AURNHAMMER gegen Deutschland (Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte) Individualbeschwerde Nr. 36356/10

EUROPÄISCHER GERICHTSHOF FÜR MENSCHENRECHTE
FÜNFTE SEKTION
ENTSCHEIDUNG
Individualbeschwerde Nr. 36356/10 – A. – gegen Deutschland

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (Fünfte Sektion) hat in seiner Sitzung am 21. Oktober 2014 als Kammer mit den Richterinnen und Richtern

Mark Villiger, Präsident,
Angelika Nußberger,
Boštjan M. Zupančič,
Ganna Yudkivska,
Vincent A. De Gaetano,
Helena Jäderblom und
Aleš Pejchal,
sowie Claudia Westerdiek, Sektionskanzlerin,

im Hinblick auf die oben genannte Individualbeschwerde, die am 24. Juni 2010 erhoben wurde,

nach Beratung wie folgt entschieden:

SACHVERHALT

1. Der 19.. geborene Beschwerdeführer, A., ist deutscher Staatsangehöriger und derzeit in S. untergebracht. Zum Zeitpunkt der Einlegung seiner Individualbeschwerde wurde er vor dem Gerichtshof von Herrn A., Rechtsanwalt in C., Deutschland, vertreten. Dieser teilte dem Gerichtshof mit Schreiben vom 1. August 2014 mit, dass er den Beschwerdeführer nicht mehr vertrete.

A. Die Umstände des Falls

2. Der von dem Beschwerdeführer vorgebrachte Sachverhalt lässt sich wie folgt zusammenfassen.

1. Der Hintergrund der Rechtssache

(a) Die Unterbringung des Beschwerdeführers in einem psychiatrischen Krankenhaus

3. Am 19. August 2004 wurde der Beschwerdeführer vom Jugendgericht Regensburg der Körperverletzung und Sachbeschädigung schuldig gesprochen, weil er zwei Fahrscheinkontrolleure, die ihn davon abhalten wollten, sich der Fahrscheinkontrolle zu entziehen, ins Gesicht geschlagen und ihre Kleidung und Brillen beschädigt habe. Außerdem wurde er der üblen Nachrede und versuchten Nötigung schuldig gesprochen, weil er in einem seiner vorangegangen Strafverfahren eine Staatsanwältin beleidigt habe und versucht habe, sie einzuschüchtern. Ferner wurde er der gefährlichen Körperverletzung schuldig gesprochen, weil er einen schlafenden Zellengenossen, von dem er sich zuvor erniedrigt gefühlt habe, mit einem Messer am Hals angegriffen und leicht verletzt habe. Schließlich wurde der Beschwerdeführer des Diebstahls, des minder schweren Betrugs und des Hausfriedensbruchs schuldig gesprochen. Zusätzlich zu einer bereits am 15. Februar 2000 verhängten Jugendstrafe wegen übler Nachrede, Widerstandes gegen Vollstreckungsbeamte, Körperverletzung und Diebstahls verurteilte das Gericht den Beschwerdeführer zu einer Gesamtjugendstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten.

4. Daneben ordnete das Gericht nach § 63 StGB (siehe Rdnrn. 17 und 18) die zeitlich unbegrenzte Unterbringung des Beschwerdeführers in einem psychiatrischen Krankenhaus an.

5. Zu der Zeit, als der Beschwerdeführer die maßgeblichen Straftaten beging, war er zwischen neunzehn und zwanzig Jahren alt.Das Gericht entschied sich, Jugendstrafrecht statt Erwachsenenstrafrecht anzuwenden, weil es in Übereinstimmung mit dem Gutachten des psychiatrischen Sachverständigen Dr. S., Oberarzt in der Abteilung für forensische Psychiatrie und Psychotherapie der psychiatrischen Klinik in Regensburg, und mit dem zusätzlichen psychologischen Sachverständigengutachten des Psychotherapeuten H. feststellte, dass die Entwicklung des Beschwerdeführers als Erwachsener verzögert sei und dass er noch unreif sei und daher als Jugendlicher und nicht als Erwachsener zu behandeln sei. Das Gericht stellte ferner in Übereinstimmung mit den psychiatrischen Sachverständigengutachten fest, dass der Beschwerdeführer die Straftaten der Körperverletzung, Sachbeschädigung, gefährlichen Körperverletzung, üblen Nachrede und versuchten Nötigung im Zustand der verminderten Schuldfähigkeit (§ 21 StGB, Rdnr. 19) begangen habe, weil er in erster Linie an einer Borderline-Persönlichkeitsstörung vom impulsiven Typ mit dissozialen Anteilen und auch an einemHyperaktivitätssyndrom bei Erwachsenen leide, wodurch seine Impulskontrolle eingeschränkt sei.Im Hinblick auf die anderen Straftaten, deren er schuldig gesprochen wurde, sah ihn das Gericht in Übereinstimmung mit dem psychiatrischen Sachverständigengutachten als voll schuldfähig an.

(b) Erstes Verfahren zur Überprüfung der Unterbringung des Beschwerdeführers

6. Am 2. November 2005, 27. September 2006 und 27. September 2007 überprüften die Strafgerichte die Zwangsunterbringung des Beschwerdeführers in dem psychiatrischen Krankenhaus nach den §§ 67d und 67e StPO (siehe Rdnrn. 20 und 21) und stellten in allen drei Fällen fest, dass die Unterbringung des Beschwerdeführers in einem psychiatrischen Krankenhaus noch nicht zur Bewährung ausgesetzt werden könne. Für die Zwecke dieser Überprüfungsentscheidungen erstellten die ‑internen Psychiater des psychiatrischen Krankenhauses S. am 9. August 2005, 14. August 2006 und 2. Juli 2007 medizinische Gutachten.

7. Am 9. Oktober 2008 befand das Amtsgericht erneut, dass der Beschwerdeführer immer noch an der psychischen Störung leide, die zu den Straftaten geführt habe, derentwegen er 2004 verurteilt worden sei, und dass davon auszugehen sei, dass er im Fall seiner Entlassung weitere Straftaten einer gewissen Schwere begehen werde.Die Entscheidung wurde erlassen, nachdem der Beschwerdeführer am 26. September 2007 und erneut am 21. Mai 2008 angehört worden war. Sie wurde auf das vorgenannte Sachverständigengutachten des internen psychiatrischen Ärzteteams des psychiatrischen Krankenhauses S. vom 2. Juli 2007 sowie auf ein neu eingeholtes externes Gutachten des psychiatrischen Sachverständigen Prof. Dr.O., Leiter der Abteilung für forensische Psychiatrie und Psychotherapie der Universität Regenburg in der psychiatrischen Klinik Regensburg, gestützt, der sein Gutachten am 19. Februar 2008 vorgelegt und am 28. Juli 2008 ergänzt hatte und am 21. Mai 2008persönlich vor Gericht angehört worden war.

8. In dem medizinischen Gutachten vom 2. Juli 2007 hatte das interne psychiatrische Ärzteteam des psychiatrischen Krankenhauses S. die Auffassung zum Ausdruck gebracht, es sei davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer im Fall seiner Entlassung weitere Straftaten begehen werde, weil er in Bezug auf seine psychologische Störung keine Einsicht zeige. In dem Sachverständigengutachten war ferner der Verdacht geäußert worden, dass der Beschwerdeführer in Wirklichkeit schizophren sein könnte.

9. Prof. Dr. O. hatte in seinem Sachverständigengutachten bei dem Beschwerdeführer eine emotional instabile Persönlichkeitsstörung vom impulsiven Typ und möglicherweise auch ein Hyperaktivitätssyndrom bei Erwachsenen diagnostiziert. O. hatte ferner ausgeführt, dass der Beschwerdeführer während seiner Unterbringung zwar in seiner Persönlichkeit deutlich gereift sei, zu diesem Zeitpunkt aber nicht davon ausgegangen werden könne, dass er im Fall seiner Entlassung keine erheblichen Straftaten begehen werde. Der Beschwerdeführer habe zwar offensichtlich von seiner Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus profitiert und im Krankenhaus keine Straftaten begangen, jedoch sei er für eine Entlassung psychisch immer noch nicht stabil genug. Das größte Hindernis für seine Entlassung sei, dass er immer noch sehr wenig Einsicht dahingehend zeige, dass eine ärztliche Behandlung sowohl jetzt als auch künftig nach einer möglichen Entlassung erforderlich sei. Therapietreue sei folglich bei ihm noch nicht erreicht worden. Ferner müsse der Beschwerdeführer im Fall seiner Entlassung im Rahmen eines klar strukturierten betreuten Wohnens untergebracht werden. Die Vorkehrungen für eine solche Unterbringung seien noch nicht erfolgt. Der Sachverständige habe ferner ausgeführt, dass der Beschwerdeführer, wenn er durch eine Psychotherapie weiter stabilisiert werden könne, wenn künftig Therapietreue bei ihm erreicht werden könne und wenn ein Platz in einer angemessen strukturieren Einrichtung des betreuten Wohnens bereit stehe, entlassen werden könne, er jedoch über einen Zeitraum von sechs bis zwölf Monaten für eine solche Entlassung auf Bewährung vorbereitet werden müsse.

10. Nachdem der Beschwerdeführer gegen diese Entscheidung Rechtsmittel eingelegt hatte, bestätigte das Landgericht am 16. Januar 2009 die Entscheidung des Amtsgerichts.

2. Das in Rede stehende Verfahren

(a) Die Entscheidung des Amtsgerichts Straubing

11. Am 8. Oktober 2009 entschied das Amtsgericht in Übereinstimmung mit § 67d Abs. 2 StGB (siehe Rdnr. 19), dass der Beschwerdeführer noch nicht entlassen werden könne, weil aufgrund seiner fortbestehenden psychiatrischen Krankheit immer noch zu erwarten sei, dass er im Fall seiner Entlassung Straftaten einer gewissen Schwere begehen werde. Das Gericht stützte seine Entscheidung auf ein neu eingeholtes Sachverständigengutachten des internen psychiatrischen Ärzteteams des psychiatrischen Krankenhauses S. vom 7. Juli 2009 und auf die mündliche Anhörung des behandelnden Oberarztes vom 30. September 2009.

12. Die jeweiligen medizinischen Sachverständigen seien immer noch der Ansicht, dass von dem Beschwerdeführer im Fall seiner Entlassung weitere Straftaten zu erwarten seien, weil ihm immer noch eine ausreichende Einsicht hinsichtlich seiner psychischen Störung fehle. Es bestehe immer noch der Verdacht, dass er an Schizophrenie und nicht an einem Borderline-Persönlichkeitssyndrom leide. Da er sich jedoch weigere, mit den Ärzten umfassend zu kooperieren, sei eine eindeutige Diagnose, die eine spezifischere Behandlung ermöglichen würde, schwierig. Der Gedanke, dass der Beschwerdeführer an Schizophrenie leide, sei daher lediglich eine Annahme, die weder bestätigt noch widerlegt werden könne. Schnellere Ergebnisse könnten bei der Behandlung des Beschwerdeführers nur erreicht werden, wenn er sich vollständig an die ärztliche und psychotherapeutische Behandlung halte. Da er immer noch eine negative Einstellung zur Medikation und zu den Psychotherapeuten habe, könnten hinreichende Fortschritte, die seine Entlassung rechtfertigen würden, nicht erzielt werden.

(b) Die Entscheidung des Landgerichts Regensburg

13. Am 23. Dezember 2009 bestätigte das Landgericht diese Entscheidung. Es stützte seine Entscheidung auf das vorgenannte Sachverständigengutachten von Prof. Dr. O. vom 19. Februar bzw. 21. Mai 2008 und auf das interne Sachverständigengutachten des psychiatrischen Teams des psychiatrischen Krankenhauses S. vom 7. Juli 2009. Das Gericht befand, dass noch immer eine eindeutige Diagnose einer emotional instabilen Persönlichkeitsstörung vom impulsiven Typ und möglicherweise auch eines Hyperaktivitätssyndroms bei Erwachsenen vorliege. Diese Diagnose stehe nicht im Widerspruch zu der Diagnose einer Borderline-Persönlichkeitsstörung vom impulsiven Typ mit dissozialen Anteilen, die von S. zum Zeitpunkt der ursprünglichen Zwangsunterbringung des Beschwerdeführers gestellt worden sei. Nach den Ausführungen des Landgerichts habe Prof. Dr. O. vor Gericht klargestellt, dass diese Diagnose lediglich eine präzisere Darstellung der psychischen Störung sei, an der der Beschwerdeführer bereits bei der Begehung der Straftaten, derentwegen er verurteilt worden sei, und bei seiner Zwangseinweisung gelitten habe, sie beschreibe jedoch keine neue psychische Erkrankung.

14. Das Gericht war ferner der Ansicht, der Gedanke, dass der Beschwerdeführer in Wirklichkeit an Schizophrenie leide, sei lediglich eine unbestätigte Annahme. Seine Situation habe sich nicht verändert, seit der externe Sachverständige O. sein Gutachten am 19. Februar bzw. 21. Mai 2008 erstattet habe. Laut Aussage des internen Psychiaters habe der Beschwerdeführer immer noch keine Einsicht in Bezug auf seine psychische Erkrankung entwickelt, die zu einer vollständigen Kooperation hinsichtlich seiner Medikation führen würde. Gleichzeitig stehe noch keine Möglichkeit eines strukturierten betreuten Wohnens zur Verfügung, wo er nach seiner Entlassung untergebracht werden könnte. Es sei daher immer noch zu erwarten, dass er im Fall seiner Entlassung weitere Straftaten einer gewissen Schwere begehen werde. Im Hinblick auf die Straftaten, die er in der Vergangenheit begangen habe, und auf die Gefahr, dass er erneut ähnliche Straftaten, etwa Körperverletzung und schwere Körperverletzung, begehen werde, sei seine nunmehr über fünf Jahre andauernde Unterbringung noch nicht unverhältnismäßig.

(c) Die Entscheidung des Oberlandesgerichts

15. Ein weiteres Rechtsmittel, das der Beschwerdeführer beim Oberlandesgericht eingelegt hatte, wurde mit der Begründung verworfen, das innerstaatliche Recht sehe ein solches Rechtsmittel nicht vor.

(d) Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts

16. Eine vom Beschwerdeführer erhobene Verfassungsbeschwerde und ein Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand blieben erfolglos. Am 10. Juni 2010 lehnte es das Bundesverfassungsgericht ohne Begründung ab, die Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung anzunehmen, und entschied nicht über den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (2 BvR 2001/10).

B. Das einschlägige innerstaatliche Recht

17. Nach § 63 StGB darf die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus neben der Strafe angeordnet werden, wenn jemand eine rechtswidrige Tat im Zustand der Schuldunfähigkeit oder verminderten Schuldfähigkeit begangen hat. Die Maßnahme muss jedoch im angemessenen Verhältnis zur Bedeutung der vom Täter begangenen und zu erwartenden Taten sowie zu dem Grad der von ihm ausgehenden Gefahr stehen (§ 62 StGB).

18. Artikel 63 StGB bestimmt, dass das Gericht die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus ohne Angabe einer Höchstdauer anordnet, wenn jemand eine rechtswidrige Tat im Zustand der Schuldunfähigkeit oder der verminderten Schuldfähigkeit begangen hat und die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Tat ergibt, dass von ihm infolge seines Zustandes erhebliche rechtswidrige Taten zu erwarten sind und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich ist.

19. Schuldunfähigkeit und verminderte Schuldfähigkeit sind in den §§ 20 und 21 StGB geregelt; sie lauten wie folgt:

§ 20 Schuldunfähigkeit wegen seelischer Störungen

„Ohne Schuld handelt, wer bei Begehung der Tat wegen einer krankhaften seelischen Störung, wegen einer tiefgreifenden Bewußtseinsstörung oder wegen Schwachsinns oder einer schweren anderen seelischen Abartigkeit unfähig ist, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln.”

§ 21 Verminderte Schuldfähigkeit

„Ist die Fähigkeit des Täters, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, aus einem der in § 20 bezeichneten Gründe bei Begehung der Tat erheblich vermindert, so kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 gemildert werden.“

20. § 67d StGB regelt die Dauer der Unterbringung. In der zur maßgeblichen Zeit geltenden Fassung lautete er

§ 67d Dauer der Unterbringung

“(1) …

(2) Ist keine Höchstfrist vorgesehen oder ist die Frist noch nicht abgelaufen, so setzt das Gericht die weitere Vollstreckung der Unterbringung zur Bewährung aus, wenn zu erwarten ist, dass der Untergebrachte außerhalb des Maßregelvollzugs keine rechtswidrigen Taten mehr begehen wird.Mit der Aussetzung tritt Führungsaufsicht ein.

(6) Stellt das Gericht nach Beginn der Vollstreckung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus fest, dass die Voraussetzungen der Maßregel nicht mehr vorliegen oder die weitere Vollstreckung der Maßregel unverhältnismäßig wäre, so erklärt es sie für erledigt. Mit der Entlassung aus dem Vollzug der Unterbringung tritt Führungsaufsicht ein….”

21. § 67e StGB regelt die Überprüfung der Unterbringung z.B. in einem psychiatrischen Krankenhaus. Das Gericht kann jederzeit prüfen, ob die weitere Vollstreckung der Unterbringung zur Bewährung auszusetzen ist. Es muss dies vor Ablauf bestimmter Fristen prüfen (§ 67e Abs. 1). Für in einem psychiatrischen Krankenhaus untergebrachte Personen beträgt die Frist ein Jahr (§ 67e Abs. 2).

RÜGEN

22. Der Beschwerdeführer rügte nach Artikel 5 der Konvention, dass die Fortdauer seiner Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus seit 2004 unverhältnismäßig sei. Ferner machte er geltend, dass das Verfahren zur gerichtlichen Überprüfung seiner fortdauernden Unterbringung unfair gewesen sei, weil die zuständigen Gerichte nicht alle relevanten Aspekte berücksichtigt hätten und der Empfehlung des externen psychiatrischen Sachverständigen, ihn zu entlassen, nicht gefolgt seien, und weil das Gutachten der internen Ärzte des Krankenhauses falsch sei.

23. Darüber hinaus rügte der Beschwerdeführer nach Artikel 2 und Artikel 8 der Konvention, dass sein Leben und seine Gesundheit durch die Nebenwirkungen der Medikamente, die er zur Behandlung seiner psychischen Störung einnehmen müsse, gefährdet seien. Seiner Ansicht nach müsse er in eine auf innere Medizin spezialisierte Klinik verlegt werden.

RECHTLICHE WÜRDIGUNG

A. Behauptete Verletzung von Artikel 5 der Konvention

24. Mit seiner Rüge nach Artikel 5 der Konvention trug der Beschwerdeführer vor, dass seine fortdauernde Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus unrechtmäßig sei. Die innerstaatlichen Strafgerichte hätten ihn auf Bewährung entlassen sollen, denn nach den Ausführungen des psychiatrischen Sachverständigen O. könne er nach einer Vorbereitungszeit von sechs bis zwölf Monaten entlassen werden und dieser Zeitraum sei bereits seit langem verstrichen.

25. Er behauptete überdies, dass er aufgrund seines schlechten Gesundheitszustands zu schwach sei, um in der Zukunft weitere Straftaten zu begehen. Bei der Entscheidung über die Fortdauer seiner Unterbringung hätten die Strafgerichte seinen körperlichen Zustand berücksichtigen müssen, was sie nicht getan hätten.

26. Darüber hinaus handele es sich bei den Straftaten, derentwegen er verurteilt worden sei, um eine Serie geringfügiger Straftaten, die er als Jugendlicher begangen habe. Da diese Straftaten von einer solch geringen Schwere gewesen seien, könne die Befürchtung, er könnte in der Zukunft erneut ähnliche Straftaten begehen, die Fortdauer seiner Unterbringung nach fast sechs Jahren nicht rechtfertigen.

27. Ferner behauptete der Beschwerdeführer, die Sachverständigengutachten der Krankenhausärzte seien falsch, und bat darum, von einem externen psychiatrischen Sachverständigen begutachtet zu werden.

28. Im Wesentlichen sind die Rügen des Beschwerdeführers nach Artikel 5 als Rügen nach Artikel 5 Abs. 1 und Artikel 5 Abs. 4 der Konvention auszulegen, die, soweit maßgeblich, lauten:

„1. Jede Person hat das Recht auf Freiheit und Sicherheit. Die Freiheit darf nur in den folgenden Fällen und nur auf die gesetzlich vorgeschriebene Weise entzogen werden:

a) rechtmäßige Freiheitsentziehung nach Verurteilung durch ein zuständiges Gericht;

e) rechtmäßige Freiheitsentziehung mit dem Ziel, die Verbreitung ansteckender Krankheiten zu verhindern, sowie bei psychisch Kranken, Alkohol- oder Rauschgiftsüchtigen und Landstreichern;

4. Jede Person, die festgenommen oder der die Freiheit entzogen ist, hat das Recht zu beantragen, dass ein Gericht innerhalb kurzer Frist über die Rechtmäßigkeit der Freiheitsentziehung entscheidet und ihre Entlassung anordnet, wenn die Freiheitsentziehung nicht rechtmäßig ist.

…“

29. Der Gerichtshof stellt fest, dass dem Beschwerdeführer aufgrund des Urteils des Jugendgerichts Regensburg vom 19. August 2004, mit dem seine unbefristete Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet worden war, die Freiheit entzogen wurde. Seine Unterbringung könnte daher als Freiheitsentziehung „nach Verurteilung durch ein zuständiges Gericht“ unter Artikel 5 Abs. 1 Buchstabe a und/oder als Freiheitsentziehung eines „psychisch Kranken“ unter Artikel 5 Abs. 1 Buchstabe e fallen.

30. Da die fortdauernde Unterbringung des Beschwerdeführers in erster Linie auf der Feststellung einer psychischen Störung, also einer psychischen Erkrankung, durch die innerstaatlichen Gerichte beruht, hält es der Gerichtshof für angebracht, die Rüge zunächst nach Artikel 5 Abs. 1 Buchst. e zu prüfen (siehe X ./. Vereinigtes Königreich, 5. November 1981, Rdnr. 39, Serie A Nr. 46; P. ./. Deutschland, (Entsch.), Individualbeschwerde Nr. 1241/06, 24, März 2009; und G. ./. Deutschland, (Entsch.), Individualbeschwerde Nr. 53783/09, 18. Oktober 2011).

1. War der Beschwerdeführer psychisch krank?

a) Zusammenfassung der einschlägigen Grundsätze

31. Bei der Entscheidung darüber, ob der Beschwerdeführer im Sinne von Artikel 5 Abs. 1 Buchst. e „psychisch krank“ war, weist der Gerichtshof erneut darauf hin, dass einer Person wegen einer psychischen Erkrankung die Freiheit nur entzogen werden kann, wenn die folgenden drei Mindestvoraussetzungen vorliegen: erstens, die psychische Erkrankung muss zuverlässig nachgewiesen sein, d. h. eine tatsächliche psychische Störung muss aufgrund objektiver ärztlicher Fachkompetenz von einer zuständigen Behörde festgestellt werden, zweitens, die psychische Störung muss ihrer Art oder Schwere nach eine Zwangsunterbringung rechtfertigen, und drittens, die Fortdauer der Unterbringung muss vom Fortbestehen einer derartigen Störung abhängen (siehe u. a. Winterwerp ./. Niederlande, 24. Oktober 1979, Rdnr. 39, Serie A Band 33, und Shtukaturov ./. Russland, Individualbeschwerde Nr. 44009/05, Rdnr. 114, ECHR 2008).

32. Im Hinblick auf die Entscheidung, ob einer Person wegen „psychischer Krankheit“ die Freiheit entzogen werden sollte, ist anzuerkennen, dass die nationalen Behörden über einen gewissen Ermessensspielraum verfügen, weil in erster Linie die nationalen Behörden dafür zuständig sind, die ihnen beigebrachten Beweise in einem bestimmten Fall zu würdigen; die Aufgabe des Gerichtshofs besteht darin, im Lichte der Konvention die Entscheidungen dieser Behörden zu überprüfen (siehe Rechtssachen Winterwerp, a.a.O. Rdnr. 40; H. L. ./. Vereinigtes Königreich, Individualbeschwerde Nr. 45508/99, Rdnr. 98, ECHR 2004IX; P. ./. Deutschland (Entsch.), Individualbeschwerde Nr. 81/06, 24. März 2009; und S. ./. Deutschland, Individualbeschwerde Nr. 7345/12, Rdnr. 74, 28. November 2013).

33. Der maßgebliche Zeitpunkt, zu dem die psychische Erkrankung einer Person für die Erfordernisse des § 5 Abs. 1 Buchstabe e zuverlässig nachgewiesen sein muss, ist der Tag des Erlasses der Maßnahme, mit der jener Person aufgrund dieses Zustands die Freiheit entzogen wird (vgl. Winterwerp, a. a. O., Rdnr. 42; Luberti ./. Italien, 23. Februar 1984, Rdnr. 8, Serie A Nr. 75; P., a. a. O.; und G., a. a. O.).

34. Die objektive ärztliche Fachkompetenz, auf die eine zuständige Behörde ihre Entscheidung stützen muss, muss hinreichend aktuell sein (siehe Ruiz Rivera./. Schweiz, Individualbeschwerde Nr. 8300/06, Rdnr. 60, 18. Februar 2014, und Vogt ./. Schweiz (Entsch.), Individualbeschwerde Nr. 45553/06, 3. Juni 2014, Rdnr. 37, beide im Hinblick auf Artikel 5 Abs. 4).

35. Die ständige Rechtsprechung des Gerichtshofs zeigt, dass die Frage, ob eine ärztliche Fachkompetenz hinreichend aktuell war, vom Gerichtshof nicht statisch beantwortet wird, sondern von den konkreten Umständen des ihm vorliegenden Falls abhängt. Dementsprechend stellte der Gerichtshof in der Rechtssache H. ./. Deutschland (Individualbeschwerde Nr. 44672/98, Rdnr. 50, 12. Juni 2003) fest, dass ein eineinhalb Jahre zurück liegendes Gutachten eines ärztlichen Sachverständigen für sich allein nicht ausreichend war, um die Unterbringung des Beschwerdeführers in einem psychiatrischen Krankenhaus nach Artikel 5 Abs. 1 Buchst. e zu rechtfertigen. Der Fall betraf eine Unterbringungsanordnung eines Zivilgerichts, mit der die Unterbringung des Beschwerdeführers als präventive Maßnahme angeordnet wurde, weil der Beschwerdeführer, der nicht wegen Straftaten im Zusammenhang mit seinem Zustand verurteilt worden war, als Gefahr für seine geschiedene Ehefrau angesehen wurde. Der Grund, weshalb der Gerichtshof nicht anerkannte, dass die Unterbringung auf ein eineinhalb Jahre zurück liegendes Sachverständigengutachten gestützt wurde, war, dass das Gutachten nicht für das in Rede stehende Verfahren, sondern für ein anderes Verfahren erstellt worden war, das eine andere Situation betraf, in der der Beschwerdeführer präventiv untergebracht war.Darüber hinaus war die Frage, ob der Beschwerdeführer tatsächlich psychisch krank war, in verschiedenen anderen ärztlichen Stellungnahmen untersucht wurden, die nach dem fraglichen ärztlichen Gutachten, aber vor der eigentlichen Unterbringung des Beschwerdeführers abgegeben worden waren. Diese anderen ärztlichen Gutachten gelangten zu einer gegenteiligen Schlussfolgerung. Dennoch stellte der Gerichtshof keinen Verstoß gegen Artikel 5 Abs. 1 Buchst. e der Konvention fest, weil die Unterbringung als präventive Maßnahme in einer Notsituation angeordnet worden war, die keinen Aufschub duldete, und weil sie dennoch auf ein ärztliches Gutachten gestützt war und lediglich sechs Wochen andauerte.

36. In der RechtssacheRuiz Rivera (a. a. O., Rdnr. 64) stellte der Gerichtshof fest, dass in einem Fall, in dem der Beschwerdeführer keine vertrauensvolle Beziehung zu seinem behandelnden Psychiater hatte und seine Therapie einen Stillstand erreicht hatte, die innerstaatlichen Gerichte ihre Entscheidung nicht auf hinreichend aktuelle ärztliche Fachkompetenz gestützt hatten (das letzte externe Sachverständigengutachten lag mehr als drei Jahre zurück).

37. Im FallD. ./. Deutschland ((Entsch.) Individualbeschwerde Nr. 2894/08, 3. Januar 2008), der die Fortdauer der Sicherungsverwahrung des Beschwerdeführers im Hinblick auf Artikel 5 Abs. 1 Buchst. a betraf, gab sich der Gerichtshof mit einem sechs Jahre zurück liegenden externen ärztlichen Gutachten zur Gefährlichkeit des Beschwerdeführers zufrieden. Der Gerichtshof stellte fest, dass die Entscheidung des Gerichts, die Fortdauer der Unterbringung des Beschwerdeführers nicht auszusetzen, nicht unangemessen war, denn er hatte sich seit der Erstattung des letzten externen Sachverständigengutachtens geweigert, sich einer Therapie zu unterziehen, und seine mündlichen und schriftlichen Stellungnahmen an das Gericht sowie die Stellungnahme des Anstaltspsychologen, der im Überprüfungsverfahren vor dem Gericht aussagte, zeigten, dass sich die Situation des Beschwerdeführers seit dem letzten externen ärztlichen Gutachten nicht verändert hatte.

(b) Anwendung dieser Grundsätze auf die vorliegende Rechtssache

(i) Litt der Beschwerdeführer zum Zeitpunkt des in Rede stehenden Überprüfungsverfahrens an einer echten psychischen Störung?

38. Bei der Prüfung, ob vor den zuständigen innerstaatlichen Gerichten auf der Grundlage ärztlicher Fachkompetenz festgestellt wurde, dass der Beschwerdeführer an einer echten psychischen Störung litt, stellt der Gerichtshof fest, dass das Amtsgericht Straubing und das Landgericht Regensburg bei der Überprüfung seiner Unterbringung ärztliche Fachkompetenz berücksichtigten, nämlich das ärztliche Gutachten des externen Sachverständigen Prof. Dr. O. vom 19. Februar 2008, seine ergänzende Stellungnahme vom 23. Juli 2008 und seine mündliche Aussage vom 21. Mai 2008 in dem früheren Überprüfungsverfahren – zusätzlich zu der schriftlichen Stellungnahme vom 7. Juli 2009 des behandelnden psychiatrischen Teams und des mündlichen ärztlichen Gutachtens des behandelnden Oberarztes.

39. Prof. Dr. O. diagnostizierte bei dem Beschwerdeführer eine emotional instabile Persönlichkeitsstörung vom impulsiven Typ und möglicherweise auch ein Hyperaktivitätssyndrom bei Erwachsenen. Die Diagnose wurde durch das Sachverständigengutachten des psychiatrischen Teams in S. nicht in Frage gestellt, das lediglich von der Möglichkeit sprach, dass der Beschwerdeführer in Wirklichkeit an Schizophrenie leide. Die Sachverständigen stellten klar, dass es sich bei dieser Aussage nicht um eine fundierte Diagnose handele, sondern lediglich um einen Verdacht, der sich noch nicht bestätigt habe.

40. Der Gerichtshof nimmt ferner die Feststellung des Landgerichts zur Kenntnis, dass die von Prof. Dr. O. gestellte Diagnose lediglich eine genauere Beschreibung der psychischen Störung sei, an der der Beschwerdeführer bereits bei der Begehung der Straftaten gelitten habe, die zu seiner ursprünglichen Unterbringung geführt hätten, und die später als Borderline-Persönlichkeitsstörung vom impulsiven Typ mit dissozialen Anteilen und als Hyperaktivitätssydrom bei Erwachsenen diagnostiziert worden sei. Diese psychische Störung wurde von den innerstaatlichen Gerichten als schwere Persönlichkeitsstörung im Sinne von § 21 StGB angesehen, die zu einer verminderten Schuldfähigkeit des Beschwerdeführers geführt habe.

41. Im Hinblick auf den Ermessensspielraum, über den die innerstaatlichen Behörden bei der Entscheidung darüber, ob einer Person wegen „psychischer Krankheit“ die Freiheit entzogen werden sollte, insbesondere ihren Ermessensspielraum hinsichtlich der Begründetheit klinischer Diagnosen, ist der Gerichtshof überzeugt, dass im Fall des Beschwerdeführers zum Zeitpunkt des in Rede stehenden Überprüfungsverfahrens vor den zuständigen innerstaatlichen Gerichten auf der Grundlage ärztlicher Fachkompetenz eine echte psychischen Störung eindeutig nachgewiesen wurde.

(ii) War die ärztliche Fachkompetenz objektiv und insbesondere hinreichend aktuell?

42. Bei der weiteren Prüfung, ob die relevante ärztliche Fachkompetenz, auf die die Überprüfungsentscheidungen des Amtsgerichts und des Landgerichts gestützt wurden, objektiv und insbesondere hinreichend aktuell war, stellt der Gerichtshof fest, dass das Sachverständigengutachten, auf das die Entscheidungen gestützt wurden, von Prof. Dr. O., einem unabhängigen externen psychiatrischen Sachverständigen, erstellt wurde. Der Beschwerdeführer selbst machte vor diesem Gerichtshof in sehr allgemeiner Form geltend, dass die ärztlichen Gutachten der Klinikärzte falsch seien.

43. Zum Zeitpunkt des in Rede stehenden Überprüfungsverfahrens lag das Gutachten dieses Sachverständigen nur 20 Monate (zum Zeitpunkt der Entscheidung des Amtsgerichts) bzw. 22 Monate (zum Zeitpunkt der Entscheidung des Landgerichts) zurück. Seine zusätzliche Stellungnahme lag zur relevanten Zeit weniger als 15 bzw. 17 Monate zurück. Die schriftliche Stellungnahme des behandelnden psychiatrischen Teams, lag nur drei bzw. fünf Monate zurück und die mündliche Stellungnahme des behandelnden Oberarztes wurde vom Amtsgericht 9 Tage vor seiner Entscheidung eingeholt.

44. Der Gerichtshof ist weiterhin der Auffassung, dass sich die Situation des Beschwerdeführers seit der Erstattung des letzten externen Sachverständigengutachtens nicht verändert hat (vgl. D., a. a. O.). Professor Dr. O. hatte es als Voraussetzung für den Beginn der Vorbereitung des Beschwerdeführers auf seine Entlassung angesehen, dass er eine umfassende Einsicht in die Notwendigkeit seiner Behandlung entwickelt und eine vollständige Therapietreue zeigt.Die Stellungnahme des internen psychiatrischen Teams während des in Rede stehenden Überprüfungsverfahrens machte deutlich, dass dies immer noch nicht der Fall war, denn der Beschwerdeführer hatte seine Einstellung zu seiner Behandlung nicht geändert. Dies wurde von dem Beschwerdeführer auch nicht bestritten. Der Gerichtshof stellt daher fest, dass die ärztliche Fachkompetenz, auf die die Überprüfungsentscheidungen im vorliegenden Fall gestützt wurden, hinreichend aktuell war.

45. Der Gerichtshof stellt überdies fest, dass das Sachverständigengutachten von Prof. Dr. O. zum Zeitpunkt der Entscheidung des Landgerichts nicht von anderen ärztlichen Sachverständigen in Frage gestellt wurde (siehe im Gegensatz dazu H., a. a. O., Rdnr. 50). Wie bereits erwähnt wurde (Rdnr. 14), legten die schriftlichen und mündlichen Stellungnahmen des psychiatrischen Teams in S. vom 7. Juli 2009 bzw. 30. September 2009 lediglich nahe, dass der Beschwerdeführer möglicherweise an Schizophrenie leiden könnte, machten aber deutlich, dass dies keine fundierte Diagnose war. Überdies stellte das Gutachten der S. Sachverständigen nicht die allgemeine Auffassung in Frage, dass der Beschwerdeführer an einer echten psychischen Störung litt, die eine Zwangsunterbringung rechtfertigte, und es wurde darin ebenfalls die Auffassung vertreten, dass die psychische Störung derart war, dass sie die Fortdauer seiner Unterbringung erforderlich machte.

46. Schließlich liegt nach Ansicht des Gerichtshofs kein Hinweis darauf vor, dass die Beziehung des Beschwerdeführers zu dem behandelnden psychiatrischen Team ernsthaft gestört war. Es ist zutreffend, dass die Stellungnahmen von Prof. Dr. O. und des S. psychiatrischen Teams zeigen, dass der Beschwerdeführer die Behandlung nicht vollständig einhielt, und dass die Entscheidung des Landgerichts zeigt, dass er eine weitere Therapie durch das interne Ärzteteam des psychiatrischen Krankenhauses S. ablehnte. Eine Zerstörung des Vertrauensverhältnisses zwischen ihm und dem psychiatrischen Team bzw. ein Stillstand ist jedoch nicht ersichtlich (siehe im Gegensatz dazuRuiz Rivera, a. a. O., Rdnr. 64).

47. Daher ist der Gerichtshof überzeugt, dass die in Rede stehenden Überprüfungsentscheidungen auf objektiver, insbesondere hinreichend aktueller ärztlicher Fachkompetenz beruhten.

(iii) War die psychische Störung von einer solchen Art oder Schwere, dass eine Zwangsunterbringung gerechtfertigt war?

48. Bei der Prüfung der Frage, ob die festgestellte echte psychische Störung von einer solchen Art oder Schwere war, dass eine Zwangsunterbringung gerechtfertigt war, nimmt der Gerichtshof ferner zur Kenntnis, dass die externen und internen ärztlichen Sachverständigen im Gegensatz zum Vortrag des Beschwerdeführers der Auffassung waren, dass eine psychische Störung die Fortdauer seiner Unterbringung rechtfertige, weil immer noch davon auszugehen sei, dass er weitere Straftaten der gleichen Art und mindestens der gleichen Schwere begehen werde wie diejenigen, die der Grund für seine ursprüngliche Unterbringung gewesen seien. In diesem Zusammenhang stellt der Gerichtshof fest, dass die Behauptung des Beschwerdeführers, Prof. Dr. O. habe in seinem Sachverständigengutachten vom 19. Februar 2008 empfohlen, ihn nach sechs bis zwölf Monaten zu entlassen, unrichtig war. Tatsächlich regte der Sachverständige an, den Beschwerdeführer nach einer Vorbereitungszeit von sechs bis zwölf Monaten, nachdem seine vollständige Therapietreue sichergestellt worden sei, zu entlassen. O. zufolge war dies zum Zeitpunkt der Erstattung seines ärztlichen Gutachtens nicht der Fall.

49. Darüber hinaus teilt der Gerichtshof die Auffassung des Beschwerdeführers nicht, dass die Straftaten, die ihm Fall seiner Entlassung von ihm zu erwarten sind, als eine Serie geringfügiger, für Jugendliche typischer Straftaten angesehen werden könnten. Der Grund für die ursprüngliche Unterbringung des Beschwerdeführers war, dass er verschiedene Personen in der Öffentlichkeit ins Gesicht geschlagen und insbesondere einen Mitgefangenen im Schlaf mit einem Messer angegriffen hatte. Der Gerichtshof erkennt daher die Feststellungen der innerstaatlichen Gerichte an, dass diese Handlungen als Serie von Straftaten anzusehen sind, die eine ernsthafte Gefahr für die Allgemeinheit darstellen.

50. Der Gerichtshof nimmt weiterhin zur Kenntnis, dass das Jugendgericht Regensburg in seinem Urteil vom 19. August 2004 auf der Grundlage ärztlicher Fachkompetenz überzeugend dargelegt hat, dass der Beschwerdeführer diese Straftaten beging, weil er an einer Borderline-Persönlichkeitsstörung vom impulsiven Typ mit dissozialen Anteilen und an einem Hyperaktivitätssyndrom bei Erwachsenen litt. Die innerstaatlichen Gerichte haben ferner dargelegt, dass er aufgrund seines Zustands unfähig war, seine Impulse zu kontrollieren und deshalb in einer unangemessenen und gewalttätigen Weise reagierte, wenn er sich erniedrigt fühlte oder erregt war.Der Gerichtshof stellt ferner fest, dass die innerstaatlichen Gerichte in dem Überprüfungsverfahren auf der Grundlage ärztlicher Fachkompetenz überzeugend dargelegt haben, dass der Beschwerdeführer immer noch an derselben psychischen Störung litt (die inzwischen als emotional instabile Persönlichkeitsstörung vom impulsiven Typ, möglicherweise mit einem Hyperaktivitätssyndrom bei Erwachsenen diagnostiziert worden war, siehe oben), die der Grund für die oben beschriebenen Straftaten war. Da die innerstaatlichen Gerichte in dem in Rede stehenden Überprüfungsverfahren auf der Grundlage ärztlicher Fachkompetenz dargelegt haben, dass diese psychische Störung noch nicht so weit erfolgreich behandelt worden war, dass der Beschwerdeführer nicht mehr in derselben gewalttätigen Weise wie vor seiner Unterbringung reagieren würde, wenn er mit ähnlichen Situationen konfrontiert wäre wie der, die zu seinen gewalttätigen Handlungen geführt haben, ist der Gerichtshof auch davon überzeugt, dass die nachgewiesene echte psychische Störung von einer solchen Art und Schwere war, dass zum Zeitpunkt der Überprüfungsentscheidungen die Fortdauer seiner Unterbringung gerechtfertigt war.

(iv) Hing die Frage, ob die Fortdauer der Unterbringung des Beschwerdeführers berechtigt war, vom Fortbestehen seiner psychischen Störung ab?

51. Überdies überprüften das Amtsgericht und das Landgericht in dem in Rede stehenden Verfahren im Rahmen der nach § 67e StGB vorgeschriebenen regelmäßigen Prüfung (siehe Rdnr. 21) die Notwendigkeit der Fortdauer der Unterbringung des Beschwerdeführers.Dies zeigt, dass die Frage, ob die Fortdauer seiner Unterbringung berechtigt war, vom Fortbestehen der psychischen Störung abhing.

52. Der Gerichtshof kommt deshalb zu dem Ergebnis, dass der Beschwerdeführer im Sinne von Artikel 5 Abs. 1 Buchst. e psychisch krank war.

2. Rechtmäßigkeit der Unterbringung des Beschwerdeführers

a) Zusammenfassung der einschlägigen Grundsätze

53. Der Gerichtshof weist erneut darauf hin, dass Freiheitsentziehung rechtmäßig ist, wenn die materiell- und verfahrensrechtlichen Vorschriften des innerstaatlichen Rechts eingehalten werden, wobei der Begriff „rechtmäßig“ sich bis zu einem gewissen Grad mit dem allgemeinen Erfordernis der „gesetzlich vorgeschriebene[n] Weise“ aus Artikel 5 Abs. 1 überschneidet (siehe Winterwerp, a. a. O., Rdnr. 39, und H.L. ./. Vereinigtes Königreich, Individualbeschwerde Nr. 45508/99, Rdnr. 114, ECHR 2004‑IX). Ein notwendiges Merkmal der „Rechtmäßigkeit” der Freiheitsentziehung im Sinne von Artikel 5 Abs. 1 Buchst. e ist, dass keine Willkür vorliegt. Die Freiheitsentziehung stellt eine derart schwerwiegende Maßnahme dar, dass sie nur gerechtfertigt ist, wenn andere, weniger einschneidende Maßnahmen in Betracht gezogen und zum Schutz des Einzelnen oder der Allgemeinheit für nicht ausreichend befunden wurden, so dass dem Betroffenen gegebenenfalls die Freiheit entzogen werden muss. Es ist nachzuweisen, dass die Freiheitsentziehung unter den gegebenen Umständen notwendig war (siehe Witold Litwa ./. Polen, Individualbeschwerde Nr. 26629/95, Rdnr. 78 ECHR 2000-III, und P., a. a. O.).

(b) Anwendung dieser Grundsätze auf die vorliegende Rechtssache

54. Der Gerichtshof stellt fest, dass die Unterbringung des Beschwerdeführers in einem psychiatrischen Krankenhaus am 19. August 2004 vom Jugendgericht Regensburg nach § 63 StGB für unbegrenzte Dauer angeordnet und anschließend von den innerstaatlichen Gerichten in dem in Rede stehenden Verfahren weder nach § 67e StGB für erledigt erklärt noch zur Bewährung ausgesetzt worden war. Er befindet daher, dass die Unterbringung des Beschwerdeführers mit den verfahrens- und materiellrechtlichen Vorschriften des innerstaatlichen Rechts im Einklang stand.

55. Bei der Prüfung, ob die Unterbringung des Beschwerdeführers mit dem Zweck von Artikel 5 Abs. 1, ihn vor Willkür zu schützen, im Einklang stand, stellt der Gerichtshof fest, dass von dem Sachverständigen Prof. Dr. O. zum Zeitpunkt des in Rede stehenden Überprüfungsverfahrens zwar festgestellt wurde, dass die Persönlichkeit des Beschwerdeführers in einem gewissen Umfang gereift war, sein Geisteszustand sich aber während seines gesamten Aufenthalts in dem psychiatrischen Krankenhaus nicht ausreichend geändert hatte, um davon ausgehen zu können, dass er im Fall seiner Entlassung keine weiteren Straftaten mehr begehen würde. Der Gerichtshof stellt ferner fest, dass, auch wenn nicht zu erwarten war, dass der Beschwerdeführer im Fall seiner Entlassung schwerste Straftaten begehen würde, doch davon auszugehen war, dass er Straftaten gegen die körperlichen Unversehrtheit potentieller Opfer begehen würde. Wie seine Taten in der Vergangenheit gezeigt haben, reichten bereits geringfügige Gründe aus, um bei dem Beschwerdeführer unerwartetes gewalttätiges Verhalten hervorzurufen. Der Gerichtshof erkennt daher die Feststellung der innerstaatlichen Gerichte an, dass von dem Beschwerdeführer nicht nur geringfügige Straftaten zu erwarten waren, sondern Straftaten, die eine schwerwiegende Gefahr für die körperlichen Unversehrtheit von Personen und damit eine schwerwiegende Gefahr für die Allgemeinheit darstellen.

56. Der Gerichtshof stellt ferner fest, dass die innerstaatlichen Gerichte mildere Maßnahmen, etwa die Unterbringung des Beschwerdeführers in einer Einrichtung des betreuten Wohnens in Betracht zogen, diese aber für unzureichend befanden, weil der Beschwerdeführer die erforderliche Medikation und Therapie noch nicht vollständig einhielt und davon auszugehen war, dass er Straftaten gegen die körperliche Unversehrtheit von Personen begehen würde, wenn er die klar strukturierte Umgebung des psychiatrischen Krankenhauses verlassen würde. Der Gerichtshof nimmt jedoch auch zur Kenntnis, dass die innerstaatlichen Gerichte die Unterbringung in einer Einrichtung des betreuten Wohnens als vernünftige mildere Maßnahme für die Zukunft betrachteten, sobald der Beschwerdeführer seine Behandlung vollständig einhalte. Daher ist der Gerichtshof überzeugt, dass die innerstaatlichen Gerichte ausreichend untersucht hatten, ob es gleichermaßen geeignete, aber weniger einschneidende Maßnahmen als die Zwangsunterbringung des Beschwerdeführers in einem psychiatrischen Krankenhaus gab.

57. Der Gerichtshof stellt überdies fest, dass die innerstaatlichen Gerichte, insbesondere das Landgericht, in dem in Rede stehenden Verfahren berücksichtigten, dass der Beschwerdeführer bereits mehr als fünf Jahre in einem psychiatrischen Krankenhaus untergebracht war. Unter Berücksichtigung der Dauer der Unterbringung des Beschwerdeführers und der Schwere der Straftaten, die im Fall seiner Entlassung von ihm zu erwarten waren, führten die innerstaatlichen Gerichte eine gründliche Abwägung des Freiheitsrechts des Beschwerdeführers gegen das Sicherheitsinteresse der Allgemeinheit durch und kamen zu dem Schluss, dass zum maßgeblichen Zeitpunkt die Fortdauer seiner Unterbringung nicht unverhältnismäßig sei. Der Gerichtshof stellt daher fest, dass es keinen Anhaltspunkt dafür gibt, dass die Fortdauer der Unterbringung des Beschwerdeführers willkürlich war.

58. Darüber hinaus stellt der Gerichtshof fest, dass es entgegen der Behauptung des Beschwerdeführers, er sei zu krank, um weiter in einem psychiatrischen Krankenhaus untergebracht zu werden und auch zu krank, um weitere Straftaten zu begehen, in den medizinischen Sachverständigengutachten und in den innerstaatlichen Gerichtsentscheidungen keine Anhaltspunkte dafür gibt, dass die Fortdauer seiner Unterbringung infolge seines allgemeinen Gesundheitszustandes willkürlich war.

59. Unter Berücksichtigung aller Umstände ist der Gerichtshof überzeugt, dass die Fortdauer der Unterbringung des Beschwerdeführers, die der regelmäßigen gerichtlichen Überprüfung unterlag, nicht als willkürlich angesehen werden kann. Folglich war die Freiheitsentziehung des Beschwerdeführers nach Artikel 5 Abs. 1 Buchstabe e der Konvention gerechtfertigt.

60. Aufgrund dieser Schlussfolgerung hält der Gerichtshof es nicht für erforderlich, zu prüfen, ob Buchstabe a auch auf den vorliegenden Fall anwendbar ist. Der Gerichtshof befindet weiterhin, dass weitere Fragen nach Artikel 5 Abs. 4 der Konvention nicht aufgeworfen werden.Daraus folgt, dass dieser Teil der Beschwerde nach Artikel 35 Abs. 3 Buchst. a und 4 der Konvention als offensichtlich unbegründet zurückzuweisen ist.

D. Behauptete Verletzung von Artikel 2 und 8 der Konvention

61. Im Hinblick auf die weiteren Rügen des Beschwerdeführers nach den Artikeln 2 und 8 der Konvention stellt der Gerichtshof fest, dass der Beschwerdeführer hinsichtlich seiner Behauptung, sein Gesundheitszustand sei so schlecht, dass sein Leben in Gefahr sei, den innerstaatlichen Rechtsweg nicht erschöpft hat, denn es gibt keinen Hinweis darauf, dass er dies vor den innerstaatlichen Gerichten gerügt hat. Daher weist der Gerichtshof diesen Teil der Beschwerde nach Artikel 35 Abs. 1 und 4 der Konvention zurück.

Aus diesen Gründen entscheidet der Gerichtshof einstimmig:

Die Individualbeschwerde wird für unzulässig erklärt.

Claudia Westerdiek                                         Mark Villiger
Kanzlerin                                                          Präsident

Zuletzt aktualisiert am Januar 3, 2021 von eurogesetze

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