EUROPÄISCHER GERICHTSHOF FÜR MENSCHENRECHTE
FÜNFTE SEKTION
ENTSCHEIDUNG
Individualbeschwerde Nr. 28711/10
T. ./. Deutschland
Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (Fünfte Sektion) hat in seiner Sitzung am 9. September 2014 als Ausschuss mit der Richterin und den Richtern
Boštjan M. Zupančič, Präsident,
Helena Jäderblom,
Aleš Pejchal,
und Stephen Phillips, stellvertretender Sektionskanzler,
im Hinblick auf die oben genannte Individualbeschwerde, die am 25. Mai 2010 erhoben wurde,
nach Beratung wie folgt entschieden:
SACHVERHALT
1. Der 19.. geborene Beschwerdeführer, T., ist deutscher Staatsangehöriger und in S. wohnhaft. Er erhob seine Individualbeschwerde auch im Namen seiner fünf Kinder. Der Beschwerdeführer wurde vor dem Gerichtshof von Frau R.-H., Rechtsanwältin in D., vertreten.
A. Die Umstände der Rechtssache
2. Der von dem Beschwerdeführer vorgebrachte Sachverhalt lässt sich wie folgt zusammenfassen.
1. Hintergrund der Rechtssache
3. Der Beschwerdeführer ist der Besitzer eines landwirtschaftlichen Anwesens in der Nähe des ehemaligen Eisenerzbergwerks „Schacht Konrad“ in S. Er betreibt den landwirtschaftlichen Betrieb und bewohnt auch das Anwesen gemeinsam mit seiner Frau und seinen fünf Kindern. 1991 wurde ein Planfeststellungsverfahren zur Umwandlung des Bergwerks in eine Anlage zur Endlagerung schwach- und mittelradioaktiver Abfälle eröffnet. Die Planunterlagen wurden der Öffentlichkeit vom 16. Mai bis zum 15. Juli 1991 zugänglich gemacht.
4. Gegen das Vorhaben gingen circa 290.000 Einwendungen von Einzelpersonen, unter anderem dem Beschwerdeführer, sowie von Vertretern der betroffenen Kommunen und einer Reihe von Nichtregierungsorganisationen ein. Die Einwendungen sind 1992 und 1993 an insgesamt 75 Tagen öffentlich erörtert worden. In dem Planfeststellungsbeschluss wurden die Einwendungen neu geordnet und nach Themengruppen abgehandelt; die Genehmigungsbehörde begründete im Hinblick auf jeden Themenblock ihre Einschätzung, wonach die Einwendungen unbegründet seien.
5. Mit einem Planfeststellungsbeschluss vom 22. Mai 2002 erteilte das niedersächsische Umweltministerium die Genehmigung für die Umwandlung des Bergwerks in eine Anlage zur Endlagerung schwach- und mittelradioaktiver Abfälle.
6. Dem Planfeststellungsbeschluss zufolge dürfen in der Anlage nur feste oder verfestigte radioaktive Abfälle mit „vernachlässigbarer Wärmeentwicklung“ eingelagert werden. Diese Art von radioaktivem Abfall stamme aus dem Betrieb und Rückbau von Atomkraftwerken oder aus den Bereichen Forschung, Industrie und Medizin. Darunter würden z. B. kontaminierte Schutzkleidung, aber auch Werkzeuge oder Anlagenteile aus Kernkraftwerken fallen. Hochradioaktive Abfälle wie bestrahlte Brennelemente aus Atomkraftwerken würden nicht dazugehören.
7. Auf der offiziellen Homepage des Endlagers Konrad heißt es, dass die Umrüstung des Bergwerks in ein Endlager noch im Gange sei und dieses zurückhaltenden Schätzungen zufolge 2019 in Betrieb gehen könnte. Es sei eine Betriebszeit von etwa 80 Jahren vorgesehen; anschließend solle das Endlager versiegelt und die Fläche rekultiviert werden.
2. Das in Rede stehende Verfahren
8. Mit Schreiben vom 17. Juni 2002 beantragte der Beschwerdeführer beim Niedersächsischen Oberverwaltungsgericht die Aufhebung der Genehmigung. Er trug vor, dass das Atomgesetz den Behörden keine Entscheidung hinsichtlich der Errichtung von Anlagen zur nichtrückholbaren Endlagerung radioaktiver Abfälle zugestehe und dass solche Maßnahmen vom Parlament autorisiert werden müssten. Er sei der Ansicht, dass die Einrichtung des Endlagers nicht erforderlich und somit nicht gerechtfertigt sei, da in Deutschland ausreichende Zwischenlagerkapazitäten für radioaktive Abfälle gegeben seien.
9. Er behauptete auch, dem Projekt habe die Planreife gefehlt, da die Behörden keine unabhängigen Kriterien für die Eignung eines potenziellen Standorts als Endlager entwickelt und folglich keine alternativen Errichtungsstandorte in Erwägung gezogen hätten. Der Beschwerdeführer trug ferner vor, dass das Planfeststellungsverfahren nicht den gesetzlichen Formvorschriften entsprochen habe und dass insbesondere die Öffentlichkeit nicht ausreichend beteiligt worden sei.
10. Obwohl im Hinblick auf das Vorhaben weitere Untersuchungen vorgenommen worden seien und der Planfeststellungsbeschluss im Anschluss an die Öffentlichkeitsbeteiligung von 1992/93 abgeändert worden sei, seien die geänderten Planungen nicht erneut öffentlich zur Diskussion gestellt worden. Überdies seien einige der an der Risikobewertung für den Betrieb des Endlagers beteiligten Sachverständigen nicht unabhängig gewesen, da sie vom antragstellenden Bundesamt für Strahlenschutz und vom niedersächsischen Umweltministerium, also der die Genehmigung erteilenden Behörde, beauftragt worden seien.
11. Der Beschwerdeführer rügte auch, dass beginnend mit der Inbetriebnahme der Anlage durch Abwässer und Abluft radioaktive Substanzen in die Umwelt und auf sein landwirtschaftliches Anwesen abgeleitet werden würden. Es sei nicht auszuschließen, dass die Strahlenbelastung die Grenzwerte aus der Strahlenschutzverordnung überschreiten werde. In diesem Zusammenhang machte er geltend, dass bei der Planfeststellung die besonderen Risiken, die von den meteorologischen Bedingungen vor Ort und von der besonderen Strahlenexposition bei im Freien verrichteter landwirtschaftlicher Arbeit herrührten, nicht hinreichend berücksichtigt worden seien. Dies gelte ebenso für die Risiken, die von möglichen Kollisionen von Transportfahrzeugen, Flugzeugabstürzen etc. ausgingen. Abschließend machte er geltend, dass die von den Behörden vorgenommene Bewertung der Langzeitsicherheit nicht dem Stand von Wissenschaft und Technik entspreche.
12. In der Anhörung am 1. März 2006 machte der Sachverständige, der die Stellungnahme zur möglichen Strahlenbelastung durch den Betrieb des Endlagers angefertigt hatte, ergänzende Ausführungen. Er erklärte, dass die Strahlenexposition durch Inhalation als unerheblich betrachtet werden könne.
13. Am 8. März 2006 befand das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht, dass die Kinder des Beschwerdeführers in dem Verfahren nicht als Kläger gelten könnten, da sie nicht, wie nach innerstaatlichem Recht erforderlich, gemeinschaftlich von beiden Eltern vertreten worden seien. Ferner wies es die Klage des Beschwerdeführers als unbegründet zurück.
14. Es gebe keine Anhaltspunkte dafür, dass der Beschwerdeführer durch den Planfeststellungsbeschluss in seinen Rechten verletzt werde. Die Vorschriften des Atomgesetzes stellten eine ausreichende Grundlage für eine Entscheidung der Exekutive zur Errichtung einer Anlage zur nichtrückholbaren Endlagerung radioaktiver Abfälle dar und das niedersächsische Umweltministerium habe in seinem Beschluss dargelegt, warum das Bergwerk ein geeigneter Standort für das geplante Endlager sei.
15. Außerdem sei das Planfeststellungsverfahren im Einklang mit den gesetzlichen Verfahrensvorschriften durchgeführt worden. Bei der Prüfung des Vorliegens der Voraussetzungen für die Errichtung und den Betrieb eines Endlagers an dem Standort und bei der Erörterung der im Rahmen des Planfeststellungsverfahrens erhobenen Einwendungen habe die Genehmigungsbehörde in Fragen wie der Geeignetheit der geologischen Situation vor Ort, der Bewertung möglicher Sicherheitsrisiken sowie der Langzeitsicherheit der Anlage und möglicher Umweltauswirkungen Sachverständige hinzugezogen. Es gebe keine Hinweise darauf, dass die Sachverständigen befangen gewesen seien. Entgegen dem Vorbringen des Beschwerdeführers sei eine erneute Öffentlichkeitsbeteiligung nicht geboten gewesen, da sämtliche nach den öffentlichen Erörterungsterminen 1992/1993 vorgenommenen Änderungen nur Plandetails betroffen hätten, die keine wesentlichen Auswirkungen auf die Interessen Dritter gehabt hätten.
16. Weiter erinnerte das Oberverwaltungsgericht daran, dass nach innerstaatlichem Recht nur dann eine Genehmigung für eine Anlage zur Lagerung radioaktiver Abfälle erteilt werden dürfe, wenn es nach dem Stand von Wissenschaft und Technik praktisch ausgeschlossen sei, dass ihr Betrieb das Leben, die Gesundheit oder die Sachgüter Dritter gefährde. Die Genehmigungsbehörde habe bei ihrer Risikobeurteilung hinsichtlich des Betriebs der Anlage alle relevanten Belange berücksichtigt. Insbesondere habe sie dargelegt, dass eine mögliche Strahlenexposition für eine mit dem Beschwerdeführer vergleichbare Referenzperson unter allen Umständen und selbst bei Zugrundelegung der ungünstigsten anzunehmenden Bedingungen weit unter den nach der Strahlenschutzverordnung zulässigen Grenzwerten bleiben würde.
17. Überdies hätten die Behörden mögliche Unfälle, Störfälle und Störmaßnahmen Dritter berücksichtigt und hinreichende Vorkehrungen dagegen getroffen. Hinsichtlich der Rüge des Beschwerdeführers, dass die Sicherheit der Anlage langfristig nicht gewährleistet werden könne und somit Risiken für nachfolgende Generationen bestehen würden, stellte das Oberverwaltungsgericht fest, dass sich diese Beschwerden auf in fernster Zukunft liegende Szenarien bezögen, die den Beschwerdeführer in seinen eigenen verfassungsmäßig verbürgten Rechten nicht berührten. In jedem Fall hätten die Behörden dargelegt, dass in den nächsten 10.000 Jahren keine für die Sicherheit der Anlage wesentlichen geologischen Veränderungen zu erwarten seien.
18. Am 26. März 2007 wies das Bundesverwaltungsgericht die Beschwerde des Beschwerdeführers gegen die Nichtzulassung der Revision zurück. Es stellte insbesondere fest, dass das Oberverwaltungsgericht den Beschwerdeführer nicht in seinem Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt habe. Bei den von ihm im Verlauf der Verhandlung gestellten zusätzlichen Beweisanträgen habe der Beschwerdeführer nicht hinreichend substantiiert, inwiefern die von ihm zusätzlich begehrten Beweise zur Bewertung der Rechtssache beitragen würden, so dass die Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts, den entsprechenden Antrag des Beschwerdeführers zurückzuweisen, gerechtfertigt gewesen sei. Das Bundesverwaltungsgericht schloss, dass das Oberverwaltungsgericht seine verfahrensrechtliche Pflicht zur erschöpfenden Sachverhaltsaufklärung erfüllt habe.
19. Mit einem etwa 22 Seiten umfassenden Beschluss vom 10. November 2009 lehnte es das Bundesverfassungsgericht ab, die Verfassungsbeschwerde des Beschwerdeführers gegen die vorstehenden Entscheidungen der innerstaatlichen Gerichte sowie gegen die Bestimmungen des deutschen Atomgesetzes, auf denen der Planfeststellungsbeschluss beruhte, anzunehmen (1 BvR 1178/07).
20. Das Bundesverfassungsgericht stellte fest, dass die Beschwerde keine Aussicht auf Erfolg habe. Die einschlägigen Bestimmungen des Atomgesetzes würden einen ausreichenden Schutz der Grundrechte des Beschwerdeführers gewähren. Das Gericht unterstrich, dass in Schacht Konrad nur leicht kontaminiertes Material wie Schutzkleidung und Ausrüstung eingelagert werden solle, aber keine hochradioaktiven abgebrannten Brennelemente.
21. Das Oberverwaltungsgericht habe diese Bestimmungen im Einklang mit der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts dahingehend ausgelegt, dass die Genehmigung für eine Anlage nur erteilt werden dürfe, wenn nach dem aktuellen Stand der Wissenschaft mögliche Risiken infolge ihres Betriebs „praktisch ausgeschlossen“ seien, und es habe in seiner diesbezüglichen Würdigung auf die in der Strahlenschutzverordnung hinsichtlich der Strahlenexposition festgelegten Grenzwerte verwiesen. Der Umstand, dass ein künftiges Restrisiko nicht vollständig ausgeschlossen werden könne, stehe den Schutzpflichten des Staates nicht entgegen.Vom Gesetzgeber könne nicht erwarten werden, dass er mit absoluter Sicherheit sämtliche möglichen Grundrechtsgefährdungen ausschließe, die aus der Zulassung technischer Anlagen und ihrem Betrieb entstehen könnten.
22. Das Bundesverfassungsgericht schloss sich ferner den Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts an, wonach der Beschwerdeführer, soweit er die Langzeitsicherheit der Anlage infrage stelle und sich auf die mit ihrem Betrieb verbundenen Risiken für nachfolgende Generationen berufe, sich auf in fernster Zukunft liegende Szenarien bezöge, die ihn in seinen eigenen verfassungsmäßig verbürgten Rechten nicht unmittelbar berührten.
B. Das einschlägige innerstaatliche Recht
23. Den einschlägigen Bestimmungen des Atomgesetzes (AtG) zufolge hat der Bund Anlagen zur Entsorgung radioaktiver Abfälle einzurichten; diese Aufgabe fällt in den Zuständigkeitsbereich des Bundesamts für Strahlenschutz. In § 7 Abs. 2 AtG ist festgelegt, dass die Genehmigung für eine Anlage zur Endlagerung radioaktiver Abfälle nur dann erteilt werden darf, wenn unter anderem sichergestellt ist, dass die dem Stand von Wissenschaft und Technik entsprechende Vorsorge gegen Gefahren durch die Errichtung und den Betrieb der Anlage getroffen und der erforderliche Schutz der Anlage gegen Störfälle, Unfälle oder Störmaßnahmen Dritter gewährleistet ist. Nach § 9c[1] Abs. 4 AtG ist die Genehmigung zu versagen, wenn durch den Betrieb der Anlage Beeinträchtigungen des Wohls der Allgemeinheit zu erwarten sind oder dadurch öffentlich-rechtliche Vorschriften, insbesondere im Hinblick auf die Umweltverträglichkeit, verletzt würden.
RÜGEN
24. Der Beschwerdeführer rügte auch im Namen seiner fünf Kinder nach den Artikeln 2 und 8 der Konvention die Genehmigung für die Errichtung und den Betrieb der Anlage.
Darüber hinaus machte der Beschwerdeführer eine Verletzung seines Rechts auf ein faires Verfahren nach Artikel 6 und seines Rechts auf eine wirksame innerstaatliche Beschwerde nach Artikel 13 der Konvention geltend.
RECHTLICHE WÜRDIGUNG
A. Die behauptete Verletzung von Artikel 8 der Konvention
25. Auch im Namen seiner fünf minderjährigen Kinder rügte der Beschwerdeführer, dass die Genehmigung für die Errichtung und den Betrieb einer Anlage zur Endlagerung radioaktiver Abfälle in der Nähe seines Anwesens ihre Rechte nach den Artikeln 8 und 2 der Konvention verletze. Der Gerichtshof, der Herr über die rechtliche Würdigung des Sachverhalts ist, ist der Ansicht, dass sich diese Rüge am besten für eine Prüfung allein nach Artikel 8 der Konvention eignet (siehe Hardy und Maile ./. das Vereinigte Königreich, Individualbeschwerde Nr. 31965/07, Rdnr. 184, 14. Februar 2012); dieser lautet wie folgt:
„1. Jede Person hat das Recht auf Achtung ihres Privat- und Familienlebens, ihrer Wohnung und ihrer Korrespondenz.
2. Eine Behörde darf in die Ausübung dieses Rechts nur eingreifen, soweit der Eingriff gesetzlich vorgesehen und in einer demokratischen Gesellschaft notwendig ist für die nationale oder öffentliche Sicherheit, für das wirtschaftliche Wohl des Landes, zur Aufrechterhaltung der Ordnung, zur Verhütung von Straftaten, zum Schutz der Gesundheit oder der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer.“
26. Der Gerichtshof stellt zunächst fest, dass der Beschwerdeführer die Rüge in seinem eigenen Namen und im Namen seiner fünf minderjährigen Kinder erhoben hat. Das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht befand in seinem Urteil vom 8. März 2006, dass die Kinder des Beschwerdeführers in dem Verfahren nicht als Kläger gelten könnten, da sie nicht, wie nach innerstaatlichem Recht erforderlich, gemeinschaftlich von beiden Eltern vertreten worden seien. Darüber hinaus hat der Beschwerdeführer nicht im Namen seiner Kinder Beschwerde zum Bundesverfassungsgericht erhoben.
27. Ungeachtet dessen hält es der Gerichtshof nicht für erforderlich, darüber zu entscheiden, ob der Beschwerdeführer vor dem Gerichtshof für seine Kinder vertretungsbefugt war, da die in seinem eigenen Namen und im Namen seiner fünf Kinder eingelegte Beschwerde aus den nachfolgenden Gründen in jedem Fall unzulässig ist.
28. Der Gerichtshof weist erneut darauf hin, dass es in einer Rechtssache wie der vorliegenden, bei der es um staatliche Entscheidungen geht, die Umweltfragen berühren, zwei Gesichtspunkte gibt, unter denen er die Prüfung durchführen kann. Erstens kann er die Begründetheit der Entscheidung der Regierung in materieller Hinsicht würdigen, um sicherzustellen, dass sie mit Artikel 8 vereinbar ist. Zweitens kann er den Entscheidungsprozess prüfen, um sicherzustellen, dass die Interessen des Einzelnen gebührend berücksichtigt wurden (siehe Hatton u. a. ./. das Vereinigte Königreich [GK],Individualbeschwerde Nr. 36022/97, Rdnr. 99, ECHR 2003‑VIII; und Giacomelli ./. Italien, Individualbeschwerde Nr. 59909/00, Rdnr. 79, ECHR 2006‑XII).
29. Hinsichtlich des materiellen Aspekts hat der Gerichtshof bereits mehrfach festgestellt, dass dem Staat in Rechtssachen, die Umweltfragen betreffen, ein weiter Beurteilungsspielraum eingeräumt werden muss (siehe Hatton u. a., a. a. O., Rdnr. 100; Buckley ./. das Vereinigte Königreich, 25. September 1996, Sammlung 1996-IV, S. 1291-93, Rdnrn. 74-77; Taşkın u. a. ./. Türkei, Individualbeschwerde Nr. 46117/99,10. November 2004, Rdnr. 116; Luginbühl ./. Schweiz (Entsch.), Individualbeschwerde Nr. 42756/02, 17. Januar 2006; und Giacomelli, a. a. O., Rdnr. 80).
30. Was die Umstände der vorliegenden Rechtssache anbelangt, merkt der Gerichtshof an, dass die beanstandete Genehmigung im Einklang mit den einschlägigen rechtlichen Bestimmungen erteilt wurde und ein rechtmäßiges Ziel, namentlich das allgemeine öffentliche Interesse an der Endlagerung radioaktiver Abfälle gemäß wissenschaftlicher und technischer Sicherheitsstandards, verfolgte. Darüber hinaus geht aus den vorgelegten Unterlagen hervor, dass die innerstaatlichen Behörden und Gerichte nach eingehender Prüfung des Falles unter Hinzuziehung von Sachverständigengutachten sowie unter Verweis auf die gesetzlich festgelegten Grenzwerte für ungefährliche Strahlenexposition zu dem Schluss kamen, dass mögliche Risiken für die Allgemeinheit im Zusammenhang mit dem Betrieb der Anlage praktisch ausgeschlossen und folglich die Voraussetzungen für deren Genehmigung nach dem Atomgesetz gegeben seien.
31. Der Gerichtshof stellt fest, dass der Beschwerdeführer nicht darauf abstellt, dass die erwähnten Grenzwerte keinen hinreichenden Schutz vor schädlicher Strahlung böten. In Anbetracht des weiten Beurteilungsspielraums, der Staaten in Rechtssachen, die Umweltfragen betreffen, zusteht, ist der Gerichtshof der Auffassung, dass die innerstaatlichen Behörden im vorliegenden Fall eine gerechte Abwägung zwischen dem öffentlichen Interesse an einer sicheren Anlage zur Endlagerung schwach- und mittelradioaktiver Abfälle und dem Interesse des Beschwerdeführers am Schutz vor eventuell schädlicher Strahlung vorgenommen haben.
32. Was die Beachtung des verfahrensrechtlichen Gesichtspunkts des Artikels 8 im Rahmen des innerstaatlichen Entscheidungsprozesses anbelangt, erinnert der Gerichtshof an das Erfordernis der Transparenz und der Möglichkeit zur Teilhabe am Entscheidungsprozess sowie des Rechts auf gerichtliche Überprüfung (siehe Hardy und Maile, a. a. O., Rdnr. 230). Der Gerichtshof stellt fest, dass die Öffentlichkeit in einem frühen Stadium des Entscheidungsprozesses an dem Planfeststellungsverfahren beteiligt war. Die Genehmigungsunterlagen wurden veröffentlicht und die Einwendungen sind 1992 und 1993 an insgesamt 75 Tagen in öffentlichen Terminen erörtert worden. In dem Planfeststellungsbeschluss wurden die Einwendungen neu geordnet und nach Themengruppen abgehandelt; die Genehmigungsbehörde begründete im Hinblick auf jeden Themenblock ihre Einschätzung, wonach die Einwendungen unbegründet seien.
33. Aus den vorgelegten Informationen geht hervor, dass die Öffentlichkeit an dem Planfeststellungsverfahren beteiligt war und der Beschwerdeführer vor den Verwaltungsorganen und drei Instanzen der innerstaatlichen Gerichte in den Genuss eines kontradiktorischen Verfahrens gekommen ist, bei dem sein Vorbringen berücksichtigt wurde. Er konnte in den verschiedenen Stadien dieses Verfahrens die Argumente vortragen, die er als entscheidungserheblich ansah. Die tatsächlichen und rechtlichen Gründe für die Entscheidungen, mit denen seine Klage abgewiesen wurde, wurden in drei gerichtlichen Instanzen, einschließlich des Bundesverfassungsgerichts, ausführlich dargelegt. Die innerstaatlichen Gerichte haben die Beweisangebote des Beschwerdeführers geprüft und Gründe für ihre Entscheidung angeführt, die beantragten Beweise nicht zu erheben. Folglich ist nicht ersichtlich, dass gegen den verfahrensrechtlichen Gesichtspunkt des Artikels 8 der Konvention verstoßen wurde.
34. Daraus folgt, dass die Rügen nach Artikel 8 im Sinne von Artikel 35 Abs. 3 offensichtlich unbegründet und nach Artikel 35 Abs. 3 Buchst. a und Abs. 4 der Konvention zurückzuweisen sind.
B. Die übrigen Rügen des Beschwerdeführers
35. Der Beschwerdeführer rügte ferner eine Verletzung seines Rechts auf ein faires Verfahren und auf rechtliches Gehör nach Artikel 6 der Konvention. Er macht schließlich eine Verletzung seines Rechts auf eine wirksame innerstaatliche Beschwerde nach Artikel 13 der Konvention geltend.
36. Angesichts seiner Feststellungen unter dem verfahrensrechtlichen Gesichtspunkt von Artikel 8 der Konvention (siehe Rdnrn. 32-33) ist der Gerichtshof der Auffassung, dass nicht ersichtlich ist, dass Artikel 6 Abs. 1 und Artikel 13 der Konvention verletzt wurden.
37. Daraus folgt, dass auch diese Rügen im Sinne von Artikel 35 Abs. 3 offensichtlich unbegründet und nach Artikel 35 Abs. 3 Buchst. a und Abs. 4 der Konvention zurückzuweisen sind.
Aus diesen Gründen erklärt der Gerichtshof
die Individualbeschwerde einstimmig für unzulässig.
Stephen Phillips Boštjan M. Zupančič
Stellvertretender Kanzler Präsident
__________
[1] So im engl. Original, gemeint ist wahrsch. § 9b. [Anm. d. Übers.]
Zuletzt aktualisiert am Januar 3, 2021 von eurogesetze
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