendung des Gemeinschaftsrechts derart offenkundig ist, dass für einen vernünftigen Zweifel keinerlei Raum bleibt; ob ein solcher Fall gegeben ist, ist unter Berücksichtigung der Eigenheiten des Gemeinschaftsrechts, der besonderen Schwierigkeiten seiner Auslegung und der Gefahr voneinander abweichender Gerichtsentscheidungen innerhalb der Gemeinschaft zu beurteilen.“
19. In der Rechtssache Kenny Roland Lyckeskog (C-99/00, 4. Juni 2002, ECLI:EU:C:2002:329) hat der EuGH unter anderem über die Frage entschieden, ob ein innerstaatliches Gericht, das praktisch ein Gericht letzter Instanz ist, weil für eine Überprüfung der Rechtssache durch das oberste Gericht des Landes eine Zulässigkeitserklärung vonnöten ist, ein Gericht im Sinne von Artikel 234 Abs. 3 EG (derzeit Artikel 267 AEUV) ist. Er hat Folgendes festgestellt:
„16. Die Entscheidungen eines nationalen Rechtsmittelgerichts, die von den Parteien bei einem obersten Gericht angefochten werden können, stammen nicht von einem „einzelstaatlichen Gericht, dessen Entscheidungen selbst nicht mehr mit Rechtsmitteln des innerstaatlichen Rechts angefochten werden können“, wie es in Artikel [267] heißt. Der Umstand, dass eine solche Anfechtung nur nach vorheriger Zulassungserklärung durch das oberste Gericht in der Sache geprüft werden kann, führt nicht dazu, dass den Parteien das Rechtsmittel entzogen wird.
17. So verhält es sich beim schwedischen System. Die Parteien behalten auf jeden Fall das Recht, beim Högsta domstol ein Rechtsmittel gegen das Urteil eines Hovrätt einzulegen, das somit nicht als Gericht zu betrachten ist, gegen dessen Entscheidungen kein Rechtsmittel eingelegt werden kann. Das Högsta domstol kann nach Kapitel 54 § 10 des Rättegångsbalk eine Zulassungserklärung abgeben, wenn es für die einheitliche Rechtsanwendung wichtig ist, dass dieses Gericht das Rechtsmittel prüft. Zweifel hinsichtlich der Auslegung des anwendbaren Rechts einschließlich des Gemeinschaftsrechts können daher zu einer – letztinstanzlichen – Überprüfung durch das oberste Gericht führen.
18. Stellt sich eine Frage nach der Auslegung oder der Gültigkeit einer gemeinschaftsrechtlichen Vorschrift, so ist das oberste Gericht nach Artikel [267] verpflichtet, dem Gerichtshof entweder im Stadium der Zulassungsprüfung oder in einem späteren Stadium eine Vorabentscheidungsfrage vorzulegen.“
20. Auf dieses Urteil wurde in einem späteren Urteil des EuGH (Cartesio Oktató és Szolgáltató bt, C-210/06, 16. Dezember 2008, ECLI:EU:C:2008:723) verwiesen, in dem dieser Folgendes feststellte:
„76. Der Gerichtshof hat bereits entschieden, dass die Entscheidungen eines nationalen Rechtsmittelgerichts, die von den Parteien bei einem obersten Gericht angefochten werden können, nicht von einem ‚einzelstaatlichen Gericht […], dessen Entscheidungen selbst nicht mehr mit Rechtsmitteln des innerstaatlichen Rechts angefochten werden können’, wie es in Artikel [267] heißt, stammen. Der Umstand, dass eine solche Anfechtung nur nach vorheriger Zulassungserklärung durch das oberste Gericht in der Sache geprüft werden kann, bewirkt nicht, dass den Parteien das Rechtsmittel entzogen wird (Urteil Lyckeskog, Randnr. 16).
77. Dies gilt umso mehr für ein Verfahren wie das, in dem über den Ausgangsrechtsstreit entschieden werden muss, weil es keine solche vorherige Zulassungserklärung durch das oberste Gericht kennt, sondern lediglich Beschränkungen insbesondere hinsichtlich der Art der Rechtsmittelgründe vorsieht, die vor diesem Gericht geltend gemacht werden können, nämlich, dass eine Rechtsverletzung gerügt werden muss.“
21. Im Hinblick auf die Einleitung von Vorabentscheidungsverfahren hat der EuGH in der Rechtssache György Katz gegen István Roland Sós (C-404/07, 9. Oktober 2008, ECLI:EU:C:2008:553) Folgendes festgestellt:
„37. [Es] können nämlich nur die nationalen Gerichte und nicht die Parteien des Ausgangsverfahrens den Gerichtshof anrufen. Damit haben auch die nationalen Gerichte zu bestimmen, welche Fragen dem Gerichtshof vorzulegen sind; die Parteien können die Fragen inhaltlich nicht ändern […]“
22. In seinem Urteil vom 9. November 2010 in der Rechtssache VB Pénzügyi Lízing Zrt. gegen Ferenc Schneider (C-137/08, ECLI:EU:C:2010:659) hat der EuGH Folgendes ausgeführt:
„28. [Das] System, das mit Art. 267 AEUV geschaffen wurde, um die einheitliche Auslegung des Unionsrechts in den Mitgliedstaaten zu gewährleisten, [führt] eine unmittelbare Zusammenarbeit zwischen dem Gerichtshof und den nationalen Gerichten durch ein Verfahren ein […], das der Parteiherrschaft entzogen ist […]“
23. Am 25. November 2016 veröffentlichte der EuGH seine (aktualisierten) Empfehlungen an die nationalen Gerichte bezüglich der Vorlage von Vorabentscheidungsersuchen (2016/C 439/01). Die maßgeblichen Passagen lauten wie folgt:
„3. Der Gerichtshof übt seine Befugnis, im Wege der Vorabentscheidung über die Auslegung oder die Gültigkeit des Unionsrechts zu entscheiden, ausschließlich auf Initiative der nationalen Gerichte aus, und zwar unabhängig davon, ob die Parteien des Ausgangsrechtsstreits eine Anrufung des Gerichtshofs angeregt haben. Da das mit einem Rechtsstreit befasste nationale Gericht die Verantwortung für die zu erlassende gerichtliche Entscheidung zu tragen hat, ist es nämlich Sache dieses Gerichts — und allein dieses Gerichts —, im Hinblick auf die Besonderheiten der jeweiligen Rechtssache sowohl zu beurteilen, ob ein Vorabentscheidungsersuchen für den Erlass seiner Entscheidung erforderlich ist, als auch die Erheblichkeit der Fragen zu beurteilen, die es dem Gerichtshof vorlegt.“
RECHTLICHE WÜRDIGUNG
BEHAUPTETE VERLETZUNG VON ARTIKEL 6 DER KONVENTION
24. Der Beschwerdeführer rügte, dass die innerstaatlichen Gerichte es unter Verletzung seines Rechts auf ein faires Verfahren abgelehnt hätten, dem EuGH Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen, und dass sie diese Verweigerung nicht hinreichend begründet hätten. Er berief sich auf Artikel 6 Abs. 1 der Konvention, der soweit maßgeblich, wie folgt lautet:
„Jede Person hat ein Recht darauf, dass über Streitigkeiten in Bezug auf ihre zivilrechtlichen Ansprüche und Verpflichtungen […] von einem […] Gericht in einem fairen Verfahren […] verhandelt wird.“
25. Die Regierung trat diesem Vorbringen entgegen.
A. Zulässigkeit
26. Die Regierung machte geltend, dass die Beschwerde wegen Nichterschöpfung der innerstaatlichen Rechtsbehelfe teilweise unzulässig wäre, sollte der Gerichtshof die einzelnen Vorlagefragen getrennt voneinander prüfen. Sie brachte vor, dass der Beschwerdeführer in seiner Anhörungsrüge und seiner Verfassungsbeschwerde weder konkret die fehlende Begründung für die Ablehnung der zweiten Vorlagefrage gerügt, noch darauf hingewiesen habe, dass diese Frage erstmals nach Erlass des Urteils des Oberlandesgerichts gestellt worden sei. Im Gegenteil habe der Beschwerdeführer im innerstaatlichen Verfahren keinerlei Unterscheidung zwischen den beiden Fragen vorgenommen, sondern grundsätzlich die Ablehnung der Vorlage an den EuGH und die fehlende Begründung gerügt.
27. Der Beschwerdeführer brachte vor, dass er mit der Anhörungsrüge und der Verfassungsbeschwerde die verfügbaren innerstaatlichen Rechtsbehelfe erschöpft habe. In beiden Rechtsmitteln habe er beide Fragen aufgenommen und gerügt, dass weder das Oberlandesgericht noch der Bundesgerichtshof die Ablehnung der Vorlage an den EuGH zur Vorabentscheidung hinreichend begründet hätten.
28. Der Gerichtshof stellt fest, dass die zweite vom Beschwerdeführer vorgeschlagene Frage lediglich eine Abwandlung der ersten Frage darstellt, beide Fragen denselben Sachverhalt betreffen und der Beschwerdeführer im innerstaatlichen Verfahren keine Unterscheidung zwischen den beiden Fragen vorgenommen hat. Darüber hinaus stellt der Gerichtshof fest, dass die Parteien in innerstaatlichen Verfahren zwar Vorschläge für Vorlagefragen machen dürfen, die endgültige Formulierung dieser Frage(n) jedoch dem Gericht obliegt, das sie dem EuGH vorlegt (siehe Rdnrn. 22 und 23). Er kommt zu dem Schluss, dass es in der vorliegenden Rechtssache um die Verweigerung einer Vorlage an den EuGH und die Angemessenheit der gerichtlichen Begründung hierfür geht und nicht darum, ob eine bestimmte vom Beschwerdeführer vorgeschlagene Frage dem EuGH zur Vorabentscheidung vorgelegt wurde. Eine Unterscheidung zwischen den beiden Fragen wäre daher künstlich. Folglich ist die Bedingung, unter der die Regierung eine teilweise Nichterschöpfung geltend gemacht hat, nicht erfüllt.
29. Zusammenfassend stellt der Gerichtshof fest, dass die Beschwerde weder wegen Nichterschöpfung der innerstaatlichen Rechtsbehelfe unzulässig, noch im Sinne von Artikel 35 Abs. 3 Buchst. a der Konvention offensichtlich unbegründet ist. Sie ist auch nicht aus anderen Gründen unzulässig und ist folglich für zulässig zu erklären.
B. Begründetheit
1. Die Stellungnahmen der Parteien
30. Der Beschwerdeführer brachte vor, dass der Rechtsstreit vor den innerstaatlichen Gerichten eine europarechtliche Frage aufgeworfen habe, zu der bis dato keine Entscheidung des EuGH ergangen sei. Durch die willkürliche Ablehnung der Vorlage der Fragen an den EuGH zur Vorabentscheidung hätten die innerstaatlichen Gerichte gegen Artikel 6 der Konvention verstoßen. Darüber hinaus hätten die innerstaatlichen Gerichte die Ablehnung nicht hinreichend begründet. Der Bundesgerichtshof sei im Sinne von Artikel 267 AEUV das Gericht gewesen, dessen Entscheidungen nicht mehr mit Rechtsmitteln des innerstaatlichen Rechts hätten angefochten werden können. Basierend auf dem Urteil des EuGH in der Rechtssache CILFIT (siehe Rdnr. 18) sei der Bundesgerichtshof nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs (Dhahbi ./. Italien, Individualbeschwerde Nr. 17120/09, 8. April 2014; und Schipani u. a. ./. Italien, Individualbeschwerde Nr. 38369/09, 21. Juli 2015) daher verpflichtet gewesen, die Ablehnung zu begründen. Der Bundesgerichtshof habe jedoch keinerlei Gründe angeführt und lediglich den Wortlaut von § 543 ZPO wiedergegeben. Er habe auch nicht auf die Begründung des Oberlandesgerichts verwiesen. Das Oberlandesgericht, bei dem es sich nicht um das letztinstanzliche Gericht gehandelt habe, habe sich zwar mit der europarechtlichen Frage auseinandergesetzt, jedoch weder die Vorlage an den EuGH ausdrücklich abgelehnt, noch auf die in der Rechtsprechung des EuGH festgelegten CILFIT-Kriterien verwiesen. Insbesondere habe das Oberlandesgericht nicht erläutert, warum die richtige Anwendung des Unionsrechts derart offenkundig gewesen sei, dass für einen vernünftigen Zweifel keinerlei Raum geblieben sei.
31. Die Regierung brachte vor, dass die Ablehnung der Vorlage an den EuGH nicht willkürlich gewesen sei, da die richtige Anwendung des EU-Rechts derart offenkundig gewesen sei, dass für einen vernünftigen Zweifel keinerlei Raum geblieben sei. Der Bundesgerichtshof und das Oberlandesgericht hätten in ihren Entscheidungen hinreichend dargetan, dass deswegen keine Vorlagepflicht an den EuGH bestanden habe. Obwohl es kein letztinstanzliches Gericht und daher nicht zur Vorlage von Fragen an den EuGH zur Vorabentscheidung verpflichtet sei, habe das Oberlandesgericht sich sorgfältig mit dem EU-Recht und der Rechtsprechung des EuGH auseinandergesetzt und sei zu dem Schluss gekommen, dass die Rechtsauffassung des Beschwerdeführers in der Rechtsprechung des EuGH und in der Literatur nicht geteilt werde. Aus der Entscheidung des Oberlandesgerichts folge daher, dass eine Vorlage nicht erforderlich gewesen sei. Das Oberlandesgericht habe auch bei der Entscheidung über die Zulassung der Revision zu prüfen gehabt, ob eine Vorlage erforderlich sei, da die Rechtssache, falls sich eine für den Fall relevante unionsrechtliche Frage gestellt hätte, „grundsätzliche Bedeutung“ im Sinne von § 543 ZPO gehabt hätte und die Revision daher hätte zugelassen werden müssen. Die Entscheidung des Oberlandesgerichts, die Revision nicht zuzulassen, habe daher auch ausgesagt, dass eine Vorlage an den EuGH nicht erforderlich sei. Aus demselben Grund sei die Begründung des Bundesgerichtshofs hinreichend gewesen, da die Feststellung, dass die Rechtssache keine „grundsätzliche Bedeutung“ habe, impliziere, dass eine Vorlage an den EuGH nicht erforderlich sei. Darüber hinaus habe sich der Bundesgerichtshof der Begründung des Oberlandesgerichts angeschlossen, indem er die Nichtzulassungsbeschwerde des Beschwerdeführers abgelehnt und von einer weiteren Begründung gemäß § 544 Abs. 4 ZPO abgesehen habe.
32. Die Drittbeteiligte brachte vor, dass die Konvention die nationalen Gerichte nicht dazu verpflichte, jedes einzelne vor ihnen vorgebrachte Argument ausführlich zu beantworten. Insbesondere sei die Angabe konkreter Gründe nicht erforderlich, wenn Entscheidungen lediglich die Frage der Zulassung der Revision beträfen.
2. Würdigung durch den Gerichtshof
33. Der Gerichtshof weist erneut darauf hin, dass es Sache der nationalen Gerichte ist, das innerstaatliche Recht, sofern es im Einklang mit dem EU-Recht anwendbar ist, auszulegen und anzuwenden, und darüber zu entscheiden, ob es für den Erlass eines Urteils erforderlich ist, dem EuGH eine Frage zur Vorabentscheidung vorzulegen. Er erinnert daran, dass die Konvention an sich kein Recht auf Vorlage einer Rechtssache durch ein innerstaatliches Gericht an den EuGH zur Vorabentscheidung garantiert. Der Gerichtshof hat jedoch bereits früher festgestellt, dass diese Frage durchaus eine Verbindung zu Artikel 6 Abs. 1 der Konvention aufweist, da die Ablehnung der Vorlage durch ein innerstaatliches Gericht unter bestimmten Umständen gegen das Gebot der Verfahrensfairness verstoßen kann, sofern sich die Ablehnung als willkürlich erweist. Eine solche Ablehnung kann als willkürlich gelten, wenn die anwendbaren Vorschriften keine Ausnahmen von der Vorlagepflicht vorsehen, wenn mit einer Begründung abgelehnt wird, die in diesen Vorschriften nicht vorgesehen ist, oder wenn die Ablehnung nicht gebührend begründet wurde (siehe Ullens de Schooten und Rezabek ./. Belgien, Individualbeschwerden Nrn. 3989/07 und 38353/07, 20. September 2011, Rdnrn. 54 bis 59). Die Verpflichtung der innerstaatlichen Gerichte, ihre Urteile und Entscheidungen zu begründen, soll es den Parteien ermöglichen, die ergangene Gerichtsentscheidung zu verstehen; es handelt sich hierbei um eine wesentliche Schutzvorkehrung gegen Willkür. Darüber hinaus soll den Parteien damit vermittelt werden, dass sie gehört wurden, was zu einer größeren Bereitschaft ihrerseits beitragen soll, die Entscheidung zu akzeptieren (siehe Taxquet ./. Belgien [GK], Individualbeschwerde Nr. 926/05, Rdnrn. 90 und 91, ECHR 2010, mit weiteren Nachweisen).
34. Die Begründungspflicht ist jedoch nicht so zu verstehen, dass jedes Argument eine ausführliche Antwort verlangt, und der Umfang dieser Verpflichtung kann je nach Art der Entscheidung unterschiedlich sein und muss im Lichte der Umstände des Einzelfalls bestimmt werden (ebenda). Er hängt unter anderem von den verschiedenen Argumenten, die eine Prozesspartei vor Gericht vortragen kann, sowie von den Rechtsvorschriften, Bräuchen, Grundsätzen der Rechtslehre und unterschiedlichen Praktiken hinsichtlich der Ausgestaltung und Abfassung der Urteile in den verschiedenen Vertragsstaaten ab. Daher kann die Frage, ob ein Gericht die Begründungspflicht erfüllt hat, die sich aus Artikel 6 der Konvention ergibt, ausschließlich im Lichte der Umstände der Rechtssache geprüft werden (siehe Borovská und Forrai ./. Slowakei, Individualbeschwerde Nr. 48554/10, Rdnr. 57, 25. November 2014; García Ruiz ./. Spanien [GK], Individualbeschwerde Nr. 30544/96, Rdnr. 26, ECHR 1999‑I; Kok ./. die Niederlande (Entsch.), Individualbeschwerde Nr. 43149/98, 4. Juli 2000; und Ruiz Torija ./. Spanien, Individualbeschwerde Nr. 18390/91, Rdnr. 29, 9. Dezember 1994).
35. Nach Artikel 6 Abs. 1 der Konvention ist es hinnehmbar, dass übergeordnete innerstaatliche Gerichte eine Beschwerde allein unter Verweis auf die für solche Beschwerden geltenden Rechtsvorschriften zurückweisen, wenn die Rechtssache keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung aufwirft (siehe V. ./. Deutschland (Entsch.), Individualbeschwerde Nr. 65863/01, 5. Dezember 2002; J. ./. Deutschland (Entsch.) Individualbeschwerde Nr. 15073/03, 13. Februar 2007), insbesondere in Fällen, bei denen es um Anträge auf Zulassung eines Rechtsmittels geht (siehe Sawoniuk ./. das Vereinigte Königreich (Entsch.), Individualbeschwerde Nr. 63716/00, 29. Mai 2001; Kukkonen ./. Finnland (Nr. 2), Individualbeschwerde Nr. 47628/06, Rdnr. 24, 13. Januar 2009; und Bufferne ./. Frankreich (Entsch.), Individualbeschwerde Nr. 54367/00, ECHR 2002‑III (Auszüge)). Bei der Zurückweisung eines Rechtsmittels darf ein Rechtsmittelgericht im Grundsatz schlicht auf die Entscheidungsgründe der unteren Instanz Bezug nehmen (siehe García Ruiz ./. Spanien [GK], Individualbeschwerde Nr. 30544/96, Rdnr. 26, ECHR 1999‑I); in manchen Fällen können sich die Gründe für eine Entscheidung auch aus den Umständen ergeben (siehe Sawoniuk, a.a.O.).
36. Diese Grundsätze spiegeln sich in der Rechtsprechung des Gerichtshofs wieder, die zuletzt in der Rechtssache Baydar ./. die Niederlande (Individualbeschwerde Nr. 55385/14, Rdnr. 42 bis 44, 24. April 2018), zusammengefasst wurde, bei der die Frage der hinreichenden Begründung der Ablehnung eines Antrags auf Vorlage an den EuGH geprüft wurde:
„42. Z. B. hat der Gerichtshof festgestellt, dass es in Fällen, in denen ein Antrag auf Einholung einer Vorabentscheidung unzureichend geltend gemacht wurde oder in denen ein solcher Antrag weit gefasst oder allgemein formuliert war, nach Artikel 6 der Konvention hinnehmbar ist, dass übergeordnete innerstaatliche Gerichte eine Beschwerde allein unter Verweis auf die für solche Beschwerden geltenden Rechtsvorschriften zurückweisen, wenn die Rechtssache keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung aufwirft (siehe J. ./. Deutschland (Entsch.) Individualbeschwerde Nr. 15073/03, 13. Februar 2007), oder dass sie die Beschwerde wegen mangelnder Erfolgsaussichten zurückweisen, ohne sich explizit mit dem Antrag auseinanderzusetzen (siehe Wallishauser ./. Österreich (Nr. 2), Individualbeschwerde Nr. 14497/06, Rdnr. 85, 20. Juni 2013; siehe auch Rutar Marketing D.O.O. ./. Slowenien (Entsch.), Individualbeschwerde Nr. 62020/11, Rdnr. 22, 15. April 2014 und Moosbrugger ./. Österreich, Individualbeschwerde Nr. 44861/98, 25. Januar 2000).
43. Darüber hinaus hat der Gerichtshof in der Rechtssache Stichting Mothers of Srebrenica u. a. ./. die Niederlande (Individualbeschwerde Nr. 65542/12, Rdnr. 173, ECHR 2013) festgestellt, dass die zusammenfassende Begründung der Ablehnung des Vorabentscheidungsersuchens durch den Obersten Gerichtshof ausreichend war, da sich bereits aus einer in einem anderen Teil des Urteils des obersten Gerichtshofs erreichten Schlussfolgerung ergeben habe, dass ein Vorabentscheidungsersuchen an den EuGH überflüssig war. In der Rechtssache Astikos Kai Paratheristikos Oikodomikos Synetairismos Axiomatikon und Karagiorgos ./. Griechenland ((Entsch.), Individualbeschwerden Nrn. 29382/16 und 489/17, Rdnr. 47, 9. Mai 2017) hat der Gerichtshof festgestellt, dass die von dem Beschwerdeführer in jener Rechtssache beantragte Vorabentscheidung nicht zu einer anderen Schlussfolgerung des griechischen Staatsrats geführt hätte, da sein Rechtsmittel wegen Nichteinhaltung der gesetzlichen Zulässigkeitsvoraussetzungen für unzulässig erklärt worden war.
44. In anderen Fällen, bei denen es nicht um beschleunigte innerstaatliche Verfahren ging, hat der Gerichtshof festgestellt, dass nationale Gerichte, deren Entscheidungen nicht mehr mit Rechtsmitteln des innerstaatlichen Rechts angefochten werden können, im Lichte der in der Rechtsprechung des EuGH vorgesehenen Ausnahmen verpflichtet sind, ihre Ablehnung zu begründen (Ullens de Schooten und Rezabek, a.a.O., Rdnr. 62). In der Rechtssache Dhahbi ./. Italien (Individualbeschwerde Nr. 17120/09, Rdnr. 31, 8. April 2014; siehe auch Schipani u. a. ./. Italien, Individualbeschwerde Nr. 38369/09, Rdnr. 42, 21. Juli 2015) hat der Gerichtshof die folgenden Grundsätze im Hinblick auf die Verpflichtung der innerstaatlichen Gerichte nach Artikel 6 der Konvention für die Fälle aufgestellt, in denen um Vorlage an den EuGH zur Vorabentscheidung ersucht und das Ersuchen hinreichend begründet wird:
‚[…] Nach Artikel 6 Abs. 1 müssen die innerstaatlichen Gerichte jede Ablehnung der Vorlage einer Frage zur Vorabentscheidung im Lichte des anwendbaren Rechts begründen;
– wird vor dem Gerichtshof auf dieser Grundlage eine Verletzung von Artikel 6 Abs. 1 gerügt, hat er sicherzustellen, dass die angegriffene Ablehnung hinreichend begründet war;
– obgleich es einer gründlichen Durchführung dieser Überprüfung bedarf, ist es nicht die Aufgabe des Gerichtshofs, mögliche Fehler zu prüfen, die den innerstaatlichen Gerichten bei der Auslegung oder Anwendung des einschlägigen Rechts unterlaufen sein könnten; und
– im konkreten Zusammenhang mit Artikel 234 Abs. 3 des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft (nunmehr Artikel 267 AEUV) bedeutet dies, dass die nationalen Gerichte, deren Entscheidungen selbst nicht mehr mit Rechtsmitteln des innerstaatlichen Rechts angefochten werden können und die es ablehnen, eine ihnen vorliegende Frage zur Auslegung von EU-Recht dem EuGH zur Vorabentscheidung vorzulegen, verpflichtet sind, eine solche Ablehnung im Lichte der in der Rechtsprechung des EuGH vorgesehenen Ausnahmen zu begründen. Sie müssen daher ihre Auffassung begründen, dass die Frage nicht entscheidungserheblich ist, dass die in Rede stehende unionsrechtliche Bestimmung bereits Gegenstand einer Auslegung durch den EuGH war, oder dass die richtige Anwendung des EU-Rechts derart offenkundig ist, dass für einen vernünftigen Zweifel keinerlei Raum bleibt.’“
37. Im Hinblick auf die Umstände der vorliegenden Rechtssache stellt der Gerichtshof fest, dass der Bundesgerichtshof das letztinstanzliche Gericht im Sinne von Artikel 267 Abs. 3 AEUV war, auch wenn er „nur“ über die Nichtzulassungsbeschwerde des Beschwerdeführers zu entscheiden hatte (siehe Rdnrn. 19 und 20). Er stellt auch fest, dass der Bundesgerichtshof nur knapp auf die Gründe für die Ablehnung der Zulassung der Revision hinwies und entsprechend § 544 Abs. 4 ZPO, auf den er in seiner Entscheidung verwies, von einer weiteren Begründung absah.
38. Der Gerichtshof stellt allerdings auch fest, dass der Beschwerdeführer nicht nur beim Bundesgerichtshof, sondern auch zuvor beim Oberlandesgericht um Vorlage an den EuGH ersucht hatte. Das Oberlandesgericht, das zwar kein letztinstanzliches Gericht im Sinne von Artikel 267 AEUV ist, hat sich sorgfältig mit dem EU-Recht auseinandergesetzt und in seiner Urteilsbegründung ausführlich auf die Rechtsprechung des EuGH Bezug genommen. In dem Urteil heißt es auch, „[die] aufgeworfene Rechtsfrage [sei] nicht klärungsbedürftig, denn es [bestünden] über Umfang und Bedeutung jener Rechtsvorschriften keine Unklarheiten.“ Darüber hinaus erörterten die Parteien die Frage des EU-Rechts in der mündlichen Verhandlung und das Gericht erläuterte, dass seiner Ansicht nach die Rechtsprechung des EuGH eindeutig sei und dass im Gegensatz zum Vortrag des Beschwerdeführers das EU-Recht auf den vorliegenden Fall nicht anwendbar sei. Insgesamt gelangt der Gerichtshof zu dem Ergebnis, dass das Oberlandesgericht dargelegt hat, warum es keine vernünftigen Zweifel an der richtigen Anwendung des deutschen Rechts und des EU-Rechts und an der Lösung der vorgebrachten Frage gebe.
39. Der Gerichtshof stellt ferner fest, dass das Oberlandesgericht gemäß § 543 ZPO zu entscheiden hatte, ob die Rechtssache „grundsätzliche Bedeutung“ hatte und die Revision daher zuzulassen war. Wie die Regierung vorgebracht hat, ist eine Rechtssache nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs und des Bundesverfassungsgerichts dann von „grundsätzlicher Bedeutung“, wenn sie eine entscheidungserhebliche Frage aufwirft, die der einheitlichen Auslegung von EU-Recht bedarf, und ein Vorabentscheidungsersuchen im Revisionsverfahren sehr wahrscheinlich ist (siehe Rdnr. 16). Auf der Grundlage dieser Rechtsprechung bedarf es für die Nichtzulassung der Revision zudem der Einschätzung, dass in dem jeweiligen Fall eine Vorlage an den EuGH nicht erforderlich ist. Der Gerichtshof kommt zu dem Ergebnis, dass das Oberlandesgericht das Vorlageersuchen des Beschwerdeführers dementsprechend geprüft und durch Nichtzulassung der Revision zurückgewiesen hat.
40. Aus demselben Grund ist der Gerichtshof der Auffassung, dass der Bundesgerichtshof, der nach Artikel 267 AEUV zur Entscheidung über Vorlagen verpflichtet war, die Notwendigkeit einer Vorlage verneinte, indem er bestätigte, dass die Rechtssache keine „grundsätzliche Bedeutung“ habe.
41. Der Gerichtshof weist ferner darauf hin, dass er bereits früher anerkannt hat, dass sich die Entscheidungsgründe eines übergeordneten Gerichts in einigen Fällen aus den Umständen der Rechtssache oder aus der Bestätigung der Begründung des Gerichts niedrigerer Instanz ergeben können (siehe Rdnr. 35). In diesem Zusammenhang stellt er fest, dass auch das Bundesverfassungsgericht lediglich verlangt, dass sich die Gründe für eine Ablehnung entweder aus der Begründung des letztinstanzlichen Gerichts oder anderweitig, etwa aus der Begründung eines Gerichts niedrigerer Instanz, herleiten lassen (siehe Rdnr. 16). Angesichts der Tatsache, dass das Oberlandesgericht die Nichtzulassung der Revision ausführlich begründet hat, nachdem es die europarechtliche Frage in der mündlichen Verhandlung mit den Parteien erörtert hatte, ist der Gerichtshof der Auffassung, dass es dem Beschwerdeführer angesichts der Umstände der vorliegenden Rechtssache möglich war, die Entscheidung des Bundesgerichtshofs zu verstehen.
42. Angesichts des Zwecks der Begründungspflicht der innerstaatlichen Gerichte nach Artikel 6 der Konvention (siehe Rdnr. 33) stellt der Gerichtshof bei der Prüfung des Verfahrens als Ganzes fest, dass die innerstaatlichen Gerichte dem Beschwerdeführer ausführlich erklärt haben, warum das Vorlageersuchen an den EuGH abgelehnt worden war. Obwohl der Bundesgerichtshof das letztinstanzliche Gericht im Sinne von Artikel 267 AEUV war, ist der Gerichtshof der Ansicht, dass es angesichts der konkreten Umstände der vorliegenden Rechtssache hinnehmbar war, dass der Bundesgerichtshof bei der Ablehnung der Nichtzulassungsbeschwerde des Beschwerdeführers von einer umfangreicheren Begründung abgesehen und lediglich auf die einschlägigen gesetzlichen Bestimmungen verwiesen hat.
43. Die vorstehenden Ausführungen sind für den Gerichtshof ausreichend für die Schlussfolgerung, dass die Ablehnung der Vorlage, die nicht willkürlich erscheint, hinreichend begründet war. Folglich ist Artikel 6 Abs. 1 der Konvention nicht verletzt worden.
AUS DIESEN GRÜNDEN ENTSCHEIDET DER GERICHTSHOF EINSTIMMIG:
1. Die Individualbeschwerde wird für zulässig erklärt;
2. Artikel 6 der Konvention ist nicht verletzt worden.
Ausgefertigt in englischer Sprache und schriftlich zugestellt am 11. April 2019 nach Artikel 77 Abs. 2 und 3 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs.
Claudia Westerdiek Yonko Grozev
Kanzlerin Präsident
Zuletzt aktualisiert am Dezember 5, 2020 von eurogesetze
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