EUROPÄISCHER GERICHTSHOF FÜR MENSCHENRECHTE
FÜNFTE SEKTION
ENTSCHEIDUNG
Individualbeschwerde Nr. 15521/08
P../. Deutschland
Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (Fünfte Sektion) hat in seiner Sitzung am 6. Januar 2015 als Kammer mit den Richterinnen und Richtern
Mark Villiger, Präsident,
Angelika Nußberger,
Boštjan M. Zupančič,
Vincent A. De Gaetano,
André Potocki,
Helena Jäderblom,
und Aleš Pejchal,
sowie Claudia Westerdiek, Sektionskanzlerin,
im Hinblick auf die oben genannte Individualbeschwerde, die am 20. März 2008 erhoben wurde,
im Hinblick auf die Stellungnahme der beschwerdegegnerischen Regierung und die Erwiderung der Beschwerdeführerin,
nach Beratung wie folgt entschieden:
SACHVERHALT
1. Die 19.. geborene Beschwerdeführerin, P., ist spanische Staatsangehörige und in M. wohnhaft. Vor dem Gerichtshof wurde sie von Herrn F., Rechtsanwalt in G., vertreten.
2. Die deutsche Regierung („die Regierung“) wurde durch ihre zwei Verfahrensbevollmächtigten, Herrn H.-J. Behrens und Frau K. Behr vom Bundesministerium der Justiz, vertreten.
3. Die Regierung des Königreichs Spanien, die über ihr Recht auf Beteiligung an dem Verfahren unterrichtet worden war (Artikel 36 Abs. 1 der Konvention und Artikel 44 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs), hat nicht erklärt, dass sie dieses Recht ausüben wolle.
A. Die Umstände der Rechtssache
4. Der von den Parteien vorgebrachte Sachverhalt lässt sich wie folgt zusammenfassen.
1. Hintergrund der Rechtssache
5. Die Beschwerdeführerin ist eine ehemalige Bedienstete der Vereinten Nationen (die „VN“ oder die „Organisation“). 1970 trat sie dem Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen („United Nations Development Programme“, UNDP) in New York bei. Sie wurde mehrfach befördert und wechselte 1998 zum Freiwilligenprogramm der Vereinten Nationen („United NationsVolunteer Programme“, UNV), Amtssitz-Verwaltungsabteilung („Headquarters Administration“), in Bonn, Deutschland. Das UNV ist weltweit durch Büros des UNDP vertreten. Die Beschwerdeführerin hatte beim UNV eine Führungsposition inne.
6. Bis 1999 wurde die Leistung der Beschwerdeführerin in ihren jährlichen Beurteilungen von aufeinanderfolgenden Dienstvorgesetzten durchgehend dahingehend bewertet, dass sie die Anforderungen an ihre jeweilige Tätigkeit übertreffe oder voll erfülle. 1999 sowie in den Jahren 2000 und 2001 war ein neuer Dienstvorgesetzter jedoch der Auffassung, dass sie die Erwartungen an ihre Leistung nicht erfüllt habe.
7. Als Folge der negativen Beurteilungen wurde die Beschwerdeführerin mit dem Ziel ihrer Neuverwendung in das Personal-Umbesetzungsprogramm des UNV 2002/2003 („2002/2003 UNV reassignmentexercise“) aufgenommen. Mit Schreiben vom 8. Juli 2002 wurde sie von der UNV-Personalabteilung davon in Kenntnis gesetzt, dass im Rahmen des Personal-Umbesetzungsprogramms für sie keine Stelle ausgewählt worden sei und dass ihr eine Frist von einigen Monaten gesetzt werde, um selbst nach einer anderen Stelle innerhalb des UNDP oder anderweitig in der Organisation zu suchen.
8. Am 17. Juli 2002 legte die Beschwerdeführerin im Hinblick auf eine verwaltungsinterne Überprüfung der negativen Beurteilungen für die Jahre 1999, 2000 und 2001 Widerspruch bei einem Widerspruchsausschuss („Rebuttal Panel“) ein, der sich aus UNDP-Bediensteten zusammensetzte, die gemeinsam vom Personalrat und dem Management ausgewählt wurden.
9. Am 1. November 2002 entschied das UNDP-Management, dass die Beschwerdeführerin vom 1. November bis zum 4. Dezember 2002 ihren Jahresurlaub nehmen sollte. Da die Beschwerdeführerin innerhalb der Organisation keine Stelle finden konnte und nach erfolglosen Versuchen seitens des UNDP, eine Einigung in Bezug auf mögliche Bedingungen für die Beendigung ihres Dienstvertrags zu erreichen, wurde ihr mit Schreiben vom 3. Dezember 2002 förmlich gekündigt; ihre Kündigung sollte am 4. März 2003 wirksam werden. Die Kündigung wurde mit geplanten Personalkürzungen und Stellenstreichungen begründet.
2. Das Verfahren betreffend die Kündigung der Beschwerdeführerin
(a) Das verwaltungsrechtliche Überprüfungsverfahren
10. Am 20. Januar 2003 beantragte die Beschwerdeführerin beim VN-Generalsekretär (der „Generalsekretär“) eine verwaltungsrechtliche Überprüfung der Entscheidung über ihre Kündigung sowie die Aussetzung der Kündigung.
11. Am 31. Januar 2003 gab der Generalsekretär entsprechend der Empfehlung des Gemeinsamen Beirats für Beschwerden der VN („UN Joint Appeals Board“, JAB) vom 29. Januar 2003 dem Antrag der Beschwerdeführerin auf Aussetzung ihrer Kündigung für die Dauer des seit 22. Januar 2003 laufenden Widerspruchsverfahrens betreffend ihre Beurteilungen statt.
12. Am 10. Juni 2003 legte der Widerspruchsausschuss seinen Bericht vor, in dem er zu dem Ergebnis kam, dass die Leistungsbewertungen der Beschwerdeführerin für die Jahre 1999 und 2001 aufrecht zu erhalten seien, dass er jedoch bezüglich der Bewertung für das Jahr 2000 zu keinem endgültigen Ergebnis gelangen könne, da das Management die relevanten Unterlagen nicht vorgelegt habe.
13. Am 29. August 2003 lehnte der Generalsekretär entgegen einer Empfehlung des JAB vom 27. August 2003 einen weiteren Antrag der Beschwerdeführerin auf Aussetzung ihrer Kündigung ab.
14. Das Dienstverhältnis der Beschwerdeführerin endete am 31. August 2003.
(b) Das Verfahren vor dem Gemeinsamen Beirat für Beschwerden der VN („UN Joint Appeals Board“, JAB)
15. Am 7. März 2003 hatte die anwaltlich vertretene Beschwerdeführerin beim JAB Beschwerde gegen die Kündigung ihrer Daueranstellung sowie gegen ihre Beurlaubung vom 1. November bis 4. Dezember 2002 eingelegt.
16. In seinem Bericht vom 28. Februar 2005 über die Begründetheit der Beschwerde der Beschwerdeführerin stellte der JAB fest, dass das UNV-Management unmittelbar nach der Kündigung der Beschwerdeführerin eine Kraft mit befristetem Assistentenvertrag zur Erfüllung ihrer Aufgaben eingestellt habe und dass ihre Stelle somit in Wahrheit nicht abgebaut, sondern sogar höhergestuft worden sei. Es sei nicht festgestellt worden, dass das UNDP-Management Maßnahmen ergriffen habe, um die Beschwerdeführerin ab 1999 darin zu unterstützen, ihre Arbeitsleistung zu verbessern. Weiterhin habe das UNDP-Management, als sich die Beschwerdeführerin im Personal-Umbesetzungsprogramm 2002/2003 befunden habe, keine hinreichenden Anstrengungen unternommen, um sie aktiv darin zu unterstützen, innerhalb der Organisation eine andere Stelle zu finden. Was die Entscheidung angehe, dass die Beschwerdeführerin vom 1. November bis 4. Dezember 2002 ihren Jahresurlaub nehmen sollte, stellte der JAB fest, dass, obwohl das Widerspruchsverfahren der Beschwerdeführerin betreffend ihre Beurteilungen seit dem 17. Juli 2002 anhängig gewesen sei, die Angelegenheit zum Zeitpunkt der Beurlaubung im November 2002 noch keinem Widerspruchsausschuss zugewiesen worden sei. Erst am 22. Januar 2003 und erst nachdem die Beschwerdeführerin die Aussetzung ihrer Kündigung beantragt habe, habe die Organisation anerkannt, dass das Widerspruchsverfahren verzögert worden sei, und habe dieses eingeleitet. Nach Ansicht des JAB stand es daher nicht im Einklang mit der geltenden Personalordnung, die Beschwerdeführerin zu bestrafen, indem sie im November 2002 ihren verbleibenden Jahresurlaub nehmen musste.
17. Der JAB empfahl, der Beschwerdeführerin eine finanzielle Entschädigung in Höhe von sechs Netto-Monatsgrundgehältern für die Verzögerung des Widerspruchsverfahrens sowie für das Unterlassen angemessener Maßnahmen seitens der Organisation, eine andere geeignete Stelle für sie zu finden, zu zahlen. Er empfahl auch, ihr den Jahresurlaub für den Zeitraum vom 1. November bis 4. Dezember 2002, der ihr widerrechtlich abgezogen worden sei, wieder gutzuschreiben.
18. Am 3. August 2005 wurde die Beschwerdeführerin von der Entscheidung des Generalsekretärs in Kenntnis gesetzt, dass ihr der Jahresurlaub vom 1. November bis 4. Dezember 2002 wieder gutgeschrieben würde und sie eine Entschädigung in Höhe von drei Netto-Monatsgrundgehältern statt, wie vom JAB empfohlen, sechs Monatsgrundgehältern erhalten würde.
(c) Das Verfahren vor dem VN-Verwaltungsgericht („United Nations Administrative Tribunal“, UNAT)
19. Am 5. Juli 2005, erhob der Rechtsanwalt der Beschwerdeführerin Klage gegen den Generalsekretär der VN beim Verwaltungsgericht der Vereinten Nationen („United Nations Administrative Tribunal“, UNAT) und beantragte u. a. ihre Wiedereinstellung, eine vollständige Entschädigung für die ihr seit der Kündigung am 31. August 2003 entstandenen Schäden, z. B. Sozialversicherung und sonstige Leistungen, sowie Strafschadenersatz.
20. In einem Schreiben an das UNAT vom 25. Mai 2007 beantragte die Beschwerdeführerin ferner Einsicht in bestimmte Unterlagen, die vom UNDP in dem Verfahren vor dem Widerspruchsausschuss eingereicht worden seien und auf die es in seinem Bericht vom 10. Juni 2003 Bezug genommen habe, die ihr aber angeblich nie zur Prüfung zur Verfügung gestellt worden seien.
21. Das UNAT erließ sein Urteil am 28. September 2007 (Nr. 1345) nach einem schriftlichen Verfahren. Es führte aus, dass der Widerspruch der Beschwerdeführerin zwar am 17. Juli 2002 eingelegt worden sei, das Widerspruchsverfahren jedoch erst am 22. Januar 2003 nach dem Antrag der Beschwerdeführerin vom 20. Januar 2003 auf Aussetzung ihrer Kündigung begonnen und am 10. Juni 2003 geendet habe. Das Verfahren habe somit elf Monate gedauert, eine Verzögerung, die, wie von der Organisation anerkannt worden sei, nicht hinnehmbar sei. Das UNAT folgte ferner der Feststellung des JAB, dass die UNDP-Verwaltung nicht alle ihr möglichen Anstrengungen unternommen habe, um eine neue Stelle für die Beschwerdeführerin zu finden. Es ordnete an, dass die Organisationzusätzlich zu der bereits erhaltenen Entschädigung eine weitere Entschädigung in Höhe von drei Netto-Monatsgrundgehältern zu zahlen habe, und wies die übrigen Einlassungen der Beschwerdeführerin zurück. Dem Antrag der Beschwerdeführerin auf Einsicht in die vorgenannten bestimmten Unterlagen wurde vom UNAT nicht stattgegeben.
B. Das einschlägige innerstaatliche Recht und Völkerrecht und die einschlägige innerstaatliche und völkerrechtliche Praxis
1. Die Rechtsstellung der VN / des UNV
22. Die Vereinten Nationen wurden 1945 gegründet und haben derzeit 193 Mitgliedstaaten. Deutschland wurde am 18. September 1973 als Mitglied in die Vereinten Nationen aufgenommen. Das Entwicklungsprogramm (UNDP) und das Freiwilligenprogramm (UNV) der Vereinten Nationen sind Nebenorgane der VN, die von der Generalversammlung der Organisation gegründet wurden.
23. Nach Artikel 105 Abs. 1 der Charta der Vereinten Nationen genießt die Organisation im Hoheitsgebiet jedes Mitglieds die Vorrechte und Immunitäten, die zur Verwirklichung ihrer Ziele erforderlich sind.
24. Das Übereinkommen über die Vorrechte und Immunitäten der Vereinten Nationen (das „Allgemeine Übereinkommen“) vom 13. Februar 1946, dessen Vertragspartei Deutschland seit dem 5. November 1980 ist, sieht vor:
„Artikel II
Abschnitt 2 Die Organisation der Vereinten Nationen, ihr Vermögen und ihre Guthaben, gleichviel wo und in wessen Besitz sie sich befinden, genießen Immunität von der Gerichtsbarkeit, soweit nicht im Einzelfall die Organisation ausdrücklich darauf verzichtet hat. […]
Artikel VIII
Abschnitt 29 Die Organisation der Vereinten Nationen sorgt für geeignete Verfahren zur Beilegung
a) von Streitigkeiten aus privatrechtlichen Verträgen oder von anderen privatrechtlichen Streitigkeiten, bei denen die Organisation Streitpartei ist, […]“
25. Das Allgemeine Übereinkommen wird durch das Abkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den Vereinten Nationen über den Sitz des Freiwilligenprogramms der Vereinten Nationen (das „Sitzabkommen“) vom 10. November 1995 ergänzt, dessen Artikel 4 die Anwendbarkeit des Allgemeinen Übereinkommens auf das UNV vorsieht. Überdies enthält es in Artikel 9 Abs. 1 und in Artikel 26 Abs. 1 Buchst. a Vorschriften, die jeweils Abschnitt 2 bzw. Abschnitt 29 Buchst. a des Allgemeinen Übereinkommens gleichkommen.
2. Das VN-System für interne Beschwerden bezüglich dienstrechtlicher Streitigkeiten
26. Mittels des zum Zeitpunkt der in Rede stehenden Streitigkeit anwendbaren internen Beschwerdesystems der VN konnten VN-Bedienstete, die der Ansicht waren, dass eine Entscheidung der VN-Verwaltung gegen ihre Anstellungsbedingungen verstoßen habe, eine verwaltungsrechtliche Überprüfung dieser Entscheidung durch den VN-Generalsekretär beantragen. Erwiderte der Generalsekretär nicht innerhalb der in den einschlägigen Vorschriften vorgesehenen Frist oder war seine Erwiderung für den Bediensteten nachteilig, so konnte dieser Beschwerde beim Gemeinsamen Beirat für Beschwerden (JAB) erheben. Der aus drei Bediensteten bestehende JAB gab nach Prüfung der Angelegenheit eine unverbindliche Empfehlung an den Generalsekretär ab, der endgültig über die Beschwerde entschied.
27. Die endgültigen Entscheidungen des Generalsekretärs konnten dann vor dem Verwaltungsgericht der Vereinten Nationen (UNAT) angefochten werden. Das UNAT wurde 1950 von der Generalversammlung mit dem Zweck gegründet, das Dienstverhältnis betreffende Streitigkeiten zwischen Bediensteten der Vereinten Nationen und der Organisation beizulegen.
28. Die Richter am UNAT, die über richterliche Erfahrungen auf dem Gebiet des Verwaltungsrechts verfügen mussten, wurden von der Generalversammlung für vier Jahre ernannt; ihre Wiederernennung war einmal möglich. Kein Mitglied des UNAT konnte von der Generalversammlung entlassen werden, es sei denn, die anderen Mitglieder waren einstimmig der Auffassung, dass er oder sie für eine weitere Tätigkeit nicht geeignet sei (Artikel 3 des UNAT-Statuts, angenommen von der Generalversammlung durch die Resolution 351 A [IV] vom 24. November 1949 in der zum Zeitpunkt der in Rede stehenden Streitigkeit geltenden Fassung).
29. In Verfahren vor dem UNAT mussten alle dem UNAT vorgelegten schriftlichen Erklärungen sowie alle auf Verlangen des UNAT-Präsidenten eingereichten zusätzlichen Unterlagen an die anderen Parteien übermittelt werden, es sei denn, das Gericht lehnte auf Antrag einer Partei und mit Zustimmung der anderen Parteien die Übermittlung ab (siehe Artikel 10 der Verfahrensordnung des Verwaltungsgerichts der Vereinten Nationen, angenommen durch das Gericht am 7. Juni 1950, in der zum Zeitpunkt der in Rede stehenden Streitigkeiten geltenden geänderten Fassung). Ein Kläger konnte seine Sache vor dem Gericht persönlich, im schriftlichen oder mündlichen Verfahren vortragen. Er konnte auch einen Bediensteten der Vereinten Nationen mit seiner Vertretung beauftragen oder von einem Rechtsanwalt, der in einem der Mitgliedstaaten der betreffenden Organisation zugelassen ist, vertreten werden (siehe Artikel 13 der UNAT-Verfahrensordnung). Eine mündliche Verhandlung hatte stattzufinden, wenn der Vorsitzende dies beschlossen oder eine der Parteien dies beantragt und der Vorsitzende zugestimmt hat (siehe Artikel 15 Abs. 1 der UNAT-Verfahrensordnung).
30. Befand das Gericht eine Klage für begründet, musste es die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung anordnen. Gleichzeitig musste es die Höhe der wegen der erlittenen Verletzung an den Kläger zu zahlenden Entschädigung festlegen, sollte der Generalsekretär im Interesse der VN entscheiden, dass der Kläger entschädigt werden sollte, ohne dass weitere Maßnahmen in seiner Angelegenheit ergriffen wurden. In der Regel sollte eine solche Entschädigung das Nettogrundgehalt des Klägers für zwei Jahre nicht übersteigen (siehe Artikel 10 Abs. 1 des Statuts).
3. Der Bericht der Gruppe für die Neugestaltung des Systems der internen Rechtspflege der Vereinten Nationen („Redesign Panel“)
31. Im Januar 2006 gründete der VN-Generalsekretär die Gruppe für die Neugestaltung des Systems der internen Rechtspflege der Vereinten Nationen („Redesign Panel“) und reagierte damit auf einen Antrag der VN-Generalversammlung in deren Resolution 59/283 auf Einsetzung einer Gruppe externer, unabhängiger Experten, die das System der internen Rechtspflege der Vereinten Nationen überprüfen und möglicherweise neu gestalten sollten. Die Gruppe legte ihren Bericht am 28. Juli 2006 vor. Die maßgeblichen Passagen aus dem Bericht lauten wie folgt:
„Zusammenfassung
[…] Die Gruppe hat festgestellt, dass das System der internen Rechtspflege der Vereinten Nationen überholt und ineffektiv ist, schlecht funktioniert und es ihm an Unabhängigkeit fehlt […]
II. Übersicht
5. Die Gruppe hat festgestellt, dass die interne Rechtspflege der Vereinten Nationen weder professionell noch unabhängig ist. Das System der internen Rechtspflege in seiner derzeitigen Form ist extrem langsam, mit unzureichenden Mitteln ausgestattet, ineffizient und somit letztlich unwirksam. Es erfüllt viele der in den völkerrechtlichen Menschenrechtsübereinkünften festgelegten Mindeststandards eines rechtsstaatlichen Verfahrens nicht […]
9. […] die Schaffung eines professionellen Systems der internen Rechtspflege ist unerlässlich, wenn die Vereinten Nationen vermeiden wollen, dass – was gegenwärtig der Fall ist – mit zweierlei Maß gemessen wird, indem die mittlerweile international allgemein anerkannten und von der Organisation mit ihren Programmen angestrebten Rechtsstandards innerhalb des Sekretariats oder innerhalb der Fonds und Programme selbst nicht eingehalten werden. Diese internationalen Standards umfassen das Recht auf ein zuständiges, unabhängiges und unparteiisches Gericht, wenn über die Rechte einer Person entschieden wird, das Recht auf Rechtsmittel und das Recht auf anwaltliche Vertretung.
10. […] Aus internationalen Standards ergibt sich klar, dassbei strittigen Tatsachenfragenauch Verhandlungen erforderlich sind. […]
V. Das förmliche System
71. Eine Reihe von Schwierigkeiten innerhalb des förmlichen Systems der Rechtspflege sind auf das Statut und die Rechtsprechung des UNAT zurückzuführen. Nach Artikel 10.1 seines Statuts kann das UNAT die Erfüllung des geltend gemachten Anspruchs anordnen. Es muss jedoch gleichzeitig den Entschädigungsbetrag festsetzen (im Regelfall auf zwei Jahre des Nettogrundgehalts des Klägers begrenzt), dessen Zahlung der Generalsekretär wahlweise beschließen kann, wenn dies als den Interessen der Organisation dienlich angesehen wird. Die Befugnis des Generalsekretärs, zwischen der Erfüllung des geltend gemachten Anspruchs und der Zahlung eines begrenzten Schadenersatzes zu wählen, kann zu einer unangemessenen Entschädigung führen, was in einigen Fällen auch vorkommt, insbesondere wenn es um eine rechtswidrige Kündigung oder Nichtverlängerung eines Vertrages geht. Ein System, das keine angemessene Entschädigung oder sonstige angemessene Abhilfe gewährleisten kann, weist grundlegende Mängel auf. Noch wichtiger ist, dass ein System, das keine Befugnis beinhaltet, über Rechte und angemessene Abhilfemaßnahmen abschließend zu entscheiden, mit dem Grundsatz der Rechtsstaatlichkeit nicht zu vereinbaren ist.
72. Die Entscheidungen des UNAT sind nicht immer einheitlich und seine Rechtsprechung ist nicht gut entwickelt. Insbesondere ist seine Rechtsprechung bezüglich der Pflichten, die eine internationale Organisation gegenüber ihren Bediensteten hat, nicht kohärent. Daher gibt es die weitverbreitete und im Großen und Ganzen zutreffende Meinung, dass das förmliche System der Rechtspflege, wenn überhaupt, nur ein geringes Maß an Schutz der Rechte des Einzelnen bietet, wie etwa das Recht auf einen sicheren Arbeitsplatz oder das Recht auf faire und diskriminierungsfreie Behandlung.
VI. Vertretung durch einen Rechtsbeistand
100. Die Gruppe von Rechtsbeiständen, die 1984 förmlich gegründet wurde und dafür zuständig ist, den Bediensteten der Vereinten Nationen bei Verfahren im System der internen Rechtspflege rechtliche Vertretung und Beistand zu bieten, ist mit völlig unzureichenden Mitteln ausgestattet und nicht professionalisiert. […]
106. Die Gruppe stellt fest, dass der Rechtsbeistand für das Management der Organisation nicht von Freiwilligen ohne juristische Ausbildung, sondern von einem Stab professioneller Rechtsanwälte in der Hauptabteilung Management und im Bereich Rechtsangelegenheiten übernommen wird. Diese Ungleichheit bei den rechtlichen Mitteln, die dem Management und den Bediensteten zur Verfügung stehen, hat zu einer krassen Waffenungleichheit im internen System der Rechtspflege geführt.“
32. 2007 beschloss die Generalversammlung auf Grundlage der Empfehlungen des Redesign Panels und auf Vorschlag des Generalsekretärs hin, ein neues System für die Bearbeitung interner Streitigkeiten und Disziplinarangelegenheiten in den Vereinten Nationen einzuführen. Das neue zweistufige System mit einem Gericht der Vereinten Nationen für dienstrechtliche Streitigkeiten und einem Berufungsgericht der Vereinten Nationen wurde am 1. Juli 2009 in Kraft gesetzt.
4. Die einschlägige Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts
(a) Allgemeine Grundsätze
33. Das Bundesverfassungsgericht ist für Verfassungsbeschwerden zuständig, die Akte der öffentlichen Gewalt betreffen (siehe Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a GG). Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts fallen darunter nicht nur Akte deutscher Behörden, sondern auch Akte supranationaler Organisationen, die Grundrechtsberechtigte in Deutschland betreffen (siehe beispielsweise Bundesverfassungsgericht, 2 BvR 2134, 2159/92, Urteil vom 12. Oktober 1993, BVerfGE Band 89, S. 155 ff., 174 f. [Maastricht-Urteil]; 2 BvR 1458/03, Entscheidung vom 3. Juli 2006, Rdnr. 12 [der Online-Version]).
34. Allerdings übt das Bundesverfassungsgericht seine Gerichtsbarkeit im Hinblick auf Akte supranationaler Organisationen nur dann aus, wenn von dem Beschwerdeführer hinreichend substantiiert dargelegt wurde, dass das von der internationalen Organisation gewährte Niveau des Grundrechtsschutzes generell und offenkundig nicht das vom Grundgesetz geforderte Niveau erreiche (siehe beispielsweise Bundesverfassungsgericht, 2 BvR 197/83, Entscheidung vom 22. Oktober 1986, BVerfGE, Band. 73, S. 339 ff., 387 [Solange II]; 2 BvL 1/97, Entscheidung vom 7. Juni 2000, BVerfGE, Band 102, S. 147 ff., 164; 2 BvR 2368/99, Entscheidung vom 4. April 2001, Rdnrn. 9 ff.; 2 BvR 1458/03, Entscheidung vom 3. Juli 2006, Rdnr. 21).
(b) Der Beschluss vom 28. November 2005
35. Der Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 28. November 2005 (2 BvR 1751/03) betraf die Entscheidung des Europäischen Patentamts, den Beschwerdeführer nicht als Vertreter bei diesem Amt zuzulassen, da er die Eignungsprüfung nicht bestanden habe.
36. Das Bundesverfassungsgericht lehnte es ab, die Verfassungsbeschwerde des Beschwerdeführers zur Entscheidung anzunehmen. Es stellte fest, dass sich die Beschwerde gegen einen Akt „öffentlicher Gewalt“ richte, da die in Rede stehende Entscheidung in der deutschen Rechtsordnung eine unmittelbare Wirkung gegenüber einem Grundrechtsberechtigten erzeuge.
37. Das Rechtsschutzsystem des Europäischen Patentübereinkommens entspreche aber dem Standard, der dem Grundgesetz zufolge bei der Übertragung von Hoheitsrechten gewahrt sein müsse. Der Beschwerdeführer habe nicht hinreichend substantiiert vorgetragen, dass der vom Europäischen Patentübereinkommen bei der Zulassung von Vertretern gewährte Schutz der Menschenrechte generell und offenkundig nicht das vom Grundgesetz geforderte Ausmaß erreiche. Dies gelte auch, wenn man von einer Schutzpflicht des Staates ausgehe, da der Beschwerdeführer auch in diesem Fall darzulegen gehabt hätte, dass ein strukturelles Rechtsschutzdefizit bestanden habe, dessen sich die Bundesregierung hätte annehmen müssen. Das Bundesverfassungsgericht übte seine Gerichtsbarkeit daher nicht aus.
(c) Der Beschluss vom 22. Juni 2006
38. Der Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 22. Juni 2006 (2 BvR 2093/05 – die angegriffene Entscheidung in der Rechtssache K. ./. Deutschland, Individualbeschwerde Nr. 415/07) betraf die Entscheidung des Europäischen Patentamts, den Beschwerdeführer nicht einzustellen.
39. Das Bundesverfassungsgericht lehnte es ab, die Verfassungsbeschwerde des Beschwerdeführers gegen die Entscheidung des Europäischen Patentamts zur Entscheidung anzunehmen. Es befand die Beschwerde, in der der Beschwerdeführer insbesondere eine Verletzung seines Grundrechts auf Zugang zu einem Gericht geltend gemacht hatte, für unzulässig. Eine Verfassungsbeschwerde sei nur gegen Akte der öffentlichen Gewalt gegeben und der Beschwerdeführer habe nicht dargelegt, dass es in seinem Fall um einen solchen Akt gehe.
40. Das Bundesverfassungsgericht bestätigte, dass die Europäische Patentorganisation nach dem Europäischen Patentübereinkommen im Rahmen ihrer amtlichen Tätigkeit Immunität von der Gerichtsbarkeit der innerstaatlichen Gerichte genieße. Darüber hinaus wies es erneut darauf hin, dass Akte der öffentlichen Gewalt nicht nur Akte deutscher staatlicher Stellen umfassten. Der Begriff erfasse auch Akte supranationaler Organisationen wie der Europäischen Patentorganisation und seines Exekutivorgans, des Europäischen Patentamts, die Grundrechtsberechtigte in Deutschland beträfen.
41. Die in Rede stehende Entscheidung des Präsidenten des Europäischen Patentamts könne jedoch nicht als Akt angesehen werden, der die Grundrechtsberechtigten in Deutschland betreffe, da er in der innerstaatlichen Rechtsordnung keine Rechtswirkung entfalte. Maßnahmen, die das Verhältnis zwischen der internationalen Organisation und ihren Mitarbeitern oder Bewerbern beträfen, beträfen in der Regel nur den Binnenbereich der Organisation. Die Tatsache, dass es sich bei dem Beschwerdeführer um einen in Deutschland ansässigen Deutschen handele, der, wäre er eingestellt worden, in Deutschland gearbeitet hätte, ändere an dieser Schlussfolgerung nichts. Das Gericht räumte ein, dass die Anstellung des Beschwerdeführers einen Akt supranationaler Natur dargestellt hätte, der wegen der mit ihr verbundenen Änderung des rechtlichen Status des Beschwerdeführers konkrete Auswirkungen innerhalb der deutschen Rechtsordnung gehabt hätte. Die Ablehnung der Anstellung habe jedoch keine derartige Rechtswirkung. Die Gerichtsbarkeit des Bundesverfassungsgerichts erstrecke sich nicht auf solche internen Maßnahmen.
42. Das Bundesverfassungsgericht stellte weiter fest, dass es angesichts der Unzulässigkeit der Verfassungsbeschwerde des Beschwerdeführers nicht über die Frage entscheiden müsse, ob der Rechtsschutzstandard innerhalb der Europäischen Patentorganisation bei Personalfragen den grundgesetzlichen Anforderungen entspreche, die bei Hoheitsrechtsübertragungen gewahrt werden müssten.
(d) Der Beschluss vom 3. Juli 2006
43. Der Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 3. Juli 2006 (2 BvR 1458/03) betraf die vorübergehende Verweigerung des Zugriffs auf das interne E-Mail-System der Organisation im Falle der beschwerdeführenden Beschäftigten des Europäischen Patentamts.
44. Das Bundesverfassungsgericht wies die Beschwerde als unzulässig zurück, da nicht belegt worden sei, dass sie sich gegen einen Akt der öffentlichen Gewalt richte. Es unterstrich, dass derartige Akte auch Akte supranationaler Organisationen umfassten, auf die Deutschland Hoheitsrechte übertragen habe, und die innerhalb der deutschen Rechtsordnung eine unmittelbare Rechtswirkung entfalteten, also die Rechtsposition Einzelner innerhalb dieser Rechtsordnung veränderten. Durch die angegriffene Entscheidung werde die Position der Beschwerdeführer innerhalb der deutschen Rechtsordnung jedoch nicht verändert. Gegen das Vorliegen eines Aktes der öffentlichen Gewalt spreche weiterhin, dass das Europäische Patentamt bei dienstrechtlichen Streitigkeiten Immunität von der Gerichtsbarkeit genieße.
45. Ferner könne, wie vom Bundesverfassungsgericht zuvor festgestellt worden sei (hier wurde auf den Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 28. November 2005, 2 BvR 1751/03, verwiesen, siehe Rdnrn. 35-37), ein Schutzpflichtenansatz zugrunde gelegt werden, wenn es um den Binnenbereich einer internationalen Organisation gehe. In diesem Bereich könne nur dann Rechtsschutz gewährt werden, wenn der deutsche Gesetzgeber und die Bundesregierung mit geeigneten Mitteln darauf hinwirkten, dass ein etwaiger grundrechtswidriger Zustand in der zwischenstaatlichen Einrichtung beseitigt werde. Das Unterlassen entsprechender Schritte durch die deutschen staatlichen Behörden im Zusammenhang mit der hinsichtlich des angegriffenen Aktes ergangenen endgültigen Entscheidung würde dann einen Akt der öffentlichen Gewalt darstellen.
46. Es fehle diesbezüglich allerdings an einem entsprechenden Vortrag der Beschwerdeführer. Genau wie im Bereich der supranationalen Befugnisse einer Organisation sei erforderlich, dass die Beschwerdeführer substantiiert den Bestand eines strukturellen Rechtsschutzdefizits innerhalb der Organisation darlegten. Das Bundesverfassungsgericht stellte ferner fest, es habe bereits früher bestätigt, dass das Rechtsschutzsystem des Europäischen Patentübereinkommens und das bei Verfahren vor dem Verwaltungsgericht der Internationalen Arbeitsorganisation im Wesentlichen dem Standard des Grundgesetzes entspreche.
RÜGEN
47. Die Beschwerdeführerin rügte, dass die Verfahren vor den internen Rechtsmittelorganen der VN und dem UNAT durch offensichtliche Mängel hinsichtlich des Verfahrens, des materiellen Rechts und der Praxis gekennzeichnet gewesen seien und die Anforderungen an ein faires Verfahren im Sinne von Artikel 6 der Konvention nicht erfüllt hätten. Deutschland sei für diese mangelhaften Verfahren verantwortlich zu machen, da es nicht dafür Sorge getragen habe, dass ihr durch ein VN-internes Streitbeilegungsverfahren ein den Konventionsnormen gleichwertiger Schutz ihrer Grundrechte gewährt werde.
48. Die Beschwerdeführerin trug ferner vor, dass der beschwerdegegnerische Staat dadurch, dass er den VN Immunität von der Gerichtsbarkeit gewährt habe, ihr unter Verletzung von Artikel 6 der Konvention den Zugang zu einem unabhängigen und unparteiischen Gericht zur Verhandlung über ihre zivilrechtlichen Ansprüche verwehrt habe.
49. Der Beschwerdeführerin zufolge hat ihr der beschwerdegegnerische Staat überdies nicht wie nach Artikel 13 der Konvention erforderlich einen wirksamen Rechtsbehelf in der innerstaatlichen Rechtsordnung zur Verfügung gestellt, um diesen Verstößen gegen Artikel 6 abzuhelfen.
50. Die Beschwerdeführerin rügte schließlich unter Berufung auf Artikel 3 der Konvention, dass sie von den beteiligten hohen Beamten der Organisation und ihrer Sonderorganisationen unmenschlich und erniedrigend behandelt worden sei. Insbesondere hätten diese Beamten wiederholt versucht, sie einzuschüchtern, um sie dazu zu zwingen, eine für sie nachteilige Vereinbarung über die Beendigung ihres Dienstverhältnisses zu akzeptieren.
RECHTLICHE WÜRDIGUNG
51. Der Gerichtshof ist der Auffassung, dass die Rügen der Beschwerdeführerin über die mangelhaften Verfahren vor den internen Rechtsmittelorganen der VN und dem UNAT einerseits und über den fehlenden Zugang zu den deutschen Gerichten andererseits allein nach Artikel 6 Abs. 1 der Konvention zu prüfen sind, der, soweit maßgeblich, wie folgt lautet:
„1. Jede Person hat ein Recht darauf, dass über Streitigkeiten in Bezug auf ihre zivilrechtlichen Ansprüche und Verpflichtungen […] von einem unabhängigen und unparteiischen, auf Gesetz beruhenden Gericht in einem fairen Verfahren, öffentlich […] verhandelt wird.“
A. Die behauptete Verletzung von Artikel 6 Abs. 1 der Konvention in dem internen Überprüfungsverfahren der VN
1. Deutschlands Verantwortlichkeit rationepersonae
52. Soweit die Beschwerdeführerin die Unfairness der Verfahren vor den internen Rechtsmittelorganen der VN und dem UNAT rügte, hat der Gerichtshof zunächst zu prüfen, ob die Beschwerdeführerin insoweit unter die Zuständigkeit des beschwerdegegnerischen Staates fiel (Artikel 1 der Konvention).
(a) Die Stellungnahmen der Parteien
(i) Die Regierung
53. Die Regierung machte geltend, dass nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs in den Rechtssachen Bosphorus Hava YollarıTurizmveTicaretAnonimŞirketi ./. Irland ([GK], Individualbeschwerde Nr. 45036/98, ECHR 2005‑VI) und Gasparini ./. Italien und Belgien ([Entsch.], Individualbeschwerde Nr. 10750/03, 12. Mai 2009) die Mitgliedstaaten von internationalen Organisationen nur dann für Akte innerhalb dieser Organisation verantwortlich gemacht werden könnten, wenn der interne Streitbeilegungsmechanismus der Organisation einen offensichtlich mangelhaften Schutz der Konventionsrechte biete (objektives Element) und dies für die betreffenden Staaten bei Übertragung der Hoheitsrechte erkennbar gewesen sei (subjektives Element). Darüber hinaus müssten bei dem in Rede stehenden konkreten Streitbeilegungsverfahren die Konventionsrechte der Beschwerdeführerin verletzt worden sein.
54. Im Hinblick auf eine bestehende objektive Mangelhaftigkeit des internen Streitbeilegungsmechanismus der VN zur maßgeblichen Zeit brachte die Regierung insbesondere vor, dass Artikel 6 Abs. 1 der Konvention nicht dadurch verletzt worden sei, dass zu keinem Zeitpunkt des Verfahrens der Beschwerdeführerin eine mündliche Verhandlung durchgeführt worden sei, da eine mündliche Verhandlung in den internen Verfahren internationaler Organisationen nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs nicht notwendig sei (sie berief sich auf die Rechtssache Gasparini, a. a. O.). Im Hinblick auf die Behauptung der Beschwerdeführerin, ihr Recht auf Waffengleichheit sei verletzt worden, da ihr während des Verfahrens der Zugang zu entscheidungserheblichen Dokumenten verweigert worden sei, brachte die Regierung vor, dass sie dazu nicht Stellung nehmen könne, da sie hierzu keine Informationen von den VN erhalten habe. In jedem Fall hätte die Regierung eine solche Verletzung nicht hervorsehen können, da Artikel 10 der UNAT-Verfahrensordnung (siehe Rdnr. 29) ausdrücklich bestimme, dass von einer Partei vorgelegte Dokumente allen anderen Parteien zuzuleiten seien.
55. Was die Rüge der Beschwerdeführerin über die mangelnde – nach Artikel 6 Abs. 1 erforderliche – Unabhängigkeit und Unparteilichkeit des UNAT angeht, betonte die Regierung, dass dessen Richter von der Generalversammlung für eine vierjährige, einmal verlängerbare Amtszeit benannt worden seien und nur von dieser habe abberufen werden können, wenn sämtliche übrigen Richter der Auffassung gewesen seien, dass der Betroffene für den weiteren Dienst nicht geeignet sei (Artikel 3 des UNAT-Statuts).
56. Die Regierung brachte vor, dass die Beschwerdeführerin in jedem Fall nicht nachgewiesen habe, dass es für Deutschland bei Übertragung der Hoheitsrechte auf die VN im Jahr 1973 (siehe die Rechtsprechung des Gerichtshofs in der Rechtssache Gasparini, a. a. O.) Gründe für die Annahme gegeben hätte, dass das interne Streitbeilegungssystem der VN offensichtlich unzureichend gewesen wäre. Erst der spätere, im Jahr 2006 veröffentlichte Bericht des Redesign Panels der VN habe eine Reihe von Mängeln ans Licht gebracht. Die Bundesregierung habe daraufhin sofort auf eine Umgestaltung des VN-Rechtsschutzsystems hingewirkt.
(ii) Die Beschwerdeführerin
57. Nach dem Vorbringen der Beschwerdeführerin war der Sachverhalt ihrer Rechtssache der Hoheitsgewalt des beschwerdegegnerischen Staates zuzurechnen, so dass dieser gemäß der Konvention zur Verantwortung gezogen werden könne. Sie betonte, dass Deutschland der im Fall Bosphorus (a. a. O., Rdnr. 155) entwickelten Rechtsprechung des Gerichtshofs zufolge nach Artikel 1 der Konvention für alle Handlungen und Unterlassungen seiner Organe verantwortlich bleibe, und zwar unabhängig davon, ob die Handlung oder Unterlassung eine Folge der Notwendigkeit gewesen sei, völkerrechtlichen Verpflichtungen nachzukommen. Darüber hinaus habe der Gerichtshof ein staatliches Handeln in seiner Entscheidung im Fall Gasparini (a. a .O.) nicht als Voraussetzung dafür angesehen, eine Verantwortlichkeit eines Mitgliedstaats festzustellen. Das Vorliegen eines strukturellen Defizits im internen Rechtsschutzsystem einer internationalen Organisation, aufgrund dessen das Rechtspflegesystem offensichtlich unzureichend sei, reiche dafür aus, dass Mitgliedstaaten nach der Konvention verantwortlich gemacht werden könnten.
58. Die Beschwerdeführerin brachte vor, das Verfahren gegen sie habe den Standards des Artikels 6 der Konvention in mehreren Punkten nicht genügt. Insbesondere sei ihr während des gesamten Überprüfungsverfahrens keine mündliche Verhandlung zuteil geworden, obwohl es um ihre Arbeitsleistung gegangen sei, die ein neuer Vorgesetzter abweichend von ihren früheren vorbildlichen Beurteilungen unterschiedlich bewertet habe. Ihr Recht auf Waffengleichheit sei insoweit missachtet worden, als sie nicht zu allen vom UNDP vorgelegten und sowohl vom Widerspruchsausschuss als auch vom UNAT in Bezug genommenen, mit ihrem Fall in Zusammenhang stehenden Unterlagen Zugang erhalten habe.
59. Im Hinblick auf den UNAT im Allgemeinen rügte sie, dass es beim Auswahlverfahren für UNAT-Richter an eindeutigen Anfordernissen hinsichtlich der Qualifikationen fehle; ferner rügte sie deren fehlende Unparteilichkeit und Unabhängigkeit angesichts ihrer kurzen, verlängerbaren Amtszeit, sowie die Unfairness des Verfahrens vor dem UNAT aufgrund von dessen offensichtlich inkonsistenter Rechtsprechung. Darüber hinaus könne das UNAT nach Artikel 10 Abs. 1 seines Statuts (siehe Rdnr. 30) in Fällen einer rechtswidrigen Kündigung keine geeignete, da es verpflichtet sei, neben der Anordnung der Erfüllung eines geltend gemachten Anspruchs einen begrenzten Schadenersatz festzulegen, den der Generalsekretär alternativ zu zahlen entscheiden könne, wenn dies als den Interessen der VN zuträglich angesehen werde.
(b) Würdigung durch den Gerichtshof
(i) Einschlägige Grundsätze
60. Der Gerichtshof weist erneut darauf hin, dass die Tatsache allein, dass eine internationale Organisation oder ein internationales Gericht ihren/seinen Sitz oder Räumlichkeiten im Hoheitsgebiet des beschwerdegegnerischen Staates hat, kein hinreichender Grund dafür ist, die gerügten Angelegenheiten dem betreffenden Staat zuzurechnen (vgl. Galić ./. Niederlande [Entsch.], Individualbeschwerde Nr. 22617/07, Rdnr. 46, 9. Juni 2009; Blagojević ./. Niederlande [Entsch.], Individualbeschwerde Nr. 49032/07, Rdnr. 46, 9. Juni 2009; und Lopez Cifuentes. /. Spanien [Entsch.], Individualbeschwerde Nr. 18754/06, Rdnr. 25, 7. Juli 2009).
61. Der Gerichtshof erinnert daran, dass er jüngst in einer Reihe von Individualbeschwerden Entscheidungen erlassen hat, bei denen die angefochtene Entscheidung von einem internen Organ einer internationalen Organisation oder einem internationalen Gericht außerhalb der Gerichtsbarkeit des beschwerdegegnerischen Staates stammte und mit einer dienstrechtlichen Streitigkeit im Zusammenhang stand, die vollständig innerhalb der internen Rechtsordnung einer internationalen Organisation, die eine von ihrem Mitgliedstaat unabhängige Rechtspersönlichkeit hatte, angesiedelt war. Ob die beschwerdegegnerischen Staaten in diesen Fällen nach der Konvention verantwortlich gemacht werden konnten, hing entscheidend davon ab, ob die betreffenden Staaten direkt oder indirekt in den Streit eingegriffen hatten und ob davon ausgegangen werden konnte, dass eine Handlung oder Unterlassung dieser Staaten oder ihrer Behörden ihre Verantwortlichkeit nach der Konvention auslöste. War dies nicht der Fall, ging der Gerichtshof davon aus, dass die Beschwerdeführer nicht „der Hoheitsgewalt“ der betreffenden Staaten im Sinne von Artikel 1 der Konvention unterstanden, und erklärte die Beschwerden daher insoweit für rationepersonae mit den Bestimmungen der Konvention unvereinbar (siehe, u. a. Boivin ./. 34 Mitgliedstaaten des Europarats [Entsch.], Individualbeschwerde Nr. 73250/01, ECHR 2008; Connolly ./. 15 Mitgliedstaaten der Europäischen Union [Entsch.], Individualbeschwerde Nr. 73274/01, 9. Dezember 2008; Beygo ./. 46 Mitgliedstaaten des Europarats [Entsch.], Individualbeschwerde Nr. 36099/06, 16. Juni 2009; Lopez Cifuentes, a. a. O., Rdnrn. 27-30; siehe auch sinngemäß Etablissements Biret et Cie S.A. und Biret International ./. 15 Mitgliedstaaten der Europäischen Union [Entsch.], Individualbeschwerde Nr. 13762/04, 9. Dezember 2008; siehe auch die Verweise auf diese Rechtsprechung in Gasparini ./. Italien und Belgien [Entsch.], Individualbeschwerde Nr. 10750/03, 12. Mai 2009, und R. ./. Deutschland [Entsch.], Individualbeschwerde Nr. 40382/04, 16. Juni 2009, in denen der Gerichtshof die entsprechenden Beschwerden aus weiteren, zusätzlichen Gründen für offensichtlich unbegründet befand).
62. Der Gerichtshof prüfte im Anschluss daran Rügen bezüglich Handlungen internationaler Organisationen und Gerichte in dienstrechtlichen Streitigkeiten zwischen diesen Organisationen und ihren Bediensteten im Lichte seiner Rechtsprechung zur Frage der Verantwortlichkeit von Staaten im Fall Bosphorus (Bosphorus Hava YollarıTurizmveTicaretAnonimŞirketi ./. Irland [GK], Individualbeschwerde Nr. 45036/98, Rdnrn. 152‑156, ECHR 2005‑VI), insbesondere im Fall Gasparini (a. a. O.). Im Fall Gasparini leitete der Gerichtshof aus den im Fall Bosphorusentwickelten Grundsätzen ab, dass, wenn Konventionsstaaten einen Teil ihrer Hoheitsrechte auf eine internationale Organisation übertragen, zu deren Mitgliedern sie gehören, sie verpflichtet sind zu überwachen, dass die durch die Konvention garantierten Rechte innerhalb dieser Organisation einen Schutz genießen, der dem durch das Konventionssystem gewährleisteten Schutz „gleichwertig“ ist. In der Tat könnte die Verantwortlichkeit einer Vertragspartei nach der Konvention ausgelöst werden, wenn sich im Nachhinein herausstellt, dass der von der betreffenden internationalen Organisation gebotene Grundrechtsschutz „offensichtlich mangelhaft“ war (siehe Bosphorus, a. a. O., Rdnrn. 155-156). Umgekehrt ist einer Vertragspartei ein behaupteter Verstoß gegen die Konvention aufgrund einer Entscheidung oder Maßnahme eines Organs einer internationalen Organisation, zu deren Mitgliedern sie gehört, nicht zuzurechnen, wenn nicht festgestellt oder auch nur behauptet wurde, dass der Grundrechtsschutz, den die besagte internationale Organisation im Allgemeinen bietet, dem durch die Konvention gewährleisteten Schutz nicht „gleichwertig“ ist, und wenn der betreffende Staat weder direkt noch indirekt in die Durchführung der gerügten Handlung eingegriffen hat (siehe Boivin, a. a. O.).
(ii) Anwendung dieser Grundsätze auf die vorliegende Rechtssache
63. Unter Berücksichtigung der oben genannten Grundsätze (siehe Rdnr. 60) ist der Gerichtshof der folgenden Auffassung: die Tatsache allein, dass die angefochtene Entscheidung des VN-Generalsekretärs, die im internen Überprüfungsverfahren der VN bestätigt wurde, auf deutschem Hoheitsgebiet am Sitz der UNV-Amtssitz-Verwaltungsabteilung in Bonn, wo die Beschwerdeführerin arbeitete und lebte, wirksam wurde, hat nicht zur Folge, dass die angefochtenen Handlungen im Sinne von Artikel 1 der Konvention der Hoheitsgewalt Deutschlands unterstehen.
64. Der Gerichtshof stellt ferner fest, dass die deutschen Behörden weder direkt noch indirekt in die dienstrechtliche Streitigkeit vor den internen Organen der VN und dem UNAT eingegriffen haben (siehe Rdnr. 61 – Rechtssache Boivin u. a.). Wie jedoch bereits dargelegt worden ist (siehe Rdnr. 62 – Rechtssache Gasparini), sind Konventionsstaaten, wenn sie einen Teil ihrer Hoheitsrechte auf eine internationale Organisation übertragen, zu deren Mitgliedern sie gehören, verpflichtet zu überwachen, dass die durch die Konvention garantierten Rechte innerhalb dieser Organisation einen Schutz genießen, der dem durch das Konventionssystem gewährleisteten Schutz „gleichwertig“ ist. Daher stellt sich die Frage, ob die Verantwortlichkeit Deutschlands nach der Konvention ausgelöst wurde, da der im Allgemeinen von der VN, einer internationalen Organisation, in dienstrechtlichen Streitigkeiten zwischen der VN und ihren Bediensteten gebotene Grundrechtsschutz dem durch die Konvention gewährleisteten Schutz nicht „gleichwertig“ war und Deutschland daher versäumt hat, einen solchen Schutz zu gewährleisten.
65. Der Gerichtshof nimmt zur Kenntnis, dass die Beschwerdeführerin eine Reihe von Gründen für ihre Behauptung vorbrachte, dass das zur maßgeblichen Zeit geltende System der internen Rechtspflege der VN bei dienstrechtlichen Streitigkeiten offensichtlich unzureichend gewesen sei. Sie machte mehrere Verfahrensmängel geltend, die – sofern sie sich als zutreffend erweisen – eine Frage nach Artikel 6 Abs. 1 der Konvention aufwerfen. Sie verwies unter anderem auf die Tatsache, dass ihr zu keinem Zeitpunkt des ihre Kündigung betreffenden Verfahrens eine mündliche Verhandlung zuteil geworden sei, obwohl es in ihrem Fall Glaubwürdigkeitsprobleme und strittige Tatsachen gegeben habe. Darüber hinaus machte sie geltend, dass sie unter Verletzung ihres Rechts auf Waffengleichheit nicht zu allen Unterlagen, die der UNDP dem UNAT vorgelegt habe und auf die sich das Gericht bezogen habe, Zugang erhalten habe. Ferner rügte sie insbesondere, dass der UNAT in Fällen rechtswidriger Vertragskündigungen nur begrenzt zuständig sei, da der Generalsekretär entscheiden könne, einen begrenzten Schadenersatz zu zahlen, statt die rechtswidrig entlassene Person wieder einzustellen. Der Gerichtshof stellt fest, dass eine Reihe der von der Beschwerdeführerin gerügten Mängel tatsächlich in dem vom Juli 2006 stammenden Bericht der Gruppe für die Neugestaltung des Systems der internen Rechtspflege der Vereinten Nationen („Redesign Panel“), einer vom VN-Generalsekretär selbst eingesetzten Gruppe unabhängiger externer Experten (siehe Rdnr. 31), bestätigt wurde.
66. Der Gerichtshof kommt jedoch nicht umhin festzustellen, dass angesichts der vorstehenden Ausführungen davon auszugehen ist, dass die Beschwerdeführerin vor dem Gerichtshof substantiiert vorgebracht hat, dass es zur maßgeblichen Zeit hinsichtlich dienstrechtlicher Streitigkeiten ein strukturelles Rechtsschutzdefizit innerhalb der VN gab. Wie unten dargelegt werden wird, ist dies entscheidend für die Frage, ob ihr ein wirksamer Rechtsbehelf zur Verfügung stand, um ihren Fall vor die innerstaatlichen Gerichte zu bringen. Angesichts der nachfolgenden Erwägungen zur Erschöpfung der innerstaatlichen Rechtsbehelfe kann der Gerichtshof die Frage, ob Deutschland nach der Konvention rationepersonae verantwortlich war, offen lassen.
2. Erschöpfung der innerstaatlichen Rechtsbehelfe
(a) Die Stellungnahmen der Parteien
(i) Die Regierung
67. Die Regierung beanstandete, dass die Beschwerdeführerin die innerstaatlichen Rechtsbehelfe nicht dem Erfordernis aus Artikel 35 Abs. 1 der Konvention entsprechend erschöpft habe. Wäre das Vorbringen der Beschwerdeführerin anzuerkennen, wonach das ehemalige interne Streitbeilegungsverfahren der VN offensichtlich unzureichend gewesen sei, weshalb Deutschland dafür verantwortlich gemacht werden könne, folge daraus, dass die Immunität der VN von der Gerichtsbarkeit als eingeschränkt anzusehen sei. Unter diesen Umständen hätte den deutschen Gerichten jedoch Gelegenheit zur Prüfung der Rügen der Beschwerdeführerin gegeben werden müssen, bevor sie diese vor dem Gerichtshof geltend gemacht habe.
68. Die Regierung brachte vor, dass das Bundesverfassungsgericht in seiner gefestigten Rechtsprechung die Auffassung vertreten habe, dass es trotz grundsätzlich bestehender Immunität einer internationalen Organisation von seiner Gerichtsbarkeit für die Prüfung von Verfassungsbeschwerden zuständig sei, die Handlungen internationaler Organisationen beträfen. Das Gericht übe seine Gerichtsbarkeit aus, wenn das in der Organisation herrschende Grundrechtsschutzniveau das vom Grundgesetz geforderte generell und offenkundig unterschreite. Zur Stützung ihrer Auffassung verwies die Regierung auf Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts vom 28. November 2005 (2 BvR 1751/03), vom 22. Juni 2006 (2 BvR 2093/05) und vom 3. Juli 2006 (2 BvR 1458/03) (siehe Rdnrn. 35-46).
69. Die Regierung brachte vor, die Beschwerdeführerin habe nicht nachgewiesen, dass ein Verfahren vor den innerstaatlichen Gerichten sinnlos gewesen wäre. Entgegen ihrem Vorbringen lasse die Tatsache, dass das Bundesverfassungsgericht diverse Verfassungsbeschwerden angesichts der Umstände der jeweiligen Rechtssachen nicht zur Entscheidung angenommen habe, nicht den Schluss zu, dass eine Verfassungsbeschwerde in ihrem Fall keine Aussicht auf Erfolg gehabt hätte. Im Gegensatz zu den Beschwerdeführern in den von ihr in Bezug genommenen Entscheidungen habe die Beschwerdeführerin einen allgemeinen und offensichtlichen Mangel des Grundrechtsschutzes einer internationalen Organisation und damit eine Angelegenheit gerügt, in der das Bundesverfassungsgericht sich als zuständig erachte.
70. Die Regierung brachte ferner vor, dass es entgegen dem Vorbringen der Beschwerdeführerin nicht – wegen angeblich damit verbundener übermäßiger Kosten – unangemessen gewesen wäre, sie dazu zu verpflichten, ein Verfahren vor den innerstaatlichen Gerichten anzustrengen. Ein Verfahren vor den für arbeitsrechtliche Streitigkeiten zuständigen Gerichten hätte höchstens einige Tausend Euro gekostet; ein Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht sei kostenfrei.
(ii) Die Beschwerdeführerin
71. Die Beschwerdeführerin bemerkte, dass die Regierung durch Verweis auf die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts vom 28. November 2005 und vom 3. Juli 2006 (siehe Rdnrn. 35-37 und 43-46) selbst eingeräumt habe, dass das Bundesverfassungsgericht grundsätzlich zuständig sei, angebliche Grundrechtsverletzungen durch internationale Organisationen zu prüfen, wenn das dort herrschende Rechtsschutzniveau das vom deutschen Grundgesetz geforderte offenkundig unterschreite.
72. Unter den Umständen ihrer Rechtssache habe ihr jedoch kein wirksamer Rechtsbehelf zur Verfügung gestanden, um die angegriffenen Maßnahmen der VN nach dem internen Überprüfungsverfahren der VN zu rügen. Sie habe trotz der systemischen Konventionsverletzungen durch das interne System der Rechtspflege der VN keinen Zugang zu den innerstaatlichen Gerichten gehabt. Nach der gefestigten Rechtsprechung der innerstaatlichen Gerichte wären ihre Vorwürfe gegen die VN unter Verweis auf die Immunität der VN von der Gerichtsbarkeit verworfen worden und damit sinnlos gewesen. Zur Stützung ihrer Auffassung verwies sie auf das Verfahren vor den deutschen Gerichten in der Rechtssache W. ./. Deutschland ([GK], Individualbeschwerde Nr. 26083/94, ECHR 1999‑I), bei dem jene Gerichte die Immunität der Europäischen Weltraumorganisation in jedem Verfahrensstadium bestätigt hätten.
73. Die Beschwerdeführerin brachte ferner vor, dass das Bundesverfassungsgericht anschließend in zwei am 22. Juni 2006 (2 BvR 2093/05) bzw. am 3. Juli 2006 (2 BvR 1458/03; siehe Rdnrn. 38-46) getroffenen Entscheidungen, also bevor sie die vorliegende Beschwerde vor dem Gerichtshof geltend gemacht habe, bestätigt habe, dass eine Verfassungsbeschwerde gegen Maßnahmen internationaler Organisationen in dienstrechtlichen Streitigkeiten, die so gelagert seien wie die hier in Rede stehenden, nicht gegeben sei. Das Bundesverfassungsgericht habe die Auffassung vertreten, dass Entscheidungen des Europäischen Patentamts und des Verwaltungsgerichts der Internationalen Arbeitsorganisation sich nicht direkt auf die innerstaatliche Rechtsordnung in Deutschland auswirkten. Die Beschwerdeführerin betonte, dass es kein Beispiel für eine in Deutschland erfolgreich gegen eine internationale Organisation geltend gemachte Beschwerde gebe, da diese Immunität von der Gerichtsbarkeit genössen.
74. Darüber hinaus brachte die Beschwerdeführerin vor, dass das Anstrengen eines sinnlosen Verfahrens vor den deutschen Gerichten angesichts der zu erwartenden Kosten in Höhe von mehreren Zehntausend Euro lediglich zu ihrer Verarmung geführt hätte.
(b) Würdigung durch den Gerichtshof
(i) Einschlägige Grundsätze
75. Der Gerichtshof erinnert daran, dass es Zweck des Artikels 35 ist, den Vertragsstaaten Gelegenheit zu geben, behauptete Verstöße zu verhindern oder ihnen abzuhelfen, bevor die Konventionsorgane mit ihnen befasst werden (siehe u. a. Civet ./. Frankreich [GK], Individualbeschwerde Nr. 29340/95, Rdnr. 41, ECHR 1999‑VI; und G. ./. Deutschland [GK], Individualbeschwerde Nr. 22978/05, Rdnr. 142, ECHR 2010). Staaten müssen sich folglich erst dann vor einem internationalen Organ für ihre Handlungen verantworten, wenn sie Gelegenheit hatten, durch ihre eigenen Rechtssysteme Abhilfe zu schaffen. Der Grundsatz gründet sich auf der in Artikel 13 der Konvention – mit dem er eng verbunden ist – zum Ausdruck kommenden Annahme, dass in der innerstaatlichen Rechtsordnung eine wirksame Beschwerde bezüglich des behaupteten Verstoßes vorgesehen ist. Dies ist somit ein wichtiger Aspekt des Grundsatzes der Subsidiarität des auf der Konvention basierenden Kontrollsystems gegenüber den nationalen Systemen zum Schutz der Menschenrechte (siehe Selmouni ./. Frankreich [GK], Individualbeschwerde Nr. 25803/94, Rdnr. 74, ECHR 1999‑V; und auch Akdivar u. a. ./. Türkei, 16. September 1996, Rdnr. 65, Reports of JudgmentsandDecisions 1996‑IV).
76. Artikel 35 sieht eine Verteilung der Beweislast vor. Es obliegt der Regierung, die eine Nichterschöpfung geltend macht, den Gerichtshof davon zu überzeugen, dass der Rechtsbehelf wirksam war und zur maßgeblichen Zeit in der Theorie und in der Praxis zur Verfügung stand, er also zugänglich und geeignet war, den Rügen des Beschwerdeführers abzuhelfen, und angemessene Aussicht auf Erfolg bot. Sobald diese Beweispflicht erfüllt worden ist, obliegt es jedoch dem Beschwerdeführer nachzuweisen, dass der von der Regierung dargelegte Rechtsbehelf tatsächlich erschöpft worden ist oder aus irgendeinem Grund unter den besonderen Umständen des Falls unzureichend und unwirksam war oder der Beschwerdeführer aufgrund vorliegender besonderer Umstände von diesem Erfordernis befreit war (siehe Akdivar u. a., a. a. O., Rdnr. 68; und Selmouni, a. a. O., Rdnr. 76). Etwaige Zweifel hinsichtlich der Erfolgsaussichten eines innerstaatlichen Rechtsbehelfs entbinden einen Beschwerdeführer nicht von der Verpflichtung, ihn zu erschöpfen (siehe A. ./. Deutschland [Entsch.], Individualbeschwerde Nr. 44911/98, 19. Januar 1999).
(ii) Anwendung dieser Grundsätze auf die vorliegende Rechtssache
77. Der Gerichtshof stellt fest, dass die Beschwerdeführerin dem Vorbringen der Regierung zufolge ihren Fall sowohl den für arbeitsrechtliche Streitigkeiten zuständigen deutschen Gerichten als auch dem Bundesverfassungsgericht hätte vorlegen sollen.
78. Was ein Verfahren vor den für arbeitsrechtliche Streitigkeiten zuständigen deutschen Gerichten angeht, stellt der Gerichtshof fest, dass die VN gemäß Artikel 105 Abs. 1 der Charta der Vereinten Nationen sowie Abschnitt 2 des Übereinkommens vom 13. Februar 1946 über die Vorrechte und Immunitäten der Vereinten Nationen, das Deutschland ratifiziert hat, Immunität von der Gerichtsbarkeit genießen (siehe Rdnrn. 23-24). Dies wurde in Artikel 9 des Abkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den Vereinten Nationen über den Sitz des Freiwilligenprogramms der Vereinten Nationen in Bezug auf das UNV bestätigt (siehe Rdnr. 25).
79. Ferner ergibt sich aus der von beiden Parteien in Bezug genommenen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, dass internationale Organisationen Immunität von der Gerichtsbarkeit der für arbeitsrechtliche Streitigkeiten zuständigen innerstaatlichen Gerichte genossen (siehe insbesondere Rdnr. 40). Darüber hinaus vertrat das Bundesverfassungsgericht in jenen Fällen nicht die Auffassung, dass eine Frage der Erschöpfung der innerstaatlichen Rechtsbehelfe dadurch aufgeworfen werde, dass die Beschwerden gegen die angefochtenen Maßnahmen der betreffenden internationalen Organisation direkt erhoben worden seien (siehe Rdnrn. 35-46). Die Regierung hat dem Gerichtshof keine einschlägigen innerstaatlichen Gerichtsentscheidungen vorgelegt, die es ihm erlauben würden, zu einem anderen Schluss zu kommen.
80. Angesichts der vorstehenden Ausführungen ist der Gerichtshof der Auffassung, dass die Regierung nicht nachgewiesen hat, dass es einen wirksamen, von der Beschwerdeführerin zu erschöpfenden Rechtsbehelf dargestellt hätte, ein Verfahren vor den für arbeitsrechtliche Streitigkeiten zuständigen deutschen Gerichten anzustrengen.
81. Was ein direkt beim Bundesverfassungsgericht angestrengtes Verfahren angeht, nimmt der Gerichtshof das Vorbringen der Regierung zur Kenntnis, wonach eine Verfassungsbeschwerde im Hinblick auf die Rügen der Beschwerdeführerin ein wirksamer Rechtsbehelf gewesen wäre. Wie die Beschwerdeführerin verwies die Regierung zur Stützung ihrer Auffassung auf Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts vom 28. November 2005 (2 BvR 1751/03), vom 22. Juni 2006 (2 BvR 2093/05) und vom 3. Juli 2006 (2 BvR 1458/03) (siehe Rdnrn. 35-46).
82. Der Gerichtshof ist der Auffassung, dass sich aus den genannten Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts ergibt, dass das Bundesverfassungsgericht trotz der gesetzlichen Immunität internationaler Organisationen von der Gerichtsbarkeit der deutschen Gerichte grundsätzlich zuständig ist zu prüfen, ob das im Grundgesetz geforderte Grundrechtsschutzniveau bei dienstrechtlichen Streitigkeiten innerhalb internationaler Organisationen erreicht wird (siehe Rdnrn. 33 und 35 ff.). Dies wurde von der Beschwerdeführerin auch nicht bestritten.
83. Allerdings übt das Bundesverfassungsgericht diese Gerichtsbarkeit nur unter strengen Voraussetzungen aus. So hat ein Beschwerdeführer nachzuweisen, dass ein Akt der öffentlichen Gewalt vorliegt, gegen den eine Verfassungsbeschwerde gegeben ist, also ein Akt supranationaler Natur, der sich konkret auf die deutsche Rechtsordnung ausgewirkt hat. Während von internationalen Organisationen ergriffene Maßnahmen rein interner Natur dieses Erfordernis nicht erfüllen, befand das Bundesverfassungsgericht, dass die Anstellung eines Beschwerdeführers durch eine internationale Organisation dessen Rechtsstellung innerhalb der deutschen Rechtsordnung geändert hätte und damit als Akt der öffentlichen Gewalt einzuordnen wäre (siehe Rdnr. 41). Die Entlassung eines Beschwerdeführers aus dem Dienstverhältnis bei einer internationalen Organisation, worum es bei der vorliegenden Rechtssache geht, ändert wohl umgekehrt und damit in vergleichbarer Weise die Rechtsstellung der betroffenen Person in der deutschen Rechtsordnung.
84. Der Gerichtshof nimmt ferner die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Kenntnis, wonach ein Akt der öffentlichen Gewalt, der durch Verfassungsbeschwerde angegriffen werden kann, auch in einem Versäumnis der deutschen staatlichen Behörden bestehen kann, ihrer Schutzpflicht im Hinblick auf die Einhaltung der Grundrechte innerhalb einer internationalen Organisation nachzukommen (siehe Rdnrn. 37 und 45).
85. Darüber hinaus wäre es für eine Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerde der Beschwerdeführerin notwendig gewesen, substantiiert darzubringen, dass das von der VN gewährte Grundrechtsschutzniveau generell und offenkundig nicht das vom Grundgesetz geforderte Niveau erreiche (siehe Rdnrn. 34, 37 und 46). Diese Bedingung galt unabhängig davon, ob der Akt der öffentlichen Gewalt in der Kündigung der Beschwerdeführerin durch die VN oder in dem Versäumnis der deutschen staatlichen Behörden, den Schutz ihrer Grundrechte innerhalb der VN sicherzustellen, bestand. Der Gerichtshof verweist in diesem Zusammenhang auf seine obige Feststellung, dass die Beschwerdeführerin in der Tat geltend gemacht hat, dass bei den Verfahren zur Beilegung dienstrechtlicher Streitigkeiten innerhalb der VN ein strukturelles Defizit beim Grundrechtsschutz bestanden habe (siehe Rdnr. 66).
86. Der Gerichtshof ist daher davon überzeugt, dass eine Beschwerde zum Bundesverfassungsgericht zur Verfügung stand und geeignet war, den Rügen der Beschwerdeführerin abzuhelfen.
87. Was die Erfolgsaussichten einer Verfassungsbeschwerde angeht, nimmt der Gerichtshof das Vorbringen der Beschwerdeführerin zur Kenntnis, wonach es kein Beispiel für eine erfolgreiche beim Bundesverfassungsgericht in Bezug auf mangelhaften Grundrechtsschutz innerhalb von internationalen Organisationen eingelegte Verfassungsbeschwerde gebe. Der Gerichtshof stellt fest, dass das Bundesverfassungsgericht bei den drei von beiden Parteien in Bezug genommenen Entscheidungen des Gerichts in der Tat die Auffassung vertreten hat, dass die jeweiligen Beschwerden nicht begründet seien. Die Umstände jener Beschwerden unterschieden sich jedoch von denen des vorliegenden Falls. Einige Beschwerdeführer konnten nicht nachweisen, dass sie einen Akt der öffentlichen Gewalt rügten (Entscheidung vom 22. Juni 2006, siehe Rdnr. 39; und Entscheidung vom 3. Juli 2006, siehe Rdnr. 44). Andere Beschwerdeführer haben nicht nachgewiesen, dass das bei den (verschiedenen) in Rede stehenden internationalen Organisationen herrschende Grundrechtsschutzniveau im Ergebnis generell und offenkundig nicht das vom Grundgesetz geforderte Niveau erreicht habe (Entscheidung vom 28. November 2005, siehe Rdnr. 37; und Entscheidung vom 3. Juli 2006, siehe Rdnr. 46).
88. Der Gerichtshof übersieht nicht, dass Beschwerdeführer strenge Voraussetzungen zu erfüllen haben, damit eine Verfassungsbeschwerde betreffend dienstrechtliche Streitigkeiten in internationalen Organisationen Aussichten auf Erfolg hat. Die von den Parteien in Bezug genommenen Entscheidungen zeigen jedoch, dass das Bundesverfassungsgericht die Begründetheit der in Rede stehenden Verfassungsbeschwerden durchaus teilweise geprüft hat. Er nimmt ferner zur Kenntnis, dass eine Verfassungsbeschwerde zum Bundesverfassungsgericht das einzige Mittel war, dass es dem beschwerdegegnerischen Staat erlaubt hätte, vor Einlegen der Individualbeschwerde beim Gerichtshof Kenntnis von den von der Beschwerdeführerin behaupteten Grundrechtsverletzungen zu erlangen und diesen abzuhelfen. Unter diesen Umständen ist der Gerichtshof der Auffassung, dass die Regierung nachgewiesen hat, dass eine Beschwerde zum Bundesverfassungsgericht grundsätzlich ein wirksamer Rechtsbehelf war, den die Beschwerdeführerin zu erschöpfen hatte.
89. Der Gerichtshof nimmt ferner das Vorbringen der Beschwerdeführerin zur Kenntnis, wonach sie unter den Umständen ihres Falls von der Erschöpfung der innerstaatlichen Rechtsbehelfe befreit gewesen sei, da das Anstrengen eines solchen Verfahrens zu ihrer Verarmung geführt hätte. Die Beschwerdeführerin hat jedoch in keiner Weise substantiiert dargelegt, dass ein Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht, das kostenfrei ist, eine solche Wirkung gehabt hätte.
90. Daraus folgt, dass selbst unter der Annahme, dass die Beschwerde diesbezüglich mit den Bestimmungen der Konvention vereinbar ist, dieser Teil der Beschwerde nach Artikel 35 Abs. 1 und 4 der Konvention wegen Nichterschöpfung des innerstaatlichen Rechtswegs zurückzuweisen ist.
B. Behauptete Verletzung von Artikel 6 Abs. 1 der Konvention durch Nichtgewährung des Zugangs zu den deutschen Gerichten
1. Deutschlands Verantwortlichkeit rationepersonae
91. Nach Ansicht der Regierung ist der Beschwerdeführerin dadurch, dass sie im Wissen um deren Immunität von der Gerichtsbarkeit einen Arbeitsvertrag mit den VN abgeschlossen habe, der Zugang zu den deutschen Gerichten versperrt gewesen. Sie könne nicht gleichzeitig die Vorteile eines Arbeitsvertrags mit den VN wie steuerfreie Bezüge und zur Durchsetzung ihrer Rechte aus diesem Vertrag Zugang zu den deutschen Gerichten fordern, obwohl sie keinerlei Beziehung – beispielsweise im Sinne einer Steuerpflicht – zu ihrem Sitzstaat habe.
92. Die Beschwerdeführerin bestritt, dass ihr dadurch, dass sie einen Arbeitsvertrag mit den VN abgeschlossen habe, der Zugang zu den deutschen Gerichten versperrt gewesen sei. Als sie 1970 ihren Dienst bei den VN angetreten habe, habe sie keinen Grund für die Annahme gehabt, dass sie durch die Arbeit in einer Organisation, die sich für den Schutz der grundlegenden Menschenrechte einsetze, gerade diese Rechte aufgeben würde.
93. Der Gerichtshof beschränkt sich darauf zu wiederholen, dass es mit dem Ziel und Zweck der Konvention unvereinbar wäre, wenn die Vertragsstaaten dadurch, dass sie internationalen Organisationen Immunitäten zuweisen, von ihrer Verantwortlichkeit nach der Konvention in Bezug auf das Tätigkeitsfeld, das von einer solchen Zuweisung erfasst ist, entbunden würden. Dies gilt angesichts des hohen Stellenwertes, den das Recht auf ein faires Verfahren in einer demokratischen Gesellschaft innehat, insbesondere für das Recht auf Zugang zu den Gerichten (siehe u. a. W. ./. Deutschland [GK], Individualbeschwerde Nr. 26083/94, Rdnr. 67, ECHR 1999‑I; und B. ./. Deutschland [GC], Individualbeschwerde Nr. 28934/95, Rdnr. 57, 18. Februar 1999). Daraus folgt, dass es der Beschwerdeführerin nicht verwehrt war, Deutschland für sein angebliches Versäumnis, ihr zur Prüfung ihrer dienstrechtlichen Streitigkeit mit den VN Zugang zu den innerstaatlichen Gerichten zu gewähren, verantwortlich zu machen. Daher ist ihre Beschwerde insoweit rationepersonae mit den Bestimmungen der Konvention vereinbar.
2. Erschöpfung der innerstaatlichen Rechtsbehelfe
94. Die Regierung beanstandete, dass die Beschwerdeführerin die innerstaatlichen Rechtsbehelfe auch in Bezug auf ihre Rüge hinsichtlich des mangelnden Zugangs zu den deutschen Gerichten nicht wie nach Artikel 35 Abs. 1 der Konvention erforderlich erschöpft habe. Dem trat die Beschwerdeführerin entgegen.
95. Der Gerichtshof bemerkt, dass die Beschwerdeführerin vor Einlegen ihrer Beschwerde hinsichtlich des mangelnden Zugangs zu den innerstaatlichen Gerichten vor dem Gerichtshof ihre dienstrechtliche Streitigkeit mit den VN nicht vor das Bundesverfassungsgericht gebracht hat. Er bezieht sich auf seine obige Feststellung, dass eine Beschwerde zum Bundesverfassungsgericht ein wirksamer Rechtsbehelf war, den die Beschwerdeführerin bezüglich ihrer Rügen über das mangelhafte Verfahren vor den internen Rechtsmittelorganen der VN und dem UNAT zu erschöpfen hatte (siehe Rdnrn. 81-90). Dasselbe gilt im Hinblick auf die Rüge der Beschwerdeführerin über den fehlenden Zugang zu einem Gericht, da sie gleichermaßen vor dem Bundesverfassungsgericht den fehlenden Zugang zu einem deutschen Gericht aufgrund der Immunität der VN von der Gerichtsbarkeit hätte rügen können (vgl. z. B. Rdnr. 39). Folglich hat sie dem beschwerdegegnerischen Staat keine Gelegenheit eingeräumt, Abhilfe zu schaffen im Hinblick auf ihre Behauptung, dass ihr kein Rechtsbehelf zur Prüfung ihrer dienstrechtlichen Streitigkeit mit den VN durch die deutschen Gerichte zur Verfügung gestanden habe.
96. Angesichts der vorstehenden Ausführungen ist dieser Teil der Beschwerde ebenfalls nach Artikel 35 Abs. 1 und 4 der Konvention wegen Nichterschöpfung des innerstaatlichen Rechtswegs zurückzuweisen.
C. Die übrigen Rügen der Beschwerdeführerin
97. Soweit die Beschwerdeführerin schließlich nach Artikel 3 der Konvention rügte, dass sie im Laufe ihrer Vertragsauflösung von den beteiligten hohen VN-Beamten unmenschlich und erniedrigend behandelt worden sei, stellt der Gerichtshof fest, dass die Beschwerdeführerin auch diesen Vorwurf nicht vor den deutschen Gerichten, insbesondere dem Bundesverfassungsgericht, geltend gemacht hat.
98. Selbst unter der Annahme, dass er mit den Bestimmungen der Konvention vereinbar ist, ist dieser Teil der Beschwerde daher ebenfalls nach Artikel 35 Abs. 1 und 4 der Konvention wegen Nichterschöpfung des innerstaatlichen Rechtswegs zurückzuweisen.
Aus diesen Gründen erklärt der Gerichtshof
die Individualbeschwerde einstimmig für unzulässig.
Ausgefertigt in Englisch und schriftlich zugestellt am 29. Januar 2015.
Claudia Westerdiek Mark Villiger
Kanzlerin Präsident
Zuletzt aktualisiert am Januar 3, 2021 von eurogesetze
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