RECHTSSACHE A.H. u. a. ./. DEUTSCHLAND – 7246/20

Die auf Artikel 8 und 14 der Konvention gestützte Beschwerde betrifft die Ablehnung der Eintragung der ersten Beschwerdeführerin als Mutter des Beschwerdeführers durch das Standesamt mit der Begründung, dass sie den Beschwerdeführer, der mit ihrem männlichen Samen gezeugt worden sei, nicht geboren habe und dass sie daher nach Maßgabe der Bestimmungen des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) und des Gesetzes über die Änderung der Vornamen und die Feststellung der Geschlechtszugehörigkeit in besonderen Fällen (Transsexuellengesetz – TSG) trotz der gerichtlichen Anerkennung der Änderung ihrer Geschlechtszugehörigkeit, die vor der Zeugung des Kindes erfolgt sei, als Vater des Kindes im Geburtenregister eingetragen werden müsse.


Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte
VIERTE SEKTION
RECHTSSACHE A.H. u. a. ./. DEUTSCHLAND
(Individualbeschwerde Nr. 7246/20)
URTEIL
STRASSBURG
4. April 2023

Dieses Urteil wird nach Maßgabe des Artikels 44 Abs. 2 der Konvention endgültig. Es wird gegebenenfalls noch redaktionell überarbeitet.

In der Rechtssache A.H. u. a. ./. DEUTSCHLAND

hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (Vierte Sektion) als Kammer mit den Richterinnen und Richtern

Gabriele Kucsko‑Stadlmayer, Präsidentin,
Tim Eicke,
Faris Vehabović,
Branko Lubarda,
Armen Harutyunyan,
Anja Seibert‑Fohr und
Ana Maria Guerra Martins
sowie Andrea Tamietti, Sektionskanzler,

im Hinblick auf
die Individualbeschwerde (Nr. 7246/20) gegen die Bundesrepublik Deutschland, die eine deutsche Staatsangehörige, Frau A.H. („die erste Beschwerdeführerin“), und eine britische und israelische Staatsangehörige, Frau G.H. („die zweite Beschwerdeführerin“), sowie ihr gemeinsames Kind L.D.H. („der Beschwerdeführer“; zusammen „die Beschwerdeführenden“) am 29. Januar 2020 nach Artikel 34 der Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten („die Konvention“) beim Gerichtshof eingereicht haben,
die Entscheidung, der deutschen Regierung („die Regierung“) die Rügen bezüglich der Ablehnung der Eintragung der ersten Beschwerdeführerin im Geburtenregister als Mutter des Beschwerdeführers zur Kenntnis zu bringen und die Beschwerde im Übrigen für unzulässig zu erklären,
die Entscheidung, die Identität der Beschwerdeführenden nicht offenzulegen,
die Stellungnahmen der beschwerdegegnerischen Regierung und die Erwiderungen der Beschwerdeführenden,
die beim Gerichtshof eingereichten Stellungnahmen der drittbeteiligten Organisationen, dem Institut für Rechtskultur Ordo Iuris sowie Transgender Europe (TGEU) gemeinsam mit dem europäischen Zweig der internationalen LGBTI‑Dachorganisation ILGA‑Europe und dem deutschen Bundesverband Trans*, die jeweils vom Präsidenten der Sektion zur Beteiligung ermächtigt wurden,
unter Verweis darauf, dass die britische Regierung angesichts der Staatsangehörigkeit der zweiten Beschwerdeführerin eingeladen wurde, anzuzeigen, ob sie schriftlich Stellung nehmen wolle (Artikel 36 Abs. 1 der Konvention und Artikel 44 der Verfahrensordnung), und sie erklärte, dass sie ihr Recht auf Beteiligung an dem Verfahren nicht wahrnehmen wolle,
nach nicht öffentlicher Beratung am 14. März 2023

das folgende Urteil erlassen, das am selben Tag angenommen wurde:

EINLEITUNG

1. Die auf Artikel 8 und 14 der Konvention gestützte Beschwerde betrifft die Ablehnung der Eintragung der ersten Beschwerdeführerin als Mutter des Beschwerdeführers durch das Standesamt mit der Begründung, dass sie den Beschwerdeführer, der mit ihrem männlichen Samen gezeugt worden sei, nicht geboren habe und dass sie daher nach Maßgabe der Bestimmungen des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) und des Gesetzes über die Änderung der Vornamen und die Feststellung der Geschlechtszugehörigkeit in besonderen Fällen (Transsexuellengesetz – TSG) trotz der gerichtlichen Anerkennung der Änderung ihrer Geschlechtszugehörigkeit, die vor der Zeugung des Kindes erfolgt sei, als Vater des Kindes im Geburtenregister eingetragen werden müsse.

SACHVERHALT

2. Die Beschwerdeführenden wurden …, … und … geboren und sind wohnhaft in B.. Sie wurden von Herrn S., Rechtsanwalt in B., vertreten.

3. Die Regierung wurde von ihrer Verfahrensbevollmächtigten, Frau N. Wenzel vom Bundesministerium der Justiz, vertreten.

4. Der von den Parteien vorgebrachte Sachverhalt lässt sich wie folgt zusammenfassen.

5. Die erste Beschwerdeführerin wurde als Kind männlichen Geschlechts geboren.

6. Mit Beschluss vom 19. Juli 2012 stellte das Amtsgericht S. fest, dass die erste Beschwerdeführerin fortan als dem weiblichen Geschlecht zugehörig anzusehen sei.

7. 2015 brachte die zweite Beschwerdeführerin den Beschwerdeführer zur Welt, der mit dem Samen der ersten Beschwerdeführerin gezeugt worden war. Zu notarieller Urkunde erkannte die erste Beschwerdeführerin am 23. März 2015 mit Zustimmung der zweiten Beschwerdeführerin vorgeburtlich die Mutterschaft an.

8. Mit Bescheid vom 15. Juli 2015 informierte die Standesbeamtin die Beschwerdeführerinnen darüber, dass die Geburt des Beschwerdeführers in das Geburtenregister und die zweite Beschwerdeführerin als Mutter des Kindes eingetragen worden seien, es jedoch abgelehnt werde, die erste Beschwerdeführerin als Mutter im Geburtenregister einzutragen, da die Anerkennung der Mutterschaft nicht rechtswirksam sei und nach § 1591 BGB (siehe Rdnr. 22) die zweite Beschwerdeführerin als leibliche Mutter des Kindes auch die rechtliche Mutter sei.

9. Am 28. Juli 2015 beantragten die Beschwerdeführenden beim Amtsgericht S., dass beide Beschwerdeführerinnen als Mütter des Kindes im Geburtenregister eingetragen werden und dass der Eintrag der ersten Beschwerdeführerin mit ihren weiblichen Vornamen erfolgen solle. Sie führten insbesondere an, dass es nicht im Interesse des Beschwerdeführers sei, wenn in seiner Geburtsurkunde eine Person männlichen Geschlechts und mit männlichem Vornamen aufgeführt werde, die er so nicht kenne und niemals kennenlernen werde. Die Ablehnung der Eintragung der ersten Beschwerdeführerin als zweite Mutter des Beschwerdeführers im Geburtenregister verwehre ihm darüber hinaus eine rechtliche Beziehung zu ebendieser, obwohl die erste Beschwerdeführerin an der Zeugung des Kindes beteiligt gewesen sei und die Mutterschaft anerkannt habe. Die Beschwerdeführerinnen fügten hinzu, dass entgegen der Schlussfolgerungen des Oberlandesgerichts K. in seinem Beschluss vom 30. November 2009 (siehe Rdnr. 46) nur die Eintragung der ersten Beschwerdeführerin im Geburtenregister als Mutter des Kindes und mit ihren weiblichen Vornamen die Offenbarung ihrer Transsexualität verhindern könne.

10. Am 5. September 2015 begründeten die Beschwerdeführerinnen eine eingetragene Lebenspartnerschaft miteinander.

11. Am 11. Januar 2016 wies das Amtsgericht S. den Antrag der Beschwerdeführenden auf Eintragung der ersten Beschwerdeführerin im Geburtenregister als Mutter des Beschwerdeführers zurück.

12. Am 6. September 2016 wies das Kammergericht B. die Beschwerde der Beschwerdeführenden zurück.

13. Mit Beschluss vom 29. November 2017 wies der Bundesgerichtshof die Rechtsbeschwerde der Beschwerdeführenden zurück. Der Bundesgerichtshof stellte fest, dass nach § 21 Abs. 1 Nr. 4 Personenstandsgesetz (PStG) (siehe Rdnr. 34) die Vornamen und Namen der Eltern des Kindes im Geburtenregister einzutragen seien; diese Vorschrift beziehe sich übereinstimmend mit der Definition des Personenstands aus § 1 Abs. 1 Satz 1 PStG auf die rechtliche Elternschaft (siehe Rdnr. 32). Er führte weiterhin aus:

„Mutter des Kindes ist nach § 1591 BGB die Frau, die das Kind geboren hat. Das deutsche bürgerliche Recht kennt nur die Zuordnung einer einzigen Mutter kraft Gesetzes. Damit hat der Gesetzgeber andere mögliche Formen der abstammungsrechtlichen Mutter‑Kind‑Zuordnung, insbesondere die Mutterschaft der Eizellspenderin im Fall der Leihmutterschaft, bewusst ausgeschlossen. Eine Mutterschaftsanerkennung sieht das geltende Recht nicht vor. Weitere Formen der Entstehung einer beiderseits weiblichen Elternschaft kraft Abstammung, etwa die Mit‑ oder Co‑Mutterschaft bei konsentierter heterologer Insemination, sind im deutschen Recht ebenfalls nicht vorgesehen.“

14. Der Bundesgerichtshof stellte fest, dass angesichts des Fortpflanzungsbeitrags der ersten Beschwerdeführerin durch Samenspende nur die Begründung der Vaterschaft möglich sei. Dass dies ungeachtet der Zugehörigkeit der ersten Beschwerdeführerin zum weiblichen Geschlecht möglich sei, ergebe sich aus § 11 Satz 1 TSG (siehe Rdnr. 30). Unter Verweis auf seinen Beschluss vom 6. September 2017 (siehe Rdnrn. 49‑58) in einer ähnlichen Rechtssache, die Gegenstand des Individualbeschwerdeverfahrens O.H. und G.H. ./. Deutschland (Individualbeschwerden Nrn. 53568/18 und 54741/18) war, stellte der Bundesgerichtshof fest, dass diese Bestimmung des TSG auch Sachverhalte erfasse, in denen, wie in der vorliegenden Rechtssache, das leibliche Kind einer transsexuellen Person zeitlich nach der gerichtlichen Entscheidung über die Anerkennung der Änderung der Geschlechtszugehörigkeit seines Elternteils geboren worden sei, und dass der Status der transsexuellen Person als Vater oder als Mutter unberührt bleiben solle, und zwar insbesondere für die Vaterschaftsfeststellung und die Ehelichkeitsanfechtung.

15. Der Bundesgerichtshof kam zu dem Schluss, dass die erste Beschwerdeführerin angesichts des von ihr geleisteten Fortpflanzungsbeitrags in Bezug auf das Kind nur die Stellung eines rechtlichen Vaters einnehmen könne. Allerdings habe die erste Beschwerdeführerin die Vaterschaft für den Beschwerdeführer nicht anerkannt. Der Bundesgerichtshof befand, dass ihre Mutterschaftsanerkennung (siehe Rdnr. 7) nicht in eine Vaterschaftsanerkennung umgedeutet werden könne, schon weil die mit der Mutterschaft verbundenen Rechtsfolgen gegenüber denen der Vaterschaft grundverschieden seien.

16. Nach Auffassung des Bundesgerichtshofs bestanden keine durchgreifenden Bedenken gegen die Verfassungsmäßigkeit der gesetzlichen Regelung. Unter Verweis auf seinen Beschluss vom 6. September 2017 (siehe Rdnrn. 49‑58), der sich auf die umgekehrte Konstellation, nämlich das Rechtsverhältnis zwischen einem Frau‑zu‑Mann‑Transsexuellen und dem von ihm geborenen Kind, bezog, wies der Bundesgerichtshof darauf hin, dass die Tatsache, dass das Abstammungsrecht im Hinblick auf den rechtlichen Status eines transsexuellen Elternteils an dessen vormals maßgebendes Geschlecht und die für dieses Geschlecht charakteristische Fortpflanzungsfunktion anknüpfe, auch wenn das Elternteil seit seiner Änderung der Geschlechtszugehörigkeit als dem anderen Geschlecht zugehörig gelte, nicht gegen die Grundrechte dieses Elternteils verstoße. Der Bundesgerichtshof erklärte, dass es die Anerkennung der geschlechtlichen Identität eines transsexuellen Elternteils zwar beeinträchtigen könne, wenn ihm im Verhältnis zu einem nach der Entscheidung über die Änderung der Geschlechtszugehörigkeit geborenen oder gezeugten Kind ein rechtlicher Status als Elternteil zugewiesen sei, welcher der geschlechterbezogenen Elternrolle seines selbstempfundenen und rechtlich zugewiesenen Geschlechts nicht entspreche, das Recht auf Persönlichkeitsentfaltung allerdings in die Schranken der verfassungsmäßigen Ordnung gestellt sei. Darunter seien alle Rechtsnormen zu verstehen, die sich formell und materiell mit dem Grundgesetz im Einklang befänden. Dies sei insbesondere bei §§ 1591 und 1592 BGB (siehe Rdnrn. 22 und 23) und § 11 Satz 1 TSG der Fall (siehe Rdnr. 30). Die Auslegung von § 11 Satz 1 TSG durch den Bundesgerichtshof in seinem Beschluss vom 6. September 2017 bestätige dies (siehe Rdnr. 50).

17. Nach Auffassung des Bundesgerichtshofs verkannte die gegen seinen Beschluss vom 6. September 2017 gerichtete Kritik, dass das Bundesverfassungsgericht in Bezug auf die bestehende Rechtslage von einer klaren, den biologischen Umständen entsprechenden rechtlichen Zuordnung von Kindern zu einem Vater und einer Mutter ausgegangen sei. Der Bundesgerichtshof ergänzte, dass es das Bundesverfassungsgericht unter Hinweis auf den Beschluss des Oberlandesgerichts K. vom 30. November 2009, der ebenfalls den Fall eines nach Feststellung der Zugehörigkeit des Elternteils zum anderen Geschlecht geborenen Kindes betreffe (siehe Rdnr. 46), als sichergestellt angesehen habe, dass den betroffenen Kindern trotz der rechtlichen Geschlechtsänderung eines Elternteils rechtlich immer ein Vater und eine Mutter zugewiesen werde. Dem entspreche die gesetzliche Regelung in § 11 TSG (siehe Rdnr. 30) und §§ 1591 ff. BGB (siehe Rdnrn. 22 und 23).

18. Der Bundesgerichtshof erklärte, dass der Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 10. Oktober 2017 (siehe Rdnr. 44) zu keiner anderen Bewertung führe. Er fügte ergänzend hinzu, dass sich die Fallkonstellation in der Rechtssache, in der es angerufen worden sei, grundlegend von der vorher genannten Rechtssache unterscheide, zumal die Geschlechtszuordnung gemäß TSG eindeutig sei. Dass der Gesetzgeber trotz rechtlicher Geschlechtsänderung an den früheren Status des Elternteils anknüpfe, entspreche nicht zuletzt dem vom Gesetz besonders geschützten Interesse des Kindes an einer Abbildung der spezifischen Fortpflanzungsbeteiligung des jeweiligen Elternteils.

19. Der Bundesgerichtshof wies abschließend darauf hin, dass er in seinem Beschluss vom 6. September 2017 (siehe Rdnr. 49‑58) einen Verstoß gegen den aus Artikel 8 der Konvention hergeleiteten Anspruch transsexueller Personen auf rechtliche Anerkennung ihrer selbstempfundenen geschlechtlichen Identität verneint habe, da der Gerichtshof den Vertragsstaaten diesbezüglich einen weiten Ermessensspielraum eingeräumt habe (der Bundesgerichtshof verwies auf das Urteil A.P., Garçon und Nicot ./. Frankreich, Individualbeschwerden Nrn. 79885/12, 52471/13 und 52596/13, 6. April 2017).

20. Am 29. Januar 2018 legten die Beschwerdeführenden Verfassungsbeschwerde beim Bundesverfassungsgericht ein (1 BvR 217/18). Am 19. März 2019 übermittelten die Beschwerdeführenden dem Bundesverfassungsgericht einen Beschluss des Amtsgerichts S. vom 18. Februar 2019. Dieser betraf die Eintragung eines Frau‑zu‑Mann‑Transsexuellen im Geburtenregister als Vater des Kindes seiner Ehepartnerin (siehe Rdnrn. 62‑64).

21. Am 9. August 2019 lehnte es das Bundesverfassungsgericht ohne Angabe von Gründen ab, die Verfassungsbeschwerde der Beschwerdeführenden zur Entscheidung anzunehmen.

EINSCHLÄGIGER RECHTSRAHMEN UND EINSCHLÄGIGE PRAXIS

I. INNERSTAATLICHES RECHT UND INNERSTAATLICHE PRAXIS

A. Das Bürgerliche Gesetzbuch (BGB)

22. Gemäß § 1591 BGB ist Mutter eines Kindes die Frau, die es geboren hat.

23. Nach § 1592 BGB ist Vater eines Kindes der Mann, der zum Zeitpunkt der Geburt mit der Mutter des Kindes verheiratet ist, der die Vaterschaft anerkannt hat oder dessen Vaterschaft gerichtlich festgestellt ist.

B. Das Gesetz über die Änderung der Vornamen und die Feststellung der Geschlechtszugehörigkeit in besonderen Fällen (Transsexuellengesetz – TSG)

24. Das Gesetz über die Änderung der Vornamen und die Feststellung der Geschlechtszugehörigkeit in besonderen Fällen (Transsexuellengesetz – TSG) vom 10. September 1980, das am 1. Januar 1981 in Kraft getreten ist, regelt insbesondere die Anerkennung der Geschlechtsänderung und die Frage der Vornamen einer transsexuellen Person.

25. § 1 TSG sieht vor, dass die Vornamen einer Person auf ihren Antrag vom Gericht zu ändern sind, wenn sie sich aufgrund ihrer transsexuellen Prägung nicht mehr dem in ihrem Geburtseintrag angegebenen Geschlecht, sondern dem anderen Geschlecht als zugehörig empfindet und seit mindestens drei Jahren unter dem Zwang steht, ihren Vorstellungen entsprechend zu leben, und mit hoher Wahrscheinlichkeit anzunehmen ist, dass sich ihr Zugehörigkeitsempfinden zum anderen Geschlecht nicht mehr ändern wird.

26. Gemäß § 4 Abs. 3 TSG darf das Gericht einem Antrag nach § 1 nur stattgeben, nachdem es die Gutachten von zwei Sachverständigen eingeholt hat. Die Sachverständigen haben in ihren Gutachten insbesondere dazu Stellung zu nehmen, ob sich nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft das Zugehörigkeitsempfinden der antragstellenden Person mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht mehr ändern wird.

27. § 5 TSG (Offenbarungsverbot) lautet wie folgt:

„(1) Ist die Entscheidung, durch welche die Vornamen des Antragstellers geändert werden, rechtskräftig, so dürfen die zur Zeit der Entscheidung geführten Vornamen ohne Zustimmung des Antragstellers nicht offenbart oder ausgeforscht werden, es sei denn, dass besondere Gründe des öffentlichen Interesses dies erfordern oder ein rechtliches Interesse glaubhaft gemacht wird. […]

(3) In dem Geburtseintrag eines leiblichen Kindes des Antragstellers oder eines Kindes, das der Antragsteller vor der Rechtskraft der Entscheidung nach § 1 [dieses Gesetzes] angenommen hat, sind bei dem Antragsteller die Vornamen anzugeben, die vor der Rechtskraft der Entscheidung nach § 1 maßgebend waren.“

28. Gemäß § 6 Abs. 1 TSG ist die Entscheidung, durch welche die Vornamen der betroffenen Person geändert worden sind, auf ihren Antrag vom Gericht aufzuheben, wenn sie sich wieder dem in ihrem Geburtseintrag angegebenen Geschlecht als zugehörig empfindet.

29. § 10 TSG (Wirkungen der Entscheidung) lautet wie folgt:

„(1) Von der Rechtskraft der Entscheidung an, dass der Antragsteller als dem anderen Geschlecht zugehörig anzusehen ist, richten sich seine vom Geschlecht abhängigen Rechte und Pflichten nach dem neuen Geschlecht, soweit durch Gesetz nichts anderes bestimmt ist.

(2) § 5 gilt sinngemäß.“

30. § 11 TSG (Eltern‑Kind‑Verhältnis) lautet wie folgt:

„Die Entscheidung, dass der Antragsteller als dem anderen Geschlecht zugehörig anzusehen ist, lässt das Rechtsverhältnis zwischen dem Antragsteller und seinen Eltern sowie zwischen dem Antragsteller und seinen Kindern unberührt, bei angenommenen Kindern [gilt diese Vorschrift] jedoch nur, soweit diese vor Rechtskraft der Entscheidung [über die Anerkennung der Geschlechtsänderung] als Kind angenommen worden sind. […]“

31. Aus dem Gesetzentwurf für das TSG (BT‑DrS 8/2947) geht hervor, dass § 11 ursprünglich nur für Kinder galt, die vor Rechtskraft der Entscheidung über die Anerkennung der Geschlechtsänderung gezeugt oder als Kind angenommen wurden. Im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens äußerte der Bundesrat diesbezüglich Bedenken, da es auf Grundlage der verfügbaren medizinischen Erkenntnisse nicht ausgeschlossen sei, dass Personen, die als fortpflanzungsunfähig gegolten hätten – insbesondere Frauen, die sich einer auf Veränderung der Geschlechtsmerkmale gerichteten Operation unterzogen hätten – noch Kinder zeugen oder empfangen könnten. Als Reaktion auf diese Bedenken passte die Bundesregierung § 11 an und schlug den Wortlaut vor, der schließlich vom Gesetzgeber verabschiedet wurde und bis heute in Kraft ist.

C. Das Personenstandsgesetz (PStG)

32. § 1 Abs. 1 PStG vom 19. Februar 2007 definiert den Personenstand im Sinne dieses Gesetzes als die sich aus den Merkmalen des Familienrechts ergebende Stellung einer Person innerhalb der Rechtsordnung einschließlich ihres Namens. Der Personenstand umfasst Daten über Geburt, Eheschließung, Begründung einer Lebenspartnerschaft und Tod sowie damit in Verbindung stehende familien‑ und namensrechtliche Tatsachen.

33. Nach § 5 Abs. 2 und 3 PStG sind Folgebeurkundungen Einträge, die den Beurkundungsinhalt verändern, während Hinweise den Zusammenhang zwischen den verschiedenen Beurkundungen herstellen, die dieselbe Person, deren Ehegatten, Lebenspartner, Eltern oder Kinder betreffen.

34. Gemäß § 21 Abs. 1 PStG werden im Geburtenregister die Vornamen und der Geburtsname des Kindes, Ort, Tag, Stunde und Minute der Geburt, das Geschlecht des Kindes, die Vor- und Familiennamen der Eltern und ihr Geschlecht beurkundet, sowie auf Wunsch eines Elternteils seine rechtliche Zugehörigkeit zu einer Religionsgemeinschaft, die Körperschaft des öffentlichen Rechts ist.

35. § 54 PStG sieht vor, dass die Beurkundungen in den Personenstandsregistern Eheschließung, Begründung der Lebenspartnerschaft, Geburt und Tod und die darüber gemachten näheren Angaben sowie die sonstigen Angaben über den Personenstand der Personen, auf die sich der Eintrag bezieht, beweisen. Hinweise haben diese Beweiskraft nicht. Nach § 54 Abs. 2 PStG haben die Personenstandsurkunden im Sinne von § 55 dieselbe Beweiskraft wie die Beurkundungen in den Personenstandsregistern.

36. Gemäß § 55 Abs. 1 Nr. 4 PStG stellt das Standesamt aus dem Geburtenregister Geburtsurkunden aus.

37. § 59 PStG (Geburtsurkunde) lautet wie folgt:

„(1) In die Geburtsurkunde werden aufgenommen

1. die Vornamen und der Geburtsname des Kindes,

2. das Geschlecht des Kindes,

3. Ort sowie Tag, Stunde und Minute der Geburt,

4. die Vornamen und die Familiennamen der Eltern des Kindes,

5. die rechtliche Zugehörigkeit des Kindes und seiner Eltern zu einer Religionsgemeinschaft, sofern sich die Zugehörigkeit aus dem Registereintrag ergibt.

(2) Auf Verlangen werden in die Geburtsurkunde Angaben nach Absatz 1 Nummer 2, 4 und 5 nicht aufgenommen.“

38. § 62 PStG sieht insbesondere vor, dass Personenstandsurkunden auf Antrag den Personen zu erteilen sind, auf die sich der Registereintrag bezieht, sowie deren Ehegatten, [eingetragenen] Lebenspartnern, Vorfahren und Abkömmlingen. Andere Personen haben nur dann ein Recht auf Auskunft hinsichtlich des Personenstands einer Person, wenn sie diesbezüglich ein rechtliches Interesse glaubhaft machen.

39. Sind die Vornamen einer Person aufgrund des TSG geändert oder ist festgestellt worden, dass diese Person dem anderen als dem in ihrem Geburtseintrag angegebenen Geschlecht angehört, so darf nach § 63 Abs. 2 PStG abweichend von § 62 PStG eine Personenstandsurkunde aus dem Geburtseintrag nur der betroffenen Person selbst sowie ihrem Ehegatten oder Lebenspartner erteilt werden. Diese Beschränkungen entfallen mit dem Tod der transsexuellen Person; § 5 Abs. 1 (siehe Rdnr. 27) und § 10 Abs. 2 in Verbindung mit § 5 Abs. 1 TSG (siehe Rdnr. 29) bleiben unberührt.

40. § 64 PStG sieht insbesondere die Möglichkeit der Eintragung eines Sperrvermerks vor, wenn einer Person durch die Ausstellung einer Personenstandsurkunde oder durch Auskunft aus einem oder Einsicht in einen Personenstandseintrag eine Gefahr für Leben, Gesundheit, persönliche Freiheit oder ähnliche schutzwürdige Belange erwachsen kann.

D. Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts

41. In seinem Beschluss vom 11. Januar 2011 (1 BvR 3295/07) stellte der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts fest, dass § 8 Abs. 1 Nr. 3 und 4 TSG nicht mit dem Grundgesetz vereinbar sei, da er unbedingt und ausnahmslos verlange, dass sich eine transsexuelle Person einer Operation unterziehe, die zu einer dauerhaften Zeugungsunfähigkeit führe. Das Bundesverfassungsgericht war insbesondere der Auffassung, dass die transsexuelle Person durch diese Verpflichtung in eine Zwangssituation gebracht werde, die Operation entweder abzulehnen, damit aber auf die rechtliche Anerkennung ihrer Änderung der Geschlechtszugehörigkeit verzichten zu müssen, oder aber eine Operation hinzunehmen, die nicht nur enorme körperliche Veränderungen mit sich bringen, sondern auch das menschliche Selbstverständnis der Person berühren würde. Das Gericht kam zu dem Schluss, dass die betroffene Person in beiden Fällen stets in wesentlichen Grundrechten, die ihre psychische oder körperliche Integrität betreffen, beeinträchtigt werde.

42. Das Bundesverfassungsgericht führte weiterhin aus:

„Die für diese zwangsläufige und schwere Grundrechtsbeeinträchtigung angeführten Gründe tragen nicht. Allerdings verfolgt der Gesetzgeber ein berechtigtes Anliegen, wenn er mit der dauernden Fortpflanzungsunfähigkeit als Voraussetzung für die personenstandsrechtliche Anerkennung des empfundenen Geschlechts ausschließen will, dass rechtlich dem männlichen Geschlecht zugehörige Personen Kinder gebären oder rechtlich dem weiblichen Geschlecht zugehörige Personen Kinder zeugen, weil dies dem Geschlechtsverständnis widerspräche und weitreichende Folgen für die Rechtsordnung hätte.

Es trifft zwar zu, dass solche Möglichkeiten eintreten können, wenn bei der personenstandsrechtlichen Anerkennung des empfundenen Geschlechts auf die Voraussetzung der dauernden Fortpflanzungsunfähigkeit verzichtet wird. Bei Frau‑zu‑Mann‑Transsexuellen wird dies jedoch nur in seltenen Fällen vorkommen, weil sie ganz überwiegend heterosexuell orientiert sind. Demgegenüber ist bei Mann‑zu‑Frau‑Transsexuellen mit homosexueller Orientierung […] nicht auszuschließen, dass sie als dann rechtlich eingestufte Frauen Kinder zeugen. Es ist jedoch zu berücksichtigen, dass schon die hormonelle Behandlung, die zur Therapie von Transsexuellen zumeist durchgeführt wird, eine mindestens zeitweilige Zeugungsunfähigkeit bewirkt. Zudem ist angesichts des Entwicklungsstandes der heutigen Fortpflanzungsmedizin selbst bei einem Festhalten an dem Erfordernis der dauernden Fortpflanzungsunfähigkeit nicht mehr auszuschließen, dass eine Mann‑zu‑Frau‑Transsexuelle, die sich entsprechenden Operationen unterzogen hat und personenstandsrechtlich als Frau ausgewiesen wird, später mit Hilfe ihres vor der Operation eingefrorenen Spermas ein Kind zeugt, wie ein vor dem Oberlandesgericht K. entschiedener Fall zeigt (Beschluss vom 30. November 2009, 16 Wx 94/09 [siehe Rdnr. 46]).

Solche Fälle des Auseinanderfallens von rechtlicher Geschlechtszuordnung und Erzeuger- beziehungsweise Gebärendenrolle, die angesichts der kleinen Gruppe transsexueller Menschen eher selten vorkommen werden, berühren vornehmlich die Zuordnung der geborenen Kinder zu Vater und Mutter. Es ist ein berechtigtes Anliegen [des Gesetzgebers], Kinder ihren biologischen Eltern auch rechtlich so zuzuweisen, dass ihre Abstammung nicht im Widerspruch zu ihrer biologischen Zeugung auf zwei rechtliche Mütter oder Väter zurückgeführt wird.“

43. Das Bundesverfassungsgericht stellte fest, dass eine klare, den biologischen Umständen entsprechende rechtliche Zuordnung eines Kindes zu einem Vater und einer Mutter gesetzlich schon vorgesehen sei. Das Bundesverfassungsgericht erklärte unter Verweis auf § 5 Abs. 3 sowie §§ 8 und 10 TSG (siehe Rdnrn. 27 und 29), dass damit sichergestellt sei, dass den betroffenen Kindern trotz der rechtlichen Geschlechtsänderung eines Elternteils immer ein Vater und eine Mutter zugewiesen blieben […]. Das Gericht gelangte zu dem Schluss, dass bei einer Abwägung zwischen den Gründen, die den Gesetzgeber dazu bewogen hätten, die Fortpflanzungsunfähigkeit zur Voraussetzung für die Personenstandsänderung zu machen, und den schwerwiegenden Beeinträchtigungen der Rechte der transsexuellen Person, die sie durch den Zwang erfahre, sich einer medizinisch nicht indizierten Operation zu unterziehen, wobei bei Mann‑zu‑Frau‑Transsexuellen, so legte das Bundesverfassungsgericht dar, zudem bereits oft aufgrund von Hormonbehandlungen Zeugungsunfähigkeit bestehe, dem Recht der transsexuellen Person auf sexuelle Selbstbestimmung unter Wahrung ihrer körperlichen Unversehrtheit größeres Gewicht beizumessen sei. Das Bundesverfassungsgericht erklärte:

„Dies gilt zumal, weil es rechtliche Möglichkeiten gibt sicherzustellen, dass Kinder, deren einer Elternteil ein Transsexueller ist, dennoch rechtlich ihrem Vater und ihrer Mutter zugewiesen werden.“

44. In seinem Beschluss vom 10. Oktober 2017 (1 BvR 2019/16) erklärte das Bundesverfassungsgericht die Tatsache, dass Personen, die sich weder dem männlichen noch dem weiblichen Geschlecht zuordnen, kein Geschlechtseintrag ermöglicht werde, der nicht „weiblich“ oder „männlich“ laute, als unvereinbar mit Artikel 2 Abs. 1, Artikel 1 Abs. 1 und Artikel 3 Abs. 3 des Grundgesetzes und trug dem Gesetzgeber auf, eine solche Möglichkeit spätestens bis zum 31. Dezember 2018 herbeizuführen. Das Bundesverfassungsgericht war insbesondere der Auffassung, dass die Möglichkeit der fehlenden Angabe im Geburtenregister nicht mit der Anerkennung der empfundenen geschlechtlichen Zugehörigkeit der betroffenen Person gleichzustellen sei, sondern vielmehr den Eindruck hervorrufe, dass die Geschlechtseintragung lediglich noch nicht geklärt oder auch vergessen worden sei. Das Bundesverfassungsgericht stellte fest, dass dieser Eintrag nur deshalb spezifische Bedeutung für die geschlechtliche Identität der betroffenen Person erlange, weil das Personenstandsrecht die Angabe der Geschlechtszugehörigkeit verlange. In der Tat habe der Gesetzgeber trotz mehrfacher Reformen des Personenstandsrechts an einer verpflichtenden Registrierung des Geschlechts im Personenstand festgehalten. Das Bundesverfassungsgericht stellte fest, dass das Grundgesetz der Anerkennung einer weiteren geschlechtlichen Identität jenseits des weiblichen und männlichen Geschlechts nicht entgegenstehe und insbesondere nicht erzwinge, das Geschlecht als Teil des Personenstandes zu normieren, und dem Gesetzgeber erlaube, gar kein Geschlecht einzutragen.

45. Am 22. Dezember 2018 trat als Antwort auf den Beschluss des Bundesverfassungsgerichts das Gesetz zur Änderung der in das Geburtenregister einzutragenden Angaben vom 18. Dezember 2018 in Kraft. Das Gesetz bewirkte u. a. die Änderung von § 22 Abs. 3 PStG, der seither vorsieht, dass ein Kind, das weder dem weiblichen noch dem männlichen Geschlecht zugeordnet werden kann, auch ohne eine solche Angabe oder mit der Angabe „divers“ in das Geburtenregister eingetragen werden kann.

E. Rechtsprechung der Zivilgerichtsbarkeit

1. Einschlägige ältere Entscheidungen

46. Eine der ersten Gerichtsentscheidungen, die sich mit der Eintragung des elterlichen Status einer transsexuellen Person im Geburtenregister befasste, erging am 30. November 2009 durch das Oberlandesgericht K. (16 Wx 94/09). Es hatte über die Wirksamkeit der Vaterschaftsanerkenntnisse einer Mann‑zu‑Frau‑Transsexuellen für die Zwillinge, die ihre Lebenspartnerin (in eingetragener Lebenspartnerschaft) zur Welt gebracht hatte, zu entscheiden. Vor der Geschlechtsänderung hatte die transsexuelle Person ihr Sperma einfrieren lassen, mit dem sich ihre Lebenspartnerin im Ausland später einer künstlichen Befruchtung unterzog. Das Oberlandesgericht war der Auffassung, dass die transsexuelle Person aufgrund der Vaterschaftsanerkenntnisse als Vater der Kinder gelten solle und mit dem Vornamen in dem Geburtenregister beizuschreiben sei, der vor der Änderung der Geschlechtszugehörigkeit maßgebend gewesen sei. Dass die transsexuelle Person zum Zeitpunkt der Anerkennung der Vaterschaft nicht mehr männlichen Geschlechts gewesen sei, ändere nichts an der Situation. Unter Verweis auf das Gesetzgebungsverfahren führte das Oberlandesgericht aus, dass der Gesetzgeber klar vorgegeben habe, dass allen leiblichen Kindern der Schutz des § 11 TSG gebühre (siehe Rdnr. 31). Das Oberlandesgericht gelangte zu dem Schluss, dass die Anerkennung der Vaterschaft wirksam gewesen sei und die betroffene Person demzufolge als Vater der Kinder in dem Geburtenregister beizuschreiben sei, allerdings nach § 10 Abs. 2 und § 5 Abs. 3 TSG (siehe Rdnrn. 29 und 27) mit ihren vormals maßgebenden Vornamen. Diese Regelungen stellten sicher, dass die Eltern bei der Ausstellung der Geburtsurkunden für ihre Kinder mit den Vornamen angegeben werden würden, die ihrem in der Geburtsurkunde angegebenen Geschlecht entsprächen, und dadurch einer unbeabsichtigten Offenlegung der Transsexualität des transsexuellen Elternteils vorgebeugt werde. Die Vorschriften dienten somit dem Schutz der berechtigten Interessen der Kinder und letztendlich auch denjenigen der transsexuellen Person.

47. In einem Beschluss vom 4. Januar 2016 (22 III 12/15) wies das Amtsgericht M. darauf hin, dass Mutter eines Kindes die Frau sei, die es geboren habe, auch wenn die Feststellung über die neue Zugehörigkeit dieser Person zum männlichen Geschlecht vor der Geburt des Kindes erfolgt sei. Es seien die Vornamen im Geburtenregister einzutragen, die die betroffene Person vor der Änderung ihrer Geschlechtszugehörigkeit geführt habe. Das Amtsgericht war jedoch der Auffassung, dass es ausreiche, die vormals geführten Vornamen im Hinweisteil des Geburtenregisters zu erfassen, wobei die aktuell geführten Vornamen des transgeschlechtlichen Elternteils im Grundeintrag zu verwenden seien. So würden die Eltern in der Geburtsurkunde des Kindes gemäß § 59 PStG (siehe Rdnr. 37) mit ihren jeweils zum Zeitpunkt der Geburt des Kindes geführten Vornamen identifiziert, während eine Angabe der vormals geführten Vornamen unterbleibe.

48. Das Gericht stellte diesbezüglich fest, dass die Vorschrift des § 5 Abs. 3 TSG (siehe Rdnr. 27) verfassungskonform auszulegen sei und dabei das Offenbarungsverbot mit Blick auf die geschlechtliche Zugehörigkeit einer Person und die Abstammungsklarheit zu berücksichtigen seien. Das Amtsgericht erklärte, dass es demnach ausreiche, wenn die vormals geführten Vornamen des transgeschlechtlichen Elternteils als Zusatzdaten im Geburtenregister erschienen und nicht als aktuell geführte Vornamen. Das Gericht fügte hinzu, dass § 5 Abs. 3 TSG eine Angabe der vormals geführten Vornamen in einer Geburtsurkunde nicht erfordere. Das Amtsgericht war der Auffassung, dass die Eintragung der aktuell geführten Vornamen eines transgeschlechtlichen Elternteils und die Verwendung der geschlechtsneutralen Bezeichnung „Eltern“ dem Offenbarungsverbot entsprächen. Eine Offenlegung des Geschlechts in der Geburtsurkunde sei nicht erforderlich, da das Kind die Abstammungsangaben dem Geburtenregister entnehmen könne.

2. Die Grundsatzentscheidung des Bundesgerichtshofs

49. Mit einer Grundsatzentscheidung vom 6. September 2017 (XII ZB 660/14) entschied der Bundesgerichtshof über die Frage, ob ein transsexueller Vater, dessen von ihm geborenes Kind mit Hilfe eines Samenspenders gezeugt wurde, im Geburtenregister als Mutter oder Vater des Kindes einzutragen sei.

50. Der Bundesgerichtshof wies darauf hin, dass gemäß § 1591 BGB (siehe Rdnr. 22), Mutter eines Kindes die Person sei, die es geboren habe. Der Frau‑zu‑Mann‑Transsexuelle habe das Kind zwar geboren, sei bei der Geburt des Kindes allerdings keine „Frau“ im Rechtssinne mehr gewesen, weil er seit dem 11. April 2011 als dem männlichen Geschlecht zugehörig anzusehen sei. Darauf komme es jedoch für die statusrechtliche Zuordnung nicht an, da nach § 11 Satz 1 TSG (siehe Rdnr. 30) die Entscheidung, dass eine transsexuelle Person als dem anderen Geschlecht zugehörig anzusehen sei, das Rechtsverhältnis zwischen ihr und ihren Kindern unberührt lasse. Mit Blick auf angenommene Kinder stelle § 11 TSG allerdings klar, dass dies nur gelte, soweit diese vor Rechtskraft der Entscheidung über die Geschlechtsänderung als Kinder angenommen worden seien. Der Bundesgerichtshof bestätigte die Auffassung des Oberlandesgerichts, wonach § 11 Satz 1 TSG auch Sachverhalte erfasse, in denen das leibliche Kind einer transsexuellen Person nach der Entscheidung über die Änderung der elterlichen Geschlechtszugehörigkeit geboren worden sei. Dies entspreche klar dem Willen des Gesetzgebers und dem mit dem TSG verfolgten Zweck. Gemäß § 11 Satz 1 TSG solle der Status der transsexuellen Person (als Vater oder als Mutter) unberührt bleiben, und zwar insbesondere für die Vaterschaftsfeststellung und die Ehelichkeitsanfechtung. Der Bundesgerichtshof fügte in Bezug auf das Abstammungsrecht hinzu, dass das TSG generell gewährleisten wolle, dass der biologisch durch Geburt oder Zeugung festgelegte rechtliche Status als Mutter oder Vater des Kindes einer Veränderung nicht zugänglich sei. Unter Verweis auf das Gesetzgebungsverfahren zum TSG und insbesondere zum § 11 (siehe Rdnr. 31) erklärte der Bundesgerichtshof, dass dies für alle leiblichen Kinder einer transsexuellen Person gelte, unabhängig davon, ob sie vor oder nach der gerichtlichen Entscheidung über die Änderung der elterlichen Geschlechtszugehörigkeit geboren worden seien. Auch den nach der gerichtlichen Entscheidung geborenen Kindern solle durch eine biologisch nicht begründete Zuweisung der rechtlichen Mutterschaft oder Vaterschaft nicht die Möglichkeit genommen werden, ihre Abstammung feststellen zu lassen.

51. Bezüglich der Frage der Vornamen war der Bundesgerichtshof der Auffassung, dass es, anders als vom Amtsgericht M. in seinem Beschluss vom 4. Januar 2016 in einer anderen Rechtssache festgestellt (siehe Rdnrn. 47‑48), nicht in Betracht komme, die vormals geführten (weiblichen) Vornamen lediglich als zusätzliche Daten zu erfassen und die Mutter des Kindes mit den aktuell geführten (männlichen) Vornamen im Geburtenregister einzutragen. Dem stünden Wortlaut und Zweck von § 5 Abs. 3 TSG (siehe Rdnr. 27) entgegen, da diese Vorschrift die Interessen des Kindes an der Geheimhaltung der Transsexualität eines Elternteils im Blick habe und die Kinder insbesondere nicht gezwungen sein sollten, Geburtsurkunden vorzulegen, aus deren Inhalt Dritte Rückschlüsse auf die Transsexualität des Elternteils ziehen könnten. Dieses Ziel könne aber nur erreicht werden, wenn sowohl das Geburtenregister als auch die aus dem Geburtenregister erstellten Geburtsurkunden von Hinweisen auf die Transsexualität eines Elternteils freigehalten werden würden.

52. Es könne die Anerkennung der geschlechtlichen Identität eines transsexuellen Elternteils beeinträchtigen, wenn ihm im Verhältnis zu einem nach der Entscheidung über die Geschlechtsänderung geborenen Kind ein rechtlicher Status als Vater oder Mutter zugewiesen sei, welcher seinem selbstempfundenen und rechtlich zugewiesenen Geschlecht nicht entspreche. Das Recht auf Persönlichkeitsentfaltung sei jedoch nur innerhalb der gesetzlichen Schranken, zu denen die Vorschriften des BGB und des TSG gehören, garantiert. Das deutsche Abstammungsrecht sei wie die weitaus meisten Rechtsordnungen weltweit davon geprägt, dass es die Fortpflanzungsfunktionen der Elternteile mit ihrem Geschlecht verknüpfe, indem es die Rolle der Gebärenden einer Frau (Mutter) und die Rolle des Erzeugers einem Mann (Vater) zuweise. Dem Grundgesetz lasse sich keine Verpflichtung zur Schaffung eines geschlechtsneutralen Abstammungsrechts entnehmen, in dem Vaterschaft und Mutterschaft auf einen rein sozialen Bedeutungsinhalt reduziert und als rechtliche Kategorien aufgegeben werden würden. Vor diesem Hintergrund sei letztlich die Verknüpfung zwischen Fortpflanzungsfunktion und Geschlecht unbestreitbar biologisch begründet. Unter Verweis auf den Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 11. Januar 2011 (siehe Rdnrn. 41‑43) wies der Bundesgerichtshof darauf hin, dass statusrechtliche Zuordnungsprobleme beim Auseinanderfallen zwischen der Fortpflanzungsfunktion des biologischen Geschlechts und dem davon abweichenden rechtlich zugewiesenen Geschlecht eines Elternteils auf der Grundlage des bestehenden geschlechtsspezifischen Abstammungsrechts gelöst werden müssten. Zudem sei davon auszugehen, dass derartige Zuordnungsprobleme angesichts der kleinen Gruppe transsexueller Menschen ohnehin eher selten zu erwarten seien.

53. Der Bundesgerichtshof führte weiterhin aus:

„Mutter ist die Person, die das Kind geboren hat, Vater die Person, bei der aufgrund sozialer Beziehungen zur Mutter bei typisierender Betrachtungsweise davon ausgegangen werden kann oder bei der aufgrund gerichtlicher Feststellung erwiesen ist, dass es sich bei ihr um den genetischen Erzeuger des Kindes handelt. Mit dieser Zuordnung entspricht das Gesetz dem […] aus Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG hergeleiteten Gebot, die […] Zuweisung der elterlichen Rechtsposition grundsätzlich an der biologischen Herkunft des Kindes auszurichten und dadurch möglichst eine Übereinstimmung zwischen leiblicher und rechtlicher Elternschaft zu erreichen […]. Durch die Regelung des § 11 Satz 1 TSG ist sichergestellt, dass den betroffenen Kindern trotz der Geschlechtsänderung eines Elternteils rechtlich immer ein Vater und eine Mutter zugeordnet bleiben oder werden. Wie das Bundesverfassungsgericht bereits ausdrücklich ausgesprochen hat, ist es ein berechtigtes Anliegen des Gesetzgebers, Kinder ihren biologischen Eltern auch rechtlich so zuzuweisen, dass ihre Abstammung nicht im Widerspruch zu ihrer biologischen Zeugung auf zwei rechtliche Mütter oder Väter zurückgeführt wird […].

Eine von den biologischen Fortpflanzungsfunktionen abweichende statusrechtliche Zuordnung hätte für die Kohärenz der Rechtsordnung weitreichende Folgen, weil Mutterschaft und Vaterschaft als rechtliche Kategorien untereinander nicht beliebig austauschbar sind, sondern sich sowohl hinsichtlich der Voraussetzungen ihrer Begründung als auch hinsichtlich der daran anknüpfenden Rechtsfolgen voneinander unterscheiden. Ein Frau‑zu‑Mann‑Transsexueller kann auf der Grundlage des geltenden Rechts nicht als […] Vater eines von ihm selbst geborenen Kindes angesehen werden […], weil seine genetische Verbindung zum Kind nicht durch die Beisteuerung der Samenzelle, sondern – sofern kein Fall einer (in Deutschland verbotenen) Eizellenspende vorliegt – durch die Beisteuerung der Eizelle hergestellt wird.“

54. Ließe man eine über die Eizelle vermittelte genetische Abstammung maßgebend sein, stehe dies im Widerspruch zu der sich aus § 1591 BGB (siehe Rdnr. 22) ergebenden gesetzgeberischen Wertentscheidung, dass die statusrechtliche Zuordnung gerade nicht an die genetische Herkunft der Eizelle angeknüpft werden solle. Der Bundesgerichtshof kommt zu dem Schluss, dass ein Frau‑zu‑Mann‑Transsexueller aus diesem Grund für das durch ihn geborene Kind nur als Mutter angesehen werden könne. Erst die an die Geburt anknüpfende Zuordnung zu einer Mutter eröffne dem Kind auch den Weg der Zuordnung zu einem Vater. Aufgrund der rechtlichen Zuordnung als Mutter des Kindes stehe einem unverheirateten Frau‑zu‑Mann‑Transsexuellen auch die alleinige elterliche Sorge zu, aus der beispielsweise das Recht auf Bestimmung des Vornamens des Kindes folge. Eine abweichende Zuordnung würde zudem die Grundrechte des Kindes berühren. Der Bundesgerichtshof anerkannte zum einen, dass das Kind ein Recht auf Kenntnis der eigenen biologischen Herkunft habe, und dass dieses Recht zwar keinen Anspruch auf Verschaffung solcher Kenntnisse verleihe, aber vor der Vorenthaltung erlangbarer Informationen durch staatliche Organe schütze. Wesentliche, dem Geburtenregister zu entnehmende Informationen zu seiner Abstammung würden dem Kind aber vorenthalten werden, wenn das familienrechtliche Statusrecht nicht klarstellen oder nur in einer im Widerspruch zu den biologischen Gegebenheiten stehenden Weise darstellen würde, auf welche Fortpflanzungsfunktion (Geburt oder Zeugung) es die konkrete Eltern‑Kind‑Zuordnung zurückführen wolle. Die Anknüpfung an die biologische Fortpflanzungsfunktion verschaffe dem Kind eine rechtlich beständige Zuordnung zu einem Vater und einer Mutter. Dies sei aber bei der Anknüpfung an das personenstandsrechtlich zugewiesene Geschlecht des betroffenen Elternteils wegen der nicht nur theoretischen Möglichkeit, die personenstandsrechtliche Anerkennung des selbstempfundenen Geschlechts des Elternteils wieder rückgängig zu machen, nicht der Fall. Wie das Amtsgericht ausgeführt habe, hätten allein in Berlin zwischen 2011 und 2013 zehn Personen von dieser Option Gebrauch gemacht.

55. Der Bundesgerichtshof erklärte, dass der Zweck der Führung der Personenstandsregister darin bestehe, beweiskräftige Unterlagen über den Personenstand einer Person zur Verfügung zu stellen. Personenstandsrechtlich relevante Daten könnten ausschließlich durch die Einträge in den Personenstandsregistern und die aus diesen Registern erstellten Urkunden bewiesen werden. Andere Register hätten diese besondere Beweiskraft auch dann nicht, wenn aus ihnen öffentliche Urkunden mit Personendaten ausgestellt werden könnten. Der Personenstand umfasse Daten über die Geburt und alle damit in Verbindung stehenden familienrechtlichen Tatsachen einer Person, insbesondere die Identität der Mutter und des Vaters der betroffenen Person.

56. Der Bundesgerichtshof fügte hinzu, dass die schützenswerten Interessen an der Vollständigkeit und Richtigkeit der mit besonderer Beweisfunktion versehenen Eintragungen in die Personenstandsregister das Interesse der antragstellenden Person überwiegen würden, sich durch Eintragungen in das Geburtenregister ihres Kindes nicht der möglichen Gefahr einer Aufdeckung ihrer Transsexualität auszusetzen. Diese Gefahr werde durch die gesetzlichen Regelungen über die Benutzung der Personenstandsregister in vielfältiger Weise abgemildert. Der Kreis der Personen, denen auf Antrag Geburtsurkunden zu erteilen oder Einsicht in das Geburtenregister zu gewähren sei, werde durch § 62 Abs. 1 PStG (siehe Rdnr. 38) beschränkt. Es handele sich dabei in erster Linie um die betroffenen Personen selbst sowie um deren Ehe- und Lebenspartner bzw. -partnerinnen, Vorfahren und Abkömmlinge. Bei den letztgenannten Personen dürfte schon aufgrund der familiären Nähebeziehung in der Regel vermutet werden können, dass ihnen die Transsexualität ihres Familienangehörigen nicht unbekannt sei. Andere Personen müssten jedoch zunächst ein rechtliches Interesse glaubhaft machen, bevor ihnen eine Urkunde erteilt oder Einsicht in das Register gewährt werde. Darüber hinaus bestehe für den transsexuellen Elternteil die Möglichkeit, die Eintragung eines Sperrvermerks gemäß § 64 PStG (siehe Rdnr. 40) zu beantragen, solange er als gesetzlicher Vertreter seines minderjährigen Kindes handeln könne.

57. Der Bundesgerichtshof erklärte, dass sich eine nennenswerte Gefahr einer Offenbarung der Transsexualität im Wesentlichen nur dann ergeben würde, wenn der transsexuelle Elternteil selbst dazu angehalten werde, die Geburtsurkunde seines Kindes vorzulegen. Sei dabei allerdings nur die Tatsache der Geburt zu beweisen, könne sich ein transsexueller Elternteil einer Geburtsurkunde bedienen, in der Angaben zu den Eltern des Kindes gemäß § 59 Abs. 1 Nr. 4 und Abs. 2 PStG nicht aufgenommen worden seien (siehe Rdnr. 37). Diese Möglichkeit sei bei der Reform des Personenstandsrechts gerade mit Blick auf das Offenbarungsverbot des § 5 Abs. 1 TSG geschaffen worden (siehe Rdnr. 27). Hinsichtlich der vormals geführten Vornamen der betroffenen Person, gebiete es das öffentliche Interesse an der ordnungsgemäßen Führung des Geburtenregisters nur, im Geburtenregister die zutreffende Eltern‑Kind‑Zuordnung zu beurkunden. Sei die betroffene Person hiernach als „Mutter“ des Kindes einzutragen, habe die Eintragung ihrer früher geführten weiblichen Vornamen in Bezug auf das verfassungsrechtlich relevante Offenbarungsverbot allerdings keine eigenständige Bedeutung mehr. Der § 5 Abs. 3 TSG (siehe Rdnr. 27) solle es den Kindern später ermöglichen, ihre Herkunft mit Geburtenregistereinträgen und Geburtsurkunden nachzuweisen, die keinen Anlass zu Spekulationen über die Transsexualität eines ihrer Elternteile geben würden. Damit habe der Gesetzgeber im Interesse der Kinder einen legitimen Zweck verfolgt.

58. Bei Betrachtung der Frage vor dem Hintergrund der in der Konvention geschützten Rechte, stellte der Bundesgerichtshof fest, dass Deutschland, indem es die Zuordnung eines von einer transsexuellen Person nach ihrer rechtlichen Geschlechtsänderung geborenen oder gezeugten Kindes an die Fortpflanzungsfunktion und nicht an das geänderte Geschlecht des transsexuellen Elternteils geknüpft habe, den vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte den Staaten eingeräumten, weiten Ermessensspielraum zum Ausgleich zwischen konkurrierenden privaten und öffentlichen Interessen oder von Konflikten zwischen verschiedenen, von der Konvention geschützten Rechten nicht überschritten habe. Eine einheitliche Handhabung lasse sich hierzu in den europäischen Staaten nicht feststellen und die diesbezüglichen Regelungen des deutschen Rechts berücksichtigten in angemessener Weise das öffentliche Interesse an der Kohärenz der nationalen Rechtsordnung und das Recht des Kindes auf Kenntnis der eigenen Abstammung.

3. Jüngere Entscheidungen

59. Mit seinem Beschluss vom 14. Februar 2019 (1 W 102/18) entschied das Kammergericht in einem Fall, in dem eine bei Geburt dem weiblichen Geschlecht angehörige transsexuelle Person, nachdem sie männliche Vornamen angenommen hatte, ohne eine Geschlechtsänderung zu vollziehen, ein mit ihrem Ehemann gezeugtes Kind geboren habe und die Eintragung ihrer aktuell geführten Vornamen in das Geburtenregister sowie hilfsweise die Ausstellung einer Geburtsurkunde begehrte, in der sie und ihr Ehemann beide mit dem Begriff „Eltern“ bezeichnet werden. Das Kammergericht wies darauf hin, dass § 5 Abs. 3 TSG darauf abzielte, das allgemeine Persönlichkeitsrecht der Kinder und deren Recht auf informationelle Selbstbestimmung zu schützen. Die Kinder sollten nicht dazu gezwungen sein, Geburtsurkunden vorzulegen, aus deren Inhalt Dritte möglicherweise Rückschlüsse auf die Transsexualität der Eltern ziehen oder die zu entsprechenden Spekulationen Anlass geben könnten. Eine Geburtsurkunde, die die Mutter mit ihren männlichen Vornamen ausweise, werde diesem Zweck nicht gerecht, und zwar selbst dann nicht, wenn die betroffene Person darin nicht als Mutter, sondern zusammen mit ihrem Ehemann einheitlich als „Eltern” bezeichnet werden würde.

60. Das Interesse des Kindes, ebenso wie das der Eltern, die Transsexualität geheim zu halten, werde zwar nicht effektiv geschützt, wenn mit der Geburtsurkunde die Verwandtschaft zu einem Elternteil nachgewiesen werden solle und der Inhalt der Geburtsurkunde nicht mit dem Inhalt der Ausweisdokumente des betreffenden Elternteils übereinstimme. Das Kammergericht war jedoch der Auffassung, dass ein umfassender Schutz in diesen Situationen, die sich nur in beschränkter Anzahl und in der Regel nur in den ersten Jahren nach der Geburt ergeben würden, auch nicht mit der durch die betroffene Person beantragten Eintragung gewährleistet werden könne. Die sich ergebende Kollision zwischen Grundrechten des transsexuellen Elternteils und solchen des Kindes habe der Gesetzgeber dahin gelöst, dass im Geburtseintrag des Kindes der vormalig geführte Vorname des Elternteils zu beurkunden sei, die Verwendung von Geburtenregister und Geburtsurkunde aber dem Schutz und den Möglichkeiten der § 59 Abs. 2 und § 64 PStG zu unterliegen habe (siehe Rdnrn. 37 und 40).

61. Mit Beschluss vom 26. Januar 2022 wies der Bundesgerichtshof die gegen den Beschluss des Kammergerichts eingelegte Rechtsbeschwerde zurück. Unter Verweis auf seinen Beschluss vom 6. September 2017 (siehe Rdnrn. 49‑58) erklärte er, dass seine Schlussfolgerungen umso mehr auf die ihm vorgelegte Rechtssache Anwendung fänden, da die Mutter im vorliegenden Fall einen rechtlichen Geschlechtswechsel nicht vollzogen, sondern lediglich ihre Vornamen geändert habe.

62. Mit Beschluss vom 18. Februar 2019 (71f III 47/18) verfügte das Amtsgericht S., dass der transsexuelle Ehemann einer Frau, die ein Kind geboren habe, als Vater des Kindes im Geburtenregister eingetragen werden könne. Im deutschen Recht wie auch im uruguayischen Recht, nach dem die Ehe der Eheleute in der Rechtssache, mit der das Gericht befasst wurde, rechtsgültig geschlossen wurde, werde eine Ehe auch nach der Geschlechtsänderung eines der Ehepartner nicht unwirksam, unabhängig davon, ob eine verschiedengeschlechtliche Ehe dann zu einer gleichgeschlechtlichen Ehe oder umgekehrt werde.

63. Das Amtsgericht erklärte u. a., dass § 1591 Abs. 1 BGB (siehe Rdnr. 22) davon ausgehe, dass der Ehemann der Mutter eines Kindes in der Regel der leibliche Vater dieses Kindes sei. Diese gesetzliche Vermutung sei jedoch für die mit der Kindesmutter verheiratete Frau nicht begründet, sodass es in diesen Fällen weder eine Mitmutterschaft noch, wegen des Fehlens einer Person männlichen Geschlechts, eine Vaterschaft gebe. Die Ehefrau der Kindesmutter sei damit gemäß § 1592 Nr. 1 BGB (siehe Rdnr. 23) zwangsläufig personenverschieden zum leiblichen Vater. Die dem Amtsgericht vorliegende Rechtssache sei nicht zu vergleichen mit dem Ausnahmefall der Zeugung eines Kindes durch eine verheiratete samenspendende Mann‑zu‑Frau‑Transsexuelle, auf den sich der Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 29. November 2017 beziehe (siehe Rdnrn. 13‑19). In § 1592 Nr. 1 und 2 BGB (siehe Rdnr. 23) werde die Vaterschaft letztlich an die Stellung als Ehemann der Kindesmutter oder an die rechtliche Anerkennung der Vaterschaft angeknüpft und es werde anerkannt, dass der Ehemann bzw. der die Vaterschaft Anerkennende nicht immer der genetische Vater sei. Nur so könne auch ein zeugungsunfähiger Ehemann rechtlich als Vater des in der Ehe geborenen Kindes angesehen werden. Dem vergleichbar sei die Situation eines Frau‑zu‑Mann‑Transsexuellen.

64. Das Amtsgericht war der Auffassung, dass auch § 11 TSG (siehe Rdnr. 30) zu keinem anderen Ergebnis führe. Werde ein Frau‑zu‑Mann‑Transsexueller als Ehemann der Kindesmutter angesehen, so sei er auch als Vater mit seinen männlichen Vornamen und seinem männlichen Geschlecht im Geburtenregister einzutragen. Anders als in einer Situation, mit der sich der Bundesgerichtshof in seinem Beschluss vom 6. September 2017 (siehe Rdnrn. 49‑58) befasst hatte, in der ein Frau‑zu‑Mann‑Transsexueller sein Kind geboren habe, sei in der dem Amtsgericht vorgelegten Rechtssache der Ehemann der Kindesmutter nicht etwa als „anderer Elternteil“ mit seinem früheren Geschlecht im Geburtenregister einzutragen, da die Mutterstelle schon durch die Kindesmutter besetzt und § 11 TSG nicht einschlägig sei. Dieser erfasse nur die Eltern‑Kind‑Zuordnung von leiblichen Kindern zu ihrem transsexuellen Elternteil, unabhängig davon, ob ein Kind vor oder nach der Geschlechtsänderung des Elternteils geboren wurde.

II. INTERNATIONALES RECHT UND INTERNATIONALE PRAXIS

A. Europarat

65. Am 10. Oktober 2018 verabschiedete die Parlamentarische Versammlung des Europarats die Entschließung 2239(2018) „Vie privée et familiale : parvenir à l’égalité quelle que soit l’orientation sexuelle“ (Privat- und Familienleben: Gleichstellung unabhängig von der sexuellen Orientierung erreichen). In dieser Entschließung werden die Staaten unter anderem dazu aufgerufen, dafür zu sorgen, dass die Geschlechtsidentität von transgeschlechtlichen Eltern in der Geburtsurkunde ihrer Kinder korrekt eingetragen wird (Punkt 4.6).

B. Das Übereinkommen der Vereinten Nationen über die Rechte des Kindes

66. Die einschlägigen Bestimmungen des am 20. November 1989 in New York geschlossenen Übereinkommens der Vereinten Nationen über die Rechte des Kindes lauten wie folgt:

Artikel 3

„(1) Bei allen Maßnahmen, die Kinder betreffen, gleichviel ob sie von öffentlichen oder privaten Einrichtungen der sozialen Fürsorge, Gerichten, Verwaltungsbehörden oder Gesetzgebungsorganen getroffen werden, ist das Wohl des Kindes ein Gesichtspunkt, der vorrangig zu berücksichtigen ist.

2. (2) Die Vertragsstaaten verpflichten sich, dem Kind unter Berücksichtigung der Rechte und Pflichten seiner Eltern, seines Vormunds oder anderer für das Kind gesetzlich verantwortlicher Personen den Schutz und die Fürsorge zu gewährleisten, die zu seinem Wohlergehen notwendig sind; zu diesem Zweck treffen sie alle geeigneten Gesetzgebungs- und Verwaltungsmaßnahmen. […]“

Artikel 7

„(1) Das Kind ist unverzüglich nach seiner Geburt in ein Register einzutragen und hat das Recht auf einen Namen von Geburt an, das Recht, eine Staatsangehörigkeit zu erwerben, und soweit möglich das Recht, seine Eltern zu kennen und von ihnen betreut zu werden. […]“

Artikel 8

„(1) Die Vertragsstaaten verpflichten sich, das Recht des Kindes zu achten, seine Identität, einschließlich seiner Staatsangehörigkeit, seines Namens und seiner gesetzlich anerkannten Familienbeziehungen, ohne rechtswidrige Eingriffe zu behalten.

(2) Werden einem Kind widerrechtlich einige oder alle Bestandteile seiner Identität genommen, so gewähren die Vertragsstaaten ihm angemessenen Beistand und Schutz mit dem Ziel, seine Identität so schnell wie möglich wiederherzustellen.“

67. In seiner Allgemeinen Bemerkung Nr. 14 vom 29. Mai 2013 zum Recht des Kindes auf Berücksichtigung seines Wohls als ein vorrangiger Gesichtspunkt (Titel „Das Kindeswohl“ im Abschnitt „Rechtliche Analyse von Artikel 3 Absatz 1“) führt der UN‑Ausschuss für die Rechte des Kindes den folgenden Punkt auf:

„32. Beim Kindeswohl handelt es sich um ein komplexes Konzept, das in jedem Einzelfall inhaltlich konkretisiert werden muss. […] Es sollte anhand der konkreten Situation des betreffenden Kindes bzw. der betroffenen Kinder unter Berücksichtigung des persönlichen Umfelds, der jeweiligen Lebenssituation und Bedürfnisse individuell angepasst und definiert werden. Bei Einzelentscheidungen ist das Kindeswohl vor dem Hintergrund der besonderen Situation des betreffenden Kindes zu ermitteln und zu bestimmen. Bei kollektiven Entscheidungen – z. B. durch den Gesetzgeber – muss das Wohl von Kindern im Allgemeinen vor dem Hintergrund der Situation der betreffenden Gruppe und/oder von Kindern im Allgemeinen ermittelt und bestimmt werden. […]“

C. Der Bericht des Sonderberichterstatters zum Recht auf Privatheit vom 24. März 2020 (43. Sitzung des UN‑Menschenrechtsrats – A/HRC/43/52)

68. Die für diesen Fall einschlägigen Teile dieses Berichts lauten wie folgt:

„E. Kinder und Jugendliche […]

 

34. Die Staaten sollten: a) die Geburtsurkunden unverzüglich nach der Geburt ausstellen, auch für Kinder aus indigenen und in Stämmen lebenden Völkern, und in diesen Dokumenten die Geschlechtsidentität angeben, der sich die Eltern als zugehörig empfinden […].“

»

„F. Geschlechtsidentität und rechtliche Anerkennung

35. Die Staaten und die nicht staatlichen Akteure sollten:

a) die offizielle Anerkennung der Identität unabhängig vom Geschlecht der Person ermöglichen, indem sichergestellt wird, dass

[…]

ii) die Änderungen des Namens oder der Geschlechtsangabe nicht ohne die vorherige, freie und in Kenntnis der Sachlage erteilte Zustimmung der betroffenen Person offengelegt werden, es sei denn, dies wird von einem Gericht angeordnet

b) die Daten von Personen, die ihr Geschlecht oder ihre Geschlechtszugehörigkeit in amtlichen Registern geändert haben, schützen, indem sie

i) dafür sorgen, dass die Historie der Änderungen des Geschlechts, der Geschlechtszugehörigkeit oder der Namen vertraulich bleibt

ii) sicherstellen, dass Daten, die sich auf die Änderung des Geschlechts, der Geschlechtszugehörigkeit oder der Namen beziehen, nur dann aufgezeichnet und abgerufen werden, wenn die Historie für die Entscheidungsfindung von Interesse ist […]

36. Die Staaten sollten:

[…]

b) in Ausweisdokumenten nur solche personenbezogenen Daten zu Geschlecht und Geschlechtszugehörigkeit vermerken, die sachdienlich, angemessen und notwendig sind, um ein legitimes Ziel zu erreichen, wie es das Gesetz verlangt […]

e) mehrere Wahlmöglichkeiten für die Geschlechtsangabe zur Verfügung stellen und gleichzeitig darauf hinarbeiten, dass Geschlecht und Geschlechtszugehörigkeit in Ausweisdokumenten wie Geburtsurkunden, Personalausweisen, Reisepässen und Führerscheinen nicht mehr angegeben werden […]“

III. RECHTSVERGLEICHUNG

A. Der Index zur Situation der Transrechte von Transgender Europe

69. Laut dem „Trans Rights Europe & Central Asia Index 2021“, dem Index für Transrechte in Europa und Zentralasien, der von der Nichtregierungsorganisation Transgender Europe veröffentlicht wurde, sehen vier europäische Länder (Belgien, Malta, Schweden und Slowenien) in ihrer Rechtsordnung die Anerkennung des Elternstatus von transgeschlechtlichen Personen vor. Diese Zahl ist seit dem Index des Jahres 2018 unverändert geblieben. Laut dem Index von 2022 ist Island dieser Gruppe von Ländern beigetreten.

B. Kürzlich ergangene Entscheidungen in anderen Ländern

1. Frankreich

70. Mit Urteil vom 16. September 2020 (ECLI: FR:CCAS:2020:C100519) bestätigte der französische Kassationshof (Cour de cassation) die Entscheidung des Berufungsgerichts Montpellier (Cour d’appel de Montpellier) vom 14. November 2018, das die Klage einer transgeschlechtlichen Frau, die begehrte, als Mutter in die Geburtsurkunde ihres Kindes eingetragen zu werden, zurückgewiesen hatte. Diese hatte nach der Änderung ihres Geschlechtseintrags in den Personenstandsurkunden mit ihrer Ehefrau mithilfe ihres männlichen Samens das Kind gezeugt. Der Kassationshof stellte insbesondere fest, dass die Betroffene das Recht habe, ein biologisches Abstammungsverhältnis des Kindes anerkennen zu lassen, aber dass sie dies nur durch die dem Vater vorbehaltenen Arten der Feststellung der Abstammung tun könne. Auch entsprächen die geltenden gesetzlichen Bestimmungen des französischen Rechts dem Kindeswohl zum einen, indem sie die abstammungsrechtliche Zuordnung des Kindes zu seinen Eltern – als einen wesentlichen Teil seiner Identität – in Übereinstimmung mit den tatsächlichen Umständen seiner Zeugung und Geburt ermöglichen und so sein Recht auf Kenntnis der eigenen Abstammung gewährleisten, zum anderen, indem das nach der personenstandsrechtlichen Änderung des Geschlechtseintrags eines Elternteils geborene Kind abstammungsrechtlich genau wie seine Geschwister behandelt werde, die vor dieser Änderung geboren wurden, wodurch einer Ungleichbehandlung unter den Geschwistern vorgebeugt werde, die alle von zwei Müttern aufgezogen werden würden, auch wenn das Personenstandsregister Angaben zur Abstammung von einem Vater als Erzeuger enthalte. Diese Zuordnung werde Dritten in den ihnen übermittelten Auszügen aus dem Geburtenregister jedoch nicht offenbart.

71. Der Kassationshof hob hingegen das Urteil des Berufungsgerichts Montpellier insoweit auf, als dieses festgestellt hatte, dass im Sinne des Kindeswohls die Betroffene als „leiblicher Elternteil“ in die Geburtsurkunde einzutragen sei. Hierzu betonte der Kassationshof, dass es nach französischem Recht nicht zulässig sei, in den Personenstandsurkunden den Vater oder die Mutter des Kindes als „leiblichen Elternteil“ einzutragen.

72. Mit Urteil vom 9. Februar 2022 stellte das Berufungsgericht Toulouse, an das die Sache durch den Kassationshof verwiesen wurde, die mütterliche Abstammung von einer nicht gebärenden Mutter fest und ordnete an, die transgeschlechtliche Frau als Mutter in der Geburtsurkunde des Kindes einzutragen. Eine Anerkennung als Vater komme nicht mehr in Betracht, da dies die nicht gebärende Mutter dazu zwingen würde, ihre neue Geschlechtsidentität zu verleugnen, und gegen die in Artikel 8 und 14 der Konvention geschützten Rechte auf Achtung des Privatlebens und auf geschlechtliche Selbstbestimmung verstoßen würde. Bei Prüfung der Möglichkeit einer Mutterschaftsanerkennung stellte das Berufungsgericht fest, dass diese weder im Wege der Adoption, aufgrund der Ablehnung durch die gebärende Mutter des Kindes, noch durch eine freiwillige Anerkennung möglich sei. Letztere Option scheide in Folge des rechtskräftigen Urteils des Kassationshofs aus. Das Berufungsgericht berief sich dann auf das Schweigen des Gesetzgebers im Gesetz vom 18. November 2016 (das die Änderung des Geschlechtseintrags auch dann zulässt, wenn keine Geschlechtsangleichung erfolgt ist) bezüglich der Abstammung von Kindern, die nach der Änderung des Geschlechtseintrags eines Elternteils im Personenstandsregister geboren wurden, ausgelegt im Lichte des Bioethik‑Gesetzes vom 2. August 2021 (loi relative à la bioéthique) (das nach dem Urteil des Kassationshofs erlassen worden war und eine doppelte mütterliche Abstammung für Frauenpaare verankerte, die medizinische Hilfe bei der Fortpflanzung in Anspruch genommen haben), und kam zu dem Schluss, dass unter Berücksichtigung des Kindeswohls und der Bedeutung, die der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte der biologischen Dimension der Abstammung beimesse, sowie in Ermangelung jeglicher Konflikte und Widersprüche in Bezug auf die Abstammung des Kindes von den leiblichen Eltern, bei denen es sich personenstandsrechtlich um zwei Frauen handele, die mütterliche Abstammung auf rechtlichem Wege festgestellt werden könne (siehe C.V. und M.E.D. ./. Frankreich (Entsch.), Individualbeschwerden Nrn. 13948/21 und 14333/21, Rdnrn. 3‑15, 30. Juni 2022).

2. England und Wales

73. Mit Urteil vom 29. April 2020 in der Rechtssache McConnell ./. The Registrar General for England and Wales ([2020] EWCA Civ 559) verfügte das Berufungsgericht von England und Wales (England and Wales Court of Appeal), dass ein transgeschlechtlicher Mann, der ein Kind geboren habe, das (mit dem Samen eines Spenders) nach der Änderung seiner Geschlechtszugehörigkeit gezeugt und empfangen worden sei, in der Geburtsurkunde des Kindes als Mutter des Kindes einzutragen sei. Bei Prüfung der Rechtssache im Lichte der Konvention stellte das Berufungsgericht insbesondere fest, dass diese Art der Nennung der betroffenen Person in der Geburtsurkunde dazu diene, die Rechte anderer, einschließlich der Rechte von Kindern transgeschlechtlicher Eltern, zu schützen und eine klare und einheitliche Art der Beurkundung von Geburten beizubehalten. Es war der Ansicht, dass die in der Rechtssache aufgeworfenen Fragen über den ihm vorgelegten Fall hinausgingen und allgemeiner Natur seien, da die Frage nicht so sehr darin bestehe, ob es im Interesse des Kindes sei, dass die Person, die es geboren habe, in der Geburtsurkunde als Mutter eingetragen werde, sondern darin, ob die Rechte von Kindern generell das Recht beinhalten, zu wissen, wer sie geboren habe und welchen Status diese Person habe. Bei der Prüfung der Verhältnismäßigkeit der Maßnahme stellte das Berufungsgericht unter anderem fest, dass nach dem Gesetz über Kinder (Children Act) nur die Mutter automatisch die elterliche Sorge für das Kind habe, sobald es geboren sei, ohne dass ein urkundliches Dokument erforderlich sei. Es betonte, dass es wichtig sei, dass eine Person die elterliche Verantwortung für das Kind ab dem Zeitpunkt der Geburt habe, beispielsweise um eine medizinische Behandlung zu genehmigen. In seiner Argumentation stützte sich das Berufungsgericht außerdem auf die Schlussfolgerungen des Bundesgerichtshofs in seinem Beschluss vom 6. September 2017 (siehe Rdnrn. 49‑58).

74. Am 9. November 2020 lehnte der Oberste Gerichtshof des Vereinigten Königreichs die Zulassung einer Berufung gegen das Urteil mit der Begründung ab, dass die Klage keine vertretbare Rechtsfrage aufwerfe (Mitteilung vom 16. November 2020).

RECHTLICHE WÜRDIGUNG

I. ZUR BEHAUPTETEN VERLETZUNG VON ARTIKEL 8 DER KONVENTION

75. Die Beschwerdeführenden rügen, dass es die deutschen Behörden abgelehnt hätten, die erste Beschwerdeführerin als zweite Mutter des Beschwerdeführers im Geburtenregister beizuschreiben und dass sie ihr lediglich eine einzige Möglichkeit geboten hätten, ein rechtliches Abstammungsverhältnis zum Beschwerdeführer zu begründen, und zwar die Anerkennung der Vaterschaft für das Kind und die Eintragung als Vater im Geburtenregister. Sie betonen, dass es für sie mit Schwierigkeiten verbunden gewesen sei, die Anerkennung der deutschen Staatsbürgerschaft für den Beschwerdeführer zu erlangen und dass die gerügte Situation negative Auswirkungen aus erbrechtlicher Sicht und bezüglich des Kindesunterhalts nach sich ziehen könne.

Die Beschwerdeführenden berufen sich auf Artikel 8 der Konvention, dessen maßgeblicher Teil wie folgt lautet:

„1. Jede Person hat das Recht auf Achtung ihres Privat- und Familienlebens […].

2. Eine Behörde darf in die Ausübung dieses Rechts nur eingreifen, soweit der Eingriff gesetzlich vorgesehen und in einer demokratischen Gesellschaft notwendig ist […] zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer.“

A. Zur Zulässigkeit

1. Beschwerdebefugnis der Beschwerdeführerinnen im Namen des Beschwerdeführers

76. Der Gerichtshof stellt fest, dass die Beschwerdeführerinnen die vorliegende Individualbeschwerde auch im Namen des Beschwerdeführers eingelegt haben. Zwischen einem Elternteil und seinem Kind kann es widerstreitende Interessen geben, die zu berücksichtigen sind, wenn über die Zulässigkeit einer Beschwerde entschieden wird, die von einer Person im Namen einer anderen Person erhoben wurde (Strand Lobben u. a. ./. Norwegen [GK], Individualbeschwerde Nr. 37283/13, Rdnr. 158, 10. September 2019).

77. Im vorliegenden Fall wurde der Beschwerdeführer mit dem männlichen Samen der ersten Beschwerdeführerin gezeugt. Letztere ist die eingetragene Lebenspartnerin der zweiten Beschwerdeführerin, die den Beschwerdeführer geboren und der notariellen Anerkennung der Mutterschaft der ersten Beschwerdeführerin für das Kind zugestimmt hat (siehe Rdnr. 7). Der Gerichtshof stellt insbesondere fest, dass weder die innerstaatlichen Gerichte noch die Regierung die Befugnis der ersten Beschwerdeführerin, im Namen des Beschwerdeführers Beschwerde zu erheben, im vorliegenden Fall angefochten haben. Er ist daher der Ansicht, dass die Beschwerdebefugnis der Beschwerdeführerinnen im Namen des Beschwerdeführers nicht infrage steht, aber dass bei der Prüfung der Rügen, die die Beschwerdeführerinnen im eigenen Namen und im Namen des Beschwerdeführers auf der Grundlage von Artikel 8 der Konvention vorgebracht haben, das Vorhandensein möglicher widerstreitender Interessen zwischen den Beschwerdeführenden gewürdigt werden muss.

2. Zur Erschöpfung des Rechtswegs

78. Die Regierung weist darauf hin, dass die Beschwerdeführenden vor den innerstaatlichen Gerichten weder ihre Rügen hinsichtlich der geltend gemachten Schwierigkeiten bei der Anerkennung der deutschen Staatsbürgerschaft des Beschwerdeführers noch bezüglich des Erbrechts und des Kindesunterhalts vorgebracht hätten.

79. Die Beschwerdeführenden bringen vor, dass es sich bei den von ihnen angeführten Schwierigkeiten um keine gesonderten Rügen handele, sondern lediglich um die aus ihrer Sicht wahrgenommenen Folgen der Ablehnung seitens der Behörden, die Transgeschlechtlichkeit der ersten Beschwerdeführerin zu berücksichtigen.

80. Der Gerichtshof weist darauf hin, dass eine auf der Grundlage der Konvention vorgebrachte Rüge aus zwei Teilen besteht, nämlich der Tatsachenbehauptung und den daraus hergeleiteten rechtlichen Argumenten. Hinsichtlich der Erschöpfung des innerstaatlichen Rechtswegs muss die auf innerstaatlicher Ebene vorgebrachte Rüge der Sache nach der dem Gerichtshof später vorgelegten Rüge entsprechen (Radomilja u. a. ./. Kroatien [GK], Individualbeschwerden Nrn. 37685/10 und 22768/12, Rdnrn. 110 und 116, 20. März 2018).

81. Die Beschwerdeführenden haben sich vor den innerstaatlichen Gerichten zu keinem Zeitpunkt auf die Schwierigkeiten im Zusammenhang mit der Übertragung der Staatsbürgerschaft von der ersten Beschwerdeführerin auf den Beschwerdeführer, dem Erbrecht oder dem Kindesunterhalt berufen. Der Gerichtshof muss daher über die Frage entscheiden, ob die Tatsache, dass die Beschwerdeführenden diese Schwierigkeiten erstmals ihm gegenüber anführen, mit dem Vorbringen neuer Argumente gleichzusetzen ist (siehe sinngemäß Procedo Capital Corporation ./. Norwegen, Individualbeschwerde Nr. 3338/05, Rdnr. 42, 24. September 2009, und Tønsbergs Blad AS und Haukom ./. Norwegen, Individualbeschwerde Nr. 510/04, Rdnr. 54, 1. März 2007) oder ob die angeführten Schwierigkeiten eine gesonderte Rüge auf der Grundlage von Artikel 8 der Konvention darstellen, die von den Beschwerdeführenden vor den innerstaatlichen Gerichten zumindest nicht der Sache nach vorgebracht wurde.

82. Der Gerichtshof stellt fest, dass der Beschwerdeführer vor den innerstaatlichen Gerichten insbesondere geltend gemacht hat, dass die Ablehnung der deutschen Behörden, die erste Beschwerdeführerin als zweite Mutter im Geburtenregister beizuschreiben, ihm eine rechtliche Beziehung zu ebendieser verwehre (siehe Rdnr. 9), dass er jedoch nicht konkret dargelegt hat, welche Folgen diese Ablehnung für sein alltägliches Leben habe. Die angeführten Schwierigkeiten sind Folge des Fehlens dieser rechtlichen Beziehung und können daher nicht als gesonderte Rügen zu den vor den innerstaatlichen Gerichten vorgebrachten Rügen betrachtet werden. Vielmehr handelt es sich um nachträglich vorgebrachte Argumente zur Unterstützung der ursprünglichen Rüge. Daher wird die von der Regierung erhobene Einrede der Nichterschöpfung des innerstaatlichen Rechtswegs zurückgewiesen.

83. Der Gerichtshof weist jedoch darauf hin, dass die Tatsache, dass die Beschwerdeführenden diese drei Schwierigkeiten vor den innerstaatlichen Gerichten nicht gerügt haben, verhindert hat, dass diese die daraus für die Beschwerdeführenden resultierenden Beschwerdepunkte prüfen konnten. Dies muss bei der Eingrenzung des Streitgegenstands berücksichtigt werden (siehe Rdnr. 89).

3. Zur Anwendbarkeit von Artikel 8 der Konvention

84. In der vorliegenden Rechtssache erheben die Beschwerdeführenden ihre Rügen auf der Grundlage von Artikel 8 der Konvention, sowohl unter dem Gesichtspunkt „Privatleben“ als auch unter dem Gesichtspunkt „Familienleben“. Die Regierung bestreitet nicht die Anwendbarkeit dieser Vorschrift unter dem Gesichtspunkt „Privatleben“, aber ist der Auffassung, dass die Ablehnung der deutschen Behörden, die erste Beschwerdeführerin als zweite Mutter des Beschwerdeführers im Geburtenregister einzutragen, keine Auswirkungen auf das Familienleben der Beschwerdeführenden gehabt hat. Sie ist der Auffassung, dass die geltend gemachten Schäden nicht die Beziehungen der Beschwerdeführenden untereinander, sondern ausschließlich ihre Beziehungen zur Außenwelt betreffen. Selbst wenn die erste Beschwerdeführerin als Vater des Beschwerdeführers in das Geburtenregister eingetragen werde, könne sie sich vom Kind weiterhin „Mutter“ nennen lassen.

85. In Bezug auf die auf das Recht auf Achtung des Privatlebens gestützten Rügen der ersten Beschwerdeführerin weist der Gerichtshof darauf hin, dass dieses Recht ein Recht auf Selbstbestimmung umfasst, zu dessen Kernbestandteilen die Freiheit gehört, die Geschlechtszugehörigkeit zu bestimmen, sowie ein Recht auf die rechtliche Anerkennung der Geschlechtsidentität (A.P., Garçon und Nicot ./. Frankreich, Individualbeschwerde Nr. 79885/12 und zwei weitere, Rdnrn. 93‑94, 6. April 2017 und S.V. ./. Italien, Individualbeschwerde Nr. 55216/08, Rdnrn. 55‑56, 11. Oktober 2018), das auch den Schutz einer transgeschlechtlichen Person vor der unfreiwilligen Offenbarung ihrer Transgeschlechtlichkeit einschließt (B. ./. Frankreich, Individualbeschwerde Nr. 13343/87, Rdnrn. 60 und 62, 25. März 1992; siehe auch Y. ./. Polen, Individualbeschwerde Nr. 74131/14, Rdnr. 78, 17. Februar 2022). Mit Blick auf die zweite Beschwerdeführerin und den Beschwerdeführer weist der Gerichtshof darauf hin, dass das Recht auf Achtung der Privatsphäre die Freiheit einschließt, bestimmte Aspekte ihres Privatlebens zu offenbaren oder nicht (siehe sinngemäß M.L. und W.W. ./. Deutschland, Individualbeschwerden Nr. 60798/10 und 65599/10, Rdnr. 86, 28. Juni 2018; und X u. a. ./. Russland, Individualbeschwerden Nr. 78042/16 und 66158/14, Rdnr. 62, 14. Januar 2020).

86. Zu der von den Beschwerdeführenden geltend gemachten Verletzung ihres Rechts auf Achtung des Familienlebens stellt der Gerichtshof fest, dass sie in einer Eltern‑Kind‑Beziehung zusammenleben und dass das Bestehen des Verwandtschaftsverhältnisses zwischen ihnen von den deutschen Behörden nicht an sich bestritten wird, da die erste Beschwerdeführerin die Möglichkeit hat, sich als Vater des Beschwerdeführers im Geburtenregister eintragen zu lassen.

87. Der Gerichtshof stellt daher fest, dass Artikel 8 in diesem Fall ausschließlich unter seinem Gesichtspunkt „Privatleben“ Anwendung findet.

4. Schlussfolgerungen

88. Abschließend und mit der Feststellung, dass die Rüge nicht offensichtlich unbegründet oder aus einem anderen in Artikel 35 der Konvention genannten Grund unzulässig ist, erklärt der Gerichtshof sie für zulässig.

B. Zur Vorfrage des Streitgegenstands

89. Der Gerichtshof ist der Auffassung, dass es sich zwar bei den durch die Beschwerdeführenden erstmals ihm gegenüber vorgebrachten Schwierigkeiten nicht um gesonderte Rügen handelt, die aus den in Rdnr. 82 angeführten Gründen wegen Nichterschöpfung des innerstaatlichen Rechtswegs zurückgewiesen werden können, gleichwohl aber anzumerken ist, dass die Beschwerdeführenden mangels Darlegung ebendieser Schwierigkeiten im Rahmen des innerstaatlichen Verfahrens den innerstaatlichen Gerichten die Möglichkeit verwehrt haben, die Rügen vor diesem Hintergrund zu prüfen. Er kann diese daher bei der Prüfung der vorliegenden Beschwerde nicht berücksichtigen (siehe sinngemäß K. ./. Deutschland (Entsch.), Individualbeschwerde Nr. 21698/06, 23. November 2010, und Tønsbergs Blad AS und Haukom, a. a. O., Rdnr. 54).

C. Zur Begründetheit

1. Das Vorbringen der Parteien

a) Die Beschwerdeführenden

90. Die Beschwerdeführenden sind der Ansicht, dass durch die Ablehnung der deutschen Behörden, die erste Beschwerdeführerin als Mutter des Beschwerdeführers mit ihren weiblichen Vornamen im Geburtenregister einzutragen, sowie durch die Tatsache, dass die einzige Möglichkeit, die ihr das deutsche Recht biete, die Anerkennung der Vaterschaft für den Beschwerdeführer und die Eintragung als Kindesvater im Geburtenregister sei, in die Ausübung ihres Rechts auf Achtung ihres Privatlebens eingegriffen worden sei.

91. Die erste Beschwerdeführerin ist der Auffassung, dass ihr durch die Ablehnung der Eintragung als Mutter des Beschwerdeführers im Geburtenregister ihre Elternrolle abgesprochen werde und dass ihre Geschlechtsidentität durch eine wie im deutschen Recht vorgesehene Beischreibung als Vater nicht geachtet werde. Die zweite Beschwerdeführerin ist der Ansicht, dass ihr durch die deutschen Behörden verweigert werde, dass ein weiteres Elternteil die Mitverantwortung für das Kind trage, und dass durch eine Eintragung ihrer Lebenspartnerin als Vater des Beschwerdeführers im Geburtenregister der Eindruck entstehe, sie habe ein Kind mit einem Dritten und sei schwankend in ihren partnerschaftlichen Beziehungen. Der Beschwerdeführer bekräftigt wiederum, dass ihm durch die Ablehnung der Behörden, die erste Beschwerdeführerin als Mutter im Geburtenregister einzutragen, ein rechtliches Abstammungsverhältnis zu seiner zweiten Mutter verwehrt werde und er somit offiziell nur ein Elternteil habe. Die Eintragung der ersten Beschwerdeführerin im Geburtenregister als Vater berge die Gefahr der Offenbarung ihrer Transgeschlechtlichkeit. Die Eintragung zweier Mütter im Geburtenregister ließe Erklärungen zu, mit denen diese Gefahr vermieden werde, wohingegen die Eintragung der ersten Beschwerdeführerin als Vater die Identität eines Elternteils verschleiere und zudem den Eindruck vermittele, der deutsche Staat akzeptiere die Identität eines seiner Elternteile nicht.

92. Die Beschwerdeführenden machen geltend, dass die Interessen der Beschwerdeführerinnen und des Beschwerdeführers eng miteinander verbunden seien und dass die Regierung die Beschränkung der Rechte, insbesondere der ersten Beschwerdeführerin, nicht durch angeblich widerstreitende Interessen des Beschwerdeführers rechtfertigen könne. Nach deutschem Recht und der Rechtsprechung der Zivilgerichtsbarkeit werde das Recht auf Kenntnis der eigenen Abstammung nicht durch das Personenstandsrecht sichergestellt. Eine Geburtsurkunde, in der lediglich ein Elternteil genannt werde, verletze dieses Recht, da die Existenz des zweiten Elternteils verschwiegen werde. Bei Eintragung der ersten Beschwerdeführerin als Vater werde beim Beschwerdeführer der Eindruck erweckt, er sei Kind eines anderen Erzeugers. Im Gegenzug vermittle eine Geburtsurkunde, in der zwei Mütter aufgeführt werden, nicht den Eindruck, dass beide Frauen das Kind geboren hätten.

93. Die Beschwerdeführenden bringen vor, dass die Ablehnung der Eintragung der ersten Beschwerdeführerin im Geburtenregister als Mutter des Beschwerdeführers zu Spekulationen seitens Dritter hinsichtlich der Art der Verbindung zwischen der ersten Beschwerdeführerin und dem Kind führen könne. Personen, die die erste Beschwerdeführerin im Alltag als Elternteil kennen, würden sich die Frage stellen, warum lediglich die zweite Beschwerdeführerin auf der Geburtsurkunde des Kindes erscheine. Erschiene die erste Beschwerdeführerin auf der Geburtsurkunde als Vater, müsste der Beschwerdeführer erklären, wo sich sein Vater befinde und warum die erste Beschwerdeführerin auf seiner Geburtsurkunde nicht aufgeführt sei. Lediglich die Eintragung der ersten Beschwerdeführerin im Geburtenregister als Mutter des Beschwerdeführers könne dieser Gefahr vorbeugen und verhindern, dass der Beschwerdeführer gezwungen werde, die Transgeschlechtlichkeit eines Elternteils zu offenbaren, da eine gemeinsame Mutterschaft nach Adoption oder durch Anerkennung einer ausländischen gerichtlichen Entscheidung möglich sei. In der Geburtsurkunde müssten als Eltern die Personen angegeben werden, die die tatsächliche elterliche Sorge innehätten.

94. Die Beschwerdeführenden sind darüber hinaus der Auffassung, dass für die Ablehnung seitens der deutschen Behörden keine Rechtsgrundlage besteht. Der § 1591 BGB (siehe Rdnr. 22) schließe die Existenz einer anderen Mutter nicht aus und § 1592 BGB (siehe Rdnr. 23) regele lediglich die Voraussetzungen, unter denen ein Mann die Vaterschaft übernehmen könne, ohne dass eine analoge Anwendung dieser Vorschriften auf Situationen wie im vorliegenden Fall ausgeschlossen werde. Darüber hinaus könnten § 11 Abs. 1 und § 5 Abs. 3 TSG (siehe Rdnrn. 30 und 27) so ausgelegt werden, dass sie lediglich für Kinder gelten würden, die vor der Geschlechtsänderung des transsexuellen Elternteils geboren worden seien. Mit Verweis auf den Beschluss des Amtsgerichts S. vom 18. Februar 2019 (siehe Rdnrn. 62‑64) bringen die Beschwerdeführenden vor, dass § 5 Abs. 3 TSG der Anerkennung der Vaterschaft eines transsexuellen Mannes nicht entgegenstehe.

95. Aus Sicht der Beschwerdeführenden verfügen die deutschen Behörden in dem Fall lediglich über einen engen Ermessensspielraum, da die Fragen, mit denen sie befasst wurden, weder heikler moralischer noch ethischer Natur sind und ein besonders wichtiger Aspekt der Identität der Beschwerdeführenden auf dem Spiel steht (unter Bezug auf das Urteil Labassée ./. Frankreich, Individualbeschwerde Nr. 65941/11, Rdnr. 56, 26. Juni 2014).

b) Die Regierung

96. Die Regierung trägt vor, dass die vorliegende Rechtssache die Frage aufwerfe, ob Deutschland verpflichtet sei, die erste Beschwerdeführerin als Mutter des Beschwerdeführers und mit ihren weiblichen Vornamen im Geburtenregister einzutragen, und ob diese Beschwerde daher unter dem Gesichtspunkt der positiven Verpflichtungen aus Artikel 8 der Konvention geprüft werden müsse.

97. Die Rechte transsexueller Menschen seien im deutschen Recht umfassend geschützt, da jede Änderung des Geschlechts in den Personenstandsregistern, Geburtsurkunden oder Ausweisdokumenten vermerkt werde, ohne dass ein operativer Eingriff oder eine dauernde Fortpflanzungsunfähigkeit als Grundvoraussetzungen erforderlich seien. Die Frage der Anerkennung der Geschlechtsänderung einer transsexuellen Person in den Personenstandsregistern sei jedoch von der Frage zu unterscheiden, wie die Abstammung einer Person in diesen Registern eingetragen werden solle. In der Tat gehe es in solchen Fällen nicht nur um die Interessen der transsexuellen Person, sondern auch um die des Kindes.

98. Die Regierung weist darauf hin, dass das deutsche Abstammungsrecht an die spezifische Fortpflanzungsfunktion beider Elternteile entsprechend ihrem biologischen Geschlecht anknüpfe und dass diese Rollen nicht austauschbar seien. Insbesondere habe sich der deutsche Gesetzgeber wie die Gesetzgeber vieler anderer Vertragsstaaten für eine unveränderliche rechtliche Zuordnung des Kindes zur Mutter entschieden, d. h. zu der Person, die das Kind geboren habe, ohne dass das Gesetz eine Anfechtung der Mutterschaft vorsehe. Die bei der Geburt hergestellte Anknüpfung an die Mutter ermögliche eine schnelle, unkomplizierte und in den allermeisten Fällen auch zutreffende Zuordnung des neugeborenen Kindes zu seiner Mutter, was dem Wohl des Kindes diene und darüber hinaus darauf abziele, die in Deutschland verbotene Leihmutterschaft zu verhindern. Aus dieser Zuordnung ergebe sich, dass die erste Beschwerdeführerin nicht als Mutter des Beschwerdeführers im Geburtenregister eingetragen werden könne, da sie ihn nicht geboren habe.

99. Die Regierung fügt hinzu, dass die Verpflichtung zur Eintragung der vor der Geschlechtsänderung geführten Vornamen eines Elternteils in das Geburtenregister es dem Kind ermögliche, selbst zu bestimmen, wann und wem gegenüber es die Transsexualität seines Elternteils oder seiner Eltern offenbaren möchte, und zu verhindern, dass sich die Gefahr der Offenbarung bei Vorlage seiner Geburtsurkunde konkretisiere.

100. Die Regierung unterstreicht den im vorliegenden Fall sehr weiten Beurteilungsspielraum der deutschen Behörden, die nicht nur mehrere private und öffentliche Interessen und verschiedene durch die Konvention geschützte Rechte gegeneinander hätten abwägen müssen, sondern auch über sensible ethische Fragen hätten entscheiden müssen, zu denen es in den Vertragsstaaten keinen Konsens gebe. Der Beurteilungsspielraum sei nicht eingeschränkt, da letztlich weder das Abstammungsverhältnis zwischen der ersten Beschwerdeführerin und dem Beschwerdeführer noch die Geschlechtsidentität der ersten Beschwerdeführerin infrage gestellt worden seien.

101. In Bezug auf die betroffenen Rechte und Interessen erklärt die Regierung, dass die Zivilgerichte u. a. die Rechte der ersten Beschwerdeführerin gegen die Rechte des Beschwerdeführers hätten abwägen müssen, die zwar eng miteinander verbunden seien, aber nicht zusammenfielen, und dass sie auch das öffentliche Interesse an der eindeutigen und unverzüglichen rechtlichen Zuordnung eines Kindes zu seinen Eltern sowie an richtigen und vollständigen Personenstandsregistern hätten berücksichtigen müssen, deren Daten nach deutschem Recht eine besondere Beweiskraft zukomme. Insbesondere werde das Recht des Kindes auf Kenntnis seiner eigenen Abstammung beeinträchtigt, wenn das Abstammungsrecht nicht zu der Angabe verpflichte, auf welcher Fortpflanzungsfunktion (Geburt oder Zeugung) die Zuordnung des Kindes zu seinen beiden Elternteilen beruhe, oder wenn es die Möglichkeit eröffne, diese im Widerspruch zu den biologischen Umständen anzugeben.

102. Der Gesetzgeber müsse in einer Situation wie der vorliegenden notwendigerweise eine standardisierte Prüfung des Kindeswohls vornehmen und dabei berücksichtigen, dass es zwischen einem Kind und seinem transsexuellen Elternteil wie in Familien mit verschiedengeschlechtlichen Eltern zu Konflikten kommen könne, oder dass ein Kind von seinem transsexuellen Elternteil möglicherweise nicht über seine Abstammung in Kenntnis gesetzt werde. Der Gesetzgeber müsse sicherstellen, dass die Interessen der Kinder ausreichend geschützt werden.

103. Zur Frage nach einem europäischen Konsens in diesem Bereich gibt die Regierung an, die Regierungen von dreizehn Staaten (Belgien, Dänemark, Estland, Frankreich, Kroatien, Litauen, Niederlande, Norwegen, Schweiz, Serbien, Slowenien, Tschechische Republik und Vereinigtes Königreich) befragt zu haben, wie die vorliegende Situation in ihrem innerstaatlichen Recht geregelt sei. Aus diesen Antworten gehe hervor, dass zwar die Regelungen der befragten Vertragsstaaten in einigen Punkten voneinander abwichen, dass aber in den Rechtsordnungen von zwölf der dreizehn Staaten die Abstammung eines Kindes von seiner Mutter grundsätzlich biologisch an die weibliche Fortpflanzungsfunktion angeknüpft werde, und dass in sechs Staaten die Situation der ersten Beschwerdeführerin wie in Deutschland geregelt sei, d. h. dass eine Mann‑zu‑Frau‑Transsexuelle, die nach der Änderung ihres Geschlechts mit ihrem Samen ein Kind zeuge, als Vater in die Geburtsurkunde eingetragen werden würde. In Belgien hätte sich die erste Beschwerdeführerin, eine Mann‑zu‑Frau‑Transsexuelle, wahrscheinlich als Co‑Elternteil im Geburtenregister eintragen lassen können – im Gegensatz zu Frau‑zu‑Mann‑Transsexuellen, denen diese Möglichkeit nicht offenstehe.

104. Die Regierung bringt vor, dass der Gesetzgeber vor dem Hintergrund der gesellschaftlichen Entwicklungen und neuer rechtlicher Bedürfnisse an einer Reform des Transsexuellenrechts und des Abstammungsrechts arbeite. In diesem Zusammenhang sei im März 2019 ein Entwurf vorgelegt worden, der auf der einstimmigen Meinung eines zu diesem Zweck geschaffenen interdisziplinären Arbeitskreises basiere und den Grundsatz beibehalte, dass die Mutter die Person sei, die das Kind geboren habe, und der Vater die Person, von der angenommen werde, dass sie der Erzeuger des Kindes sei. Da die im Gesetz verwendeten Begriffe „Mutter“ und „Vater“ dem allgemeinen Sprachgebrauch entsprächen, sei es schwierig, die Öffentlichkeit von der Notwendigkeit zu überzeugen, sie durch andere Bezeichnungen wie „Elternteil 1“ und „Elternteil 2“ zu ersetzen. Eine solche terminologische Änderung würde im Übrigen dem Begehren der Beschwerdeführenden nicht dienen, weil die Anknüpfung an die Fortpflanzungsfunktion bestehen bliebe, wenn die Person, die das Kind geboren habe, als „Elternteil 1“ und die Person, von der der Samen stamme, als „Elternteil 2“ bezeichnet werden würde.

2. Das Vorbringen der Drittbeteiligten

a) TGEU, ILGA und Bundesverband Trans*

105. In ihren gemeinsamen Stellungnahmen weisen die Vereinigungen TGEU, ILGA und der Bundesverband Trans* darauf hin, dass transgeschlechtliche Personen, die im Übrigen in sehr unterschiedlichen familiären Konstellationen lebten, häufig vor der Änderung ihrer Geschlechtszugehörigkeit Kinder hätten. Nichtsdestotrotz komme es immer häufiger vor, dass Kinder nach dieser Änderung in den Ländern geboren werden würden, in denen die Beschränkungen in Bezug auf diese Änderung aufgehoben worden seien, insbesondere die Pflicht zur Sterilisation, die in 13 Mitgliedstaaten weiter fortbestehe. Die Geschlechtsidentität der Elternteile müsse in der Geburtsurkunde ihres Kindes korrekt angegeben werden, wie aus den Empfehlungen der Entschließung der Parlamentarischen Versammlung aus dem Jahr 2018 (siehe Rdnr. 65) und den Yogyakarta‑Prinzipien hervorgehe.

106. Die drei Drittbeteiligten heben die Tatsache hervor, dass transgeschlechtliche Elternteile in ihrem Alltag im Vergleich zu Cis‑Personen öfter Schwierigkeiten erlebten und beim Kontakt mit Behörden, Schulen, Kindergärten, medizinischem Personal und Grenzbeamten häufiger Diskriminierungen ausgesetzt seien. Viele transgeschlechtliche Eltern würden aufgrund dieser Schwierigkeiten zwei unterschiedliche Identitäten beibehalten, die des „Vaters“ und die der „Mutter“.

b) Ordo‑Iuris‑Institut

107. Ordo Iuris hebt die wichtige Rolle hervor, die Personenstandsregister und die aus ihnen erstellten Urkunden spielten, soweit aus ihnen eine objektive Wahrheit hervorgehe, die nicht entsprechend der Wünsche der Bürgerinnen und Bürger angepasst werden könne, und den Schutz unterschiedlicher öffentlicher Interessen (Sicherheit, öffentliche Ordnung, Rechtmäßigkeit) zum Ziel hätten sowie das Recht eines jedes Kindes auf Kenntnis seiner Herkunft sicherten. Personenstandsregister könnten diese Rolle nicht ausüben, wenn der Grundsatz der objektiven Wahrheit durch den Grundsatz der juristischen Fiktion ersetzt werde und jede einzelne Person frei und im Einklang mit den eigenen Vorlieben über den Inhalt der Register entscheiden könne.

108. Das Institut für Rechtskultur Ordo Iuris merkt an, dass im vorliegenden Fall nicht das Verwandtschaftsverhältnis an sich infrage gestellt werde, sondern lediglich dessen Form. Erteile man einem transsexuellen Mann das Recht, „Mutter“ genannt zu werden, sei dies mit einer Neudefinition des Konzepts „Mutter“ gleichzusetzen. In 17 Vertragsstaaten der Konvention werde mit dem Begriff „Mutter“ die Frau bezeichnet, die das Kind geboren habe. Die drittbeteiligte Organisation besteht auf dem Ermessensspielraum der Staaten in diesem Bereich und auf der Notwendigkeit, dem Wohl des Kindes Vorrang einzuräumen, wie es auch Artikel 3 der Konvention über die Rechte des Kindes erfordere (siehe Rdnr. 66).

3. Würdigung durch den Gerichtshof

a) Zur Frage, ob die Rechtssache eine positive Verpflichtung oder einen Eingriff betrifft

109. Der Gerichtshof weist darauf hin, dass Artikel 8 zwar im Wesentlichen darauf abzielt, den Einzelnen vor willkürlichen Eingriffen des Staates zu schützen, dass er den Staat aber nicht nur dazu verpflichtet, solche Eingriffe zu unterlassen, sondern dass zu dieser eher negativen Verpflichtung positive Verpflichtungen hinzukommen, die mit der wirksamen Achtung des Privatlebens einhergehen. Die Grenze zwischen positiven und negativen Verpflichtungen des Staates nach Artikel 8 der Konvention lässt sich nicht genau definieren, doch die Grundsätze, die im Fall der ersten Verpflichtungen gelten, sind mit den für die zweiten Verpflichtungen geltenden Grundsätzen vergleichbar. Um festzustellen, ob eine – positive oder negative – Verpflichtung besteht, muss ein angemessener Ausgleich zwischen dem öffentlichen Interesse und den Interessen des Einzelnen gefunden werden (siehe u. a. Söderman ./. Schweden [GK], Individualbeschwerde Nr. 5786/08, Rdnr. 78, ECHR 2013, und X, Y und Z ./. Vereinigtes Königreich, Rdnr. 41, 22. April 1997, Recueil des arrêts et décisions 1997‑II).

110. In vergleichbaren Rechtssachen hielt es der Gerichtshof für angemessener, Vorbringen im Zusammenhang mit der Ablehnung, ein neues Geschlecht zuzuweisen, unter dem Gesichtspunkt der positiven Verpflichtung, die Achtung der Geschlechtsidentität des Einzelnen sicherzustellen, zu prüfen (siehe z. B. Hämäläinen ./. Finnland [GK], Individualbeschwerde Nr. 37359/09, Rdnrn. 62‑64, ECHR 2014; A.P., Garçon und Nicot, a. a. O., Rdnr. 99; S.V. ./. Italien, a. a. O., Rdnrn. 60‑75). Unter Berücksichtigung der vorgebrachten Tatsachen und der Stellungnahmen der Parteien ist der Gerichtshof der Ansicht, dass im vorliegenden Fall im Kern zu entscheiden ist, ob angesichts der bestehenden Rechtsvorschriften und der in Bezug auf die Beschwerdeführenden getroffenen Entscheidungen festgestellt werden kann, dass der Staat seinen positiven Verpflichtungen zur Achtung des Privatlebens der Beschwerdeführenden nachgekommen ist.

111. Die allgemeinen Grundsätze, die für die Beurteilung der positiven Verpflichtungen des Staates gelten, wurden im Urteil Hämäläinen (a. a. O., Rdnrn. 65‑67 sowie in den dort zitierten Rechtssachen) zusammengefasst. Der Gerichtshof verweist insbesondere darauf, dass er eine Reihe von Kriterien festgelegt hat, die für die Beurteilung des Inhalts dieser positiven Verpflichtungen maßgeblich sind, darunter die Bedeutung des betroffenen Interesses für die beschwerdeführende Person, die Berührung von Grundwerten oder wesentlichen Aspekten ihres Privatlebens, die Auswirkungen eines Auseinanderfallens von gesellschaftlicher Wirklichkeit und Rechtslage auf die betroffene Person sowie die Auswirkungen auf den betroffenen Staat, wenn die strittige positive Verpflichtung weit und unbestimmt oder aber eng und bestimmt ist (ebd., Rdnr. 66).

b) Zum Ermessensspielraum

112. Bei der Umsetzung ihrer positiven Verpflichtungen aus Artikel 8 verfügen die Staaten über einen gewissen Ermessensspielraum. Bei der Frage, wie groß dieser ist, müssen verschiedene Faktoren berücksichtigt werden. Ist ein besonders wichtiger Aspekt der Existenz oder Identität einer Person betroffen, ist der Spielraum des Staates in der Regel eingeschränkt (S.H. u. a. ./. Österreich [GK], Individualbeschwerde Nr. 57813/00, Rdnr. 94, ECHR 2011; L.D. und P.K. ./. Bulgarien, Individualbeschwerden Nr. 7949/11 und 45522/13, Rdnr. 59, 8. Dezember 2016; und Mennesson ./. Frankreich, Individualbeschwerde Nr. 65192/11, Rdnr. 77, ECHR 2014 (Auszüge)). Besteht hingegen kein Konsens zwischen den Mitgliedstaaten des Europarats, sei es über die relative Bedeutung des betroffenen Interesses oder über die besten Mittel, dieses zu schützen, ist der Ermessensspielraum größer, insbesondere wenn die Rechtssache sensible moralische oder ethische Fragen aufwirft. Er ist im Allgemeinen auch dann weit gefasst, wenn der Staat einen Ausgleich zwischen widerstreitenden privaten und öffentlichen Interessen oder zwischen verschiedenen durch die Konvention geschützten Rechten, die miteinander in Konflikt stehen, herstellen muss (Hämäläinen, a. a. O., Rdnr. 67; S.H. u. a. ./. Österreich, a. a. O., Rdnr. 94; und Evans ./. Vereinigtes Königreich [GK], Individualbeschwerde Nr. 6339/05, Rdnr. 77, ECHR 2007-I).

113. Der Gerichtshof stellt fest, dass die Beschwerdeführenden vorbringen, die von ihnen geltend gemachten Rechte berührten insbesondere die Geschlechtsidentität und die Abstammung, die einen grundlegenden Aspekt des Rechts auf Achtung des Privatlebens darstellten und in einen Bereich fielen, in dem die Staaten in der Regel nur über einen eingeschränkten Ermessensspielraum verfügten (A.P., Garçon und Nicot, a. a. O., Rdnr. 123, und Mandet ./. Frankreich, Individualbeschwerde Nr. 30955/12, Rdnr. 52, 14. Januar 2016). Grund für die Rüge der Beschwerdeführerinnen – und insbesondere der ersten Beschwerdeführerin in dem Fall, dass diese als Vater des Beschwerdeführers im Geburtenregister eingetragen werden würde – sind nicht die sie selbst betreffenden Eintragungen in den amtlichen Dokumenten, sondern vielmehr die Angaben im Geburtenregister des Beschwerdeführers, d. h. die Eintragungen, die eine andere Person betreffen. Betrachtet man den Beschwerdeführer, wird das Recht auf Selbstbestimmung nicht durch die mögliche Offenlegung einer Tatsache über seine eigene Geschlechtsidentität berührt, sondern durch die Offenbarung der transgeschlechtlichen Identität eines Elternteils. Der Gerichtshof stellt außerdem fest, dass zwar das Recht des Beschwerdeführers auf Kenntnis seiner Abstammung betroffen ist, dieses Recht im vorliegenden Fall jedoch geeignet ist, die von den Beschwerdeführerinnen geltend gemachten Rechte zu beschränken. Daraus folgt, dass der Ermessensspielraum nicht durch die geltend gemachten betroffenen Rechte eingeschränkt wird.

114. Der Gerichtshof stellt weiter fest, dass es unter den europäischen Staaten keinen Konsens darüber gibt, wie in Einträgen in Personenstandsregistern, die ein Kind betreffen, angegeben werden soll, dass eine der Personen, die die Elternschaft innehaben, transgeschlechtlich ist. Wie aus den von der Organisation Transgender Europe veröffentlichten Daten hervorgeht (siehe Rdnr. 69), sehen nur fünf Staaten des Europarats eine Eintragung des anerkannten Geschlechts in diesen Registern vor, wohingegen die Mehrheit der Staaten weiterhin die Person, die ein Kind geboren hat, als dessen Mutter bezeichnet, und es der Person, die zur Zeugung mit ihrem Samen beigetragen hat, ermöglicht, die Vaterschaft für das Kind anzuerkennen. Dieser fehlende Konsens zeigt, dass die Elternschaft einer Person, die ihre Geschlechtszugehörigkeit geändert hat, sensible ethische Fragen aufwirft, und spricht dafür, dass den Staaten grundsätzlich ein weiter Ermessensspielraum eingeräumt werden sollte.

115. Der Gerichtshof stellt schließlich fest, dass die deutschen Behörden mehrere private und öffentliche Interessen und verschiedene widerstreitende Rechte gegeneinander abwägen mussten: erstens die Rechte der Beschwerdeführerinnen; zweitens die Grundrechte und Interessen des Beschwerdeführers, d. h. sein Recht auf Kenntnis der eigenen Abstammung sowie sein Interesse an einer stabilen Zuordnung zu seinen Eltern, Rechte und Interessen, die nach den vom Bundesgerichtshof gemachten Ausführungen in seiner Grundsatzentscheidung vom 6. September 2017, auf die er sich in großen Teilen in seiner Entscheidung in der vorliegenden Rechtssache gestützt hat (siehe Rdnrn. 49‑58), einen anderen Schwerpunkt haben als die Beschwerdeführenden meinen (Mandet, a. a. O., Rdnrn. 57 und 59); schließlich das öffentliche Interesse, das in der Kohärenz der Rechtsordnung und der Richtigkeit und Vollständigkeit der Personenstandsregister liegt, denen eine besondere Beweiskraft zukommt. Auch dieser Umstand spricht dafür, dass es einen weiten Ermessensspielraum gibt.

116. In Anbetracht all dieser Umstände ist der Gerichtshof daher der Ansicht, dass die deutschen Behörden in diesem Fall über einen weiten Ermessensspielraum verfügten.

117. Der Gerichtshof verweist jedoch darauf, dass die vom Staat getroffenen Entscheidungen, selbst wenn sie sich innerhalb der Grenzen dieses Spielraums bewegen, der Kontrolle des Gerichtshofs unterliegen. Ihm obliegt es nämlich, die Argumente, die für die gewählte Lösung vorgebracht wurden, sorgfältig zu prüfen und zu untersuchen, ob ein angemessener Ausgleich zwischen den Interessen des Staates und den Interessen der von dieser Lösung direkt betroffenen Personen geschaffen wurde. Dabei muss, wann immer es um die Situation eines Kindes geht, der wesentliche Grundsatz beachtet werden, dass das Kindeswohl Vorrang hat (Mennesson, a. a. O., Rdnr. 81; Mandet, a. a. O., Rdnr. 53; und L.D. und P.K. ./. Bulgarien, a. a. O., Rdnr. 61).

c) Zum Recht der Beschwerdeführenden auf Achtung ihres Privatlebens

118. Der Gerichtshof stellt fest, dass im Gegensatz zu den Beschwerdeführenden in anderen Rechtssachen, die er in der Vergangenheit geprüft hat, die erste Beschwerdeführerin nicht die fehlende Anerkennung der Änderung ihrer Geschlechtszugehörigkeit in den sie betreffenden amtlichen Dokumenten rügt (siehe z. B. und u. v. a. Christine Goodwin ./. Vereinigtes Königreich [GK], Individualbeschwerde Nr. 28957/95, ECHR 2002‑VI), sondern die Ablehnung seitens der Behörden, ihre nun maßgebende Geschlechtszugehörigkeit und ihre aktuell geführten Vornamen in einer offiziellen Urkunde, die ihren Sohn betrifft, einzutragen. Außerdem rügt sie die Tatsache, dass ihr nur eine einzige Möglichkeit geboten wird, ein rechtliches Abstammungsverhältnis zu ihrem Sohn zu begründen, nämlich die Anerkennung der Vaterschaft mit Eintragung als Vater des Beschwerdeführers im Geburtenregister.

119. Der Gerichtshof stellt fest, dass nach der Absicht des deutschen Gesetzgebers die vormals maßgebende Geschlechtszugehörigkeit und der vormals geführte Vorname des transgeschlechtlichen Elternteils nicht nur bei einer Geburt angegeben werden müssen, die vor Rechtskraft der Änderung der Geschlechtszugehörigkeit des Elternteils erfolgt ist, sondern auch, wenn, wie im vorliegenden Fall, die Zeugung oder die Geburt des Kindes nach dieser Änderung stattgefunden hat. Tatsächlich ist der Wortlaut von § 11 Abs. 1 TSG im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens ausdrücklich in diesem Sinne geändert worden, weil es nach den damaligen Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft nicht ausgeschlossen war, dass Personen, die als fortpflanzungsunfähig gegolten haben, nach einer geschlechtsändernden Operation dennoch ein Kind hätten zeugen oder gebären können (siehe Rdnr. 31).

120. Der Gerichtshof stellt fest, dass die vorliegende Situation unter anderem dadurch möglich wurde, dass das Bundesverfassungsgericht in seinem Beschluss vom 11. Januar 2011 (siehe Rdnrn. 41‑43) die Verpflichtung einer Person, die eine Änderung ihrer Geschlechtszugehörigkeit anerkennen lassen wollte, sich einer Operation zu unterziehen, sowie die Voraussetzung einer nicht umkehrbaren Sterilität für mit dem Grundgesetz unvereinbar erklärt hatte. Das Bundesverfassungsgericht war nämlich der Ansicht, dass das Recht von transsexuellen Menschen auf Selbstbestimmung schwerer wiegt als die Gründe, die den Gesetzgeber dazu veranlasst haben, solche Voraussetzungen für die Anerkennung einer Änderung der Geschlechtszugehörigkeit zu stellen. Der Gerichtshof stellt fest, dass dieser Beschluss darauf abzielte, die Rechte von transsexuellen Personen zu stärken und ihren Schutz auf einem Niveau zu gewährleisten, das er selbst später als Folge der positiven Verpflichtungen nach Artikel 8 der Konvention gefordert hatte (siehe u. a. A.P., Garçon und Nicot, a. a. O., Rdnr. 135). Aus dem genannten Beschluss geht hervor, dass dem Bundesverfassungsgericht bewusst war, dass Situationen wie die im vorliegenden Fall in der Zukunft eintreten könnten, es jedoch der Auffassung war, dass es rechtliche Möglichkeiten gibt, um sicherzustellen, dass Kinder mit einem transsexuellen Elternteil die Zuordnung zu ihrem Vater und zu ihrer Mutter beibehielten (siehe Rdnr. 43).

121. Der Bundesgerichtshof hat anerkannt, dass die Tatsache, dass die erste Beschwerdeführerin ausschließlich mit ihrem vormals maßgebenden Geschlecht als Elternteil des Beschwerdeführers im Geburtenregister eingetragen werden könne, dazu geeignet sei, die Anerkennung ihrer geschlechtlichen Identität zu beeinträchtigen. Das Recht auf Persönlichkeitsentfaltung werde jedoch u. a. durch §§ 1591 und 1592 BGB sowie durch § 11 Satz 1 TSG (siehe Rdnrn. 22, 23 und 30) in seiner Auslegung im Beschluss vom 6. September 2017 (siehe Rdnrn. 49‑58) begrenzt. In diesem Beschluss, den der Bundesgerichtshof einige Wochen vor seiner Entscheidung bezüglich der Beschwerdeführenden in der vorliegenden Rechtssache erlassen hatte, äußerte er die Auffassung, dass die Rechte des transsexuellen Elternteils in der ihm vorgelegten Rechtssache zum einen gegen öffentliche Interessen abgewogen werden müssten, insbesondere die Kohärenz der Rechtsordnung und die Führung vollständiger und richtiger Personenstandsregister, und zum anderen gegen die Rechte und Interessen des Kindes, insbesondere das Recht auf Kenntnis der eigenen Abstammung, das Recht auf Pflege und Erziehung durch beide Elternteile und das Interesse, von Geburt an eine stabile rechtliche Zuordnung zu einer Mutter und einem Vater zu haben, die auf den biologischen Fortpflanzungsfunktionen beruhe. In diesem Zusammenhang betonte der Bundesgerichtshof, dass Mutterschaft und Vaterschaft als rechtliche Kategorien untereinander nicht austauschbar seien und sich sowohl hinsichtlich der Voraussetzungen ihrer Begründung als auch hinsichtlich der daran anknüpfenden Rechtsfolgen voneinander unterschieden.

122. In Bezug auf die vom Bundesgerichtshof in seinem Beschluss vom 6. September 2017 angeführten öffentlichen Interessen hat der Gerichtshof in der Vergangenheit anerkannt, dass die Kohärenz der Rechtsordnung bei der Interessenabwägung eine gewisse Bedeutung haben kann (Christine Goodwin, a. a. O., Rdnrn. 86‑88 und 91; X, Y und Z ./. Vereinigtes Königreich, a. a. O., Rdnr. 47, 22. April 1997, Recueil des arrêts et décisions 1997‑II; Rees ./. Vereinigtes Königreich vom 17. Oktober 1986, Rdnrn. 43‑44, Serie A Bd. 106). Er hat insbesondere anerkannt, dass die Sicherstellung der Zuverlässigkeit und Kohärenz des Personenstands und im weiteren Sinne das Erfordernis der Rechtssicherheit im öffentlichen Interesse liegen (Y.T. ./. Bulgarien, Individualbeschwerde Nr. 41701/16, Rdnr. 70, 9. Juli 2020; X und Y ./. Rumänien, Individualbeschwerden Nr. 2145/16 und 20607/16, Rdnr. 158, 19. Januar 2021; A.P., Garçon und Nicot, a. a. O., Rdnr. 132; und S.V. ./. Italien, a. a. O., Rdnr. 69). In diesem Zusammenhang weist der Gerichtshof auch darauf hin, dass, wie es der Bundesgerichtshof in seinem Beschluss vom 6. September 2017 betont hat (siehe Rdnrn. 49‑58), Einträge in Personenstandsregistern im deutschen Rechtssystem eine besondere Beweisfunktion haben.

123. In Bezug auf die Rechte des Kindes stellt der Gerichtshof fest, dass die Beschwerdeführenden geltend machen, dass ihre Interessen eng miteinander verbunden seien und dass die Beschränkung der Rechte der Beschwerdeführerinnen, entgegen dem Vorbringen der Regierung (siehe Rdnr. 101), nicht durch die angeblich entgegenstehenden Interessen des Beschwerdeführers gerechtfertigt werden könnten. Diesbezüglich weist er allgemein darauf hin, dass ein Staat, ohne gegen Artikel 8 der Konvention zu verstoßen, Rechtsvorschriften zur Regelung wichtiger Aspekte des Privatlebens erlassen kann, die keine Abwägung widerstreitender Interessen in jedem Einzelfall, sondern eine absolute Regelung zur Förderung der Rechtssicherheit vorsehen (S.H. u. a., a. a. O., Rdnr. 110; Evans, a. a. O., Rdnr. 89; siehe auch Allgemeine Bemerkung Nr. 14 des UN‑Ausschusses für die Rechte des Kindes zum Recht des Kindes auf Berücksichtigung seines Wohls als ein vorrangiger Gesichtspunkt, Rdnr. 32, zitiert in Rdnr. 67). Ohne die elterlichen Rechte infrage zu stellen (siehe Artikel 3 Abs. 2 des Übereinkommens der Vereinten Nationen über die Rechte des Kindes; siehe Rdnr. 66) ist der Gerichtshof ferner der Ansicht, dass der Bundesgerichtshof nicht darauf beschränkt war, die Interessen des Beschwerdeführers dergestalt zu berücksichtigen, wie sie von den Beschwerdeführerinnen dargelegt wurden, sondern sie stattdessen umfassend prüfen und insbesondere die Interessenkonflikte zwischen den Beschwerdeführenden berücksichtigen musste.

124. Der Bundesgerichtshof hat in seinem Beschluss vom 6. September 2017 die Frage geprüft, ob die statusrechtliche Zuordnung der Eltern ohne Bezug zu ihren biologischen Fortpflanzungsfunktionen geeignet sei, die Grundrechte des Kindes zu verletzen. Dass die diesbezüglich gezogenen Schlussfolgerungen des Bundesgerichtshofs allgemeine Erwägungen enthalten, die nicht ausdrücklich auf die Persönlichkeitsrechte des Kindes eingehen, liegt daran, dass die innerstaatlichen Gerichte, die von einem oder beiden Elternteilen und ihrem Kind angerufen werden, sich nicht nur auf die Betrachtung der von dem Elternteil bzw. den Elternteilen geltend gemachten Interessen beschränken können, sondern dem Kindeswohl Vorrang einzuräumen haben (siehe insbesondere Artikel 3 des Übereinkommens der Vereinten Nationen über die Rechte des Kindes, Rdnr. 66) und auch die möglichen zukünftigen Interessen des Kindes sowie die Interessen von Kindern in einer vergleichbaren Situation berücksichtigen müssen, auf die die Rechtsvorschriften, die den betreffenden Fall regeln, ebenfalls Anwendung finden (siehe auch X, Y und Z ./. Vereinigtes Königreich, a. a. O., Rdnr. 51).

125. Der Gerichtshof stellt fest, dass die Diskrepanz zwischen den Interessen der Beschwerdeführerinnen und denen des Beschwerdeführers im vorliegenden Fall naturgemäß kurz nach der Geburt des Kindes auftrat, als entschieden werden musste, welche Eintragungen im Geburtenregister gemacht werden, d. h. zu einem Zeitpunkt, an dem das Wohl des Beschwerdeführers aufgrund seines jungen Alters nicht individuell geprüft werden konnte. Darüber hinaus war der Bundesgerichtshof – wie aus seiner Grundsatzentscheidung hervorgeht – der Ansicht, dass sich die Interessen des Kindes bis zu einem gewissen Grad mit dem öffentlichen Interesse an der Zuverlässigkeit und Kohärenz des Personenstands sowie an der Rechtssicherheit überschnitten (siehe sinngemäß A.P., Garçon und Nicot, a. a. O., Rdnr. 142).

126. Der Gerichtshof stellt fest, dass das Recht des Kindes auf Kenntnis seiner Abstammung, auf das sich der Bundesgerichtshof in seinem Beschluss vom 6. September 2017 gestützt hat (siehe Rdnrn. 49‑58), um das Recht des Vaters des Kindes auf geschlechtliche Identität zu beschränken, ebenfalls durch die Konvention geschützt ist (Mikulić ./. Kroatien, Individualbeschwerde Nr. 53176/99, Rdnr. 54, ECHR 2002-I; Odièvre ./. Frankreich [GK], Individualbeschwerde Nr. 42326/98, Rdnr. 29, ECHR 2003-III; und Godelli ./. Italien, Individualbeschwerde Nr. 33783/09, Rdnrn. 45‑46, 25. September 2012) und insbesondere das Recht umfasst, die Einzelheiten seiner Abstammung zu erfahren (Mennesson, a. a. O., Rdnr. 46, und Labassee, Rdnr. 38).

127. Der Gerichtshof stellt außerdem fest, dass der Bundesgerichtshof betont hat, dass die rechtliche Zuordnung des Kindes zu seinen Eltern entsprechend ihrer jeweiligen Fortpflanzungsfunktion es dem Kind ermögliche, stabil und unveränderlich an eine Mutter und einen Vater gebunden zu sein, was sich auch in dem vom Bundesgerichtshof in seiner Grundsatzentscheidung als nicht nur theoretisch angesehenen Fall, dass der transsexuelle Elternteil die Aufhebung der Entscheidung über die Änderung der Geschlechtszugehörigkeit beantrage, nicht ändern würde. Die Regierung hat zudem erklärt, dass diese grundsätzliche Zuordnung auch darauf abziele, die in Deutschland verbotene Leihmutterschaft zu verhindern (siehe Rdnr. 98), ein Verbot, das der Gerichtshof als einem legitimen öffentlichen Interesse entsprechend anerkannt hat (Paradiso und Campanelli ./. Italien [GK], Individualbeschwerde Nr. 25358/12, Rdnrn. 203‑204, 24. Januar 2017; Mennesson, a. a. O., Rdnr. 62; und Valdís Fjölnisdóttir u. a. ./. Island, Individualbeschwerde Nr. 71552/17, Rdnr. 65, 18. Mai 2021).

128. In Bezug auf die Angabe der vormals geführten Vornamen der ersten Beschwerdeführerin im Geburtenregister schließt der Gerichtshof aus den Feststellungen des Bundesgerichtshofs in seinem Beschluss vom 6. September 2017 (siehe Rdnrn. 49‑58), dass diese dem Zweck der einzigen im Gesetz vorgesehenen Möglichkeit entspricht, nämlich der Eintragung im Geburtenregister der ersten Beschwerdeführerin als Vater des Beschwerdeführers, und darüber hinaus dazu dient, den Beschwerdeführer davor zu schützen, die Transsexualität seines Elternteils offenbaren zu müssen.

129. Insoweit die Beschwerdeführenden geltend machen (siehe Rdnr. 91), dass das Recht eines Kindes, seine Abstammung zu kennen, und das Interesse der Behörden, die biologische Realität der Zeugung durch einen transgeschlechtlichen Elternteil zu dokumentieren, durch die Eintragung zweier Mütter im Geburtenregister erfüllt werden könnten, weist der Gerichtshof darauf hin, dass die Wahl der Maßnahmen, die dazu geeignet sind, die Einhaltung von Artikel 8 der Konvention im Rahmen von zwischenmenschlichen Beziehungen sicherzustellen, grundsätzlich im Ermessensspielraum der Vertragsstaaten liegt. In dieser Hinsicht gibt es verschiedene Möglichkeiten, die Achtung des Privatlebens zu gewährleisten, und die Art der staatlichen Verpflichtung hängt davon ab, welcher Aspekt des Privatlebens betroffen ist (Odièvre, a. a. O., Rdnr. 46; Godelli, a.a.O., Rdnr. 65; Evans, a.a.O., Rdnr. 91; S.H. u. a. ./. Österreich, a. a. O., Rdnr. 106; und sinngemäß Vavřička u. a. ./. Tschechische Republik [GK], Individualbeschwerde Nr. 47621/13 und fünf andere, Rdnr. 273, 8. April 2021).

130. Würde die erste Beschwerdeführerin als Vater des Beschwerdeführers im Geburtenregister eingetragen werden, besteht in der Tat bei Vorlage einer Abschrift der Geburtsurkunde des Beschwerdeführers die Gefahr der Offenbarung ihrer transgeschlechtlichen Identität. Der Bundesgerichtshof hatte jedoch in seinem Beschluss vom 6. September 2017 (siehe Rdnr. 49‑58) darauf hingewiesen, dass es möglich sei, eine aus dem Geburtenregister erstellte Geburtsurkunde zu erhalten, in denen Angaben zu den Eltern des Kindes nicht enthalten seien. Der Bundesgerichtshof hatte außerdem klargestellt, dass nur eine begrenzte Anzahl von Personen, die im Allgemeinen Kenntnis von der Transsexualität der betroffenen Person hätten, berechtigt seien, eine vollständige Abschrift der Geburtsurkunde zu beantragen, während alle anderen Personen ein rechtliches Interesse an einer solchen Kopie geltend machen müssten (siehe mutatis mutandis Y. ./. Polen, a. a. O., Rdnr. 79, und S.W. u. a. ./. Österreich (Entsch.), Individualbeschwerde Nr. 1928/19, Rdnr. 50, 6. September 2022).

131. Der Gerichtshof stellt fest, dass die oben genannten Vorkehrungen geeignet sind, die Unannehmlichkeiten zu verringern, denen insbesondere die erste Beschwerdeführerin ausgesetzt sein könnte, wenn sie im Geburtenregister als Vater eingetragen werden würde und ihre Elternschaft zu ihrem Sohn nachweisen müsste. Außerdem haben die Beschwerdeführerinnen nicht geltend gemacht, dass sie im Rahmen verschiedener Verwaltungsformalitäten häufig eine vollständige Geburtsurkunde des Beschwerdeführers vorlegen müssten, oder dass eine gekürzte Fassung der Geburtsurkunde oder ein anderes Dokument für die betreffenden Behörden und Einrichtungen nicht ausreichend sein würde, zumal einige dieser Behörden und Einrichtungen in der Regel bereits Kenntnis von der Transgeschlechtlichkeit einer Person haben bzw. verpflichtet sein dürften, diese Information vertraulich zu behandeln.

132. In Anbetracht der Tatsache, dass einerseits das Abstammungsverhältnis zwischen der ersten Beschwerdeführerin und dem Beschwerdeführer an sich nicht infrage gestellt wurde, und angesichts der begrenzten Anzahl von Situationen, in denen es bei der Vorlage der Geburtsurkunde des Beschwerdeführers zur Offenbarung der Transgeschlechtlichkeit der ersten Beschwerdeführerin kommen könnte, wenn sie als Vater des Beschwerdeführers im Geburtenregister eingetragen wäre, sowie des weiten Ermessensspielraums des beschwerdegegnerischen Staates (siehe Rdnr. 116) andererseits, ist der Gerichtshof der Auffassung, dass die deutschen Gerichte einen angemessenen Ausgleich zwischen den Rechten der Beschwerdeführerinnen, den Interessen des Beschwerdeführers, den Erwägungen zum Wohl des Kindes und den öffentlichen Interessen hergestellt haben.

d) Schlussfolgerungen

133. In Anbetracht der vorstehenden Ausführungen gelangt der Gerichtshof zu dem Schluss, dass Artikel 8 der Konvention nicht verletzt worden ist.

II. BEHAUPTETE VERLETZUNG VON ARTIKEL 14 IN VERBINDUNG MIT ARTIKEL 8 DER KONVENTION

134. Die Beschwerdeführenden sind der Ansicht, Opfer einer Diskriminierung geworden zu sein. Sie berufen sich auf Artikel 14 der Konvention, der wie folgt lautet:

„Der Genuss der in dieser Konvention anerkannten Rechte und Freiheiten ist ohne Diskriminierung insbesondere wegen des Geschlechts, der Rasse, der Hautfarbe, der Sprache, der Religion, der politischen oder sonstigen Anschauung, der nationalen oder sozialen Herkunft, der Zugehörigkeit zu einer nationalen Minderheit, des Vermögens, der Geburt oder eines sonstigen Status zu gewährleisten.“

A. Das Vorbringen der Parteien

1. Die Beschwerdeführenden

135. Die Beschwerdeführenden machen geltend, dass die biologische Herkunft keine Grundvoraussetzung für die Vaterschaftsanerkennung sei. Ziel der Vaterschaftsanerkennung sei es, einem Kind rechtlich einen zweiten Elternteil zusätzlich zu der Person zuzuweisen, die es geboren habe. Eine Mutterschaftsanerkennung verfolge denselben Zweck.

136. Die erste Beschwerdeführerin rügt, dass es als Elternteil ohne männliche Geschlechtsidentität und ohne männlichen Vornamen unmöglich sei, ein Kind anzuerkennen, während ein Mann wiederum die Vaterschaft für ein Kind ohne jegliche biologische Verwandtschaftsbeziehung zu diesem Kind anerkennen könne. Sie sollte das gleiche Recht auf Anerkennung eines Kindes haben, zumal sie eines der leiblichen Elternteile des Beschwerdeführers sei. Ebenfalls sieht sie sich gegenüber transgeschlechtlichen Männern diskriminiert, welche die Vaterschaft für das Kind ihrer Lebenspartnerin anerkennen könnten, ohne dass sie mit ihrem vormals maßgebenden Geschlecht oder ihren vormals geführten Vornamen im Geburtenregister eingetragen werden würden.

137. Die zweite Beschwerdeführerin erklärt, dass eine Frau, die ein Kind gebärt, es einem Mann erlauben könne, den rechtlichen Status als Vater zu erlangen, und dadurch von einem zweiten Elternteil an ihrer Seite im Rahmen der elterlichen Pflege profitieren könne, selbst wenn der betreffende Mann in keinem biologischen Abstammungsverhältnis zu dem Kind stehe, während der ersten Beschwerdeführerin diese Möglichkeit nicht offenstehe, da sie eine Partnerschaft mit einer Frau führe, bei der es sich zudem auch um das andere leibliche Elternteil ihres Kindes handele. Der Beschwerdeführer wiederum sieht sich gegenüber Kindern verschiedengeschlechtlicher Paare diskriminiert, einschließlich der Paare, bei denen ein Elternteil transgeschlechtlich ist, denn den Kindern jener Paare würden rechtlich zwei Elternteile zugeordnet und deren Geschlechtsidentität geachtet werden, während er selbst aufgrund der weiblichen Geschlechtsidentität der ersten Beschwerdeführerin rechtlich nur der zweiten Beschwerdeführerin zugeordnet werde.

2. Die Regierung

138. Die Regierung trägt vor, dass keine Ungleichbehandlung der Beschwerdeführenden erfolgt sei, da ihre Situation nicht mit der Situation der von ihnen angeführten Personengruppen vergleichbar sei.

139. Im Gegensatz zu Männern, die die Vaterschaft für ein Kind anerkennen könnten, ohne einen biologischen Zeugungsbeitrag geleistet zu haben, habe zwar die erste Beschwerdeführerin, obwohl sie einen biologischen Beitrag zur Zeugung des Beschwerdeführers geleistet habe, nicht die Möglichkeit, die Mutterschaft für das Kind anzuerkennen, da eine Mutterschaftsanerkennung nicht mit einer Vaterschaftsanerkennung vergleichbar sei. Der Regierung zufolge liegen diesen Konstellationen nämlich grundsätzlich unterschiedliche Voraussetzungen zugrunde, die biologisch begründet seien. In Deutschland sei eine Mutterschaftsanerkennung nicht möglich, da der Status als Mutter immer und ausschließlich der Frau zuerkannt werde, die das Kind geboren habe. Eine Person, die mit ihrem Samen einen Zeugungsbeitrag geleistet habe, könne ausschließlich die Vaterschaft für das Kind anerkennen, wie auch ein Frau-zu-Mann-Transsexueller lediglich die Vaterschaft für das Kind seiner Lebenspartnerin anerkennen könne.

140. Mit Blick auf die von der ersten Beschwerdeführerin geltend gemachte Ungleichbehandlung gegenüber Frau-zu-Mann-Transsexuellen, welche die Vaterschaft für ein Kind anerkennen könnten, wenn sie es nicht geboren haben, trägt die Regierung vor, dass es an der Vergleichbarkeit der Sachverhalte fehle. Die erste Beschwerdeführerin begehre die Anerkennung als Mutter des Beschwerdeführers, obgleich sie genau wie ein Frau-zu-Mann-Transsexueller im oben beschriebenen Fall die Eintragung als Vater des Beschwerdeführers verlangen könne.

141. Mit Blick auf die zweite Beschwerdeführerin gibt die Regierung zu bedenken, dass sich die rechtliche Stellung der Mutter grundlegend von der rechtlichen Stellung des Vaters unterscheide. Die Situation des Beschwerdeführers sei nicht vergleichbar mit der Situation von Kindern verschiedengeschlechtlicher Eltern, bei denen lediglich eine Person die Mutterrolle in Anspruch nehmen möchte (die Regierung verweist auf das Urteil Hämäläinen, a. a. O., Rdnr. 112). Bei einem Vergleich der Situation eines Kindes, dessen rechtlicher Vater ein Frau-zu-Mann-Transsexueller sei, der das Kind nicht geboren habe, mit einer Situation wie in dem vorliegenden Fall, so die Regierung, gehe es im ersten Fall darum, eine Person statusrechtlich als Vater anzuerkennen, im zweiten Fall aber um die statusrechtliche Anerkennung eines Elternteils als Mutter.

B. Würdigung durch den Gerichtshof

142. Der Gerichtshof weist darauf hin, dass Artikel 14 der Konvention mit Blick auf den Genuss der in der Konvention anerkannten Rechte und Freiheiten die Diskriminierung von Personen in vergleichbarer Lage ohne sachliche und angemessene Rechtfertigung verbietet. Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs ist eine unterschiedliche Behandlung im Sinne des Artikels 14 diskriminierend, wenn es keine sachliche und angemessene Rechtfertigung dafür gibt, d. h., wenn sie kein legitimes Ziel verfolgt, oder wenn die eingesetzten Mittel in keinem angemessenen Verhältnis zum verfolgten Ziel stehen. Die Vertragsstaaten verfügen über einen gewissen Ermessensspielraum bei der Bewertung, ob und inwieweit Unterschiede zwischen ansonsten vergleichbaren Situationen eine Ungleichbehandlung rechtfertigen. Der Umfang dieses Ermessensspielraums variiert je nach den Umständen, den Bereichen und dem Zusammenhang, und die Existenz oder das Fehlen eines allen Rechtsordnungen der Vertragsstaaten gemeinsamen Nenners kann diesbezüglich ein relevanter Faktor sein (Z. ./. Deutschland, Individualbeschwerde Nr. 22028/04, Rdnrn. 42 und 49‑50, 3. Dezember 2009).

143. Unter Berücksichtigung seiner obigen Schlussfolgerungen, dass die Zuweisung der Rolle der Mutter im Geburtenregister im Sinne von § 1591 BGB (siehe Rdnr. 22) an die Person, die ein Kind geboren hat, in den Ermessensspielraum der Staaten fällt, ist der Gerichtshof der Ansicht, dass die Situation der ersten Beschwerdeführerin im vorliegenden Fall nicht mit der einer Frau vergleichbar ist, die ein Kind geboren hat. Die Entscheidung, die erste Beschwerdeführerin in gleicher Weise zu behandeln wie jede andere Person, die zur Zeugung eines Kindes mit ihrem männlichen Samen beigetragen hat, d. h. ihr zu ermöglichen, das biologische Abstammungsverhältnis zum Beschwerdeführer offiziell durch Anerkennung der Vaterschaft zu verankern, fällt ebenfalls in den Ermessensspielraum des Staates. In Bezug auf die zweite Beschwerdeführerin und den Beschwerdeführer sind ähnliche Schlussfolgerungen zu ziehen.

144. Daraus folgt, dass die Rüge offensichtlich unbegründet ist und gemäß Artikel 35 Abs. 3 Buchst. a und Abs. 4 der Konvention zurückgewiesen werden muss.

AUS DIESEN GRÜNDEN ENTSCHEIDET DER GERICHTSHOF EINSTIMMIG WIE FOLGT:

1. Die auf Artikel 8 der Konvention gestützte Rüge ist zulässig und die Individualbeschwerde im Übrigen ist unzulässig;

2. es liegt keine Verletzung von Artikel 8 der Konvention vor.

Ausgefertigt in französischer Sprache und anschließend am 4. April 2023 gemäß Artikel 77 Abs. 2 und 3 der Verfahrensordnung schriftlich übermittelt.

Andrea Tamietti                Gabriele Kucsko-Stadlmayer
Kanzler                               Präsidentin

_____________

Anhang

Liste der Beschwerdeführenden

Individualbeschwerde Nr. 7246/20

Nr. Vorname Familienname Geburtsjahr Staatsangehörigkeit Wohnort
1. A.H. 1979 deutsch B.
2. G.H. 1976 israelisch, britisch B.
3. L.D.H. 2015 israelisch, britisch B.

Zuletzt aktualisiert am Januar 23, 2024 von eurogesetze

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