DER EUROPÄISCHE GERICHTSHOF FÜR MENSCHENRECHTE
FÜNFTE SEKTION
RECHTSSACHE LABASSEE ./. FRANKREICH
(Beschwerde Nr. 65941/11)
URTEIL
STRASSBURG
26. Juni 2014
ENDGÜLTIG
26.09.2014
Dieses Urteil wurde nach Maßgabe von Artikel 44 Abs. 2 der Konvention endgültig. Es kann gegebenenfalls noch redaktionell überarbeitet werden.
In der Rechtssache Labassee ./. Frankreich
hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (Fünfte Sektion) als Kammer mit den Richterinnen und Richtern:
Mark Villiger, Sektionspräsident,
Angelika Nußberger,
Boštjan M. Zupančič,
Ganna Yudkivska,
Vincent A. De Gaetano,
André Potocki,
Aleš Pejchal
und Claudia Westerdiek, Sektionskanzlerin,
nach nichtöffentlicher Beratung am 10. Juni 2014
das folgende Urteil erlassen, das an demselben Tag angenommen wurde:
VERFAHREN
1. Der Rechtssache lag eine Beschwerde (Nr. 65941/11) gegen die französische Republik zugrunde, die durch französische Staatsangehörige – HerrnFrancis Labassee („erster Beschwerdeführer“) und Frau Monique Labassee („zweite Beschwerdeführerin“) („die ersten Beschwerdeführer“) – und eine amerikanische Staatsangehörige – Frl. Juliette Labassee („dritte Beschwerdeführerin“) – am 6. Oktober 2011gemäß Artikel 34 der Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten („die Konvention“) beim Gerichtshof eingereicht worden war.
2. Die Beschwerdeführer werden durch die zivilrechtliche GesellschaftGadiou Chevallier, Rechtsanwalt am Conseil d’Etat und am „Cour de cassation“, vertreten. Die französische Regierung („die Regierung“) wird durch ihre Vertreterin, Frau Edwige Belliard, Direktorin für Justizangelegenheiten am französischen Außenministerium, vertreten.
3. Am 12. Februar 2012 wurde die Beschwerde an die Regierung übermittelt, und der Sektionspräsident beschloss, die Ermittlungen gleichzeitig mit den Ermittlungen zur Beschwerde Mennesson ./. Frankreich (Nr. 65192/11) durchzuführen.
4. Die Regierung reichte einen Schriftsatz zur Zulässigkeit und zur Begründetheit der Beschwerde ein. Die Beschwerdeführer verwiesen auf die Schlussfolgerungen ihrer Beschwerde.
5. Am 10. Oktober 2013 hat der Sektionspräsident gemäß Art. 54 Abs. 2 a) der Verfahrensordnung beschlossen, an die Beschwerdeführer und an die Regierung ergänzende Fragen zu stellen, die am 20. bzw. am 21. November 2013 beantwortet wurden.
SACHVERHALT
I. DIE UMSTÄNDE DER RECHTSSACHE
6. Die Beschwerdeführer wurden 1950, 1951 und 2001 geboren und sind wohnhaft in Toulouse.
7. Die ersten Beschwerdeführer sind Ehemann und Ehefrau. Aufgrund eines Problems der Unfruchtbarkeit der zweiten Beschwerdeführerin beschlossen sie, eine Leihmutterschaft in Anspruch zu nehmen. Zu diesem Zweck schlossen sie in den Vereinigten Staaten am 20. Juni 2000 einen Vertrag mit dem „International Fertility Center for Surrogacy“ und danach, am 29. Oktober 2000, einen Vertrag mit diesem Institut und mit Herrn und Frau L., wonach Letztere einen Embryo austragen würde, der aus der Eizelle einer anonymen Spenderin und den Gameten des ersten Beschwerdeführers stammen sollte.
8. Auf diese Weise wurde am 27. Oktober 2001 die dritte Beschwerdeführerin in Minnesota, Vereinigte Staaten, geboren.
9. Das Gericht des Bundesstaates Minnesota hat mit Urteil vom 31. Oktober 2001, auf Antrag von Frau L., festgestellt, dass das Ziel der Schwangerschaft darin bestanden hatte, ein Kind zur Welt zu bringen, das biologisch von dem Beschwerdeführer abstammte, und dass sie ihre elterlichen Rechte nicht behalten wollte, und dass diese Rechte mit diesem Urteil außer Kraft traten.
An demselben Tag hat dasselbe Gericht auf Antrag des ersten Beschwerdeführers sowie der Eheleute L. ein zweites Urteil erlassen, in dem festgestellt wurde, dass der erste Beschwerdeführer erklärte, er sei der leibliche Vater der dritten Beschwerdeführerin; und dass deren Name „Juliette Monique Labassee“ laute; und dass das Sorgerecht und die tatsächliche Personensorge auf den ersten Beschwerdeführer übertragen wurden, der die Erlaubnis habe, mit dem Kind nach Frankreich zurückzukehren; und dass Herrn und Frau L., die ausdrücklich auf ihre Rechte bezüglich des Kindes verzichteten, keinerlei Besuchsrechte eingeräumt wurden.
10. In der Geburtsurkunde der dritten Beschwerdeführerin, ausgestellt am 1. November 2001 in Minnesota, wird erklärt, dass sie die Tochter des ersten Beschwerdeführers und der zweiten Beschwerdeführerin sei.
A. Die Verweigerung der Eintragung der Geburtsurkunde ins Geburtenregister
11. Am 28. Juli 2003 teilte die Staatsanwaltschaft des Großinstanzgerichts von Nantes den ersten Beschwerdeführern mit,sie lehne die Übertragung der Geburtsurkunde der dritten Beschwerdeführerin in das französische Personenstandsregister ab, mit der Begründung, dies würde dem französischen „ordre public“ widersprechen.
B. Die Notorietätsurkunde, ausgestellt durch den Vormundschaftsrichter des Gerichts von Tourcoing
12. Auf Antrag der Beschwerdeführer hat der Vormundschaftsrichter des Großinstanzgerichts von Toucoing im Hinblick auf die Geburtsurkunde der dritten Beschwerdeführerin, der Heiratsurkunde der ersten Beschwerdeführer und der Zeugenaussagen, wonach sie seit der Geburt des Kindes für das Kind sorgten, am 3. Dezember 2003 eine Notorietätsurkunde ausgestellt.
C. Urteil des Großinstanzgerichts von Lille vom 4. Mai 2006
13. Nachdem die Staatsanwaltschaft von Nantes die Eintragung des Randvermerks dieser Urkunde in das Personenstandsregister abgelehnt hatte, forderten die ersten Beschwerdeführer am 20. Juli 2004 den Justizminister vor dem Großinstanzgericht von Lille auf, die Eintragung der Notorietätsurkunde anordnen zu lassen. Am 10. September 2004 forderte der Oberstaatsanwalt bei dieser Gerichtsbarkeit seinerseits die Beschwerdeführer auf, die Notorietätsakte für ungültig erklären zu lassen.
14. Mit Urteil vom 22. März 2007 wies das Gericht die Beschwerdeführer ab. Es war der Meinung, der Vertrag über die Leihmutterschaft sei ungültig, da er einen Verstoß gegen französisches Recht darstelle und betrügerischen Charakter habe. Infolgedessen seien der offenkundige Statusbesitz [„possession d’état“], auf den sich die Beschwerdeführer stützten, und die Notorietätsurkunde mit Mängeln behaftet und könnten nicht die Herstellung eines Kindschaftsverhältnisses begründen.
D. Urteil des Berufungsgerichts vonDouai vom 14. September 2009
15. Nachdem sich die Beschwerdeführer an das Berufungsgericht von Douai gewandt hatten, hat dieses mit Urteil vom 14. September 2009 den Gerichtsbeschluss bestätigt. Es führte hierzu Folgendes aus:
„(…) Es wird nicht bestritten, dass Herr und Frau Labassee die kleine Juliette Labassee seit ihrer Geburt wie ihr eigenes Kind behandeln und für ihre Erziehung und ihren Lebensunterhalt sorgen.
Jedoch muss der offenkundigeStatusbesitz, um eine Rechtsvermutung, die die Herstellung eines Kindschaftsverhältnisses ermöglichen würde, begründen zu können, frei von Mängeln sein.
Im vorliegenden Fall ist der offenkundigeStatusbesitz von Juliette Labassee gegenüber Herrn und Frau Labassee jedoch die Folge eines Vertrags über die Leihmutterschaft, der zwischen den Eheleuten Labassee und Frau [L.] geschlossen wurde und aufgrund dessen Frau [L.] ihnen Juliette übergab, die sie nach einer künstlichen Befruchtung zur Welt gebracht hatte, wobei der Embryo aus einem Gameten von Herrn Labassee und einer Eizelle von einer anonymenSpenderin gezeugt wurde.
Dieser offenkundigeStatusbesitz beruht somit auf einem Vertrag über die Leihmutterschaft, der in Anwendung der Art. 16-7 und 16-9 des „code civil“absolut nichtig ist, sowohl für die Parteien selbst als auch für Dritte.
Unter diesen Umständen ist ein solcher Statusbesitz mit einem Mangel behaftet und kann im Hinblick auf das Kindschaftsverhältnis keine Wirksamkeit haben, unabhängig davon, wer den Antrag gestellt hat.
Es gibt keine Grundlage für die Behauptung, die fehlende Wirksamkeit verstoße gegen Art. 1 der Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte oder gegen das Kindeswohl, das durch Art. 3 Abs. 1 des New Yorker Übereinkommens geschützt wird; während die Grundsätze der Unveräußerlichkeit des menschlichen Körpers und der Unveräußerlichkeit des Personenstandes, sowie der „ordre public“-Charakter von Art. 16-7 des „code civil“,nach französischem Recht verlangen, dass jegliche Wirksamkeit eines Leihmutterschaftsvertrages ausgeschlossen wird.
In Anbetracht dieser Überlegungen sind die Hauptanträge der [Beschwerdeführer] zurückzuweisen, die zum Ziel haben, dass die Eintragung der Notorietätsurkunde angeordnet wird, durch die der Statusbesitz des Kindes Juliette gegenüber Herrn und Frau Labassee festgelegt werden sollte.
Was den Hilfsantrag von Herrn Labassee betrifft, der zum Ziel hat, dass festgestellt werden soll, dass das Kindschaftsverhältnis zwischen ihm und Juliette durch den Statusbesitzhergestellt wird, so ist hervorzuheben, wie oben bereits erwähnt, dass der Statusbesitz von Juliette als das Kind von Herrn Labassee auf einem Leihmutterschaftsvertrag beruht, der absolut nichtig ist, und somit keinerlei Wirksamkeit haben kann.
Unter diesen Umständen ist derStatusbesitz von Herrn Labassee mit Mängeln behaftet, und sein Antrag muss ebenfalls abgewiesen werden, aus denselben Gründen wie den oben dargelegten (…)“
E. Urteil des Kassationsgerichtshofs vom 6. April 2011
16. Die Beschwerdeführer legten beim Kassationshof Revision ein, wobei sie insbesondere eine Missachtung des vorrangig zu berücksichtigenden Wohls des Kindes – im Sinne von Art. 3 Abs. 1 des Übereinkommens über die Rechte des Kindes – und eine Verletzung von Art. 8 der Konvention geltend machten.
17. Mit Urteil vom 6. April 2011 wies der Kassationshof (erste Zivilkammer) den Antrag zurück und begründete dies wie folgt:
„ (…) In Erwägung dessen, dass es nach positivem Recht dem Grundsatz der Unveräußerlichkeit des Personenstandes – einem wesentlichen Grundsatz des französischen Rechts – widerspricht, einen Leihmutterschafsvertrag wirksam werden zu lassen, der gemäß Art. 16-7 und 16-9 des „code civil“ null und nichtig ist, da er dem „ordre public“ widerspricht; und dass dieser Grundsatz verhindert, dass ein Statusbesitz, der für die Herstellung eines Kindschaftsverhältnisses infolge eines solchen Vertrages geltend gemacht wird, in Frankreich Wirkung erlangen kann – auch dann, wenn er rechtswirksam im Ausland geschlossen wurde – da er mit dem französischen internationalen Ordre Public unvereinbarist;
und dass somit das Berufungsgericht zu Recht bestätigt hat, dass aufgrund des Vertrages vom 29. Oktober 2000 über die Leihmutterschaft der Statusbesitz der [dritten Beschwerdeführerin] gegenüber [den ersten Beschwerdeführern] keinerlei Wirksamkeit für die Herstellung ihres Kindschaftsverhältnisses haben konnte; und dass eine solche Situation, die dem Kind seine Kindschaft mütterlicherseits und väterlicherseits, die ihm durch das Recht des Bundesstaates Minnesota zuerkannt wurde, nicht aberkennt und es auch nicht daran hindert, mit den [ersten Beschwerdeführern] in Frankreich zusammen zu leben, somit keinerlei Verstoß gegen das Recht dieses Kindes auf Achtung seines Privat- und Familienlebens im Sinne von Art. 8 des Übereinkommens (…), und auch nicht gegen das vorrangig zu berücksichtigende Wohl des Kindes, das in Art. 3 Abs. 1 des Übereinkommens über die Rechte des Kindes garantiert wird, darstellt (…)“
II. EINSCHLÄGIGES INNERSTAATLICHES RECHT UND EINSCHLÄGIGE INNERSTAATLICHE PRAXIS
A. Zivilrechtliche Bestimmungen
18. In Art. 18 des „code civil“ heißt es wie folgt:
„Ein Kind besitzt die französische Staatsangehörigkeit, wenn zumindest einer der Elternteile französischer Staatsangehöriger ist.“
19. Der Wortlaut der Artikel 16-7 und 16-9 des„code civil“ (eingeführt mit Gesetz Nr. 94-653 vom 29. Juli 1994) ist wie folgt:
Art. 16-7
„Jegliche Vereinbarung über eine Zeugung oder Schwangerschaft für eine andere Person ist nichtig.“
Art. 16-9
„Die Bestimmungen dieses Kapitels haben „ordre public“-Charakter.“
20. Zum Zeitpunkt der Geburt der dritten Beschwerdeführerin (am 27. Oktober 2001) und bis zum 27. November 2003 war in Art. 47 des „code civil“ festgelegt, dass „jede Personenstandsurkunde von Franzosen und von Ausländern, die im Ausland ausgestellt wurde, gültig ist, wenn sie in der im besagten Land üblichen Form ausgestellt wurde.“ Der Kassationshof hatte dennoch erklärt, dass „die Personenstandsurkunden in Bezug auf Fakten, die gegenüber dem Standesbeamten erklärt wurden, nur solange gültig sind, bis das Gegenteil bewiesen wurde“ (Cass. 1ière civ. 12. November 1986: Bulletin 1986 I, Nr. 258, S. 247).
In der Fassung, die vom 27. November 2003 bis 15. November 2006 in Kraft war, lautete Art. 47 des „code civil“ wie folgt:
„Jede Personenstandsurkunde von Franzosen und von Ausländern, dieim Ausland ausgestellt und in der in diesem Land üblichen Form erstellt wurde, ist gültig, es sei denn, dass andere Urkunden oder Dokumente, äußere Gegebenheiten oder Sachverhalte, die aus der Urkunde selbst hervorgehen, zeigen, dass diese Urkunde gesetzeswidrig oder gefälscht ist oder dass die Fakten, die darin erklärt werden, nicht der Realität entsprechen.
Im Zweifelsfall wird die Behörde, bei der die Ausstellung, Eintragung oder Ausfertigung einer Urkunde oder eines Rechtstitels beantragt wurde, den Antrag aufschieben und den Betroffenen darüber informieren, dass er sich innerhalb einer Frist von zwei Monaten an den Oberstaatsanwalt von Nantes wenden kann, damit eine Feststellung über die Authentizität der Urkunde getroffen werden kann.
Falls der Oberstaatsanwalt den Antrag auf Feststellung der Authentizität für unbegründet hält, wird er den Betroffenen und die Behörde innerhalb eines Monats darüber benachrichtigen.
Falls der Oberstaatsanwalt die Zweifel der Behörde teilt, führt er innerhalb einer Frist von maximal sechs Monaten, die, falls es für die Ermittlungen notwendig ist, jedoch einmal um ein Gleiches verlängert werden kann, alle sachdienlichen Ermittlungen durch; insbesondere, indem er sich an die zuständigen Konsularbehörden wendet. Er teilt dem Betroffenen und der Behörde so bald wie möglich das Ergebnis der Ermittlungen mit.
Angesichts der Ergebnisse der durchgeführten Ermittlungen kann der Oberstaatsanwalt sich an das Großinstanzgericht von Nantes wenden, damit es über die Gültigkeit der Urkunde entscheidet, nachdem es gegebenenfalls alle Maßnahmen zur Einholung von Informationen, die es für nützlich erachtet, angeordnet hat.
21. Aus den Artikeln 319 und 320 des „code civil“ in ihrer im vorliegenden Fall gültigen Fassung geht hervor, dass das Kindschaftsverhältnis ehelicher Kinder durch die Geburtsurkunden nachgewiesen wird, die in den Personenstandsregistern eingetragen sind, und dass mangels einer solchen der Statusbesitz als eheliches Kind ausreichend ist.
22. Art. 311-3 des „code civil“ (seit 2006 aufgehoben) lautete wie folgt:
„Die Eltern oder das Kind können den Vormundschaftsrichter bitten, dass ihnen – unter den in Art. 71 und 72 genannten Voraussetzungen – eine Notorietätsurkunde ausgestellt wird, die den Statusbesitz verbindlich feststellt, bis das Gegenteil bewiesen ist;
Unbeschadet aller sonstigen Beweismittel, auf die sie zurückgreifen könnten, um dessen Existenz, fallser angefochten wird, festzustellen.
Das Kindschaftsverhältnis, das durch den in der Notorietätsurkunde festgestellten Statusbesitz hergestellt wird, wird als Randvermerk in der Geburtsurkunde des Kindes eingetragen.“
B. Strafrechtliche Bestimmungen
23. In Art. 227-12 und 227-13 des „code civil“ heißt es wie folgt:
Art. 227-12
„ (…) Wird der Tatbestand der Vermittlung zwischen einer Person oder einem Paar, das ein Kind aufnehmen möchte, und einer Frau, die bereit ist, dieses Kind auszutragen, um es nach der Geburt ihnen zu übergeben, [mit einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und einer Geldstrafe von 15.000 EUR] bestraft. Wurde dies gewohnheitsmäßig oder zu Erwerbszwecken getan, werden die Strafen verdoppelt.
Der Versuch (…) wird mit denselben Strafen belegt.“
Art. 227-13
„Die freiwillige Ersetzung, Täuschung oder Verschleierung mit der Folge eines Angriffs auf den Personenstand eines Kindes wird mit einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und einer Geldstrafe von 45.000 EUR belegt.
Der Versuch wird mit denselben Strafen belegt.“
C. Rechtsprechung des Kassationsgerichtshofs
24. Der Kassationshofist der Auffassung, dass der Vertrag, mit dem eine Frau sich verpflichtet – und sei es kostenlos -, ein Kind zu empfangen und auszutragen, um es nach der Geburt wegzugeben, sowohl dem Grundsatz der Unveräußerlichkeit des menschlichen Körpers als auch der Unveräußerlichkeit des Personenstandes widerspricht (Cass. ass. plén. 31. Mai 1991: Bulletin 1991 A.P., Nr. 4, S. 5; in diesem Fall war die Leihmutter die leibliche Mutter des Kindes). Diese Auffassung richtet sich gegen die Herstellung eines rechtmäßigen Kindschaftsverhältnisses zwischen dem Kind, das aus einem solchen Vertrag hervorgegangen ist, und der Frau, die es nach seiner Geburt aufgenommen hat und es großzieht – unabhängig davon, ob das Kindschaftsverhältnis, wie im vorliegenden Fall, aufgrund von Statusbesitz entsteht (Cass. 1ière civ., 6. April 2011; pourvoi Nr. 09-17130) oder durch Eintragung der Angaben einer im Ausland rechtmäßig ausgestellten Geburtsurkunde in das Personenstandsregister (Cass. 1ière civ. 6. April 2011; pourvoi Nr. 09-66486), oder durch Adoption (Cass. 1ière civ. 29. Juni 1994: Bulletin 1994 I, Nr. 226, S. 165; auch in diesem Fall war die Leihmutter die leibliche Mutter des Kindes).
25. In zwei Urteilen vom 13. September 2013 entschied der Kassationshof über die Frage der Eintragung der Geburtsurkunden von Kindern, die durch Leihmutterschaft in Indien von indischen Müttern und französischen Vätern geboren wurden (Cass. 1ière civ.; pourvois Nr. 12-18315 und 12-30138). Diese hatten, nachdem sie die Kinder zuvor bereits in Frankreich anerkannt hatten, vergeblich einen Antrag auf Eintragung der in Indien ausgestellten Geburtsurkunden gestellt. In einem der beiden Fälle hatte das Berufungsgericht die Eintragung angeordnet mit der Begründung, dass die formelle Rechtmäßigkeit und der Wahrheitsgehalt der Erklärungen in den strittigen Urkunden nicht angefochten wurden. Der Kassationshof hat das Urteil aufgehoben mit der Begründung, nach positivem Recht sei die Verweigerung der Eintragung gerechtfertigt, „wenn die Geburt die Folge eines mit Verletzung des französischen Rechts verbundenen Vorgangs ist, der einen Leihmutterschaftsvertrag beinhaltet, der, wenn er auch im Ausland rechtmäßig ist, gemäß den Bestimmungen der [Art. 16-7 und 19-9 des „code civil“] null und nichtig ist, weil er dem „ordre public“ widerspricht.“ (Der Kassationshof hat am 19. März 2014 in einer ähnlichen Sache gleichermaßen entschieden; pourvoi Nr. 13-50005). Im anderen Fall hatte das Berufungsgericht es abgelehnt, die Eintragung anzuordnen, da es sich nicht nur um einen Leihmutterschaftsvertrag handelte, der nach französischem Recht verboten ist, sondern sogar um Kinderhandel, der gegen den „ordre public“ verstößt, da der Vater an die Leihmutter ein Gehalt von 1500,- EUR gezahlt hatte. Der Kassationshof hat den Antrag auf Revision aus demselben Grund wie in seinem anderen Urteil zurückgewiesen. Er fügte hinzu, dass „angesichts dieses Rechtsmissbrauchs weder das vorrangig zu berücksichtigende Wohl des Kindes, das in Art. 3 Abs. 1 des Übereinkommens über die Rechte des Kindes gefordert wird, noch die Achtung des Privat- und Familienlebens im Sinne von Art. 8 der Menschenrechtskonvention (…) geltend gemacht werden könnten.“ Auf derselben Grundlage und nach Hervorhebung der Tatsache, dass die Vaterschaftsanfechtung, die durch die Staatsanwaltschaft wegen des Rechtsmissbrauchs aufgrund von Art. 336 des „code civil“ eingeleitet wurde, keines Beweises dafür bedarf, dass derjenige, der die Vaterschaft anerkannt hat, nicht der Vater im Sinne von Art. 332 des „code civil“ ist, hat der Kassationshof die Entscheidung des Berufungsgerichts zur Aufhebung der Vaterschaftsanerkennung bestätigt.
D. Die Entscheidung des „juge des référés“ [Richter im beschleunigten Verfahren] des Conseil d’État vom 4. Mai 2011
26. Mit Beschluss vom 4. Mai 2011 hat der „juge des référés“ des Conseil d’État einen Beschwerdeantrag des Staatsministers – des Ministers für ausländische und europäische Angelegenheiten – zurückgewiesen, der sich gegen eine Verfügung des „juge des référés“ des Verwaltungsgerichts von Lyon gerichtet hatte, in der angeordnet worden war, in Indien geborenen Kindern von einem französischen Vater und einer indischen Mutter ein Reisedokument zu geben, mit dem sie baldmöglichst nach Frankreich einreisen könnten. Deren Antrag war von den Behörden abgelehnt worden mit der Begründung, es bestehe der Verdacht, dass sie aus einer Leihmutterschaft stammten.
Der „juge des référés“ weist insbesondere darauf hin, „der Umstand, dass die Empfängnis dieser Kinder durch [den französischen leiblichen Vater] und [die indische leibliche Mutter] aus einem Vertrag entstanden ist, der im Hinblick auf den französischen „ordre public“ null und nichtig ist, habe – wenn man davon ausgeht, dass er geschlossen wurde – keinerlei Auswirkungen auf die Verpflichtung der Behörden aufgrund der Bestimmungen von Art. 3 Abs. 1 des Übereinkommens über die Rechte des Kindes, wonach bei allen Maßnahmen, die Kinder betreffen, das Wohl desKindes ein Gesichtspunkt ist, der vorrangig zu berücksichtigen ist.“
E. Das Rundschreiben des „garde des Sceaux“ – des französischen Justizministers – vom 25. Januar 2013
27. Am 25. Januar 2013richtete der „garde des Sceaux“ an die Generalstaatsanwälte an den Berufungsgerichtshöfen, an den Staatsanwalt am „tribunal supérieur d’appel“, an die Staatsanwälte und an die Urkundsbeamten der Amtsgerichte folgendes Rundschreiben:
„Das Justizministerium wurde aufmerksam auf die Umstände der Ausstellung von Bescheinigungen über die französische Staatsangehörigkeit (CNF/“certificats de nationalité française“) für Kinder, die im Ausland geboren wurden und von einem französischen Staatsangehörigen abstammen und bei denen mit großer Wahrscheinlichkeit auf einen Vertrag über Leihmutterschaft zurückgegriffen wurde.
Sie haben – wenn solche Anträge gestellt werden und unter dem Vorbehalt, dass die sonstigen Voraussetzungen erfüllt sind –, dafür zu sorgen, dass diesen Anträgen stattgegeben wird, sofern das Kindschaftsverhältnis zu einem französischen Staatsangehörigen aus einer ausländischen Personenstandsurkunde hervorgeht, die beweiskräftig ist im Hinblick auf Art. 47 des „code civil“, demzufolge „jede Personenstandsurkunde von Franzosen und von Ausländern, dieim Ausland ausgestellt und in der in diesem Land üblichen Form erstellt wurde, gültig ist, es sei denn, dass andere Urkunden oder Dokumente, äußere Gegebenheiten oder Sachverhalte, die aus der Urkunde selbst hervorgehen, zeigen, dass diese Urkunde regelwidrig oder gefälscht ist oder dass die Fakten, die darin erklärt werden, nicht der Realität entsprechen.“
Umgekehrt hat der Urkundsbeamte des Erstinstanzgerichts angesichts einer nicht beweiskräftigen ausländischen Personenstandsurkunde das Recht, nach Rücksprache mit dem „bureau de la nationalité“ dieAusstellung einer CNF abzulehnen.
Ich möchte Sie darauf aufmerksam machen, dass der bloße Verdacht, dass auf einen im Ausland geschlossenen Leihmutterschaftsvertrag zurückgegriffen wurde, kein hinreichender Grund für die Ablehnung eines CNF-Antrages ist, sofern die legalisierte bzw. mit einer Apostille versehene – außer im Falle von anderslautenden Bestimmungen – örtliche Personenstandsurkunde, die das Kindschaftsverhältnis mit einem französischen Staatsangehörigen beweist, im Sinne des vorgenannten Artikels 47 beweiskräftig ist.
In jedem Fall wird eine Kopie der Akte und der ausgestellten CNF bzw. des Ablehnungsbescheides an das „bureau de nationalité“ geschickt.
Im Übrigen haben Sie das „bureau de nationalité“ über jegliche Schwierigkeiten bei der Anwendung dieses Rundschreibens zu informieren.“
III. DIE STUDIE DES CONSEIL D’ÉTAT ZUR NOVELLIERUNG DER BIOETHIK-GESETZE
28. In einer Studie zur Novellierung der Bioethik-Gesetze, die von seiner Generalversammlung am 9. April 2009 angenommen wurde (La documentation française, 2009), befasste sich der Conseil d’État insbesondere mit Fragen zur Leihmutterschaft. Zur Problematik der Anerkennung der so gezeugten Kinder nach französischem Recht hob der Conseil d’État Folgendes hervor (S. 63-66):
„(…)
Zur Frage der Anerkennung von Kindern, die aus Leihmutterschaften geboren wurden, nach französischem Recht
Welches ist der Rechtsstatus von in Frankreich oder im Ausland geborenen Kindern, die aus illegaler Leihmutterschaft geboren wurden und deren Wunscheltern möchten, dass das Kindschaftsverhältnis in Frankreich anerkannt wird, insbesondere durch Eintragung der vor Ort ausgestellten Geburtsurkunde in das Personenstandsregister? Der Kassationshof hat sich vor kurzem zu einer Angelegenheit geäußert, in der das Berufungsgericht, entgegen den meisten Entscheidungen von Richtern im Hauptsacheverfahren, die Gültigkeit der Eintragung der in den Vereinigten Staaten ausgestellten Personenstandsurkunden anerkannt hatte. .Wenn aber der Kassationshof das Urteil aufgehoben hat, dann geschah dies aus einem Verfahrensgrund und ohne die Sache selbst zu beurteilen, so dass die Frage noch immer nicht durch die Rechtsprechung entschieden wurde (Première chambre civile, Rechtssache 07-20 468, Urteil Nr. 1285, 17. Dezember 2008).
Die juristischen Fragen, die diese Situation aufwirft, sind schwerwiegende Fragen.
In den meisten Fällen bitten die Wunscheltern darum, dass die Urkunde, durch die in dem Land, in dem die Leihmutterschaft stattfand, ihr Kindschaftsverhältnis hergestellt wird – es handelt sich im Allgemeinen umAnerkennung des Kindes durch den Vater und Adoption des Kindes durch die Wunschmutter – in das französische Personenstandsregister.eingetragen wird.
Die Anerkennung der Vaterschaft des Vaters – sofern er der Samenspender ist –ist nicht immer mit Schwierigkeiten verbunden, wenngleich die Rechtsprechung nicht eindeutig ist. Einige Gerichte sind tatsächlich der Meinung, das Paar habe dadurch, dass es ins Ausland reiste, um dort einen in Frankreich gesetzeswidrigen Vertrag zu schließen, wissentlich das französische Recht umgangen, und daher müsse gemäß dem Grundsatz „Betrug macht alles zunichte“ das Kindschaftsverhältnis zum Vater abgelehnt werden. In anderen Fällen hingegen hat der Vater, der Samenspender ist, die Eintragung durchgesetzt, ohne dass die Staatsanwaltschaft eine Ungültigkeitserklärung forderte. In der Praxis liegt das Problem jedoch in erster Linie bei der Anerkennung der „Wunschmutter“, da der Kassationshof verboten hat, dass ein Kind, das aus einer im Ausland legalen Leihmutterschaft geboren wurde, durch eine Volladoption von der Frau oder Lebensgefährtin des Kindesvaters, wenn dessen Vaterschaft anerkannt ist, adoptiert werden kann (Urteil der „Assemblée plénière“ vom 31. Mai 1991, vgl. supra note Nr. 31). Für den Kassationshofbesteht im Hinblick auf die „ordre public“-Bestimmung des Art. 16-7 des „code civil“, wonach „jegliche Vereinbarung über eine Zeugung oder Schwangerschaft für eine andere Person nichtig ist“, ein Widerspruch zwischen dem ausländischen Gesetz und dem französischen internationalen „ordre public“.
Die fehlende Eintragung der ausländischen Personenstandsurkunde bedeutet kein Hindernis dafür, dass dieser Personenstand anerkannt und von den Eltern in den Dokumenten des täglichen Lebens (im Umgang mit Behörden, Schulen,Betreuungseinrichtungen …) verwendet wird, zumal die Formalität der Eintragung für die betroffenen Paare keinerlei Verpflichtungscharakter hat. Tatsächlich wird in Art. 47 des „code civil“ die Beweiskraft von im Ausland ausgestellten Personenstandsurkunden anerkannt [Fußnote: es sei denn, dass festgestellt wird, dass sie gesetzeswidrig oder gefälscht sind oder dass die darin enthaltenen Aussagen nicht der Wahrheit entsprechen; aber hierum geht es in der vorliegenden Situation nicht]. Die Urkunde muss jedoch übersetzt sein und – vorbehaltlich anderslautender Vereinbarungen – durch die zuständigen Behörden legalisiert bzw. „mit einer Apostille versehen“ sein.
Dennoch ist das Leben dieser Familien, wenn keine Eintragung vorgenommen wurde, faktisch komplizierter aufgrund der Formalitäten, die bei bestimmten Ereignissen des Lebens erledigt werden müssen. Es ist insbesondere darauf hinzuweisen, dass bei fehlender Anerkennung des im Ausland hergestellten Kindschaftsverhältnisses zur Wunschmutter in Frankreich im Falle, dass diese verstirbt, das Kind sie nicht beerben kann, es sei denn, dass sie es als Erben eingesetzt hat, wobei die Erbschaftssteuer dann so berechnet wird, als sei das Kind eine Drittperson.
Bis heute ist es die Vorgehensweise der Staatsanwaltschaft von Nantes, die mit diesen Situationen vertraut ist, die Anträge auf Eintragung abzulehnen mit der Begründung, dass sie dem französischen internationalen „ordre public“ widersprechen. Es gibt zwar den Begriff der „abgeschwächten Wirkung des ordre public“, auf den man zurückgreifen kann, wenn es darum geht, die Wirkungen einer im Ausland hergestellten Situation in Frankreich fortbestehen zu lassen, aber dieser Begriff ist nicht auf französische Paare anwendbar, die eigens dafür ins Ausland gereist sind, um von der Möglichkeit der Leihmutterschaft zu profitieren, wenn man bedenkt, dass Art. 16-7 des „code civil“ ein „loi de police“ im Sinne des absoluten „ordre public“ ist und dass auf jeden Fall eine Gesetzesumgehung stattgefunden hat. Die Eintragung könne somit als verboten angesehen werden. Diese Haltung der Staatsanwaltschaft – die gegebenenfalls die Eintragung der ausländischen Urkunde einleitet mit dem alleinigen Ziel, deren Annullierung zu fordern – wird von einigen Gerichten, die sich hierzu äußern mussten, geteilt. Aber nicht alle folgen diesem Weg: Vor kurzem wurde in einem Urteil des Berufungsgerichts von Paris vom 25. Oktober 2007 [Fußnote: Aufgehoben aus Verfahrensgründen durch Urteil des o.g. Kassationshofs vom 17. Dezember 2008], in dem ein Beschluss des Großinstanzgerichts von Créteil bestätigt wurde, darauf hingewiesen, dass „das vorrangig zu berücksichtigende Wohl des Kindes“, das durch internationales Recht garantiert wird, die Eintragung der Kindschaft sowohl zum Vater als auch zur Mutter rechtfertigte.
Welchen Weg gibt es, wenn man den Kindern eine gewisse Sicherheit bezüglich ihres Kindschaftsverhältnisses geben möchte?
Es wurde vorgeschlagen, das Schicksal der Kinder von dem des gesetzeswidrigen Vertrags zu trennen, im Sinne der Entwicklung, die im Falle von nichtehelichen Kindern beobachtet wurde. Bei diesen hat man letztendlich erreicht, dass das Gesetz diesen Kindern dieselben Rechte zugesteht wie den anderen Kindern, insbesondere bezüglich des Erbrechts. Um die Unannehmlichkeiten, die aus dem fehlenden Kindschaftsverhältnis der aus Leihmutterschaftten hervorgegangenen Kinder entstehen, auszugleichen, könne es die Lösung sein, eine Art „Putativkindschaftsverhältnis“ zuzulassen (vergleichbar mit der Institution der „Putativehe“, die im französischen Recht zulässig ist: Gemäß Art. 201 des „code civil“ kann eine für ungültig erklärte Ehe trotz allem ihre Wirkungen entfalten, wenn sie in gutem Glauben geschlossen wurde).
Ebenso könnte es angestrebt werden, die Eintragung des Kindschaftsverhältnisses zum Vater zu erlauben und der Wunschmutter eine Möglichkeit einzuräumen, ein Adoptionsverfahren einzuleiten, was nach geltendem Recht unmöglich wäre. Diese Lösung würde es dem Richter erlauben, die Adoption zu kontrollieren und nur dann zuzulassen, wenn sie im Interesse des Kindeswohls ist. Diese Lösung birgt dennoch ein Problem im Falle von nicht verheirateten Paaren, da bei diesen Paaren die Adoption nicht erlaubt ist: so wurde in einem Urteil des Kassationshofs vom 20. Februar 2007 eine Entscheidung, in der die Adoption des Kindes durch die Lebensgefährtin des Vaters erlaubt wurde, aufgehoben mit der Begründung, diese Adoption habe die Übertragung der elterlichen Rechte allein auf die Adoptierende zur Folge. Dies würde bedeuten, dass nach dem Ehestand des Paares ein Unterschied gemacht wird. Tatsächlich hätte eine nicht verheiratete Adoptierende die alleinige elterliche Sorge (vgl. Art. 356 und 365 des „code civil“); der Vater wäre davon ausgeschlossen, und die Frage des Erbrechts wäre nach wie vor ungeklärt.
Alle diese Lösungsvorschläge haben jedoch gemeinsam, dass sie eine tiefgreifende juristische Inkohärenz in Bezug auf das Verbot der Leihmutterschaft im innerstaatlichen Recht schaffen. Sie würden letztendlich dazu führen, dass eine Situation, für die der Gesetzgeber formell ein Verbot ausgesprochen hat, dennoch Rechtswirkung entfalten darf. Indem dem Verbot der Leihmutterschaft ein Teil seiner Rechtswirkungen genommen wird, würde man Gefahr laufen, Praktiken, die als Missachtung der menschlichen Persönlichkeit – sowohl der Leihmutter als auch des Kindes – angesehen werden, zu erleichtern. Sowohl auf juristischer als auch auf symbolischer Ebene wäre es heikel, die Aufrechterhaltung dieses Verbots in Frankreich einerseits, und die Anerkennung bestimmter Wirkungen der Leihmutterschaften, die regelmäßig im Ausland durchgeführt werden, andererseits, miteinander in Einklang zu bringen. Darüber hinaus würde eine solche Legalisierung zugunsten von Paaren, die rechtmäßig im Ausland eine Leihmutterschaft in Anspruch genommen haben, ohne dieselbe Vorgehensweise auch bei „Wunscheltern“ zu erlauben, die illegal in Frankreich eine Leihmutterschaft in Anspruch genommen haben, eine Ungerechtigkeit bedeuten in Bezug auf Kinder, deren „Eltern“ die finanziellen Mittel hatten, um ins Ausland zu reisen, gegenüber solchen Kindern, deren „Eltern“ hierzu nicht in der Lage waren.
Punktuelle Lösungen sind dennoch vorstellbar, mit dem Ziel, die praktischen Schwierigkeiten der Familien auszugleichen, ohne die Regelungen bezüglich von Kindschaftsverhältnissen zu modifizieren.
So könnte man die Eintragung des alleinigen Kindschaftsverhältnisses zum Vater erlauben, da es im Interesse des Kindeswohls ist, dass das Kindschaftsverhältnis zum leiblichen Vater anerkannt wird; anschließend könnte für die Wunschmutter, zu der das Kindschaftsverhältnis nicht anerkannt wird, auf Antrag des Vaters ein Gerichtsbeschluss zur Übertragung von Elternrechten erlassen werden, im Sinne einer gemeinsamen elterlichen Sorge (Art. 377 des „code civil“). In diesem Fall könnte die Mutter Vorrechte in Verbindung mit der elterlichen Sorge genießen (ebenso wie einige Drittpersonen gemäß dem Familienrecht solche Rechte haben können), ohne dass ein Kindschaftsverhältnis zu ihr hergestellt wird. Doch ebenso wie bei der vorgenannten Option, bei der eine Adoption durch die Mutter erlaubt wird, setzt eine Übertragung/Beteiligung an der elterlichen Sorge voraus, dass man die Möglichkeit einer Herstellung des Kindschaftsverhältnisses zum Vater (durch Eintragung der ausländischen Urkunde oder durch Anerkennung) zulässt. Dies dürfte, trotz der Unsicherheiten in der Rechtsprechung, keine Schwierigkeiten bereiten, da ja eine biologische Verbindung zwischen dem Kind und dem Vater besteht, welcher sich in einer ähnlichen Situation befindet wie der Vater eines nichtehelich geborenen Kindes. Das Kindschaftsverhältnis zum Vater kann nach Auffassung des Conseil d’État anerkannt werden.
Schließlich könnte man einen Vermerk über den ausländischen Gerichtsbeschluss, durch den die Wunschmutter als Mutter des Kindes anerkannt wurde, als Randvermerk in der Geburtsurkunde des Kindes zulassen; wobei dieser Randvermerk einzig und allein die Wirkung hätte, zu verhindern, dass im Falle des Versterbens der Mutter ein Verfahren zur Volladoption des Kindes durch eine Drittperson stattfinden könnte, was zur Folge hätte, dass den Eltern der Wunschmutter jegliche Verbindung zum Kind genommen würde (ein solcher Randvermerk würde bewirken, dass nur eine einfache Adoption, aber keine Volladoption erlaubt wäre).
IV. DER BERICHT DER ARBEITSGRUPPE „KINDSCHAFT, HERKUNFT, ELTERNSCHAFT“
29. Im Rahmen der Vorbereitung eines „Gesetzesentwurfs zu den neuen Schutzbestimmungen, neuen Sicherheiten und neuen Rechten für Kinder“ hat die Familienministerin eine Arbeitsgruppe mit der Bezeichnung „Kindschaft, Herkunft, Elternschaft“ unter dem Vorsitz der Soziologin Frau Irène Théry, Studienleiterin an der „École des hautes études en sciences sociales“, damit beauftragt, einen Bericht zu erstellen, der die gegenwärtigen Verwandlungen der Kindschaftsverhältnisse beschreibt und die Diversität der Modalitäten, diese herzustellen, sowie die damit verbundenen Fragen analysiert. Unter dem Titel „Kindschaft, Herkunft, Elternschaft – das Recht angesichts der neuen Werte der Generationenverantwortung“, veröffentlicht im April 2014, befasst sich dieser Bericht insbesondere mit der Frage der Anerkennung des Kindschaftsverhältnisses von Kindern, die aus Leihmutterschaften im Ausland geboren wurden. Der Bericht stellt fest, dass die Rechtsprechung des Kassationshofs einer solchen Anerkennung entgegensteht, und weist darauf hin, dies habe „besonders schwere Auswirkungen“ auf das Kind. So wird im Bericht Folgendes ausgeführt:
„Zunächst einmal ist es für das Kind unmöglich, eine französische Personenstandsurkunde zu erhalten. Dies stellt für das Kind und seine Eltern eine große Unannehmlichkeit dar. Wenngleich sie in der Praxis die ausländische Urkunde für einige Zwecke verwenden können, sofern sie legalisiert bzw. mit einer Apostille versehen ist, besteht die reale Gefahr, dass diese Urkunde von den Behörden abgelehnt oder angezweifelt wird, da diese angesichts einer ausländischen Urkunde systematisch eine Gesetzesumgehung befürchten.
Unvermeidlich werden die Wunscheltern, selbst wenn sie diese ausländische Urkunde besitzen, mit größeren konkreten Schwierigkeiten konfrontiert sein. Sie werden für das Kind eine Reise- und Aufenthaltserlaubnis einholen müssen, da das Kind nicht die französische Staatsangehörigkeit besitzt. Zwar gibt es Korrektive, die durch den Conseil d’État und das „Rundschreiben Taubira“ eingeführt wurden, aber es ist nicht sicher, ob diese vorgeschlagenen Lösungen Bestand haben, insbesondere im Hinblick auf die letzte Lösung des Kassationshofs, in der es nicht mehr befürwortet wird, dass ein Kindschaftsverhältnis zum leiblichen Vater hergestellt wird. Es ist wahrscheinlich, dass die Behörden demnächst nicht mehr zulassen werden, dass die ausländische Urkunde ein Kindschaftsverhältnis beweist, dessen Gültigkeit Gefahr läuft, im französischen Recht angefochten zu werden, da der Kassationshof vermutet hat, die Geburt habe im Rahmen eines unlauteren Prozesses stattgefunden. Diese Schwierigkeit wird immer wieder auftreten, bei allen Behörden, bei der Anmeldung an der Schule, und ebenso bei der Bewilligung von Sozialleistungen. Hinzu kommt:In dem Maße, in dem das Kindschaftsverhältnis zwischen dem Kind und den Wunscheltern nicht als hergestellt gilt, haben diese grundsätzlich kein Recht auf Ausübung der elterlichen Sorge; dieser Aspekt, der an sich schon besorgniserregend ist, wird mit Sicherheit im Falle von Tod oder Trennung noch zusätzliche Schwierigkeiten bereiten. Aus demselben Grund haben die Kinder, falls es kein Vermächtnis oder Testament gibt, keinerlei Erbberechtigung gegenüber ihren Wunscheltern.“
Der Bericht befasst sich außerdem mit der Vereinbarkeit der Position des Kassationshofs mit Art. 8 der Konvention und Art. 3 Abs. 1 des Übereinkommens über die Rechte des Kindes, demzufolge „bei allen Maßnahmen, die Kinder betreffen, gleichviel ob sie von öffentlichen oder privaten Einrichtungen der sozialen Fürsorge, Gerichten, Verwaltungsbehörden oder Gesetzgebungsorganen getroffen werden, das Wohl des Kindes ein Gesichtspunkt ist, der vorrangig zu berücksichtigen ist.“
Nach Prüfung der verschiedenen möglichen Lösungen wird im Bericht der folgende Vorschlag gemacht:
„Für Kinder, die aus einer Leihmutterschaft im Ausland geboren wurden, wird vorgeschlagen, eine volle Anerkennung der rechtmäßig hergestellten Situation zu befürworten, und zwar deshalb, weil es im Interesse des Kindes ist, dass sein Kindschaftsverhältnis zu seinen beiden Wunscheltern hergestellt wird.
Diese Anerkennung sollte begleitet werden von einer festen Verpflichtung Frankreichs zur baldigen Einrichtung eines internationalen Instruments – nach dem Vorbild des Haager Adoptionsübereinkommens – des Kampfes gegen die Knechtung von Frauen durch die Organisation von Leihmutterschaften, die den Grundrechten der Person widersprechen.“
V. DIE GRUNDSÄTZE, DIE VOM „AD HOC COMMITTEE OF EXPERTS ON BIOETHICS“ DES EUROPARATS ANGENOMMEN WURDEN
30. Das „Ad hoc Committee of Experts on Bioethics“ (CAHBI), das innerhalb des Europarats gegründet wurde und der Vorgänger des „Steering Committee on Bioethics“ (Lenkungsausschuss für Bioethik) war, hat 1989 eine Reihe von Grundsätzen veröffentlicht; der 15. Grundsatz, der sich auf „Leihmütter“ bezieht, lautet wie folgt:
„1. Kein Arzt und keine Einrichtung darf die Techniken der künstlichen Befruchtung für die Zeugung eines Kindes verwenden, das von einer Leihmutter ausgetragen wird.
2. Kein Vertrag und keine Vereinbarung zwischen einer Leihmutter und der Person oder dem Ehepaar, für die ein Kind ausgetragen wird, kann rechtlich geltend gemacht werden.
3. Jegliche Vermittlungstätigkeit für Personen, die von einer Leihmutterschaft betroffen sind, muss verboten werden, ebenso wie jede Form von diesbezüglicher Werbung.
4. Jedoch können die Staaten in außergewöhnlichen Fällen, die von ihrem innerstaatlichen Recht festgelegt sind, dafür sorgen – ohne von Absatz 2 dieses Grundsatzes eine Ausnahme zu machen -, dass ein Arzt oder eine Einrichtung die Befruchtung einer Leihmutter durchführen darf, indem er Techniken der künstlichen Befruchtung anwendet, wenn folgende Voraussetzungen erfüllt sind:
a. dass die Leihmutter keinerlei materiellen Vorteil aus der Operation zieht; und
b. dass die Leihmutter bei der Geburt des Kindes die Wahl hat, das Kind zu behalten.
VI. RECHTSVERGLEICH
31. Der Gerichtshof hat eine rechtsvergleichende Studie durchgeführt anhand von 35 Mitgliedstaaten der Konvention neben Frankreich: Andorra, Albanien, Deutschland, Österreich, Belgien, Bosnien-Herzegowina, Spanien, Estland, Finnland, Georgien, Griechenland, Ungarn, Irland, Island, Italien, Lettland, Litauen, Luxemburg, Malta, Moldawien, Monaco, Montenegro, Niederlande, Polen, Republik Tschechien, Rumänien, Großbritannien, Russland, Saint-Marin, Serbien, Slowenien, Schweden, Schweiz, Türkei und Ukraine.
32. Die Studie ergab, dass Leihmutterschaft in vierzehn dieser Staaten ausdrücklich verboten ist: Deutschland, Österreich, Spanien, Estland, Finnland, Island, Italien, Moldawien, Montenegro, Serbien, Slowenien, Schweden, Schweiz und Türkei. In zehn weiteren Staaten, in denen es keine gesetzlichen Regelungen zur Leihmutterschaft gibt, ist diese entweder aufgrund von allgemeinen Bestimmungen verboten, oder sie wird dort nicht geduldet, oder die Frage nach der Legalität ist ungewiss. Hierbei handelt es sich um Andorra, Bosnien-Herzegowina, Ungarn, Irland, Lettland, Litauen, Malta, Monaco, Rumänien und Saint-Marin.
Dagegen ist in sieben der 35 Staaten die Leihmutterschaft erlaubt (unter dem Vorbehalt strenger Auflagen): in Albanien, in Georgien, in Griechenland, in den Niederlanden, in Großbritannien, in Russland und in der Ukraine. Dabei handelt es sich grundsätzlich um Leihmutterschaft im uneigennützigen Sinne (die Leihmutter kann zwar die Kosten, die in Verbindung mit der Schwangerschaft entstehen, ersetzt bekommen, aber sie kann nicht entlohnt werden), aber dennoch scheint es, dass sich in Georgien, Russland und in der Ukraine hinter der Leihmutterschaft ein kommerzieller Charakter verbirgt. Darüber hinaus scheint die Leihmutterschaft in vier Staaten, in denen es keine gesetzliche Regelung dafür gibt, toleriert zu werden: in Belgien, in der tschechischen Republik, und schließlich in Luxemburg und in Polen.
33. In dreizehn der 35 Staaten haben die Wunscheltern die Möglichkeit, die rechtliche Anerkennung des Kindschaftsverhältnisses mit einem Kind zu erreichen, das aus einer rechtmäßig im Ausland praktizierten Leihmutterschaft stammt – entweder durch Exequatur oder durch direkte Eintragung des ausländischen Gerichtsbeschlusses oder der ausländischen Geburtsurkunde in das Personenstandsregister, oder sie können durch Adoption ein Kindschaftsverhältnis herstellen. Hierbei handelt es sich um Albanien, Spanien, Estland, Georgien, Griechenland, Ungarn, Irland, die Niederlande, die tschechische Republik, Großbritannien, Russland, Slowenien und die Ukraine. Dies scheint gleichermaßen möglich zu sein in elf weiteren Staaten, in denen Leihmutterschaft verboten oder zumindest im Gesetz nicht vorgesehen ist: in Österreich, in Belgien, in Finnland, in Island, in Italien (zumindest in Bezug auf das Kindschaftsverhältnis zum Vater, wenn der Wunschvater der leibliche Vater ist), in Malta, in Polen, in Saint-Marin, in Schweden, in der Schweiz, und schließlich in Luxemburg.
Demgegenüber scheint dies in den folgenden, insgesamt 11 Staaten ausgeschlossen zu sein: Andorra, Deutschland (außer vielleicht in Bezug auf das Kindschaftsverhältnis zum Vater, wenn der Wunschvater der leibliche Vater ist), Bosnien-Herzegowina, Lettland, Litauen, Moldawien, Monaco, Montenegro, Rumänien, Serbien und Türkei.
RECHTLICHE SITUATION
I. ZUR BEHAUPTETEN VERLETZUNG VON ARTIKEL 8 DER KONVENTION
34. Die Beschwerdeführer beklagen, dass sie, was dem Kindeswohl widerspreche, nicht die Möglichkeit haben, in Frankreich die Anerkennung des Kindschaftsverhältnisses zu erreichen, das im Ausland rechtmäßig zwischen den beiden ersten Beschwerdeführern und der dritten Beschwerdeführerin, die im Ausland aus einer Leihmutterschaft geboren wurde, hergestellt worden sei. Sie beziehen sich auf Art. 8 der Europäischen Menschenrechtskonvention, mit folgendem Wortlaut:
(1) „Jede Person hat das Recht auf Achtung ihres Privat- und Familienlebens, ihrer Wohnung und ihrer Korrespondenz.
(2) Eine Behörde darf in die Ausübung dieses Rechts nur eingreifen, soweit der Eingriff gesetzlich vorgesehen und in einer demokratischen Gesellschaft notwendig ist für die nationale oder öffentliche Sicherheit, für das wirtschaftliche Wohl des Landes, zur Aufrechterhaltung der Ordnung, zur Verhütung von Straftaten, zum Schutz der Gesundheit oder der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer.“
35. Die Regierung widerspricht dieser Behauptung.
A. Zulässigkeit
36. Obwohl die Regierung die Zulässigkeit der Beschwerde nicht bestreitet, hält der Gerichtshof es für angebracht, einige Erläuterungen zur Anwendbarkeit von Art. 8 der Konvention zu geben.
37. Der Gerichtshof erinnert daran, dass Art. 8 mit der Zusicherung des Rechts auf Achtung des Familienlebens die tatsächliche Existenz einer Familie voraussetzt (s.o.Wagner und J.M.W.L., Abs. 117, sowie die darin angegebenen Verweise). Er weist darauf hin, dass die Regierung nicht den Schluss zieht, diese Voraussetzung sei im vorliegenden Fall nicht erfüllt, weil das Kindschaftsverhältnis zwischen den ersten Beschwerdeführern und der dritten Beschwerdeführerin im innerstaatlichen Recht nicht anerkannt wird. Er verweist darauf, dass er in der Rechtssache X, Y und Z ./. Vereinigtes Königreich (22. April 1997, Abs. 36-37, Recueil des arrêts et décisions 1997 – II) auf die Existenz von „de facto-Verwandtschaftsbeziehungen“geschlossen hatte zwischen einem Kind, das durch künstliche Befruchtung mit einem Samenspender gezeugt wurde, dem transsexuellen Lebensgefährten der Kindesmutter, der sich seit Geburt des Kindes wie ein Vater verhielt, und der Mutter selbst, so dass Art. 8 anwendbar sei. Er hat ebenso die Existenz eines de facto-Familienlebens anerkannt in der Angelegenheit Wagner und J.M.W.L. (siehe oben, gleiche Verweise) zwischen einem Kind und seiner Adoptivmutter, obwohl die Adoption nach innerstaatlichem Recht nicht anerkannt wurde. Ausschlaggebend in diesen Situationen ist die konkrete Realität des Verhältnisses zwischen den Betroffenen. Tatsächlich ist es im vorliegenden Fall sicher, dass die ersten Beschwerdeführer sich wie Eltern um die dritte Beschwerdeführerin seit ihrer Geburt kümmern und dass alle drei in einer Art und Weise zusammen leben, die sich in keiner Weise vom „Familienleben“ in seiner üblichen Form unterscheidet. Dies reicht aus, um festzustellen, dass Art. 8 im Hinblick auf seine Formulierung „Familienleben“ anwendbar ist.
38. Im Übrigen hat der Gerichtshof entschieden, dass das „Privatleben“ im Sinne dieser Bestimmung manchmal auch Aspekte der Identität – nicht nur der physischen, sondern auch der sozialen Identität der Person – beinhaltet (Mikulic ./. Kroatien, Nr.53176/99, § 34, CEDH 2002‑I ; siehe auch das UrteilJäggi ./. Schweiz(Nr. 58757/00, § 37, CEDH 2006‑X, in dem der Gerichtshof betont, dass das Recht auf Identität ein fester Bestandteil des Begriffs des Privatlebens ist.) So verhält es sich auch mit dem Kindschaftsverhältnis, dem jeder Mensch angehört; was auch die Fälledeutlich zeigen, in denen der Gerichtshof die Frage der Vereinbarkeit der Unmöglichkeit, ein rechtliches Kindschaftsverhältnis zwischen einem Kind und einem leiblichen Elternteil herzustellen, mit dem Recht auf Achtung des Privatlebens untersucht hat – wobei der Gerichtshof betonte, dass die Achtung des Privatlebens erfordert, dass jeder Mensch die Möglichkeit haben sollte, die Einzelheiten seiner Identität als Mensch festzustellen (s.o.Mikulic, Abs. 35). Ebenso wie bei den Fällen dieser Art besteht eine „direkte Beziehung“ (s.o. Mikulic, Abs. 36) zwischen dem Privatleben der Kinder, die aus Leihmutterschaften geboren wurden, und der rechtlichen Feststellung ihres Kindschaftsverhältnisses. Somit ist Art. 8 im vorliegenden Fall auch in Bezug auf den Bereich des „Privatlebens“ anwendbar.
39. Somit stellt der Gerichtshof fest, dass die Beschwerde nicht offensichtlich unbegründet ist im Sinne von Art. 35 Abs. 3 a) der Konvention.Da auch kein sonstiger Grund vorliegt, um sie für unzulässig zu erklären, ist die Beschwerde für zulässig zu erklären.
B. Begründetheit
1. Stellungnahmen der Parteien
a) Die Beschwerdeführer:
40. Die Beschwerdeführer tragen vor, dass der Staat, wenn die Existenz einer Familienbindung zu einem Kind feststeht, so handeln müsse, dass diese Bindung sich entfalten kann, und rechtlichen Schutz gewähren müsse, um die Integration des Kindes in seiner Familie zu ermöglichen. Sie fügen hinzu – unter Bezugnahme auf die Urteile Maire ./. Portugal (Nr. 48206/99, CEDH 2003-VII) und Wagner und J.M.W.L. ./. Luxemburg (Nr. 76240/01, 28. Juni 2007) -, die Verpflichtungen, die Art. 8 den Mitgliedstaaten auferlegt, seien im Licht der Kinderrechtskonvention vom 20. November 1989 auszulegen.
41. Aufgrund der Ablehnung ihres Antrags auf Eintragung der Notorietätsurkunde, durch die der Statusbesitz der dritten Beschwerdeführerin festgestellt wurde, in das französische Personenstandsregister sei diese nicht ihr eheliches Kind und sei daher ohne ein Kindschaftsverhältnis gegenüber der zweiten Beschwerdeführerin, und zwar aus Gründen der Nichtigkeit des Leihmutterschaftsvertrags, obwohl dieser in dem Staat, in dem er geschlossen wurde, gültig ist. Dieser Eingriff in ihr Recht auf Achtung ihres Privat- und Familienlebens sei nicht gerechtfertigt. Wenngleich den Staaten ein Ermessensspielraum zuerkannt werde, dürften die innerstaatlichen Richter nach vernünftigem Ermessen nicht den rechtlichen Status ignorieren, der im Ausland rechtmäßig hergestellt wurde und der einem Familienleben im Sinne des Art. 8 entspricht; noch dürften sie es ablehnen, Familienbindungen anzuerkennen, die de facto bereits existierten, und auf eine konkrete Untersuchung der Situation verzichten. Außerdem sei die Ungültigkeit des Leihmutterschaftsvertrages, an der die französischen Richter festhielten, kein „legitimes Ziel“, das esrechtfertigen könnte, dass einem Kind sein rechtmäßiges Kindschaftsverhältnis zu den Personen, die sich wie seine rechtmäßigen Eltern verhalten und als solche angesehen werden, genommen wird, und könne nicht die Nichtanerkennung von Familienbindungen rechtfertigen, die bereits existierten – nicht nur de facto, sondern auch – aufgrund der in Minnesota ausgestellten Urkunde – de jure. Nach Auffassung der Beschwerdeführer stellt die Ablehnung ihres Antrags eine Missachtung des vorrangig zu berücksichtigenden Interesses des Kindes dar, ein Kindschaftsverhältnis zu haben, das der rechtlichen Wirklichkeit entspricht, sowohl aufgrund seiner Geburtsurkunde als auch seines realen Privat- und Familienlebens; sowie auch eine Missachtung des Rechts des Kindes sowie seines Vaters und seiner Mutter, ein normales Familienleben zu haben.
42. In ihren Antworten auf die ergänzenden Fragen des Sektionspräsidenten (s.o. Abs. 5) tragen die Beschwerdeführer vor, gemäß Art. 311-14 des „code civil“ sei das anwendbare Recht in Kindschaftssachen das Recht, das für die Mutter am Tag der Geburt des Kindes anwendbar ist, d.h. – laut Rechtsprechung des Kassationshofs – dasRecht der Person, die das Kind entbunden hat. Daraus folgern sie, da die Leihmutter bekannt sei, müsse diese als Mutter des Kindes im Sinne von Art. 311-14 angesehen werden, so dass die Feststellung des Kindschaftsverhältnisses durch das Recht, das für diese anwendbar ist, bestimmt werde. Im vorliegenden Fall sei dies das Recht von Minnesota, und gemäß diesem Recht seien die ersten Beschwerdeführer die Eltern der dritten Beschwerdeführerin. Jedoch könne aufgrund der Rechtsprechung des Kassationshofs keine französische Personenstandsurkunde, in der dieses Kindschaftsverhältnis festgestellt wird, ausgestellt werden. Und die Unmöglichkeit, eine französische Personenstandsurkunde oder ein französisches Familienbuch zu besitzen, in dem die Kinder eingetragen sind,mache das Familienleben solcher Familien erheblich komplizierter, da die Vorlage dieser Dokumente bei der Erledigung von Justiz- oder Verwaltungsangelegenheiten fast immer verlangt werde, so z.B. bei der Ausstellung oder Verlängerung eines Personalausweises, bei der Anlage einer Akte für Familienbeihilfe, bei der Anmeldung der Kinder unter der Sozialversicherungsnummer der Eltern und bei der Anmeldung in der Schule. Die Beschwerdeführer führen weiter aus, die ausländischen Personenstandsurkunden würden zwar theoretisch akzeptiert, da sie gemäß Art. 47 des „code civil“ beweiskräftig seien, aber dennoch müssten sie von einem ermächtigten Übersetzer übersetzt werden, was Kosten verursache, und amtlich beglaubigt und – im Allgemeinen – mit einer Apostille versehen werden. Außerdem würden sie, vor allem aufgrund der Vielzahl der Fälle von Fälschungen, immer häufiger von den Behörden, bei denen sie vorgelegt werden, abgelehnt oder angezweifelt. Darüber hinaus könnten die betroffenen Kinder, da sie nicht in Frankreich geboren sind und nicht zu französischen Eltern in Frankreich ein Kindschaftsverhältnis herstellen können, nicht grundsätzlich als von Geburt an französisch angesehen werden, wobei das Rundschreiben vom 25. Januar 2013, das keinen Verpflichtungscharakter habe und wahrscheinlich der Haltung des Kassationshofs widerspreche, nichts an dieser Feststellung ändere. Im weiteren Sinne würden ihnen in Frankreich Rechte vorenthalten, die mit ihrer Kindschaft zum Vater und zur Mutter in Verbindung stehen, insbesondere in erbrechtlicher Hinsicht, und ihre Situation in Bezug auf die elterliche Sorge im Falle einer Trennung der Eltern oder des Versterbens eines der Elternteile sei problematisch. Und schließlich würde ihnen ihr Leben lang das Grundrecht vorenthalten, ihr Kindschaftsverhältnis festzustellen.
b) Die Regierung:
43. Die Regierung erklärt, dass sie nicht bestreite, dass die Weigerung, die Notorietätsurkunde im französischen Personenstandsregister zu vermerken, einen Eingriff in die Ausübung der in Art. 8 der Konvention zugesicherten Rechte darstellt.
44. Sie betont dabei, der Eingriff sei „gesetzlich vorgesehen“, was auch von den Beschwerdeführern nicht bestritten werde.
45. Die Regierung bringt anschließend vor, die Ablehnung der Anerkennung des Statusbesitzes sei durch die Tatsache begründet, dass damit einem Vertrag über Leihmutterschaft Wirksamkeit verschafft worden wäre, die durch eine „ordre public“-Bestimmung formell verboten sei und, wenn sie in Frankreich praktiziert würde, strafrechtlich verfolgt werden würde. Infolgedessen habe der Eingriff als „legitime Ziele“ die Aufrechterhaltung der Ordnung, die Verhütung von Straftaten, den Schutz der Gesundheit und den Schutz der Rechte und Freiheiten des anderen.
46. Zum Thema der Verhältnismäßigkeit bringt die Regierung vor, die Weigerung, einem Statusbesitz Wirksamkeit zu verleihen, um die Familienzugehörigkeit im französischen Personenstandsregister festzuschreiben, verhindere in keiner Weise, dass die bei der Geburt der dritten Beschwerdeführerin in den Vereinigten Staaten ausgestellte amerikanische Personenstandsurkunde auch in Frankreich alle ihre Wirkungen entfalten könne. So würden, erstens, auf der Grundlage solcher Urkunden französische Staatsangehörigkeitsbescheinigungen ausgestellt, sobald festgestellt wurde, dass einer der Elternteile französisch ist (zu diesem Zweck legte die Regierung eine Kopie des Rundschreibens des „garde des sceaux“ – des Justizministers – vom 25. Januar 2013 vor); zweitens übten die ersten beiden Beschwerdeführer voll und ganz die elterliche Sorge für die dritte Beschwerdeführerin aus, auf der Grundlage ihrer amerikanischen Personenstandsurkunde, und sie haben keinerlei Schwierigkeiten bei der täglichen Ausübung der elterlichen Sorge; und der Tod eines der beiden Elternteile hätte keinerlei Auswirkung auf die Ausübung der elterlichen Sorge durch den anderen Elternteil; drittens würde im Falle einer Scheidung der Familienrichter den Wohnort des Kindes sowie das Umgangsrecht der Elternteile, wie sie in der ausländischen Personenstandsurkunde bezeichnet sind, festlegen; viertens könne die dritte Beschwerdeführerin – da der Beweis ihrer Eigenschaft als Erbin auf jede Art und Weise erbracht werden kann – die ersten Beschwerdeführer beerben, auf der Grundlage ihrer amerikanischen Personenstandsurkunde unter den Bedingungen des geltenden Rechts. Die Regierung fragt sich daher, welche tatsächliche Tragweite der Eingriff in das Familienleben der Beschwerdeführer überhaupt hat, da dieser Eingriff letztendlich darauf reduziert sei, dass sie nicht die Möglichkeit haben, französische Personenstandsurkunden ausstellen zu lassen.
47. Die Regierung beharrt auf der Tatsache, dass der Gesetzgeber in dem Bemühen, jede Möglichkeit der Vermarktung des menschlichen Körpers zu unterbinden, die Achtung des Grundsatzes der Unveräußerlichkeit des menschlichen Körpers und des Personenstandes zu gewährleisten und das vorrangig zu berücksichtigende Wohl des Kindes zu wahren, im Namen des allgemeinen Willens des französischen Volkes beschlossen hat, die Leihmutterschaft nicht zu erlauben; der innerstaatliche Richter habefolgerichtig gehandelt, indem er es ablehnte, der Leihmutterschaft durch Eintragung des Statusbesitzes in das Personenstandsregister Wirkung zu verleihen, da es sich um Kinder handelte, die aus einer im Ausland durchgeführten Leihmutterschaft geboren wurden. –Hätte er die Eintragung erlaubt, so wäre dies gleichbedeutend damit gewesen, dass er stillschweigend akzeptiert hätte, dass das innerstaatliche Recht wissentlich und ungestraft umgangen wurde, und hätte damit die Kohärenz des Verbots in Frage gestellt.
Die Regierung fügt hinzu, da die Leihmutterschaft ein moralisches und ethisches Thema sei und da zwischen den Mitgliedstaaten kein Konsens zu dieser Frage bestehe, müsse den Staaten ein weiter Ermessensspielraum in diesem Bereich gegeben werden, sowie auch in Bezug auf die Art und Weise, wie sie die Wirkungen des im Ausland festgestellten Kindschaftsverhältnisses verstehen. Nach Auffassung der Regierung ist angesichts dieses weiten Ermessensspielraumes und der Tatsache, dass das Familienleben der Beschwerdeführer auf der Grundlage der amerikanischen Personenstandsurkunde der Kinder völlig normal verlaufe und dass das vorrangig zu berücksichtigende Wohl der Kinder gewahrt werde, der Eingriff in die Ausübung der ihnen durch Art. 8 der Konvention zugesicherten Rechte durchaus verhältnismäßig gegenüber den verfolgten Zielen, so dass keine Verletzung dieser Bestimmung vorliege.
48. In ihren Antworten auf die ergänzenden Fragen des Sektionspräsidenten (s.o. Absatz 5) erklärt die Regierung, das auf die Feststellung der Kindschaft der dritten Beschwerdeführerin anwendbare Recht sei, gemäß Art. 311-14 des „code civil“, das Personalstatut ihrer Mutter – d.h., nach der Rechtsprechung des Kassationshofs (Civ. 1ière 11. Juni 1996, Bull. civ. Nr. 244), der Person, die das Kind auf die Welt gebracht hat; somit also das Recht der Leihmutter, d.h., im vorliegenden Fall, amerikanisches Recht; und nach diesem Recht sind die ersten Beschwerdeführer die Eltern der dritten Beschwerdeführerin, und die zweite Beschwerdeführerin ist ihre „rechtmäßige Mutter“. Die Regierung erklärt ergänzend, da die ausländischen Geburtsurkunden den Vorgabenvon Art. 47 des „code civil“ entsprechen, und unabhängig von ihrer Eintragung ins Geburtsregister, hätten sie auf französischem Staatsgebiet entsprechende Rechtswirkungen, insbesondere in Bezug auf den Nachweis des Kindschaftsverhältnisses, das durch sie belegt werde.Art. 47 sei im vorliegenden Fall anwendbar, obwohl aus der Rechtsprechung des Kassationshofs hervorgehe, dass Leihmutterschaftsverträge null und nichtig sind nach dem „ordre public“ und daher im französischen Recht in Bezug auf das Kindschaftsverhältnis keinerlei Wirkung haben können. Infolgedessen sei Art. 18 des „code civil“ – der beinhaltet, dass ein Kind die französische Staatsangehörigkeit hat, wenn mindestens einer der Elternteile französisch ist – anwendbar, sobald der Nachweis der Existenz des rechtmäßig festgestellten Kindschaftsverhältnisses erbracht worden sei, indem eine ausländische Personenstandsurkunde, deren Beweiskraft nicht angefochten werden kann, vorgelegt wurde. Und schließlich weist die Regierung darauf hin, der erste Beschwerdeführer könne in Frankreich die dritte Beschwerdeführerin nicht anerkennen, da der Kassationshof mit Beschluss vom 13. September 2013 entschieden habe, dass die Anerkennung der Vaterschaft durch einen Wunschvater für ein durch einen Leihmutterschaftsvertrag geborenes Kind aufzuheben sei, aufgrund des Gesetzesverstoßes durch den Vater, indem dieser sich einer solchen Methode bedient habe.
2. Rechtliche Würdigung durch den Gerichtshof
a) Zum Eingriff in das Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens
49. Aus den Schriftstücken der Parteien geht hervor, dass sie die Weigerung der französischen Behörden, die Familienbindung, durch die die Beschwerdeführer vereint sind, rechtlich anzuerkennen, übereinstimmend als einen „Eingriff“ in ihr Recht auf Achtung des Familienlebens ansehen;dies wirft Fragen aufunter dem Blickwinkel der negativen Pflichten des beschwerdegegnerischen Staates in Bezug auf Art. 8, anstatt seiner positiven Pflichten.
50. Der Gerichtshof teilt diese Auffassung. Er erinnert daran, dass er derselben Auffassung war in den Fällen Wagner und J.M.W.L. (s.o., Abs. 123) und Negrepontis-Giannisis ./. Griechenland (Nr. 56759/08, Abs. 58, 3. Mai 2011), bei denen es um die Weigerung der luxemburgischen bzw. griechischen Gerichte ging, eine durch ausländische Gerichtsbeschlüsse geschlossene Adoption rechtlich anzuerkennen. Er führt dazu aus, es liege im vorliegenden Fall, ebenso wie bei den o.g. Fällen, ein Eingriff in die Ausübung des von Art. 8 zugesicherten Rechts vor – nicht nur in Bezug auf das „Familienleben“, sondern auch im Bereich des „Privatlebens“.
51. Ein solcher Eingriff stellt eine Missachtung des Artikels 8 dar, es sei denn, dass er „gesetzlich vorgesehen“ ist und ein oder mehrere legitime Ziele in Bezug auf den zweiten Absatz des Artikels verfolgt unddass der Eingriff „in einer demokratischen Gesellschaft notwendig“ ist, um diese Ziele zu erreichen. Der Begriff der „Notwendigkeit“ setzt voraus, dass der Eingriff auf einem zwingend notwendigen gesellschaftlichen Bedürfnis gründet und, vor allem, dass er, gemessen an dem verfolgten legitimen Ziel, verhältnismäßig ist (z.B. s.o. Wagner und J.M.W.L., Abs. 124, und Negrepontis-Giannisis, Abs. 61).
b) Zur Rechtfertigung des Eingriffs
i. „Gesetzlich vorgesehen“
52. Der Gerichtshof nimmt zur Kenntnis, dass die Beschwerdeführer nicht bestreiten, dass der streitige Eingriff gesetzlich vorgesehen ist.
ii. Legitime Ziele
53. Der Gerichtshof ist nicht überzeugt von der Behauptung der Regierung, es gehe im vorliegenden Fall um die „Aufrechterhaltung der Ordnung“ und „Verhütung von Straftaten“. Er stellt fest, dass es keinesfalls erwiesen ist, dass die Inanspruchnahme einer Leihmutterschaft durch französische Staatsbürger in einem Land, in dem diese legal ist, eine Straftat nach französischem Recht darstellen würde. Im Übrigen hat er diesbezüglich im o.g. Fall Mennesson (siehe Urteil, Abs. 61) – in dem gegen Wunscheltern, die in den Vereinigten Staaten eine Leihmutterschaft in Anspruch genommen hatten, Ermittlungen eingeleitet worden waren wegen „Leihmutterschaftsvermittlung“ und „Vortäuschung mit der Folge einer Verletzung des Personenstands von Kindern“ – betont, dass der Untersuchungsrichter die Einstellung des Verfahrens beschlossen hatte, mit der Begründung, die Tatbestände, die auf amerikanischem Staatsgebiet begangen worden waren, wo sie nicht strafbar sind, stellten keine strafbaren Vergehen auf französischem Staatsgebiet dar.
54. Andererseits ist der Gerichtshof der Auffassung, dass die Weigerung Frankreichs, ein Kindschaftsverhältnis zwischen den aus einer Leihmutterschaft im Ausland geborenen Kindern und den Wunscheltern anzuerkennen, dem Willen entspringt, seine Staatsbürger davon abzuhalten, außerhalb des französischen Staatsgebiets eine Zeugungsmethode in Anspruch zu nehmen, die es auf seinem eigenen Staatsgebiet verbietet; mit dem Ziel, gemäß seiner Wahrnehmung der Problematik die Kinder zu schützen sowie auch – wie aus der Studie des Conseil d’État vom 9. April 2009 (s.o. Abs. 28) hervorgeht – die Leihmutter zu schützen. Der Gerichtshof räumt daher ein, dass die Regierung die Meinung vertreten kann, dass der strittige Eingriff zwei der legitimen Ziele hatte, die im zweiten Absatz des Artikels 8 der Konvention aufgeführt sind: den „Schutz der Gesundheit“ und den „Schutz der Rechte und Freiheiten anderer“.
iii. „Notwendig“, „in einer demokratischen Gesellschaft“
a. Allgemeine Überlegungen
55. Der Gerichtshof stellt fest, dass die Regierung der Meinung ist, dass die Mitgliedstaaten im strittigen Bereich einen weiten Ermessensspielraum haben, um zu entscheiden, was „in einer demokratischen Gesellschaft“ „notwendig“ sei.
56. Der Gerichtshof erinnert daran, dass die Weite des Ermessensspielraums, den die Staaten haben, je nach den Umständen, Bereichen und dem jeweiligen Zusammenhang variiert und dass das Vorhandensein oder Nichtvorhandensein eines gemeinsamen Nenners in den Rechtssystemen der Mitgliedstaaten in dieser Hinsicht ein entscheidender Faktor sein kann (siehe z.B. Wagner und J.M.W.L. und Negrepontis-Giannisis, s.o., Abs. 128 bzw. Abs. 69). So ist einerseits, wenn innerhalb der Mitgliedstaaten des Europarats kein Konsens besteht – sei es in Bezug auf die relative Bedeutsamkeit des Interesses, um das es geht, oder in Bezug auf die besten Mittel, um dieses zu schützen, insbesondere, wenn die Angelegenheit heikle moralische oder ethische Fragen aufwirft – der Ermessensspielraum groß. Andererseits ist dann, wenn ein besonders wichtiger Aspekt der Existenz oder Identität eines Menschen auf dem Spiel steht, der Spielraum, der dem Staat gelassen wird, gewöhnlich eingeschränkt (siehe insbesondere S.H., s.o., Abs. 94).
57. Der Gerichtshof stellt im vorliegenden Fall fest, dass in Europa kein Konsens besteht, weder über die Rechtmäßigkeit der Leihmutterschaft noch über die rechtliche Anerkennung des Kindschaftsverhältnisses zwischen den Wunscheltern und den Kindern, die auf diese Weise legal im Ausland gezeugt wurden. Tatsächlich hat die rechtsvergleichende Studie, die der Gerichtshof eingeleitet hatte, ergeben, dass die Leihmutterschaft in vierzehn der 35 Mitgliedstaaten des Europarats – abgesehen von Frankreich – ausdrücklich verboten ist; in zehn Staaten ist sie entweder aufgrund allgemeiner Bestimmungen verboten oder wird nicht toleriert, oder die Frage ihrer Rechtmäßigkeit ist ungewiss; demgegenüber ist sie in sieben Staaten ausdrücklich erlaubt und wird in vier Staaten scheinbar toleriert. In dreizehn dieser 35 Staaten ist es möglich, die Anerkennung oder rechtliche Feststellung des Kindschaftsverhältnisses zwischen den Wunscheltern und den Kindern, die aus einer rechtmäßig im Ausland praktizierten Leihmutterschaft hervorgegangen sind, zu erreichen. Dies scheint ebenfalls möglich zu sein in elf weiteren dieser Staaten (bei einem dieser Staaten gilt diese Möglichkeit eventuell nur für das Kindschaftsverhältnis zum Vater, wenn der Wunschvater gleichzeitig der leibliche Vater ist); aber ausgeschlossen ist es in den elf restlichen Staaten (abgesehen von der eventuellen Möglichkeit in einem dieser Staaten, die Anerkennung des Kindschaftsverhältnisses zum Vater zu erreichen, wenn der Wunschvater der leibliche Vater ist) (s.o. Abs. 31-33).
58. Dieser fehlende Konsens spiegelt die Tatsache wider, dass die Leihmutterschaften Anlass zu heiklen Fragen ethischer Art geben. Es bestätigt außerdem, dass die Staaten sich grundsätzlich einen weiten Ermessensspielraum zugestehen sollten – nicht nur bei der Entscheidung, ob diese Zeugungsmethode erlaubt werden sollte oder nicht, sondern auch, ob ein Kindschaftsverhältnis zwischen Kindern, die legal im Ausland durch Leihmutterschaften gezeugt wurden, und deren Wunscheltern anerkannt werden sollte oder nicht.
59. Dennoch muss man gleichermaßen den Umstand berücksichtigen, dass ein wesentlicher Aspekt der Identität eines Menschen auf dem Spiel steht, wenn sein Kindschaftsverhältnis berührt wird. Daher ist es angebracht, den Ermessensspielraum, der dem beschwerdegegnerischen Staat zur Verfügung stand, einzuschränken.
60. Im Übrigen entgehen die vom Staat ausgeübten Entscheidungsmöglichkeiten, selbst innerhalb der Grenzen dieses Ermessensspielraumes, nicht der Kontrolle des Gerichtshofs. Dem Gerichtshof obliegt es, die Argumente, die berücksichtigt wurden, aufmerksam zu prüfen, um zu einer Lösung zu kommen, und zu untersuchen, ob zwischen den Interessen des Staates und den Interessen der Einzelpersonen, die direkt von dieser Lösung betroffen sind, ein gerechtes Gleichgewicht hergestellt wurde (s.o.mutatis mutandis, S.H. et autres, Abs. 97). Gleichzeitig muss er den wesentlichen Grundsatz berücksichtigen, nach dem in allen Fällen, in denen die Situation eines Kindes betroffen ist, das Wohl des Kindes Vorrang habensoll (siehe – neben zahlreichen anderen – Wagner und J.M.W.L., Abs. 133-134, und E.B. ./. Frankreich [GC], Nr. 43546/02, Abs. 76 und 95, 22. Januar 2008).
61. Im vorliegenden Fall hat der Kassationshof festgestellt, dass es nach französischem positivem Recht dem Grundsatz der Unveräußerlichkeit des Personenstandes – einem „wesentlichen Grundsatz des französischen Rechts“ – widerspreche, einen Leihmutterschafsvertrag wirksam werden zu lassen, und dass ein solcher Vertrag null und nichtig sei, da er dem „ordre public“ widerspreche. Im Weiteren urteilte er, dass dieser Grundsatz verhindere, dass ein Statusbesitz, der für die Herstellung eines Kindschaftsverhältnisses infolge eines solchen Vertrages geltend gemacht wird, in Frankreich Wirkung erlangen kann – auch dann, wenn er rechtswirksam im Ausland geschlossen wurde –, da er mit dem französischen internationalen „ordre public“ unvereinbarsei (s.o. Abs. 17).
62. Die Tatsache, dass es den Beschwerdeführern nicht möglich ist, das Kindschaftsverhältnis zwischen den ersten Beschwerdeführern und der dritten Beschwerdeführerin nach französischem Recht anerkennen zu lassen, ist also nach Meinung des Kassationshofs eine Auswirkung der ethischen Entscheidung des französischenGesetzgebers, die Leihmutterschaft zu verbieten. Die Regierung betonte diesbezüglich, dass der innerstaatliche Richter folgerichtig die Konsequenzen aus dieser Entscheidung gezogen habe, indem er zustimmte, dass der Statusbesitz nicht geltend gemacht werden könne, um in Frankreich ein Kindschaftsverhältnis der Kinder, die aus einer Leihmutterschaft im Ausland geboren wurden, herzustellen. Demzufolge wäre es, wenn er die Eintragung erlaubt hätte, gleichbedeutend damit gewesen, dass er stillschweigend akzeptiert hätte, dass das innerstaatliche Recht umgangen wurde, und somit wäre die Kohärenz des Verbots in Frage gestellt worden.
63. Der Gerichtshof stellt fest, dass diese Herangehensweisedazu führt, dass auf den Vorbehalt des „ordre public international“ zurückgegriffen wird, der im internationalen Privatrecht vorgesehen ist. Der Gerichtshof möchte diese Herangehensweise nicht als solche in Frage stellen. Jedoch ist zu prüfen, ob der innerstaatliche Richter bei der Anwendung dieses Mechanismus im vorliegenden Fall gebührend die Notwendigkeit berücksichtigt hat, zwischen dem Interesse der Gemeinschaft, dafür zu sorgen, dass die Mitglieder der Gemeinschaft sich der demokratisch getroffenen Entscheidung beugen, und dem Interesse der Beschwerdeführer – und somit dem vorrangig zu berücksichtigenden Interesse des Kindes -, voll und ganz ihr Recht auf Achtung des Privatlebens und des Familienlebens zu genießen, ein gerechtes Gleichgewicht herzustellen.
64. Er stellt diesbezüglich fest, dass der Kassationshof entschieden hat, dass die Tatsache, dass der Statusbesitz der dritten Beschwerdeführerin gegenüber den ersten Beschwerdeführern keine Wirksamkeit für die Herstellung ihres Kindschaftsverhältnisses haben konnte, keinen Verstoß gegen das Recht des Kindes auf Achtung seines Privat- und Familienlebens und auch nicht gegen das vorrangig zu berücksichtigende Wohl des Kindes darstelle; da dem Kind weder seine Kindschaft mütterlicherseits und väterlicherseits, die ihm durch das Recht des Bundesstaates Minnesota zuerkannt wurden, genommen werde, noch werde es daran gehindert, mit den ersten Beschwerdeführern in Frankreich zusammen zu leben (s.o. Abs. 17).
65. Der Gerichtshof ist der Meinung, dass man im vorliegenden Fall zwischen dem Recht der Beschwerdeführer auf Achtung ihres Familienlebens einerseits und dem Recht der dritten Beschwerdeführerin auf Achtung ihres Privatlebens andererseits unterscheiden muss.
β. Zum Recht der Beschwerdeführer auf Achtung ihres Familienlebens
66. Soweit es sich um den ersten Punkt handelt, ist der Gerichtshof der Meinung, dass die fehlende Anerkennung des Kindschaftsverhältnisses zwischen den ersten Beschwerdeführern und der dritten Beschwerdeführerin nach französischem Recht notwendigerweise ihr Familienleben beeinträchtigt. Er merkt hierzu an, dass der Conseil d’État in seinem Bericht von 2009 über die Abänderung der Bioethikgesetze betont hatte, „faktisch sei aufgrund der fehlenden Eintragung das Leben dieser Familien komplizierter, aufgrund der Formalitäten, die bei bestimmten Ereignissen des Lebens zu erledigen sind“ (s.o. Abs. 28).
67. So sind die Beschwerdeführer, ohne französische Personenstandsurkunde oder französisches Familienbuch, gezwungen, die amerikanische Geburtsurkunde – ohne Übertragung in das französische Register – zusammen mit einer beglaubigten Übersetzung vorzulegen, wann immer der Anspruch auf ein Recht oder auf eine Leistung einen Nachweis über die Kindschaft erfordert, und stoßen dann vermutlich manchmal auf Misstrauen oder zumindest auf Unverständnis seitens der Personen, an die sie sich wenden. Sie schildern diesbezüglich Schwierigkeiten im Zusammenhang mit der Beantragung von Familienbeihilfe, der Eintragung der Kinder unter der Sozialversicherungsnummer ihrer Eltern und ihrer Anmeldung in der Schule.
68. Im Übrigen hat die Tatsache, dass die dritte Beschwerdeführerin nach französischem Recht weder ein Kindschaftsverhältnis zum ersten Beschwerdeführer noch zur zweiten Beschwerdeführerin hat, zur Folge – zumindest bis heute -, dass ihr nicht die französische Staatsangehörigkeit zuerkannt wird. Dieser Umstand kann zu Schwierigkeiten führen, wenn die Familie verreisen möchte, und kann Anlass zur Beunruhigung geben – wenngleich diese, wie die Regierung behauptet, unbegründet wäre – im Hinblick auf die Aufenthaltserlaubnis der dritten Beschwerdeführerin in Frankreich nach ihrer Volljährigkeit, und somit auch die Stabilität der Familieneinheit. Die Regierung betont allerdings, die dritte Beschwerdeführerin könne, insbesondere angesichts des Rundschreibens des „garde des Sceaux“ (Justizministers) vom 25. Januar 2013 (s.o. Abs. 27), ein „certificat de nationalité française“ [Bescheinigung über die französische Staatsangehörigkeit] erhalten aufgrund von Art. 18 des „code civil“, in dem esheißt: „Ein Kind besitzt die französische Staatsangehörigkeit, wenn zumindest einer der Elternteile französischer Staatsangehöriger ist“, indem sie ihre amerikanische Geburtsurkunde vorlegt.
69. Der Gerichtshof verweist jedoch darauf, dass bezüglich dieser Möglichkeit noch einige Fragen ungeklärt sind.
Erstens stellt der Gerichtshof fest, dass der zitierte Gesetzestext ja schon besagt, dass die französische Staatsangehörigkeit aufgrund der Staatsangehörigkeit des einen oder anderen Elternteils gewährt wird. Der Gerichtshof gibt zu bedenken, dass es bei der Beschwerde, die ihm vorgelegt wurde, ja gerade um die rechtliche Feststellung der Eltern geht. Daher scheint es, bei Lesung der Ausführungen der Beschwerdeführer und der Antworten der Regierung, dass es nach den Regeln des internationalen Privatrechts im vorliegenden Fall besonders komplex, wenn nicht geradezu vom Zufallsprinzipabhängig wäre, unter Berufung auf Art. 18 des „code civil“ eine Feststellung der französischen Staatsangehörigkeit der dritten Beschwerdeführerin zu erreichen.
Zweitens stellt der Gerichtshof fest, dass die Regierung sich auf Art. 47 des „code civil“ beruft, in dem es heißt, dass jede Personenstandsurkunde, dieim Ausland ausgestellt und in der in diesem Land üblichen Form erstellt wurde, gültig ist, „es sei denn, dass andere Urkunden oder Dokumente, äußere Gegebenheiten oder Sachverhalte, die aus der Urkunde selbst hervorgehen, zeigen, dass diese Urkunde gesetzeswidrig oder gefälscht ist oder dass die Fakten, die darin erklärt werden, nicht der Realität entsprechen.“ Wobei sich die Frage stellt, ob nicht ein solcher Vorbehalt gerade hier zutrifft, da ja im vorliegenden Fall festgestellt wurde, dass die betroffenen Kinder aus einer Leihmutterschaft im Ausland hervorgegangen sind, was der Kassationshof als eine Gesetzesumgehung analysiert. Und obwohl die Regierung durch den Sektionspräsidenten aufgefordert wurde, auf diese Frage zu antworten und zu erklären, ob ein Risiko besteht, dass eine solche Bescheinigung über die Staatsangehörigkeit anschließend angefochten und aufgehoben oder zurückgezogen werden könnte, hat die Regierung keine Auskunft hierüber gegeben. Darüber hinaus hat der Gerichtshof im o.g. Urteil Mennesson festgestellt, dass der entsprechende Antrag vom 16. April 2013 an die Gerichtskanzlei des Erstinstanzgerichts von Paris nach elf Monaten noch immer keine Wirkung gezeigt hatte; der Urkundsbeamte teilte am 31. Oktober 2013 bzw. am13. März 2014 mit, der Antrag sei „in Bearbeitung“ bzw. „man warte auf die Rücksendung des Beurkundungsantrags, der an das Konsulat in Los Angeles übermittelt wurde“ (s. das Urteil Mennesson, Abs. 90).
70. Hinzu kommen die Unsicherheiten, die durchaus verständlich sind, in Bezug auf die Aufrechterhaltung des Familienlebens zwischen der zweiten Beschwerdeführerin und der dritten Beschwerdeführerin im Falle des Versterbens des ersten Beschwerdeführers oder im Falle einer Trennung der Eheleute.
71. Unterdessen – unabhängig davon, wie groß die potenziellen Risiken sind, die auf dem Familienleben der Beschwerdeführer lasten – ist der Gerichtshof der Meinung, dass er seine Entscheidung angesichts der konkreten Hindernisse treffen muss, die diese aufgrund der fehlenden Anerkennung des Kindschaftsverhältnisses zwischen den ersten Beschwerdeführern und der dritten Beschwerdeführerin nach französischem Recht tatsächlich überwinden mussten (s.o. mutatis mutandis, X, Y und Z, Abs. 48).Wobei anzumerken ist, dass die Beschwerdeführer nicht behaupten, die Schwierigkeiten, die sie beschreiben, wären unüberwindbar gewesen; und dass sie nicht bezeugen, dass die Tatsache, dass es nicht möglich ist, nach französischem Recht die Anerkennung eines Kindschaftsverhältnisses zu erreichen, sie daran hindern würde, in Frankreich ihr Recht auf Achtung ihres Familienlebens zu genießen. Hierzu stellt der Gerichtshof fest, dass sie sich schon kurze Zeit nach der Geburt der dritten Beschwerdeführerin alle drei in Frankreich etablieren konnten; dass sie in der Lage sind, dort zusammen in Verhältnissen zu leben, die alles in allem vergleichbar sind mit denen anderer Familien, und dass es keinen Grund für die Befürchtung gibt, es bestünde die Gefahr, dass die Behörden beschließen würden, sie aufgrund ihrer Situation angesichts des französischen Rechts voneinander zu trennen (s. mutatis mutandis, Chavdarov ./. Bulgarien, Nr. 3465/03, Abs. 49-50 und 56, 21. Dezember 2010).
72. Der Gerichtshof stellt außerdem fest, dass der Kassationshof bei der Zurückweisung der Rechtsmittel, die die Beschwerdeführer auf der Grundlage der Konvention vorgebracht hatten, darauf hinwies, dass die Tatsache, dass der Statusbesitz der dritten Beschwerdeführerin gegenüber den ersten Beschwerdeführern keine Wirkung bezüglich der Herstellung ihres Kindschaftsverhältnisses haben konnte, diese nicht daran hindere, zusammen mit den ersten Beschwerdeführerin in Frankreich zu leben (s.o. Abs. 17). Der Gerichtshof folgert daraus, dass im vorliegenden Fall – übereinstimmend mit dem, was er in der Sache Wagner und J.M.W.L. (Urteil, s.o., Abs. 135) als wichtig erachtet hatte – die französischen Richter nicht auf eine konkrete Prüfung der Situation verzichtet haben, da sie ja mit dieser Formulierung implizit, aber notwendigerweise davon ausgingen, dass die praktischen Schwierigkeiten, mit denen die Beschwerdeführer in ihrem Familienleben aufgrund der Nichtanerkennung des im Ausland geschaffenen Kindschaftsverhältnisses konfrontiert sein könnten, nicht die Grenzen überschreiten würden, die eine Achtung des Artikels 8 der Konvention auferlegt.
73. Somit – einerseits in Anbetracht der konkreten Auswirkungen der fehlenden Anerkennung des Kindschaftsverhältnisses zwischen den ersten Beschwerdeführern und der dritten Beschwerdeführerin auf ihr Familienleben, und andererseits des Ermessensspielraums, der dem beschwerdegegnerischen Staat zur Verfügung steht – ist der Gerichtshof der Meinung, dass die Situation, zu der die Schlussfolgerung des Kassationshofs im vorliegenden Fall führt, ein gerechtes Gleichgewicht zwischen den Interessen der Beschwerdeführer und den Interessen des Staates herstellt, insoweit es um ihr Recht auf Achtung ihres Familienlebens geht.
74. Es bleibt jedoch noch die Frage, ob dasselbe auch gilt, wenn es um das Recht der dritten Beschwerdeführerin auf Achtung ihres Privatlebens geht.
γ Zum Recht der dritten Beschwerdeführerin auf Achtung ihres Privatlebens
75. Wie der Gerichtshof bereits ausgeführt hat, erfordert die Achtung des Privatlebens, dass jeder Mensch die Möglichkeit haben sollte, die Einzelheiten seiner Identität als Mensch festzustellen; dies beinhaltet auch sein Kindschaftsverhältnis (s.o. Abs. 38); ein wesentlicher Aspekt der Identität einer Person steht auf dem Spiel, wenn man deren Kindschaftsverhältnis berührt (s.o. Abs. 59). Gemäßdem positiven Recht befindet sich die dritte Beschwerdeführerin diesbezüglich in einer Situation von Rechtsunsicherheit. Wenn es zutrifft, dass ein Kindschaftsverhältnis zu den ersten Beschwerdeführern durch den französischen Richter zugebilligt wird, insoweit es durch das Recht von Minnesota hergestellt wurde, dann wird durch die Weigerung, dem amerikanischen Gerichtsbeschluss volleWirksamkeit zu verleihen, den daraus resultierenden Personenstand ins Geburtenregister einzutragen und den Statusbesitz wirksam werden zu lassen, gleichzeitig deutlich gemacht, dass dieses Kindschaftsverhältnis durch diefranzösische Rechtsordnung nicht anerkannt wird. Mit anderen Worten: Obwohl Frankreich sehr wohl weiß, dass sie anderswo als das Kind der ersten Beschwerdeführer anerkannt wurde, will es dem Kind diese Anerkennung in seiner eigenen Rechtsordnung nicht zugestehen. Der Gerichtshof ist der Meinung, dass ein solcher Widerspruch einen Angriff auf die Identität der dritten Beschwerdeführerin in der französischen Gesellschaft darstellt.
76. Im Übrigen – wenngleich in Art. 8 der Konvention nicht das Recht zugesichert wird, eine besondere Staatsangehörigkeit zu erwerben –sollte nicht außer acht gelassen werden, dass die Staatsangehörigkeit ein Bestandteil der Identität von Personen ist (Genovese ./. Malte, Nr. 53124/09, Abs. 33, 11. Oktober 2011). Somit – wie der Gerichtshof bereits zuvor erklärt hatte – ist die dritte Beschwerdeführerin, obwohl ihr leiblicher Vater französisch ist, mit einer beunruhigenden Ungewissheit konfrontiert, ob die Möglichkeit besteht oder nicht, dass ihr in Anwendung des Artikels 18 des „code civil“ die französische Staatsangehörigkeit zuerkannt wird (s.o. Abs. 18). Eine solche Ungewissheit hat natürlich negative Auswirkungen auf die Definition ihrer eigenen Identität.
77.Der Gerichtshof stellt darüber hinaus fest, dass die Tatsache, dass die dritte Beschwerdeführerin im französischen Recht nicht als das Kind der ersten Beschwerdeführer gilt, auch Auswirkungen auf ihre Rechte als deren Erbin hat. Er stellt fest, dass die Regierung leugnet, dass es sich so verhält. Er weist jedoch darauf hin, dass der Conseil d’État betont hat, dass das aus der Leihmutterschaft im Ausland geborene Kind aufgrund der Nichtanerkennung des Kindschaftsverhältnisses zur Wunschmutter in Frankreich diese nur dann beerben kann, wenn die Wunschmutter das Kind als Erbin eingesetzt hat, wobei die Erbansprüche so wie bei einer Drittperson (s.o. Abs. 28), d.h. weniger günstig, berechnet werden. Dieselbe Situation besteht auch im Zusammenhang mit der Erbschaft gegenüber dem Wunschvater, auch wenn er, wie im vorliegenden Fall, der biologische Vater des Kindes ist. Auch hierbei geht es um einen Bestandteil der Identität des Kindes, der einem Kind, das aus einer Leihmutterschaft im Ausland geboren wurde, vorenthalten wird.
78. Es ist nachvollziehbar, dass Frankreich seine Staatsbürger davon abhalten möchte, ins Ausland zu gehen, um eine Zeugungsmethode zu nutzen, die Frankreich auf seinem eigenen Staatsgebiet verbietet (s.o. Abs. 54). Jedoch geht aus den oben beschriebenen Fakten hervor, dass die Auswirkungen der Nichtanerkennung des Kindschaftsverhältnisses zwischen den so gezeugten Kindern und den Wunscheltern im französischen Recht sich nicht auf die Situation der Wunscheltern beschränken, die ja selbst diese Zeugungsmethode, die ihnen die französischen Behörden vorwerfen, ausgewählt haben; sondern vielmehr richten sich die Auswirkungen auch gegen die Situation der Kinder selbst, deren Recht auf Achtung des Privatlebens – wonach jeder Mensch die Substanz seiner Identität, einschließlich seines Kindschaftsverhältnisses, feststellen kann – in bedeutender Weise beeinträchtigt wird. Womit sich also die entscheidende Frage nach der Vereinbarkeit dieser Situation mit dem vorrangig zu berücksichtigenden Wohl des Kindes stellt, von dem alle Entscheidungen, die Kinder betreffen, geleitet werden sollten.
79. Diese Analyse nimmt eine besondere Form an, wenn, wie im vorliegenden Fall, einer der Wunscheltern gleichzeitig derjenige ist, der das Kind gezeugt hat. Angesichts der Bedeutsamkeit der biologischen Abstammung als Bestandteil der Identität jedes Menschen (siehe z.B. das Urteil Jäggi s.o., Abs. 37) kann man nicht behaupten, es wäre im Interesse des Kindeswohls, dem Kind eine entsprechende rechtliche Beziehung vorzuenthalten, wenn die biologische Realität dieser Beziehung feststeht und sowohl das Kind als auch der Elternteil die volle Anerkennung dieser Beziehung fordert. So wurde nicht nur die Beziehung zwischen der dritten Beschwerdeführerin und ihrem biologischen Vater nicht anerkannt, als die Eintragung der Geburtsurkunde und der Notorietätsurkunde beantragt wurden, sondern es geht sogar so weit, dass eine Anerkennung dieser Beziehung durch Anerkennung der Vaterschaft oder durch eine Adoption ebenfalls mit der prohibitiven Rechtsprechung, die auch in diesen Punkten vom Kassationshof ergangen ist, konfrontiert wäre (s.o. Abs. 25). Der Gerichtshof ist,angesichts der Folgen dieser schwerwiegenden Einschränkung der Identität der dritten Beschwerdeführerin und ihres Rechts auf Achtung des Privatlebens, der Meinung, dass der beschwerdegegnerische Staat dadurch, dass er sowohl die Anerkennung als auchdie Feststellung ihres Kindschaftsverhältnisses zum leiblichen Vater im innerstaatlichen Recht auf diese Weise verhindert hat, über die Grenzen seines Ermessensspielraums hinausgegangen ist.
80. Auch in Anbetracht des Gewichts, das dem Wohl des Kindes zukommt, wenn man die Interessen der Parteien gegeneinander abwägt, kommt der Gerichtshof zu dem Schluss, dass das Recht der dritten Beschwerdeführerin auf Achtung ihres Privatlebens missachtet wurde.
c) Allgemeine Schlussfolgerung
81. Es lag keine Verletzung von Art. 8 der Konvention vor, insoweit es um das Recht der Beschwerdeführer auf Achtung ihres Familienlebens geht. Dagegen lag eine Verletzungdieser Bestimmung vor, insoweit es um das Recht der dritten Beschwerdeführerin auf Achtung ihres Privatlebens geht.
II. ZUR ANWENDUNG DES ARTIKELS 41 DER KONVENTION
82. In Art. 41 der Konvention ist Folgendes festgelegt:
„Stellt der Gerichtshof fest, dass diese Konvention oder die Protokolle dazu verletzt worden sind, und gestattet das innerstaatliche Recht der Hohen Vertragspartei nur eine unvollkommene Wiedergutmachung für die Folgen dieser Verletzung, so spricht der Gerichtshof der verletzten Partei eine gerechte Entschädigung zu, wenn dies notwendig ist.“
A. Entstandener Schaden
83. Die Beschwerdeführer fordern jeweils 30.000 Euro (EUR) für den immateriellen Schaden, den sie erlitten haben.
84. Die Regierung ist der Meinung, eine Feststellung der Verletzung ihrer Rechte stelle eine ausreichende Entschädigung für den immateriellen Schaden dar.
85. Der Gerichtshof erinnert daran, dass er im Ergebnis einzig und allein bei der dritten Beschwerdeführerin eine Verletzung des Artikels 8 der Konvention festgestellt hat. Aufgrund dessen hält er es für angemessen, ihr 5.000 EUR für den immateriellen Schaden zuzusprechen.
B. Kosten und Auslagen
86. Die Beschwerdeführer fordern 10.658 EUR für ihre Kosten und Auslagen: 1.196 EUR entsprechen den Kosten, die ihnen im Verfahren vor dem Gerichtshof entstanden (sie legten eine Honorar-Rechnung vom 26. Mai 2011 vor, in der dieser Betrag genannt war); 5.000 EUR entsprechen den Honoraren, die sie an den amerikanischen Anwalt gezahlt haben, der sie vor dem Gericht des Bundesstaates Minnesota und danach vor den amerikanischen Behörden vertreten hat, um die amerikanische Geburtsurkunde und den amerikanischen Reisepass für die dritte Beschwerdeführerin zu erhalten (sie legten zwei Rechnungen vom 23. November und 23. Dezember 2001 vor, die einen Gesamtbetrag von 6.040,38 USD ausweisen).
Der Restbetrag bezieht sich auf ihre Kosten und Auslagen vor den französischen Gerichten. Sie legten diesbezüglich Zahlungsforderungen von dem Anwalt vor, der sie in erster Instanz und im Berufungsverfahren vertreten hat; diese sind datiert vom 6. Dezember 2003, 10. April, 23. Juli und 26. Oktober 2004 und 26. September und 18. Dezember 2005 und weisen jeweils die folgenden Beträge aus: 150 EUR, 100 EUR, 150 EUR, 600 EUR, 300 EUR und 300 EUR. Hinzu kommen fünf Zahlungsforderungen in Höhe von insgesamt 1200 EUR, die nicht datiert sind, aber die sich auf das Hauptverfahren bzw., bei einem der Beträge, auf das Verfahren vor dem Kassationshof beziehen. Hinzu kommen außerdem eine Kostenaufstellung im Berufungsverfahren, die am 18. September 2009 von einem nichtplädierenden Rechtsanwalt an den Anwalt der Beschwerdeführer in Rechnung gestellt wurde, in Höhe von 911,83 EUR; eine Honorar-Rechnung über 2.392 EUR vom 30. Oktober 2009 über die Kosten und Honorare für die Beschwerde; sowie die Kopie eines Schecks über 750 EUR vom 25. Januar 2010 im Auftrag ihres Anwalts an den Kassationshof bzw. Conseil d’État.
87. Die Regierung ist der Meinung, die Forderung der Beschwerdeführer nach Erstattung der Kosten und Auslagen, die ihnen in den Vereinigten Staaten entstanden, habe keinerlei Bezug zur Wiedergutmachung des behaupteten Verstoßes gegen die Konvention und müsse daher abgelehnt werden. Was die Kosten des nichtplädierenden Rechtsanwalts betrifft, so stellt die Regierung fest, dass die Beschwerdeführer sich darauf beschränkten, eine an ihren Anwalt gerichtete Rechnung vorzulegen; daraus zieht sie den Schluss, dass sie nicht nachweisen, diese auch bezahlt zu haben. Sie merkt außerdem an, dass die Honorarrechnung vom 30. Oktober 2009 keinerlei Hinweis darauf enthält, wer sie ausgestellt hat, und ist der Meinung, dass die Forderungen zum Berufungsverfahren vor dem Großinstanzgericht und für die Beschwerde vor dem Kassationsgericht durch keinerlei Dokumente gerechtfertigt sind. Nach Meinung der Regierung sind einzig und allein die Kosten, die sich auf das Verfahren vor dem Gerichtshof beziehen – d.h. 1.196 EUR – gerechtfertigt.
88. Der Gerichtshof erinnert daran, dass er, wenn er eine Verletzung der Konvention festgestellt hat, dem Beschwerdeführer die Erstattung der Kosten und Auslagen bewilligen kann, die ihm vor den innerstaatlichen Gerichten entstanden sind, um die besagte Konventionsverletzung durch diese verhindern oder korrigieren zu lassen, zuzüglich der Kosten bezüglich des Verfahrens vor dem Gerichtshof (Neulinger und Shuruk ./. Schweiz [GC], Nr. 41615/07, Abs. 159, CEDH 2010). Jedoch muss nachgewiesen werden, dass diese Kosten tatsächlich und notwendigerweise entstanden waren und der Höhe nach angemessen sind (ibidem).
Im vorliegenden Fall sind die Forderungen der Beschwerdeführer, insoweit sie sich auf das Verfahren, das sie in den Vereinigten Staaten geführt haben, beziehen, zurückzuweisen, da dieses Verfahren ganz offensichtlich nicht das Ziel hatte, die Konventionsverletzung, die der Gerichtshof festgestellt hat, zu verhindern oder wiedergutzumachen. Was die übrigen Kosten betrifft, so stellt der Gerichtshof fest, dass aus den von den Beschwerdeführern vorgelegten Dokumenten zwar nicht vollständig ersichtlich ist, wie sie zu dem Gesamtbetrag, den sie fordern, gelangt sind, aber dass sie dennoch belegen, dass die Honorarbeträge, die die Beschwerdeführer bezüglich des Verfahrens vor dem Gerichtshof benennen, sowie zumindest ein Teil der Kosten vor den Gerichten im Hauptverfahren tatsächlich entstanden sind. In Anbetracht dieser Dokumente und unter Berücksichtigung der beiden anderen oben genannten Kriterien bewilligt der Gerichtshof den Beschwerdeführern 4.000 EUR für die Kosten und Auslagen.
C. Verzugszinsen
89. Der Gerichtshof hält es für angemessen, für die Berechnung der Verzugszinsen den Spitzenrefinanzierungssatz der Europäischen Zentralbank zuzüglich drei Prozentpunkten zugrunde zu legen.
AUS DIESEN GRÜNDEN ENTSCHEIDET DER GERICHTSHOF EINSTIMMIG:
1. Die Beschwerde wird für zulässig erklärt.
2. Er beschließt, dass keine Verletzung des Artikels 8 der Konvention vorliegt, insoweit es um das Recht der Beschwerdeführer auf Achtung ihres Familienlebens geht;
3. Er beschließt, dass eine Verletzung des Artikels 8 der Konvention vorliegt, insoweit es um das Recht der dritten Beschwerdeführerin auf Achtung ihres Privatlebens geht;
4. Er beschließt:
a. Der beschwerdegegnerische Staat hat binnen drei Monaten ab dem Tag, an dem das Urteil gemäß Artikel 44 Abs. 2 der Konvention endgültig wird, folgende Beträge zu zahlen:
i. an die dritte Beschwerdeführerin 5.000 EUR (fünftausend Euro), zuzüglich jeglichen Betrages, der an Steuern fällig werden könnte, wegen des immateriellen Schadens;
ii. an die Beschwerdeführer 4.000 EUR (viertausend Euro), zuzüglich jeglichen Betrages, der an Steuern fällig werden könnte, für Kosten und Auslagen;
b. Ab dem Ablauf der vorgenannten Frist bis zur Auszahlung fallen für diese Beträge einfache Zinsen in Höhe eines Zinssatzes an, der dem Spitzenrefinanzierungssatz der Europäischen Zentralbank im Verzugszeitraum entspricht, zuzüglich drei Prozentpunkten;
5. Die darüber hinausgehende Forderung nach gerechter Entschädigung wird zurückgewiesen.
Ausgefertigt in französischer Sprache und schriftlich zugestellt am 26. Juni 2014 gemäß Artikel 77 Abs. 2 und 3 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs.
Claudia Westerdiek Mark Villiger
Sektionskanzlerin Sektionspräsident
Zuletzt aktualisiert am Januar 3, 2021 von eurogesetze
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