RECHTSSACHE OSTENDORF gegen Deutschland (Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte) Individualbeschwerde Nr. 15598/08

Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte
FÜNFTE SEKTION
RECHTSSACHE O. ./. DEUTSCHLAND
(Individualbeschwerde Nr. 15598/08)
URTEIL
STRASSBURG
7. März 2013

Dieses Urteil wird nach Maßgabe des Artikels 44 Abs. 2 der Konvention endgültig. Es wird gegebenenfalls noch redaktionell überarbeitet.

In der Rechtssache O. ./. Deutschland

hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (Fünfte Sektion) als Kammer mit den Richterinnen und Richtern

Mark Villiger, Präsident,
Angelika Nußberger,
Boštjan M. Zupančič,
Ann Power-Forde,
Paul Lemmens,
Helena Jäderblom,
Aleš Pejchal,
sowie Claudia Westerdiek, Sektionskanzlerin,

nach nicht öffentlicher Beratung am 5. Februar 2013

das folgende Urteil erlassen, das am selben Tag angenommen wurde.

VERFAHREN

1. Der Rechtssache lag eine Individualbeschwerde (Nr. 15598/08) gegen die Bundesrepublik Deutschland zugrunde, die ein deutscher Staatsangehöriger, O. („der Beschwerdeführer“), am 20. März 2008 nach Artikel 34 der Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten („die Konvention“) beim Gerichtshof eingereicht hatte.

2. Der Beschwerdeführer wurde von Frau P., Rechtsanwältin in H., vertreten. Die deutsche Regierung („die Regierung“) wurde durch einen ihrer Verfahrensbevollmächtigten, Herrn Ministerialrat H.-J. Behrens vom Bundesministerium der Justiz, vertreten.

3. Der Beschwerdeführer machte insbesondere geltend, dass sein Präventivgewahrsam vom 10. April 2004 im Zusammenhang mit einem Fußballspiel sein Recht auf Freiheit nach Artikel 5 der Konvention verletzt habe.

4. Am 29. August 2011 wurde die Beschwerde der Regierung übermittelt.

SACHVERHALT

I. DIE UMSTÄNDE DER RECHTSSACHE

5. Der 19.. geborene Beschwerdeführer ist in B. wohnhaft.

A. Der Hintergrund der Rechtssache

6. Der Beschwerdeführer ist unter anderem Anhänger des deutschen Fußball-Bundesligisten X. und besucht regelmäßig Spiele dieses Vereins.

7. Seit 3. September 1996 wurde der Beschwerdeführer von der B. Polizei in der Datei „Gewalttäter Sport“ geführt. Zwischen 3. September 1996 und 24. Mai 2003 waren acht verschiedene Vorfälle im Zusammenhang mit Fußballspielen eingetragen worden, bei denen man von einer Beteiligung des Beschwerdeführers ausging. Des Weiteren wird der Beschwerdeführer in einer 1994 eingerichteten bundesweiten Datei „Gewalttäter Sport“ geführt. In diese Datenbank werden Personen eingetragen, gegen die wegen Straftaten im Zusammenhang mit Sportveranstaltungen ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren eingeleitet wurde.

B. Die Ingewahrsamnahme des Beschwerdeführers

8. Am 10. April 2004 reiste der Beschwerdeführer mit etwa dreißig bis vierzig weiteren Fußballfans mit der Bahn von B. nach Frankfurt am Main, um ein Fußballspiel zwischen X. und Y. zu besuchen.

9. Die B. Polizei hatte die Polizei in Frankfurt am Main im Vorfeld darüber informiert, dass etwa dreißig bis vierzig, im Umfeld von Sportveranstaltungen gewaltbereite Personen (sogenannte Hooligans der Kategorie C) von B. nach Frankfurt am Main reisen wollten.

10. Bei ihrer Ankunft am Hauptbahnhof Frankfurt am Main überprüfte die Frankfurter Polizei die Identität der Mitglieder der Fangruppe aus B. Die meisten von ihnen wurden von der Polizei als gewaltbereite Fußballhooligans eingestuft. Ferner hatte die B. Polizei in dem Beschwerdeführer den „Rädelsführer“ der B. Hooligangruppe ausgemacht. Die Polizei durchsuchte die Mitglieder der Gruppe und stellte dabei – bei anderen Gruppenmitgliedern, nicht dem Beschwerdeführer – einen Mundschutz sowie mehrere Paar mit Quarzsand gefüllte Handschuhe sicher.

11. Die Gruppe wurde unter polizeiliche Aufsicht gestellt und begab sich in ein Lokal. Beim Verlassen des Lokals bemerkte die Polizei das Fehlen des Beschwerdeführers. Er wurde dann von der Polizei in einer verschlossenen Kabine der Damentoilette des Lokals entdeckt. Dort wurde er von der Polizei gegen 14:30 Uhr in Gewahrsam genommen und auf die Stadionwache verbracht; sein Mobiltelefon wurde sichergestellt.

12. Eine Stunde nach Spielende, gegen 18:30 Uhr desselben Tages, wurde der Beschwerdeführer wieder freigelassen. Am 15. April 2004 erhielt er sein Mobiltelefon zurück.

3. Das Verfahren vor den innerstaatlichen Behörden und Gerichten

1. Der Bescheid des Polizeipräsidenten von Frankfurt am Main

13. Am 13. April 2004 legte der Beschwerdeführer beim Polizeipräsidium Frankfurt am Main Widerspruch ein. Er machte geltend, dass seine Ingewahrsamnahme vom 10. April 2004 und die Sicherstellung seines Mobiltelefons rechtswidrig gewesen seien.

14. Am 17. August 2004 wies der Polizeipräsident von Frankfurt am Main die Beschwerde des Beschwerdeführers zurück. Er stellte fest, dass die Beschwerde des Beschwerdeführers unzulässig sei. Seine Ingewahrsamnahme habe einen Verwaltungsakt dargestellt, der sich bereits durch Zeitablauf erledigt habe, da der Beschwerdeführer bereits vor dem Zeitpunkt der Widerspruchseinlegung entlassen worden sei. Auch die Sicherstellung seines Mobiltelefons habe sich erledigt, da es ihm am 15. April 2004 zurückgegebenen worden sei.

15. Ferner sei die Beschwerde des Beschwerdeführers in jedem Fall auch unbegründet. So befand der Polizeipräsident gestützt auf § 32 Abs. 1 Nr. 2 des Hessischen Gesetzes über die öffentliche Sicherheit und Ordnung (HSOG, siehe Rdnr. 33), dass die Ingewahrsamnahme des Beschwerdeführers erforderlich gewesen sei, um die unmittelbar bevorstehende Begehung „einer Straftat oder einer Ordnungswidrigkeit mit erheblicher Bedeutung für die Allgemeinheit“ zu verhindern. Angesichts der der Polizeibehörde vorliegenden Informationen sei im Zusammenhang mit dem Fußballspiel in oder in der Nähe von Frankfurt mit einer Auseinandersetzung zwischen B. und Frankfurter Hooligans zu rechnen gewesen, bei der es zu Straftaten oder Ordnungswidrigkeiten gekommen wäre. In aller Regel würden Zeitpunkt und Austragungsort solcher Auseinandersetzungen von den entsprechenden Hooligangruppen vorab vereinbart. Bei dem Beschwerdeführer sei man davon ausgegangen, dass er sich der polizeilichen Überwachung habe entziehen wollen, um eine Hooliganauseinandersetzung zu verabreden. Er sei der B. Polizei als ein „Rädelsführer“ der B. Hooligans bekannt gewesen. Ferner sei er in dem Lokal bei einem Gespräch mit einem Frankfurter Hooligan beobachtet worden. Außerdem habe er versucht, sich auf der Damentoilette des Lokals zu verstecken. Um die Verabredung von Auseinandersetzungen zwischen den Hooligangruppen zu verhindern, sei es unerlässlich gewesen, den Beschwerdeführer in Gewahrsam zu nehmen und ihn so von den übrigen Gruppenmitgliedern zu trennen. Weiterhin habe man ihn erst eine Stunde nach Spielende entlassen können, als die B. und Frankfurter Hooligans das Stadion und dessen räumliches Umfeld verlassen hatten und sich somit nicht mehr in der Nähe des Beschwerdeführers befanden.

16. Überdies sei die Sicherstellung des Mobiltelefons des Beschwerdeführers gemäß § 40 Nr. 4 HSOG (siehe Rdnr. 36) rechtmäßig gewesen. Angesichts der Gepflogenheiten der Hooligans sei davon auszugehen gewesen, dass der Beschwerdeführer sein Mobiltelefon zur Kontaktaufnahme mit anderen Hooligans aus Frankfurt am Main und B. nutzen würde, um die Einzelheiten der Hooliganauseinandersetzung zu vereinbaren. Daher sei es zur Verhinderung einer solchen Auseinandersetzung unerlässlich gewesen, das Telefon sicherzustellen und nicht unmittelbar nach Spielende wieder auszuhändigen.

2. Das Urteil des Verwaltungsgerichts Frankfurt am Main

17. Am 6. September 2004 reichte der Beschwerdeführer, der seitdem anwaltlich vertreten wurde, beim Verwaltungsgericht Frankfurt am Main Klage gegen das Land Hessen ein. Er beantragte die Feststellung, dass seine Ingewahrsamnahme vom 10. April 2004 und die Sicherstellung seines Mobiltelefons rechtswidrig gewesen seien. Er trug vor, dass er kein „Rädelsführer“ einer Gruppe von Fußballhooligans sei, keine Hooliganauseinandersetzung habe verabreden und keine Straftat begehen wollen und dass demnach keine Gefahr von ihm ausgegangen sei, die seine Ingewahrsamnahme rechtfertigen könne. Er habe sich nicht auf der Damentoilette versteckt, sondern diese aufgesucht, weil die Herrentoilette in einem eine Benutzung ausschließenden Zustand gewesen sei.

18. Nach einer mündlichen Verhandlung wies das Verwaltungsgericht Frankfurt am Main die Klage des Beschwerdeführers am 14. Juni 2005 ab. Es stellte fest, dass die Ingewahrsamnahme des Beschwerdeführers vom 10. April 2004 und die Sicherstellung seines Mobiltelefons rechtmäßig gewesen seien und ihn nicht in seinen Rechten verletzt hätten.

19. Das Gericht habe den Beschwerdeführer und einen Zeugen, den Polizeibeamten G., der an der Polizeiaktion vom 10. April 2004 beteiligt war, angehört. Letzterer habe angegeben, dass die nach Ansicht der Polizei aus gewaltbereiten Hooligans bestehende Gruppe aus B. bereits während der Zugfahrt erhebliche Mengen alkoholischer Getränke konsumiert habe. Er habe hinzugefügt, dass man bei einer Durchsuchung der Gruppenmitglieder einen Mundschutz sowie mehrere Paar mit Quarzsand gefüllte Handschuhe gefunden habe, also Gegenstände, die typischerweise von Hooligans bei ihren Auseinandersetzungen eingesetzt werden. Während solcher Auseinandersetzungen komme es immer wieder zu Straftaten wie Körperverletzung und Landfriedensbruch. Er habe die Gruppe persönlich darüber informiert, dass sie von der Polizei zum Fußballstadion begleitet werde und dass jeder, der sich von der Gruppe entferne, in Gewahrsam genommen werde. Er habe den Beschwerdeführer zu diesem Zeitpunkt als Führungspersönlichkeit der Gruppe eingestuft. Beim Betreten der Damentoilette sei ihm ein Mann aus Frankfurt entgegen gekommen, der angegeben habe, er habe „mit der ganzen Sache nichts zu tun“. Als er den Beschwerdeführer dann in der verschlossenen Kabine der Damentoilette vorgefunden habe, habe dieser keine vernünftige Erklärung dazu abgegeben, warum er sich dort aufgehalten habe. Als anschließend das Mobiltelefon des Beschwerdeführers geklingelt habe, sei auf dem Display der Name eines Mannes mit dem Zusatz „Ffm.“ erschienen.

20. Das Verwaltungsgericht stellte fest, dass die Ingewahrsamnahme des Beschwerdeführers für circa vier Stunden nach § 32 Abs. 1 Nr. 2 HSOG rechtmäßig gewesen sei. Aufgrund der Umstände des Falles befand das Gericht die Einschätzung der Polizeibeamten, eine Ingewahrsamnahme des Beschwerdeführers sei notwendig gewesen, um die Begehung erheblicher Straftaten wie Körperverletzung und Landfriedensbruch zu verhindern, für nachvollziehbar. Der Beschwerdeführer habe versucht, sich der Beobachtung durch die Polizei zu entziehen. Diese Einschätzung sei angesichts des Umstands, dass der Beschwerdeführer von der Polizei B. als „Rädelsführer“ eingestuft und in der Datei „Gewalttäter Sport“ geführt worden sei, sachgerecht gewesen. Darüber hinaus entspreche es – was auch der Zeuge G. bestätigt habe – der bekannten Praxis von Fußballhooligans, Auseinandersetzungen zu verabreden. Es sei unstreitig zu einem Kontakt des Beschwerdeführers mit einer von der Polizei als Frankfurter Hooligan eingeschätzten Person gekommen.

21. Ferner sah das Verwaltungsgericht die Sicherstellung des Mobiltelefons des Beschwerdeführers gemäß § 40 Nr. 4 HSOG als rechtmäßig an. Es habe verhindert werden müssen, dass der Beschwerdeführer während seiner Ingewahrsamnahme oder unmittelbar nach seiner Freilassung Verabredungen für eine Hooliganauseinandersetzung treffe. Sein Mobiltelefon habe dem Beschwerdeführer nicht am nächsten Tag zurückgegeben werden können, da er nicht in Frankfurt am Main wohnhaft sei und es daher nicht an jenem Tag habe abholen können.

3. Das Urteil des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs

22. Am 1. Februar 2006 lehnte der Hessische Verwaltungsgerichtshof den Antrag des Beschwerdeführers auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts ab.

23. Der Verwaltungsgerichtshof befand, dass keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des verwaltungsgerichtlichen Urteils bestünden. Er unterstrich, dass die Ingewahrsamnahme einer Person angesichts der Intensität des damit verbundenen Freiheitseingriffs nur dann im Sinne von § 32 Abs. 1 Nr. 2 HSOG unerlässlich sei, wenn nachvollziehbare Tatsachen in Bezug auf die Umstände des Falles die Annahme begründeten, dass die in Gewahrsam genommene Person mit hoher Wahrscheinlichkeit in unmittelbarer Zukunft eine Straftat oder Ordnungswidrigkeit begehen würde und durch diese das Sicherheitsinteresse der Allgemeinheit erheblich berührt würde. Das Verwaltungsgericht habe überzeugend festgestellt, dass die Polizei aufgrund der Umstände und der vorliegenden Informationen nachvollziehbar davon habe ausgehen können, dass eine Auseinandersetzung zwischen gewaltbereiten Hooligans – einhergehend mit Körperverletzung und Landfriedensbruch – unmittelbar bevorgestanden habe. Weiter habe die Polizei vernünftigerweise annehmen können, dass die Ingewahrsamnahme des Beschwerdeführers notwendig gewesen sei, um eine solche Auseinandersetzung zu verhindern.

24. Der Verwaltungsgerichtshof stellte fest, dass der Polizei Frankfurt am Main zum Zeitpunkt der Ingewahrsamnahme des Beschwerdeführers von der B. Polizei übermittelte Hinweise vorgelegen hätten, denen zufolge der Kläger einer Gruppe gewaltbereiter Fußballfans (sogenannte Hooligans der Kategorie C) zuzurechnen und als „Rädelsführer“ dieser Gruppe bekannt sei. Die Übermittlung solcher Hinweise habe ihre rechtliche Grundlage in den gesetzlichen Bestimmungen der Länder über die Datenübermittlung zwischen Polizeibehörden. In jedem Fall aber trage für die Rechtmäßigkeit der Erhebung und Übermittlung der in Rede stehenden Daten die übermittelnde, also die B. Polizeibehörde, und nicht die empfangende Behörde in Frankfurt am Main die Verantwortung. Somit sei die Frage, ob die B. Polizei die Daten über den Beschwerdeführer rechtmäßig erhoben und gespeichert habe, nicht in dem vorliegenden Verfahren gegen das Land Hessen, vertreten durch das Polizeipräsidium Frankfurt am Main, zu klären. Zudem habe die Frankfurter Polizei am 10. April 2004 keine Kenntnis über die Einträge zu dem Beschwerdeführer in der Datenbank der B. Polizei gehabt, so dass sie ihre Einschätzungen über den Beschwerdeführer nicht auf diese Eintragungen gestützt habe.

25. Ferner teilte der Verwaltungsgerichtshof nicht die Ansicht des Beschwerdeführers, der – entgegen den Feststellungen des Verwaltungsgerichts – der Auffassung war, die Polizei habe nicht vernünftigerweise davon ausgehen können, dass seine Ingewahrsamnahme notwendig gewesen sei, um die Begehung einer Straftat in unmittelbarer Zukunft zu verhindern. Dass die Polizeibeamten die als gefährlich angesehenen Gegenstände der B. Hooligangruppe sichergestellt und die Gruppe zum Fußballstadion begleitet hätten, wäre allein nicht ausreichend gewesen, um eine Auseinandersetzung zwischen den Hooligangruppen auszuschließen. Und selbst wenn man den Beschwerdeführer, nachdem er auf der Damentoilette aufgefunden worden war, aufgefordert hätte, sich wieder zu der B. Fangruppe zu gesellen, wäre dies nicht ausreichend gewesen, um die Gefahr der Verabredung einer Hooliganauseinandersetzung zu bannen. Ebenso sei die Polizei nicht verpflichtet gewesen, davon auszugehen, dass eine Trennung des Beschwerdeführers von der B. Hooligangruppe zur Verhinderung einer solchen Auseinandersetzung ausgereicht hätte. Wie vom Beschwerdeführer selbst bestätigt worden sei, fänden solche Auseinandersetzungen regelmäßig nicht im Stadion oder dessen unmittelbarer Nähe statt, sondern an anderen Orten.

26. Der Verwaltungsgerichtshof schloss sich ferner der Auffassung des Verwaltungsgerichts an, die Polizei habe nachvollziehbar annehmen können, dass der als gewaltbereiter Anführer der Gruppe bekannte Beschwerdeführer sich persönlich an der Auseinandersetzung mit den Frankfurter Hooligans beteiligen würde.

27. Schließlich bestätigte der Verwaltungsgerichtshof auch, dass die Polizei berechtigt gewesen sei, das Mobiltelefon des Beschwerdeführers nach § 40 Nr. 4 HSOG sicherzustellen. Sein Telefon sei sichergestellt worden, um dessen Gebrauch zur Begehung einer Straftat zu verhindern.

4. Der Beschluss des Bundesverfassungsgerichts

28. Am 1. März 2006 erhob der Beschwerdeführer Verfassungsbeschwerde beim Bundesverfassungsgericht. Er rügte, dass seine Ingewahrsamnahme sein Recht auf Freiheit verletzt habe. Es habe keinen Grund für die Annahme gegeben, dass die Begehung einer Straftat durch ihn bevorstand. Außerdem hätten die Verwaltungsgerichte es zu Unrecht abgelehnt, zu untersuchen, ob seine Registrierung als „Rädelsführer“ in der Datei „Gewalttäter Sport“ der Polizei B. rechtmäßig gewesen sei. Seine Registrierung in dieser Datei habe dazu geführt, dass ihm von Fußballvereinen Stadionverbote erteilt und von der Polizei bei internationalen Fußballbegegnungen Reisebeschränkungen auferlegt worden seien. Daher sei er durch den Umstand, dass er nie Rechtsmittel gegen diese Registrierung habe einlegen können, in seinem Recht auf Freiheit verletzt worden. Darüber hinaus habe dem Beschwerdeführer zufolge die Sicherstellung seines Mobiltelefons gegen sein grundgesetzlich geschütztes Recht auf Telekommunikationsgeheimnis und sein grundgesetzlich geschütztes Eigentumsrecht verstoßen.

29. Am 26. Februar 2008 lehnte es das Bundesverfassungsgericht ohne Angabe von Gründen ab, die Verfassungsbeschwerde (2 BvR 517/06) des Beschwerdeführers zur Entscheidung anzunehmen.

II. EINSCHLÄGIGES INNERSTAATLICHES RECHT

A. Bestimmungen des Hessischen Gesetzes über die öffentliche Sicherheit und Ordnung

30. Das Hessische Gesetz über die öffentliche Sicherheit und Ordnung (HSOG) regelt die Aufgaben der hessischen Gefahrenabwehr- und Polizeibehörden im Hinblick auf ihre Pflicht, Gefahren für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung abzuwehren (siehe §§ 1 und 3 HSOG).

31. § 11 HSOG über allgemeine Befugnisse sieht vor, dass die Polizeibehörden die erforderlichen Maßnahmen treffen können, um eine im einzelnen Falle bestehende Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung abzuwehren, soweit nicht die folgenden Vorschriften des Gesetzes ihre Befugnisse besonders regeln.

32. Nach § 31 Abs. 1 HSOG über die Platzverweisung können die Polizeibehörden zur Abwehr einer Gefahr eine Person vorübergehend von einem Ort verweisen oder ihr vorübergehend das Betreten eines Ortes verbieten.

33. Nach § 32 Abs. 1 Nr. 2 HSOG über den Gewahrsam können die Polizeibehörden eine Person in Gewahrsam nehmen, wenn dies unerlässlich ist, um die unmittelbar bevorstehende Begehung oder Fortsetzung einer Straftat oder einer Ordnungswidrigkeit mit erheblicher Bedeutung für die Allgemeinheit zu verhindern. Diese Bestimmung bezieht sich auf die im Strafgesetzbuch und im Ordnungswidrigkeitengesetz aufgeführten Straftaten. Nach § 32 Abs. 1 Nr. 3 HSOG kann eine Person darüber hinaus in Gewahrsam genommen werden, wenn dies unerlässlich ist, um Maßnahmen nach § 31 durchzusetzen.

34. Gemäß § 33 Abs. 1 HSOG über die richterliche Entscheidung haben die Polizeibehörden unverzüglich eine richterliche Entscheidung über die Zulässigkeit und Fortdauer der Freiheitsentziehung herbeizuführen, wenn eine Person aufgrund des § 32 Abs. 1 festgehalten wird. Der Herbeiführung der richterlichen Entscheidung bedarf es nicht, wenn anzunehmen ist, dass die richterliche Entscheidung erst nach Wegfall des Grundes der polizeilichen Maßnahme ergehen würde.

35. Laut § 35 Abs. 1 HSOG über die Dauer der Freiheitsentziehung ist eine festgehaltene Person zu entlassen, sobald der Grund für die Maßnahme der Polizeibehörde weggefallen ist (Nr. 1), oder spätestens vierundzwanzig Stunden nach dem Ergreifen, wenn sie nicht vorher einem Richter zugeführt worden ist (Nr. 2). Die festgehaltene Person ist ebenfalls zu entlassen, wenn die Fortdauer der Freiheitsentziehung durch richterliche Entscheidung für unzulässig erklärt wird (Nr. 3), sowie in jedem Falle spätestens bis zum Ende des Tages nach dem Ergreifen, wenn nicht vorher die Fortdauer der Freiheitsentziehung durch richterliche Entscheidung angeordnet ist. In der richterlichen Entscheidung über eine Freiheitsentziehung aufgrund des § 32 Abs. 1 Nr. 2 ist die höchstzulässige Dauer zu bestimmen; sie darf sechs Tage nicht überschreiten (Nr. 4).

36. § 40 Nr. 4 HSOG sieht vor, dass die Polizeibehörden eine Sache sicherstellen können, wenn tatsächliche Anhaltspunkte die Annahme rechtfertigen, dass sie zur Begehung einer Straftat oder Ordnungswidrigkeit gebraucht oder verwertet werden soll.

B. Strafrechtliche Vorschriften

37. Nach § 125 StGB wird Landfriedensbruch – oder Ausschreitungen – mit bis zu drei Jahren Freiheitsstrafe oder mit Geldstrafe bestraft. Eine Person macht sich des Landfriedensbruchs schuldig, wenn sie sich an Gewalttätigkeiten gegen Menschen oder Sachen oder an Bedrohungen von Menschen mit einer Gewalttätigkeit, die aus einer Menschenmenge in einer die öffentliche Sicherheit gefährdenden Weise mit vereinten Kräften begangen werden, beteiligt. Das gleiche gilt, wenn der Täter auf eine Menschenmenge einwirkt, solche Handlungen vorzunehmen.

38. Gemäß § 223 StGB über Körperverletzung wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft, wer eine andere Person körperlich misshandelt oder an der Gesundheit schädigt. Gemäß § 224 StGB über gefährliche Körperverletzung wird mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren, in minder schweren Fällen mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren bestraft, wer die Körperverletzung insbesondere mittels einer Waffe oder eines anderen gefährlichen Werkzeugs, mit einem anderen Beteiligten gemeinschaftlich oder mittels einer das Leben gefährdenden Behandlung begeht.

39. Nach § 231 StGB über die Beteiligung an einer Schlägerei wird, wer sich an einer Schlägerei oder an einem von mehreren verübten Angriff beteiligt, schon wegen dieser Beteiligung mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft, wenn durch die Schlägerei oder den Angriff der Tod eines Menschen oder eine schwere Körperverletzung (§ 226 StGB) verursacht worden ist.

RECHTLICHE WÜRDIGUNG

I. BEHAUPTETE VERLETZUNG VON ARTIKEL 5 DER KONVENTION

40. Der Beschwerdeführer rügte, dass sein Präventivgewahrsam im Zusammenhang mit dem Fußballspiel vom 10. April 2004 sein Recht auf Freiheit nach Artikel 5 der Konvention verletzt habe, der, soweit maßgeblich, wie folgt lautet:

„1. Jede Person hat das Recht auf Freiheit und Sicherheit. Die Freiheit darf nur in den folgenden Fällen und nur auf die gesetzlich vorgeschriebene Weise entzogen werden:

a) rechtmäßige Freiheitsentziehung nach Verurteilung durch ein zuständiges Gericht;

b) rechtmäßige Festnahme oder Freiheitsentziehung wegen Nichtbefolgung einer rechtmäßigen gerichtlichen Anordnung oder zur Erzwingung der Erfüllung einer gesetzlichen Verpflichtung;

c) rechtmäßige Festnahme oder Freiheitsentziehung zur Vorführung vor die zuständige Gerichtsbehörde, wenn hinreichender Verdacht besteht, dass die betreffende Person eine Straftat begangen hat, oder wenn begründeter Anlass zu der Annahme besteht, dass es notwendig ist, sie an der Begehung einer Straftat oder an der Flucht nach Begehung einer solchen zu hindern; […]

3. Jede Person, die nach Absatz 1 Buchstabe c von Festnahme oder Freiheitsentziehung betroffen ist, muss unverzüglich einem Richter oder einer anderen gesetzlich zur Wahrnehmung richterlicher Aufgaben ermächtigten Person vorgeführt werden; sie hat Anspruch auf ein Urteil innerhalb angemessener Frist oder auf Entlassung während des Verfahrens. Die Entlassung kann von der Leistung einer Sicherheit für das Erscheinen vor Gericht abhängig gemacht werden. […]“

41. Die Regierung trat diesem Vorbringen entgegen.

A. Zulässigkeit

42. Der Gerichtshof stellt fest, dass diese Rüge nicht im Sinne von Artikel 35 Abs. 3 Buchst. a der Konvention offensichtlich unbegründet ist. Sie ist auch nicht aus anderen Gründen unzulässig. Folglich ist sie für zulässig zu erklären.

B. Begründetheit

1. Die Stellungnahmen der Parteien

a) Der Beschwerdeführer

43. Der Beschwerdeführer vertrat die Auffassung, dass sein Gewahrsam Artikel 5 Abs. 1 der Konvention verletzt habe. Er machte geltend, dass seine Freiheitsentziehung mit keinem der Buchstaben a bis f von Artikel 5 Abs. 1 vereinbar sei.

(i) Rechtfertigung nach Artikel 5 Absatz 1 Buchstabe c

44. Der Beschwerdeführer brachte insbesondere vor, dass hinsichtlich seines Gewahrsams kein „begründeter Anlass zu der Annahme, dass es notwendig [sei], [ihn] an der Begehung einer Straftat […] zu hindern“ im Sinne von Artikel 5 Abs. 1 Buchst. c bestanden habe. Es habe kein hinreichender Verdacht bestanden, dass er an der Begehung einer rechtswidrigen Tat gehindert werden müsse. Der diesbezügliche Verdacht der Polizei habe sich nur aus seiner Eintragung in der Datei „Gewalttäter Sport“ der B. Polizei ergeben. Da die Eintragungen in dieser Datei jedoch falsch und unrechtmäßig seien und er diese nie durch die innerstaatlichen Gerichte habe prüfen lassen können, habe die Tatsache, dass er in dieser Datei geführt werde, keinen hinreichenden Verdacht begründen können, dass die Begehung einer Straftat durch ihn bevorgestanden habe. Ohne diese rechtswidrige Eintragung in die polizeiliche Datei wäre er niemals als mutmaßlicher Rädelsführer von Fußballhooligans in Gewahrsam genommen worden. In jedem Falle sei er den in der Datei gespeicherten Informationen zufolge während eines Zeitraums von über sieben Jahren nur an zehn Vorfällen beteiligt gewesen und nur ein Mal in Gewahrsam genommen worden. Angesichts der großen Anzahl von Fußballspielen, bei denen er zugegen gewesen sei, habe die geringe Anzahl an Vorfällen seine Einstufung als Gewalttäter nicht gerechtfertigt.

45. Der Beschwerdeführer betonte, dass angesichts des Sachverhalts des Falles die Vermutung der Polizei, wonach die Begehung einer Straftat durch ihn unmittelbar bevorgestanden habe, vollkommen unbegründet gewesen sei. Er habe sich in dem Lokal von der Gruppe B. Fußballfans getrennt, da er noch habe bezahlen und die Toilette aufsuchen müssen, worüber er die Polizei informiert habe. Er habe die Damentoilette aufgesucht, da sich die Herrentoilette in einem schlechten Zustand befunden habe. Dort seien ein Polizeibeamter und ein Mann aus Frankfurt auf ihn zugekommen und er habe das Lokal widerstandslos mit der Polizei verlassen, bevor er in Gewahrsam genommen worden sei.

46. Darüber hinaus sei sein Gewahrsam in jedem Fall unnötig gewesen, so der Beschwerdeführer. Die Polizei habe die Situation vollkommen im Griff gehabt. Angesichts der polizeilichen Überwachung und der vorangegangenen Sicherstellung von als gefährlich eingestuften Gegenständen wäre die Begehung jedweder Straftat durch die Gruppe unbewaffneter Fußballfans unmöglich gewesen. So hätte es zur Verhinderung einer Hooliganschlägerei vor dem Spiel ausgereicht, den Beschwerdeführer zusammen mit der B. Gruppe von Fußballfans zum Stadion zu begleiten oder ihn einfach von der B. Gruppe zu trennen und sein Mobiltelefon sicherzustellen, ohne ihn in Gewahrsam zu nehmen.

(ii) Rechtfertigung nach Artikel 5 Absatz 1 Buchstabe b

47. Der Beschwerdeführer brachte ferner vor, dass seine Freiheitsentziehung auch nicht nach Artikel 5 Abs. 1 Buchst. b gerechtfertigt gewesen sei. Sie habe weder auf einer gerichtlichen Anordnung beruht, noch sei sie zur Erzwingung der Erfüllung einer gesetzlichen Verpflichtung angeordnet worden.

b) Die Regierung

48. Die Regierung vertrat die Auffassung, dass die Ingewahrsamnahme des Beschwerdeführers mit Artikel 5 Abs. 1 der Konvention vereinbar gewesen sei. Der Gewahrsam des Beschwerdeführers auf Grundlage des § 32 Abs. 1 Nr. 2 HSOG sei rechtmäßig gewesen. Darüber hinaus sei er sowohl nach Buchst. c als auch nach Buchst. b des Artikels 5 Abs. 1 gerechtfertigt gewesen.

(i) Rechtfertigung nach Artikel 5 Absatz 1 Buchstabe c

49. Die Regierung brachte vor, der Gewahrsam des Beschwerdeführers sei in erster Linie durch Artikel 5 Abs. 1 Buchst. c gerechtfertigt gewesen, da „begründeter Anlass zu der Annahme [bestanden habe], dass es notwendig [gewesen sei, ihn] an der Begehung einer Straftat […] zu hindern“. Sie betonte, dass der Beschwerdeführer noch keine Straftat begangen habe, da seine Vorbereitungshandlungen zu einer Hooliganschlägerei nach deutschem Recht nicht strafbewehrt seien. Allerdings habe er von der Polizei in Präventivgewahrsam genommen werden müssen, da sie begründeten Anlass zu der Annahme gehabt habe, dass seine Ingewahrsamnahme notwendig sei, um ihn an der Begehung schwerer Straftaten, insbesondere Körperverletzung, Landfriedensbruch und Beteiligung an einer Schlägerei (§§ 223, 125 und 231 StGB, siehe Rdnrn. 37-39), im Zusammenhang mit dem Fußballspiel zu hindern.

50. Die Regierung unterstrich, dass es sich bei dem Beschwerdeführer um einen gewaltsuchenden Hooligan handele. Seit Ende der 1980er Jahre gehöre der Beschwerdeführer, der rechtsextreme Ansichten vertrete und für die Nationaldemokratische Partei Deutschlands (NPD) gearbeitet habe, zu einer Gruppe nationalistischer B. Fußballfans, die von der Polizei als „gewaltsuchende Hooligans“ (sogenannte Kategorie C-Fans) eingestuft werde. Er sei als einer der Anführer dieser Gruppe identifiziert worden, und zwar maßgeblich während einer Demonstration von Hooligans gegen Reisebeschränkungen, die er organisiert habe und bei der er für Stimmung gesorgt habe. Er sei 1994 bereits wegen Landfriedensbruchs verurteilt worden; außerdem seien mehrfach Ermittlungsverfahren, unter anderem wegen Landfriedensbruchs und Körperverletzung, gegen ihn eröffnet worden.

51. Nach Ansicht der Regierung fällt ein polizeilicher Präventivgewahrsam wie der des Beschwerdeführers – auch wenn er nicht, wie entsprechend der aktuellen Rechtsprechung des Gerichtshofs erforderlich, mit einem Strafverfahren verbunden war – unter Artikel 5 Abs. 1 Buchst. c, soweit er unvermeidlich ist, um eine unmittelbar bevorstehende, spezifische Straftat zu verhindern. Dies gehe auch aus dem Wortlaut der zweiten Alternative von Artikel 5 Abs. 1 Buchst. c hervor, wonach die Freiheitsentziehung einer Person gerechtfertigt sei, „wenn begründeter Anlass zu der Annahme besteht, dass es notwendig ist, sie an der Begehung einer Straftat […] zu hindern“. Die betroffene Person müsse nicht notwendigerweise bereits eine Straftat begangen haben, da dieser Fall durch die erste Alternative von Artikel 5 Abs. 1 Buchst. c – Freiheitsentziehung „wenn hinreichender Verdacht besteht, dass die betreffende Person eine Straftat begangen hat“ – abgedeckt sei und die zweite Alternative ansonsten überflüssig wäre. Der polizeiliche Präventivgewahrsam, der lediglich als Ultima Ratio zulässig sei, um unmittelbar bevorstehende schwere Straftaten zu verhindern, stelle auch keine willkürliche Freiheitsentziehung dar.

52. Darüber hinaus müsse die Pflicht des Staates aus den Artikeln 2 und 3 der Konvention zum Schutz der Allgemeinheit vor Straftaten bei der Auslegung von Artikel 5 Abs. 1 berücksichtigt werden; sie spreche für eine Zulässigkeit des präventiven Polizeigewahrsams im Rahmen dieser Vorschrift.

53. Die Regierung trug überdies vor, dass der Umstand, dass jede nach Artikel 5 Abs. 1 Buchst. c von Freiheitsentziehung betroffene Person laut Artikel 5 Abs. 3 der Konvention „Anspruch auf ein Urteil innerhalb angemessener Frist“ habe, nicht bedeute, dass Artikel 5 Abs. 1 Buchst. c nur für die Untersuchungshaft gelte. Es stimme zwar, dass in Bezug auf Personen im polizeilichen Präventivgewahrsam kein Strafverfahren durchgeführt werde, da ihnen keine Straftat vorgeworfen werde. Allerdings gelte die Pflicht, eine festgehaltene Person unverzüglich einem Richter vorzuführen, die sich ebenfalls aus Artikel 5 Abs. 3 ergebe, auch für Personen im polizeilichen Präventivgewahrsam. Unter diesen Umständen müsse der Begriff „Urteil“ (Englisch: „trial“) als richterliche Entscheidung über die Rechtmäßigkeit des polizeilichen Präventivgewahrsams der betroffenen Person verstanden werden.

54. Die Regierung unterstrich, dass die Möglichkeit des Rückgriffs auf einen solchen Präventivgewahrsam für die Polizei unverzichtbar sei, um die öffentliche Ordnung und Sicherheit aufrechtzuerhalten. In allen deutschen Bundesländern gebe es daher Bestimmungen, die denen in Hessen ähnelten und den Präventivgewahrsam für kurze Zeiträume gestatteten, sofern dieser unverzichtbar sei, um eine unmittelbar bevorstehende, erhebliche Straftat oder Ordnungswidrigkeit abzuwenden. Besonders wichtig sei die Zulässigkeit des Präventivgewahrsams in Fällen unmittelbar drohender häuslicher Gewalt sowie bei der Gefahr von Auseinandersetzungen, die von gewalttätigen Teilnehmern oder Gegendemonstranten im Rahmen von Demonstrationen rechter oder linker Gruppierungen provoziert werden. Der polizeiliche Präventivgewahrsam diene auch dazu, Personen daran zu hindern, den Transport von Behältern mit radioaktivem Material (Castortransporte) durch Straßen- oder Schienenblockaden zu stören. Die wöchentlich stattfindenden Spiele der Fußballbundesliga und insbesondere Fußballmeisterschaften seien nicht mehr friedlich durchzuführen, ohne dass renitente Hooligans, die gewalttätige Auseinandersetzungen mit rivalisierenden Hooligans provozieren, in polizeilichen Präventivgewahrsam genommen würden. Und schließlich könnten auch Auseinandersetzungen zwischen betrunkenen Personen in Gaststätten oder auf Volksfesten oftmals nicht verhindert werden, ohne den/die Betroffenen in polizeilichen Präventivgewahrsam zu nehmen.

55. Dieser polizeiliche Präventivgewahrsam sei in Deutschland besonders wichtig, da Handlungen, durch die eine Straftat vorbereitet wird, hier im Gegensatz zu dem in anderen Mitgliedsstaaten geltenden Recht nur in Ausnahmefällen strafrechtlich verfolgt würden. Hierdurch würden potenzielle Täter dazu animiert, ihre Pläne zur Begehung einer Straftat aufzugeben (ohne sich strafbar zu machen). Um jedoch potenzielle Opfer wirksam zu schützen, könne die Polizei vor ihrem Eingreifen nicht die Begehung einer Straftat und das Entstehen schwerer Schäden abwarten. Allerdings würde es dem Grundrechtsschutz zuwiderlaufen, wenn der Staat Vorbereitungshandlungen in größerem Umfang strafrechtlich verfolgen müsste, damit der Präventivgewahrsam mit der ersten Alternative von Artikel 5 Abs. 1 Buchst. c vereinbar sei.

56. Es habe keine weniger einschneidende Maßnahme als der kurzzeitige Gewahrsam des Beschwerdeführers zur Verfügung gestanden, um das Ziel der Verbrechensverhütung zu erreichen. Der Beschwerdeführer habe nicht mehr, wie nach Artikel 5 Abs. 3 erforderlich, einem Richter vorgeführt werden müssen, da eine Gerichtsentscheidung nicht vor der Beendigung des kurzen Gewahrsams des Beschwerdeführers habe eingeholt werden können. Würde man in solchen Fällen eine richterliche Entscheidung verlangen, wäre dem Beschwerdeführer länger als notwendig die Freiheit entzogen worden. Der Beschwerdeführer habe nach seiner Freilassung eine gerichtliche Entscheidung über die Rechtmäßigkeit seiner Freiheitsentziehung beantragen können.

(ii) Rechtfertigung nach Artikel 5 Absatz 1 Buchstabe b

57. Darüber hinaus sei die Ingewahrsamnahme des Beschwerdeführers im Einklang mit Artikel 5 Abs. 1 Buchst. b erfolgt, um die Erfüllung einer gesetzlichen Verpflichtung zu erzwingen. Vor seiner Ingewahrsamnahme sei der Beschwerdeführer wiederholt von der Polizei, insbesondere von dem Polizeibeamten G., gewarnt worden, dass die Hooligangruppe, welcher er angehörte, von der Polizei zum Fußballstadion begleitet werde und dass jeder, der sich von der Gruppe entferne, in Gewahrsam genommen werden könne. Dem Beschwerdeführer sei klar gewesen, dass es bei der polizeilichen Anordnung darum gegangen sei, die Verabredung von Schlägereien mit anderen Hooligangruppen zu verhindern. Der Beschwerdeführer habe die polizeiliche Anordnung, bei der Gruppe zu bleiben und keine Schlägerei zu verabreden, in der seine gesetzlich vorgeschriebene Pflicht (§ 11 HSOG; siehe Rdnr. 31) Niederschlag gefunden hatte, nicht befolgt. Aus seinem Verhalten sei deutlich hervorgegangen, dass er sich der Anordnung auch weiterhin nicht fügen würde; deshalb sei er nach § 32 Abs. 1 Nr. 2 HSOG in Gewahrsam genommen worden.

58. Die Anordnung sei rechtmäßig gewesen, da es hinreichend konkrete Anhaltspunkte dafür gegeben habe, dass der Beschwerdeführer – ein polizeibekannter, gewaltsuchender Hooligan mit rechtsextremer Gesinnung – sich der polizeilichen Begleitung habe entziehen wollen, um per Mobiltelefon eine Schlägerei zwischen Hooligan-Fans von X und Hooligan-Fans von Y. vor oder nach dem Spiel zu organisieren und an dieser teilzunehmen. Diese Einschätzung habe die Polizei vernünftigerweise auf ihre Beobachtung des Beschwerdeführers im Vorfeld der Ingewahrsamnahme stützen können. Der Beschwerdeführer sei bei einem Gespräch mit einem Frankfurter Hooligan beobachtet worden und habe keine plausible Erklärung dafür abgegeben, warum er sich der polizeilichen Überwachung durch Verstecken in der Damentoilette habe entziehen wollen. Die Regierung bestritt insbesondere, dass der Beschwerdeführer die Polizei vor dem Verlassen der Gruppe darüber informiert hätte, dass er noch bezahlen und die Toilette aufsuchen müsse.

59. Darüber hinaus sei der Beschwerdeführer von der B. Polizei durch langjährige Überwachung als Anführer einer Gruppe gewaltsuchender Hooligans identifiziert worden; außerdem seien wiederholt Strafverfahren wegen damit im Zusammenhang stehender Straftaten gegen ihn eröffnet worden. Des Weiteren seien bei Mitgliedern der Gruppe des Beschwerdeführers Gegenstände gefunden worden, die typischerweise bei Hooliganauseinandersetzungen zum Angriff oder zur Verteidigung eingesetzt würden. Darüber hinaus habe die Polizei die allgemeine Erfahrung gemacht, dass Hooligans Zeit und Ort ihrer Auseinandersetzungen mit rivalisierenden Hooligangruppen regelmäßig vorab vereinbarten. Bei der Auseinandersetzung, die der Beschwerdeführer zu vereinbaren versucht habe, wären von dem Beschwerdeführer und den anderen beteiligten Hooligans erhebliche, nach dem Strafgesetzbuch zu verfolgende Straftaten begangen worden, und zwar insbesondere Körperverletzung, Landfriedensbruch und Beteiligung an einer Schlägerei.

60. Die Regierung unterstrich in diesem Zusammenhang, dass die Einschätzung der Polizei, wonach der Beschwerdeführer versucht habe, eine Hooliganauseinandersetzung zu organisieren, entgegen dem Vorbringen des Beschwerdeführers nicht auf den rechtmäßigen Eintragungen zu seiner Person in der Datei gewalttätiger Fußballfans basiert habe. Zum Zeitpunkt der Ingewahrsamnahme des Beschwerdeführers habe die Frankfurter Polizei keine Kenntnis von diesen Eintragungen gehabt. Die B. Polizei habe sie lediglich darüber informiert, dass der Beschwerdeführer der Anführer einer Gruppe gewaltsuchender Hooligans sei, die sich auf dem Weg nach Frankfurt befänden. Die Einschätzung der Polizei, wonach er eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit dargestellt habe, und seine Ingewahrsamnahme seien deshalb nicht durch seine Eintragung in der Datei vorbestimmt gewesen.

61. Die Ingewahrsamnahme des Beschwerdeführers sei auch verhältnismäßig gewesen. Er habe sich beharrlich geweigert, den polizeilichen Anordnungen Folge zu leisten. Darüber hinaus habe es keine wirksame Alternative gegeben, um ihn vor und während des Fußballspiels unter Beobachtung zu behalten und ihn somit daran zu hindern, eine Hooliganauseinandersetzung nach dem Spiel zu organisieren und daran teilzunehmen. Insbesondere wäre es nicht ausreichend gewesen, ihn von der Gruppe zu trennen und sein Mobiltelefon sicherzustellen, um zu verhindern, dass er mit Hilfe eines anderen Telefons eine Schlägerei organisiert. Die vierstündige Dauer seines Gewahrsams sei die erforderliche Mindestdauer gewesen, da es notwendig gewesen sei, ihn in Gewahrsam zu halten, bis das Fußballspiel zu Ende gewesen sei und die Hooligangruppen das Fußballstadion und dessen räumliches Umfeld verlassen hätten. Der Gewahrsam des Beschwerdeführers hätte der Verhinderung schwerer Straftaten und der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung gedient, da es infolge der Ingewahrsamnahme nicht zu einer Auseinandersetzung zwischen Frankfurter und B. Hooligans gekommen sei.

62. Die Regierung betonte, dass nicht von der Polizei erwartet werden könne, den Beginn der Auseinandersetzung abzuwarten, bevor sie diese beende, was zum einen äußerst schwierig, wenn nicht unmöglich gewesen wäre und zum anderen eine erhebliche Zahl von Polizeibeamten erfordern würde und Gefahren für Leib und Leben dieser Polizeibeamten sowie von Unbeteiligten zur Folge hätte. Dem Beschwerdeführer nach § 31 Abs. 1 HSOG (siehe Rdnr. 32) einen Platzverweis zu erteilen, wäre ebenfalls nicht ausreichend gewesen. Der Platzverweis hätte das gesamte Gebiet der Stadt Frankfurt am Main erfassen müssen, da Hooliganauseinandersetzungen überall in der Stadt hätten organisiert werden können. Der Polizei wäre es unmöglich gewesen, zu kontrollieren, ob sich der Beschwerdeführer tatsächlich an einen solchen Verweis halte.

2. Würdigung durch den Gerichtshof

a) Zusammenfassung der einschlägigen Grundsätze

(i) Freiheitsentziehung

63. Der Gerichtshof weist erneut darauf hin, dass Artikel 5 Abs. 1 die körperliche Freiheit des Menschen schützt. Er bezieht sich nicht auf reine Einschränkungen der Freizügigkeit, die Gegenstand von Artikel 2 des Protokolls Nr. 4 sind (siehe Engel u. a. ./. die Niederlande, 8. Juni 1976, Rdnr. 58, Serie A Band 22; Guzzardi ./. Italien, 6. November 1980, Rdnr. 92, Serie A Band 39; und Raimondo ./. Italien, 22. Februar 1994, Rdnr. 39, Serie A Band 281‑A).

64. Die Konventionsorgane haben wiederholt festgestellt, dass es einer Freiheitsentziehung gleichkommt, wenn jemand gegen seinen Willen auf eine Polizeistation verbracht und in einer Zelle festgehalten wird, auch wenn dieser Eingriff nur von verhältnismäßig kurzer Dauer war (siehe z. B. Murray ./. Vereinigtes Königreich [GK], 28. Oktober 1994, Rdnrn. 49 ff, Serie A Band 300‑A, bzgl. eines Gewahrsams auf einem Militärstützpunkt für eine weniger als dreistündige Befragung; Novotka ./. Slowakei (Entsch.), Individualbeschwerde Nr. 47244/99, 4. November 2003 m. w. N., bzgl. eines einstündigen Polizeigewahrsams; Shimovolos ./. Russland, Individualbeschwerde Nr. 30194/09, Rdnrn. 49-50, 21. Juni 2011, bzgl. 45 Minuten Polizeigewahrsam zum Zwecke der Befragung; siehe auch Witold Litwa ./. Polen, Individualbeschwerde Nr. 26629/95, Rdnr. 46, ECHR 2000‑III, bzgl. einer 6,5-stündigen Unterbringung in einer Ausnüchterungszelle).

(ii) Gründe für die Freiheitsentziehung

65. Der Gerichtshof weist erneut darauf hin, dass eine erschöpfende Liste zulässiger Gründe für die Freiheitsentziehung in Artikel 5 Abs. 1 Buchst. a bis f enthalten ist und eine Freiheitsentziehung nur rechtmäßig sein kann, wenn sie von einem dieser Gründe erfasst wird (siehe u.a. Witold Litwa, a. a. O., Rdnr. 49; Saadi ./. Vereinigtes Königreich [GK], Individualbeschwerde Nr. 13229/03, Rdnr. 43, ECHR 2008; und Austin u. a. /. Vereinigtes Königreich [GK], Individualbeschwerden Nrn. 39692/09, 40713/09 und 41008/09, Rdnr. 60, ECHR 2012). Diese Ausnahmen sind nur in enger Auslegung mit der Maßgabe dieser Bestimmung vereinbar, nämlich sicherzustellen, dass niemandem willkürlich die Freiheit entzogen wird (siehe u. v. a. Shimovolos, a. a. O., Rdnr. 51).

66. Nach Artikel 5 Abs. 1 Buchst. c, zweite Alternative, kann die Freiheitsentziehung einer Person gerechtfertigt sein, „wenn begründeter Anlass zu der Annahme besteht, dass es notwendig ist, sie an der Begehung einer Straftat […] zu hindern“. Artikel 5 Abs. 1 Buchst. c erlaubt hierdurch kein generalpräventives Vorgehen, das sich gegen Einzelpersonen oder Personengruppen richtet, welche von den Behörden zu Recht oder zu Unrecht als gefährlich oder als Personen mit Hang zu Straftaten wahrgenommen werden. Dieser Grund für die Freiheitsentziehung bietet den Vertragsstaaten lediglich ein Mittel zur Verhütung einer insbesondere hinsichtlich des Ortes und der Zeit ihrer Begehung und ihres Opfers beziehungsweise ihrer Opfer (siehe M. ./. Deutschland, Individualbeschwerde Nr. 19359/04, Rdnrn. 89 und 102, ECHR 2009) konkreten und spezifischen Straftat (siehe Guzzardi, a. a. O., Rdnr. 102; Ciulla ./. Italien, 22. Februar 1989, Rdnr. 40, Serie A Band 148; und Shimovolos, a. a. O., Rdnr. 54). Dies ergibt sich sowohl aus dem Gebrauch des Singulars („einer Straftat“) als auch aus dem Ziel von Artikel 5, nämlich sicherzustellen, dass niemandem willkürlich die Freiheit entzogen wird (siehe Guzzardi, a. a. O., Rdnr. 102; und M. ./. Deutschland, a. a. O., Rdnr. 89).

67. Nach der ständigen Rechtsprechung des Gerichtshofs muss eine Freiheitsentziehung, mit der eine Person an der Begehung einer Straftat gehindert werden soll, zusätzlich „zum Zweck der Vorführung vor die zuständige Gerichtsbehörde“ erfolgen; diese Anforderung bezieht sich auf jede Kategorie der Freiheitsentziehung im Sinne von Artikel 5 Abs. 1 Buchst. c (siehe Lawless ./. Irland (Nr. 3), 1. Juli 1961, S. 51-53, Rdnr. 14, Serie A Band 3; und, entsprechend, Engel u. a., a. a. O., Rdnr. 69; und Jėčius ./. Litauen, Individualbeschwerde Nr. 34578/97, Rdnrn. 50-51, ECHR 2000‑IX).

68. Daher ist die Freiheitsentziehung nach Buchst. c nur in Verbindung mit einem Strafverfahren zulässig (siehe Ječius, a. a. O., Rdnr. 50). Die Untersuchungshaft fällt unter diese Bestimmung (siehe Ciulla, a. a. O., Rdnrn. 38-40). Dies ergibt sich aus dem Wortlaut, der zusammen mit Buchst. a sowie mit Abs. 3 zu betrachten ist und mit diesen zusammen ein Ganzes bildet (siehe u. a. Ciulla, a. a. O., Rdnr. 38; und E. ./. Deutschland, Individualbeschwerde Nr. 77909/01, Rdnr. 35, 24. März 2005). Nach Artikel 5 Abs. 3 muss jede Person, die nach Artikel 5 Abs. 1 Buchst. c von Festnahme oder Freiheitsentziehung betroffen ist, unverzüglich einem Richter vorgeführt werden – unter allen in Abs. 1 Buchst. c erfassten Umständen – und hat Anspruch auf ein Urteil innerhalb angemessener Frist (siehe auch Lawless (Nr. 3), a. a. O., S. 51‑53, Rdnr. 14; und S. und M. ./. Deutschland, Individualbeschwerden Nrn. 8080/08 und 8577/08, Rdnr. 72, ECHR 2011 (Auszüge)).

69. Darüber hinaus ist die Freiheitsentziehung nach der zweiten Alternative von Artikel 5 Abs. 1 Buchst. b zulässig zur „Erzwingung der Erfüllung“ einer gesetzlichen Verpflichtung. Diese Bestimmung erfasst die Fälle, in denen es gesetzlich zulässig ist, einer Person die Freiheit zu entziehen, um sie dazu zu zwingen, eine ihr obliegende spezifische und konkrete Verpflichtung zu erfüllen, der sie bisher noch nicht nachgekommen ist (siehe u. a. Engel u. a., a. a. O., Rdnr. 69; Guzzardi, a. a. O., Rdnr. 101; Ciulla, a. a. O., Rdnr. 36; E., a. a. O., Rdnr. 37; A. D. ./. Türkei, Individualbeschwerde Nr. 29986/96, Rdnr. 20, 22. Dezember 2005; und Lolova-Karadzhova ./. Bulgarien, Individualbeschwerde Nr. 17835/07, Rdnr. 29, 27. März 2012).

70. Eine weite Auslegung von Artikel 5 Abs. 1 Buchst. b würde zu Ergebnissen führen, die mit dem Gedanken der Rechtsstaatlichkeit, unter dem die gesamte Konvention steht, unvereinbar sind (siehe Engel u. a., a. a. O., Rdnr. 69; und Iliya Stefanov ./. Bulgarien, Individualbeschwerde Nr. 5755/01, Rdnr. 72, 22. Mai 2008). Diese Bestimmung rechtfertigt daher beispielsweise nicht die administrative Freiheitsentziehung, mit der eine Person gezwungen werden soll, ihre allgemeine Verpflichtung zur Befolgung der Gesetze zu erfüllen (siehe Engel u. a., a. a. O., Rdnr. 69; und S. und M., a. a. O., Rdnr. 73). Die Verpflichtung, in unmittelbarer Zukunft keine Straftat zu begehen, kann gleichermaßen nicht als hinreichend konkret und spezifisch angesehen werden, um unter Artikel 5 Abs. 1 Buchst. b zu fallen, zumindest nicht, solange keine Anordnung spezifischer Maßnahmen erging und dieser nicht Folge geleistet wurde (siehe S. und M., a. a. O., Rdnr. 82).

71. Um unter Artikel 5 Abs. 1 Buchst. b zu fallen, müssen die Festnahme und die Freiheitsentziehung darüber hinaus zum Ziel haben beziehungsweise unmittelbar dazu beitragen, die Erfüllung der Verpflichtung zu erzwingen, und dürfen keinen Strafcharakter aufweisen (siehe bereits Johansen ./. Norwegen, Individualbeschwerde Nr. 10600/83, Kommissionsentscheidung vom 14. Oktober 1985, Entscheidungen und Berichte (Decisions and Reports – DR) 44, S. 162; Vasileva ./. Dänemark, Individualbeschwerde Nr. 52792/99, Rdnr. 36, 25. September 2003; Gatt ./. Malta, Individualbeschwerde Nr. 28221/08, Rdnr. 46, ECHR 2010; Osypenko ./. Ukraine, Individualbeschwerde Nr. 4634/04, Rdnr. 57, 9. November 2010; und Soare u. a. ./. Rumänien, Individualbeschwerde Nr. 24329/02, Rdnr. 236, 22. Februar 2011). Könnte Buchst. b so ausgeweitet werden, dass er auch für Strafen gilt, würden diesen Strafen die elementaren Garantien aus Buchst. a fehlen (siehe Engel u. a., a. a. O., Rdnr. 69; und Johansen, a. a. O., S. 162).

72. Darüber hinaus ist es erforderlich, dass die Verpflichtung im Sinne von Artikel 5 Abs. 1 Buchst. b, deren Erfüllung angestrebt wird, ihrer Art nach mit der Konvention vereinbar ist (siehe bereits McVeigh, O’Neill und Evans ./. Vereinigtes Königreich, Individualbeschwerden Nrn. 8022/77, 8025/77 und 8027/77, Kommissionsbericht vom 18. März 1981, DR 25, S. 15, Rdnr. 176; und Johansen, a. a. O., S. 162). Sobald die entsprechende Verpflichtung erfüllt wurde, entfällt die Grundlage für die Freiheitsentziehung nach Artikel 5 Abs. 1 Buchst. b (siehe Vasileva, a. a. O., Rdnr. 36; E., a. a. O., Rdnr. 37; Osypenko, a. a. O., Rdnr. 57; Sarigiannis ./. Italien, Individualbeschwerde Nr. 14569/05, Rdnr. 43, 5. April 2011; und Lolova-Karadzhova, a. a. O., Rdnr. 29).

73. Schließlich muss zwischen der Bedeutung, die der Erzwingung der sofortigen Erfüllung der fraglichen Verpflichtung in einer demokratischen Gesellschaft zukommt, und der Bedeutung des Rechts auf Freiheit ein Ausgleich herbeigeführt werden (siehe Vasileva, a. a. O., Rdnr. 37; E., a. a. O., Rdnr. 37; und Gatt, a. a. O., Rdnr. 46). Bei der Herstellung eines solchen Ausgleichs sind die Art der Verpflichtung, die sich aus der einschlägigen Rechtsvorschrift und dem ihr zugrunde liegenden Ziel und Zweck ergibt, die festgehaltene Person und die besonderen Umstände, die zur Freiheitsentziehung geführt haben, sowie deren Dauer wesentliche Faktoren (siehe Vasileva, a. a. O., Rdnrn. 37-38 m. w. N.; Iliya Stefanov, a. a. O., Rdnr. 72; Gatt, a. a. O., Rdnr. 46; und Soare u. a., a. a. O.,Rdnr. 236).

(iii) Rechtmäßigkeit der Freiheitsentziehung

74. Der Gerichtshof weist außerdem erneut darauf hin, dass Artikel 5 Abs. 1 der Konvention vorschreibt, dass jede Freiheitsentziehung „rechtmäßig“ sein muss; dies schließt die Bedingung ein, dass sie „auf die gesetzlich vorgeschriebene Weise“ erfolgen muss. Die Konvention verweist hier im Wesentlichen auf innerstaatliches Recht und erlegt die Verpflichtung auf, dessen materiell- und verfahrensrechtliche Bestimmungen einzuhalten; darüber hinaus schreibt sie aber vor, dass jedwede Freiheitsentziehung mit dem Ziel von Artikel 5 vereinbar sein sollte, den Einzelnen vor Willkür zu schützen. (siehe u. a. Witold Litwa, a. a. O., Rdnrn. 72-73; und Vasileva, a. a. O., Rdnr. 32).

b) Anwendung dieser Grundsätze auf die vorliegende Rechtssache

(i) Freiheitsentziehung

75. Der Gerichtshof muss als Erstes bestimmen, ob die Ingewahrsamnahme des Beschwerdeführers im Zusammenhang mit dem Fußballspiel vom 10. April 2004 eine Freiheitsentziehung im Sinne von Artikel 5 Abs. 1 darstellte. Er stellt fest, dass der Beschwerdeführer gegen 14:30 Uhr in einem Lokal in Frankfurt am Main von der Polizei in Gewahrsam genommen und in eine Polizeidienststelle verbracht wurde, wo er gegen seinen Willen bis etwa 18:30 Uhr festgehalten wurde, um an der Begehung einer Straftat gehindert zu werden. Der Gerichtshof ist mit Blick auf seine Rechtsprechung (siehe Rdnr. 64) der Ansicht, dass dem Beschwerdeführer dadurch – ungeachtet der relativ kurzen Dauer des Gewahrsams – die Freiheit im Sinne von Artikel 5 Abs. 1 der Konvention entzogen wurde. Dies wurde von der Regierung auch nicht bestritten.

(ii) Grund der Freiheitsentziehung

76. Dieser Gewahrsam war nur gerechtfertigt, wenn er von einem der in Artikel 5 Abs. 1 Buchst. a bis f aufgeführten zulässigen Gründe für eine Freiheitsentziehung erfasst war.

(α) Rechtfertigung nach Artikel 5 Absatz 1 Buchstabe c

77. Da die Regierung in ihren Ausführungen in erster Linie auf die Vereinbarkeit des Präventivgewahrsams des Beschwerdeführers mit Artikel 5 Abs. 1 Buchst. c abstellte, wird der Gerichtshof zunächst die Vereinbarkeit mit diesem Grund für eine Freiheitsentziehung prüfen.

78. Zwischen den Parteien ist unstreitig, dass der Beschwerdeführer zum Zeitpunkt seiner Ingewahrsamnahme nach deutschem Recht noch keine Straftat begangen hatte. Ihm wurde folglich nicht aufgrund eines „hinreichenden Verdachts […] eine Straftat begangen“ zu haben im Sinne der ersten Alternative von Artikel 5 Abs. 1 Buchst. c die Freiheit entzogen. Die zweite Alternative von Artikel 5 Abs. 1 Buchst. c erlaubt jedoch die Freiheitsentziehung bei einer Person auch dann, „wenn begründeter Anlass zu der Annahme besteht, dass es notwendig ist, sie an der Begehung einer Straftat […] zu hindern“. Der Beschwerdeführer bestritt insbesondere, dass die Polizeibeamten nach den Umständen des Falles begründeten Anlass zu der Annahme hätten haben können, seine Ingewahrsamnahme sei notwendig gewesen, um eine Straftat zu verhindern.

79. Der Gerichtshof stellt fest, dass die Polizei in Frankfurt am Main ihre Einschätzung, dass der Beschwerdeführer eine Hooliganschlägerei vorbereitet habe und daran habe teilnehmen wollen, und dass er demnach Straftaten wie Körperverletzung und Landfriedensbruch vorbereitet habe, auf eine Reihe von Tatsachenelementen gestützt hat. Die Frankfurter Polizei war ungeachtet der Einträge zu dem Beschwerdeführer in Polizeidateien von der B. Polizei darüber informiert worden, dass letztere, die den Beschwerdeführer jahrelang beobachtet hatte, diesen als den Anführer einer Gruppe gewaltbereiter Fußballhooligans einstufte. Bei der Durchsuchung der Fangruppe am Hauptbahnhof Frankfurt am Main hatten Polizeibeamte bei Mitgliedern der Gruppe des Beschwerdeführers mehrere Gegenstände gefunden, die typischerweise bei Hooliganschlägereien eingesetzt werden. Ferner war der Beschwerdeführer in dem Lokal bei einem Gespräch mit einem Frankfurter Hooligan beobachtet worden. Trotz der polizeilichen Anordnung, bei der Gruppe zu bleiben, die ins Fußballstadion begleitet werden sollte, um die Verabredung oder den Beginn einer Hooliganschlägerei zu verhindern, hatte sich der Beschwerdeführer von der Gruppe entfernt und auf der Damentoilette versteckt. In den Verfahren vor den innerstaatlichen Gerichten war nicht erwiesen worden, dass der Beschwerdeführer gegenüber dem Polizeibeamten, der ihn zum maßgeblichen Zeitpunkt dort auffand, eine plausible Erklärung dafür abgegeben hatte, warum er dorthin gegangen war (beispielsweise unzumutbarer Zustand der Herrentoilette). Als dann sein Mobiltelefon klingelte, wurde auf dem Display der Name eines Mannes aus Frankfurt am Main angezeigt.

80. Der Gerichtshof ist überzeugt, dass der Frankfurter Polizei – die ihre Feststellungen nicht auf die Einträge zu dem Beschwerdeführer in einer Polizeidatei über Gewalttäter im Bereich Sport gestützt hatte (siehe Rdnr. 24) – unter diesen Umständen hinreichende Tatsachen oder Informationen vorlagen, die einen objektiven Betrachter davon überzeugen würden, dass der Beschwerdeführer die Verabredung und Teilnahme an einer Hooliganschlägerei in oder in der Umgebung von Frankfurt am Main beabsichtigte, bei der es zur Begehung konkreter und spezifischer Straftaten, namentlich Körperverletzung und Landfriedensbruch, kommen würde (siehe im Gegensatz dazu Shimovolos, a. a. O., Rdnr. 55, wo eine vage Bezugnahme auf „Straftaten extremistischer Natur“ durch einen Menschenrechtsaktivisten, der an einer Kundgebung der Opposition teilnehmen wollte, als nicht spezifisch genug angesehen wurde, um die Voraussetzungen von Artikel 5 Abs. 1 Buchst. c zu erfüllen). Sein Gewahrsam konnte daher als „[erfolgt, um ihn] an der Begehung einer Straftat […] zu hindern“ eingestuft werden.

81. Im Hinblick auf die Frage, ob bei dem Gewahrsam des Beschwerdeführers „begründeter Anlass zu der Annahme“ (zur Definition von „Begründetheit“ siehe sinngemäß Fox, Campbell und Hartley ./. das Vereinigte Königreich, 30. August 1990, Rdnr. 32, Serie A Band 182; O’Hara ./. das Vereinigte Königreich, Individualbeschwerde Nr. 37555/97, Rdnr. 34, ECHR 2001‑X; und Labita ./. Italien [GC], Individualbeschwerde Nr. 26772/95, Rdnr. 155, ECHR 2000‑IV) bestand, dass sie „notwendig“ war, um die Begehung dieser Straftaten zu verhindern, stellt der Gerichtshof fest, dass Hooliganschlägereien gemäß den Erfahrungen der Polizei für gewöhnlich im Vorfeld verabredet werden, jedoch nicht im Fußballstadion oder in der Nähe des Fußballstadions stattfinden, was von dem Beschwerdeführer nicht bestritten wurde. Der Gerichtshof ist daher davon überzeugt, dass es nicht ausreichend gewesen wäre, das Mobiltelefon des Beschwerdeführers sicherzustellen und ihn eventuell von seiner Gruppe zu trennen, damit er keine Hooliganschlägerei verabreden könne, da er Zugang zu einem anderen Telefon hätte haben können. Überdies dauerte sein Gewahrsam etwa vier Stunden, und nur bis ungefähr eine Stunde nach Spielende, als die Fußballfans das Stadion und dessen räumliches Umfeld verlassen hatten und eine Schlägerei folglich unwahrscheinlich geworden war. Unter diesen Umständen bestand für die Polizei begründeter Anlass zu der Annahme, dass der verhältnismäßig kurze Gewahrsam des Beschwerdeführers notwendig war, um ihn an der Begehung einer Straftat […] zu hindern (siehe im Gegensatz dazu S. und M., a. a. O., Rdnrn. 76-78).

82. Der Gerichtshof erinnert allerdings daran, dass nach Artikel 5 Abs. 1 Buchst. c und Artikel 5 Abs. 3 eine Freiheitsentziehung, mit der eine Person an der Begehung einer Straftat gehindert werden soll, außerdem „zur Vorführung vor die zuständige Gerichtsbehörde“ erfolgen muss und dass diese Person „Anspruch auf ein Urteil innerhalb angemessener Frist“ hat. Nach der ständigen Rechtsprechung des Gerichtshofs regelt die zweite Alternative von Artikel 5 Abs. 1 Buchst. c daher lediglich die Untersuchungshaft, nicht jedoch den Präventivgewahrsam, bei dem der Betroffene nicht unter Verdacht steht, bereits eine Straftat begangen zu haben (Rdnrn. 66-68).

83. Angesichts der Rechtsgrundlage des Gewahrsams des Beschwerdeführers – § 32 Abs. 1 Nr. 2 HSOG, welcher ausschließlich auf die Verhinderung, nicht die Verfolgung von Straftaten abzielt – und der von den innerstaatlichen Behörden und Gerichten für diesen Gewahrsam vorgetragenen Gründe steht jedoch fest, dass der Gewahrsam des Beschwerdeführers von Anfang an rein präventiv war. Wie erwähnt ist es in der Tat unstreitig, dass der Beschwerdeführer im vorliegenden Fall keiner Straftat verdächtigt wurde, da seine Vorbereitungshandlungen nach deutschem Recht nicht strafbar waren. Sein Polizeigewahrsam hatte nur den (präventiven) Zweck, sicherzustellen, dass er bei einer unmittelbar bevorstehenden Hooliganauseinandersetzung keine Straftaten begehen würde. Er war zu entlassen, sobald die Gefahr einer solchen Auseinandersetzung weggefallen war; sein Gewahrsam zielte folglich nicht darauf ab, ihn im Rahmen der Untersuchungshaft einem Richter vorzuführen und ein Strafverfahren gegen ihn zu eröffnen.

84. Der Gerichtshof stellt fest, dass sich die Regierung diesbezüglich für eine Überprüfung der Rechtsprechung des Gerichtshofs zum Anwendungsbereich von Artikel 5 Abs. 1 Buchst. c ausgesprochen hat. Er teilt die Auffassung der Regierung, dass der Wortlaut der zweiten Alternative von Artikel 5 Abs. 1 Buchst. c, insoweit er eine Freiheitsentziehung gestattet, „wenn begründeter Anlass zu der Annahme besteht, dass es notwendig ist, [eine Person] an der Begehung einer Straftat […] zu hindern“, den rein präventiven Polizeigewahrsam zur Abwendung unmittelbar bevorstehender spezifischer schwerer Straftaten, wie vorliegend der Fall, erfassen würde.

85. Diese Auslegung ließe sich jedoch weder mit dem vollständigen Wortlaut von Artikel 5 Abs. 1 Buchst c, noch mit dem von Artikel 5 insgesamt errichteten Schutzsystem in Einklang bringen. Laut Artikel 5 Abs. 1 Buchst. c muss die Freiheitsentziehung des Betroffenen „zur Vorführung vor die zuständige Gerichtsbehörde“ erfolgen und nach Artikel 5 Abs. 3 hat dieser „Anspruch auf ein Urteil innerhalb angemessener Frist“. Wie der Gerichtshof in seiner Rechtsprechung vielfach bestätigt hat, erfasst die zweite Alternative von Artikel 5 Abs. 1 Buchst. c folglich nur die Freiheitsentziehung in Verbindung mit einem Strafverfahren. Insbesondere bezieht sich der Begriff „Urteil“ (Englisch: „trial“), anders als von der Regierung vorgetragen, nicht auf eine richterliche Entscheidung über die Rechtmäßigkeit des polizeilichen Präventivgewahrsams. Diese ist Gegenstand von Artikel 5 Abs. 4.

86. Ferner stellt der Gerichtshof fest, dass – im Gegensatz zu der von der Regierung vertretenen Auffassung – die zweite Alternative von Artikel 5 Abs. 1 [Buchst. c] als Ergänzung zur ersten Alternative dieser Bestimmung (Freiheitsentziehung bei „hinreichende[m] Verdacht […], dass die betreffende Person eine Straftat begangen hat“) nicht als überflüssig angesehen werden kann. Eine Freiheitsentziehung nach Artikel 5 Abs. 1 Buchst. c kann insbesondere gegen eine Person angeordnet werden, die strafbare Vorbereitungshandlungen zu einer Straftat vorgenommen hat, um die Begehung dieser Straftat zu verhindern. Diese Person kann dann gemäß Artikel 5 Abs. 3 im Hinblick auf die strafbaren Handlungen in Vorbereitung der Straftat einem Richter vorgeführt und strafrechtlich abgeurteilt werden.

87. Darüber hinaus nimmt der Gerichtshof das Vorbringen der Regierung zur Kenntnis, wonach die Pflicht des Staates aus den Artikeln 2 und 3 der Konvention zum Schutz der Allgemeinheit vor Straftaten bei der Auslegung von Artikel 5 Abs. 1 berücksichtigt werden sollte und die Zulässigkeit des präventiven Polizeigewahrsams im Rahmen dieser Vorschrift erfordere. In diesem Zusammenhang wiederholt der Gerichtshof, dass die Konvention die staatlichen Behörden dazu verpflichtet, im Rahmen ihrer Befugnisse angemessene Vorkehrungen zu treffen, um lebensbedrohlichen Gefahren oder Misshandlungen, die den Behörden bekannt waren oder hätten bekannt sein sollen, vorzubeugen, es einem Staat jedoch nicht erlaubt, Einzelne vor Straftaten einer Person durch Maßnahmen zu schützen, die gegen die Konventionsrechte dieser Person, insbesondere gegen das in Artikel 5 Abs. 1 garantierte Recht auf Freiheit, verstoßen. Es kann somit festgestellt werden, dass in dieser Bestimmung alle Gründe aufgelistet sind, derentwegen einer Person im öffentlichen Interesse, einschließlich dem, die Allgemeinheit vor Straftaten zu schützen, die Freiheit entzogen werden darf (siehe J. ./. Deutschland, Individualbeschwerde Nr. 30060/04, Rdnrn. 37-38, 14. April 2011). Folglich rechtfertigen die positiven Pflichten des Staates nach anderen Konventionsartikeln an sich keine abweichende oder weiter gefasste Auslegung der in Artikel 5 Abs. 1 erschöpfend aufgelisteten zulässigen Gründe für eine Freiheitsentziehung.

88. Dem Gerichtshof ist bewusst, welche Bedeutung der präventive Polizeigewahrsam innerhalb der deutschen Rechtsordnung zur Abwendung von Gefahren für Leib und Leben potenzieller Opfer oder von erheblichen materiellen Schäden hat, insbesondere in Situationen, in denen bei Massenveranstaltungen große Menschenmengen polizeilich betreut werden, wie von der deutschen Regierung vorgetragen (siehe Rdnr. 54). Er weist erneut darauf hin, dass Artikel 5 nicht so ausgelegt werden kann, dass den Polizeibeamten die Erfüllung ihrer Pflicht zur Aufrechterhaltung der Ordnung und zum Schutz der Allgemeinheit unmöglich gemacht wird – vorausgesetzt, dass sie das Grundprinzip von Artikel 5, den Schutz des Einzelnen vor Willkür, einhalten (siehe Austin u. a., a. a. O., Rdnr. 56).

89. Dennoch ergibt sich aus der langjährigen Auslegungspraxis des Gerichtshofs im Hinblick auf Artikel 5 Abs. 3 Buchst. c wie oben dargelegt, dass der Gewahrsam des Beschwerdeführers nicht anhand dieser Bestimmung gerechtfertigt werden kann. Der Gerichtshof ist allerdings der Auffassung, dass Artikel 5 Abs. 1 der Konvention, insbesondere Buchst. b, unter den darin aufgeführten engen Voraussetzungen Raum für Gewahrsam zu Präventionszwecken lässt.

(β) Rechtfertigung nach Artikel 5 Absatz 1 Buchstabe b

90. Der Gerichtshof hat daher zu prüfen, ob der Gewahrsam des Beschwerdeführers, wie von der Regierung ebenfalls vorgebracht, nach der zweiten Alternative von Artikel 5 Abs. 1 Buchst. b „zur Erzwingung der Erfüllung einer gesetzlichen Verpflichtung“ gerechtfertigt war. Nach der ständigen Rechtsprechung des Gerichtshofs (siehe Rdnr. 69) ist die Voraussetzung dafür, dass eine Freiheitsentziehung unter diesen zulässigen Grund fällt, zunächst einmal, dass es gesetzlich zulässig ist, dem Betroffenen die Freiheit zu entziehen, um ihn dazu zu zwingen, eine ihm obliegende spezifische und konkrete Verpflichtung zu erfüllen, der er bis dahin nicht nachgekommen ist.

91. Der Gerichtshof stellt diesbezüglich fest, dass die Ingewahrsamnahme des Beschwerdeführers nach § 32 Abs. 1 Nr. 2 HSOG von der Polizei angeordnet wurde. Diese Bestimmung gestattete den Polizeibeamten als Maßnahme der Abwehr einer unmittelbaren Gefahr, eine Person in Gewahrsam zu nehmen, wenn dies zur Verhinderung der unmittelbar bevorstehenden Begehung einer Straftat mit erheblicher Bedeutung für die Allgemeinheit unerlässlich war (siehe Rdnr. 33). Im vorliegenden Fall nahm die Polizei den Beschwerdeführer in Gewahrsam, um ihn daran zu hindern, im Zusammenhang mit dem Fußballspiel vom 10. April 2004 in oder in der Nähe von Frankfurt am Main eine Auseinandersetzung zwischen rivalisierenden B. und Frankfurter Hooligans zu verabreden und während der Auseinandersetzung Straftaten wie Körperverletzung und Landfriedensbruch zu begehen.

92. Bei der Prüfung der Frage, ob diese ihm obliegende Verpflichtung, den Frieden zu wahren, indem er zum angegeben Zeitpunkt am angegebenen Ort eine Hooliganschlägerei weder verabredete noch daran teilnahm, als hinreichend „spezifisch und konkret“ für die Erfordernisse von Artikel 5 Abs. 1 Buchst. b angesehen werden kann, zieht der Gerichtshof die Verpflichtungen heran, bezüglich derer er bisher festgestellt hat, dass sie unter diesen Grund für eine Freiheitsentziehung fallen. Er hat beispielsweise festgestellt, dass die Pflicht, einen Platzverweis zu befolgen, grundsätzlich eine von dieser Konventionsbestimmung erfasste Verpflichtung ist (siehe E., a. a. O., Rdnrn. 36-38). Er war auch der Ansicht, dass die gesetzliche Pflicht, als Zeuge auszusagen, hinreichend spezifisch und konkret für die Erfordernisse von Artikel 5 Abs. 1 Buchst. b ist, und demnach durch Festhalten auf einer Polizeidienststelle durchgesetzt werden kann (siehe insbesondere Iliya Stefanov, a. a. O., Rdnrn. 73-75; und Soare u. a., a. a. O., Rdnrn. 234-239). Das Gleiche gilt für die Freiheitsentziehung zur Durchsetzung der gesetzlichen Pflicht, gegenüber der Polizei seine Identität offenzulegen (siehe u. a. Vasileva, a. a. O., Rdnrn. 35, 38; Novotka, a. a. O.; und Sarigiannis, a. a. O., Rdnrn. 42-44) und (verhältnismäßige) Freiheitsentziehung zur Sicherstellung der Anwesenheit einer Person in einer Gerichtsverhandlung (siehe Lolova-Karadzhova, a. a. O., Rdnrn. 31-32). Weiterhin hat der Gerichtshof die Verpflichtung zur Ableistung des Zivildienstes (siehe Johansen, a. a. O., S. 162) oder die Pflicht, eine Sicherheit für eine eventuelle Verletzung der Kautionsauflagen zu zahlen (siehe Gatt, a. a. O., Rdnr. 47), als hinreichend konkret und spezifisch angesehen, um unter Artikel 5 Abs. 1 Buchst. b zu fallen.

93. Nach Ansicht des Gerichtshofs zeigen diese Beispiele, dass die „Verpflichtung“ nach Artikel 5 Abs. 1 Buchst. b sehr eng eingegrenzt sein muss. Daraus folgt, dass die hier in Rede stehende Verpflichtung, friedlich zu bleiben und eine Straftat nicht zu begehen, nur dann „als spezifisch und konkret“ im Sinne dieser Konventionsbestimmung angesehen werden kann, wenn Ort und Zeitpunkt der bevorstehenden Begehung der Straftat sowie ihr potenzielles Opfer/ihre potenziellen Opfer hinreichend konkretisiert wurden. Nach der Überzeugung des Gerichtshofs war das hier gegeben. Der Beschwerdeführer sollte daran gehindert werden, in der Zeit vor, während oder nach dem Fußballspiel vom 10. April 2004 in oder in der Nähe von Frankfurt eine Schlägerei von B. und Frankfurter Hooligans zu verabreden und bei einer solchen Auseinandersetzung Straftaten wie Körperverletzung und Landfriedensbruch zu begehen.

94. Zusätzlich muss der Beschwerdeführer im Vorfeld seiner Ingewahrsamnahme die Erfüllung seiner Verpflichtung, den Frieden durch die Nichtbegehung einer spezifischen und konkreten Straftat zu wahren, versäumt haben. In Fällen, in denen es um eine derartige Pflicht geht, reicht es aus, wenn der Beschwerdeführer eindeutige und aktive Schritte unternommen hat, die darauf hindeuten, dass er seine Verpflichtung nicht erfüllen wird. Der Gerichtshof ist der Ansicht, dass dieses Erfordernis besonders wichtig ist im Hinblick auf die Pflicht, eine bestimmte Handlung, wie hier der Fall, nicht vorzunehmen, im Unterschied zur Pflicht, eine bestimmte Handlung vorzunehmen (beispielsweise das Verlassen eines Ortes, das Erscheinen vor Gericht, das Aussagen als Zeuge oder die Offenlegung der eigenen Identität). Um unter solchen Umständen den Schutz des Einzelnen vor willkürlicher Freiheitsentziehung gemäß dem Zweck von Artikel 5 zu gewährleisten, muss der Betroffene – bevor der Schluss gezogen wird, dass er seine in Rede stehende Verpflichtung nicht erfüllt hat – auf die konkrete Handlung, die er zu unterlassen hatte, hingewiesen worden sein und sich unwillig gezeigt haben, diese zu unterlassen.

95. Im vorliegenden Fall war dem Beschwerdeführer vor seiner Ingewahrsamnahme von den Polizeibeamten angeordnet worden, bei der Fangruppe zu bleiben, mit der er aus B. angereist war und die von der Polizei ins Fußballstadion begleitet werden sollte. Außerdem war er deutlich auf die Konsequenzen der Nichtbefolgung dieser Anordnung hingewiesen worden, da die Polizei angekündigt hatte, jede sich von der Gruppe entfernende Person in Gewahrsam zu nehmen. Die Gruppe war überdies bereits während der Zugfahrt von B. nach Frankfurt begleitet und am Hauptbahnhof Frankfurt am Main durchsucht worden, wobei festgestellt worden war, dass sie Gegenstände mit sich führte, die typischerweise von Hooligans bei Auseinandersetzungen eingesetzt werden. Der Gerichtshof ist der Ansicht, dass dem Beschwerdeführer durch diese Maßnahmen verdeutlicht worden war, dass die Polizei eine Hooliganschlägerei verhindern wollte und für ihn eine spezifische Verpflichtung bestand, die Verabredung beziehungsweise Teilnahme an einer solchen Auseinandersetzung in oder in der Nähe von Frankfurt an dem fraglichen Tag zu unterlassen (vgl. im Gegensatz dazu S. und M., a. a. O., Rdnr. 82).

96. Ferner ist der Gerichtshof überzeugt, dass die innerstaatlichen Behörden vernünftigerweise davon ausgehen konnten, dass der Beschwerdeführer durch seinen Versuch, sich der polizeilichen Überwachung zu entziehen, sowie durch seine Kontaktaufnahme zu einem Hooligan aus Frankfurt am Main versuchte, eine Hooliganschlägerei zu verabreden. Durch diese eindeutigen und aktiven Schritte oder Vorbereitungshandlungen hatte der Beschwerdeführer gezeigt, dass er nicht willens war, seiner Verpflichtung, den Frieden zu wahren, indem er die fragliche Hooliganauseinandersetzung weder verabredete noch an ihr teilnahm, nachzukommen.

97. Der Gerichtshof muss zweitens klären, ob der Gewahrsam des Beschwerdeführers die Erzwingung der Erfüllung der Verpflichtung zum Ziel hatte beziehungsweise unmittelbar dazu beitrug und keinen Strafcharakter aufwies. Er stellt fest, dass der Gewahrsam des Beschwerdeführers in der Tat dazu diente, ihn an der Verabredung und der Teilnahme an einer Hooliganschlägerei zu hindern. Seine durch die Ingewahrsamnahme herbeigeführte Trennung von den beiden Hooligangruppen und die Unmöglichkeit der Kontaktaufnahme mit ihnen machten es ihm unmöglich, am 10. April 2004 Körperverletzung oder Landfriedensbruch zu begehen oder andere dazu anzustiften. Der Gerichtshof stellt ferner fest, dass der Gewahrsam des Beschwerdeführers seine Grundlage in einer Bestimmung des HSOG hatte, die die Aufgaben der hessischen Polizeibehörden im Hinblick auf ihre Pflicht, Gefahren für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung abzuwehren, regelt (siehe Rdnrn. 30 und 33). Die Polizeibeamten handelten demnach nicht nach den für die Verfolgung von Straftaten geltenden Vorschriften des Strafgesetzbuchs oder der Strafprozessordnung. Überdies nimmt der Gerichtshof zur Kenntnis, dass in Verbindung mit den Taten des Beschwerdeführers vom 10. April 2004 kein strafrechtliches Ermittlungsverfahren gegen ihn eröffnet wurde. Sein Gewahrsam hatte also keinen Strafcharakter.

98. Der Gerichtshof ist drittens der Ansicht, dass die Art der Verpflichtung, um deren Erfüllung es geht – namentlich die Pflicht, zum angegeben Zeitpunkt am angegebenen Ort weder eine Hooliganschlägerei zu verabreden noch daran teilzunehmen und bei dieser Schlägerei keine Körperverletzung und keinen Landfriedensbruch zu begehen – für sich genommen mit der Konvention vereinbar war.

99. Viertens fällt bei einer Verpflichtung, die unter die zweite Alternative von Artikel 5 Abs. 1 Buchst. b fällt, die Grundlage der Freiheitsentziehung weg, sobald die entsprechende Verpflichtung erfüllt wurde. In der vorliegenden Rechtssache bestand für den Beschwerdeführer die Pflicht, in der Zeit vor, während oder nach dem Fußballspiel vom 10. April 2004 in oder in der Nähe von Frankfurt bei einer von ihm verabredeten Schlägerei zwischen B. und Frankfurter Hooligans keine Körperverletzung und keinen Landfriedensbruch zu begehen.

100. Der Gerichtshof stellt fest, dass es für einen Beschwerdeführer im Falle der Verpflichtung, eine spezifische Straftat zu einer bestimmten Zeit an einem bestimmten Ort nicht zu begehen, im Unterschied zur Pflicht, eine spezifische Handlung vorzunehmen, schwierig ist, vor dem Verstreichen des für die Straftat angesetzten Zeitpunkts zu beweisen, dass er der Verpflichtung nachgekommen ist. Die in Rede stehende Verpflichtung muss im Hinblick auf die Erfordernisse von Artikel 5 Abs. 1 Buchst. b spätestens dann als „erfüllt“ angesehen werden, wenn sie aufgrund des Verstreichens des für die in Rede stehende Straftat veranschlagten Zeitpunkts wegfällt. Der Gerichtshof schließt nicht aus, dass, abhängig von den Umständen einer Rechtssache, eine Person vor dem für die fragliche Straftat angesetzten Zeitpunkt zeigen kann, dass sie nicht länger vorhat, diese Straftat zu begehen, indem sie beispielsweise anbietet, sich zu entfernen und dem Ort der geplanten Straftat fernzubleiben, und dies auch belegt. Um mit Artikel 5 Abs. 1 Buchst. b vereinbar zu sein, müsste die Freiheitsentziehung dieser Person unter solchen Umständen unverzüglich beendet werden. Im vorliegenden Fall deutet jedoch nichts darauf hin, dass der Beschwerdeführer während seines Gewahrsams angezeigt hätte, dass er gewillt war, seiner Verpflichtung, durch Unterlassung der Verabredung beziehungsweise der Teilnahme an einer Hooliganschlägerei den Frieden zu wahren, nachzukommen. Folglich muss unter diesen Umständen der Schluss gezogen werden, dass seine Verpflichtung nach den Erfordernissen von Artikel 5 Abs. 1 Buchst. b „erfüllt“ war, insoweit sie wegfiel, sobald das Fußballspiel zu Ende war und sich die übrigen Fußballhooligans zerstreut hatten, so dass keine Schlägerei in Frankfurt mehr verabredet werden konnte. Zu diesem Zeitpunkt war er zu entlassen und das ist auch erfolgt.

101. Schließlich muss der Gerichtshof entscheiden, ob zwischen der Bedeutung, die der Erzwingung der sofortigen Erfüllung der fraglichen Verpflichtung in einer demokratischen Gesellschaft zukommt, und der Bedeutung des Rechts auf Freiheit ein angemessener Ausgleich herbeigeführt wurde (Rdnr. 73). Er ist der Ansicht, dass die Verpflichtung des Beschwerdeführers, eine Hooliganschlägerei – bei der es regelmäßig zu Körperverletzung und Landfriedensbruch in großem Umfang kommt, wovon eine erhebliche Gefahr für die Sicherheit unbeteiligter Dritter ausgeht – weder zu verabreden noch daran teilzunehmen, eine wichtige Pflicht war, die ihm im Interesse der Allgemeinheit oblag. Die Regierung betonte – und dies wurde von dem Beschwerdeführer nicht bestritten – dass die Polizeibehörden heutzutage sowohl während der wöchentlich stattfindenden Spiele der Fußballbundesliga als auch während Fußballmeisterschaften Hooliganschlägereien zu verhindern hätten (siehe Rdnr. 54). Die Verpflichtung, den friedlichen Ablauf eines solchen sportlichen Großereignisses mit vielen Zuschauern nicht zu beeinträchtigen und die Allgemeinheit vor Gefährdungen, insbesondere ihrer körperlichen Unversehrtheit, zu schützen, war nach den Umständen des Falles folglich eine wichtige Pflicht.

102. Außerdem ist der Gerichtshof überzeugt, dass für die Polizeibeamten begründeter Anlass zu der Annahme bestehen konnte, dass der zum Zeitpunkt seiner Ingewahrsamnahme .. Jahre alte Beschwerdeführer der Anführer der B. Hooligangruppe war, und dass er keine Bereitschaft gezeigt hatte, seiner Verpflichtung, den Frieden zu wahren, indem er keine Schlägerei zwischen rivalisierenden Hooligans organisierte, nachzukommen. Im Hinblick auf die etwa vierstündige Dauer seines Gewahrsams ist der Gerichtshof unter Verweis auf seine vorstehenden Feststellungen (Rdnr. 81) der Ansicht, dass der Beschwerdeführer nicht länger festgehalten wurde, als notwendig war, um ihn daran zu hindern, weitere Schritte zur Verabredung einer Hooliganschlägerei in oder in der Nähe von Frankfurt zu unternehmen. Der in Rede stehende Gewahrsam des Beschwerdeführers war daher in Bezug auf das Ziel, die sofortige Erfüllung der in Rede stehenden Verpflichtung zu erzwingen, verhältnismäßig.

103. Daraus folgt, dass die Freiheitsentziehung des Beschwerdeführers nach der zweiten Alternative von Artikel 5 Abs. 1 Buchst. b gerechtfertigt war.

(iii) Rechtmäßigkeit der Freiheitsentziehung

104. Der Gerichtshof ist weiterhin der Auffassung, dass der Gewahrsam des Beschwerdeführers auf Grundlage des § 32 Abs. 1 Nr. 2 HSOG rechtmäßig war und auf die von den innerstaatlichen Gesetzen vorgeschriebene Weise erfolgte. Dies wurde von den Parteien auch nicht bestritten.

(iv) Schlussfolgerung

105. Nach alledem kommt der Gerichtshof zu dem Schluss, dass Artikel 5 Abs. 1 der Konvention nicht verletzt wurde, da der Gewahrsam des Beschwerdeführers in Einklang mit Artikel 5 Abs. 1 Buchst. b stand.

II. BEHAUPTETE VERLETZUNG VON ARTIKEL 6 DER KONVENTION

106. Der Beschwerdeführer rügte ferner, dass sein Recht, in billiger Weise und in angemessener Frist öffentlich gehört zu werden, im Zusammenhang mit seiner ungerechtfertigten und rechtswidrigen Eintragung in der Datei „Gewalttäter Sport“ der B. Polizei verletzt worden sei. Er berief sich auf Artikel 6 der Konvention.

107. Der Gerichtshof stellt fest, dass der Beschwerdeführer, wie vom Hessischen Verwaltungsgerichtshof bereits dargelegt (Rdnr. 24), im Hinblick auf seine Eintragung in einer Datei der B. Polizei keine Klage gegen diese als zuständige Behörde erhoben hat. Folglich ist dieser Teil der Beschwerde nach Artikel 35 Abs. 1 und 4 der Konvention wegen Nichterschöpfung des innerstaatlichen Rechtswegs zurückzuweisen.

AUS DIESEN GRÜNDEN ENTSCHEIDET DER GERICHTSHOF EINSTIMMIG:

1. Die Rüge nach Artikel 5 der Konvention hinsichtlich des Präventivgewahrsams des Beschwerdeführers wird für zulässig und die Individualbeschwerde im Übrigen für unzulässig erklärt;

2. Artikel 5 Abs. 1 der Konvention ist nicht verletzt worden.

Ausgefertigt in Englisch und schriftlich zugestellt am 7. März 2013 nach Artikel 77 Abs. 2 und 3 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs.

Claudia Westerdiek                               Mark Villiger
Kanzlerin                                                Präsident

___________

Gemäß Artikel 45 Absatz 2 der Konvention und Artikel 74 Absatz 2 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs ist diesem Urteil die abweichende Meinung von Richter Lemmens und Richterin Jäderblom beigefügt.

M.V.
C.W.

ÜBEREINSTIMMENDE MEINUNG VON RICHTER LEMMENS UND RICHTERIN JÄDERBLOM

1. Bei der Feststellung, dass Artikel 5 Abs. 1 der Konvention nicht verletzt worden ist, haben wir mit der Kammer gestimmt. Der Urteilsbegründung können wir uns jedoch nicht anschließen. Im Gegensatz zur Mehrheit sind wir der Auffassung, dass Artikel 5 Abs. 1 Buchst. b der Konvention auf den Gewahrsam des Beschwerdeführers nicht anwendbar ist. Wir sind jedoch – wiederum im Gegensatz zur Mehrheit – der Ansicht, dass er nach Artikel 5 Abs. 1 Buchst. c der Konvention gerechtfertigt werden kann. Paradoxerweise stimmen wir mit dem Gesamtfazit überein.

2. Den Ausgangspunkt unserer Analyse bildet der Sachverhalt des Falles.

Der Beschwerdeführer wurde in Gewahrsam genommen und für etwa vier Stunden festgehalten. Eine schriftliche Anordnung mit einer Nennung der Gründe für seine Ingewahrsamnahme lag nicht vor. Bei der Prüfung der Beschwerde des Beschwerdeführers gab der Polizeipräsident von Frankfurt am Main jedoch an, dass der Gewahrsam auf der Grundlage von § 32 Abs. 1 Nr. 2 HSOG (siehe Rdnr. 15 des Urteils) erfolgte.

§ 32 Abs. 1 lautet:

„(1) Die Polizeibehörden können eine Person in Gewahrsam nehmen, wenn dies

[…]

unerlässlich ist, um die unmittelbar bevorstehende Begehung oder Fortsetzung einer Straftat oder einer Ordnungswidrigkeit mit erheblicher Bedeutung für die Allgemeinheit zu verhindern,

unerlässlich ist, um Maßnahmen nach § 31 durchzusetzen, oder

[…]“

Der in § 32 Abs. 1 Nr. 3 in Bezug genommene § 31 betrifft Platzverweisungen. Er gestattet den zuständigen Behörden, einschließlich Polizeibehörden, eine Person zur Abwehr einer Gefahr von einem Ort zu verweisen oder ihr das Betreten eines Ortes zu verbieten (Abs. 1). Dieselben Behörden können einer Person auch verbieten, einen bestimmten örtlichen Bereich innerhalb einer Gemeinde zu betreten oder sich dort aufzuhalten, wenn Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass diese Person dort eine Straftat begehen wird (Abs. 3).

Der Beschwerdeführer wurde nur auf der Grundlage von § 32 Abs. 1 Nr. 2 in Gewahrsam genommen. Auf § 32 Abs. 1 Nr. 3 wurde zu keinem Zeitpunkt des innerstaatlichen Verfahrens Bezug genommen. Wir kommen zu dem Schluss, dass der Beschwerdeführer in Gewahrsam genommen wurde, um ihn an der Begehung spezifischer Straftaten oder Ordnungswidrigkeiten, namentlich denen, die bei einer Auseinandersetzung zwischen B. und Frankfurter Hooligans begangen worden wären, zu hindern (siehe Rdnr. 91). Er wurde nicht festgehalten, um eine Anordnung, durch die ihm das Betreten des Fußballstadions untersagt gewesen wäre, durchzusetzen. Er wurde auch nicht lediglich deswegen festgehalten, weil er sich von seiner Gruppe, die auf dem Weg ins Stadion unter polizeilicher Aufsicht stand, entfernt hatte.

Auf der Grundlage dieser Tatsachen werden wir nun prüfen, ob sein Gewahrsam nach Artikel 5 Abs. 1 der Konvention gerechtfertigt werden konnte.

3. Wir wenden uns zunächst der Bestimmung zu, die nach Ansicht der Mehrheit im vorliegenden Fall anwendbar ist, namentlich Artikel 5 Abs. 1 Buchst. b. Diese Bestimmung erlaubt eine Freiheitsentziehung, wenn es sich um eine „rechtmäßige Festnahme oder Freiheitsentziehung […] zur Erzwingung der Erfüllung einer gesetzlichen Verpflichtung“ handelt.

Die Mehrheit ist der Auffassung, dass der Beschwerdeführer die spezifische und konkrete Pflicht hatte, nicht die Straftat der Vorbereitung und Teilnahme an einer Hooliganschlägerei zu einem bestimmten Zeitpunkt an einem bestimmten Ort zu begehen (Rdnrn. 92 und 93). Durch seine Missachtung der polizeilichen Anordnung, bei der Fangruppe zu bleiben, zu der er gehörte, habe der Beschwerdeführer seine Verpflichtung nicht erfüllt (siehe Rdnr. 95). Die gesetzliche Verpflichtung ergab sich nach Auffassung der Mehrheit aus § 32 Abs. 1 Nr. 2 HSOG (Rdnr. 91).

Wir stimmen mit der Mehrheit dahingehend überein, dass die Polizeibeamten den Beschwerdeführer in Gewahrsam nahmen, um ihn an der Begehung von Straftaten oder Ordnungswidrigkeiten zu hindern, und dass dies im HSOG eine gesetzliche Grundlage hatte. Wir können jedoch nicht anerkennen, dass dem Beschwerdeführer folglich die Freiheit entzogen wurde, um die Erfüllung einer gesetzlichen Verpflichtung im Sinne von Artikel 5 Abs. 1 Buchst. b der Konvention zu erzwingen.

Das HSOG konkretisiert nämlich keine Verpflichtung, die von dem Beschwerdeführer nicht erfüllt wurde. Ungeachtet der Tatsache, dass die Polizei den Beschwerdeführer konkret dazu aufgefordert hatte, keine Schlägerei zu verabreden und bei seiner Fangruppe zu bleiben, ist die Verpflichtung, keine Straftaten oder Ordnungswidrigkeiten zu begehen (siehe § 32 Abs. 1 Nr. 2 HSOG), unserer Meinung nach zu pauschal für die Erfordernisse von Artikel 5 Abs. 1 Buchst. b der Konvention. Es bedarf einer spezifischen und konkreten Verpflichtung und einer nachweislichen Nichterfüllung dieser spezifischen und konkreten Verpflichtung. Die „allgemeine Verpflichtung zur Befolgung der Gesetze“ ist keine solche spezifische und konkrete Verpflichtung (Engel u. a. ./. die Niederlande, 8. Juni 1976, S. 28, Rdnr. 69, Serie A Band 22). Alle in Rdnr. 92 des Urteils aufgeführten Beispiele aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs betreffen Verpflichtungen zur Vornahme spezifischer Handlungen. Unseres Wissens wurde vom Gerichtshof noch nie festgestellt, dass eine Verpflichtung, keine Straftaten zu begehen, eine „Verpflichtung“ im Sinne von Artikel 5 Abs. 1 Buchst. b der Konvention darstellen könnte. Die Mehrheit weitet den Geltungsbereich dieser Bestimmung erheblich aus, wenn sie feststellt, dass die Pflicht, in allernächster Zukunft keine Straftat zu begehen, im Unterschied zu der Verpflichtung, einer angeordneten spezifischen Maßnahme Folge zu leisten, eine Verpflichtung darstellt, die bei Nichterfüllung – oder gar, wie im vorliegenden Fall, bei lediglich drohender Nichterfüllung – unter diese Bestimmung fällt (vgl. S. und M. ./. Deutschland, Individualbeschwerden Nrn. 8080/08 und 8577/08, Rdnr. 82, 1. Dezember 2011). Wir denken, wie vom Gerichtshof in der Rechtssache Engel festgestellt, dass eine derartige „weite Auslegung […] zu Ergebnissen führen [würde], wie sie mit dem Gedanken der Rechtsstaatlichkeit, unter dem die gesamte Konvention steht, unvereinbar sind“ (a. a. O., S. 28, Rdnr. 69).

Anders hätte es vielleicht ausgesehen, wenn dem Beschwerdeführer ein konkreter Platzverweis erteilt worden wäre und er dieser Maßnahme nicht Folge geleistet hätte und wenn er in Gewahrsam genommen worden wäre, um die Befolgung dieser spezifischen und konkreten Maßnahme durchzusetzen (siehe z. B. E. ./. Deutschland, Individualbeschwerde Nr. 77909/01, Rdnr. 36, 24. März 2005). Wie bereits erwähnt wurde aber nie ein Platzverweis gegen den Beschwerdeführer ausgesprochen. Die einzige zu erfüllende Verpflichtung bestand in der allgemeinen – vom Gesetz, nicht von einer individuellen Maßnahme vorgeschriebenen – Pflicht, bestimmte Straftaten und Ordnungswidrigkeiten nicht zu begehen. Diese allgemeine Verpflichtung wurde unserer Auffassung nach nicht allein dadurch spezifisch und konkret, dass der Beschwerdeführer im Zusammenhang mit einem bestimmten Fußballspiel an sie erinnert wurde.

Daher sind wir der Meinung, dass Artikel 5 Abs. 1 Buchst. b der Konvention keine Anwendung findet.

4. Es ist hervorzuheben, dass der Beschwerdeführer in Gewahrsam genommen wurde, um ihn an der Begehung von Straftaten und Ordnungswidrigkeiten zu hindern. Wie erwähnt wurde dies vom Polizeipräsidenten von Frankfurt am Main anerkannt, der sich ausdrücklich auf § 32 Abs. 1 Nr. 2 HSOG bezog. Der präventive Charakter des Gewahrsams wirft natürlich die Frage auf, ob er nach Artikel 5 Abs. 1 Buchst. c der Konvention gerechtfertigt werden konnte. Hierbei handelt es sich um die Bestimmung, in der es speziell um die Freiheitsentziehung zu Präventivzwecken geht.

Wir stellen fest, dass die Mehrheit anerkennt, dass der Gewahrsam des Beschwerdeführers ihn an der Begehung einer Straftat hindern sollte und die Polizeibeamten begründeten Anlass zu der Annahme haben durften, dass zur Erfüllung dieses Zwecks seine Ingewahrsamnahme notwendig war (Rdnrn. 80 und 81). Was das anbelangt stimmen wir der Mehrheit zu.

Die Mehrheit ist jedoch der Auffassung, die Freiheitsentziehung im vorliegenden Fall falle zwar in den Anwendungsbereich von Artikel 5 Abs. 1 Buchst. c der Konvention, sei aber nicht nach dieser Bestimmung gerechtfertigt. Der Mehrheit zufolge ergibt sich aus dem Wortlaut dieser Bestimmung i. V. m. Artikel 5 Abs. 3, dass eine präventive Freiheitsentziehung nur dann gerechtfertigt ist, „wenn [sie] zur Vorführung (der von Festnahme oder Freiheitsentziehung betroffenen Person) vor die zuständige Gerichtsbehörde“ erfolgt (Artikel 5 Abs. 1 Buchst. c), was im Sinne einesGerichtsverfahrens verstanden werden müsse (Artikel 5 Abs. 3) (Rdnrn. 67-68 und 82). Die Mehrheit führt aus, eine präventive Freiheitsentziehung sei „nur in Verbindung mit einem Strafverfahren“ zulässig (Rdnr. 68 mit Verweis auf Ječius ./. Litauen, Individualbeschwerde Nr. 34578/97, Rdnr. 50, ECHR 2000-IX). Da der Beschwerdeführer nicht verdächtigt worden sei, eine Straftat begangen zu haben, weil Vorbereitungshandlungen nach deutschem Recht nicht strafbewehrt seien, sei seine Ingewahrsamnahme nicht zum Zwecke der Strafverfolgung erfolgt. Daher sei sein Gewahrsam nach Ansicht der Mehrheit mit keiner der Bedingungen des Artikels 5 Abs. 1 Buchst. c vereinbar (Rdnr. 83). In diesem Punkt sind wir, bei allem Respekt, anderer Meinung.

Wir ziehen nicht in Zweifel, dass sich die Mehrheit auf die aktuelle Rechtsprechung des Gerichtshofs stützt. Diese Rechtsprechung bestätigt in der Tat, dass Artikel 5 Abs. 1 Buchst. c Freiheitsentziehung nur „in Verbindung mit einem Strafverfahren“ zulässt (Ciulla ./. Italien, 22. Februar 1989, S. 16, Rdnr. 38, Serie A Band 148; E. ./. Deutschland, a. a. O., Rdnr. 35; S. und M. ./. Deutschland, a. a. O., Rdnr. 72). Das heißt, dass eine präventive Freiheitsentziehung nur möglich ist „im Rahmen eines Strafverfahrens, zur Vorführung vor die zuständige Gerichtsbehörde, wenn der Verdacht besteht, dass die betreffende Person eine Straftat begangen hat“ (Ječius ./. Litauen, a. a. O., Rdnr. 50). Unseres Erachtens wurde hier mit der Feststellung zu weit gegangen, dass das Erfordernis von Artikel 5 Abs. 1 Buchst. c hinsichtlich der „Vorführung“ der von Festnahme oder Freiheitsentziehung betroffenen Person „vor die zuständige Gerichtsbehörde“ in jeder der in dieser Bestimmung aufgeführten Situationen bedeute, dass es darum gehen sollte, ein „Strafverfahren“ gegen diese Person zu eröffnen. Wir glauben, dass in Situationen, in denen ein starkes öffentliches Interesse daran besteht, jemanden an der Begehung einer Straftat zu hindern, den Behördenzur Durchsetzung des Rechts die begrenzte Möglichkeit offen steht, einer Person kurzzeitig die Freiheit zu entziehen, selbst wenn sie noch keine Straftat begangen hat, und demnach die Möglichkeit der Eröffnung eines Strafverfahrens gegen sie nicht gegeben ist.

Uns ist bewusst, dass sich unsere Meinung nicht mit der gegenwärtigen Rechtsprechung deckt. Wir stellen jedoch fest, dass diese Rechtsprechung ohne jegliche konkrete Erklärung von dem abweicht, was der Gerichtshof in seinem allerersten Fall, der Rechtssache Lawless ./. Irland, ausführte. Dort hieß es:

„[…] Artikel 5 Abs. 1 Buchst. c kann nur ausgelegt werden, wenn er i. V. m. Artikel 5 Abs. 3 betrachtet wird, mit dem er ein Ganzes bildet; Abs. 3 schreibt kategorisch vor, dass ‘jede Person, die nach Absatz 1 Buchst. c von Festnahme oder Freiheitsentziehung betroffen ist, […] unverzüglich einem Richter […] vorgeführt werden [muss]’ und dass sie ‘Anspruch auf ein Urteil innerhalb angemessener Frist’ hat; er beinhaltet offensichtlich die Verpflichtung, jede Person, die von Festnahme oder Freiheitsentziehung betroffen ist, unter allen durch die Bestimmungen von Absatz 1 Buchst. c vorgesehenen Umständen einem Richter vorzuführen, damit die Frage der Freiheitsentziehung geprüft oder in der Sache entschieden wird; das geht klar und selbstverständlich aus dem Wortlaut von Absatz 1 Buchstabe c und Absatz 3 des Artikels 5 hervor” (Lawless ./. Irland, 1. Juli 1961, S. 52, § 14, Serie A Band 3 [Übersetzung BMJ]; Kursivsetzung durch uns).”

Dem stimmen wir voll und ganz zu. Die spätere Rechtsprechung hat den Zweck der Vorführpflicht unangemessen darauf eingeschränkt, dass „in der Sache entschieden“ werden soll und den möglichen Zweck „damit die Frage der Freiheitsentziehung geprüft wird“ beiseitegelassen. Wir würden eine Rückkehr zu der in der Rechtssache Lawless praktizierten Auslegung von Art. 5 Abs. 1 Buchst. c i. V. m. Art. 5 Abs. 3 begrüßen, die dem Präventivgedanken als möglicher Rechtfertigung einer Freiheitsentziehung besser gerecht wird als die gegenwärtige Auslegung.

5. Wir sind uns auch der Risiken bewusst, die mit rein präventiven Freiheitsentziehungen von Personen einhergehen, die die Behörden an der Begehung einer Straftat hindern wollen, ohne dass sie im Verdacht stehen, bereits eine Straftat begangen zu haben. Hier sind mit Sicherheit Garantien vonnöten und die Möglichkeiten für derartige präventive Freiheitsentziehungen sollten begrenzt sein. Wir glauben, dass einige der von der Mehrheit im Hinblick auf Artikel 5 Abs. 1 Buchst. b genannten Voraussetzungen auch für eine präventive Freiheitsentziehung nach Artikel 5 Abs. 1 Buchst. c gelten. Wir halten es jedoch nicht für zweckdienlich, diesen Gedanken im Rahmen der vorliegenden abweichenden Meinung weiter auszuführen.

Eine der Garantien besteht, wie erwähnt, darin, dass die von Festnahme oder Freiheitsentziehung betroffene Person „unverzüglich einem Richter oder einer anderen gesetzlich zur Wahrnehmung richterlicher Aufgaben ermächtigten Person vorgeführt werden [muss]“ (Artikel 5 Abs. 3 der Konvention). Der Umstand, dass eine von Festnahme oder Freiheitsentziehung betroffene Person nicht angeklagt oder vor ein Gericht gestellt wird, stellt allerdings, wie der Gerichtshof festgestellt hat, an sich noch keine Verletzung des ersten Teils von Artikel 5 Abs. 3 dar. Artikel 5 Abs. 3 kann nicht verletzt werden, wenn die festgenommene Person „unverzüglich“ freigelassen wird, bevor eine gerichtliche Überprüfung ihrer Freiheitsentziehung zu realisieren gewesen wäre (de Jong, Baljet und van den Brink ./. die Niederlande, 22. Mai 1984, S. 25, Rdnr. 52, Serie A Band 77; Brogan u. a. ./. Vereinigtes Königreich, 29. November 1988, S. 31-32, Rdnr. 58, Serie A Band 145-B; İkincisoy ./. Türkei, Individualbeschwerde Nr. 26144/95, Rdnr. 103, 27. Juli 2004). Eine frühzeitige „unverzügliche“ Freilassung ohne Vorführung vor einen Richter oder eine entsprechend ermächtigte Person dürfte häufig in Fällen von „Ordnungshaft“ zu präventiven Zwecken anzutreffen sein. Trotzdem ist es in einer solchen Situation zur Gewährleistung der Rechte aus Artikel 5 der Konvention ausreichend, wenn die Rechtmäßigkeit der Freiheitsentziehung anschließend angefochten und von einem Gericht überprüft werden kann.

6. Im vorliegenden Fall wurde der Beschwerdeführer in Gewahrsam genommen, um eine Schlägerei im Zusammenhang mit einem Fußballspiel zu verhindern. Unseres Erachtens bestand für die Polizei angesichts eines großen Fußballereignisses, bei dem sich zahlreiche aggressive Fans zusammenfanden und der Beschwerdeführer den Eindruck erweckte – und, wie die Behörden feststellten, auch plante – Auseinandersetzungen anzustiften, begründeter Anlass zu der Annahme, dass die Ingewahrsamnahme des Beschwerdeführers notwendig war. Ihm wurde für etwa vier Stunden die Freiheit entzogen. Es ist nicht ersichtlich, dass damit die Zeitspanne überschritten wurde, die notwendig war, um den Beschwerdeführer an der Verwirklichung seiner Absichten zu hindern.

Aus diesen Gründen kommen wir zu dem Schluss, dass die Ingewahrsamnahme des Beschwerdeführers nach Artikel 5 Abs. 1 Buchst. c gerechtfertigt werden konnte.

Zuletzt aktualisiert am Januar 3, 2021 von eurogesetze

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