BANDELIN gegen Deutschland (Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte) Individualbeschwerde Nr. 41394/11

EUROPÄISCHER GERICHTSHOF FÜR MENSCHENRECHTE
FÜNFTE SEKTION
ENTSCHEIDUNG
Individualbeschwerde Nr. 41394/11
B.
gegen Deutschland

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (Fünfte Sektion) hat in seiner Sitzung am 22. Januar 2013 als Ausschuss mit den Richterinnen und dem Richter

Ganna Yudkivska, Präsidentin,
Angelika Nußberger,
André Potocki,
sowie Stephen Phillips, stellvertretender Sektionskanzler,

im Hinblick auf die oben genannte Individualbeschwerde, die am 4. Juli 2011 erhoben wurde,

im Hinblick auf die Entscheidungen in den Rechtssachen T. ./. Deutschland (Entsch.), Individualbeschwerde Nr. 53126/07, 29. Mai 2012,G. ./. Deutschland (Entsch.), Individualbeschwerde Nr. 19488/09, 29. Mai 2012,

nach Beratung wie folgt entschieden:

SACHVERHALT

1. Der Beschwerdeführer, Herr B., ist deutscher Staatsangehöriger und in B. wohnhaft. Vor dem Gerichtshof wird er von Herrn V., Rechtsanwalt in B., vertreten.

A. Die Umstände des Falls

2. Der vom Beschwerdeführer vorgebrachte Sachverhalt lässt sich wie folgt zusammen­fassen.

1. Das in Rede stehende Verfahren

3. Am 27. Juni 2007 erhoben der Beschwerdeführer sowie zwei weitere Personen vor dem Verwaltungsgericht Berlin im Zusammenhang mit der angeblich rechtswidrigen Nutzung eines benachbarten Gebäudes als Hotel Klage gegen die Stadt Berlin.

4. Am 29. Juni 2007 wurde der Eigentümer des betreffenden Gebäudes zu dem Verfah­ren beigeladen. Danach bat der Beschwerdeführer das Gericht wiederholt um weitere Bear­beitung, wie z.B. Anberaumung einer mündlichen Verhandlung.

5. Am 31. August 2010 führte das Gericht eine Beweisaufnahme sowie eine Anhörung vor Ort in dem betreffenden Gebäude durch.

6. Am 15. März 2011 wies das Gericht die Klage des Beschwerdeführers ab.

7. Daraufhin beantragte der Beschwerdeführer die Zulassung der Berufung beim Ober­verwaltungsgericht. Das Verfahren ist noch nicht abgeschlossen.

2. Weitere Entwicklungen

8. Am 7. Dezember 2011 teilte die Regierung dem Gerichtshof mit, dass auf das Pilotur­teil in der Rechtssache R. ./. Deutschland (Individualbeschwerde Nr. 46344/06, 2. Sep­tember 2010) ein Gesetz über den Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren und straf­rechtlichen Ermittlungsverfahrenim Bundesgesetzblatt veröffentlicht worden und am 3. De­zember 2011 in Kraft getreten sei.

9. Im Dezember 2011 unterrichtete der Gerichtshof alle Beschwerdeführer in Rechtssa­chen, die der beschwerdegegnerischen Regierung übermittelt worden waren und die eine Rüge wegen überlanger Verfahrensdauer zum Gegenstand hatten, von der Einführung des neuen innerstaatlichen Rechtsbehelfs und wies sie auf die Übergangsbestimmungen dieses Gesetzes hin.

B. Das einschlägige innerstaatliche Recht

Gesetz über den Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren und strafrechtlichen Ermittlungsverfahren

10. Eine allgemeine Beschreibung der einzelnen Aspekte dieses Gesetzes und seiner Übergangsbestimmungen findet sich in den EntscheidungenT. ./. Deutschland (a. a. O.) und G. ./. Deutschland (a. a. O.).

RÜGE

11. Der Beschwerdeführer rügte nach Artikel 6 Abs. 1 und Artikel 13 der Konvention die überlange Dauer des Verwaltungsverfahrens und das Fehlen eines diesbezüglich wirksamen innerstaatlichen Rechtsbehelfs.

RECHTLICHE WÜRDIGUNG

A. Rüge der Verfahrensdauer nach Artikel 6 Abs. 1 der Konvention

12. Der Beschwerdeführer rügte nach Artikel 6 Abs. 1 der Konvention die Dauer des Verwaltungsverfahrens. Die genannte Vorschrift lautet wie folgt:

„Jede Person hat ein Recht darauf, dass über Streitigkeiten in Bezug auf ihre zivilrechtlichen Ansprüche und Verpflichtungen … in einem … Verfahren … innerhalb angemessener Frist ver­handelt wird.“

13. Der Gerichtshof befand in der Rechtssache T. ./.Deutschland (a. a. O., Rdnrn. 40 ff.), dass das Rechtsschutzgesetz verabschiedet wurde,um das Problem in einer prima facie wirksamen und sinnvollen Weise unter Berücksichtigung der Anforderungen der Konvention anzugehen. Der Gerichtshof sah keinen Grund für die Annahme, der neue Rechtsbehelf werde dem Beschwerdeführer nicht die Möglichkeit bieten, angemessene und hinreichende Entschädigung für seine berechtigten Klagen zu erhalten, bzw. keine hinreichenden Er­folgsaussichten bieten. Der Gerichtshof hielt es für angemessen und gerechtfertigt, auch von den Beschwerdeführern, die ihre Beschwerden vor Inkrafttreten des Gesetzes erhoben hat­ten, zu verlangen, dass sie den neuen innerstaatlichen Rechtsbehelf in Anspruch nehmen.

14. Der Gerichtshof sieht in der vorliegenden Rechtssache keinen Grund, zu einer ande­ren Schlussfolgerung zu gelangen. Der Beschwerdeführer kann keine besonderen Umstände geltend machen, die es erfordern würden, dass dieser Gerichtshof und nicht die innerstaatli­chen Gerichte seine Rüge prüfen. Er kann insbesondere nicht behaupten, er oder sein Rechtsanwalt seien nicht ordnungsgemäß über den neuen innerstaatlichen Rechtsbehelf informiert worden. Der Gerichtshof weist darauf hin, dass er in der Rechtssache T../. Deutschland (a. a. O., Rdnr. 44) Folgendes festgestellt hat:

„Nach dem Urteil in der Rechtssache S. ./. Deutschland ([GK], Individualbeschwerde Nr. 75529/01, ECHR 2006-VII, 8. Juni 2006) war klar geworden, dass die bestehenden Rechtsvor­schriften in Deutschland nicht ausreichten, um Verfahren zu beschleunigen und eine Entschädi­gung für überlange Verfahren zu gewährleisten. Seither hat der deutsche Gesetzgeber auf ver­schiedene Weise versucht, die Anforderungen der Konvention zu erfüllen, was schließlich zu dem oben erwähnten Rechtsschutzgesetz führte.“

15. Der Gerichtshof stellt in diesem Zusammenhang fest, dass es vornehmlich die Auf­gabe der Beschwerdeführer ist, innerstaatliche Entwicklungen, die für ihre Beschwerden von Belang sind, zu beobachten und entsprechend zu reagieren. Dies gilt insbesondere in Anbe­tracht der Tatsache, dass der Gerichtshof der beschwerdegegnerischen Regierung bereits im September 2010 eine Frist für die Einführung eines Rechtsbehelfs gegen die überlange Dauer von Gerichtsverfahren gesetzt hatte (siehe R. ./. Deutschland a.a.O). Der Gerichtshof hat zuletzt am 1. Juni 2012 nach den Entscheidungen in den Rechtssachen T. ./. Deutschland und G. ./. Deutschland, a.a.O., auf seiner Internetseite eine Pressemitteilung veröffentlicht, in der er darauf hingewiesen hat, dass Beschwerdefüh­rer in anhängigen Fällen wegen überlanger Verfahrensdauer von dem neuen innerstaatli­chen Rechtsbehelf Gebrauch machen müssen.

16. Daraus folgt, dass diese Rüge nach Artikel 35 Abs. 1 und 4 der Konvention wegen Nichterschöpfung des innerstaatlichen Rechtswegs zurückzuweisen ist.

B. Rüge nach Artikel 13 hinsichtlich des Fehlens eines wirksamen innerstaatlichen Rechtsbehelfs

17. Da die nach Artikel 6 erhobene Rüge des Beschwerdeführers wegen Nichterschöp­fung des innerstaatlichen Rechtswegs zurückgewiesen worden ist, ist die damit im Zusam­menhang stehende Rüge nach Artikel 13 offensichtlich unbegründet und muss nach Artikel 35 Abs. 3 Buchstabe a und Abs. 4 der Konvention zurückgewiesen werden.

Aus diesen Gründen erklärt der Gerichtshof

die Individualbeschwerde einstimmig für unzulässig.

Stephen Phillips                                      Ganna Yudkivska
Stellvertretender Kanzler                             Präsidentin

Zuletzt aktualisiert am Januar 3, 2021 von eurogesetze

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