Rola gg. Slowenien – 12096/14 und 39335/16 (Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte)

Urteil vom 4.6.2019, Sektion IV

Sachverhalt

Am 9.4.2004 erhielt der Bf. auf der Grundlage der damals in Geltung befindlichen Konkursordnung seine Konkursverwalterlizenz. In diesem Gesetz waren die Voraussetzungen geregelt, unter denen eine Lizenz gewährt und entzogen werden konnte. Am 1.10.2008 wurde die Konkursordnung durch das Finanztransaktions-, Insolvenzverfahrensund Zwangsauflösungsgesetz (im Folgenden: »Finanztransaktionsgesetz«) ersetzt.

Der Bf. wurde am 3.6.2010 wegen gewalttätigen Verhaltens in den Jahren 2003 und 2004 zu einer bedingten Freiheitsstrafe verurteilt. Das Urteil wurde am 17.6.2011 rechtskräftig.

Am 21.6.2011 informierte das den Bf. verurteilende Gericht das Justizministerium über die Rechtskraft des Urteils. Dieses entzog dem Bf. auf der Grundlage des nunmehr geltenden Finanztransaktionsgesetzes, das ein entsprechendes Vorgehen bei Verurteilung wegen einer vorsätzlich begangenen Straftat vorsah, seine Konkursverwalterlizenz. Dagegen legte der Bf. am 25.7.2011 Beschwerde ein. Er brachte unter anderem vor, dass es zum Zeitpunkt der Erlangung seiner Lizenz gesetzlich nicht vorgesehen war, dass diese aufgrund einer Verurteilung entzogen werden konnte, er dies deshalb nicht voraussehen hätte können und die neue Bestimmung nicht rückwirkend angewendet werden dürfe.

Das Verwaltungsgericht wies das vom Bf. eingebrachte Rechtsmittel am 7.11.2012 mit der Begründung ab, dass der Entzug der Lizenz rechtmäßig erfolgt sei.

Am 21.12.2012 erhob der Bf. Beschwerde an das Oberste Gericht, welche von diesem am 13.2.2013 als unzulässig zurückgewiesen wurde.

Am 6.11.2013 lehnte das Verfassungsgericht die Behandlung einer Verfassungsbeschwerde ab.

Nachdem die Verurteilung des Bf. am 28.2.2013 aus seinem Strafregister gestrichen worden war, beantragte er am 8.4.2013 eine neue Konkursverwalterlizenz. Dieser Antrag wurde vom Justizministerium am 29.5.2013 unter Berufung auf das Finanztransaktionsgesetz abgelehnt, da eine einmal entzogene Lizenz laut diesem Gesetz nicht mehr erteilt werden konnte. Die vom Bf. dagegen erhobenen Rechtsmittel blieben erfolglos. Letztlich wurde die Behandlung einer Verfassungsbeschwerde vom Verfassungsgericht am 14.12.2015 abgelehnt.

Rechtsausführungen

Der Bf. behauptete eine Verletzung von Art. 7 EMRK (Keine Strafe ohne Gesetz) sowie von Art. 4 7. Prot. EMRK (Doppelbestrafungsverbot) durch die Entziehung seiner Konkursverwalterlizenz auf der Grundlage des Finanztransaktionsgesetzes. Darüber hinaus beschwerte er sich über eine mit der Entziehung der Lizenz einhergehende Verletzung von Art. 1 1. Prot. EMRK (Recht auf Achtung des Eigentums).

I. Verbindung der Beschwerden

(39) Unter Berücksichtigung der ähnlichen Inhalte der Beschwerden, die vom selben Bf. eingebracht wurden, erachtet es der GH als angemessen, diese gemeinsam zu prüfen […] (einstimmig).

II. Zur behaupteten Verletzung von Art. 7 EMRK

1. Zulässigkeit

(44) […] Der GH erachtet es als unstrittig, dass der Bf. durch den Verlust seiner Konkursverwalterlizenz […] auch seine hauptsächliche Einkommensquelle verlor. Die Regierung erbrachte keinen Nachweis dafür, dass die finanzielle Auswirkung [des Verlustes] einen erheblichen Nachteil vermissen ließ. […] Der Einwand der Regierung muss daher abgewiesen werden.

(45) Die Regierung war der Ansicht, dass der Entzug der Konkursverwalterlizenz des Bf. keine »Strafe« iSd. Art. 7 EMRK darstellte […].

(47) Der GH stellt fest, dass der Einspruch betreffend die Unzuständigkeit ratione materiae eng mit dem Inhalt der Beschwerde des Bf. unter Art. 7 EMRK zusammenhängt und verbindet ihn daher mit der Entscheidung in der Sache (einstimmig).

(48) Der GH stellt fest, dass die Beschwerde nicht offensichtlich unbegründet […] und auch nicht aus anderen Gründen unzulässig ist. Sie muss daher für zulässig erklärt werden (einstimmig).

2. In der Sache

(60) Der GH muss nun ermitteln, ob im vorliegenden Fall die angefochtene Maßnahme, […] der Entzug der Konkursverwalterlizenz des Bf., als Strafe im Sinne der autonomen Bedeutung von Art. 7 EMRK betrachtet werden muss. Der GH wird in diesem Zusammenhang (i) das Verhältnis zwischen der Entscheidung, mit der die Person für schuldig befunden wurde, und der betreffenden Maßnahme; (ii) das angewendete Verfahren; (iii) die Charakterisierung der Maßnahme im innerstaatlichen Recht; (iv) die Art und den Zweck der Maßnahme; und (v) die Schwere der Maßnahme prüfen.

(61) Der GH stellt zunächst fest, dass die fragliche Maßnahme durchaus aufgrund der strafrechtlichen Verurteilung des Bf. verhängt wurde. Er weist darauf hin, dass das Justizministerium die Lizenz des Bf. gemäß

§ 109 des Finanztransaktionsgesetzes entzog, nachdem es darüber informiert worden war, dass seine Verurteilung aufgrund der in den Jahren 2003 und 2004 begangenen Straftaten rechtskräftig geworden war. Entsprechend der genannten Bestimmung musste einem Konkursverwalter, der wegen einer vorsätzlich begangenen, strafbaren Handlung verurteilt wurde, seine […] Lizenz entzogen werden.

(62) Was das Verfahren bezüglich Erlass und Durchführung der […] Maßnahme betrifft, stellt der GH fest, dass die Maßnahme vom Justizminister verhängt und anschließend vom Verwaltungsgericht in Verfahren, die […] in den Regelungsbereich des Verwaltungsrechts fallen, überprüft wurde. Die betroffene Maßnahme wurde völlig abgesondert von der Verurteilung im ordentlichen Strafverfahren verhängt.

(63) In Bezug auf die rechtliche Charakterisierung der Maßnahme im innerstaatlichen Recht […] war diese von einer Bestimmung des Finanztransaktionsgesetzes vorgesehen, die darauf abzielte, den Beruf des Konkursverwalters im Insolvenzverfahren zu regulieren. Die Maßnahme war daher nicht im Rahmen des Strafrechts vorgesehen. Darüber hinaus entnimmt der GH aus der Entscheidung des Verfassungsgerichts vom 1.6.1995, dass, obwohl eine Maßnahme, die eine Person von der Erlangung einer Lizenz zur Ausübung eines gewissen Berufes abhielt, die »Rechtsfolge« einer Verurteilung darstellte, diese nicht als Sanktion strafrechtlicher Natur erachtet werden konnte. Unter diesen Voraussetzungen muss der GH das Konzept einer »Strafe« autonom auslegen. Er muss daher prüfen, ob irgendwelche anderen Faktoren darauf schließen lassen, dass Art. 7 EMRK im vorliegenden Fall anwendbar ist.

(64) In diesem Zusammenhang stellt der GH fest, dass die entsprechende Bestimmung des Finanztransaktionsgesetzes festlegt, dass eine Person keine früheren Verurteilungen, unter anderem wegen vorsätzlich begangener strafbarer Handlungen, aufweisen darf, um für die Ausübung der Funktionen eines Konkursverwalters als geeignet angesehen werden zu können. Der Zweck dieser gesetzlichen Bestimmung scheint nicht zu sein, eine Strafe in Zusammenhang mit einer bestimmten Straftat, aufgrund derer eine Person verurteilt wurde, aufzuerlegen, sondern sie zielt darauf ab, das Vertrauen der Öffentlichkeit in den betroffenen Beruf sicherzustellen. [Die Bestimmung] betrifft Mitglieder einer Berufsgruppe, die über einen besonderen Status verfügen, im Speziellen die Verwalter von Konkursverfahren. Aus diesem Grund hatte der Entzug der Lizenz im Gegensatz zu strafrechtlichen Maßnahmen keine sanktionierende und abschreckende Wirkung.

(65) Der GH stellt weiters fest, dass wie auch im Fall Vagenas/GR, wo die automatische Entlassung keine Strafe iSd. Art. 7 EMRK dargestellt hat, die Maßnahme im vorliegenden Fall lediglich auf der […] Grundlage einer rechtskräftigen strafrechtlichen Verurteilung angeordnet wurde. Das Justizministerium und die anschließend den Fall prüfenden Gerichte schienen über keinerlei Ermessen in Bezug auf die Anordnung der Maßnahme zu verfügen. In den angefochtenen Verfahren wurden auch keine Feststellungen betreffend das Verschulden getroffen.

(66) Was letztlich die Schwere der Maßnahme betrifft, wiederholt der GH, dass dieser Aspekt nicht an sich entscheidend ist, weil viele nicht-strafrechtliche Maßnahmen präventiver Art erhebliche Auswirkungen auf die betroffene Person haben können. Im vorliegenden Fall stellt der GH fest, dass die Lizenz des Bf. aufgrund seiner strafrechtlichen Verurteilung mit dauerhafter Wirkung entzogen wurde, was für sich eine ziemlich schwerwiegende Konsequenz zu sein scheint. Unter Berücksichtigung des oben genannten Prinzips und in Anbetracht der in Zusammenhang mit weiteren [vorstehend genannten] Faktoren […] ergangenen Überlegungen und des Umstands, dass der Entzug der Lizenz […] den Bf. nicht davon abhielt, andere Berufe im Rahmen seiner Fachkompetenzen auszuüben, stellt der GH allerdings fest, dass unter den Umständen des vorliegenden Falles die bloße Tatsache, dass die angefochtene Maßnahme dauerhafte Wirkung entfaltete, nicht ausreicht, um den Entzug der Lizenz des Bf. als Strafe iSd. Art. 7 EMRK zu betrachten.

(67) Aus den vorangegangenen Überlegungen folgt, dass Art. 7 EMRK im vorliegenden Fall nicht anwendbar ist. Aus diesem Grund erfolgte keine Verletzung von Art. 7 EMRK (4:3 Stimmen; gemeinsames abweichendes Sondervotum der Richter Pinto de Albuquerque und Bošnjak, gefolgt von Richter Kūris).

III. Zur behaupteten Verletzung von Art. 1 1. Prot. EMRK

1. Zulässigkeit

(72) […] Es war unstrittig, dass der Bf. aufgrund des Entzuges seiner Lizenz […] seine hauptsächliche Einkommensquelle verlor.

(73) Der Umstand, dass die Lizenz des Bf. ihn auch dazu ermächtigte, gewisse öffentliche Dienstleistungen zu erbringen und die Tatsache, dass er nach deren Entzug gegebenenfalls auch in anderen Berufsfeldern tätig werden hätte können, reichen nach Ansicht des GH nicht aus, der Lizenz ihre wirtschaftliche Bedeutung abzuerkennen. Der GH erachtet es in diesem Zusammenhang als maßgeblich, dass die Lizenz es dem Bf. ermöglichte, einen Beruf auszuüben, für den er bezahlt wurde. Er war vor der angefochtenen Entscheidung in diesem Beruf mehr als sieben Jahre lang tätig.

(74) […] Der GH […] kommt zu dem Schluss, dass die Berufspraxis des Bf. Eigentum iSd. ersten Satzes von Art. 1 1. Prot. EMRK darstellte.

(75) Der GH stellt weiter fest, dass die Beschwerde nicht offensichtlich unbegründet […] ist. Sie ist auch aus keinen anderen Gründen unzulässig […] und muss daher für zulässig erklärt werden (einstimmig).

2. In der Sache

(80) […] Der GH stellt fest, dass der Entzug der Lizenz […] einen Eingriff in das Recht auf Achtung des Eigentums darstellte.

(81) Der GH ist der Auffassung, dass der Entzug der Lizenz des Bf. eine Kontrollmaßnahme betreffend die Nutzung des Eigentums darstellt und somit unter Art. 1 Abs. 2 1. Prot. EMRK fällt.

(83) Der GH stellt fest, dass sich die innerstaatlichen Behörden […] im Rahmen des Entzuges der Lizenz des Bf. auf die Bestimmungen des Finanztransaktionsgesetzes beriefen, ohne sich mit der Anwendbarkeit der maßgeblichen strafrechtlichen Bestimmungen zu befassen. Es kann allerdings nicht außer Acht gelassen werden, dass das Verfassungsgericht den Entzug einer Lizenz in Folge einer strafrechtlichen Verurteilung als »Rechtsfolge einer Verurteilung« erachtete und dass die Regierung selbst die Relevanz von strafrechtlichen Bestimmungen im vorliegenden Fall anerkannte, indem sie vorbrachte, dass das Finanztransaktionsgesetz »ein teilweises Umsetzungsgesetz im Rahmen des StGB oder des alten StGB« war.

(84) In diesem Zusammenhang stellt der GH fest, dass Art. 100 des alten StGB (so wie auch Art. 79 des geltenden StGB) Maßnahmen vorsieht, die als »Rechtsfolgen von Verurteilungen« erachtet werden mussten, einschließlich des Erlöschens der Berechtigung zur Ausübung öffentlicher Funktionen und der Hinderung am Erwerb gewisser Rechte, wie beispielsweise des Rechts, öffentliche Funktionen und gewisse Berufe auszuüben. Darüber hinaus begrenzte Art. 99 des alten StGB (so wie auch Art. 78 des geltenden StGB) die Anwendung der » Rechtsfolgen von Verurteilungen« auf Fälle, in denen eine unbedingte Freiheitsstrafe verhängt wurde und sah ausdrücklich vor, dass die Maßnahme nicht angeordnet werden konnte, wenn […] eine bedingte Strafe verhängt worden war. [Die Bestimmung] sah außerdem vor, dass nur das Gesetz »Rechtsfolgen von Verurteilungen« vorschreiben konnte und dass Letztere nicht rückwirkend angewendet werden durften.

(85) […] In Anbetracht der Tatsache, dass der Bf. die Straftaten in den Jahren 2003 und 2004 begangen hatte, als noch die Konkursordnung anwendbar war und nicht das Finanztransaktionsgesetz, auf dessen Grundlage der Entzug [der Lizenz] erfolgte […], geht der GH davon aus, dass [der Bf.] nicht hinreichend voraussehen hätte können, dass seine Verurteilung automatisch zum Entzug seiner Lizenz führen würde.

(86) Die angefochtene Maßnahme war daher nicht gesetzlich vorgesehen iSd. Art. 1 1. Prot. EMRK. […]

(87) Es erfolgte somit eine Verletzung von Art. 1 1. Prot. EMRK (einstimmig; gemeinsames im Ergebnis übereinstimmendes Sondervotum der Richter Kjølbro, Ranzoni und Kūris).

IV. Zur behaupteten Verletzung von Art. 4 7. Prot. EMRK

(90) Der GH wiederholt, dass der Begriff »Strafverfahren« in Art. 4 7. Prot. EMRK im Lichte der allgemeinen Grund-

sätze betreffend die entsprechenden Begriffe »strafrechtliche Anklage« und »Strafe« in Art. 6 bzw. 7 EMRK ausgelegt werden muss. Aufgrund der in Zusammenhang mit Art. 7 EMRK dargelegten Gründe ist der GH der Auffassung, dass der Entzug der Lizenz des Bf. nicht einer strafrechtlichen Sanktion gleichkam und dass Art. 4 7. Prot. EMRK daher im vorliegenden Fall nicht anwendbar ist.

(91) […] Die Beschwerde ist mit den Bestimmungen der EMRK ratione materiae unvereinbar […] und muss daher [als unzulässig] zurückgewiesen werden […] (mehrheitlich; abweichendes Sondervotum von Richter Kūris).

V. Entschädigung nach Art. 41 EMRK

€ 5.000,– für immateriellen Schaden; € 3.387,– für Kosten und Auslagen (einstimmig).

Zuletzt aktualisiert am November 10, 2020 von eurogesetze

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