ZOCK gegen Deutschland (Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte) Individualbeschwerde Nr. 3098/08

EUROPÄISCHER GERICHTSHOF FÜR MENSCHENRECHTE
FÜNFTE SEKTION
ENTSCHEIDUNG
Individualbeschwerde Nr. 3098/08
Z. ./. Deutschland

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (Fünfte Sektion) hat in seiner Sitzung am 2. April 2013 als Ausschuss mit der Richterin und den Richtern

Bostjan M. Zupancic, Präsident,
Angelika Nußberger,
Helena Jäderblom, Richter,
sowie Stephen Phillips, Stellvertretender Sektionskanzler,

im Hinblick auf die oben genannte Individualbeschwerde, die am 17. Januar 2008 erhoben wurde,

unter Berücksichtigung der förmlichen Erklärungen, mit denen eine gütliche Einigung in der Rechtssache angenommen wird,

nach Beratung wie folgt entschieden:

SACHVERHALT UND VERFAHREN

1. Die 19.. geborene Beschwerdeführerin, Z., ist in B. wohnhaft und war vor ihrem Ruhestand als Betriebswirtin tätig. Vor dem Gerichtshof wurde sie von Herrn N., einem in B. praktizierenden Anwalt, vertreten.

2. Die deutsche Regierung („die Regierung“) wurde durch ihren Verfahrensbevollmächtigten, Herrn Ministerialrat H.-J. Behrens vom Bundesministerium der Justiz, vertreten.

A. Hintergrund der Rechtssache

3. Seit 1975 zeigt die Beschwerdeführerin zeitweise Anzeichen einer psychiatrischen Erkrankung.

4. Mit Datum vom 17. November 1997 errichtete sie ein psychiatrisches Testament, in dem sie eine etwaige künftige Behandlung mit Antipsychotika (Neuroleptika) uneingeschränkt ablehnte.

5. Am 8.Mai 2000 wurde für sie vom Amtsgericht Berlin Mitte ein Betreuer bestellt.

B. Das in Rede stehende Verfahren

6. Am 17. Oktober 2001 beantragte der Betreuer einen Beschluss auf Unterbringung der Beschwerdeführerin zum Zwecke der Heilbehandlung.

7. Am 28. November 2001 ordnete das Amtsgericht Berlin Mitte die Zwangsunterbringung der Beschwerdeführerin in einer geschlossenen Abteilung eines psychiatrischen Krankenhauses zum Zwecke der Heilbehandlung bis zum 7. Januar 2002 an.

8. Am 7. Dezember 2001 änderte das Berliner Kammergericht den Beschluss des Amtsgerichts auf eine Beschwerde hin ab. Unter sachlicher Bestätigung der Zwangsunterbringung änderte das Beschwerdegericht den Beschluss in eine bis zum 21. Dezember 2001 geltende einstweilige Anordnung und verwies das Verfahren zur weiteren medizinischen Sachaufklärung zurück. Das Gericht erachtete die ärztliche Stellungnahme vom 15. November 2001 als nicht ausreichende Grundlage einer Zwangsunterbringungsmaßnahme, weil die Psychiaterin des Bezirksamts Pankow den förmlichen Voraussetzungen nicht genügt habe.

9. Am 11. Dezember 2001 wurde die Beschwerdeführerin zwangsweise in das St. Jospeh Krankenhaus verbracht und medikamentös mit Antipsychotika behandelt.

10. Am 7. Februar 2002 wurde die Beschwerdeführerin aus der geschlossen Abteilung des St. Joseph Krankenhauses entlassen, sie musste aber bis zum 15. März 2002 im Krankenhaus bleiben.

11. Am 10. Juli 2007 lehnte es eine aus drei Richtern bestehende Kammer des Bundesverfassungsgerichts ab, die Verfassungsbeschwerde der Beschwerdeführerin zur Entscheidung anzunehmen.

12. In ihrer Beschwerde an den Gerichtshof rügte die Beschwerdeführerin die zwangsweise medikamentöse Behandlung mit Antipsychotika, die ihr während ihrer Unterbringung verabreicht wurden, was eine völlige Missachtung ihres tatsächlichen Willens und ihres psychiatrischen Testaments von 1997 zeige.

13. Die Beschwerde wurde der beschwerdegegnerischen Regierung am 25. Mai 2012 übermittelt.

14. Am 11. Februar 2013 ging bei dem Gerichtshof die folgende Erklärung der Regierung ein:

Gütliche Einigung in der Individualbeschwerde Nr. 3098/08

Z. ./. Bundesrepublik Deutschland

Die Bundesrepublik Deutschland, vertreten durch ihren Verfahrensbevollmächtigten im Bundesministerium der Justiz, Mohrenstraße 37, 10117 Berlin, sowie die Beschwerdeführerin Z., schließen im Zusammenhang mit der von der Beschwerdeführerin vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte erhobenen Individualbeschwerde Nr. 3098/08 folgende Vereinbarung (gütliche Einigung):

1. Die Bundesrepublik Deutschland erkennt in o. g. Individualbeschwerde eine Verletzung von Artikel 8 der Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte an.

Die Bundesregierung erkennt an, dass die Beschwerdeführerin sich aufgrund Ihrer schweren gesundheitlichen Probleme in einer besonders verletzlichen Situation befand. Die in derartigen Fällen erforderliche besondere Sorgfalt wurde im vorliegenden Fall nicht beachtet. Hinsichtlich der Frage, ob eine medikamentöse Zwangsbehandlung von unter Betreuung stehenden Personen generell mit Artikel 8 der Konvention vereinbar ist, hat der der Bundesgerichtshof in zwei Beschlüssen vom 20. Juni 2012 festgestellt, dass die aktuelle Gesetzeslage in Deutschland nicht als ausreichende Grundlage für derartige Zwangsbehandlungen angesehen werden kann.

2. Die Bundesrepublik Deutschland verpflichtet sich, an die Beschwerdeführerin als Ausgleich für sämtliche Ansprüche im Zusammenhang mit o. g. Individualbeschwerde einen Gesamtbetrag von 14.000,00 € zu bezahlen. Dieser Gesamtbetrag setzt sich zusammen aus 12.000 € als Entschädigung für die erlittene Konventionsverletzung sowie 2.000 € als Ersatz für entstandene Kosten und Auslagen.

3. Mit Bezahlung dieses Betrags sind alle denkbaren Ansprüche gegen die Bundesrepublik Deutschland, insbesondere die Entschädigung der Beschwerdeführerin sowie Kosten und Auslagen, abgegolten. Als Nachweis für die Zahlung genügt die Kopie der Auszahlungsanordnung des Bundesamts für Justiz an die zuständige Bundeskasse.

4. Der Betrag ist zahlbar innerhalb von drei Monaten, nachdem der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte aufgrund der gütlichen Einigung nach Artikel 39 EMRK in Verbindung mit Artikel 75 Abs. 4 und Artikel 43 Abs. 3 seiner Verfahrensordnung entschieden hat, die Rechtssache aus seinem Register zu streichen.

5. Die Beschwerdeführerin erklärt hiermit ihr Einverständnis mit der Streichung der Beschwerde aus dem Register.

6. Die Beschwerdeführerin verzichtet auf die Geltendmachung etwaiger weiterer Forderungen gegen die Bundesrepublik Deutschland und das Land B. im Zusammenhang mit dem der Individualbeschwerde zugrundeliegenden Sachverhalt. Die Bundesrepublik Deutschland und das Land B. nehmen diesen Verzicht an.

7. Der Verfahrensbevollmächtigte der Bundesrepublik Deutschland wird diese Vereinbarung dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte mitteilen.“

15. Darüber hinaus beantragte die Regierung, die Beschwerde gemäß Artikel 39 Abs. 3 der Konvention im Register zu streichen.

16. Am 26. Februar 2013 ging beim Gerichtshof ein Schreiben des Verfahrensbevollmächtigten der Beschwerdeführerin ein, in dem die von der Regierung vorgelegte Vereinbarung über eine gütliche Einigung bestätigt wurde.

RECHTLICHE WÜRDIGUNG

17. Der Gerichtshof nimmt die zwischen den Parteien erreichte gütliche Einigung zur Kenntnis. Er ist überzeugt, dass die Einigung auf der Grundlage der Achtung der Menschenrechte getroffen wurde, wie sie in der Konvention und ihren Protokollen anerkannt sind, und stellt fest, dass keine Gründe vorliegen, die eine weitere Prüfung der Beschwerde rechtfertigen würden (Artikel 37 Abs. 1 in fine).

In Anbetracht der vorstehenden Ausführungen ist es angezeigt, die Rechtssache im Register zu streichen.

Aus diesen Gründen entscheidet der Gerichtshof einstimmig:

die Beschwerde gemäß Artikel 39 der Konvention im Register zu streichen.

Stephen Phillips                                               Boštjan M. Zupančič
Stellvertretender Sektionskanzler                            Präsident

Zuletzt aktualisiert am Januar 3, 2021 von eurogesetze

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