KLAUSECKER gegen Deutschland (Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte) Individualbeschwerde Nr. 415/07

Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte
FÜNFTE SEKTION
ENTSCHEIDUNG
Individualbeschwerde Nr. 415/07
K. gegen Deutschland

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (Fünfte Sektion) hat in seiner Sitzung am 6. Januar 2015 als Kammer mit den Richterinnen und Richtern

Mark Villiger, Präsident,
Angelika Nußberger,
Boštjan M. Zupančič,
Vincent A. De Gaetano,
André Potocki,
Helena Jäderblom,
Aleš Pejchal

sowie Claudia Westerdiek, Sektionskanzlerin,

im Hinblick auf die oben genannte Individualbeschwerde, die am 22. Dezember 2006 erhoben wurde,

im Hinblick auf die Stellungnahme der beschwerdegegnerischen Regierung und die Erwiderung des Beschwerdeführers,

nach Beratung wie folgt entschieden:

SACHVERHALT

1. Der 19.. geborene Beschwerdeführer, K., ist deutscher Staatsangehöriger und in E. wohnhaft. Vor dem Gerichtshof wurde er von Herrn W., Rechtsanwalt in B., vertreten.

2. Die deutsche Regierung („die Regierung“) wurde durch ihre Verfahrensbevollmächtigten, Frau Ministerialdirigentin Wittling-Vogel und Herrn Ministerialrat Behrens vom Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz, vertreten.

A. Die Umstände des Falls

3. Der von den Parteien vorgebrachte Sachverhalt lässt sich wie folgt zusammenfassen.

1. Hintergrund der Rechtssache

4. 1991 verlor der Beschwerdeführer im Alter von 18 Jahren bei einem Unfall seine linke Hand und sein linkes Auge sowie Teile der Finger seiner rechten Hand und erlitt Verletzungen am linken Ohr. Er wurde daraufhin als zu 100 % körperlich behindert anerkannt.

5. Später erlangte er einen Universitätsabschluss als Maschinenbauingenieur. Von 1999 bis 2005 war er an einer Universität als Forschungsassistent tätig.

2. Verfahren vor dem Europäischen Patentamt

6. Im Jahre 2005 bewarb sich der Beschwerdeführer um eine Stelle als Patentprüfer beim Europäischen Patentamt in München. Nachdem er im Mai 2005 eine Reihe von Fach- und Sprachtests absolviert hatte, wurde dem Beschwerdeführer mitgeteilt, dass vorgesehen sei, ihn ab November 2005 als Beamten auf Lebenszeit einzustellen, dass er sich vor einer endgültigen Entscheidung aber einer medizinischen Untersuchung unterziehen müsse.

7. Nach seiner medizinischen Untersuchung am 23. Juni 2005 stellte die untersuchende Ärztin in ihrem Gutachten vom 4. Juli 2005 fest, dass der Beschwerdeführer derzeit in der Lage sei, die Tätigkeit als Patentprüfer auszuüben. Angesichts der Behinderung des Beschwerdeführers könne jedoch nicht ausgeschlossen werden, dass es zu einer dauernden Überlastung seiner rechten Hand komme. Es bestehe daher ein erhöhtes Risiko für krankheitsbedingte Ausfallzeiten und ein erhöhtes Risiko einer vorzeitigen Dienstunfähigkeit aus gesundheitlichen Gründen. Daher könne sie eine uneingeschränkte gesundheitliche Eignung für die Einstellung als Patentprüfer nicht bestätigen.

8. Mit Schreiben vom 12. August 2005 teilte das Referat für Personaleinstellung des Europäischen Patentamts dem Beschwerdeführer mit, dass er nicht eingestellt werde. Es bestätigte, dass der Beschwerdeführer die fachliche Prüfung für die Stelle bestanden habe. Aufgrund der Ergebnisse seiner medizinischen Untersuchung vom 23. Juni 2005, die ihm von dem ärztlichen Berater bereits telefonisch dargelegt worden seien, besitze er nicht die nach Artikel 8 des Statuts der Beamten des Europäischen Patentamts (Beamtenstatut; siehe Rdnr. 34) erforderliche körperliche Eignung für die Tätigkeit.

9. Am 27. September 2005 stellte der Beschwerdeführer beim Präsidenten des Europäischen Patentamts den Antrag, die Nichteinstellungsentscheidung zu überprüfen und sein Schreiben im Falle der Ablehnung als interne Beschwerde zu betrachten. Er brachte vor, dass die Feststellung der Ärztin, er sei derzeit zur Ausübung der Tätigkeit in der Lage, werde dies aber zu einem unbestimmten zukünftigen Zeitpunkt möglicherweise nicht mehr sein, nicht hinreichend beweise, dass er die körperlichen Anforderungen an die Tätigkeit nicht erfülle, und dass sie eine unzulässige Diskriminierung Behinderter darstelle.

10. Mit Schreiben vom 2. November 2005 wurde dem Beschwerdeführer mitgeteilt, dass der Präsident des Europäischen Patentamts seinem Antrag auf Überprüfung der Nichteinstellungsentscheidung nicht stattgegeben habe und dass seine interne Beschwerde als unzulässig zurückgewiesen worden sei. Gemäß Artikel 107 in Verbindung mit Artikel 106 Beamtenstatut (siehe Rdnr. 36) seien nur Beamte befugt, gegen eine Maßnahme der Anstellungsbehörde Beschwerde einzulegen. Da die Ärzte, die ihn im Rahmen des Einstellungsverfahrens untersucht hätten, festgestellt hätten, dass er nicht über die nach Artikel 8d des Statuts erforderliche körperliche Eignung verfüge, habe der Beschwerdeführer nicht alle Voraussetzungen für eine Ernennung erfüllt, weshalb der Präsident der Ernennung nicht zugestimmt habe. Der Beschwerdeführer sei nicht befugt, eine interne Beschwerde gegen die Ablehnung seiner Einstellung einzulegen.

11. Mit diesem Schreiben wurde dem Beschwerdeführer weiter mitgeteilt, er könne gegen die endgültige Entscheidung des Präsidenten Klage beim Verwaltungsgericht der Internationalen Arbeitsorganisation (IAO) erheben, das in letzter Instanz dienstrechtliche Streitigkeiten zwischen der Europäischen Patentorganisation (EPO) und ihren Bediensteten entscheide. Dieses Gericht habe in seinem Urteil Nr. 1964 allerdings die Klage eines Bewerbers, dessen Bewerbung für eine Tätigkeit bei der Europäischen Patentorganisation ebenfalls wegen fehlender Erfüllung der nach Artikel 8d des Statuts erforderlichen körperlichen Voraussetzungen abgelehnt worden sei, als unzulässig abgewiesen.

3. Verfahren vor den deutschen Gerichten

12. Mit der Begründung, die EPO genieße Immunität von der deutschen Gerichtsbarkeit, erhob der Beschwerdeführer im Dezember 2005 unmittelbar Verfassungsbeschwerde zum Bundesverfassungsgericht. Er brachte vor, dass sein in Artikel 19 Abs. 4 GG verankertes Recht auf Zugang zu den Gerichten (siehe Rdnr. 40) verletzt worden sei, da gegen die Nichteinstellungsentscheidung des Europäischen Patentamts weder innerhalb des Europäischen Patentamts noch vor den deutschen Gerichten oder vor dem Verwaltungsgericht der IAO ein Rechtsmittel gegeben sei. Darüber hinaus verstoße die Entscheidung des Präsidenten des Patentamts, mit der seine Einstellung wegen seiner Behinderung abgelehnt worden sei, gegen sein Recht aus Artikel 3 Abs. 3 GG auf Schutz vor Benachteiligung (siehe Rdnr. 39).

13. Am 22. Juni 2006 lehnte es das Bundesverfassungsgericht ab, die Verfassungsbeschwerde (2 BvR 2093/05) des Beschwerdeführers zur Entscheidung anzunehmen. Es stellte fest, dass die Beschwerde unzulässig sei. Eine Verfassungsbeschwerde sei nur gegen Akte der öffentlichen Gewalt gegeben und der Beschwerdeführer habe nicht dargelegt, dass es in seinem Fall um einen solchen Akt gehe.

14. Das Bundesverfassungsgericht bestätigte, dass die EPO im Rahmen ihrer amtlichen Tätigkeit Immunität von der Gerichtsbarkeit der innerstaatlichen Gerichte nach Artikel 8 des Europäischen Patentübereinkommens (EPÜ) in Verbindung mit Artikel 3 des Protokolls über Vorrechte und Immunitäten der Europäischen Patentorganisation genieße (siehe Rdnrn. 30-31). Darüber hinaus stellte es fest, dass Akte der öffentlichen Gewalt nicht nur Akte staatlicher deutscher Stellen umfassten. Der Begriff erfasse auch Akte supranationaler Organisationen wie der Europäischen Patentorganisation und ihres Exekutivorgans, des Europäischen Patentamts, die Grundrechtsberechtigte in Deutschland beträfen.

15. Die in Rede stehende Entscheidung des Präsidenten des Europäischen Patentamts könne jedoch nicht als Akt angesehen werde, der die Grundrechtsberechtigten in Deutschland betreffe, da er in der innerstaatlichen Rechtsordnung keine Rechtswirkung entfalte. Als Maßnahme, die sich auf das Verhältnis zwischen der internationalen Organisation und ihren Mitarbeitern oder Bewerbern beziehe, betreffe sie nur den Binnenbereich der Organisation. Die Tatsache, dass es sich bei dem Beschwerdeführer um einen in Deutschland ansässigen Deutschen handele, der, wäre er eingestellt worden, in Deutschland gearbeitet hätte, ändere an dieser Schlussfolgerung nichts. Das Gericht räumte ein, dass die Anstellung des Beschwerdeführers einen Akt supranationaler Natur dargestellt hätte, der wegen der mit ihr verbundenen Änderung des rechtlichen Status des Beschwerdeführers konkrete Auswirkungen innerhalb der deutschen Rechtsordnung gehabt hätte. Die Ablehnung der Anstellung habe jedoch keine derartige Rechtswirkung. Die Gerichtsbarkeit des Bundesverfassungsgerichts erstrecke sich nicht auf solche internen Maßnahmen.

16. Das Bundesverfassungsgericht stellte weiter fest, dass es angesichts der Unzulässigkeit der Verfassungsbeschwerde nicht über die Frage entscheiden müsse, ob der Rechtsschutzstandard innerhalb der Europäischen Patentorganisation bei Personalfragen den grundgesetzlichen Anforderungen entspreche, die bei Hoheitsrechtsübertragungen gewahrt werden müssten.

4. Verfahren vor dem Verwaltungsgericht der IAO

17. Am 1. Februar 2006 erhob der Beschwerdeführer gegen die Nichteinstellungsentscheidung des Präsidenten des Europäischen Patentamts Klage beim Verwaltungsgericht der IAO. Er brachte vor, die Entscheidung stelle eine rechtswidrige Benachteiligung aufgrund seiner Behinderung dar. Er betonte, er habe alle Fach- und Sprachtests für die Stelle bestanden und sei insbesondere in der Lage, einen Computer zu bedienen, wie er dies bei seiner Arbeit als Forschungsassistent an einer Universität auch tue. Er brachte weiter vor, dass ihm ein faires Verfahren, insbesondere der Zugang zu einem Gericht, versagt worden sei, weil seine interne Beschwerde entgegen Artikel 4 Abs. 3 des Beamtenstatuts (siehe Rdnr. 33) nicht geprüft worden sei und der Präsident des Europäischen Patentamts die Immunität der Organisation nicht aufgehoben habe, um es ihm zu ermöglichen, bei den deutschen Gerichten Abhilfe zu suchen.

18. In ihrer Erwiderung brachte die Europäische Patentorganisation vor, die Klage des Beschwerdeführers sei unzulässig, da er nie im Beamtenverhältnis beschäftigt gewesen sei. In jedem Fall hätten die Ärztin, die den Bewerber untersucht habe, der ärztliche Berater des Amts und der Betriebsarzt mit Blick auf die Tatsache, dass sich die Arbeit eines Patentprüfers in hohem Maße auf die Benutzung eines Computers stütze, darin übereingestimmt, dass das Risiko einer Schädigung der Gesundheit des Beschwerdeführers zu hoch sei und er wahrscheinlich frühzeitig dienstunfähig werden würde. Da der Beschwerdeführer die körperlichen Anforderungen an die Tätigkeit somit nicht erfülle, sei Artikel 4 Abs. 3 des Beamtenstatuts, der körperlich behinderte Personen betreffe, welche „die erforderlichen Qualifikationen und Fähigkeiten“ besäßen, auf ihn nicht anwendbar.

19. In seinem Urteil vom 11. Juli 2007 wies das Verwaltungsgericht der IAO die Klage des Beschwerdeführers als unzulässig zurück (Nr. 2657, 103. Sitzung). Es stellte fest, es habe keine andere Möglichkeit, als seine gefestigte Rechtsprechung, nach der es ein Gericht mit beschränkter Zuständigkeit sei, zu bestätigen. Unter Bezugnahme auf Artikel II Abs. 5 seines Statuts (siehe Rdnr. 38) und sein Urteil Nr. 1964 stellte es fest, dass es über keine Zuständigkeit für externe Stellenbewerber und Personen verfüge, die mit der in Rede stehenden internationalen Organisation keinen Arbeitsvertrag, der alle wesentlichen Bedingungen beinhalte, geschlossen hätten. Daher sei Personen, die sich für eine Stelle bei einer internationalen Organisation beworben hätten, aber nicht eingestellt worden seien, der Zugang verwehrt.

20. Das Verwaltungsgericht stellte weiter fest, es sei nicht befugt, die EPO anzuweisen, auf ihre Immunität zu verzichten. Es befand jedoch, dass sein Urteil ein rechtliches Vakuum zur Folge habe, und sah es als äußerst wünschenswert an, dass die EPO versuchen solle, dem Beschwerdeführer Zugang zu einem Gericht zu gewähren, entweder über den Weg der Aufhebung der Immunität oder über ein Schiedsverfahren.

5. Weitere Entwicklungen

21. Mit Schreiben vom 8. August 2007 teilte das Europäische Patentamt dem Beschwerdeführer mit, dass die Präsidentin im Hinblick auf die Feststellungen des Verwaltungsgerichts der IAO in seinem Urteil Nr. 2657 entschieden habe, ein Schiedsgericht mit der von ihm angefochtenen Entscheidung zu befassen.

22. Am 17. September 2007 erklärte sich der Beschwerdeführer, der anwaltlich vertreten war,grundsätzlich bereit, an einem Schiedsverfahren teilzunehmen. Er äußerte die Auffassung, dass die Zusammensetzung des Schiedsgerichts und seine Verfahrensregeln einvernehmlich zwischen den Parteien zu bestimmen seien. Unter Bezugnahme auf das Urteil des Verwaltungsgerichts der IAO in seinem Fall forderte er die Europäische Patentorganisation jedoch auf, zunächst auf ihre Immunität zu verzichten.

23. Am 2. Oktober 2007 antwortete das Europäische Patentamt, es halte an seiner Entscheidung fest, den Weg der Schiedsgerichtsbarkeit einzuschlagen, der von der IAO als gleichrangige Alternative zur Aufhebung der Immunität angesehen werde. Was die Verfahrensfragen bezüglich des Schiedsverfahrens angehe, erkläre sich das Amt bereit, den Beschwerdeführer nach Beratung mit dem Verwaltungsgericht der IAO über die Konstituierung eines Schiedsgerichts entsprechend zu informieren.

24. Mit Schreiben vom 25. März 2008 teilte die Europäische Patentorganisation, die anwaltlich vertreten war, dem Beschwerdeführer mit, das Verwaltungsgericht der IAO habe sich außerstande erklärt, dem Europäischen Patentamt Unterstützung bei der Konstituierung eines Schiedsgerichts zu leisten. Die EPO schlage dem Beschwerdeführer daher den Abschluss eines Schiedsvertrags vor; das Angebot gelte bis zum 15. April 2008. Ein internationales Schiedsgericht solle den Streitfall nach denselben Regeln entscheiden, welche auch das Verwaltungsgericht der IAO seiner Entscheidung hätte zugrunde legen müssen, wäre es für den Fall des Beschwerdeführers zuständig gewesen.

25. Nach dem Vertragsentwurf, der dem Beschwerdeführer übermittelt wurde, sollte der Rechtsstreit, der zuvor dem Verwaltungsgericht der IAO vorgelegt worden war, von drei Schiedsrichtern entschieden werden, wobei jede Partei einen Schiedsrichter und diese beiden Schiedsrichter ihrerseits den dritten Schiedsrichter ernennen sollten. Die Schiedsrichter sollten den Rechtsstreit unter Anwendung des Europäischen Patentübereinkommens, des Beamtenstatuts und der Allgemeinen Grundsätze des Internationalen Dienstrechts, wie sie sich aus der Rechtsprechung des IAO-Verwaltungsgerichts ergäben, entscheiden. Sie sollten die Parteien, die sich anwaltlich vertreten lassen könnten, in einer nichtöffentlichen mündlichen Verhandlung anhören. Die Vergütung und den Auslagenersatz der Schiedsrichter trage die Europäische
Patentorganisation. Jede Partei trage die ihr entstehenden Kosten und Auslagen selbst, es sei denn, das Schiedsgericht ordne eine Erstattung der dem Beschwerdeführer entstandenen Verfahrenskosten an.

26. Am 15. April 2008 lehnte der Beschwerdeführer das Angebot der EPO vom März 2008, eine Schiedsvereinbarung durchzuführen, ab. Er machte geltend, das vorgeschlagene Schiedsverfahren verstoße gegen grundlegendeverfahrensrechtliche Gewährleistungen aus Artikel 6 der Konvention, einschließlich des Rechts auf ein öffentliches Verfahren innerhalb angemessener Frist. Er sei zu Verhandlungen über einen Schiedsvertrag und zum Abschluss einer Schiedsvereinbarung unter Beachtung der Feststellungen des IAO-Verwaltungsgerichts bereit.

27. Mit Schreiben vom 29. April 2008 setzte das Europäische Patentamt den Beschwerdeführer von seiner Absicht in Kenntnis, das Schiedsverfahren nach denselben Regeln zu führen, die das IAO-Verwaltungsgericht angewendet hätte, wenn es die Klage des Beschwerdeführers für zulässig erklärt hätte, d. h. nach den Regeln, die auch für Bedienstete und ehemalige Bedienstete der Europäischen Patentorganisation gegolten hätten. Die Organisation könne nicht auf die ihr von den Mitgliedstaaten eingeräumte Autonomie in der Regelung ihrer dienstrechtlichen Verhältnisse verzichten. Die EPO erklärte sich jedoch bereit, neue und konkrete Vorschläge bezüglich des Verfahrens, die der Beschwerdeführer bis zum 16. Juni 2008 unterbreiten würde, zu prüfen.

28. Der Beschwerdeführer ließ das Schreiben des Europäischen Patentamts vom 29. April 2008 unbeantwortet.

B. Das einschlägige innerstaatliche Recht und Völkerrecht

1. Die Rechtsstellung des Europäischen Patentamts

29. Das Europäische Patentamt ist ein Organ der Europäischen Patentorganisation (EPO), einer zwischenstaatlichen Einrichtung, die auf der Basis des Übereinkommens über die Erteilung Europäischer Patente (Europäisches Patentübereinkommen – EPÜ) vom 5. Oktober 1973 gegründet wurde. Die Organisation hat derzeit 38 Mitgliedstaaten, darunter Deutschland, das am 7. Oktober 1977 Mitgliedstaat wurde.

30. Nach Artikel 8 EPÜ genießt die Europäische Patentorganisation in jedem Vertragsstaat die zur Durchführung ihrer Aufgaben erforderlichen Vorrechte und Immunitäten nach Maßgabe des dem EPÜ beigefügten Protokolls über Vorrechte und Immunitäten.

31. Das Protokoll über Vorrechte und Immunitäten der Europäischen Patentorganisation lautet, soweit maßgeblich, wie folgt:

Artikel 3

(1) Die Organisation genießt im Rahmen ihrer amtlichen Tätigkeit Immunität von der Gerichtsbarkeit und Vollstreckung mit Ausnahme folgender Fälle:

a) soweit die Organisation im Einzelfall ausdrücklich hierauf verzichtet;

b) im Fall eines von einem Dritten angestrengten Zivilverfahrens wegen Schäden aufgrund eines Unfalls, der durch ein der Organisation gehörendes oder für sie betriebenes Motorfahrzeug verursacht wurde, oder im Fall eines Verstoßes gegen die Vorschriften über den Straßenverkehr, an dem dieses Fahrzeug beteiligt ist;

c) im Fall der Vollstreckung eines nach Artikel 23 ergangenen Schiedsspruchs.

[…]

(4) Unter amtlicher Tätigkeit der Organisation im Sinn dieses Protokolls sind alle Tätigkeiten zu verstehen, die für ihre im Übereinkommen vorgesehene Verwaltungsarbeit und technische Arbeit unbedingt erforderlich sind.

Artikel 19

(1) Die in diesem Protokoll vorgesehenen Vorrechte und Immunitäten sind nicht dazu bestimmt, den Bediensteten des Europäischen Patentamts oder den Sachverständigen, die für die Organisation oder in deren Auftrag tätig sind, persönliche Vorteile zu verschaffen. Sie sind lediglich zu dem Zweck vorgesehen, unter allen Umständen die ungehinderte Tätigkeit der Organisation und die vollständige Unabhängigkeit der Personen, denen sie gewährt werden, zu gewährleisten.

(2) Der Präsident des Europäischen Patentamts hat die Pflicht, eine Immunität aufzuheben, wenn sie nach seiner Ansicht verhindern würde, dass der Gerechtigkeit Genüge geschieht, und wenn sie ohne Beeinträchtigung der Interessen der Organisation aufgehoben werden kann. Aus den gleichen Gründen kann der Verwaltungsrat die Immunität des Präsidenten aufheben.

Artikel 20

(1) Die Organisation wird jederzeit mit den zuständigen Behörden der Vertragsstaaten zusammenarbeiten, um die Rechtspflege zu erleichtern, die Einhaltung der Vorschriften über Sicherheit und Ordnung sowie über den Gesundheits- und Arbeitsschutz und ähnlicher staatlicher Rechtsvorschriften zu gewährleisten und jeden Missbrauch der in diesem Protokoll vorgesehenen Vorrechte, Immunitäten und Erleichterungen zu verhindern.

2. Vorschriften des Statuts der Beamten des Europäischen Patentamts

32. Artikel 1 des Statuts der Beamten des Europäischen Patentamts (Beamtenstatut) sieht, soweit maßgeblich, vor, dass es für Beamte des Europäischen Patentamts gilt sowie für frühere Beamte des Europäischen Patentamts, soweit dies in dem Statut ausdrücklich vorgesehen ist.

33. Artikel 4 (Freie Planstellen) des Beamtenstatuts lautet, soweit maßgeblich:

„(1) Freie Planstellen werden von der Anstellungsbehörde unter Berücksichtigung der erforderlichen Fähigkeiten und der Eignung zur Wahrnehmung der betreffenden Aufgaben auf folgende Weise besetzt: […]

– durch Einstellung und/oder Einweisung aufgrund einer allgemeinen Stellenausschreibung […], bei der sowohl die Bediensteten des Amts als auch externe Bewerber zugelassen werden. […]

(3) […] Körperbehinderte, die die für eine freie Planstelle erforderlichen Fähigkeiten besitzen und zur Wahrnehmung der betreffenden Aufgaben geeignet sind, dürfen wegen ihrer Behinderung nicht benachteiligt werden.“

34. Artikel 8 des Beamtenstatuts lautet, soweit maßgeblich:

Voraussetzungen für die Ernennung

„Zum Beamten darf nur ernannt werden, wer […]

d) die für die Ausübung seines Amts erforderliche körperliche Eignung besitzt; […]“

35. Nach Artikel 9 des Statuts muss sich ein erfolgreicher Bewerber vor seiner Ernennung von einem vom Präsidenten des Amts bestimmten Arzt medizinisch untersuchen lassen, damit sich die Anstellungsbehörde davon überzeugen kann, dass er die Anforderungen nach Artikel 8 Absatz d erfüllt.

36. Nach Artikel 107 Abs. 1 in Verbindung mit Artikel 106 des Beamtenstatuts können Beamte, ehemalige Beamte oder deren Rechtsnachfolger gegen einen sie beschwerenden Akt eine interne Beschwerde einlegen. Die interne Beschwerde ist an die Anstellungsbehörde zu richten, die für die angefochtene Entscheidung verantwortlich ist (Artikel 108 Abs. 1 des Beamtenstatuts). Ist der Präsident des Amts der Auffassung, dass einer internen Beschwerde nicht stattgegeben werden kann, gibt ein Beschwerdeausschuss eine Stellungnahme ab; die betreffende Anstellungsbehörde trifft ihre Entscheidung in Kenntnis dieser Stellungnahme (Artikel 109 Abs. 1 des Beamtenstatuts). Sind alle internen Beschwerdemöglichkeiten ausgeschöpft, so können der Beamte, der ehemalige Beamte oder deren Rechtsnachfolger das Verwaltungsgericht der Internationalen Arbeitsorganisation nach der Satzung dieses Gerichts anrufen (Artikel 109 Abs. 3 des Beamtenstatuts).

3. Vorschriften zum Verwaltungsgericht der IAO

37. Artikel 13 des Europäisches Patentübereinkommens enthält Vorschriften über Streitsachen zwischen der EPO und den Bediensteten des Europäischen Patentamts. Nach Abs. 1 können die Bediensteten oder ehemaligen Bediensteten des Europäischen Patentamts in Streitsachen zwischen ihnen und der Europäischen Patentorganisation das Verwaltungsgericht der Internationalen Arbeitsorganisation nach dessen Satzung und innerhalb der Grenzen und nach Maßgabe der Bedingungen anrufen, die im Statut der Beamten festgelegt sind.Nach Abs. 2 ist eine Beschwerde nur zulässig, wenn der Betreffende alle Beschwerdemöglichkeiten ausgeschöpft hat, die ihm das Statut der Beamten eröffnet.

38. Artikel II des Statuts des Verwaltungsgerichts der IAO lautet, soweit maßgeblich:

„5. Das Gericht ist auch zuständig für Beschwerden über die Nichteinhaltung, in materieller oder formeller Hinsicht, der Vorschriften über die Einstellung von Bediensteten und der Dienstvorschriften jeder anderen den im Anhang aufgeführten Normen entsprechenden Organisation, welche dem Director-General eine Erklärung übermittelt hat, in der sie, in Übereinstimmung mit ihrer Verfassung oder ihren internationalen Verwaltungsvorschriften, die diesbezügliche Zuständigkeit des Gerichts sowie seine Geschäftsordnung anerkennt, und die vom Verwaltungsrat akzeptiert wird.“

4. Bestimmungen des Grundgesetzes

39. Nach Artikel 3 Abs. 3 Satz 2 GG darf niemand wegen seiner Behinderung benachteiligt werden.

40. Nach Artikel 19 Abs. 4 GG steht einer Person, die durch die öffentliche Gewalt in ihren Rechten verletzt wird, der Rechtsweg offen. Soweit eine andere Zuständigkeit nicht begründet ist, ist der ordentliche Rechtsweg gegeben.

RÜGEN

41. Der Beschwerdeführer rügte erstens, der beschwerdegegnerische Staat habe nicht sichergestellt, dass er Zugang zu einem Gericht habe, um seinen „zivilrechtlichen Anspruch“, nicht wegen seiner Behinderung diskriminiert zu werden, zu schützen. Er machte insbesondere geltend, seine Rechte aus Artikel 6 und Artikel 13 der Konvention seien dadurch verletzt worden, dass das Bundesverfassungsgericht seine Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen und seine Konventionsrechte nicht geschützt habe. Indem das Bundesverfassungsgericht seine Zuständigkeit für den Schutz der Grundrechte eingeschränkt habe, habe es die von der Konvention gesetzten Maßstäbe nicht erfüllt.

42. Der Beschwerdeführer rügte ferner, dass die Ablehnung des Europäischen Patentamts, seine interne Beschwerde zu prüfen, und die Weigerung seines Präsidenten, die Immunität des Patentamts aufzuheben, um es ihm zu ermöglichen, seinen Anspruch vor den deutschen Gerichten geltend zu machen, eine Verletzung von Artikel 6 der Konvention darstellten. Weder das interne Beschwerdeverfahren des Europäischen Patentamts noch das Verfahren vor dem IAO-Verwaltungsgericht genüge den Anforderungen von Artikel 6, insbesondere der der Unabhängigkeit. Diese mangelhaften Verfahren seien Deutschland zuzurechnen.

RECHTLICHE WÜRDIGUNG

43. Der Gerichtshof ist der Auffassung, dass die Rügen des Beschwerdeführers in Bezug auf den fehlenden Zugang zu den deutschen Gerichten einerseits und den fehlenden Zugang zum Europäischen Patentamt und zum IAO-Verwaltungsgericht sowie deren mangelhafte Verfahren andererseits allein der Prüfung nach Artikel 6 Abs. 1 der Konvention unterfallen, der, soweit maßgeblich, wie folgt lautet:

„(1) Jede Person hat ein Recht darauf, dass über Streitigkeiten in Bezug auf ihre zivilrechtlichen Ansprüche und Verpflichtungen … von einem unabhängigen und unparteiischen, auf Gesetz beruhenden Gericht in einem fairen Verfahren, öffentlich … verhandelt wird.“

A. Behauptete Verletzung von Artikel 6 in dem Verfahren vor den deutschen Gerichten

1. Die Verantwortlichkeit Deutschlands für das Verfahren vor den deutschen Gerichten

44. Die Regierung erkannte an, dass die Beschwerde ratione personae mit den Bestimmungen der Konvention vereinbar war, soweit sie die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 22. Juni 2006 betraf, in der es die Gewährung von Rechtsschutz in Bezug auf die Handlungen der EPO ablehnte.

45. Der Gerichtshof ist der Auffassung, dass, soweit der Beschwerdeführer seinen fehlenden Zugang zum Bundesverfassungsgericht rügte, um seine Beschwerde gegen die Nichteinstellungsentscheidung des Europäischen Patentamts dem Grunde nach prüfen zu lassen, er als Adressat der angefochtenen Gerichtsentscheidung unter die „Gerichtsbarkeit“ des deutschen Staates im Sinne des Artikels 1 fiel. Daher ist seine Beschwerde insoweit ratione personae mit den Bestimmungen der Konvention vereinbar.

2. Anwendbarkeit von Artikel 6 Abs. 1 der Konvention

(a) Die Stellungnahmen der Parteien

46. Nach dem Vorbringen der Regierung war Artikel 6 in der vorliegenden Rechtssache nicht anwendbar. Der Streit betreffend die Einstellung des Beschwerdeführers als Patentprüfer, also seine Einstellung in den internationalen öffentlichen Dienst, habe keinen „zivilrechtlichen“ Anspruch im Sinne des Artikel 6 Abs. 1 betroffen (die Regierung verwies insoweit u. a. auf Pellegrin ./. Frankreich [GK], Individualbeschwerde Nr. 28541/95, Rdnrn. 59 ff., ECHR 1999‑VIII). Ferner garantiere die Konvention kein Recht auf Einstellung in den öffentlichen Dienst (die Regierung verwies u. a. auf Vilho Eskelinen u. a. ./. Finnland [GK], Individualbeschwerde Nr. 63235/00, Rdnr., 57, ECHR 2007‑II).

47. Nach Auffassung des Beschwerdeführers handelte es sich in dem Verfahren um einen „zivilrechtlichen“ Anspruch im Sinne des Artikels 6 Abs. 1 der Konvention. Er habe einen „zivilrechtlichen Anspruch“ darauf, vor unrechtmäßiger Diskriminierung aufgrund seiner Behinderung geschützt zu werden. Dieser Anspruch sei in Artikel 4 des Beamtenstatuts, in Artikel 3 Abs. 3 und Artikel 19 des Grundgesetzes sowie im deutschen und im EU‑Antidiskriminierungsrecht verankert. Ihm sei eine Einstellung als Patentprüfer allein aus dem Grund, dass er körperlich behindert sei, und auf der Grundlage eines unzureichend begründeten ärztlichen Gutachtens versagt worden; folglich sei er aufgrund seiner Behinderung diskriminiert worden.

(b) Würdigung durch den Gerichtshof

48. Die vorliegende Rechtssache wirft eine Frage in Bezug auf die Anwendbarkeit von Artikel 6 Abs. 1 auf, und zwar zunächst dahingehend, ob ein „zivilrechtlicher Anspruch“ in Rede stand. Die Regierung trug vor, die Beschwerde betreffe der Sache nach lediglich das Recht auf Einstellung in den öffentlichen Dienst. Der Gerichtshof hat immer wieder darauf hingewiesen, dass die Konvention und ihre Protokolle kein Recht auf Einstellung in den öffentlichen Dienst garantieren; jedoch folgt daraus nicht, dass Beamte in anderer Hinsicht nicht in den Anwendungsbereich der Konvention fallen (siehe u. a. G. ./. Deutschland, 28. August 1986, Rdnrn. 48‑49, Serie A Nr. 104; und Vilho Eskelinen u.a. ./. Finnland [GK], Individualbeschwerde Nr. 63235/00, Rdnr. 57, ECHR 2007‑II). In der Rechtssache G. beispielsweise, in der die dem Gerichtshof vorgelegte Frage im Kern den Zugang zum öffentlichen Dienst betraf und in der festgestellt wurde, dass die staatlichen Behörden nicht mehr getan haben, als zu überprüfen, ob die Bewerberin die notwendigen Qualifikationen für die fragliche Stelle besaß, war der Gerichtshof der Auffassung, dass diese Überprüfung keinen Eingriff in die Konventionsrechte dieser Beschwerdeführerin, insbesondere in ihr Recht aus Artikel 10 (ebda., Rdnr. 53) darstellte.

49. In der vorliegenden Rechtssache könnte man jedoch sagen, dass sich der Beschwerdeführer auf sein materielles Recht auf Nichtdiskriminierung wegen seiner Behinderung gestützt hat und kein Recht auf Einstellung als solches geltend gemacht hat. Der Gerichtshof merkt an, dass der Beschwerdeführer vor dem Bundesverfassungsgericht sein materielles Grundrecht aus Artikel 3 Abs. 3 Grundgesetz, wegen seiner Behinderung nicht benachteiligt zu werden, geltend machen konnte und dies auch tat (siehe Rdnrn. 12 und 39).

50. Zweitens stellt sich die Frage, ob die in der Rechtssache Vilho Eskelinen (a. a. O., Rdnrn. 42 ff.) entwickelte Rechtsprechung des Gerichtshofs auf den vorliegenden Fall anwendbar ist. Wenn die vorliegende Beschwerde als mit dem Fall Vilho Eskelinen vergleichbar anzusehen ist, der einen von einem Beamten in Bezug auf seine Beschäftigungsbedingungen angestrengten Rechtsstreit betraf, dann ist ebenfalls die Anwendbarkeit von Artikel 6 Abs. 1 und insbesondere das Vorliegen eines „zivilrechtlichen“ Anspruchs zu prüfen.

51. Nach Auffassung des Gerichtshofs unterscheidet sich der vorliegende Fall, in dem dem Beschwerdeführer eine Prüfung seiner Beschwerde in der Sache insbesondere deshalb verweigert wurde, weil das Europäische Patentamt, das die angefochtene Entscheidung getroffen hatte, Immunität von der deutschen Gerichtsbarkeit genießt, von dem Sachverhalt in der Rechtssache Vilho Eskelinen (a. a. O.). Im Unterschied zu den Beschwerdeführern jener Rechtssache war der Beschwerdeführer weder Beamter des beschwerdegegnerischen Staates noch des Europäischen Patentamts. Ferner hatte der beschwerdegegnerische Staat den Zugang zu einem Gericht nicht für eine Stelle oder eine Kategorie von Bediensteten, einschließlich des Beschwerdeführers, ausgeschlossen (vgl. Vilho Eskelinen, a. a. O., Rdnr. 62). Der Ausschluss des Zugangs zu einem Gericht knüpfte nicht an die Stellung des Beschwerdeführers an, sondern an den Status der beklagten EPO als Organisation, die Immunität von der Gerichtsbarkeit genießt. Die Gewährung von Immunität ist darüber hinaus nicht, als ein (bestehendes) materielles Recht einschränkend zu betrachten, ein, sondern als Verfahrenshindernis, das einen Beschwerdeführer daran hindert, seinen Anspruch gerichtlich geltend zu machen (siehe Fogarty ./. Vereinigtes Königreich [GK], Individualbeschwerde Nr. 37112/97, Rdnr. 26, ECHR 2001‑XI (Auszüge)).

52. Der Gerichtshof ist jedenfalls der Ansicht, dass er in der vorliegenden Rechtssache nicht darüber befinden muss, ob Artikel 6 Abs. 1 anwendbar ist, und dass er davon ausgehen kann, dass dies aus den folgenden Gründen der Fall ist.

3. Einhaltung von Artikel 6 Abs. 1 der Konvention

(a) Die Stellungnahmen der Parteien

(i) Die Regierung

53. Die Regierung trug vor, dass, selbst wenn die Anwendbarkeit von Artikel 6 unterstellt werde, das Recht des Beschwerdeführers auf Zugang zu einem Gericht nach dieser Bestimmung nicht verletzt worden sei.Die Tatsache, dass das Bundesverfassungsgericht seine Prüfung der Grundrechtskonformität von Akten internationaler Organisationen auf Fälle beschränke, in denen diese Akte Auswirkungen auf die Rechtsstellung von Personen in Deutschland hätten, sei mit der Konvention vereinbar. Nach Artikel 1 der Konvention seien die Vertragsstaaten nur zum Schutz der Konventionsrechte von Personen verpflichtet, die ihrer Hoheitsgewalt unterstünden.

54. Selbst wenn unterstellt werde, dass es durch die Beschränkung des Zugangs zum Bundesverfassungsgericht zu einem Eingriff in das Recht des Beschwerdeführers auf Zugang zu einem Gericht nach Artikel 6 gekommen sei, sei dieser Eingriff gerechtfertigt gewesen.Der Ausschluss des Zugangs des Beschwerdeführers zu den deutschen Gerichten nach Artikel 8 des Europäischen Patentübereinkommens in Verbindung mit Artikel 3 des Protokolls über Vorrechte und Immunitäten der Europäischen Patentorganisation (siehe Rdnrn. 30-31) sei durch objektive Gründe des staatlichen Interesses gerechtfertigt. Die Gewährung von Immunitäten an internationale Organisationen sei ein unabdingbares Mittel, um die Funktionsfähigkeit solcher Organisationen zu gewährleisten und einseitigen Einflussnahmen der Mitgliedstaaten entgegenzuwirken.

55. Das interne Rechtsschutzsystem der EPO gewährleiste auch einen der Konvention vergleichbaren Grundrechtsschutz.Hinzu komme, dass dem Beschwerdeführer trotz der Beschränkung des Zugangs zum internen Rechtsschutzsystem für Bewerber im konkreten Fall alternative Mittel zur Verfügung gestanden hätten, um seine Konventionsrechte wirksam zu schützen. Denn die EPO hätte dem Beschwerdeführer angeboten, ein Schiedsverfahren durchzuführen, das ihm effektiven Rechtsschutz gewährt hätte.

56. Die Regierung unterstrich, dass der Beschwerdeführer die Verhandlungen bezüglich eines Schiedsvertrags mit der EPO, zu dessen Organen das Europäische Patentamt gehöre, ohne Angabe von Gründen abgebrochen habe.Der dem Beschwerdeführer angebotene Schiedsvertrag sei vernünftig gewesen. Insbesondere sei es vernünftig gewesen, dass die EPO nur die Anwendung ihrer internen Rechtsordnung zugelassen habe, denn dies wäre auch der Fall gewesen, wenn das IAO-Verwaltungsgericht über die Beschwerde des Beschwerdeführers zur Sache verhandelt hätte. Die Rechte behinderter Menschen würden auch von der EPO und dem ILOAT geschützt, die sich ausdrücklich zum Schutz der Grundrechte bekannt hätten. Indem sich der Beschwerdeführer um eine Stelle bei der EPO beworben habe, sei es seine freiwillige Entscheidung gewesen, sich dem internen Recht dieser Organisation zu unterwerfen.

(ii) Der Beschwerdeführer

57. Der Beschwerdeführer brachte vor, die Beschränkung seines Rechts auf Zugang zu einem Gericht sei nicht gerechtfertigt gewesen. Gemäß der vom Bundesverfassungsgericht in seinem Fall erlassenen Entscheidung sei dieses Gericht nicht für Fälle zuständig, in denen eine internationale Organisation in einer mit der Konvention unvereinbaren Weise gehandelt habe, soweit ihre Handlungen in der deutschen Rechtsordnung keine Rechtswirkungen entfalteten. Dies entspreche nicht den sich aus der Rechtsprechung des Gerichtshof ergebenden Anforderungen.

58. Dem Vorbringen des Beschwerdeführers zufolge hatte das Europäische Patentamt auch keine vernünftigen Alternativen zum Zugang zu einem Gericht angeboten. Er habe weder Zugang zu dem internen Rechtsschutzsystem des Europäisches Patentamts noch zum IAO-Verwaltungsgericht gehabt. In jedem Fall gebe es in der Rechtsordnung der EPO kein Menschenrechtsorgan, das einen der Konvention gleichwertigen Schutz biete könne.

59. Der Beschwerdeführer trug ferner vor, er habe die Verhandlungen über einen Schiedsvertrag nicht ohne Angabe von Gründen abgebrochen. Das Europäische Patentamt habe offensichtlich keine hinreichenden Anstrengungen unternommen, um vom IAO-Verwaltungsgericht Unterstützung bei der Konstituierung eines Schiedsgerichts zu bekommen. Ferner habe ihm der Bevollmächtigte der EPO keine Vollmacht übermittelt, sondern lediglich versichert, von der EPO mit deren Vertretung beauftragt worden zu sein; er habe sichjedoch im Streit mit dem Europäischen Patentamt und nicht mit der EPO befunden. Da ihm das Europäische Patentamt die angeforderten Auskünfte nicht erteilt habe, sei es nicht er gewesen, der das Schiedsverfahren abgebrochen habe.

60. Ferner trug der Beschwerdeführer vor, dass das vorgeschlagene Schiedsverfahren nicht als angemessene Alternative zum Zugang zu einem Gericht angesehen werden könne. Seiner Ansicht nach war das einseitig von der EPO vorgeschlagene Schiedsverfahren mit schweren Mängeln behaftet und genügte den Anforderungen von Artikel 6 nicht. Überdies sei das anwendbare Recht in dem Schiedsverfahren in unzulässiger Weise auf das interne Recht der EPO beschränkt worden, und die EPO habe insoweit keine Abhilfe geschaffen. Da es keine eindeutige Definition der anwendbaren Grundrechte und des anwendbaren Antidiskriminierungsrechts gebe, hätte das Schiedsgericht darüber hinaus seine Diskriminierung wegen seiner Behinderung gar nicht für unrechtmäßig befinden können, und das Schiedsverfahren habe daher keine Aussicht auf Erfolg gehabt.

61. Der Beschwerdeführer brachte ferner vor, dass er auf sein Recht auf Zugang zu einem Gericht nach Artikel 6 Abs. 1 der Konvention nicht deshalb verzichtet habe, weil er einem Schiedsverfahren nicht zugestimmt habe. In jedem Fall erfülle ein Verfahren vor einem Schiedsgericht niemals die Anforderungen von Artikel 6 der Konvention, da es sich dabei nicht um ein auf Gesetz beruhendes Gericht handele.

(b) Würdigung durch den Gerichtshof

(i) Zusammenfassung der einschlägigen Grundsätze

62. Der Gerichtshof erinnert daran, dass das durch Artikel 6 Abs. 1 der Konvention geschützte Recht auf Zugang zu einem Gericht kein absolutes Recht ist, sondern Einschränkungen unterworfen sein kann; diese Einschränkungen sind implizit zulässig, weil das Recht auf Zugang naturgemäß eine Regelung durch den Staat erfordert. Die Vertragsstaaten haben insoweit zwar einen gewissen Ermessensspielraum, aber die endgültige Entscheidung darüber, ob den Konventionsgeboten entsprochen wurde, obliegt dem Gerichtshof. Er muss davon überzeugt sein, dass die geltenden Einschränkungen den Zugang, der dem Einzelnen verbleibt, nicht derart beschränken oder soweit verringern, dass das Recht in seinem Kern beeinträchtigt ist. Überdies ist eine Einschränkung mit Artikel 6 Abs. 1 nicht vereinbar, wenn mit ihr kein legitimes Ziel verfolgt wird und wenn die eingesetzten Mittel zum angestrebten Ziel nicht in einem angemessenen Verhältnis stehen (siehe W. und K. ./. Deutschland [GK], Individualbeschwerde Nr. 26083/94, Rdnr. 59, ECHR 1999‑I; B. und R. ./. Deutschland [GK], Individualbeschwerde Nr. 28934/95, Rdnr. 49, 18. Februar 1999; Fogarty, a. a. O., Rdnr. 33; Lopez Cifuentes ./. Spanien (Entsch.), Individualbeschwerde Nr. 18754/06, Rdnr. 31, 7. Juli 2009; Eiffage S.A. u. a. ./. Schweiz (Entsch.), Individualbeschwerde Nr. 1742/05, 15. September 2009; Cudak ./. Litauen[GK], Individualbeschwerde Nr. 15869/02, Rdnr. 55, ECHR 2010; Sabeh El Leil ./. Frankreich[GK], Individualbeschwerde Nr. 34869/05, Rdnr. 47, 29. Juni 2011; Chapman ./. Belgien (Entsch.), Individualbeschwerde Nr. 39619/06, Rdnr. 45, 5. März 2013; und Stichting Mothers of Srebrenicau . a. ./. Niederlande (Entsch.), Individualbeschwerde Nr. 65542/12, Rdnr. 139, ECHR 2013 (Auszüge)).

63. Der Gerichtshof ist der Ansicht, dass, wenn Staaten internationale Organisationen gründen, um auf bestimmten Tätigkeitsfeldern zusammenzuarbeiten oder ihre Zusammenarbeit zu stärken, und wenn sie diesen Organisationen bestimmte Kompetenzen zuweisen und ihnen Immunität gewähren, dies Konsequenzen für den Grundrechtsschutz haben kann. Es wäre jedoch mit dem Ziel und Zweck der Konvention unvereinbar, wenn die Vertragsstaaten dadurch von ihrer Verantwortlichkeit nach der Konvention in Bezug auf das Tätigkeitsfeld, das von einer solchen Zuweisung erfasst ist, entbunden würden. Es sollte in Erinnerung gerufen werden, dass mit der Konvention nicht theoretische oder illusorische, sondern praktische und wirksame Rechte garantiert werden sollen. In Anbetracht der herausragenden Stellung, die das Recht auf ein faires Verfahren in einer demokratischen Gesellschaft einnimmt, gilt dies insbesondere für das Recht auf Zugang zu den Gerichten (siehe, u. a., W. und K., a. a. O., Rdnr. 67; B. und R., a. a. O., Rdnr. 57; mit Bezugnahme auf Airey ./. Irland, 9. Oktober 1979, Rdnr. 24, Serie A Nr. 32).

64. Für den Gerichtshof hängt deshalb die Entscheidung darüber, ob es zulässig ist, einer internationalen Organisation Immunität von der Gerichtsbarkeit der innerstaatlichen Gerichte zu gewähren, maßgeblich davon ab, ob die betreffenden Beschwerdeführer vernünftige Alternativen hatten, um ihre Konventionsrechte effektiv zu schützen (siehe W. und K., a. a. O., Rdnr. 68; B. und R., a. a. O., Rdnr. 58; und Chapman, a. a. O., Rdnr. 51).

(ii) Anwendung dieser Grundsätze auf die vorliegende Rechtssache

65. Der Gerichtshof nimmt zur Kenntnis, dass das Bundesverfassungsgericht die Verfassungsbeschwerde des Beschwerdeführers für unzulässig erklärte. Mit der Verfassungsbeschwerde hatte der Beschwerdeführer geltend gemacht, die Entscheidung des Präsidenten des Europäischen Patentamts, ihn wegen seiner Behinderung nicht einzustellen, verstoße gegen sein Recht, nicht diskriminiert zu werden. Da die Entscheidung des Patentamts nur den Binnenbereich betreffe, so das Bundesverfassungsgericht, sei es für die Prüfung der Vereinbarkeit der Entscheidung mit den im Grundgesetz niedergelegten Grundrechten nicht zuständig. Es bestätigte ferner, dass die EPO im Rahmen ihrer amtlichen Tätigkeit Immunität von den deutschen (Arbeits-)gerichten genieße (siehe Rdnrn. 13-16).

66. Der Zugang des Beschwerdeführers zu den deutschen Gerichten war daher auf den Zugang zum Bundesverfassungsgericht beschränkt, vor dem er nur eine Vorfrage vortragen konnte, nämlich die Frage nach dem Umfang der Immunität der EPO (vgl. auch W. und K., a. a. O., Rdnr. 58; und B. und R., a. a. O., Rdnr. 48).

67. Bei der Entscheidung darüber, ob mit dieser Einschränkung des Zugangs des Beschwerdeführers zu einem Gericht ein legitimes Ziel verfolgt wurde, ist der Gerichtshof überzeugt, dass der EPO deshalb Immunität von der deutschen Gerichtsbarkeit gewährt wurde, um die Funktionsfähigkeit dieser internationalen Organisation zu gewährleisten, wie von der Regierung dargelegt wurde. Der Gerichtshof hat in der Tat bereits in früheren Entscheidungen betont, dass die Gewährung von Privilegien und Immunitäten an internationale Organisationen ein wesentliches Mittel ist, um zu gewährleisten, dass diese Organisationen ohne einseitige Eingriffe durch einzelne Regierungen funktionsfähig sind. Ferner stellt die Tatsache, dass Staaten internationalen Organisationen üblicherweise nach den Gründungsakten dieser Organisationen oder nach Zusatzübereinkommen Immunität von der Gerichtsbarkeit einräumen, eine langjährige Praxis dar, die im Interesse der Funktionsfähigkeit dieser Organisationen entwickelt wurde. Diese Praxis hat durch den Trend zur Ausweitung und Verstärkung der internationalen Zusammenarbeit in allen Bereichen der modernen Gesellschaft noch weiter an Bedeutung gewonnen (siehe W. und K., a. a. O., Rdnr. 63; und B. und R., a. a. O., Rdnr. 53). Deshalb hatte die Immunität von der Gerichtsbarkeit, die das Bundesverfassungsgericht in der vorliegenden Rechtssache auf die EPO angewendet hat, ein legitimes Ziel.

68. Was die Frage angeht, ob die Einschränkung des Rechts des Beschwerdeführers auf Zugang zu einem Gericht, um dieses legitime Ziel zu verfolgen, verhältnismäßig war, stellt der Gerichtshof fest, dass dem Beschwerdeführer hinsichtlich seiner Beschwerde über eine Diskriminierung im Einstellungsverfahren vor dem Europäischen Patentamt nicht nur eine Prüfung in der Sache durch das Bundesverfassungsgericht verwehrt wurde. Es wurde auch festgestellt, dass er in seiner Position als Bewerber um die Stelle – im Unterschied zu einem (früheren) Bediensteten – nicht befugt gewesen sei, eine interne Beschwerde innerhalb der EPO nach dem Beamtenstatut des Europäischen Patentamts einzulegen (siehe Rdnrn. 10 und 36).Auch das Verwaltungsgericht der IAO wies die Klage des Beschwerdeführers bezüglich der angefochtenen Entscheidung des Europäischen Patentamts mit der Begründung als unzulässig zurück, dass es ebenfalls nicht für externe Stellenbewerber zuständig sei (siehe Rdnrn. 19 und 38). Folglich wurde die Beschwerde des Beschwerdeführers bezüglich der angefochtenen Entscheidung des Europäischen Patentamts von keinem Gericht oder sonstigem Organ in der Sache überprüft.

69. Im Hinblick auf die Bedeutung, die das Recht auf ein faires Verfahren – welches als wesentlichen Aspekt das Recht auf Zugang zu einem Gericht beinhaltet – in einer demokratischen Gesellschaft hat, sieht es der Gerichtshof deshalb als entscheidend an, ob dem Beschwerdeführer vernünftige Alternativen zur Verfügung standen, um seine Konventionsrechte wirksam zu schützen.

70. Der Gerichtshof nimmt in diesem Zusammenhang zur Kenntnis, dass das Verwaltungsgericht der IAO in seinem Urteil vom 11. Juli 2007 festgestellt hat, dass seine Nichtzuständigkeit ein rechtliches Vakuum zur Folge habe und es äußerst wünschenswert sei, dass die Europäische Patentorganisation versuche, dem Beschwerdeführer Zugang zu einem Gericht zu gewähren, entweder über den Weg der Aufhebung der Immunität oder über ein Schiedsverfahren (siehe Rdnr. 20). Das Europäische Patentamt griff diesen Vorschlag auf und erklärte sich daraufhin bereit, ein Schiedsgericht mit der angefochtenen Nichteinstellungsentscheidung zu befassen. Es schlug dem Beschwerdeführer den Abschluss eines konkreten Schiedsvertrags an. Nach diesem Vertrag sollten sich drei Schiedsrichter mit der Rechtssache des Beschwerdeführers in nichtöffentlicher mündlicher Verhandlung befassen. Sie sollten die Rechtssache auf der Grundlage der materiellrechtlichen Vorschriften entscheiden, die das IAO-Verwaltungsgericht im Fall seiner Zuständigkeit angewendet hätte, nämlich das Beamtenstatut des Europäischen Patentamts und die Allgemeinen Grundsätze des Internationalen Dienstrechts, welche sich aus der Rechtsprechung des IAO-Gerichts ergäben (siehe Rdnrn. 24-25). Es bot ferner an, konkrete Vorschläge des Beschwerdeführers zum Verfahren zu prüfen, wobei dieses Angebot von ihm nicht angenommen wurde (Rdnrn. 27-28).

71. Der Gerichtshof stellt fest, dass dem Beschwerdeführer durch dieses Angebot eines Schiedsverfahrens angemessen Gelegenheit gegeben wurde, seine Beschwerde bezüglich der Entscheidung des Europäischen Patentamts in der Sache prüfen zu lassen. Der Gerichtshofkann sich nicht nur den Zweifeln des Beschwerdeführers bezüglich der Mandatierung des Bevollmächtigten der EPO, zu deren Organen das Europäische Patentamt gehört, nicht anschließen. Insbesondere ist er nicht der Ansicht, dass das Schiedsverfahren aufgrund des Angebots der EPO, den Rechtsstreit (nur) nach den Vorschriften prüfen zu lassen, die auch vor dem IAO-Verwaltungsgericht anwendbar gewesen wären, keine vernünftige Alternative zu einem Verfahren vor den innerstaatlichen Gerichten mehr darstellte.

72. Der Gerichtshof merkt in diesem Zusammenhang an, dass er bereits in früheren Entscheidungen insbesondere festgestellt hat, dass unter Berücksichtigung des legitimen Ziels der Immunitäten internationaler Organisationen die Verhältnismäßigkeitsprüfung nicht derart angewandt werden kann, dass eine internationale Organisation gezwungen wird, sich in Bezug auf Beschäftigungsbedingungen, die nach innerstaatlichem Arbeitsrecht vorgeschrieben sind, einem nationalen Gerichtsverfahren zu unterwerfen. Eine Auslegung von Artikel 6 Abs. 1 der Konvention und der darin enthaltenen Garantie des Zugangs zu einem Gericht dahingehend, dass die Anwendung innerstaatlicher Vorschriften in solchen Angelegenheiten zwingend erforderlich wäre, würde nach Auffassung des Gerichtshofs die Funktionsfähigkeit internationaler Organisationen beeinträchtigen und dem gegenwärtigen Trend zur Ausweitung und Verstärkung der internationalen Zusammenarbeit zuwiderlaufen (siehe W. und K., a. a. O., Rdnr. 72; und B. und R., a. a. O., Rdnr. 62).

73. Es war daher vernünftig, dem Beschwerdeführer hinsichtlich seiner dienstrechtlichen Streitigkeit mit dem Europäischen Patentamt eine Entscheidung nach den Vorschriften vorzuschlagen, die auf ihn anwendbar gewesen wären, wenn er ein Bediensteter dieser Organisation geworden wäre (nicht aber, ihm eine im Vergleich zu diesen Bediensteten vorteilhaftere Behandlung anzubieten). Ferner stellt der Gerichtshof in diesemZusammenhang fest, dass sich der Beschwerdeführer selbst u. a. auf eine Antidiskriminierungsvorschriftdes Beamtenstatuts (Artikel 4 Abs. 3) stützte und unstreitig war, dass das IAO-Verwaltungsgericht in seiner Rechtsprechung erklärt hatte, die Grundrechte – die das Recht beinhalteten, nicht wegen einer Behinderung diskriminiert zu werden – zu schützen.

74. Darüber hinaus führte nach Auffassung des Gerichtshofs die Tatsache allein, dass die mündliche Verhandlung vor dem Schiedsgericht – in der sich die Parteien hätten anwaltlich vertreten lassen können – nicht öffentlich sein sollte, nicht dazu, dass das angebotene Schiedsverfahren keine vernünftige Alternative zu einem Verfahren vor den innerstaatlichen Gerichten mehr darstellte. Er verweist insoweit sinngemäß auf seine Feststellungen in der Sache Gasparini (a. a. O.), in der er die Auffassung vertreten hat, dass die Nichtöffentlichkeit einer Verhandlung vor einem internationalen Organ einer internationalen Organisation in arbeitsrechtlichen Streitigkeiten nicht dazu führt, dass das Verfahren vor diesem Organ offensichtlich mangelhaft im Sinne der Konvention ist.

75. Schließlich stellt der Gerichtshof fest, dass es im Völkerrecht gegenwärtig einen Trend zur Lockerung des Grundsatzes der Staatenimmunität gibt, was dienstrechtliche Streitigkeiten zwischen Staaten und ihren Bediensteten, insbesondere ihrer diplomatischen Missionen im Ausland angeht (siehe insbesondere Cudak, a. a. O., Rdnr. 63; und Sabeh El Leil, a. a. O., Rdnr. 53). Ein solcher Trend im Völkerrecht in Bezug auf die Immunität von der Gerichtsbarkeit fürinternationale Organisationen ist dem Gerichtshof jedoch, anders als mit Blick aufStaaten, nicht bekannt. Darüber hinaus stellt er fest, dass Fragen im Zusammenhang mit der Einstellung einer Person jedenfalls nicht von diesem Trend in Bezug auf die Staatenimmunität erfasst sind (siehe insbesondere, Fogarty, a. a. O., Rdnr. 38; Cudak, a. a. O., Rdnr. 63; und Sabeh El Leil, a. a. O., Rdnr. 18 ff.)

76. Im Hinblick auf die vorstehenden Ausführungen ist der Gerichtshof der Auffassung, dass dem Beschwerdeführer aufgrund der Tatsache, dass ihm das Schiedsverfahren angeboten wurde, vernünftige Alternativen zur Verfügung standen, um seine Konventionsrechte wirksam zu schützen. Daher waren die Einschränkungen des Zugangs des Beschwerdeführers zu den deutschen Gerichten in Bezug auf die rechtmäßigen Ziele, die mit der Gewährung von Immunität von der Gerichtsbarkeit an die EPO verfolgt wurden, verhältnismäßig, und das Recht des Beschwerdeführers auf Zugang zu einem Gericht nach Artikel 6 Abs. 1 wurde im Kern nicht beeinträchtigt.

77. Daraus folgt, dass dieser Teil der Beschwerde nach Artikel 35 Abs. 3 Buchstabe a und Abs. 4 der Konvention als offensichtlich unbegründet zurückzuweisen ist.

B. Behauptete Verletzung von Artikel 6 in dem Verfahren vor den Organen des Europäischen Patentamts und dem Verwaltungsgericht der IAO

78. Soweit der Beschwerdeführer den fehlenden Zugang zu den Organen des Europäischen Patentamts und zum Verwaltungsgericht der IAO sowie die Unfairness der Verfahren vor diesen Institutionen rügt, hat der Gerichtshof zunächst zu prüfen, ob der Beschwerdeführer insoweit unter die Zuständigkeit des beschwerdegegnerischen Staates fiel (Artikel 1 der Konvention).

1. Gerichtsbarkeit aufgrund des Sitzes und der Räumlichkeiten der EPO auf deutschem Hoheitsgebiet

79. Die Regierung bestritt die Auffassung des Beschwerdeführers, wonach Deutschland in Bezug auf die in Rede stehende Handlung des Europäischen Patentamts zuständig sei, weil die Nichteinstellungsentscheidung des Patentamts auf dem Gelände der EPO in München und somit auf deutschem Hoheitsgebiet erfolgt sei.

80. Der Gerichtshof erkennt an, dass sich eine Haftung nach der Konvention normalerweise in Bezug auf eine Einzelperson, die der Hoheitsgewalt eines Vertragsstaats untersteht, ergibt, und zwar in dem Sinne, dass sie in dessen Hoheitsgebiet physisch anwesend ist. In der Rechtsprechung des Gerichtshofs sind jedoch Ausnahmen anerkannt worden. Der Gerichtshof hat insbesondere anerkannt, dass, wenn Staaten internationale Organisationen gründen, um auf bestimmten Tätigkeitsfeldern zusammenzuarbeiten oder ihre Zusammenarbeit zu stärken, und wenn sie diesen Organisationen bestimmte Kompetenzen übertragen und ihnen Immunitäten gewähren, dies Konsequenzen für den Grundrechtsschutz haben kann (siehe W. und K., a. a. O., Rdnr. 67; Galić ./. Niederlande (Entsch.), Individualbeschwerde Nr. 22617/07, Rdnr. 43, 9. Juni 2009; und Blagojević ./. Niederlande (Entsch.) Individualbeschwerde Nr. 49032/07, Rdnr. 43, 9. Juni 2009). Insbesondere ist nach Ansicht des Gerichtshofs die alleinige Tatsache, dass eine internationale Organisation oder ein internationales Gericht ihren/seinen Sitz oder Räumlichkeiten im Hoheitsgebiet des beschwerdegegnerischen Staats hat, kein hinreichender Grund dafür, die gerügten Angelegenheiten dem betreffenden Staat zuzurechnen (vgl. Galić, a. a. O., Rdnr. 46; Blagojević, a. a. O., Rdnr. 46; und Lopez Cifuentes, a. a. O., Rdnr. 25).

81. Folglich hat die Tatsache allein, dass die angefochtene Entscheidung des Europäischen Patentamts auf deutschem Hoheitsgebiet am Sitz des Amts getroffen wurde, nicht zur Folge, dass diese Handlung der Hoheitsgewalt Deutschlands im Sinne von Artikel 1 der Konvention untersteht.

2. Zuständigkeit aufgrund eines Eingriffs seitens Deutschlands in die dienstrechtliche Auseinandersetzung vor den Organen des Europäischen Patentamts und dem Verwaltungsgerichts der IAO oder aufgrund einer sonstigen Handlung oder Unterlassung, die die Verantwortlichkeit Deutschlands ausgelöst hat

(a) Die Stellungnahmen der Parteien

(i) Die Regierung

82. Die Regierung trug vor, dass die Beschwerde ratione personae mit den Bestimmungen der Konvention unvereinbar sei, weil Deutschland nicht für die Handlungen der EPO oder des IAO-Verwaltungsgerichts verantwortlich gemacht werden könne. Die Handlungen des Europäischen Patentamts, eines Organs der Europäischen Patentorganisation, könnten in der vorliegenden Rechtssache nicht Deutschland zugerechnet werden. Die EPO sei eine unabhängige Organisation mit eigener Rechtspersönlichkeit und falle nicht in die Hoheitsgewalt Deutschlands. Die Handlungen im Kontext der in Rede stehenden dienstrechtlichen Auseinandersetzung hätten keinerlei Auswirkungen auf in der deutschen Rechtsordnung begründete Rechtspositionen des Beschwerdeführers.

83. Deutschland habe sich ferner weder direkt – z.B. durch eine Beteiligung an dem Verfahren vor den besagten Institutionen – noch indirekt, zum Beispiel durch das Ergreifen von Maßnahmen zur Umsetzung der Entscheidung der Organisation oder des Gerichts, an der Auseinandersetzung zwischen dem Beschwerdeführer und der internationalen Organisation beteiligt.

84. Eine Verantwortlichkeit Deutschlands für die gerügte Handlung unter dem Gesichtspunkt der generellen Unzulänglichkeit des Schutzes der Konventionsrechte innerhalb der Europäischen Patentorganisation sei ebenfalls nicht gegeben. Zum einen habe die gerügte Handlung, betreffend die Nichteinstellung einer Person als Bediensteter, rein organisationsintern gewirkt und habe keinerlei Auswirkungen auf die deutsche Rechtsordnung gehabt. Die Handlung sei daher insoweit nicht Deutschland zuzurechnen.

85. Darüber hinaus seien die Voraussetzungen, unter denen der Gerichtshof eine indirekte Verantwortlichkeit von Mitgliedsstaaten für Handlungen internationaler Organisationen bejahe, nicht erfüllt. Das Rechtsschutzsystem der EPO für interne dienstrechtliche Streitigkeiten gewährleiste einen der Konvention gleichwertigen Schutz. Insbesondere werde durch den Umstand, dass Bewerber von diesem Überprüfungsverfahren ausgeschlossen seien, kein offensichtlicher unzulänglicher Schutz der Konventionsrechte im Sinne der Rechtsprechung des Gerichtshofs offenbart, wie sie beispielsweise in den Rechtssachen W. und K. (a. a. O., Rdnr. 69) entwickelt worden sei. Die Rechtsschutzgarantie der Konvention finde auch auf Bewerber für den öffentlichen Dienst keine Anwendung, selbst nach dem Urteil des Gerichtshofs im Fall Vilho Eskelinen (a. a. O.). Dem Beschwerdeführer in der vorliegenden Rechtssache hätten zudem vernünftige Alternativen zur Verfügung gestanden, um seine Konventionsrechte wirksam zu schützen. Die EPO habe dem Beschwerdeführer die Durchführung eines Schiedsverfahrens angeboten, er habe jedoch die entsprechenden Verhandlungen ohne Angabe von Gründen abgebrochen.

86. Ferner hätten nach Artikel 13 Abs. 1 des Europäischen Patentübereinkommens (siehe Rdnr. 37) Bedienstete und ehemalige Bedienstete nach Maßgabe der Bedingungen des Beamtenstatuts das Recht, in Streitsachen zwischen ihnen und der EPO das Verwaltungsgericht der IAO anzurufen. Vor Anrufung des IAO-Verwaltungsgerichts sei der Beschwerdeweg der Artikel 106 ff. des Beamtenstatuts einzuschlagen (siehe Artikel 13 Abs. 2 des Europäischen Patentübereinkommens). Der zuständige Beschwerdeausschuss sei nicht zur selbständigen Entscheidung der ihm vorgelegten Beschwerden, sondern lediglich zur Abgabe von Empfehlungen an den Präsidenten des Patentamtes berufen (Artikel 109 Abs. 1 des Beamtenstatuts, siehe Rdnr. 36). Es sei jedoch im Sinne von Artikel 6 der Konvention ausreichend, dass das Verwaltungsgericht der IAO den Anforderungen eines unabhängigen Gerichts entspreche.Überdies berücksichtige dieses Gericht in seinen Urteilen die Grundrechte. Ein Grundrechtskatalog sei hierfür nicht unverzichtbar.

(ii) Der Beschwerdeführer

87. Der Beschwerdeführer trug vor, Deutschland habe die Befugnis gehabt, in das Verfahren des Europäischen Patentamts einzugreifen, in dem die von der EPO geltend gemachten Immunitäten für die Funktionsfähigkeit des Europäischen Patentamts nicht erforderlich gewesen seien. Die Immunität, die der EPO nach dem Protokoll über Vorrechte und Immunitäten der Europäischen Patentorganisation und dem Sitzabkommen zwischen der Bundesregierung und der EPO gewährt werde, sei nicht absoluter, sondern funktioneller Art. In der vorliegenden Rechtssache könne auf die Immunität der EPO verzichtet werden, ohne ihre legitimen Interessen zu beeinträchtigen.

88. Der Beschwerdeführer brachte ferner vor, dass Deutschland nach der Konvention für die Handlungen der EPO verantwortlich bleibe, selbst nachdem es Hoheitsbefugnisse an sie übertragen habe. Er berief sich insoweit u. a. auf die Urteile des Gerichtshofs in den Rechtssachen Matthews (Matthews ./. Vereinigtes Königreich [GK], Individualbeschwerde Nr. 24833/94, ECHR 1999‑I) und Bosphorus (Bosphorus Hava Yolları Turizm ve Ticaret Anonim Şirketi ./. Irland [GK], Individualbeschwerde Nr. 45036/98, ECHR 2005‑VI). Deutschland sei für die Handlungen des Europäischen Patentamts verantwortlich zu machen, denn dieses habe keinen Menschenrechtsschutz gewährleistet, der dem der Konvention mindestens gleichwertig sei, und zwar sowohl im Hinblick auf die materiellen Gewährleistungen als auch im Hinblick auf die Mechanismen zur Überwachung ihrer Einhaltung.

89. Zum einen habe er keinerlei Zugang zu einem Gericht gehabt. Zum anderen gebe es innerhalb des Europäischen Patentamts keine interne Rechtsordnung, auf die er sich hätte berufen können, und dieMenschenrechtsschutz biete und klar umreiße. Das Verwaltungsgericht der IAO, das die Vorschriften der internen Rechtsordnung der EPO anwende, verfüge daher über keinen Grundrechtsbestand, den es anwenden könnte. Die Mitgliedstaaten des Europäischen Patentübereinkommens, darunter auch Deutschland, seien für dieses Fehlen eines eindeutigen Bestands an Rechtsvorschriften im Bereich der Menschenrechte verantwortlich zu machen.Sie hätten daher nicht sichergestellt, dass das Europäische Patentamt einen Schutz der Menschenrechte gewähre, der dem durch die Konvention garantierten Schutzniveau gleichwertig sei.

90. Der Beschwerdeführer machte ferner geltend, dass die in Rede stehende Handlung eine Diskriminierung behinderter Menschen darstelle. Die bestehenden deutschen Rechtsvorschriften zum Schutz von behinderten Menschen sollten Anwendung finden, weil diese Bestimmungen nicht aufgrund der Vorrechte und funktionellen Immunitäten der EPO ausgeschlossen seien.

(b) Würdigung durch den Gerichtshof

91. Der Gerichtshof stellt fest, dass die vorliegende Beschwerde auf eine dienstrechtliche Streitigkeit zwischen dem Beschwerdeführer und einer internationalen Organisation zurück geht, zu er es im Anschluss an eine Nichteinstellungsentscheidung des Europäischen Patentamts kam, die der Beschwerdeführer insbesondere beim Europäischen Patentamt und vor dem Verwaltungsgericht der IAO anfocht.

(i) Zusammenfassung der einschlägigen Grundsätze

92. Der Gerichtshof erinnert daran, dass er jüngst in einer Reihe von Individualbeschwerden Entscheidungen erlassen hat, bei denen die angefochtene Entscheidung von einem internationalen Organ einer internationalen Organisation oder einem internationalen Gericht außerhalb der Gerichtsbarkeit des beschwerdegegnerischen Staates stammte und im Zusammenhang mit einer dienstrechtlichen Streitigkeit stand, die vollständig innerhalb der internen Rechtsordnung einer internationalen Organisation, die eine von ihrem Mitgliedstaat unabhängige Rechtspersönlichkeit hatte, angesiedelt war. Ob die beschwerdegegnerischen Staaten in diesen Fällen nach der Konvention verantwortlich gemacht werden konnten, hing entscheidend davon ab, ob die betreffenden Staaten direkt oder indirekt in den Streit eingegriffen hatten und ob davon ausgegangen werden konnte, dass eine Handlung oder Unterlassung dieser Staaten oder ihrer Behörden ihre Verantwortlichkeit nach der Konvention auslöste. War dies nicht der Fall, ging der Gerichtshof davon aus, dass die Beschwerdeführer nicht „der Hoheitsgewalt“ der betreffenden Staaten im Sinne von Artikel 1 der Konvention unterstanden, und erklärte die Beschwerden daher insoweit für ratione personae mit den Bestimmungen der Konvention unvereinbar (siehe, u. a. Boivin ./. 34 Mitgliedsstaaten des Europarats (Entsch.), Individualbeschwerde Nr. 73250/01, ECHR 2008; Connolly ./. 15 Mitgliedsstaaten der Europäischen Union (Entsch.), Individualbeschwerde Nr. 73274/01, 9. Dezember 2008; Beygo ./. 46 Mitgliedstaaten des Europarats (Entsch.), Individualbeschwerde Nr. 36099/06, 16. Juni 2009; Lopez Cifuentes, a. a. O., Rdnrn. 27-30; siehe auch sinngemäß Etablissements Biret et Cie S.A. und Biret International ./. 15 Mitgliedstaaten der Europäischen Union (Entsch.), Individualbeschwerde Nr. 13762/04, 9. Dezember 2008; siehe auch die Verweise auf diese Rechtsprechung in Gasparini ./. Italien und Belgien (Entsch.), Individualbeschwerde Nr. 10750/03, 12. Mai 2009, und R. ./. Deutschland (Entsch.), Individualbeschwerde Nr. 40382/04, 16. Juni 2009, in denen der Gerichtshof die entsprechenden Beschwerden aus weiteren, zusätzlichen Gründen für offensichtlich unbegründet befand).

93. Der Gerichtshof stellte in diesem Zusammenhang klar, dass die beschwerdegegnerischen Staaten im Sinne der vorgenannten Rechtsprechung insbesondere dann direkt oder indirekt an dem in Rede stehenden Streit beteiligt waren, wenn staatliche Behörden Rechtsvorschriften einer internationalen Organisation gegen einen Beschwerdeführer anwendeten oder durchsetzten (siehe z. B.Matthews ./. Vereinigtes Königreich [GK], Individualbeschwerde Nr. 24833/94, ECHR 1999‑I; und Bosphorus Hava Yolları Turizm ve Ticaret Anonim Şirketi ./. Irland [GK], Individualbeschwerde Nr. 45036/98, ECHR 2005‑VI).

94. Der Gerichtshof weist ferner erneut darauf hin, dass er in seinen neueren Entscheidungen zur Frage der Gerichtsbarkeit der Vertragsstaaten im Hinblick auf Handlungen internationaler Organisationen und Gerichten in dienstrechtlichen Streitigkeiten dieser Organisationen mit ihren Bediensteten die Rügen der Beschwerdeführer insoweit auch im Lichte der Grundsätze geprüft hat, die in Fällen aufgestellt wurden, in denen er über die Frage zu entscheiden hatte, ob die Konventionsstaaten nach der Konvention für Handlungen oder Unterlassungen verantwortlich gemacht werden können, die sich aus ihrer Mitgliedschaft in einer internationalen Organisation ergeben. Diese Grundsätze wurden insbesondere im Fall Bosphorus (Bosphorus Hava Yolları Turizm ve Ticaret Anonim Şirketi, a. a. O.) erneut aufgegriffen und entwickelt (siehe u. a. Boivin, a. a. O.; Connolly, a. a. O.; R., a. a. O.; Beygo, a. a. O.; und Lopez Cifuentes, a. a. O., Rdnr. 24).

95. In der Rechtssache Bosphorus stellte der Gerichtshof fest, dass die Konvention einer Vertragspartei zwar nicht verbietet, Hoheitsbefugnisse an eine internationale Organisation zu übertragen, um auf bestimmten Tätigkeitsfeldern zusammenzuarbeiten, diese Vertragspartei aber nach Artikel 1 der Konvention für alle Handlungen und Unterlassungen ihrer eigenen Organe verantwortlich bleibt (ebda., Rdnrn. 152-153). Wenn diese staatlichen Handlungen jedoch in Übereinstimmung mit völkerrechtlichen Verpflichtungen erfolgten, die sich aus der Mitgliedschaft in einer internationalen Organisation ergeben, und wenn die entsprechende Organisation Grundrechte in einer Art und Weise schützte, die zumindest als gleichwertig mit dem durch die Konvention gewährleisteten Schutz angesehen werden kann, so begründete dies die Annahme, dass der Staat von den Erfordernissen der Konvention nicht abgewichen war. Diese Annahme konnte widerlegt werden, wenn angesichts der Umstände des konkreten Falls festgestellt wurde, dass der Schutz der Konventionsrechte offensichtlich mangelhaft war. In einem solchen Fall wurde das Interesse an der internationalen Zusammenarbeit von der Rolle der Konvention als „Verfassungsinstrument der europäischen öffentlichen Ordnung“ auf dem Gebiet der Menschenrechte überwogen (ebda., Rdnrn. 155-156; siehe auch Cooperatieve Producentenorganisatie van de Nederlandse Kokkelvisserij U.A. ./. Niederlande (Entsch.), Individualbeschwerde Nr. 13645/05, ECHR 2009; und R., a. a. O.).

96. Der Gerichtshof prüfte im Anschluss daran Rügen bezüglich Handlungen internationaler Organisationen und Gerichte in dienstrechtlichen Streitigkeiten im Lichte seiner Rechtsprechung zur Frage der Verantwortlichkeit von Staaten im Fall Bosphorus (a. a. O.), insbesondere im Fall Gasparini (a. a. O.). Der Fall Gasparini unterschied sich vom Fall Bosphorus. Im Fall Bosphorus ging es um eine Handlung, die vom beschwerdegegnerischen Staat selbst vorgenommen wurde (Beschlagnahme eines Flugzeugs), um rechtliche Bestimmungen internationaler Organisationen umzusetzen (ebda., Rdnrn. 19 ff.). Der Fall Gasparini (a. a. O.) betraf die Frage der Vereinbarkeit mit der Konvention von internen Verfahren zu dienstrechtlichen Streitigkeiten innerhalb einer internationalen Organisation, wenn der beschwerdegegnerische Staat in das Verfahren als solches nicht eingegriffen hat.

97. Im Fall Gasparini (a. a. O.) leitete der Gerichtshof aus den im Fall Bosphorus entwickelten Grundsätzen ab, dass, wenn Konventionsstaaten einen Teil ihrer Hoheitsrechte an eine internationale Organisation übertragen, zu deren Mitglieder sie gehören, sie verpflichtet sind zu überwachen, dass die durch die Konvention garantierten Rechte innerhalb dieser Organisation einen Schutz genießen, der dem durch das Konventionssystem gewährleisteten Schutz „gleichwertig“ ist. In der Tat könnte die Verantwortlichkeit einer Vertragspartei nach der Konvention ausgelöst werden, wenn sich im Nachhinein herausstellt, dass der von der betreffenden internationalen Organisation gebotene Grundrechtsschutz offensichtlich „mangelhaft ist“ (siehe Bosphorus, a. a. O.). Umgekehrt ist einer Vertragspartei ein behaupteter Verstoß gegen die Konvention aufgrund einer Entscheidung oder Maßnahme eines Organs einer internationalen Organisation, zu deren Mitgliedern sie gehört, nicht zuzurechnen, wenn nicht festgestellt oder auch nur behauptet wurde, dass der Grundrechtsschutz, den die besagte internationale Organisation im Allgemeinen bietet, dem durch die Konvention gewährleisteten Schutz nicht gleichwertig ist, und wenn der betreffende Staat weder direkt noch indirekt in die Durchführung der gerügten Handlung eingegriffen hat (siehe Boivin, a. a. O.).

(ii) Anwendung dieser Grundsätze auf die vorliegende Rechtssache

98. In der vorliegenden Rechtssache stellt der Gerichtshof fest, dass, soweit die Handlungen und Verfahren der Organe des Europäischen Patentamts und des Verwaltungsgerichts der IAO als solche in Rede stehen, die deutschen Behörden weder direkt noch indirekt in die Verfahren vor diesen Organen eingegriffen haben. Insbesondere haben sie keine Maßnahmen ergriffen, um Entscheidungen dieser Organe umzusetzen oder durchzusetzen.

99. Im Hinblick auf die Mitgliedschaft Deutschlands in der EPO und die im Fall Gasparini entwickelten Grundsätze (siehe Rdnr. 97) hat der Gerichtshof auch die Behauptung des Beschwerdeführers in der vorliegenden Rechtssache zur Kenntnis genommen, dass der interne Mechanismus der EPO zur Schlichtung dienstrechtlicher Streitigkeiten, einschließlich der Inanspruchnahme des IAO-Gerichts, keinen Grundrechtsschutz geboten habe, der dem durch die Konvention gewährleisteten Schutzniveau gleichwertig sei. Der Gerichtshof stellt fest, dass der Beschwerdeführer zwar geltend machte, dass es dem internen Mechanismus der EPO zur Beilegung dienstrechtlicher Streitigkeiten generell an einem gleichwertigen Grundrechtsschutz mangele, er seinen Vortrag aber nur auf zwei spezifische Gründe stützte. Zum einen trug er vor, dass der Zugang zu einem Gericht für diejenigen ausgeschlossen sei, denen eine Einstellung verweigert worden sei. Wie jedoch bereits dargelegt worden ist (siehe Rdnrn. 48-51), verlangt die Konvention selbst nicht unter allen Umständen den vollständigen Zugang zu einem Gericht in Bezug auf Rügen, die die Nichteinstellung einer Person in den öffentlichen Dienst betreffen.

100. Der Beschwerdeführer brachte ferner vor, dass es innerhalb der EPO keinen internen Bestand an Rechtsvorschriften im Bereich der Menschenrechte gebe. Wie sich jedoch aus den Feststellungen des Gerichtshofs in seinem Urteil im Fall Bosphorus (a. a. O., Rdnrn. 159-165) ergibt, rechtfertigt die Tatsache, dass eine internationale Organisation nicht über einen verbindlichen, geschriebenen Grundrechtskatalog verfügt, an sich nicht die Schlussfolgerung, dass es ihr an einem dem Konventionssystem gleichwertigen Grundrechtsschutz mangelt, solange die betreffende Organisation diese Rechte in der Praxis wirksam schützt. Der Gerichtshof verweist insoweit auf seine bereits getroffene Feststellung (Rdnr. 73), dass unstreitig war, dass das Verwaltungsgericht der IAO in seiner Rechtsprechung erklärt hatte, die Grundrechte – die ein Recht beinhalteten, nicht wegen einer Behinderung diskriminiert zu werden – zu schützen. Überdies hat der Gerichtshof bereits befunden, dass die Tatsache allein, dass die mündliche Verhandlung vor dem IAO-Gericht nicht öffentlich sein sollte, an dieser Feststellung nichts ändern kann (vgl. Gasparini, a. a. O.).

101. Der Gerichtshof sieht daher im Lichte der von dem Beschwerdeführer vorgetragenen Gesichtspunkte keinen Grund zu der Annahme, dass die durch die Konvention garantierten Rechte innerhalb der EPO generell keinen dem Konventionssystem „gleichwertigen Schutz“ genießen, seit Deutschland der EPO seine Hoheitsrechte übertragen hat. Folglich wird die Verantwortlichkeit Deutschlands nach der Konvention nur ausgelöst, wenn der von der EPO gebotene Grundrechtsschutz in der vorliegenden Rechtssache „offensichtlich mangelhaft“ ist (vgl. sinngemäß Bosphorus, a. a. O., Rdnr. 156). Der Gerichtshof hat daher zu prüfen, ob die Tatsache, dass einem Stellenbewerber der Zugang zu den Verfahren zur Überprüfung der Nichteinstellungsentscheidung des Europäischen Patentamts, die beim Europäischen Patentamt selbst und vor dem IAO-Verwaltungsgericht zur Verfügung stehen, verweigert wird – was in der vorliegenden Rechtssache in Rede steht – einen offensichtlichen Mangel beim Schutz der Menschenrechte innerhalb der EPO offenbart.

102. Der Gerichtshof erinnert daran, dass im Fall des Beschwerdeführers der interne Mechanismus zur Beilegung dienstrechtlicher Streitigkeiten in Bezug auf Stellenbewerber nachweislich folgendermaßen funktionierte: Die interne Beschwerde des Beschwerdeführers nach dem Beamtenstatut des Europäischen Patentamts wurde mit der Begründung als unzulässig verworfen, dass er nicht befugt sei, eine solche Beschwerde zu einzulegen. Eine derartige Beschwerde stehe nur (ehemaligen) Bediensteten des Europäischen Patentamts – im Unterschied zu Stellenbewerbern – zu (siehe Rdnrn. 10 und 36). Ebenso wurde die Beschwerde, die der Beschwerdeführer vor dem IAO-Verwaltungsgericht erhob, unter Verweis auf die gefestigte Rechtsprechung dieses Gerichts mit der Begründung als unzulässig zurückgewiesen, dass es für externe Stellenbewerber nicht zuständig sei (siehe Rdnrn. 19 und 38). Daher wurde die von dem Beschwerdeführer erhobene Beschwerde bezüglich seiner diskriminierenden Behandlung im Einstellungsverfahren beim Europäischen Patentamt in keinem der innerhalb der EPO oder von der EPO eingerichteten Überprüfungsverfahren in der Sache geprüft.

103. Der Gerichtshof stellt jedoch fest, dass, wie die Regierung zutreffend ausgeführt hat, nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs die Konvention selbst Einschränkungen des Zugangs zu einem Gericht in Bezug auf Maßnahmen zulässt, die die Einstellung eines Bewerbers in den öffentlichen Dienst betreffen. Wie bereits dargelegt, werden insoweit bereits Fragen hinsichtlich der Anwendbarkeit von Artikel 6 aufgeworfen (siehe im Einzelnen Rdnrn. 48-52).

104. Im Hinblick auf die Vereinbarkeit mit Artikel 6 der Konvention von Einschränkungen des Zugangs zu einem Gericht in dienstrechtlichen Streitigkeiten zwischen Bewerbern und internationalen Organisationen erinnert der Gerichtshof in jedem Fall daran, dass nach seiner ständigen Rechtsprechung zum Zugang zu den innerstaatlichen Gerichten der Konventionsstaaten Einschränkungen des Rechts auf Zugang zu einem Gericht durch die Gewährung von Immunität von der Gerichtsbarkeit an diese Organisationen dem Ziel angemessen sind, die internationale Zusammenarbeit zu stärken, insbesondere wenn den betreffenden Personen alternative Mittel zur Verfügung standen, um ihre Konventionsrechte wirksam zu schützen (siehe insbesondere W. und K., a. a. O., Rdnrn. 50 ff. und Rdnr. 64).

105. Der Gerichtshof verweist auf seine bereits getroffene Feststellung, dass die Einschränkungen des Zugangs des Beschwerdeführers zu den deutschen Gerichten in Bezug auf die rechtmäßigen Ziele, die mit der Gewährung von Immunität von der Gerichtsbarkeit an die EPO verfolgt wurden, verhältnismäßig waren, und dass das Recht des Beschwerdeführers auf Zugang zu einem Gericht nach Artikel 6 Abs. 1 im Kern nicht beeinträchtigt wurde. Diese Feststellung wurde insbesondere auf die Tatsache gestützt, dass das von der EPO angebotene Schiedsverfahren dem Beschwerdeführer eine vernünftige Alternative bot, um seine Beschwerde bezüglich der Entscheidung des Europäischen Patentamts in der Sache prüfen zu lassen (siehe Rdnrn. 68-74).

106. Die Tatsache, dass dem Beschwerdeführer im Hinblick auf die Nichteinstellungsentscheidung des Präsidenten des Europäischen Patentamts der Zugang zu den Überprüfungsverfahren der EPO, einer internationalen Organisation mit eigener Rechtspersönlichkeit, die nicht Vertragspartei der Konvention ist, verweigert wurde, ihm von der EPO aber ein Schiedsverfahren angeboten wurde, um die gerügte Handlung des Europäischen Patentamts überprüfen zu lassen, offenbart deshalb nach Ansicht des Gerichtshofs erst recht keinen offensichtlich mangelhaften Grundrechtsschutz innerhalb der EPO.

107. Folglich ist dieser Teil der Beschwerde offensichtlich unbegründet im Sinne von Artikel 35 Abs. 3 Buchst. a der Konvention und nach Artikel 35 Abs. 4 der Konvention zurückzuweisen.

Aus diesen Gründen entscheidet der Gerichtshof mit Stimmenmehrheit:

Die Individualbeschwerde wird für unzulässig erklärt.

Ausgefertigt in Englisch und schriftlich zugestellt am 29. Januar 2015.

Claudia Westerdiek                                         Mark Villiger
Kanzlerin                                                           Präsident

Zuletzt aktualisiert am Januar 3, 2021 von eurogesetze

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