LAMBRICH gegen Deutschland (Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte) Beschwerde Nr. 15928/14

Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte
FÜNFTE SEKTION
ENTSCHEIDUNG
Beschwerde Nr. 15928/14
L.
gegen Deutschland

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (Fünfte Sektion), der am 2. Juni 2015 als Komitee zusammengetreten ist, das sich aus folgenden Richtern und Richterinnen zusammensetzt:

Boštjan M. Zupančič, Präsident,
Angelika Nußberger,
Vincent A. de Gaetano,

und Milan Blaško, stellvertretender Kanzler der Sektion,

aufgrund der vorerwähnten Beschwerde, die am 28. Januar 2014 erhoben worden ist,

aufgrund der Entscheidung des Gerichtshofs vom 27. März 2014, mit der die Individualbeschwerde gemäß Artikel 27 der Konvention für unzulässig erklärt worden ist, und aufgrund seiner Entscheidung, das Verfahren wieder zu eröffnen,

hat nach Beratung die folgende Entscheidung erlassen:

SACHVERHALT

1. Der 19.. geborene Beschwerdeführer L. ist deutscher Staatsangehöriger und in K. wohnhaft.

A. Die Umstände des vorliegenden Falles

2. Im März 2001 erlitt der Beschwerdeführer einen Autounfall. Mit Urteil vom 18. Februar 2005 verurteilte das Amtsgericht Koblenz die private Einzelunfallversicherung des Beschwerdeführers, ihm eine Entschädigung zu zahlen, die auf der Grundlage eines Grads der Erwerbsunfähigkeit von 30% bemessen wurde.

3. Am 14. September 2007 beantragte der Beschwerdeführer bei den Sozialbehörden, den Grad der Erwerbsunfähigkeit auf 30% festzusetzen. Am 17. Oktober 2007 setzten die Sozialbehörden den Grad der Erwerbsunfähigkeit auf 20% fest. Der Widerspruch des Beschwerdeführers war nicht erfolgreich.

4. Der Beschwerdeführer erhob am 13. Februar 2008 vor dem Sozialgericht Klage gegen die Verwaltungsentscheidungen. Das Sozialgericht ordnete von Amts wegen ein Sachverständigengutachten an. Der Sachverständige setzte den Grad der Erwerbsunfähigkeit auf 20% fest. Auf Antrag des Beschwerdeführers und gemäß § 109 des Sozialgerichtsgesetzes (siehe „Einschlägiges innerstaatliche Recht“ Randnummer 16 unten) bestellte das Sozialgericht einen zweiten Gutachter, der den Grad der Erwerbsunfähigkeit letztlich auf 30% festsetzte.

5. Nach einer mündlichen Verhandlung wies das Sozialgericht Koblenz die Klage des Beschwerdeführers mit Urteil vom 23. Februar 2010 ab. Es berücksichtigte die beiden Sachverständigengutachten, die im Lauf des vor ihm anhängigen Verfahrens erstellt wurden, die Stellungnahme des von den Sozialbehörden bestellten Arztes und die Stellungnahmen des behandelnden Arztes und der Physiotherapeutin des Beschwerdeführers.

6. Der Beschwerdeführer legte Berufung ein. Das Landessozialgericht Rheinland-Pfalz ordnete gemäß § 109 des Sozialgerichtsgesetzes die Einholung eines weiteren Sachverständigengutachtens entsprechend dem Antrag des Beschwerdeführers an. Nachdem bei den Sozialbehörden die Anmerkungen eines von ihnen bestellten Arztes zu diesem Gutachten eingegangen waren, billigten sie dem Beschwerdeführer mit Wirkung von April 2011 einen Erwerbsunfähigkeitsgrad von 30% zu und die Sache wurde im Hinblick auf den Zeitraum ab diesem Datum für erledigt erklärt.

7. Nach einer mündlichen Verhandlung wies das Landessozialgericht die Berufung des Beschwerdeführers mit Urteil vom 14. Februar 2012 zurück. Es war der Auffassung, dass angesichts der Sachverständigengutachten, die im Lauf des vor ihm und dem Sozialgericht anhängigen Verfahrens erstellt wurden, nicht erwiesen war, dass vor April 2011 eine Erwerbsunfähigkeit von 30% vorlag. Die Revision zum Bundessozialgericht wurde nicht zugelassen. Das Urteil war mit einer Belehrung hinsichtlich der Möglichkeit versehen, vor dem Bundessozialgericht hiergegen Nichtzulassungsbeschwerde einzulegen.

8. Am 10. Juli 2012 übermittelte der Rechtsanwalt des Beschwerdeführers diesem eine Kopie des Urteils mit dem Hinweis darauf, dass er die Entscheidung über die Nichtzulassung der Revision nicht anfechten wolle, weil eine solche Beschwerde keine hinreichenden Erfolgsaussichten habe.

9. Am 18. Juli 2012 wandte sich der Beschwerdeführer mit einer Gegenvorstellung an das Landessozialgericht und rügte die Dauer des Verfahrens. Er lehnte ebenfalls die drei Berufsrichter und die beiden ehrenamtlichen Richter des Landessozialgerichts ab. In diesem Zusammenhang beschwerte er sich insbesondere darüber, dass die Richter ihm seine Rechte als Verfahrenspartei vorenthalten, seine Argumente nicht berücksichtigt und darauf nicht reagiert hätten, dass sie den Sachverhalt nicht geklärt, sondern nach ihrem Gutdünken konstruiert und auch die Sachverständigengutachten nicht ordnungsgemäß gewürdigt hätten, dass sie Recht und Gesetz missachtet und vorsätzlich eine Entscheidung zu seinen Lasten getroffen und ihn nicht benachrichtigt hätten, bevor sie ihr willkürliches Urteil fällten. Er rügte außerdem, dass das Urteil falsche Daten bezüglich der von ihm eingelegten Berufung und den Tag der ärztlichen Untersuchung bei einem der bestellten Sachverständigen aufwies.

10. Mit Entscheidung vom 4. Februar 2013 wies das Landessozialgericht in derselben Zusammensetzung wie beim Urteil vom 14. Februar 2012, jedoch ohne die ehrenamtlichen Richter, den Befangenheitsantrag als unzulässig ab. Es stellte zunächst klar, die abgelehnten Richter könnten über den Befangenheitsantrag entscheiden, weil der Antrag unzulässig sei. Es erinnerte insbesondere daran, dass ein Befangenheitsantrag nicht mehr gestellt werden kann, wenn das Verfahren beendet ist. Ein Befangenheitsantrag, der nach Urteilserlass gestellt werde, sei in der Tat gesetzlich nicht vorgesehen. Das Landessozialgericht führte weiter aus, dass, insoweit der Antrag des Beschwerdeführers darauf abziele, die abgelehnten Richter daran zu hindern, über die Gegenvorstellung zu befinden, es an einem Rechtsschutzbedürfnis mangele. In diesem Zusammenhang legte es dar, die Gegenvorstellung sei offensichtlich unzulässig, weil der Beschwerdeführer seine Rügen im Rahmen eines Antrags auf Zulassung der Revision vor dem Bundessozialgericht hätte vorbringen können. Gleichwohl seien weder die Gegenvorstellung noch im Übrigen die Gehörsrüge zulässig, wenn dem Betroffenen ein förmlicher Rechtsbehelf nach innerstaatlichem Recht zur Verfügung stehe, wie dies vorliegend der Fall gewesen sei. Das Landessozialgericht war übrigens der Ansicht, der Antrag des Beschwerdeführers sei rechtsmissbräuchlich, weil dieser am Ende darauf abziele, das Verfahren im Wege eines Befangenheitsantrags wieder zu eröffnen.

11. Das Landessozialgericht fügte hinzu, es sei nicht geboten, über die Dauer des Verfahrens zu entscheiden, weil der Beschwerdeführer keine Entschädigung verlangt habe.

12. Am 21. Juli 2012 erhob der Beschwerdeführer vor dem Bundesverfassungsgericht Verfassungsbeschwerde (1 BvR 2141/13).

13. Am 6. November 2013 lehnte es das Bundesverfassungsgericht ab, die Verfassungsbeschwerde des Beschwerdeführers zur Entscheidung anzunehmen. Es sah von einer Begründung seiner Entscheidung gemäß § 93d Abs. 1 Satz 3 des Bundesverfassungsgerichtsgesetzes ab.

14. Am 4. Dezember 2013 legte der Beschwerdeführer dem Bundesverfassungsgericht eine Gegenvorstellung vor.

15. Am 15. Januar 2014 unterrichtete das Bundesverfassungsgericht den Beschwerdeführer, dass die Richter, die über seine Verfassungsbeschwerde befunden hatten, keinen Anlass sahen, ihre Entscheidung zu revidieren, und dass das Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht mit Entscheidung vom 6. November 2013 beendet war.

B. Das einschlägige innerstaatliche Recht

16. § 109 des Sozialgerichtsgesetzes sieht vor, dass das Gericht auf Antrag des Betroffenen einen vom diesem benannten Arzt gutachtlich anhören muss. Ein solcher Antrag kann nur abgelehnt werden, wenn durch die Zulassung die Erledigung des Rechtsstreits verzögert werden würde und der Antrag nach Überzeugung des Gerichts in der Absicht, das Verfahren zu verschleppen, oder aus grober Nachlässigkeit nicht früher vorgebracht worden ist.

RÜGEN

17. Unter Berufung auf Artikel 6, 13, 14 und 53 der Konvention und auf eine Reihe von Grundrechten, die nach dem deutschen Grundgesetz garantiert sind, rügt der Beschwerdeführer, dass er weder vor dem Bundesverfassungsgericht noch vor den Sozialgerichten in den Genuss eines fairen Verfahrens gekommen sei und er eine diskriminierende Behandlung erfahren habe. Er beschwert sich insbesondere darüber, dass das Bundesverfassungsgericht weder seiner Verfassungsbeschwerde noch seiner Gegenvorstellung stattgegeben hat, obwohl die Zulassungsbedingungen erfüllt waren. Er behauptet, seine Argumente seien nicht berücksichtigt worden und die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts sei willkürlich, sachfremd und diskriminierend gewesen und übrigens mit keiner Begründung versehen worden. Der Beschwerdeführer rügt ebenfalls, dass das Landessozialgericht seine Gegenvorstellung für unzulässig erklärt habe, obwohl das Bundesverfassungsgericht die Rechtmäßigkeit eines solchen Rechtsbehelfs anerkannt habe. Er erklärt, dass so bald sein Name erwähnt wird, Recht und Gesetz nicht mehr existieren.

18. Der Beschwerdeführer rügt auch die Tatsache, dass genau die Richter des Landessozialgerichts, die er jedoch abgelehnt habe, seinen Befangenheitsantrag abgewiesen hätten, obwohl er gerade diese Richter abgelehnt habe.

DAS VERFAHREN VOR DEM GERICHTSHOF

19. Mit Entscheidung über die Zulässigkeit vom 27. März 2014 hat der Gerichtshof, der als Einzelrichter tagte (Artikel 27 der Konvention), die Beschwerde für unzulässig erklärt und sie gemäß Artikel 35 Abs. 4 zurückgewiesen.

20. Der Gerichtshof hat in derselben Zusammensetzung am 5. November 2014 beschlossen, das Verfahren wieder zu eröffnen, um ein Versäumnis der Kanzlei zu korrigieren, nämlich dem Gerichtshof einen vom Beschwerdeführer eingelegten prozessualen Einwand vorzulegen.

RECHTLCHE WÜRDIGUNG

A. Die Rügen zur Fairness des Verfahrens

21. Der Beschwerdeführer rügt die mangelnde Fairness des Verfahrens vor dem Bundesverfassungsgericht und den Sozialgerichten. Er beruft sich auf Artikel 6 der Konvention, dessen einschlägiger Passus wie folgt lautet:

„Jede Person hat ein Recht darauf, dass über Streitigkeiten in Bezug auf ihre zivilrechtlichen Ansprüche und Verpflichtungen (…) von einem (…) Gericht in einem fairen Verfahren (…) verhandelt wird.“

22. Der Beschwerdeführer stellt klar, er habe vor dem Bundessozialgericht keinen Antrag auf Zulassung der Revision gestellt, weil dieser keine Aussicht auf Erfolg gehabt hätte, wie es sein früherer Bevollmächtigter ihm gegenüber bestätigt hätte.

23. Der Gerichtshof erinnert daran, dass die bloße Tatsache, dass Zweifel hinsichtlich der Erfolgsaussichten eines bestimmten Rechtsbehelfs, der nicht offensichtlich erfolglos ist, gehegt werden, keinen hinreichenden Grund für die Rechtfertigung der Nichterschöpfung innerstaatlicher Rechtswege darstellt (Akdivar u.a. ./. Türkei, 16. September 1996, Rdnr. 71, Sammlung der Urteile und Entscheidungen1996 IV; Elsanova ./. Russland (Entsch.), Nr. 57952/00, 15. November 2005; Jelcovas ./. Litauen, Nr. 16913/04, Rdnr. 76, 19. Juli 2011). Er ist aber der Auffassung, dass es nicht nötig ist, die Frage zu klären, ob der Beschwerdeführer alle nach innerstaatlichem Recht verfügbaren Rechtswege erschöpft hat, weil dieser Teil der Beschwerde jedenfalls aus folgenden Gründen unzulässig ist.

24. Der Gerichtshof erinnert daran, dass die Auslegung der innerstaatlichen Rechtsvorschriften in erster Linie Aufgabe der nationalen Behörden ist und es ihm nicht obliegt, über einen etwaigen Tatsachen- oder Rechtsirrtum zu entscheiden, der angeblich von einem innerstaatlichen Gericht begangen worden ist, es sei denn, dass und insoweit als dieser Irrtum die durch die Konvention geschützten Rechte und Freiheiten hätte beeinträchtigen können (siehe u.a. Perez ./. Frankreich [GK], Nr. 47287/99, Rdnr. 82, CEDH 2004). Im Übrigen umfasst das Recht auf ein nach Artikel 6 Abs. 1 der Konvention garantiertes faires Verfahren zwar u.a. das Recht der Verfahrensparteien, diejenigen Stellungnahmen zu unterbreiten, die sie in ihrer Rechtssache für maßgeblich erachten, es garantiert den prozessführenden Parteien aber kein erfolgreiches Ende des Verfahrens (Andronicou und Constantinou ./. Zypern, Urteil vom 9. Oktober 1997, Rdnr. 201, Sammlung 1997 VI; Klasen ./, Deutschland, Nr. 75204/01, Rdnr. 43, 5. Oktober 2006; Dunn ./. Vereinigtes Königreich (Entsch.), Nr. 627793/10, 23. Oktober 2012). Diese Bestimmung regelt schließlich nicht die Zulässigkeit von Beweismitteln oder die Beweiswürdigung, da diese Angelegenheiten vor allem durch innerstaatliches Recht und innerstaatliche Gerichte zu regeln sind (García Ruiz ./. Spanien [GK], Nr. 30544/96, Rdnr. 28, CEDH 1999 I). Gleiches gilt für die Würdigung von Sachverständigengutachten, die im Lauf eines Verfahrens vorgelegt werden (siehe Vallar ./. Frankreich (Entsch.), Nr. 42406/98, 27. April 2000; Catalano ./. Italien (Entsch.), Nr. 34706/97, 27. Januar 2000; W. ./. Deutschland (Entsch.), Nr. 5947/05, 4. November 2008).

25. Der Gerichtshof stellt in der vorliegenden Sache fest, dass der Beschwerdeführer seine Argumente vor den Sozialgerichten und dem Bundessozialgericht vorbringen konnte und dabei die Garantien aus Artikel 6 Abs. 1 der Konvention beachtet wurden.Er stellt insbesondere fest, dass die Sozialgerichte dem Antrag des Beschwerdeführers auf Einholung eines neuen Sachverständigengutachtens gemäß § 109 des Sozialgerichtsgesetzes stattgegeben haben (vgl. Z. ./. Deutschland (Entsch.), Nr. 10763/05, 22. Januar 2008; V. ./. Deutschland (Entsch.), Nr. 20271/05, 29. Januar 2008), dass die Gerichte auf die Argumente des Beschwerdeführers mit gebührend begründeten Entscheidungen eingegangen sind und dass es insbesondere keinen Hinweis darauf gibt, dass ihre Würdigung der unterschiedlichen, im Lauf des Verfahrens vorgebrachten ärztlichen Gutachten willkürlich war.

26. Was die fehlende Begründung der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts anbelangt, ruft der Gerichtshof in Erinnerung, dass es der Konvention nicht widerspricht, wenn eine höhere Instanz einen Rechtsbehelf abweist und sich darauf beschränkt, die Rechtsvorschriften zur Regelung dieses Verfahrens anzugeben, wenn die in dem Rechtsbehelf aufgeworfenen Fragen nicht von besonderer Bedeutung sind oder wenn der Rechtsbehelf keine hinlänglichen Aussichten auf Erfolg hat.

9. März 1999, S. ./. Deutschland (Entsch.), Nr. 33681/96, 6. Juli 1999; Sawoniuk ./. Vereinigtes Königreich (Entsch.), Nr. 63716/00, 29. Mai 2001, CEDH 2001 VI; H:E. ./. Österreich (Entsch.), Nr. 33505/96, 28. August 2001; und Almenara Alvarez ./. Spanien, Nr. 16096/08, Rdnr. 27, 25. Oktober 2011). Er stellt hier fest, dass das Bundesverfassungsgericht darauf hingewiesen hat, gemäß § 93 d Abs. 1 Satz 3 des Bundesverfassungsgerichtsgesetzes von einer Begründung seiner Entscheidung abzusehen (G. E.V. u.a. ./. Deutschland (Entsch.), Nr. 18215/06, 12. Mai 2009).

27. Was die anderen Rügen bezüglich des fairen Verfahrens anbelangt, hat der Gerichtshof unter Berücksichtigung der Gesamtheit der ihm vorliegenden Erkenntnisse und im Rahmen seiner Zuständigkeit, die vorgebrachten Behauptungen zu würdigen, keinen Anschein einer Verletzung der Konventionsbestimmungen festgestellt.

28. Hieraus ergibt sich, dass diese Rügen offensichtlich unbegründet und nach Artikel 35 Absätze 3 und 4 der Konvention zurückzuweisen sind.

B. Die Rügen zur Parteilichkeit der mit der Sache befassten Richter

29. Was die behauptete Parteilichkeit der Richter des Landessozialgerichts anbelangt und selbst wenn davon ausgegangen wird, dass der Beschwerdeführer den innerstaatlichen Rechtsweg erschöpft hat, so erinnert der Gerichtshof daran, dass es von grundlegender Bedeutung ist, dass die Gerichte in einer demokratischen Gesellschaft bei den Rechtsuchenden Vertrauen erwecken. Zu dem Zweck verlangt Artikel 6 Abs. 1 der Konvention , dass Gerichte unparteiisch sind. Die Unparteilichkeit kann in unterschiedlicher Form bewertet werden. Der Gerichtshof unterscheidet zwischen einem subjektiven Ansatz, d.h. dem Bemühen festzustellen, welche persönliche Überzeugung ein bestimmter Richterim Einzelfall vertreten hat, und einem objektiven Ansatz, wobei untersucht wird, ob das Gericht insbesondere durch seine Zusammensetzung hinreichende Garantien geboten hat, um jeden berechtigten Zweifel hinsichtlich seiner Unparteilichkeit auszuschließen (Steulet ./. Schweiz, Nr. 31351/06, Rdnrn. 35-38, 26. April 2011).

30. Beim subjektiven Ansatz gilt, dass die Unvoreingenommenheit eines Richters bis zum Beweis des Gegenteils zu vermuten ist. Bei der objektiven Bewertung stell sich die Frage, ob unabhängig vom persönlichen Verhalten des Richters bestimmte überprüfbare Tatsachen es gestatten, die richterliche Unvoreingenommenheit anzuzweifeln. Um darüber zu befinden, ob in einer bestimmten Sache ein berechtigter Grund dafür vorliegt, einen Mangel an Unparteilichkeit bei einem Richter oder einem Kollegialgericht zu befürchten, folgt hieraus, dass die Sichtweise der betroffenen Person zwar in Betracht kommt, aber keine entscheidende Rolle spielt. Als maßgebliches Element gilt die Feststellung, ob die Besorgnis des Betroffenen objektiv als gerechtfertigt zu betrachten ist (siehe u.a. Boyaci ./. Türkei (Entsch.), Nr. 36966/04, Rdnr. 43-44, 23. September 2014).

31. Der Gerichtshof stellt fest, dass das Landessozialgericht den Befangenheitsantrag des Beschwerdeführers als unzulässig erachtet hat, weil ein solcher Antrag nicht mehr gestellt werden kann, wenn das Verfahren beendet ist. Angesichts der Gründe, die vom Beschwerdeführer vor dem Landessozialgericht und dem Bundesverfassungsgericht geltend gemacht wurden und im Hinblick auf seine Stellungnahme vor dem Gerichtshof, um seine Behauptungen zur Parteilichkeit zu substantiieren, sieht der Gerichtshof jedenfalls keinen Grund für die Annahme, dass der Beschwerdeführer berechtigte Gründe dafür hätte haben können, bei den mit seiner Sache befassten Richtern des Landessozialgerichts einen Mangel an Unparteilichkeit zu befürchten. Er unterstreicht in diesem Zusammenhang, dass einzig die Tatsache, dass Gerichte eine rechtliche Argumentation vorbringen, die derjenigen des Beschwerdeführers entgegensteht, oder ein Beweismittel anders würdigen, nicht ausreichend ist, um deren Parteilichkeit unter Beweis zu stellen (M. ./. Deutschland (Entsch.), Nrn. 37111/04, 55440/07 und 55443/07, 19. Mai 2009).

32. Hieraus ergibt sich, dass diese Rüge offensichtlich unbegründet und nach Artikel 35 Absatz 3 Buchstabe a und 4 der Konvention zurückzuweisen ist.

Aus diesen Gründen erklärt der Gerichtshof einstimmig,

die Beschwerdefür unzulässig.

Ausgefertigt in französischer Sprache und anschließend am 25. Juni 2015 schriftlich übermittelt.

Milan Blaško                                            Boštjan M. Zupančič
Stellvertretender Kanzler                             Präsident

Zuletzt aktualisiert am Januar 2, 2021 von eurogesetze

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