Die Rechtssache betrifft die Verurteilung des Beschwerdeführers wegen Mordes, die sich insbesondere auf die Aussage eines Mitangeklagten im Ermittlungsverfahren stützte, der vor Gericht von seinem Schweigerecht Gebrauch gemacht hatte

Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte (Individualbeschwerde Nr. 57818/18)

Die Rechtssache betrifft die Verurteilung des Beschwerdeführers wegen Mordes, die sich insbesondere auf die Aussage eines Mitangeklagten im Ermittlungsverfahren stützte, der vor Gericht von seinem Schweigerecht Gebrauch gemacht hatte. Die Polizei belehrte die Beschuldigten vor der Vernehmung nicht über ihr Recht auf Bestellung eines Pflichtverteidigers. Die Rechtssache wirf Fragen nach Artikel 6 Abs. 1 und Abs. 3 Buchstabe d der Konvention auf.

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat Folgendes festgestellt:

Der Gerichtshof möchte zunächst bemerken, dass die Beschuldigten bei ihren anfänglichen Vernehmungen durch die Polizei zwar keine anwaltliche Unterstützung hatten, diesbezüglich jedoch keine Rüge vor dem Gerichtshof erhoben wurde. Vielmehr betraf die Rüge des Beschwerdeführers den Umstand, dass die Polizei weder ihn noch die anderen Beschuldigten über die Möglichkeit der Bestellung eines Pflichtverteidigers belehrt hatte.

In Bezug auf den Beschwerdeführer stellt der Gerichtshof fest, dass er zwar der Polizei gegenüber eine Aussage machte, darin aber lediglich eine Beteiligung an der Straftat abstritt. Daher nahm das Landgericht in seiner Entscheidung auf die Aussage des Beschwerdeführers im Ermittlungsverfahren nur insofern Bezug, als seine Behauptung, er habe G. nicht gekannt und sei noch nie in der tschechischen Republik gewesen, durch die dem Gericht vorliegenden Beweismittel widerlegt worden war. Hieraus folgt, dass im Zusammenhang mit dem Versäumnis, den Beschwerdeführer über sein Recht auf Bestellung eines Pflichtverteidigers zu informieren, keine gegen den Beschwerdeführer verwendbaren Beweismittel erlangt wurden. Der Gerichtshof ist daher der Auffassung, dass dieses Versäumnis sein Recht, sich nicht selbst belasten zu müssen, nicht beeinträchtigt hat. Außerdem wurde der Beschwerdeführer vor seiner polizeilichen Vernehmung schriftlich über sein Recht auf Hinzuziehung eines Rechtsanwalts belehrt. Die Behörden versäumten nur, ihn über die Möglichkeit auf Bestellung eines Pflichtverteidigers zu unterrichten. Der Beschwerdeführer brachte auch weder vor den innerstaatlichen Gerichten noch vor dem Gerichtshof vor, dass ihm die Mittel zur Hinzuziehung eines Rechtsanwalts gefehlt hätten oder dass er aufgrund seiner finanziellen Situation Anspruch auf Prozesskostenhilfe gehabt hätte. Unter diesen Umständen kann der Gerichtshof nicht erkennen, wie die gerügte Unterlassung zu einer Beeinträchtigung seiner Rechtsposition oder einer Verletzung seines Rechts auf ein faires Verfahren hätte führen können.

Hinsichtlich der Aussagen von V., K. und S. im Ermittlungsverfahren merkt der Gerichtshof an, dass die Verfahrensgarantien aus Artikel 6 der Konvention ungeachtet der Frage, ob das Recht auf Belehrung über die Möglichkeit der Bestellung eines Pflichtverteidigers in den Anwendungsbereich dieses Artikels fällt, in erster Linie dem Schutz des Angeklagten selbst dienen sollen. In jedem Fall stellt der Gerichtshof fest, dass alle Beschuldigten vor ihrer polizeilichen Vernehmung über ihr Recht auf anwaltlichen Beistand belehrt wurden, sich aber entschieden, ohne Anwesenheit eines Rechtsanwalts auszusagen. Darüber hinaus gibt es, wie der Bundesgerichtshof angeführt hat, keine Anhaltspunkte dafür, dass dem Beschwerdeführer die finanziellen Mittel zur Hinzuziehung eines Rechtsanwalts gefehlt hätten. Die bloße Möglichkeit, dass die Mitbeschuldigten des Beschwerdeführers nach Belehrung über ihr Recht auf Bestellung eines Pflichtverteidigers Prozesskostenhilfe hätten beantragen und danach von einer Aussage hätten absehen können, reicht nicht aus, um einen Zusammenhang zwischen der fehlenden Belehrung und den im Ermittlungsverfahren gemachten Aussagen herzustellen. In diesem Zusammenhang merkt der Gerichtshof außerdem an, dass K. sich nach Beiordnung eines Rechtsanwalts dazu entschied, gegenüber der Polizei eine weitere Aussage zu machen. Daraus folgt, dass der Beschwerdeführer unabhängig von der Frage, ob ein solcher eine dritte Partei betreffender Verfahrensfehler die Fairness des Verfahrens in Frage stellen kann, nicht dargelegt hat, wie das Versäumnis, seine Mitbeschuldigten über ihr Recht auf Bestellung eines Pflichtverteidigers zu informieren, sich auf seine Verurteilung ausgewirkt hat.

Dass die innerstaatliche Bestimmung, mit der das Recht auf Belehrung über den Anspruch auf Bestellung eines Pflichtverteidigers verankert wurde, zur Umsetzung der Richtlinie 2012/13/EU eingeführt wurde, ändert an dieser Bewertung nichts. Gemäß Artikel 19 und Artikel 32 Abs. 1 der Konvention ist der Gerichtshof nicht befugt, EU-Vorschriften anzuwenden oder behauptete Verletzungen von EU-Vorschriften zu prüfen, soweit die nach der Konvention geschützten Rechte und Freiheiten hierdurch nicht verletzt sind. Allgemeiner ausgedrückt obliegt es in erster Linie den innerstaatlichen Behörden, insbesondere den Gerichten, das innerstaatliche Recht, gegebenenfalls im Einklang mit dem Unionsrecht, auszulegen und anzuwenden, und die Rolle des Gerichtshofs beschränkt sich darauf, festzustellen, ob die Auswirkungen einer entsprechenden Entscheidung mit der Konvention vereinbar sind. Die Auslegung der in Rede stehenden Bestimmungen durch die innerstaatlichen Gerichte lässt diesbezüglich keine Mängel erkennen.

In Anbetracht dessen, dass die Beschuldigten vor dem Ermittlungsrichter keine weiteren Erklärungen abgaben, wird abschließend festgestellt, dass sich die Frage, ob der Richter ihnen eine weitere Belehrung hätte erteilen müssen, nicht stellt.

Im Ergebnis ist festzustellen, dass das Versäumnis, die Beschuldigten über ihr Recht auf Bestellung eines Pflichtverteidigers zu belehren, nicht zu einer Verletzung von Artikel 6 Abs. 1 der Konvention geführt hat.

RECHTSSACHE STRASSENMEYER ./. DEUTSCHLAND (Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte) 57818/18. Vollständiger Text des Dokuments.

Zuletzt aktualisiert am Januar 23, 2024 von eurogesetze

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