RECHTSSACHE I. S. ./. DEUTSCHLAND (Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte) Individualbeschwerde Nr. 31021/08

EUROPÄISCHER GERICHTSHOF FÜR MENSCHENRECHTE
FÜNFTE SEKTION
RECHTSSACHE I. S. ./. DEUTSCHLAND
(Individualbeschwerde Nr. 31021/08)
URTEIL
STRASSBURG
5. Juni 2014

Dieses Urteil wird nach Maßgabe des Artikels 44 Abs. 2 der Konvention endgültig. Es wird gegebenenfalls noch redaktionell überarbeitet.

In der Rechtssache I. S. ./. Deutschland

hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (Fünfte Sektion) als Kammer mit den Richterinnen und Richtern

Mark Villiger, Präsident,
Angelika Nußberger,
Boštjan M. Zupančič,
Ann Power-Forde,
Ganna Yudkivska,
Helena Jäderblom,
Aleš Pejchal,
sowie Claudia Westerdiek, Sektionskanzlerin,

nach nicht öffentlicher Beratung am 6. Mai 2014

das folgende Urteil erlassen, das am selben Tag angenommen wurde.

VERFAHREN

1. Der Rechtssache lag eine Individualbeschwerde (Nr. 31021/08) gegen die Bundesrepublik Deutschland zugrunde, die eine deutsche Staatsangehörige, Frau I. S. („die Beschwerdeführerin“), am 19. Juni 2008 nach Artikel 34 der Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten („die Konvention“) beim Gerichtshof eingereicht hatte. Der Kammerpräsident hat dem Antrag der Beschwerdeführerin stattgegeben, ihren Namen nicht offenzulegen (Artikel 47 Abs. 3 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs).

2. Die Beschwerdeführerin wurde von Herrn R., Rechtsanwalt in B., vertreten. Die deutsche Regierung („die Regierung“) wurde durch ihre Verfahrensbevollmächtigte, Frau Regierungsdirektorin K. Behr vom Bundesministerium der Justiz, vertreten.

3. Die Beschwerdeführerin machte geltend, dass die Entscheidungen der deutschen Gerichte ihr Recht auf Achtung ihres Familien- und Privatlebens aus Artikel 8 der Konvention verletzt hätten. Zwar habe sie ihre neugeborenen Zwillinge zur Adoption freigegeben, allerdings sei ihr eine „halboffene“ Adoption versprochen worden, bei der sie Umgang mit und Auskunft über die Kinder erhalten sollte. Dies hätten die deutschen Gerichte nicht respektiert.

4. Am 9. Januar 2012 wurde die Beschwerde der Regierung übermittelt. Am 20. Juni 2012 teilte die Beschwerdeführerin dem Gerichtshof mit, dass sie ihre Rüge nach Artikel 6 der Konvention nicht weiterverfolgen wolle.

SACHVERHALT

5. Die 19[…] geborene Beschwerdeführerin, Frau I. S., ist deutsche Staatsangehörige und in B. wohnhaft.

I. DIE UMSTÄNDE DER RECHTSSACHE

A. Der Hintergrund der Rechtssache

6. Die Beschwerdeführerin heiratete 1986 und bekam zwei Kinder. 1991 und 1992 erlitt sie eine Fehlgeburt und eine Totgeburt, was zu einem langwierigen psychischen Trauma bei ihr führte.

7. Im Sommer 1999 wurde sie nach einer außerehelichen Affäre mit Zwillingen schwanger. Der leibliche Vater bestand, genau wie der Ehemann der Beschwerdeführerin, auf einer Abtreibung. Beide Männer drohten ihr, sie zu verlassen.

8. Im November 1999 zog der Ehemann der Beschwerdeführerin aus und drohte an, die Unterhaltszahlungen für seine zwei Söhne und die Beschwerdeführerin einzustellen. Er setzte die Beschwerdeführerin noch weiter unter Druck, indem er ihr androhte, jeglichen Kontakt zu seinen Söhnen abzubrechen, sollte sie auf Unterhaltszahlungen klagen. Gleichzeitig bot er der Beschwerdeführerin an, zu ihr zurückzukehren, wenn sie die „illegitimen“ Kinder weggebe. Die Schwester und die Mutter der Beschwerdeführerin verweigerten ihr die Unterstützung. Die Beschwerdeführerin litt unter starken Schuldgefühlen, weil sie das familiäre Umfeld ihrer beiden Söhne zerstört hatte. Dennoch war sie entschlossen, keinen Schwangerschaftsabbruch vornehmen zu lassen.

9. Am 19. April 2000 kamen die Zwillingsmädchen S. und M. zu früh zur Welt. Die Beschwerdeführerin und die beiden Neugeborenen mussten in der Klinik bleiben, wo die Beschwerdeführerin die Kinder bis zum 7. Mai 2000 betreute.

Die Beschwerdeführerin machte keine Angaben zur Person des leiblichen Vaters der Zwillinge.

B. Das Adoptionsverfahren

10. Die Beschwerdeführerin nahm während ihrer Schwangerschaft erstmals Kontakt zum Jugendamt Bielefeld auf. Angeblich hatte sie ursprünglich aufgrund ihrer schwierigen familiären und finanziellen Situation eine Pflegeunterbringung der Zwillinge in Erwägung gezogen. Den Angaben der Beschwerdeführerin zufolge wurde ihr stattdessen vom Jugendamt eine Adoption nahegelegt, da für die Pflegeunterbringung die Beschwerdeführerin oder ihr Ehemann aufzukommen hätten.

11. Von Januar bis Oktober 2000 begab sich die Beschwerdeführerin auf Anraten ihres Frauenarztes in psychologische Behandlung. Ihrem Psychoanalytiker zufolge war die Beschwerdeführerin depressiv, wies suizidale Tendenzen auf, litt unter Angststörungen, Panikattacken und sehr starken Schuldgefühlen sowie Schlafstörungen. Die Beschwerdeführerin fühlte sich mit der Situation und den anstehenden Entscheidungen überfordert. Im Rahmen der Behandlung wurde auch über die mögliche Adoption gesprochen.

12. Da die Beschwerdeführerin die Neugeborenen nicht mit nach Hause nehmen konnte, willigte sie ein, diese mit dem Ziel einer späteren Adoption vorübergehend in Pflege zu geben. Auf diese Weise hoffte sie, einen zu häufigen Wechsel der primären Betreuungspersonen für die Kinder vermeiden zu können. Angeblich teilte man ihr mit, dass die beiden Neugeborenen im Falle einer Pflegeunterbringung zunächst für sechs Monate zu einer Notfallpflegefamilie und anschließend in eine Dauerpflegefamilie kommen würden.

13. Ab dem 8. Mai 2000 wurde ihr von einer Mitarbeiterin des Bielefelder Jugendamts geraten, die Kinder nicht mehr zu besuchen, wenn sie sie wirklich zur Adoption freigeben wolle.

14. Am 19. Mai 2000 wurden die Kinder dem Paar übergeben, das später zu ihren Adoptiveltern wurde.

15. Im Sommer 2000 fand ein persönliches Treffen zwischen der Beschwerdeführerin und den künftigen Adoptiveltern der Zwillinge statt. Angeblich war die Beschwerdeführerin so verzweifelt, dass sie in Tränen ausbrach und die Begegnung vorzeitig abbrechen musste.

16. Am 1. September 2000 wurde mit Beschluss des Amtsgerichts Bielefeld (34 F 1306/00) gerichtlich festgestellt, dass der Ehemann der Beschwerdeführerin nicht der Vater der Zwillinge sei. Die Beschwerdeführerin begann, in Vollzeit zu arbeiten, um für sich und ihre zwei Söhne zu sorgen.

17. Am 9. November 2000 gab die Beschwerdeführerin vor dem Notar D. R. in Bielefeld die förmliche Adoptionseinwilligungserklärung ab. Die Erklärung lautet:

„Ich gebe meine Einwilligung dazu, dass meine am 19.04.2000 in Bielefeld geborene[n] Kinder S. und M. von denjenigen Eheleuten als Kinder angenommen werden, deren Personalien sich aus der Adoptionsliste Nr. […] des Stadtjugendamtes Bielefeld ergeben.

Ich gebe diese Erklärung gegenüber dem zuständigen Vormundschaftsgericht ab. Mir ist bewusst, dass die Einwilligungserklärung unwiderruflich ist.

Über die Rechtswirkung einer Annahme als Kind, insbesondere darüber, dass das Verwandtschaftsverhältnis der Kinder und ihrer Abkömmlinge zu mir und meinen Verwandten und alle sich daraus ergebenden Rechte und Pflichten durch die Annahme erlöschen, bin ich vom Notar belehrt worden

Ich habe auch ohne Nennung des Namens der zukünftigen Eltern meiner Kinder das Vertrauen zum Stadtjugendamt Bielefeld, dass es die Wahl der Eltern pflichtgemäß vorgenommen und dabei die Interessen der Kinder vollauf gewahrt hat.

Sollte es das Vormundschaftsgericht für notwendig ansehen, mich von der Einleitung oder Beendigung der Pflegschaft, der Einleitung oder Beendigung der Vormundschaft über meine Kinder oder den Ausspruch der Annahme als Kind in Kenntnis zu setzen, so bevollmächtige ich das Stadtjugendamt Bielefeld, diese Zustellungen für mich in Empfang zu nehmen.“

18. Da die Identität des leiblichen Vaters der Kinder weiterhin nicht bekannt war, konnte er der Adoption weder zustimmen noch widersprechen.

19. Nach Abgabe der Einwilligungserklärung trafen sich die Beschwerdeführerin, die vorgesehenen Adoptiveltern und die Zwillinge noch einmal persönlich. Am 25. November 2000 trafen die vorgesehenen Adoptiveltern und die Beschwerdeführerin bei einem Treffen beim Fachdienst Soziale Dienste des Kreises Stormarn in Anwesenheit eines Mitarbeiters eine mündliche Vereinbarung. Es wurde überlegt, dass die Adoptiveltern jährlich einen kleinen Bericht mit Fotos der Kinder über das Jugendamt Bielefeld an die leibliche Mutter schicken würden. Ob diese Vereinbarung auch Regelungen zu regelmäßigen Treffen zwischen den Kindern und der Beschwerdeführerin enthielt, ist strittig. Ein persönliches Treffen im Sommer 2001 wurde in Erwägung gezogen, fand aber nicht statt.

20. Am 1. Februar 2001 erklärten die künftigen Adoptiveltern vor einem Notar ihren Wunsch, die Zwillingsschwestern S. und M. zu adoptieren.

21. Im März 2001 wurde die Entwicklung der bei den vorgesehenen Adoptiveltern in Pflege befindlichen Kinder vom Landrat des Kreises Stormarn – Fachdienst Soziale Dienste und Adoption – begutachtet.

22. Am 21. Juni 2001 hörte das Amtsgericht (Vormundschaftsgericht) Reinbek im Beisein der Zwillinge die vorgesehenen Adoptiveltern an (Verfahren 2 XVI 1/01). In dem entsprechenden Protokoll heißt es:

„Es wird ein Gespräch über den bisherigen Verlauf des Zusammenlebens geführt. Hierbei werden insbesondere Ängste erörtert, die daraus resultieren, dass die leibliche Mutter offensichtlich große Schwierigkeiten in der psychischen Bewältigung der Abgabe ihrer Kinder hat. Von dort gibt es, da eine halboffene Adoption vereinbart worden ist, Signale, die darauf schließen lassen, dass die Mutter einen Kontakt zu den Zwillingen sucht. Mit den Mitarbeitern des Jugendamtes und der leiblichen Mutter bleibt es jedoch bei der Vereinbarung, dass jährlich Fotos der Kinder an die leibliche Mutter gesandt werden. Auch sollen die Kinder frühzeitig über die Adoption in Kenntnis gesetzt werden.“

23. Mit Beschluss vom selben Tag sprach das Amtsgericht Reinbek die Adoption von S. und M. aus und erklärte diese zu rechtmäßigen Kindern der Adoptiveltern. Der Familienname und die Vornamen der Kinder wurden entsprechend geändert.

C. Das Verfahren zur Nichtigerklärung der Adoptionseinwilligungserklärung der Beschwerdeführerin

24. Am 11. April 2002 strengte die Beschwerdeführerin vor dem Amtsgericht Bielefeld ein Verfahren an, mit dem Ziel, ihre Adoptionseinwilligungserklärung für nichtig erklären zu lassen. Das Gericht gab den Fall an das zuständige Amtsgericht Reinbek ab (2 XVI 6/02). Die Beschwerdeführerin brachte vor, dass die Adoption ungültig sei, da der Kindsvater dieser nicht zugestimmt habe. Außerdem trug sie vor, dass sie sich zum Zeitpunkt der Einwilligung entweder in einem vorübergehenden oder einem krankhaften, die freie Willensbestimmung ausschließenden Zustand der Störung der Geistestätigkeit befunden habe. Ihr sei nicht bewusst gewesen, was sie getan habe. Sie habe – laut medizinischem Befund – seit ihrer Traumatisierung durch die Totgeburt 1992 unter einer „schweren reaktiven Depression mit akuter Suizidgefährdung“ gelitten.

25. Die Verfahrenspflegerin der Kinder trug vor, dass eine Aufhebung der Adoption dem Wohl der Kinder zuwiderlaufen würde, da diese sich von Geburt an nahezu ohne Unterbrechung in der Pflege der Adoptiveltern befunden hätten, die eine sehr gute elterliche Beziehung zu den Kindern aufgebaut hätten.

26. Als Reaktion auf die Argumente der Verfahrenspflegerin zog die Beschwerdeführerin ihren Antrag im Hinblick auf das Sorgerecht teilweise zurück und stellte klar, dass sie nicht länger beabsichtige, die Kinder in ihre eigene Familie zu integrieren. Sie erkannte an, dass die Kinder gut versorgt und vollständig in die Adoptivfamilie eingebunden seien. Sie betonte, dass es ihr darum gehe, die Verwandtschaftsbeziehung wiederherzustellen, um so ein Recht auf Umgang mit den Kindern zu haben. Ihrer Meinung nach habe das Jugendamt Bielefeld ihre verletzliche Situation zum Zeitpunkt der Entbindung ausgenutzt; heute sei sie überzeugt, dass sie in unzulässiger Weise dazu gedrängt worden sei, die Kinder zur Adoption freizugeben.

27. Das Amtsgericht Reinbek holte ein psychiatrisches Gutachten dazu ein, ob die Beschwerdeführerin zum Zeitpunkt ihrer Einwilligung in die Adoption vorübergehend einwilligungsunfähig gewesen sei. Der Gutachter nahm Kontakt zu der Beschwerdeführerin, ihrem damaligen Psychoanalytiker und ihrem langjährigen Frauenarzt auf. Dem psychiatrischen Sachverständigen zufolge hatte sich die Beschwerdeführerin seit der Feststellung ihrer Schwangerschaft in einer extremen Konfliktsituation befunden. Dadurch habe sich die Depression, unter der sie bereits aufgrund der unbeabsichtigten Totgeburt im Jahr 1992 gelitten habe, verstärkt. Er brachte die Entscheidung der Beschwerdeführerin für eine Adoptionsfreigabe der Zwillingsschwestern mit ihrem Wunsch in Verbindung, ihren Ehemann zurückzugewinnen. Er diagnostizierte bei der Beschwerdeführerin eine gewisse Persönlichkeitsschwäche und eine Abhängigkeit von männlicher Autorität. Dennoch konnte er keine gegenwärtige oder frühere psychotische Erkrankung feststellen und kam daher zu dem Schluss, dass die Beschwerdeführerin zum Zeitpunkt ihrer Einwilligung in die Adoption zwar an einem tiefen inneren Konflikt gelitten habe, aber dennoch rechtlich in der Lage gewesen sei, eine eigene Entscheidung zu treffen.

28. Am 4. Juni 2003 fand eine Anhörung der Beschwerdeführerin vor Gericht statt, bei der sie erklärte, wie das Jugendamt Bielefeld ihrer Meinung nach ihren Wunsch, ihre Kinder im Sommer 2000 zu sehen, in unzulässiger Weise ausgenutzt hatte, um sie zur Unterzeichnung der Adoptionserklärung zu drängen.

29. Mit Beschluss vom 10. Juni 2003 wies das Amtsgericht Reinbek den Antrag der Beschwerdeführerin zurück. Es erkannte die extreme Konfliktsituation, in der sich die Beschwerdeführerin zum Zeitpunkt ihrer Einwilligung in die Adoption befunden hatte, und die daraus resultierenden psychologischen Konsequenzen an. Es stellte fest, dass zur Bewältigung der persönlichen Krise der Beschwerdeführerin möglicherweise andere Lösungen als die Freigabe der Kinder zur Adoption zur Verfügung gestanden hätten. In Übereinstimmung mit dem Gutachten stellte das Gericht jedoch fest, dass die Beschwerdeführerin dennoch in der Lage gewesen sei, Entscheidungen zu treffen. Ferner stellte das Gericht fest, dass die Beschwerdeführerin nicht berechtigt sei, sich auf die fehlende Adoptionseinwilligung des Kindsvaters zu berufen.

30. Da die Beschwerdeführerin keine Beschwerde gegen den Beschluss einlegte, wurde er rechtskräftig.

D. Die Verfahren über das Umgangs- bzw. Auskunftsrecht der Beschwerdeführerin

1. Das Verfahren vor dem Amtsgericht Reinbek

31. Am 14. November 2002 strengte die Beschwerdeführerin beim Amtsgericht Reinbek ein Verfahren (1 F 32/02) an mit dem Ziel, Umgang mit den Kindern und das Recht auf Auskünfte über sie zu erhalten. Sie brachte vor, dass ihr halbjährliche Treffen mit den Kindern sowie Briefe und Fotos von ihnen versprochen worden seien. Entsprechend dieser Vereinbarung sei im Juni 2001 ein Treffen mit den Kindern geplant gewesen, das jedoch nicht stattgefunden habe, da die verantwortliche Mitarbeiterin des Jugendamts Bielefeld längerfristig beurlaubt worden sei. Die abwesende Mitarbeiterin sei nicht durch einen anderen Mitarbeiter des Jugendamts ersetzt worden. Im September 2001 habe die Beschwerdeführerin Fotos der Kinder erhalten. Als sie erwähnt habe, dass sie darüber nachdenke, ihre Einwilligung in die Adoption zurückzunehmen, hätten ihr Mitarbeiter des Jugendamts Bielefeld angedroht, ihren Umgang mit den Kindern zu beenden. Ein an die Adoptiveltern gerichteter Brief der Beschwerdeführerin, den sie dem Jugendamt Bielefeld überreicht habe, sei mit dem Hinweis zurückgesendet worden, sie solle sich in psychologische Behandlung begeben. Die Beschwerdeführerin gründete ihren Anspruch auf Umgang auf § 1666 sowie zusätzlich auf § 1685 Abs. 2 BGB (siehe „Das einschlägige innerstaatliche Recht“). Ihren Anspruch auf Auskünfte über die Kinder gründete sie auf § 1686 BGB.

32. Am 2. Juli 2003 wurden die Adoptiveltern angehört. Sie widersprachen der Forderung der Beschwerdeführerin und beantragten deren Zurückweisung. Sie beriefen sich auf die rechtliche Grundlage der Adoption im BGB, das ausschließlich eine anonyme Adoption vorsehe. Laut Verhandlungsprotokoll erklärten die Adoptiveltern, dass sie weiterhin vorhätten, die Kinder vor deren Einschulung über die Adoption zu informieren. Sie hätten vorgehabt, die Mutter der Kinder zusammen mit den Kindern im Frühling 2001 zu treffen. Dieses Treffen sei ausschließlich zugunsten der Beschwerdeführerin geplant gewesen, da die Kinder nicht davon profitiert hätten. Sie hätten vorgehabt, der Beschwerdeführerin Briefe mit Auskünften über die Kinder zu schicken. In Anbetracht des Gerichtsverfahrens fühlten sie sich jetzt jedoch unsicher und zögen es vor, die Gerichtsentscheidungen abzuwarten.

33. Mit Beschluss vom 21. Juli 2003 wies das Amtsgericht Reinbek den Antrag der Beschwerdeführerin auf Umgang mit den Kindern ab. Nach Ansicht des Gerichts war § 1684 BGB auf den Fall der Beschwerdeführerin nicht anzuwenden, da sie ihre rechtliche Stellung als Elternteil durch die Adoption verloren habe. Eine analoge Anwendung der Bestimmung sei entsprechend einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 9. April 2003 (1 BvR 1493/96) nicht möglich. Auch aus § 1685 BGB, der zwar anwendbar sei, würde sich für die Beschwerdeführerin kein Umgangsrecht ergeben, da sie die rechtlichen Voraussetzungen nicht erfülle. Die Beschwerdeführerin könne nicht als Person angesehen werden, die längere Zeit für die Kinder gesorgt habe. Tatsächlich habe sie die Kinder nur zwei Wochen lang betreut. Selbst wenn der vom Bundesverfassungsgericht in der oben genannten Entscheidung aufgestellte Maßstab − das Bestehen oder Nichtbestehen einer sozial-familiären Beziehung − angewendet würde, könne der Beschwerdeführerin kein Umgang gewährt werden, da sie keine wesentliche sozial-familiäre Beziehung zu den Kindern aufgebaut habe. Die Zeit der Schwangerschaft und die zwei Wochen nach der Geburt reichten hierfür nicht aus. Das Bürgerliche Gesetzbuch räume den Adoptiveltern das alleinige Recht ein, Umgangskontakte mit den Kindern herbeizuführen, einzuräumen oder zu verwehren, und zwar auch im Hinblick auf die leibliche Mutter. Ferner legte das Gericht dar, dass die erst drei Jahre alten Kinder damit überfordert sein könnten, zwei Mütter zu haben.

34. Am 28. Juli 2003 wies das Gericht auch den Antrag der Beschwerdeführerin auf Auskünfte über die Kinder zurück. § 1686 BGB sei nicht anwendbar, da die Beschwerdeführerin kein Elternteil mehr sei. Soweit § 1686 BGB weiter ausgelegt werden könne, würde er trotzdem nicht auf die Beschwerdeführerin angewendet werden können, da ihr Fall nicht in den Geltungsbereich von § 1685 BGB falle.

2. Das Verfahren vor dem Oberlandesgericht Schleswig

35. Am 11. August 2003 legte die Beschwerdeführerin Beschwerde beim Oberlandesgericht Schleswig ein. Sie rügte in erster Linie, dass das Amtsgericht Reinbek weder über § 1666 BGB als mögliche Grundlage ihrer Forderung, noch über das Vorliegen einer vertraglichen Regelung entschieden habe; darüber hinaus sei ihr Antrag auf Einholung eines Sachverständigengutachtens über das Wohl der Kinder ignoriert worden. Sie brachte ferner vor, das Kriterium des „längeren Zeitraums“ müsse, wenn es auf Eltern-Kind-Beziehungen angewandt werde, aus dem Blickwinkel des Kindes ausgelegt werden, dessen Zeitempfinden von dem der Erwachsenen abweiche. Die leibliche Mutter sei immer eine „Bezugsperson“ im Sinne von § 1685 BGB; dies ändere sich auch dann nicht, wenn die leibliche Mutter keine rechtliche Verantwortung mehr trage. Im Hinblick auf das Auskunftsrecht brachte sie vor, dass sie zwar der Adoption zugestimmt habe, aber weiterhin die leibliche Mutter sei und der verfassungsrechtliche Schutz der Familie daher auch für sie gelte. Selbst das Bundesverfassungsgericht habe anerkannt, dass während der Schwangerschaft eine psychosoziale Beziehung zwischen Mutter und Fötus entstehe (Urteil vom 29. Januar 2003 − 1 BvL 20/99 und 1 BvR 933/01). Schließlich rügte sie auch die Verfahrensdauer.

36. Am 22. Oktober 2003 wurde der Beschwerdeführerin Prozesskostenhilfe gewährt.

37. Am 30. Januar 2004 wies das Oberlandesgericht Schleswig die Beschwerden der Beschwerdeführerin gegen die Beschlüsse des Amtsgerichts Reinbek vom 21. und 28. Juli 2003 zurück (10 UF 199/03 und 10 UF 222/03). Am 15. Dezember 2003 und am 30. Januar 2004 hatten mündliche Verhandlungen stattgefunden. In Bezug auf die Dauer des Verfahrens vor dem Amtsgericht stellte das Oberlandesgericht Schleswig fest, dass der Fall komplex und eine Verfahrensdauer von siebeneinhalb Monaten vor diesem Gericht daher angemessen gewesen sei. Im Hinblick auf das Umgangsrecht der Beschwerdeführerin befand das Gericht, dass lediglich § 1685 BGB anwendbar sei. Obwohl die Beschwerdeführerin die leibliche Mutter der Kinder sei, gehöre sie nicht zum Kreis der Personen, die „mit dem Kind längere Zeit in häuslicher Gemeinschaft zusammengelebt“ haben. Dem Gericht zufolge fallen nur Pflegeeltern unter diesen Begriff. Darüber hinaus müsse für die Beurteilung, ob ein „langerZeitraum“ vorliege, festgestellt werden, ob ein Kind seine „Bezugswelt“ bei der betreffenden Person gefunden habe. In der vorliegenden Rechtssache sei die Zeit der Schwangerschaft irrelevant, da ein ungeborenes Kind keine Vorstellung von seiner Bezugswelt habe. § 1685 BGB sei mit dem verfassungsrechtlichen Schutz der Familie vereinbar. Das Umgangs- und Sorgerecht der leiblichen Mutter erlösche im Moment der Adoption. Die Rechtsvorschriften für Adoptionen hätten die ungestörte Entwicklung des Kindes zum Ziel und dienten dem Wohl des adoptierten Kindes, das vollständig in die Adoptivfamilie integriert werden müsse; die leibliche Familie trete nach dem Willen des Gesetzgebers in den Hintergrund. Selbst wenn die vom Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil vom 9. April 2003 aufgestellten Kriterien hinsichtlich des leiblichen Vaters eines nichtehelich geborenen Kindes angewendet würden, hätte die Mutter längere Zeit mit den Kindern zusammenleben müssen, was hier nicht der Fall sei. Wie die Beschwerdeführerin wisse, könne das Umgangsrecht auf der Grundlage einer vertraglichen Regelung nicht von den Familiengerichten durchgesetzt werden, da diesen hierzu die Regelungsbefugnis fehle. § 1666 BGB biete keine Grundlage für ein anderes Ergebnis.

38. Nachdem es den Anspruch der Beschwerdeführerin, Auskünfte über die Kinder zu erhalten, nach § 1686 geprüft hatte, befand das Gericht, dass die Beschwerdeführerin seit dem Zeitpunkt der Adoption nicht mehr Elternteil sei. Da die gesetzliche Grundlage eindeutig sei und der Kreis der Personen, die ein solches Auskunftsrecht hätten, streng auf die Eltern beschränkt sei, komme für das Gericht keine andere Auslegung in Betracht.

3. Das Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht

39. Am 8. März 2004 erhob die Beschwerdeführerin Verfassungsbeschwerde gegen die Verwehrung ihrer Rechte auf Auskunft über und Umgang mit den Zwillingsschwestern nach der Adoption.

40. Mit Beschluss vom 13. Dezember 2007, der dem Rechtsanwalt der Beschwerdeführerin am 19. Dezember 2007 zugestellt wurde, lehnte es eine aus drei Verfassungsrichtern bestehende Kammer ab, die Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung anzunehmen.

E. Weitere Entwicklungen und Verfahren

41. Im Juni 2003 strengte die Beschwerdeführerin auch ein Verfahren über die Bestellung eines Verfahrenspflegers für die Zwillingsschwestern an, um den Kindern eine Verfassungsbeschwerde gegen die Adoptionsentscheidung des Vormundschaftsgerichts Reinbek vom 21. Juni 2001 (2 XVI 1/01) zu ermöglichen. Dieses Verfahren ist Gegenstand einer weiteren Beschwerde vor dem Gerichtshof (Individualbeschwerde Nr. 30296/08).

42. Die Beschwerdeführerin wurde von ihrem Mann geschieden und ist nun erneut verheiratet. Mit ihrem neuen Ehemann hat sie 2003 ein Kind bekommen.

43. Mit Schreiben vom 16. Dezember 2011 hat der Gerichtshof der Beschwerdeführerin mitgeteilt, dass in der Bundesrepublik Deutschland am 3. Dezember 2011 das Gesetz über den Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren und strafrechtlichen Ermittlungsverfahren (BGBl I, 2011, S. 2302 f.) in Kraft getreten ist.

II. DAS EINSCHLÄGIGE INNERSTAATLICHE RECHT

A. Artikel 6 Abs. 1 und 2 des Grundgesetzes

„(1) Ehe und Familie stehen unter dem besonderen Schutze der staatlichen Ordnung.

(2) Pflege und Erziehung der Kinder sind das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht. Über ihre Betätigung wacht die staatliche Gemeinschaft.“

B. Die einschlägigen Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuchs

1. Elterliche Sorge, Grundsätze

44. Nach § 1626 haben die Eltern die Pflicht und das Recht, für ihre minderjährigen Kinder zu sorgen (elterliche Sorge). Die elterliche Sorge umfasst die Sorge für die Person des Kindes und das Vermögen des Kindes.

45. In seinem Beschluss vom 29. Januar 2003 (1 BvL 20/99, 1 BvR 933/01) erkannte das Bundesverfassungsgericht die Entscheidung des Gesetzgebers an, die elterliche Sorge für nichtehelich geborene Kinder zunächst der Mutter zu übertragen. Das Bundesverfassungsgericht war der Auffassung, dass sich zwischen Mutter und Kind schon während der Schwangerschaft neben der biologischen Verbundenheit eine Beziehung entwickle, die sich nach der Geburt fortsetze.

2. Vorschriften zur Adoption

46. § 1747 bestimmt, dass für die Adoption eines Kindes die Einwilligung der Eltern erforderlich ist. Die Einwilligung kann erst erteilt werden, wenn das Kind acht Wochen alt ist. Sie ist auch dann wirksam, wenn der Einwilligende die schon feststehenden Adoptiveltern nicht kennt.

47. § 1750 sieht vor, dass die Einwilligung dem Familiengericht gegenüber zu erklären ist und die Erklärung der notariellen Beurkundung bedarf. Die Einwilligung wird in dem Zeitpunkt wirksam, in dem sie dem Familiengericht zugeht. Die Einwilligung kann nicht unter einer Bedingung oder einer Zeitbestimmung erteilt werden. Sie ist unwiderruflich.

48. Laut § 1751 Abs. 1 ruht mit der Einwilligung eines Elternteils in die Adoption die elterliche Sorge dieses Elternteils; die Befugnis zum persönlichen Umgang mit dem Kind darf nicht ausgeübt werden.

49. Nach § 1754, soweit für diesen Fall maßgeblich, hat eine Adoption die Wirkung, dass das adoptierte Kind die rechtliche Stellung eines Kindes der Adoptiveltern erlangt. Die elterliche Sorge wird von den Adoptiveltern gemeinsam ausgeübt. § 1755 sieht vor, dass mit Wirksamwerden der Adoption das Verhältnis des Kindes und seiner Abkömmlinge zu den bisherigen Verwandten und die sich aus ihm ergebenden Rechte und Pflichten erlöschen.

50. § 1758 Abs. 1 sieht vor, dass Tatsachen, die geeignet sind, die Adoption und ihre Umstände aufzudecken, nicht ohne Zustimmung der Adoptiveltern und des Kindes offenbart oder ausgeforscht werden dürfen, es sei denn, dass besondere Gründe des öffentlichen Interesses dies erfordern.

51. Die Begriffe „offene“ oder „halboffene“ Adoption werden im Bürgerlichen Gesetzbuch nicht verwendet.

3. Vorschriften über Umgangskontakte mit einem Kind

52. Nach § 1684 Abs. 1 hat ein Kind das Recht auf Umgang mit jedem Elternteil; jeder Elternteil ist zum Umgang mit dem Kind verpflichtet und berechtigt.

53. Nach § 1685 Abs. 1 und 2 in der zum Zeitpunkt der Beschlüsse des erstinstanzlichen Gerichts und des Oberlandesgerichts geltenden Fassung hatten Großeltern und Geschwister ein Recht auf Umgang mit dem Kind, wenn dieser dem Wohl des Kindes diente. Das Gleiche galt für den Ehepartner oder den früheren Ehepartner und den Lebenspartner oder früheren Lebenspartner eines Elternteils, wenn diese mit dem Kind längere Zeit in häuslicher Gemeinschaft zusammengelebt hatten, und für Personen, bei denen das Kind längere Zeit als Pflegekind gelebt hatte.

54. Nach der aktuellen ­­seit 23. April 2004 geltenden − Fassung haben enge Bezugspersonen des Kindes ein Recht auf Umgang mit dem Kind, wenn dies dem Wohl des Kindes dient und wenn diese Personen für das Kind tatsächliche Verantwortung tragen oder getragen haben (sozial-familiäre Beziehung). Eine Übernahme tatsächlicher Verantwortung ist in der Regel anzunehmen, wenn die Person mit dem Kind längere Zeit in häuslicher Gemeinschaft zusammengelebt hat. Das Gesetz musste geändert werden, da das Bundesverfassungsgericht mit Urteil vom 9. April 2003 (1 BvR 1493/96, 1724/01) § 1685 in der alten Fassung im Hinblick auf leibliche Väter, die eine sozial-familiäre Beziehung zu ihren Kindern aufgebaut haben, für mit Artikel 6 Abs. 1 GG unvereinbar erklärt hatte.

4. Vorschrift über Auskünfte über ein Kind

55. Nach § 1686 kann jeder Elternteil vom anderen Elternteil bei berechtigtem Interesse Auskunft über die persönlichen Verhältnisse des Kindes verlangen, soweit dies dem Wohl des Kindes nicht widerspricht. Über Streitigkeiten entscheidet das Familiengericht.

5. Vorschrift über dringende Maßnahmen zum Wohl des Kindes

56. Nach § 1666 in der vor Juli 2008 geltenden Fassung war das Familiengericht, wenn das körperliche, geistige oder seelische Wohl des Kindes durch missbräuchliche Ausübung der elterlichen Sorge, durch Vernachlässigung des Kindes oder durch sonstiges Versagen der Eltern gefährdet wurde, und wenn die Eltern nicht gewillt oder nicht in der Lage waren, die Gefahr abzuwenden, befugt, die zur Abwendung der Gefahr erforderlichen Maßnahmen zu treffen.

C. Das Gesetz über den Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren und strafrechtlichen Ermittlungsverfahren

57. Mit diesem Gesetz, das am 3. Dezember 2011 in Kraft trat, wurde ein innerstaatlicher Rechtsbehelf gegen überlange Gerichtsverfahren und strafrechtliche Ermittlungsverfahren geschaffen. Nach Artikel 23, der Übergangsvorschrift, gilt der neue Rechtsbehelf für anhängige sowie für abgeschlossene innerstaatliche Verfahren, sofern diese bereits Gegenstand einer Individualbeschwerde beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte sind.

D. Internationale Übereinkünfte

1. Europäisches Übereinkommen über die Adoption von Kindern (1967)

58. Deutschland hat das Übereinkommen von 1967 im April 1967 unterzeichnet und im November 1980 ratifiziert. Am 11. Februar 1981 trat es in Deutschland in Kraft.

Die maßgeblichen Bestimmungen des Übereinkommens lauten wie folgt:

„Artikel 20

1. Es sind Anordnungen zu treffen, damit ein Kind angenommen werden kann, ohne dass seiner Familie aufgedeckt wird, wer der Annehmende ist.

2. Es sind Anordnungen zu treffen, die vorschreiben oder gestatten, dass das Verfahren unter Ausschluss der Öffentlichkeit abläuft.“

2. Europäisches Übereinkommen über die Adoption von Kindern (revidiert 2008)

59. Das revidierte Europäische Übereinkommen über die Adoption von Kindern wurde am 27. November 2008 zur Unterzeichnung aufgelegt und trat am 1. September 2011 in Kraft. Deutschland hat das revidierte Übereinkommen nicht unterzeichnet. Die maßgeblichen Bestimmungen des Übereinkommens von 2008 lauten wie folgt:

„Artikel 22

1. Es können Vorkehrungen getroffen werden, damit ein Kind angenommen werden kann, ohne dass seiner Herkunftsfamilie aufgedeckt wird, wer der Annehmende ist.

2. [wie Artikel 20 Abs. 2 oben].“

RECHTLICHE WÜRDIGUNG

I. BEHAUPTETE VERLETZUNG VON ARTIKEL 8 DER KONVENTION

60. Die Beschwerdeführerin rügte, dass die Entscheidungen der deutschen Gerichte, mit denen ihr das Recht auf Umgang mit und Auskünfte über die Kinder, deren leibliche Mutter sie sei, verweigert worden sei, ihr Recht auf Achtung ihres Familien- und Privatlebens aus Artikel 8 der Konvention verletzt hätten; dieser lautet wie folgt:

„1. Jede Person hat das Recht auf Achtung ihres Privat- und Familienlebens, ihrer Wohnung und ihrer Korrespondenz.

2. Eine Behörde darf in die Ausübung dieses Rechts nur eingreifen, soweit der Eingriff gesetzlich vorgesehen und in einer demokratischen Gesellschaft notwendig ist für die nationale oder öffentliche Sicherheit, für das wirtschaftliche Wohl des Landes, zur Aufrechterhaltung der Ordnung, zur Verhütung von Straftaten, zum Schutz der Gesundheit oder der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer.“

61. Die Regierung trat diesem Vorbringen entgegen.

A. Zulässigkeit

62. Der Gerichtshof stellt fest, dass diese Rüge nicht im Sinne von Artikel 35 Abs. 3 Buchst. a der Konvention offensichtlich unbegründet ist. Sie ist auch nicht aus anderen Gründen unzulässig. Folglich ist sie für zulässig zu erklären.

B. Begründetheit

1. Die Vorbringen der Beschwerdeführerin

63. Die Beschwerdeführerin betonte insbesondere, dass ihre Einwilligung in die Freigabe ihrer Kinder zur Adoption nicht automatisch ihr „Familienleben“ im Sinne von Artikel 8 der Konvention beende. Mit der Unterzeichnung der Einwilligungserklärung habe sie nur auf ihre Rechte als gesetzlicher Elternteil verzichtet, nicht jedoch auf ihre Rechte als leibliche Mutter.

64. Die Beschwerdeführerin unterstrich, dass für sie als leibliche Mutter der adoptierten Kinder der Umgang mit den Kindern und Auskünfte über deren Wohl zumindest einen Teil ihres „Privatlebens“ ausmachten, da dies einen wichtigen Teil ihrer Identität betreffe, auch wenn sie keine Rechte in Bezug auf die Kinder mehr habe. Einer leiblichen Mutter den Umgang mit ihrem Kind zu verweigern, nachdem es adoptiert worden sei, sei unverhältnismäßig, und zwar besonders in diesem Fall, in dem die Adoptiveltern, das Jugendamt Bielefeld und die Beschwerdeführerin sich auf eine „halboffene“ Adoption geeinigt hätten, wonach die Beschwerdeführerin über die Entwicklung der Kinder habe informiert werden und diese zweimal pro Jahr habe treffen sollen.

2. Die Stellungnahmen der Regierung

65. Die Regierung brachte vor, dass kein Eingriff in das Recht der Beschwerdeführerin auf Achtung ihres Familienlebens vorgelegen habe. Jede familiäre Beziehung sei spätestens zum Zeitpunkt der Adoption erloschen. Die Regierung zitierte die Rechtssache S. ./. Deutschland, Individualbeschwerde Nr. 17080/07, Rdnr. 80, 15. September 2011, und wies darauf hin, die leibliche Verwandtschaft zwischen einem leiblichen Elternteil und einem Kind allein – d. h. ohne weitere rechtliche oder tatsächliche Merkmale, die auf das Vorliegen einer engen persönlichen Beziehung hindeuten – reiche nicht aus, um unter den Schutz von Artikel 8 zu fallen (vgl. Lebbink, a. a. O., Rdnr. 37). Die Regierung wies darauf hin, dass die Kinder in der vorliegenden Rechtssache nie bei der Beschwerdeführerin gelebt hätten.

66. Sie erkannte an, dass die Beziehung der Beschwerdeführerin mit ihren adoptierten Kindern unter den Aspekt des „Privatlebens“ in den Geltungsbereich von Artikel 8 der Konvention fallen könnte. Sie erkannte an, dass die Existenz der Kinder für die Beschwerdeführerin als deren leibliche Mutter immer ein wichtiger Aspekt ihrer Biographie bleiben würde. Sie bezweifelte jedoch, dass die Entscheidungen der innerstaatlichen Gerichte zum Umgangs- und Auskunftsrecht in das Recht der Beschwerdeführerin auf Achtung ihres Privatlebens eingegriffen hätten. Die Regierung wies darauf hin, dass die Beschwerdeführerin über alle rechtlichen Folgen der Freigabe informiert worden sei. Sie betonte ferner, dass die angeblichen Absprachen über eine „halboffene“ Adoption erst vereinbart worden seien, nachdem die Beschwerdeführerin ihre Kinder zur Adoption freigegeben habe. Zum Zeitpunkt der Adoptionsfreigabe habe es für die Beschwerdeführerin keinerlei Anhaltspunkte für die Annahme gegeben, sie könne irgendeine Art von Beziehung zu den Kindern aufrechterhalten.

3. Würdigung durch den Gerichtshof

(a) Lag ein Eingriff oder eine positive Verpflichtung vor?

67. Der Gerichtshof stellt zunächst fest, dass es bei der vorliegenden Individualbeschwerde ausschließlich um die Weigerung der innerstaatlichen Gerichte geht, der Beschwerdeführerin Umgang mit und Auskunft über ihre leiblichen Kinder einzuräumen. In der Tat bestritt die Beschwerdeführerin nicht die Gültigkeit ihrer Einwilligung in die Freigabe ihrer neugeborenen Kinder zur Adoption.

68. Der Gerichtshof stellt fest, dass die Beziehung der Beschwerdeführerin zu ihren Kindern zum Zeitpunkt ihrer Geburt unter dem Aspekt des „Familienlebens“ unter den Schutz von Artikel 8 fiel. Möglicherweise fällt die Beziehung zwischen ihr und den Kindern nicht mehr in den Anwendungsbereich des „Familienlebens“, seit sie am 9. November 2000 im Notariat die Einwilligungserklärung unterzeichnet hat, mit der die Kinder unwiderruflich zur Adoption freigegeben wurden.

69. Der Gerichtshof weist erneut darauf hin, dass die biologische Verwandtschaft zwischen einem leiblichen Elternteil und einem Kind allein – d. h. ohne weitere rechtliche oder tatsächliche Merkmale, die auf das Vorliegen einer engen persönlichen Beziehung hindeuten – nicht ausreicht, um unter den Schutz von Artikel 8 zu fallen (siehe S. ./. Deutschland, a. a. O., 17080/07, Rdnr. 80, und H. ./. Deutschland (Entsch.), Individualbeschwerde Nr. 33375/03, 18. März 2008). Obgleich der Gerichtshof in einigen Fällen die Auffassung vertrat, dass ausnahmsweise auch ein „beabsichtigtes Familienleben“ unter Artikel 8 fallen kann (siehe A../. Deutschland, Individualbeschwerde Nr. 20578/07, Rdnr. 57, 21. Dezember 2010), stellt er fest, dass die bestehende familiäre Beziehung in der vorliegenden Rechtssache von der Beschwerdeführerin mit Absicht beendet wurde. Allerdings ist der Gerichtshof der Auffassung, dass die Feststellung etwaigerverbleibender oder neu begründeter Rechte im Verhältnis zwischen der Beschwerdeführerin, den Adoptiveltern und ihren leiblichen Kindern, selbst wenn diese nicht in den Bereich des „Familienlebens“ fallen, einen wichtigen Teil der Persönlichkeit der Beschwerdeführerin als leibliche Mutter und damit ihr „Privatleben“ im Sinne von Artikel 8 Abs. 1 betrifft.

70. Der Gerichtshof stellt fest, dass die Beschwerdeführerin die Entscheidungen der deutschen Gerichte rügt, mit denen ihr das Recht auf Umgang mit und Auskünfte über die adoptierten Kinder verweigert wurde. Der Gerichtshof weist erneut darauf hin, dass Artikel 8 zwar im Wesentlichen den Schutz des Einzelnen vor willkürlichen Eingriffen der Behörden zum Gegenstand hat, den Staat aber nicht nur dazu verpflichtet, solche Eingriffe zu unterlassen: Neben dieser negativen Verpflichtung kann es auch positive Verpflichtungen geben, die sich aus einer wirksamen Achtung des Privat- oder Familienlebens ableiten. In der vorliegenden Rechtssache gibt es Merkmale, die vermuten lassen, dass die Entscheidungen der deutschen Gerichte im Lichte einer positiven Verpflichtung betrachtet werden können. Die Grenzen zwischen den positiven und negativen Verpflichtungen des Staates aus Artikel 8 lassen sich jedoch nicht genau definieren. Die anwendbaren Grundsätze sind aber dennoch vergleichbar. Bei der Beurteilung, ob eine solche Verpflichtung besteht oder nicht, ist auf einen gerechten Ausgleich zu achten, der zwischen dem Interesse der Allgemeinheit und den Interessen des Einzelnen hergestellt werden muss, und in beiden Zusammenhängenverfügt der Staat über einen gewissen Beurteilungsspielraum (siehe u. a., Mikulić ./. Kroatien, Individualbeschwerde Nr. 53176/99, Rdnr. 58, ECHR 2002‑I; Evans ./. Vereinigtes Königreich [GK], Individualbeschwerde Nr. 6339/05, Rdnr. 75, ECHR 2007‑I; und S. H. u. a. ./. Österreich [GK], Individualbeschwerde Nr. 57813/00, Rdnr. 88, ECHR 2011).

(b) Rechtfertigung nach Artikel 8 Abs. 2

71. Der Gerichtshof setzt daher seine Prüfung mit der Frage fort, ob die angegriffenen Gerichtsentscheidungen „gesetzlich vorgesehen“ waren, ein oder mehrere Ziele, die nach Absatz 2 dieser Bestimmung legitim sind, verfolgten, und als „in einer demokratischen Gesellschaft notwendig“ angesehen werden können.

(i) Gesetzlich vorgesehen

72. Der Gerichtshof stellt fest, dass weder § 1684 noch § 1685 BGB ein Recht der leiblichen Eltern auf Umgang mit ihren Kindern als solches vorsieht. Das Gleiche gilt für § 1686 BGB, der ihnen kein Recht gewährt, Auskünfte über ihre adoptierten Kinder zu erhalten.

73. Der Gerichtshof stellt ferner fest, dass die innerstaatlichen Gerichte bei ihrer Prüfung des Antrags der Beschwerdeführerin ihre rechtliche Würdigung nicht auf eine wörtliche Auslegung der Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuchs beschränkten. Im Einklang mit einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts gingen sie bei der Auslegung der genannten Bestimmungen über deren Wortlaut hinaus, indem sie sich die Frage stellten, ob zwischen den Kindern und der Beschwerdeführerin bereits eine „sozial-familiäre Beziehung“ entstanden sei und ob ein Umgang daher dem Wohl der Kinder dienen würde. Durch die Anwendung dieses Standards trugen die innerstaatlichen Gerichte den Umständen des Einzelfalles Rechnung. Bei ihrer Schlussfolgerung, dass noch keine derartige Beziehung zwischen der Beschwerdeführerin und den Zwillingen entstanden sei, unterstrichen die innerstaatlichen Gerichte insbesondere die kurze Dauer von 19 Tagen, die sie nach der Geburt der Kinder tatsächlich gemeinsam verbracht hatten. In diesem Zusammenhang weist der Gerichtshof erneut darauf hin, dass es nicht seine Aufgabe ist, sich mit Tatsachen- und Rechtsirrtümern zu befassen, die einem innerstaatlichen Gericht unterlaufen sein sollen, sofern und soweit die nach der Konvention geschützten Rechte und Freiheiten hierdurch nicht verletzt sind (siehe García Ruiz ./. Spanien [GK], Individualbeschwerde Nr. 30544/96, Rdnr. 28, ECHR 1999-I).

74. Den einschlägigen Bestimmungen zufolge stellt das Erlöschen der elterlichen Rechte der Beschwerdeführerin eine Folge ihrer Einwilligungserklärung vor dem Notar dar. Mit dieser Erklärung erloschen ihre Rechte auf Umgang mit und Auskünfte über die Kinder. In Übereinstimmung mit den gesetzlichen Bestimmungen wurde die Beschwerdeführerin vor der Unterzeichnung der Einwilligungserklärung vom Notar auf die rechtlichen Folgen der Freigabe ihrer Kinder zur Adoption hingewiesen. Der Gerichtshof stellt fest, dass die Erklärungen des Notars im Hinblick auf die Gesetzeslage nicht strittig waren. Laut der vor dem Notar abgegebenen Erklärung wurde eine „halboffene Adoption“ in diesem Zusammenhang nicht angesprochen. Der Gerichtshof stellt ferner fest, dass Notare Juristen sind, die vor ihrer Zulassung als Notare eine spezielle, auf die Beratungstätigkeit ausgerichtete Schulung durchlaufen.

75. Der Gerichtshof stellt fest, dass die innerstaatlichen Gerichte in einem gesonderten Verfahren festgestellt haben, dass die Adoptionseinwilligungserklärung in der vorliegenden Rechtssache gültig sei. Auf der Grundlage eines Sachverständigengutachtens stellten die innerstaatlichen Gerichte fest, dass die Beschwerdeführerin in der Lage gewesen sei, die Folgen der Adoptionseinwilligungserklärung zu verstehen und dementsprechend zu handeln. Als Folge daraus erloschen die elterlichen Rechte der Beschwerdeführerin endgültig, als die Adoption im Einklang mit § 1755 BGB wirksam wurde.

(ii) Legitimes Ziel

76. Der Gerichtshof stellt fest, dass die deutschen Vorschriften zur Inkognito-Adoption, die kein Recht auf Umgang mit und Auskunft über die adoptierten Kinder vorsehen, den Schutz des Privat- und Familienlebens des adoptierten Kindes zum Ziel haben. Hierbei steht die Absicht im Vordergrund, das Recht des adoptierten Kindes zu schützen, sich zu entwickeln und eine Bindung zu seinen Adoptiveltern einzugehen. Dasselbe gilt für die Adoptiveltern, die ebenfalls ein Recht auf Schutz ihres Privat- und Familienlebens haben, einschließlich des dazugehörigen Rechts, eine Bindung zu ihren Adoptivkindern aufzubauen und ein ungestörtes Familienleben zu entwickeln. Mit dieser Zielsetzung stehen die deutschen Vorschriften im Einklang mit Artikel 20 des Europäischen Übereinkommens über die Adoption von Kindern (1967) sowie mit Artikel 22 der 2008 revidierten Fassung dieses Übereinkommens, obwohl Deutschland, wie der Gerichtshof zur Kenntnis nimmt, das revidierte Übereinkommen weder unterzeichnet noch ratifiziert hat. Die Übereinkommen sehen Inkognito-Adoptionen vor, womit laut den erläuternden Berichten zu den Übereinkommen Schwierigkeiten vermieden werden sollen, die sich daraus ergeben könnten, dass die leiblichen Eltern die Identität der Adoptiveltern kennen. Der Gerichtshof stellt in diesem Zusammenhang fest, dass die neuere Fassung des Übereinkommens zwar weniger strenge Regelungen zur Adoption erlaubt, diese aber nicht favorisiert. In diesem Zusammenhang ist es auch wichtig, zu berücksichtigen, ob es in einem Staat Regeln zur Pflegeunterbringung gibt, die es den leiblichen Eltern erlauben, ihre rechtliche Stellung als Eltern weitgehend beizubehalten. Dies ist in Deutschland der Fall. Der Gerichtshof stellt fest, dass die Beschwerdeführerin vor Beginn des Adoptionsverfahrens auf die Möglichkeit der Pflegeunterbringung hingewiesen wurde, auch wenn die Informationen, wie die Beschwerdeführerin behauptet (vgl. Rdnr. 12), nicht vollständig waren.

77. Mit der Entscheidung des Oberlandesgerichts Schleswig sollte dem Willen des Gesetzgebers entsprochen werden, einer neu entstandenen familiären Beziehung zwischen Kindern und ihren Adoptiveltern, mit denen die Kinder tatsächlich zusammenleben und die im Alltag die elterliche Sorge übernehmen, Vorrang einzuräumen. Die Gerichte betonten ferner die Bedeutung dessen, sehr kleinen Kindern die Möglichkeit zu geben, sich in ihrer Adoptivfamilie ungestört zu entwickeln.

78. Angesichts dieser Überlegungen erkennt der Gerichtshof an, dass die Entscheidungen das legitime Ziel verfolgten, die Rechte und Freiheiten anderer zu schützen.

(iii) „In einer demokratischen Gesellschaft notwendig“

79. Der Gerichtshof hat sich nun mit der Frage zu befassen, ob die Entscheidungen der innerstaatlichen Gerichte zum Umgangs- und Auskunftsrecht notwendig waren, um das vorgenannte Ziel zu verfolgen und einen gerechten Ausgleich zwischen den Rechten der in Rede stehenden Kinder, der Adoptivfamilie und dem Privatleben der Beschwerdeführerin als leiblicher Mutter der Kinder herbeizuführen.

80. In diesem Zusammenhang stellt der Gerichtshof fest, dass die Adoptiveltern der Beschwerdeführerin – in Anwesenheit eines Mitarbeiters des Jugendamtes – Grund für die Erwartung einer „halboffenen“ Adoption gaben und ihr mündliches Einverständnis dazu gaben, nach der Adoption zumindest Auskünfte über die Kinder zu geben.

81. Obwohl die Begriffe „offene“ und „halboffene“ Adoption im Bürgerlichen Gesetzbuch nicht verwendet werden, nimmt der Gerichtshof das Vorbringen der Regierung zur Kenntnis, wonach das deutsche Recht „offene“ und „halboffene“ Formen der Adoption zulasse. Mit einer solchen Vereinbarung könnten mehr oder weniger intensive Kontakte (unter Vermittlung des Jugendamtes oder direkt) zwischen Adoptiveltern, Kind und leiblichen Eltern praktiziert werden. Die Regierung erklärte weiter, dass solche Formen der Adoption vom Einverständnis der nunmehr sorgeberechtigten Adoptiveltern abhingen, die die elterliche Sorge zum Wohl und im Interesse des Kindes auszuüben hätten. Im Hinblick auf die Vereinbarung im vorliegenden Fall betonte die Regierung, dass diese nur auf das Recht der Beschwerdeführerin auf Auskünfte über die Kinder Bezug nehme. Die Regierung ordnete den rechtlichen Wert solcher Absprachen als reine Willenserklärungen ein, die nicht gegen den Willen der Adoptiveltern durchgesetzt werden könnten. Die Durchsetzbarkeit solcher Entscheidungen sei nach Ansicht der Regierung nicht sinnvoll, da Adoptiveltern bei der Ausübung ihres Sorgerechts ungebunden bleiben sollten. Die Regierung verwies darüber hinaus auf § 1750 BGB, der besage, dass eine Adoptionseinwilligungserklärung weder sofort noch nachträglich unter eine Bedingung gestellt werden könne.

82. Die Beschwerdeführerin brachte wie die Regierung vor, dass sich eine „offene“ oder „halboffene“ Adoption von einer klassischen Adoption nur insoweit unterscheide, als Informationen über die Identität der Adoptiveltern offengelegt würden. Im Hinblick auf die „Vereinbarung“ betonte sie, sie habe gefordert, dass vor ihrer Unterzeichnung der Einwilligungserklärung, mit der sie ihre Elternrechte aufgegeben habe, eine Vereinbarung zu Umgangs- und Auskunftsrechten getroffen werde. Das Jugendamt habe sie jedoch dazu gedrängt, zuerst ihre Rechte aufzugeben, und habe erst danach ein Treffen zwischen ihr und den Adoptiveltern arrangiert.

83. Der Gerichtshof stellt fest, dass nichts darauf hindeutet, dass das Jugendamt oder die künftigen Adoptiveltern von den deutschen Gesetzesbestimmungen zur Adoption abweichen wollten, welche zwar eine Inkognito-Adoptionvorsehen, aber erlauben, dass die Adoptiveltern selbst ihre Identität offenbaren.

84. Der Gerichtshof betont, dass die mündlichen Absprachen zwischen der Beschwerdeführerin und den Adoptiveltern getroffen wurden, nachdem die Beschwerdeführerin durch einen Notar, einen unabhängigen Juristen, über die rechtlichen Folgen ihrer Absicht, unwiderruflich ihre Einwilligung in die Adoption zu erklären, informiert worden war. Der Gerichtshof stellt fest, dass das Erfordernis einer förmlichen Rechtsberatung durch einen unabhängigen Juristen einen wesentlichen Schutz vor Missverständnissen betreffend die Natur der Erklärung, die nicht widerrufen und nicht nachträglich von Bedingungen abhängig gemacht werden kann, darstellt.

85. Für den Gerichtshof spricht dies deutlich dafür, dass die Beschwerdeführerin die „Absprachen“ in der von der Regierung dargelegten Weise verstand, nämlich als Willenserklärung im Zusammenhang mit einem künftigen freiwilligen Verzicht auf Anonymität seitens der Adoptiveltern. Dies wird auch anhand der besonderen Umstände deutlich, unter denen die Vereinbarung getroffen wurde, nämlich mündlich und ohne Details zum Auskunfts- und Umgangsrecht.

86. Insgesamt und einschließlich des Gerichtsverfahrens betrachtet verlief das Adoptionsverfahren fair und der erforderliche Schutz der Rechte der Beschwerdeführerin war sichergestellt. Der Gerichtshof weist erneut darauf hin, dass die Rechte der Beschwerdeführerin in Bezug auf ihre leiblichen Kinder als Ergebnis von Handlungen erloschen, die sie in vollständiger Kenntnis der rechtlichen und tatsächlichen Konsequenzen vorgenommen hatte. Angesichts dessen hält der Gerichtshof die Entscheidung der deutschen Behörden, der Privatsphäre und den familiären Interessen der Adoptivfamilie mehr Gewicht beizumessen, für verhältnismäßig. Es deutet nichts darauf hin, dass die innerstaatlichen Gerichte den maßgeblichen Sachverhalt nicht hinreichend aufgeklärt hätten, insbesondere im Hinblick auf die persönlichen Verbindungen zwischen der Beschwerdeführerin und den Kindern, auch wenn sie kein Sachverständigengutachten zum Wohl der Kinder eingeholt haben. Da die Kinder als Neugeborene adoptiert wurden und zum Zeitpunkt des innerstaatlichen Verfahrens noch sehr klein waren, überwog das Interesse der Adoptivfamilie daran, zusammen mit den Kindern ein Familienleben aufzubauen und zu genießen, ohne durch Versuche der leiblichen Mutter der Kinder, den Kontakt wiederherzustellen, gestört zu werden.

87. Die vorstehenden Ausführungen sind für den Gerichtshof ausreichend für die Schlussfolgerung, dass Artikel 8 der Konvention nicht verletzt worden ist.

II. BEHAUPTETE VERLETZUNG VON ARTIKEL 14 IN VERBINDUNG MIT ARTIKEL 8 DER KONVENTION

88. Die Beschwerdeführerin rügte ferner nach Artikel 14 in Verbindung mit Artikel 8 der Konvention, dass sie gegenüber Stief- oder Pflegeeltern diskriminiert worden sei, da diese ein potentielles Recht auf Umgang mit Kindern hätten, die sich zuvor in ihrer Pflege befunden hätten, soweit dieser Umgang als zuträglich für die Kinder erachtet werde. Artikel 14 lautet:

„Der Genuss der in [der] Konvention anerkannten Rechte und Freiheiten ist ohne Diskriminierung insbesondere wegen des Geschlechts, der Rasse, der Hautfarbe, der Sprache, der Religion, der politischen oder sonstigen Anschauung, der nationalen oder sozialen Herkunft, der Zugehörigkeit zu einer nationalen Minderheit, des Vermögens, der Geburt oder eines sonstigen Status zu gewährleisten.“

89. Der Gerichtshof stellt fest, dass die innerstaatlichen Gerichte § 1684 Abs. 1 und § 1685 Abs. 1 und 2 BGB in genau derselben Weise angewendet haben, wie sie es getan hätten, wenn die Beschwerdeführerin eine Stief- oder Pflegemutter gewesen wäre. Er stellt insbesondere fest, dass auch eine Stief- oder Pflegemutter in der Situation der Beschwerdeführerin keinen Anspruch auf derartige Rechte gehabt hätte, da der kurze Zeitraum, in dem sie tatsächlich mit ihren leiblichen Kindern zusammenlebte, nach Ansicht der innerstaatlichen Gerichte nicht ausreichte, um eine sozial-familiäre Beziehung mit ihnen aufzubauen. Daraus folgt, dass die Rügen der Beschwerdeführerin nach Artikel 14 in Verbindung mit Artikel 8 in Bezug sowohl auf das Vormundschaftsverfahren als auch auf das Umgangsverfahren nach Artikel 35 Abs. 3 Buchst. a und Abs. 4 der Konvention als offensichtlich unbegründet zurückzuweisen sind.

III. BEHAUPTETE VERLETZUNG VON ARTIKEL 6 UND 13 DER KONVENTION

90. Die Beschwerdeführerin hatte ursprünglich die überlange Dauer des Verfahrens vor den innerstaatlichen Gerichten und das Fehlen eines wirksamen innerstaatlichen Rechtsbehelfs gerügt.

91. Mit Schreiben vom 27. Juni 2012 teilte die Beschwerdeführerin dem Gerichtshof mit, dass sie ihre Rüge nach Artikel 6 und 13 nicht weiterverfolgen wolle, da sie nicht vorhabe, den neuen innerstaatlichen Rechtsbehelf gegen überlange Gerichtsverfahren zu nutzen.

92. Der Gerichtshof stellt fest, dass die Beschwerdeführerin ihre Rüge zurücknehmen möchte, da sie sie auf innerstaatlicher Ebene nicht weiterverfolgen will. Die Umstände legen daher den Schluss nahe, dass die Beschwerdeführerin nicht beabsichtigt, ihre Beschwerde in dieser Hinsicht weiterzuverfolgen (Artikel 37 Abs. 1 Buchst. a und b der Konvention). Darüber hinaus liegt im Hinblick auf die Achtung der Menschenrechte, wie sie in der Konvention und ihren Protokollen anerkannt sind, kein Grund vor, der eine weitere Prüfung dieser Rüge erfordert (Artikel 37 Abs. 1 Buchst. c, in fine). Folglich sind diese Rügen zu streichen.

AUS DIESEN GRÜNDEN ENTSCHEIDET DER GERICHTSHOF WIE FOLGT:

1. Er beschließt einstimmig, die Individualbeschwerde im Register zu streichen, soweit sie die Rügen nach Artikel 6 Abs. 1 und Artikel 13 der Konvention zum Gegenstand hat;

2. er beschließt einstimmig, die Rüge nach Artikel 8 der Konvention für zulässig und die Individualbeschwerde im Übrigen für unzulässig zu erklären;

3. er erkennt mit fünf zu zwei Stimmen, dass Artikel 8 der Konvention nicht verletzt worden ist.

Ausgefertigt in Englisch und schriftlich zugestellt am 5. Juni 2014 nach Artikel 77 Abs. 2 und 3 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs.

Claudia Westerdiek                                  Mark Villiger
Kanzlerin                                                   Präsident

___________

Gemäß Artikel 45 Abs. 2 der Konvention und Artikel 74 Abs. 2 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs ist diesem Urteil die persönliche Meinung von Richterin Power-Forde, der sich Richter Zupančič angeschlossen hat, beigefügt.

M.V.
C.W.

ABWEICHENDE MEINUNG VON RICHTERIN POWER-FORDE, DER SICH RICHTER ZUPANČIČ ANGESCHLOSSEN HAT

Ich erkenne an, dass der beschwerdegegnerische Staat grundsätzlich berechtigt ist, innerhalb seiner Gesetzgebung Vorschriften für die rechtmäßige Adoption von Kindern zu machen. Ich störe mich nicht an der in §§ 1754 und 1755 BGB niedergelegten dauerhaften Wirkung der Adoption. Laut diesen Bestimmungen ändert die Adoption die rechtliche Stellung des Kindes gegenüber seinen Adoptiveltern. Darüber hinaus erlöschen mit der Adoptionsanordnung das Verhältnis zwischen Kind und leiblicher Mutter sowie die sich aus diesem ergebenden Rechte und Pflichten.

Meine Probleme mit diesem Fall beziehen sich auf die positiven Verpflichtungen des Staates nach Artikel 8. Meine Sorge wird durch die sehr proaktive Rolle der Behörden, die der Beschwerdeführerin zuredeten, ihre Kinder adoptieren zu lassen, noch verschärft. Obwohl sie offensichtlich mit ihrer Situation überfordert war, ist sie offenbar zumindest davon abgehalten worden, Alternativen zur Adoption in Betracht zu ziehen. Dies zeigt sich daran, dass die Behörden der Beschwerdeführerin trotz ihres Wissens um deren offensichtliche persönliche und finanzielle Schwierigkeiten mitteilten, dass sie eine Pflegeunterbringung selbst bezahlen müsste, sollte sie sich für diese Möglichkeit entscheiden.

Ich habe in zweierelei Hinsicht Schwierigkeiten mit der Erfüllung der positiven Verpflichtungen durch den Staat. Sie beziehen sich erstens auf das Versäumnis des Staates, klare rechtliche Grundsätze für die Durchführung sogenannter „halboffener“ Adoptionen festzulegen, und zweitens auf sein Versäumnis, angesichts der besonderen Schutzbedürftigkeit der Beschwerdeführerin zum Zeitpunkt der in Rede stehenden Geschehnisse sicherzustellen, dass es unabhängige Beweise für ihre Fähigkeit gibt, in die Adoption einzuwilligen.

Das Fehlen rechtlicher Klarheit in Bezug auf „halboffene“ Adoptionen

Die Regierung erkennt an, dass das deutsche Recht eine „halboffene“ Form der Adoption erlaubt.[1] Je nach den Umständen des Falls kann diese Umgangskontakte zwischen der leiblichen Mutter und ihrem Kind nach der Adoption umfassen und durch das Jugendamt vermittelt werden. Die Regierung zitiert § 1626 Abs. 1 BGB als rechtliche Grundlage für derartige halboffene Adoptionen. Neben diesem Anerkenntnis erkennen offensichtlich auch die innerstaatlichen Gerichte in Deutschland das Konzept der „halboffenen“ Adoption an. Das Amtsgericht Reinbek, das am 21. Juni 2001 die Adoption im vorliegenden Fall anordnete, bestätigte, dass „eine halboffene Adoption vereinbart worden ist“. Es bestätigte ferner, dass die zwischen der Beschwerdeführerin, den Adoptiveltern und dem Jugendamt getroffenen Vereinbarungen in diesem Fall „gültig bleiben“.

Trotz dieser Bestätigung seitens des beschwerdegegnerischen Staates stellt die Mehrheit fest, dass der Begriff halboffene Adoption nicht im deutschen Bürgerlichen Gesetzbuch enthalten ist. Hier beginnen die Unsicherheiten. Obwohl das innerstaatliche Gericht, das den Adoptionsbeschluss in diesem Fall erlassen hat, die Gültigkeit der Vereinbarung der drei Parteien zur Kenntnis genommen hat, scheint es darüber hinaus, als sei die Durchsetzung dieser „gültigen“ Vereinbarung völlig unmöglich, falls sich die Adoptiveltern entschließen, sie nicht einzuhalten.

Die Feststellung (der Mehrheit), dass die Beschwerdeführerin mit Unterzeichnung der Adoptionseinwilligungserklärung am 9. November 2000 ihre Rechte aufgegeben habe, ist nicht vollständig richtig. Nach innerstaatlichem Recht „ruhte“ ihre elterliche Sorge zu diesem Zeitpunkt. Ihre Einwilligung wurde erst in dem Zeitpunkt wirksam und damit unwiderruflich, in dem sie „demFamiliengerichtzuging“. Da im Urteil kein anderes Datum hinsichtlich des Eingangs bei Gericht genannt wird, ist davon auszugehen, dass die Einwilligung am 21. Juni 2001 wirksam wurde, als das Gericht die Entscheidung der Beschwerdeführerin gleichzeitig mit der von den drei Parteien vereinbarten halboffenen Form der Adoption zur Kenntnis nahm. Anschließend erließ es dementsprechend den Adoptionsbeschluss. Erst zu diesem Zeitpunkt erloschen die Rechte der Beschwerdeführerin, die zuvor geruht hatten.

Wichtig ist hier, dass der Fachdienst Adoption und Sonderpflege während dieses sechsmonatigen Zeitraums und vor Erlass des Adoptionsbeschlusses in einem Sachverständigengutachten darlegte, dass im November 2000 (also nur zwei Wochen nach Abgabe der Einwilligungserklärung, aber sechs Monate vor Erlass des Adoptionsbeschlusses) eine Vereinbarung getroffen worden sei, wonach die Adoptiveltern einmal im Jahr Bilder und einen Bericht schicken würden.[2] Diese Vereinbarung, an der die Behörden als Partei beteiligt waren, gab der Beschwerdeführerin eindeutig Anlass für den Glauben, dass sie Auskünfte über ihre Kinder erhalten würde, nachdem diese adoptiert wurden. Obwohl das Amtsgericht anerkannte, dass ihr jährlich Bilder zugesendet werden würden, kam es nach Erlass des Adoptionsbeschlusses nicht dazu. Die Adoptiveltern allein hatten die Entscheidungsgewalt darüber, ob eine solche Vereinbarung eingehalten werden würde, während der Beschwerdeführerin keine Mittel zur Verfolgung ihrer Interessen zur Verfügung standen. Die Tatsache, dass Körperschaften des öffentlichen Rechts vor Erlass eines Adoptionsbeschlusses Vereinbarungen über „halboffene“ Adoptionen mit leiblichen Müttern treffen können, erweckt bedauerlicherweise den vollkommen falschen und irreführenden Eindruck, dass derartige Vereinbarungen für die sich anschließende Adoption eine verbindliche Wirkung haben können.

Wenn überhaupt, gibt es wohl nur wenige Entscheidungen, die sich mehr auf das Privat- und Familienleben einer Person auswirken als die Entscheidung, die eigenen Kinder zur Adoption freizugeben. Angesichts der Tragweite dieser Entscheidung sollte es keinen Raum für die Art von Unbestimmtheit und Unsicherheit geben, die in diesem Fall vorherrschte. Meiner Meinung nach hat ein Staat, der derartige „halboffene“ Adoptionen erlaubt, eine positive Verpflichtung, sicherzustellen, dass eine schutzbedürftige leibliche Mutter, die sich auf eine derartige Vereinbarung im Vorfeld einer Adoption einlässt, unmissverständliche Rechtsklarheit erhält. Ist der Staat eine Partei einer solchen Vereinbarung mit einer leiblichen Mutter oder an deren Ausarbeitung beteiligt, müssen die Behörden sicherstellen, dass die Mutter nicht im Zweifel darüber gelassen wird, dass die Vereinbarung völlig wertlos wird, wenn die Adoptiveltern nach Erlass des Adoptionsbeschlusses davon zurücktreten. Meiner Meinung nach sollte der Staat nicht an Situationen beteiligt sein, in denen schutzbedürftige Mütter für ihr Privat- und Familienleben hochwichtige Entscheidungen auf der Grundlage von Vereinbarungen treffen, die völlig undurchsetzbar sind. Die allgemeine Unklarheit und die Tatsache, dass der Beschwerdeführerin keine Verfahren aufgezeigt wurden, um die Gültigkeit der Vereinbarung über die halboffene Adoption prüfen und gegebenenfalls durchsetzen zu lassen, zeigen, dass der beschwerdegegnerische Staat keine klaren und eindeutigen Rechtsgrundsätze für einen derart wichtigen Bereich des Privat- und Familienlebens der Beschwerdeführerin vorsieht.

Fehlende Beweise für die Einwilligungsfähigkeit

Dem Gerichtshof liegen eindeutige Beweise dafür vor, dass die Beschwerdeführerin zu dem Zeitpunkt, als sie sich zur Einwilligung in die Adoption entschied, psychisch traumatisiert war. Die innerstaatlichen Behörden waren sich bewusst, dass die Beschwerdeführerin an „Depressionen“ und „Panikattacken“ litt und „suizidale Tendenzen“ aufwies (Rdnr. 11). Es ist allgemein bekannt, dass derartige Umstände sich auf die Fähigkeit einer Person auswirken können, eine freie und überlegte Entscheidung zu treffen. Angesichts der offensichtlichen psychischen Schwierigkeiten, unter denen die Beschwerdeführerin kurz nach der Entbindung litt, scheinen mir die Behörden verpflichtet gewesen zu sein, jegliche Zweifel an ihrer Fähigkeit zu zerstreuen, ihre Einwilligung frei und überlegt zu erteilen, bevor sie ihr die Freigabe ihrer Kinder zur Adoption nahelegten und diese ermöglichten. Trotz zuvor diagnostizierter „Depressionen“, „Panikattacken“ und „suizidaler Tendenzen“ wurde zu der maßgeblichen Zeit keine objektive psychiatrische Begutachtung der Einwilligungsfähigkeit der Beschwerdeführerin durchgeführt. Eine spätere Prüfung ihrer damaligen Fähigkeit kann nicht an die Stelle der notwendigen Beurteilung zum Zeitpunkt ihrer Entscheidung treten. Meiner Ansicht nach waren die Behörden, sobald sie Kenntnis von dieser offensichtlichen Schutzbedürftigkeit der Beschwerdeführerin erlangten, verpflichtet, sicherzustellen, dass ihnen unabhängige Sachverständigenbeweise zur Einwilligungsfähigkeit vorliegen, bevor sie die Adoption in diesem Fall ermöglichten und nahelegten. Ich möchte nicht behaupten, dass die Behörden in jedem Adoptionsfall verpflichtet wären, unabhängige Sachverständigenbeweise zur Einwilligungsfähigkeit einzuholen. Allerdings entstehen solche Verpflichtungen meiner Meinung nach, wenn es eindeutige Anhaltspunkte dafür gibt, dass in Bezug auf diese Fähigkeit Fragen aufgeworfen werden.

Aus den genannten Gründen bin ich der Auffassung, dass der Staat seine positiven Verpflichtungen nach Artikel 8 der Konvention nicht erfüllt hat und die Bestimmung im vorliegenden Fall folglich verletzt wurde.

____________
1. Siehe ihre Stellungnahme vom 13. Juni 2012, Rdnr. 23.
1. Obwohl es im Urteil heißt, dass die Vereinbarung in Anwesenheit der Behörden getroffen wurde, geht aus den Vorbringen eindeutig hervor, dass ihre Rolle wesentlich proaktiver war als die eines passiven Beobachters. Die Regierung erkennt an, dass vor Erlass des Adoptionsbeschlusses eine schriftliche Vereinbarung über Bilder und Berichte getroffen wurde. Sie verweist auf einen Brief, den die Adoptiveltern der Beschwerdeführerin im März 2001 gesendet hatten und in dem auf ihre Vereinbarung mit der Mutter und dem Jugendamt Bezug genommen wird.

Zuletzt aktualisiert am Januar 3, 2021 von eurogesetze

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