RECHTSSACHE LECOMTE GEGEN DEUTSCHLAND (Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte) Individualbeschwerde Nr. 80442/12

FÜNFTE SEKTION
RECHTSSACHE L. GEGEN DEUTSCHLAND
(Individualbeschwerde Nr. 80442/12)
URTEIL
STRASSBURG
6. Oktober 2015

Dieses Urteil wird nach Maßgabe des Artikels 44 Abs. 2 der Konvention endgültig. Es wird gegebenenfalls noch redaktionell überarbeitet.

In der Rechtssache L. ./. Deutschland

hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (Fünfte Sektion), als Kammer bestehend aus den Richterinnen und Richtern:

Josep Casadevall, Präsident,
Angelika Nußberger,
Boštjan M. Zupančič,
Ganna Yudkivska,
Helena Jäderblom,
Aleš Pejchal,
Síofra O’Leary,
und Claudia Westerdiek, Sektionskanzlerin,

nach nicht-öffentlicher Beratung am 8. September 2015

das folgende Urteil erlassen, das am selben Tag angenommen wurde:

VERFAHREN

1. Der Rechtssache liegt eine Individualbeschwerde (Nr. 80442/12) gegen die Bundesrepublik Deutschland zugrunde, die eine französischeStaatsangehörige, Frau L. („die Beschwerdeführerin”), am 9. Dezember 2012 nach Artikel 34 der Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten („die Konvention“) bei diesem Gericht eingereicht hat.

2. Die Beschwerdeführerin wurde von Frau U. Donat, Rechtsanwältin in Hamburg, vertreten. Die deutsche Regierung („die Regierung”) wurde von zwei ihrer Verfahrensbevollmächtigten, Herrn H.-J. Behrens und Frau K. Behr vom Bundesministerium der Justiz, vertreten.

3. Die Beschwerdeführerin behauptete insbesondere, die Bedingungen ihres Präventivgewahrsams in zwei Polizeiinspektionen stellten eine Verletzung des Artikels 3 der Konvention dar.

4. Am 12. Mai 2014 wurde die Regierung über die Beschwerde informiert.

5. Die Regierung der Französischen Republik wurde über ihre Recht informiert, sich an dem Verfahren zu beteiligen (Artikel 36 Abs. 1 der Konvention und Regel 44 der Gerichtsordnung) und teilte mit, dass sie von diesem Recht nicht Gebrauch machen wolle.

SACHVERHALT

I. DIE UMSTÄNDE DER RECHTSSACHE

6. Die Beschwerdeführerin ist 19… geboren und lebt in L.

A. Die Ingewahrsamnahme der Beschwerdeführerin, die Anordnung ihres Gewahrsams, dessen Beendigung und die Umstände seines Vollzugs

7. Die Beschwerdeführerin ist Atomkraftgegnerin und Umweltaktivistin. Sie hat wiederholt ihre Kletterkünste dazu genutzt, die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit auf ihren Protest zu lenken.

1. Die Ingewahrsamnahme der Beschwerdeführerin

8. Am 6. November 2008 gegen 11:00 Uhr kletterten die Beschwerdeführerin und drei weitere Mitglieder der UmweltschutzorganisationR. W. auf den Bogen einer Eisenbahnbrücke. Die Gruppe brachte Transparente an, in denen sie ihren Protest gegen den Transport von radioaktivem Abfällen per Bahn von La Hague in Frankreich zum Zwischenlager in Gorleben, der für die Zeit vom 7. bis 9. November 2008 geplant war, zum Ausdruck brachten. Die Mitglieder der Gruppe weigerten sich, sich von der Polizei, die ihre Versammlung aufgelöst hatte, abseilen zu lassen. Sie wurden schließlich von einem Bergrettungsteam der Bundespolizei abgeseilt. Die Polizei nahm dann um 14:40 Uhr nur die Beschwerdeführerin in Gewahrsam, während die anderen drei Beteiligten auf freiem Fuß blieben. Ferner beschlagnahmte die Polizei die Transparente und die Kletterausrüstung.

2. Die Anordnung des Gewahrsams gegen die Beschwerdeführerin

9. Am 6. November 2008 um 17:30 Uhr ordnete das Amtsgericht Lüneburg nach Anhörung der Beschwerdeführerin und der Polizei Lüneburg nach § 18 Abs. 1 Nr. 2 des Niedersächsischen Gesetzes über die öffentliche Sicherheit und Ordnung (Nds. SOG, siehe Rdnr. 42 unten) den Präventivgewahrsam der Beschwerdeführerin an. Der Gewahrsam sollte bis zur Ankunft der Castor-Behälter[1] im Bahnhof von Dannenberg und längstens bis zum 10. November 2008 um 24:00 Uhr dauern.

10. Das Amtsgericht stellte fest, dass sich die Beschwerdeführerin, die während des gesamten Verfahrens vor den innerstaatlichen Gerichten anwaltlich vertreten war, und drei weitere Personen an einem Seil auf einer Eisenbahnbrücke abgeseilt hätten. Sie hätten Transparente ausgerollt, die gegen den Castor-Transport protestierten. Es habe ein Nahverkehrszug angehalten werden müssen, weil sein Passieren eine Gefahr für die Protestierenden dargestellt hätte.

11. Das Amtsgericht war der Auffassung, dass der Gewahrsam der Beschwerdeführerin unerlässlich war, um die unmittelbar bevorstehende Begehung einer Ordnungswidrigkeit von erheblicher Gefahr für die Allgemeinheit zu verhindern, wie nach § 18 Abs. 1 Nr. 2 Nds. SOG erforderlich. Es habe die Gefahr bestanden, dass die Beschwerdeführerin den bevorstehenden Transport der Castor-Behälter, der für die Zeit vom 7. bis 9. November 2011 geplant war, durch eine Kletteraktion blockieren würde. Sie würde dadurch Ordnungswidrigkeiten nach der Eisenbahn-Bau- und Betriebsordnung und dem Versammlungsgesetz begehen, die eine Gefahr für die Allgemeinheit darstellen würden. Die Gefahr habe im Fall der Beschwerdeführerin auch unmittelbar bevor gestanden, da sie dafür bekannt sei, politischen Protest, einschließlich des Protests gegen den Transport von Castor-Behältern, durch Kletteraktionen zum Ausdruck zu bringen und bereit zu sein, in diesem Zusammenhang gegen geltendes Recht zu verstoßen.

12. Am 7. November 2008 um 21:15 Uhr wies das Landgericht Lüneburg, nachdem es die Beschwerdeführerin um 14:10 Uhr persönlich angehört hatte, die Beschwerde der Beschwerdeführerin gegen den Beschluss des Amtsgerichts zurück.

3. Die Beendigung des Gewahrsams der Beschwerdeführerin

13. Am 9. November 2008 um 17:25 Uhr hob das Amtsgericht Lüneburg die Anordnung des Präventivgewahrsams der Beschwerdeführerin vom 6. November 2008 auf und ordnete die unverzügliche Entlassung der Beschwerdeführerin an.

14. Das Amtsgericht stellte fest, dass angesichts des sich verschlechternden Gesundheitszustands der Beschwerdeführerin nicht länger die Gefahr bestünde, dass die Beschwerdeführerin im Zusammenhang mit dem Transport von Castor-Behältern nach Gorleben eine Straftat oder Ordnungswidrigkeit von erheblicher Gefahr für die Allgemeinheit begehen würde, wie nach § 18 Abs. 1 Nr. 2 Nds. SOG erforderlich. Darüber hinaus sei eine Fortdauer ihres Gewahrsams unter diesen Umständen nicht mehr länger verhältnismäßig. Das Amtsgericht stellte fest, dass die Ärztin, Frau C., die die Beschwerdeführerin auf deren Wunsch im Gewahrsam besucht habe, bestätigt habe, dass die Beschwerdeführerin unter schwerem Rheuma leide, welches eine dauerhafte Bewegung zwingend notwendig mache und dass ihreseelische Verfassung schlecht sei. Ihre Unterbringung auf dem Polizeirevier Braunschweig, bei der sie nur wenige Möglichkeiten gehabt habe, sich zu bewegen, habe bereits zu Versteifungen ihrer Gelenke geführt. Die Ärztin habe erklärt, dass sie nicht in der Lage sei, die Gewahrsamsfähigkeit der Beschwerdeführerin zu beurteilen, dass es aber ausgeschlossen erscheine, dass die Beschwerdeführerin in den nächsten Tagen in der Lage sein werde, eine Kletteraktion durchzuführen.

15. Die Beschwerdeführerin wurde noch am selben Tag um 18:32 Uhr entlassen.

4. Die Orte und Bedingungen des Gewahrsams der Beschwerdeführerin

16. Nach ihrer Ingewahrsamnahme am 6. November 2008 um 14:40 Uhr wurde die Beschwerdeführerin, nachdem zunächst von einem Arzt der Bundespolizei festgestellt wurde, dass sie unter keinerlei Gesundheitsproblemen litt, dem Richter des Amtsgerichts Lüneburg vorgeführt, der um 17:30 Uhr ihre Unterbringung im Gewahrsam anordnete. Nach der Entscheidung des Amtsgerichts wurde die Beschwerdeführerin von den Polizeibeamten in der Zeit von 17:45 Uhr bis 18:45 Uhr nach Hause begleitet, damit sie dort ihre eigene Kleidung und Medikamente holen konnte. Sie wurde ab 19:00 Uhr bis zum 7. November 2008 um ungefähr 13:40 Uhr in einer Zelle der Polizeiinspektion Lüneburg festgehalten. Dann wurde sie zum Landgericht Lüneburg gebracht. Die kleine Zelle der Beschwerdeführerin, die mit einer Matratze und einem Stuhl ausgestattet war, wurde zumindest über den Lüftungsschacht und elektrisches Licht beleuchtet.

17. Zwischen dem Ende der Anhörung der Beschwerdeführerin durch das Landgericht Lüneburg am 7. November 2008 um circa 15:00 Uhr und seiner Entscheidung um 21:15 Uhr am gleichen Tag, hielt sich die Beschwerdeführerin im Wesentlichen im Bürobereich des Polizeireviers Lüneburg auf. Sie ging während dieser Zeit dreimal mit den Polizeibeamten am Ufer der Ilmenau spazieren.

18. Nach der Entscheidung des Landgerichts entschied sich die Polizei, die Beschwerdeführerin in das Polizeirevier von Braunschweig zu verlegen, welches für den Polizeigewahrsam für besser ausgestattet gehalten wurde. Als die Beschwerdeführerin während der Reise über Atemprobleme klagte, rief die Polizei einen Krankenwagen. Nachdem sowohl die Besatzung des Rettungswagens als auch ein Polizeiarzt übereinstimmend festgestellt hatten, dass die Beschwerdeführerin nicht unter Gesundheitsproblemen litt, wurde der Transfer im Krankenwagen fortgesetzt.

19. Die Beschwerdeführerin wurde im Polizeirevier Braunschweig vom 8. November 2008 um 02:10 Uhr bis zu ihrer Entlassung am 9. November 2008 um 18:32 Uhr festgehalten. Ihre Zelle war mit einem Bett, einem leeren Schreibtisch, einem Stuhl, einem Schrank und einem vergitterten Fenster mit Mattglas ausgestattet. Im Flur des Haftflügels, durch den sie gehen musste, um zur Toilette zu gehen, waren Fotografien gefesselter Personen ausgestellt. Dazu zählte auch das Bild einer Person, die an den Fuß- und Handgelenken mit Handschellen gefesselt war. Sie lag auf einer Matratze auf dem Boden und beide Handschellen wurden auf dem Rücken der Person von einer Kette zusammengehalten.

20. Während des Aufenthalts der Beschwerdeführerin im Polizeigewahrsam auf dem Polizeirevier Braunschweig blieb das Licht in ihrer Zelle für die gesamte Dauer der ersten Nacht der Beschwerdeführerin in dieser Zelle angeschaltet. Die Beschwerdeführerin stieg auf denSchrank in ihrer Zelle und verbrachte die Nacht darauf und widersetzte sich der Anordnung der Polizei, von dort hinabzusteigen. Am 8. November 2008 in der Zeit von 14:20 Uhr bis 15:02 Uhr wurde die Beschwerdeführerin auf dem Gelände des Polizeireviers Braunschweig, das nicht über einen geschlossenen Innenhof verfügte, mit Handschellen leicht an eine Polizistin gefesselt, ausgeführt. Am 9. November 2008 wurde es der Beschwerdeführerin erlaubt, sich von 12:22 Uhr bis 12:35 Uhr auf diesem Gelände ohne Fesseln im Freien aufzuhalten; sie kletterte bei dieser Gelegenheit auf einen Baum. Der Beschwerdeführerin wurde am 8. November 2008 Schreibmaterial zur Verfügung gestellt. Es wurde ihr außerdem gestattet, drei Besuche von einem Freund und zwei von ihrer Ärztin C. zu empfangen. Sie durfte außerdem mehrmals ihren Rechtsanwalt und ihren Partner anrufen.

B. Das Verfahren auf nachträglich Prüfung der Rechtmäßigkeit des Gewahrsams der Beschwerdeführerin und dessen Vollzugsbedingungen

1. Das Verfahren vor dem Amtsgericht Lüneburg

21. Am 15. Juli 2009 wies das Amtsgericht Lüneburg den am 8. November 2008 von der Beschwerdeführerin gestellten Antrag nach § 19 Abs. 2 Nds. SOG (siehe Rdnr. 43 unten) zurück. Mit ihrem gegen die Polizeidirektion Lüneburg gerichteten Antrag hatte sie die Feststellung begehrt, dass sowohl die Anordnung ihres Gewahrsams als auch dessen Vollzugsbedingungen unrechtmäßig gewesen seien.

22. Im Hinblick auf die Rechtmäßigkeit des Gewahrsams der Beschwerdeführerin schloss sich das Amtsgericht den Sachverhaltsfeststellungen und der Begründung des Landgerichts in dessen Beschluss vom 7. November 2008 (siehe Rdnr. 12 oben) an und bestätigte, dass der Gewahrsam im Einklang mit § 18 Abs. 1 Nr. 2 Nds. SOG gestanden habe.

23. Im Hinblick auf den Vollzug des gegen die Beschwerdeführerin angeordneten Gewahrsams war das Amtsgericht der Auffassung, dass die Art des Gewahrsamsvollzugs rechtmäßig gewesen sei und insbesondere den Bestimmungen der Polizeigewahrsamsordnung (siehe Rdnr. 45-49 unten) entsprochen habe.

24. Das Amtsgericht stellte fest, dass die Anordnung des Gewahrsams bis zum 7. November 2008 im Gewahrsamstrakt der Polizeiinspektion Lüneburg und anschließend im Gewahrsamstrakt der Polizeiinspektion Braunschweig vollzogen worden sei.

25. Im Hinblick auf die Beschwerde der Beschwerdeführerin, ihre Gewahrsamszellen hätten keine Fenster, sondern nur Lüftungsschlitze gehabt, vertrat das Amtsgericht die Auffassung, dass die Ausstattung der Gewahrsamszellen Nr. 15 der Polizeigewahrsamsordnung entsprochen habe (siehe Rdnr. 49 unten) und es genug Licht gegeben habe. Die Empfehlungen des Europäischen Komitees zur Verhütung von Folter und unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe (CPT) seien hier nicht von Bedeutung. Die Fotografien gefesselter Personen, die im Gewahrsamstrakt der Polizeiinspektion Braunschweig ausgestellt waren, mögen geschmacklos gewesen sein, machten den Gewahrsam der Beschwerdeführerin aber nicht aufgrund von Einschüchterung rechtswidrig.

26. Darüber hinaus liege auch kein Verstoß gegen den Anspruch auf ausreichende Nachtruhe gemäß Nr. 12 der Polizeigewahrsamsordnung vor (siehe Rdnr. 48 unten). Es möge zwar sein, dass in Lüneburg die von der Lüftung verursachten Geräusche der Beschwerdeführerin das Einschlafen erschwert haben, aber die Polizei sei nicht verpflichtet, auf persönliche Empfindsamkeiten Rücksicht zu nehmen. Die Tatsache, dass das Licht in Braunschweig die ganze Nacht eingeschaltet blieb, sei eine Folge des eigenen Verhaltens der Beschwerdeführerin gewesen. Sie habe darauf bestanden, die Nacht auf dem 1,90 m hohen Schrank der Zelle zu verbringen. Das Licht sei daher zu ihrem eigenen Schutz notwendig gewesen. Anderenfalls sei es für die Polizei nicht möglich gewesen zu gewährleisten, dass sie es sofort bemerkt hätte, wenn die Beschwerdeführerin vom Schrank gefallen wäre. Die Beschwerdeführerin möge sich fragen, ob es ihr lieber gewesen wäre, stattdessen zu ihrem Schutz gefesselt zu werden.

27. Darüber hinaus stellte das Gericht fest, dass die Beschwerdeführerin sich am 8. November 2008 in der Zeit zwischen 14:20 Uhr und 15:02 Uhr auf dem Gelände der Polizeiinspektion Braunschweig im Freien befunden habe. Sie habe gefesselt werden müssen, da die Gefahr bestanden habe, dass sie als hervorragende Kletterin auf Bäume oder Gebäude klettern und flüchten würde. Die Beschwerdeführerin sei daher nicht „wie ein Tier [auf dem Parkplatz] ausgeführt“ worden. Am 9. November 2008 habe sich die Beschwerdeführerin von 12:22 Uhr bis 12:35 Uhr im Freien aufgehalten. Sie sei nicht gefesselt gewesen und habe auf einen Baum klettern dürfen. Sie habe sich anschließend nicht der Rückkehr in den Gewahrsamstrakt widersetzt.

28. Das Amtsgericht war ferner der Auffassung, die Beschwerdeführerin habe nicht substantiiert dargelegt, dass sich ihr Gesundheitszustand während des Gewahrsams dermaßen verschlechtert habe, dass ihre Unterbringung im Gewahrsam bereits vor der Entscheidung des Amtsgerichts vom 9. November 2008, mit der ihre Entlassung angeordnet wurde, unverhältnismäßig gewesen wäre. Es lägen dazu keine schriftlichen und unabhängigen Arztberichte vor, die die Behauptung der Beschwerdeführerin in dieser Hinsicht bewiesen hätten. Die Ärztin, die die Beschwerdeführerin im Gewahrsam besucht habe und dann den damals zuständigen Amtsrichter zur Anordnung ihrer Entlassung habe bewegen können, sei wahrscheinlich eine Sympathisantin gewesen.

2. Das Verfahren vor dem Landgericht Lüneburg

29. Am 28. Oktober 2009 wies das Landgericht Lüneburg die sofortige Beschwerde der Beschwerdeführerin gegen den Entschluss des Amtsgerichts vom 15. Juli 2009 zurück.

30. Im Hinblick auf die Rechtmäßigkeit des Gewahrsams der Beschwerdeführerin bekräftigte das Landgericht die Feststellungen aus seinem Beschluss vom 7. November 2008 und bestätigte, dass der Gewahrsam der Beschwerdeführerin an sich mit § 18 Abs. 1 Nr. 2 Nds. SOG im Einklang gestanden habe.

31. Das Landgericht bestätigte ferner, dass sich die Vollzugsbedingungen des Gewahrsams der Beschwerdeführerin, auch wenn sie für die Beschwerdeführerin belastend gewesen seien, im Rahmen der einschlägigen rechtlichen Bestimmungen bewegt hätten und nicht derart unzumutbar gewesen seien, dass der Vollzug ihres Gewahrsams rechtswidrig gewesen wäre.

32. Im Hinblick auf die Unterbringung der Beschwerdeführerin in der ersten Nacht in der Gewahrsamszelle der Polizeiinspektion Lüneburg befand das Landgericht, dass die Zelle unbequem gewesen sei, aber die Bedingungen aus Nr. 15.1 der Polizeigewahrsamsordnung in der damals geltenden Fassung erfüllt habe (siehe Rdnr. 49 unten). In dieser Polizeiinspektion habe es keine Zellen gegeben, die für einen Gewahrsam von mehreren Tagen geeignet gewesen wären. Dennoch habe die Polizei überzeugend dargelegt, dass der Transport der Beschwerdeführerin nach Braunschweig zur Anhörung vor dem Landgericht und zurück am Folgetag sie noch stärker in ihrer Bewegungsfreiheit eingeschränkt hätte. Darüber hinaus habe sie sich nicht bei den Polizeibeamten über das Geräusch, das in der Nacht von einem Ventilator ausging, beschwert.

33. Die Polizeibeamten in Lüneburg hatten sich außerdem nach der Anhörung der Beschwerdeführerin vor dem Landgericht (am 7. November 2008 von 14:10 Uhr bis 14:50 Uhr) um ihr Wohl gekümmert, indem sie während der im Dienstzimmer der Polizeiinspektion Lüneburg verbrachten Wartezeit bis zum Erlass des landgerichtlichen Beschlusses um ca. 21:00 Uhr drei Freigänge mit ihr durchgeführt hätten.

34. Im Hinblick auf die anschließende Unterbringung der Beschwerdeführerin in der Polizeiinspektion Braunschweig stellte das Landgericht fest, dass die Beschwerdeführerin dort am 8. November 2008 um 2:10 Uhr aufgenommen worden sei, nachdem die Besatzung des Rettungswagens, der von der Polizei gerufen worden sei, und ein Polizeiarzt bestätigt hätten, dass ihr Zustand trotz der Atembeschwerden, über die sie die Polizei informiert habe, stabil genug für einen Gewahrsam sei. Das Landgericht bestätigte ferner die Feststellung des Amtsgerichts, dass die Bilder gefesselter Personen im Flur des Gewahrsamstraktes – zu denen auch eine Fotografie einer an Händen und Füßen mit Handschellen gefesselten Person zählte – geschmacklos gewesen sein mögen. Allerdings sei weder nachgewiesen, dass die Bilder zur Einschüchterung der Gefangenen dort aufgehängt worden seien, noch dass die Beschwerdeführerin durch diese in erheblicher Weise eingeschüchtert worden sei. Das Gericht war ferner der Auffassung, dass die Polizeibeamten rechtmäßig gehandelt hätten, als sie das Licht während der Nacht hätten brennen lassen. Es stellte fest, dass die Beschwerdeführerin auf einen 1,90 m hohen Schrank geklettert sei und auch nach Aufforderung durch die Polizei nicht wieder hinabgestiegen sei. Mit der Entscheidung, die Beschwerdeführerin nicht unter Anwendung von Zwang herunterzuholen und stattdessen das Licht brennen zu lassen, hätten die Polizeibeamten das Recht der Beschwerdeführerin auf Freiheit so weit wie möglich respektiert.

35. Im Hinblick auf das Recht der Beschwerdeführerin, sich während ihrer Unterbringung in Braunschweig im Freien aufzuhalten, schloss sich das Landgericht den diesbezüglichen Feststellungen des Amtsgerichts an und befand, dass das in Nr. 10 der Polizeigewahrsamsordnung (siehe Rdnr. 46 unten) eingeräumte Recht, sich 45 Minuten am Tag im Freien aufzuhalten, soweit es die personellen und räumlichen Voraussetzungen zulassen, nicht verletzt worden sei. Das Fesseln der Beschwerdeführerin an eine Polizeibeamtin am 8. November 2008 sei notwendig gewesen, um die Beschwerdeführerin am Fliehen zu hindern. Die Beschwerdeführerin, die eine hervorragende Kletterin sei, habe bereits zuvor gezeigt, dass sie nicht bereit war, den Anweisungen der Polizei Folge zu leisten, und es habe keinen abgeschlossenen Hof wie in Justizvollzugsanstalten gegeben. Am 9. November 2008 sei die Beschwerdeführerin während ihres Aufenthalts im Freien nicht gefesselt worden und es sei ihr erlaubt worden, auf einen Baum zu klettern. Sie sei auch in der Lage gewesen, sich innerhalb ihrer Zelle zu bewegen, um ihre rheumatischen Beschwerden zu lindern.

36. Im Hinblick auf das Recht der Beschwerdeführerin, während der Unterbringung im Gewahrsam Besuch zu empfangen, stellte das Landgericht fest, dass derartige Besuche nach Nr. 11 der Polizeigewahrsamsordnung (siehe Rdnr. 47 unten) erlaubt seien, soweit dadurch nicht der Zweck der Maßnahme gefährdet werde und die Besuche von der Polizei genehmigt seien. Diese Bestimmung müsse in Verbindung mit § 20 Abs. 4 Nds. SOG betrachtet werden (siehe Rdnr. 44 unten). Das Landgericht stellte fest, dass die Polizeiinspektion Braunschweig etwa 200 Telefonanrufe von Sympathisanten der Beschwerdeführerin erhalten habe, von denen einige die Polizeibeamten beleidigt hätten und durch die den Vollzug des Gewahrsams der Beschwerdeführerin erheblich gestört hätten. Es sei unter diesen Umständen nicht rechtswidrig gewesen, dass die Polizeibeamten Besuche von Personen, die auf der Polizeiinspektion vorstellig wurden, ohne einen Besuchsantrag gestellt zu haben, nicht erlaubt hätten. Jedenfalls sei die Beschwerdeführerin während ihres Gewahrsams zusätzlich zu den zwei Besuchen ihrer Ärztin, Frau C., die ihr notwendige Medikamente verschrieben und ihr einige Zeitschriften mitgebracht habe, von drei Personen besucht worden. Bei dieser Sachlage sei eine rechtswidrige Beschränkung des Besuchsverkehrs nicht festzustellen.

37. Der Beschluss des Landgerichts wurde der Rechtsanwältin der Beschwerdeführerin am 6. November 2009 zugestellt.

3. Das Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht

38. Mit Schriftsätzen vom 1. Dezember 2009 erhob die anwaltschaftlich vertretene Beschwerdeführerin beim Bundesverfassungsgericht Verfassungsbeschwerde gegen den in der Beschwerdeinstanz am 7. November 2008 vom Landgericht Lüneburg bestätigten Beschluss des Amtsgerichts Lüneburg vom 6. November 2008 sowie gegen in der Beschwerdeinstanz am 28. Oktober 2009 vom Landgericht Lüneburg bestätigten Beschluss des Amtsgerichts Lüneburg vom 15. Juli 2009. Sie brachte insbesondere vor, dass ihr Recht auf Freiheit, der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und ihr Recht auf Versammlungsfreiheit und freie Meinungsäußerung durch ihren unter unangemessenen Bedingungen vollzogenen rechtswidrigen Langzeitgewahrsam zur Verhinderung geringfügiger Ordnungswidrigkeiten verletzt worden seien. Ihre Verfassungsbeschwerde wurde unter dem Aktenzeichen 2 BvR 2794/09 erfasst.

39. In einem Schreiben vom 18. August 2010, dass an die Beschwerdeführerin persönlich gerichtet war, informierte das Bundesverfassungsgericht die Beschwerdeführerin darüber, dass es ihre Verfassungsbeschwerde vom 1. Dezember 2009 gegen den in der Beschwerdeinstanz am 28. Oktober 2009 vom Landgericht Lüneburg bestätigten Beschluss des Amtsgerichts Lüneburg vom 15. Juli 2009 unter dem Aktenzeichen 2 BvR 1779/10 erfasst habe, soweit der Beschluss die Bedingungen ihres Gewahrsams betraf.

40. Am 24. August 2010 lehnte es das Bundesverfassungsgericht ohne Angabe von Gründen ab, die Verfassungsbeschwerde der Beschwerdeführerin gegen die vier oben genannten Beschlüsse zur Entscheidung anzunehmen, soweit diese Beschlüsse die Rechtmäßigkeit des Gewahrsams der Beschwerdeführerin betrafen (Aktenzeichen 2 BvR 2794/09).Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts wurde der Rechtsanwältin der Beschwerdeführerin am 21. September 2010 zugestellt. In ihrem Schreiben an das Bundesverfassungsgericht vom 3. Oktober 2010 bat die Rechtsanwältin der Beschwerdeführerin unter Bezugnahme auf die zwei Aktenzeichen, die der Verfassungsbeschwerde der Beschwerdeführerin zugewiesen wurden, das Schreiben vom 18. August 2010 sowie die Entscheidung vom 24. August 2010 um einen Sachstandsbericht. Ihr wurde mitgeteilt, dass es nicht möglich sei, eine Angabe dazu zu machen, wann eine Entscheidung zu der unter Aktenzeichen 2 BvR 1779/10 geführten Beschwerde ergehen werde.

41. Am 30. Mai 2012 lehnte es das Bundesverfassungsgericht ohne Angabe von Gründen ab, die Verfassungsbeschwerde der Beschwerdeführerin gegen den in der Beschwerdeinstanz am 28. Oktober 2009 vom Landgericht Lüneburg bestätigten Beschluss des Amtsgerichts Lüneburg vom 15. Juli 2009 zur Entscheidung anzunehmen (Aktenzeichen 2 BvR 1779/10). Die Entscheidung wurde der Rechtsanwältin der Beschwerdeführerin am 18. Juni 2012 zugestellt.

II. DAS EINSCHLÄGIGE INNERSTAATLICHE RECHT

A. Bestimmungen des Niedersächsischen Gesetzes über die öffentliche Sicherheit und Ordnung (Nds. SOG)

42. Nach § 18 Abs. 1 Nr. 2 des Niedersächsischen Gesetzes über die öffentliche Sicherheit und Ordnung (Nds. SOG) über den Gewahrsam können die Verwaltungsbehörden und die Polizei eine Person in Gewahrsam nehmen, wenn dies unerlässlich ist, um die unmittelbar bevorstehende Begehung oder Fortsetzung einer Straftat oder Ordnungswidrigkeit von erheblicher Gefahr für die Allgemeinheit zu verhindern.

43. § 19 Abs. 2 Nds. SOG zur richterlichen Entscheidung sieht vor, dass die festgehaltene Person auch nach Beendigung der Freiheitsentziehung innerhalb eines Monats die Prüfung der Rechtmäßigkeit der Freiheitsentziehung beantragen kann. Der Antrag ist bei dem Amtsgericht zu stellen, in dessen Bezirk die Person in Gewahrsam genommen wurde. Die Entscheidung des Amtsgerichts ist mit sofortiger Beschwerde beim Landgericht anfechtbar (siehe § 19 Abs. 2 und 3 Nds. SOG).

44. Gemäß § 20 Abs. 4 Nds. SOG zur Behandlung festgehaltener Personen dürfen der festgehaltenen Person nur solche Beschränkungen auferlegt werden, die der Zweck der Freiheitsentziehung oder die Ordnung im Gewahrsam erfordert.

B. Bestimmungen der Polizeigewahrsamsordnung

45. Die einschlägigen Bestimmungen der Polizeigewahrsamsordnung in der zum Zeitpunkt der Ingewahrsamnahme der Beschwerdeführerin geltenden Fassung wurden am 2. Juli 2001 vom Niedersächsischen Ministerium für Inneres erlassen und waren bis zum 31. Dezember 2008 gültig. Sie enthielten Regelungen zum Vollzug des Polizeigewahrsams.

46. Nr. 10 der Polizeigewahrsamsordnung zum Aufenthalt im Freien sah vor, dass Personen, die länger als 24 Stunden im Polizeigewahrsam untergebracht wurden, die Möglichkeit zu geben war, sich täglich 45 Minuten im Freien aufzuhalten, sofern die personellen und räumlichen Voraussetzungen dies zuließen.

47. Nach Nr. 11.1 der Polizeigewahrsamsordnung zu Besuchen konnten im Polizeigewahrsam untergebrachte Personen Besuch empfangen, soweit dadurch der Zweck oder die Durchführung der Maßnahme nicht gefährdet wurde. Besuche von Personen mit Ausnahme von Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälten bedurften der Genehmigung der sachbearbeitenden Organisationseinheit.

48. Nr. 12 der Polizeigewahrsamsordnung zur Nachtruhe sah vor, dass im Polizeigewahrsam untergebrachte Personen Anspruch auf ausreichende Nachtruhe hatten. Sie sollte um 21:00 Uhr beginnen und um 06:00 Uhr enden, sofern das Einsatzgeschehen dies zuließ.

49. Gemäß Nr. 15.1 der Polizeigewahrsamsordnung mussten die Gewahrsamszellen mit einer befestigten Liege, einer Matratze, ein bis zwei Wolldecken und einer Gegensprechanlage oder Klingel ausgestattet sein. Nach Nr. 15.3 der Polizeigewahrsamsordnung mussten die Zellen ausreichend temperiert, beleuchtet und belüftet sein.

III. EINSCHLÄGIGE BERICHTE DES EUROPÄISCHEN KOMITEES ZUR VERHÜTUNG VON FOLTER UND UNMENSCHLICHER ODER ERNIEDRIGENDER BEHANDLUNG UND STRAFE (CPT)

50. Das Europäische Komitee zur Verhütung von Folter und unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe (CPT) des Europarats gibt CPT-Standards heraus, in denen die „wesentlichen“ Abschnitte des Jahresberichts des CPT zusammenfasst werden. In den CPT-Standards, wie sie zum Zeitpunkt des Polizeigewahrsams der Beschwerdeführerin gültig waren (CPT/Inf/E (2002) 1 ‑ Rev. 2006) und die seitdem im Hinblick auf die hier relevanten Fragen nicht geändert wurden (siehe CPT/Inf/E (2002) ‑ Rev. 2015), hat das CPT in Bezug auf den Polizeigewahrsam Folgendes festgestellt und folgende Empfehlungen ausgesprochen:

„Auszug aus dem 2. Jahresbericht [CPT/Inf (92) 3]

42. Polizeigewahrsam ist grundsätzlich von relativ kurzer Dauer. Folglich kann nicht erwartet werden, dass die physischen Haftbedingungen in Polizeieinrichtungen ebenso gut sind wie an anderen Haftorten, an denen Personen über längere Zeiträume festgehalten werden. Es sollten jedoch bestimmte elementare materielle Anforderungen beachtet werden.

Alle Polizeizellen sollten für die Zahl der für gewöhnlich untergebrachten Personen ausreichend groß sein, über angemessene Beleuchtung (d. h. genügend, um dabei lesen zu können, ausgenommen zu den Schlafenszeiten) und Belüftung verfügen; vorzugsweise über natürliches Licht. Darüber hinaus sollten die Zellen mit Sitzgelegenheiten ausgestattet sein (zum Beispiel mit einem befestigten Stuhl oder einer Bank), und Personen, die über Nacht in Haft bleiben müssen, sollten saubere Matratzen und Decken zur Verfügung gestellt werden.

Personen in Haft sollte erlaubt werden, ihren natürlichen Bedürfnissen, sobald nötig, unter sauberen und ordentlichen Bedingungen nachzukommen, und es sollten ihnen ausreichend Waschgelegenheiten angeboten werden. Sie sollten zu angemessenen Zeiten etwas zu essen erhalten, darunter wenigstens eine vollständige Mahlzeit (d. h. etwas Gehaltvolleres als ein Sandwich) am Tag.[2]

43. Schwierig zu beantworten ist die Frage, welche Größe für eine Polizeizelle (oder für jede andere Unterkunft inhaftierter/gefangener Personen) angemessen ist. Für diese Einschätzung müssen viele Faktoren berücksichtigt werden. Jedoch sahen die Delegationen des CPT Bedarf für eine grobe Richtlinie auf diesem Gebiet. Gegenwärtig wird folgendes Kriterium verwendet (zu sehen mehr als ein wünschenswertes Niveau denn als ein Minimalstandard), um Polizeizellen zu bewerten, die in Einzelbelegung für Aufenthalte von mehr als einigen Stunden Dauer vorgesehen sind: 7 Quadratmeter, 2 Meter oder mehr zwischen den Wänden, 2,5 Meter zwischen Fußboden und Decke.“

„Auszug aus dem 12. Jahresbericht [CPT/Inf (2002) 15]

47. Polizeigewahrsam ist von relativ kurzer Dauer (oder sollte es zumindest sein). Trotzdem müssen die Haftbedingungen in Polizeizellenbestimmten Grundanforderungen genügen.

Alle Polizeizellen sollten sauber und für die Zahl der für gewöhnlich untergebrachten Personen ausreichend groß[3] sein, über angemessene Beleuchtung verfügen (d.h. genügend, um dabei lesen zu können, ausgenommen zu den Schlafenszeiten); vorzugsweise über natürliches Licht. Darüber hinaus sollten die Zellen mit Sitzgelegenheiten ausgestattet sein (zum Beispiel mit einem befestigten Stuhl oder einer Bank), und Personen, die über Nacht in Haft bleiben müssen, sollten saubere Matratzen und Decken zur Verfügung gestellt werden. Personen in Polizeigewahrsam sollten Zugang zu einer normalen Sanitäreinrichtung unter annehmbaren Bedingungen haben, und ihnen sollten angemessene Mittel angeboten werden, sich zu waschen. Sie sollten leichten Zugang zu Trinkwasser haben und zu angemessenen Zeiten etwas zu essen erhalten, darunter wenigstens eine vollständige Mahlzeit (d.h. etwas Gehaltvolleres als ein Sandwich) am Tag. Personen in Polizeigewahrsam, die 24 Stunden oder länger festgehalten werden, sollte möglichst mindestens einmal am Tag Bewegung unter freiem Himmel angeboten werden.

51. In seinem Bericht vom 18. April 2007 an die deutsche Regierung über den Besuch des CPT in Deutschland vom 20. November bis 2. Dezember 2005 (CPT/Inf (2007) 18), kam das CPT in Bezug auf Misshandlungen in Polizeieinrichtungen zu folgendem Ergebnis:

„15. Das CPT hat starke Bedenken hinsichtlich des gleichzeitigen Gebrauchs von Hand- und Fußgelenkschellen (sog. „hogtie-Fesselung”), wovon nach Angabe der von der Delegation angetroffenen Polizeibeamten gelegentlich Gebrauch gemacht wird.

Das Komitee stellt fest, dass diese schmerzhafte und potentiell gefährliche Methode zur Bewegungseinschränkung einer gewalttätigen/aufsässigen Person aufgrund einer Polizeidienstvorschrift des Landes Berlin verboten ist. (…)Es empfiehlt, dass dieser positive Ansatz von der Bundespolizei und den Polizeien aller anderen Länder übernommen wird.”

52. Im gleichen Bericht kommt das CPT zu dem Ergebnis, dass insbesondere im Hinblick auf den Polizeigewahrsam Folgendes gilt:

„41. Abschließend muss das CPT betonen, dass die besuchten polizeilichen Hafteinrichtungen wegen ihres speziellen Zuschnitts (Zellen, in denen das Eindringen des Tageslichts behindert wird oder ganz unmöglich ist, fehlende Einrichtungen für Bewegung im Freien) für eine längerfristige Unterbringung von Personen fast ausnahmslos ungeeignet sind.”

53. In seinem Bericht vom 15. Dezember 2009 an die lettische Regierung zu dem Besuch des CPT vom 27. November bis 7. Dezember 2007 (CPT/Inf (2009) 35), stellte das CPT in Bezug auf die Haftbedingungen in Polizeieinrichtungen klar:

„33. … Das CPT empfiehlt, dass allen Personen, die von der Polizei länger als 24 Stunden festgehalten werden, mindestens eine Stunde Bewegung unter freiem Himmel täglich angeboten wird.”

RECHTLICHE WÜRDIGUNG

I. BEHAUPTETE VERLETZUNG DER ARTIKEL 5 Abs. 1, ARTIKEL 10 und 11 DER KONVENTION DURCH DEN GEWAHRSAM ALS SOLCHEN

54. Die Beschwerdeführerin rügte, dass durch ihren unrechtmäßigen Präventivgewahrsam ihr durch Artikel 5 der Konvention geschütztes Recht auf Freiheit verletzt worden sei. Ihr Gewahrsam habe darüber hinaus dem Zweck gedient, sie davon abzuhalten, ihre Meinung zum Transport der Castor-Behälter auf Demonstrationen oder durch Kletteraktionen zu äußern, was ihre Rechte gemäß Artikel 10 und Artikel 11 der Konvention verletze. Der Wortlaut der Artikel 5 Abs. 1, 10 und 11, soweit er für die Sache maßgeblich ist, lautet wie folgt:

Artikel 5

“1. JedePersonhatdasRechtaufFreiheitundSicherheit. DieFreiheitdarfnurindenfolgendenFällenundnurauf diegesetzlichvorgeschriebeneWeise entzogen werden:

(b) rechtmäßigeFestnahmeoderFreiheitsentziehungwegenNichtbefolgungeinerrechtmäßigengerichtlichenAnordnungoderzurErzwingungder ErfüllungeinergesetzlichenVerpflichtung;

(c) rechtmäßigeFestnahmeoderFreiheitsentziehungzurVorführungvordiezuständigeGerichtsbehörde,wennhinreichenderVerdachtbesteht,dassdiebetreffendePersoneineStraftatbegangenhat,oderwennbegründeterAnlasszuderAnnahmebesteht,dassesnotwendigist,sieanderBegehungeinerStraftatoderanderFluchtnachBegehungeinersolchenzuhindern;

…”

Artikel 10

“1. JedePersonhatdasRechtauffreieMeinungsäußerung. DiesesRechtschließtdieMeinungsfreiheitunddieFreiheitein,InformationenundIdeenohnebehördlicheEingriffeundohneRücksichtaufStaatsgrenzenzuempfangenundweiterzugeben. …

2. DieAusübungdieserFreiheitenistmitPflichtenundVerantwortungverbunden;siekanndaherFormvorschriften,Bedingungen,EinschränkungenoderStrafdrohungenunterworfenwerden,diegesetzlichvorgesehenundineinerdemokratischenGesellschaftnotwendigsindfürdienationaleSicherheit,dieterritorialeUnversehrtheitoderdieöffentlicheSicherheit,zurAufrechterhaltungderOrdnungoderzurVerhütungvonStraftaten,zumSchutzderGesundheitoderderMoral,zumSchutzdesgutenRufesoderderRechteanderer,zurVerhinderungderVerbreitungvertraulicherInformationenoderzur WahrungderAutoritätundderUnparteilichkeitderRechtsprechung.”

Artikel 11

“1. JedePersonhatdasRecht,sichfreiundfriedlichmitanderenzuversammelnundsichfreimitanderenzusammenzuschließen;…

2. DieAusübungdieserRechtedarfnurEinschränkungenunterworfenwerden,diegesetzlichvorgesehenundineinerdemokratischenGesellschaftnotwendigsindfürdienationaleoderöffentlicheSicherheit,zurAufrechterhaltungderOrdnungoderzurVerhütungvonStraftaten,zumSchutzderGesundheitoderderMoraloderzum SchutzderRechteundFreiheitenanderer.DieserArtikelstehtrechtmäßigenEinschränkungenderAusübungdieserRechtefürAngehörigederStreitkräfte,der Polizei oderderStaatsverwaltungnichtentgegen.”

55. Die Regierung bestritt dies.

1. Die Stellungnahmen der Parteien

1. Die Regierung

56. Die Regierung trägt vor, die Beschwerdeführerin habe die gemäß Artikel 35 Abs. 1 der Konvention vorgesehene Frist von sechs Monaten nicht eingehalten, insoweit es sich um ihre Beschwerde gegen ihren Gewahrsam als solchen gestützt auf Artikel 5 Abs. 1, 10 und 11 der Konvention handelt. Die Regierung betonte, das Bundesverfassungsgericht habe die Verfassungsbeschwerde der Beschwerdeführerin in zwei Teile gegliedert, einen betreffend die Rechtmäßigkeit des Gewahrsams der Beschwerdeführerin und einen betreffend die Vollzugsbedingungen ihres Gewahrsams. Der Grund dafür sei gewesen, dass die zwei Gegenstände jeweils zwei verschiedenen Richtern als Berichterstattern zugewiesen worden seien. Durch rechtskräftigen Beschluss vom 24. August 2010, zugestellt am 21. September 2010, nahm das Bundesverfassungsgericht die Verfassungsbeschwerde der Beschwerdeführerin insoweit, als die angegriffenen Entscheidungen die Rechtmäßigkeit des Gewahrsams der Beschwerdeführerin betrafen, nicht zur Entscheidung an (Aktenzeichen 2 BvR 2794/09). Insoweit sich die Beschwerde der Beschwerdeführerin auf die Rechtmäßigkeit ihres Gewahrsams bezog, habe sie daher gegen den Beschluss vom 24. August 2010 Beschwerde einlegen müssen, aber ihr Antrag, beim Gerichtshof eingereicht im Dezember 2012, sei nicht innerhalb von sechs Monaten ab Tag der Zustellung dieses Beschlusses erfolgt.

57. Die Regierung argumentierte, die Trennung der Verfassungsbeschwerde in zwei Teile sei für die Beschwerdeführerin erkennbar gewesen, die anwaltschaftlich vertreten gewesen sei. Die Beschwerdeführerin sei in einem Schreiben vom 18. August 2010 vom Bundesverfassungsgericht darüber informiert worden, dass ihre Beschwerde betreffend die Vollzugsbedingungen ihres Gewahrsams getrennt unter einem neuen Aktenzeichen erfasst worden sei. Darüber hinaus sei in dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 24. August 2010, der der Rechtsanwältin der Beschwerdeführerin zugestellt wurde, spezifiziert worden, dass die Entscheidung nur die Frage der Rechtsmäßigkeit des Gewahrsams der Beschwerdeführerin betroffen habe.

58. Nach Ansicht der Regierung kann die Frage der Rechtmäßigkeit des Gewahrsams der Beschwerdeführerin als solchem unabhängig von der Frage der Rechtmäßigkeit der Vollzugsbedingungen ihres Gewahrsams untersucht werden. Durch Trennung dieser Fragen habe das Bundesverfassungsgericht klar gemacht, dass nach seiner Ansicht die Vollzugsbedingungen des Gewahrsams der Beschwerdeführerin keinen Einfluss auf die Rechtmäßigkeit ihres Gewahrsams als solchem haben würden.

2. Die Beschwerdeführerin

59. Die Beschwerdeführerin vertrat die Ansicht, sie habe die gemäß Artikel 35 Abs. 1 der Konvention vorgesehene Frist von sechs Monaten eingehalten, insoweit es um ihre Beschwerde im Hinblick auf die Rechtmäßigkeit ihres Gewahrsam gestützt auf Artikel 5 Abs. 1, 10 und 11 der Konvention ging.

60. Die Beschwerdeführerin argumentierte, dass nach ständiger Rechtsprechung des Oberlandesgerichts Celle der Gewahrsam einer Person allein aus dem Grund für rechtswidrig erklärt werden könne, dass die Bedingungen des Vollzugs des Gewahrsams inakzeptabel gewesen seien. Daher könne die Beschwerdeführerin erwarten, dass das Bundesverfassungsgericht den Gewahrsam ebenfalls für rechtswidrig erklären würde, wenn es zu der Ansicht gelangt, dass die Bedingungen des Vollzugs unrechtmäßig waren. Die Beschwerdeführerin, die mittellos sei, sei daher nicht verpflichtet gewesen, ihren Antrag betreffend die Frage, ob die Bedingungen ihres Gewahrsams Artikel 5 Abs. 1, 10 und 11 der Konvention erfüllten, bereits gegen den Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 24. August 2010 beim Gerichtshof einzureichen. Sie habe den Beschluss des Gerichts vom 30. Mai 2012 betreffend die Vollzugsbedingungen ihres Gewahrsams abwarten müssen, um alle innerstaatlich zur Verfügung stehenden Rechtsbehelfe voll ausgeschöpft zu haben und habe die Frist von sechs Monaten nach diesem Beschluss eingehalten.

61. Die Beschwerdeführerin trug ferner vor, das Bundesverfassungsgericht habe ihre Rechtsanwältin nicht über die Trennung der Verfahren informiert, da das Schreiben des Gerichts vom 18. August 2010 nur an sie selbst geschickt worden sei, während der Beschluss vom 24. August 2010 nur an ihre Rechtsanwältin geschickt worden sei. Man könne ihr nicht die Schuld für die mangelnde Klarheit, die aus dem vom Bundesverfassungsgericht gewählten Verfahren resultiere, geben.

B. Würdigung durch den Gerichtshof

62. Gemäß Artikel 35 Abs. 1 der Konvention kann sich der Gerichtshof nur “innerhalb einer Frist von sechs Monaten nach der endgültigen innerstaatlichen Entscheidung” mit einer Angelegenheit befassen. Der Gerichtshof wiederholt, dass es Ziel der Frist von sechs Monaten ist, für Rechtssicherheit zu sorgen, indem sicherstellt wird, dass Fälle, die Fragen nach der Konvention aufwerfen, innerhalb einer angemessenen Frist geprüft werden und frühere Entscheidungen nicht immer wieder in Frage gestellt werden können. Die Frist bestimmt die zeitlichen Grenzen einer Überprüfung durch den Gerichtshof und gibt dem Einzelnen und den staatlichen Behörden den Zeitraum vor, nach dessen Ablauf eine solche Überprüfung nicht länger möglich ist (siehe, u.a. , Walker ./. Vereinigtes Königreich (Entscheidung), Individualbeschwerde Nr. 34979/97, ECHR 2000‑I; İpek ./. Türkei (Entscheidung), Individualbeschwerde Nr. 39706/98, 7. November 2000 und Varnava u.a. ./. Türkei [GK], Individualbeschwerden Nr. 16064/90, 16065/90, 16066/90, 16068/90, 16069/90, 16070/90, 16071/90, 16072/90 und 16073/90, Rdnr. 156, ECHR 2009).

63. In Fällen, in denen dem Beschwerdeführer ein effektiver Rechtsbehelf zur Verfügung steht, beginnt die Frist von sechs Monaten ab dem Datum der unanfechtbaren Entscheidung im Rahmen der Ausschöpfung aller (effektiven) innerstaatlichen Rechtsbehelfe (siehe Varnava u.a., a.a.O., Rdnr. 157). Hat ein Beschwerdeführer von Amts wegen Anspruch auf Zustellung einer schriftlichen Ausfertigung der unanfechtbaren innerstaatlichen Entscheidung, beginnt die Frist von sechs Monaten an dem Tag zu laufen, an dem die schriftliche Fassung des Urteils (siehe Worm ./. Österreich, 29. August 1997, Rdnr. 33, ECHR1997‑V und Haralambidis u.a. ./. Griechenland, Individualbeschwerde Nr.. 36706/97, Rdnr. 38, 29. März 2001) dem Anwalt des Beschwerdeführers, falls anwaltschaftlich vertreten, zugestellt wurde (siehe Çelik ./. Türkei (Entscheidung), Individualbeschwerde Nr. 52991/99, ECHR 2004‑X).

64. Artikel 35 Abs. 1 kann nicht so ausgelegt werden, dass ein Beschwerdeführer verpflichtet ist, den Gerichtshof bereits mit seiner Beschwerde zu befassen, bevor seine Position im Zusammenhang mit der Angelegenheit abschließend auf innerstaatlicher Ebene geklärt wurde. Wo sich ein Beschwerdeführer daher eines scheinbargegebenen Rechtsbehelfs bedient und erst später Kenntnis von Umständen erlangt, die diesen Rechtsbehelf ineffektiv machen, ist der Gerichtshof der Ansicht, dass es zum Zwecke des Artikel 35 Abs. 1 der Konvention angemessen sein kann, dass die Frist von sechs Monaten ab dem Tag zu laufen beginnt, an welchem dem Beschwerdeführer diese Umstände das erste Mal bewusst wurden oder hätten bewusst werden müssen (siehe Paul und Audrey Edwards ./. Vereinigtes Königreich (Entscheidung), Individualbeschwerde Nr. 46477/99, ECHR 2002‑II und Varnava u.a., a.a.O., Rdnr. 157).

65. Der Gerichtshof stellt fest, dass die Beschwerdeführerin im vorliegenden Fall ihren Antrag, in dem sie rügt, ihr Präventivgewahrsam habe ihre Rechte aus Artikel 5 Abs. 1, Artikel 10 und 11 der Konvention verletzt, am 9. Dezember 2012 eingereicht hat. Sie hat ihren Antrag daher innerhalb von sechs Monaten ab Zustellung des Beschlusses des Bundesverfassungsgerichts vom 30. Mai 2012 betreffend die Vollzugsbedingungen ihres Gewahrsams an ihre Rechtsanwältin am 18. Juni 2012 eingereicht. Im Gegensatz dazu wurde der Antrag mehr als sechs Monate nach der Zustellung des Beschlusses des Bundesverfassungsgerichts vom 24. August 2010 betreffend die Rechtmäßigkeit ihres Gewahrsams an ihre Rechtsanwältin am 21. September 2010 eingereicht.

66. Der Gerichtshof stellt bereits zu Beginn fest, dass behauptet werde, die Beschwerde der Beschwerdeführerin, ihre Festnahme habe sie davon abgehalten, ihre Meinung zum Transport der Castor-Behälter zu äußern und stelle daher einen Eingriff in ihr Recht auf freie Meinungsäußerung und auf Versammlungsfreiheit gemäß Artikel 10 und 11 dar, sei durch ihren Gewahrsam als solchen verursacht worden und stehe nicht mit den Vollzugsbedingungen des Gewahrsams im Zusammenhang.

67. Der Gerichtshof muss daher ermitteln, ob die Beschwerdeführerin, wie sie es behauptet und was von der Regierung bestritten wird, ihre Verfassungsbeschwerde hinsichtlich der Vollzugsbedingungen ihres Gewahrsams im Hinblick auf ihre Beschwerden unter Artikel 5 Abs. 1, 10 und 11 der Konvention für einen effektiven innerstaatlichen Rechtsbehelf halten konnte und somit für einen effektiven Rechtsbehelf, welchen sie zunächst nach dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts zur Rechtmäßigkeit ihres Gewahrsams verpflichtet oder zumindest berechtigt war auszuschöpfen.

68. Der Gerichtshof nimmt vom Argument der Beschwerdeführerin Kenntnis, dass nach ständiger Rechtsprechung der Zivilgerichte der Gewahrsam einer Person allein aus dem Grund für rechtswidrig erklärt werden könne, dass die Bedingungen des Vollzugs des Gewahrsams inakzeptabel waren. Er erkennt an, dass es vertretbar ist anzunehmen, dass es Situationen gibt, in denen allein die Vollzugsbedingungen des Gewahrsams einer Person zur Rechtswidrigkeit des Gewahrsams führen.

69. Der Gerichtshof stellt jedoch fest, dass das Bundesverfassungsgericht im vorliegenden Fall die Verfassungsbeschwerde der Beschwerdeführerin in zwei Teile gegliedert hat, einen (nur) die Vollzugsbedingungen ihres Gewahrsams betreffend und einen betreffend die Rechtmäßigkeit ihres Gewahrsams. In seinem Beschluss vom 24. August 2010 lehnte das Bundesverfassungsgericht es später ab, die Verfassungsbeschwerde der Beschwerdeführerin zur Entscheidung anzunehmen, insoweit als sie die Rechtmäßigkeit ihres Gewahrsams betraf. Grund für die Trennung der Verfassungsbeschwerde der Beschwerdeführerin in zwei Teile war nach dem Vortrag der Regierung, dass die zwei Gegenstände jeweils zwei verschiedenen Richtern als Berichterstattern zugewiesen worden seien und lag somit in der internen Organisation des Gerichts (und nicht in den Erfolgsaussichten der verschiedenen Teile der Beschwerde). Dennoch ist der Gerichtshof der Ansicht, dass die Tatsache, dass das Bundesverfassungsgericht über die Verfassungsbeschwerde insoweit sie die Rechtmäßigkeit des Gewahrsams betraf, gesondert entschied, ein Indiz dafür ist, dass das Gericht es nicht für möglich hielt, dass die möglicherweise verfassungswidrigen Vollzugsbedingungen des Gewahrsams der Beschwerdeführerin sich auf die Verfassungsmäßigkeit des Gewahrsams an sich auswirken könnten. Es war nicht zu erwarten, dass das Gericht seiner ersten Entscheidung in einer späteren Entscheidung zur Verfassungsmäßigkeit der Vollzugsbedingungen des Gewahrsams der Beschwerdeführerin widersprechen würde.

70. Der Gerichtshof ist darüber hinaus davon überzeugt, dass die Beschwerdeführerin sich der Tatsache hätte bewusst sein können, dass der Rest ihrer Verfassungsbeschwerde betreffend die Vollzugsbedingungen ihres Gewahrsams kein effektiver Rechtsbehelf in Bezug auf ihre Beschwerden unter Artikel 5 Abs. 1, 10 und 11 der Konvention gewesen war. Es ist der Ansicht, dass, selbst wenn die Unterteilung einer Verfassungsbeschwerde in zwei Teile nicht häufig vorzukommen scheint, das vom Bundesverfassungsgericht gewählte Verfahren hinreichend klar war. In seinem Beschluss vom 24. August 2010, der der Rechtsanwältin der Beschwerdeführerin zugestellt wurde, stellte das Bundesverfassungsgericht klar, dass sich die Entscheidung nur auf die Verfassungsbeschwerde der Beschwerdeführerin gegen die Entscheidungen der Zivilgerichte bezog, insoweit sich diese mit der Rechtmäßigkeit des Gewahrsams der Beschwerdeführerin an sich beschäftigten. Die Beschwerdeführerin, vertreten durch ihre Rechtsanwältin, sei daher darüber informiert gewesen, dass diese Frage auf innerstaatlicher Ebene abschließend geklärt gewesen sei.

71. Die abschließende Entscheidung der innerstaatlichen Gerichte im Rahmen der Ausschöpfung effektiver innerstaatlicher Rechtsbehelfe in Bezug auf die Beschwerden unter Artikel 5 Abs. 1, 10 und 11 der Konvention im Sinne von Artikel 35 Abs. 1 der Konvention war daher der Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 24. August 2010. Die Beschwerdeführerin hat es versäumt, ihren Antrag vom 9. Dezember 2012 bei dem Gerichtshof innerhalb von sechs Monaten ab Zustellung dieses Beschlusses an ihre Rechtsanwältin am 21. September 2010 einzureichen.

72. Daraus folgt, dass dieser Teil der Beschwerde zu spät eingereicht wurde und gemäß Artikel 35 Abs. 1 und 4 der Konvention zurückgewiesen werden muss.

II. BEHAUPTETE VERLETZUNG VON ARTIKEL 3 DER KONVENTION DURCH DIE VOLLZUGSBEDINGUNGEN DES GEWAHRSAMS

73. Die Beschwerdeführerin rügt, dass die Vollzugsbedingungen ihres Polizeigewahrsams eine Verletzung von Artikel 3 der Konvention darstellen würden. Dieser lautet:

„Niemand darf der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe unterworfen werden.”

74. Die Regierung bestritt dies.

A. Zulässigkeit

75. Der Gerichtshof stellt fest, dass diese Beschwerde nicht offensichtlich unbegründet im Sinne des Artikel 35 Abs. 3 a) der Konvention ist. Darüber hinaus stellt er fest, dass sie auch nicht aus anderen Gründen unzulässig ist. Sie muss daher für zulässig erklärt werden.

B. Begründetheit

1. Die Stellungnahmen der Parteien

(a) Die Beschwerdeführerin

76. Die Beschwerdeführerin war der Ansicht, dass die schlechten und erniedrigenden Vollzugsbedingungen ihres Gewahrsams in der Gesamtschau zu einer unmenschlichen Behandlung geführt hätten und damit gegen Artikel 3 der Konvention verstoßen hätten. Sie habe gewaltfrei protestiert und sei wie ein gefährlicher Straftäter behandelt worden.

77. Was die Vollzugsbedingungen ihres Gewahrsams in der Polizeiinspektion Lüneburg angeht, trug die Beschwerdeführerin vor, dass die Breite ihrer winzigen Zelle so unbedeutend gewesen sei, dass sie in der Lage gewesen sei, in der Zelle hochzuklettern, indem sie sich jeweils mit den Füßen an den gegenüberliegenden Wänden abstützte. Die Zelle habe kein Fenster, sondern nur Lüftungsschlitze gehabt, so dass es kein Tageslicht gegeben habe. Die Lüftung sei so laut gewesen, dass sie nicht in der Lage gewesen sei zu schlafen.

78. Im Hinblick auf die Vollzugsbedingungen ihres Gewahrsams in der Polizeiinspektion Braunschweig, betonte die Beschwerdeführerin, dass sie jedes Mal, wenn sie zur Toilette gegangen sei, an Fotografien von gefesselten Personen habe vorbeigehen müssen, die im Flur des Gewahrsamstrakts dieser Polizeiinspektion ausgestellt gewesen seien. Unter den Fotografien waren auch Bilder einer Person, die gleichzeitig mit Hand- und Fußgelenksschellen gefesselt war, eine Fesselungsmethode, die vom CPT missbilligt wird. Im Hinblick auf die Tatsache, dass ihr offensichtlich unverhältnismäßiger Präventivgewahrsam als solcher, der eine Ersatzstrafe für politisch unerwünschtes Verhalten gewesen sei, und ihre Behandlung durch die Polizeiwachen erniedrigend gewesen seien, hätten diese Fotografien ihr Angst gemacht und ihr Gefühl von Hilflosigkeit verstärkt.

79. Nach dem Vortrag der Beschwerdeführerin stellte auch die Tatsache, dass das Licht während ihrer gesamten ersten Nacht in der Gewahrsamszelle in Braunschweig angeschaltet geblieben sei und sie am Schlafen gehindert habe, eine Verletzung von Artikel 3 dar. Sie räumte ein, dass sie auf den Schrank in ihrer Zelle geklettert sei, trug aber vor, dass sie dies getan habe, um gegen die Tatsache zu protestieren, dass sich die Polizei geweigert habe, das Licht auszuschalten.

80. Die Beschwerdeführerin argumentierte ferner, dass sie nicht ausreichend Möglichkeit gehabt habe, sich während des Polizeigewahrsams im Freien zu bewegen. Am 7. November 2008 sei sie als Nichtraucherin verpflichtet gewesen, die Polizeibeamten, die rauchen wollten, dreimal auf einem Spaziergang entlang dem Ilmenau-Ufer zu begleiten. Während ihres Gewahrsams in Braunschweig sei es ihr am 8. November 2008 nur für dreißig Minuten und am 9. November 2008 für dreizehn Minuten erlaubt worden, nach draußen zu gehen. Dies sei ein Verstoß gegen die CPT-Standards in diesem Bereich. Darüber hinaus sei sie während ihres ersten Spaziergangs auf dem Gelände der Polizeiinspektion mit Handschellen an eine Polizistin gefesselt gewesen. Im Hinblick auf ihren Gesundheitszustand – sie leide an Rheuma und sei deswegen zu 30 % behindert – habe ihr dieser Bewegungsmangel erhebliche Schmerzen verursacht.

81. Die Beschwerdeführerin behauptete, dass ihr Gewahrsam auch strenger gewesen sei als dies bei jedem Freiheitsentzug der Fall sei, weil ihr jegliches Material, wie Bücher oder Schreibutensilien gefehlt hätten, um sich selbst zu beschäftigen. Sie bestritt, dass man ihr Bücher zur Verfügung gestellt habe und trug vor, dass nur ihre Ärztin ihr Lesestoff zur Verfügung gestellt habe und sie Schreibmaterial erst nach zwei Tagen im Gewahrsam erhalten habe. Ihre Vollzugsbedingungen des Gewahrsams seien schlechter gewesen als die verurteilter Straftäter, da es weder einen Fernseher, ein Radio, ein Telefon oder Spiele noch Gelegenheit gegeben habe, sich sportlich zu betätigen oder in Kontakt mit anderen zu treten.

82. Darüber hinaus hätten die nach Vortrag der Beschwerdeführerin erniedrigenden Bedingungen des Gewahrsams insgesamt bei ihr ein Gefühl der Hilflosigkeit hervorgerufen und hätten bei ihr zusätzlich zu ihrer bereits vorher bestehenden Behinderung aufgrund ihres Rheumas als Ergebnis einer posttraumatischen Belastungsstörung zu einer Behinderung von dreißig Prozent geführt. Sie legte eine Entscheidung des Niedersächsischen Sozialamts vom 24. August 2010 vor, in der ihr eine „psychische Behinderung” von 30 Prozent bescheinigt wird. Sie legte darüber hinaus ein ärztliches Attest vom 13. September 2012, ausgestellt von einem Psychotherapeuten, vor, in dem er ihr die Diagnose einer posttraumatischen Belastungsstörung verursacht durch ihre Freiheitsentziehungen im November 2008 und Juli 2009 stellt.

(b) Die Regierung

83. Die Regierung argumentierte, die Vollzugsbedingungen des Gewahrsams der Beschwerdeführerin hätten Artikel 3 der Konvention nicht verletzt. Die Regierung betonte, dass die Dauer des Gewahrsams der Beschwerdeführerin relativ kurz gewesen sei (drei Tage und vier Stunden). Außerdem hätten die Polizeibeamten, die mit der Bewachung der Beschwerdeführerin betraut gewesen seien, versucht, die Unannehmlichkeiten, die für die Beschwerdeführerin mit der Unterbringung im Gewahrsam verbunden waren, während der gesamten Dauer ihres Gewahrsams so gering wie möglich zu halten.

84. Nach Ansicht der Regierung habe die Ausstattung der Zelle der Beschwerdeführerin in der Polizeiinspektion Lüneburg die CPT-Standards für Zellen im Polizeigewahrsam erfüllt. Es habe insbesondere eine saubere Matratze und einen Stuhl, ausreichende elektrische Beleuchtung und ein wenig natürliches Licht, wenn auch durch Gitter und Mattglas reduziert, gegeben. Wenn sich die Beschwerdeführerin über das Lüftungsgeräusch beschwert hätte, was sie nicht getan habe, hätte sie wahrscheinlich ausgeschaltet werden können. Die Regierung erklärte in diesem Zusammenhang, dass die Polizei die Beschwerdeführerin zunächst in der Polizeiinspektion Lüneburg festgehalten habe, um ihr den Transport zur Polizeiinspektion Braunschweig, die sich ungefähr 120 km entfernt befindet, am Abend des 6. November 2008 und zurück nach Lüneburg am nächsten Morgen, wo sie vom Landgericht Lüneburg angehört werden sollte, zu ersparen.

85. Was die Vollzugsbedingungen des Gewahrsams der Beschwerdeführerin auf der Polizeiinspektion angeht, in die die Beschwerdeführerin verlegt wurde, da sie für einen längeren Polizeigewahrsam besser ausgestattet war, drückte die Regierung ihr Bedauern aus, dass die im Gewahrsamstrakt dieser Polizeiinspektion ausgestellten Fotografien gefesselter Personen die Beschwerdeführerin unangenehm berührt hätten. Die Regierung trug vor, dass die Braunschweiger Polizei erklärt habe, dass die Fotografien Polizisten zeigten, die die Situationen für interne Schulungszwecke simuliert hätten. Es sei nie die Absicht gewesen, die Beschwerdeführerin durch die in einem Flur, den die Beschwerdeführerin schnell passiert habe, ausgestellten Fotografien einzuschüchtern oder ihr Angst zu machen. Die Fotografien seien im Dezember 2008 entfernt worden, nachdem die Braunschweiger Polizei nach einem Besuch des Gewahrsamsflügels durch eine Bürgerinitiative eingeräumt gehabt habe, dass die Fotografien falsch verstanden werden könnten. Während die Regierung einräumte, dass die Fotografien im Kontext geschmacklos gewesen seien, war sie der Ansicht, dass die durch die Bilder verursachte Beeinträchtigung nicht die Schwelle einer unmenschlichen oder erniedrigende Behandlung, die Artikel 3 verletzt, erreicht habe.

86. Darüber hinaus stelle auch die Tatsache, dass das Licht während der gesamten ersten Nacht der Beschwerdeführerin in der Braunschweiger Gewahrsamszelle angeschaltet blieb, keine Verletzung von Artikel 3 dar. Da die Beschwerdeführerin auf den Schrank 1,90 m über dem Erdboden geklettert sei und sich geweigert habe, der Anweisung der Wachen herabzusteigen Folge zu leisten, hätten sich die Polizeibeamten entschlossen, das Licht zu ihrem eigenen Schutz anzulassen und regelmäßig in der Zelle nach der Beschwerdeführerin zu sehen, anstatt sie mit Gewalt zum Herabsteigen zu zwingen und sie eventuell mit Hilfe physischer Mittel in ihrer Bewegungsfreiheit einzuschränken.

87. Nach dem Vortrag der Regierung habe die Beschwerdeführerin ferner ausreichend Möglichkeit gehabt, sich während ihres Polizeigewahrsams im Freien zu bewegen. Sie sei am 7. November 2008 dreimal auf kurze Spaziergänge entlang dem Ilmenau-Ufer begleitet worden, während sie auf die Entscheidung des Landgerichts wartete. Am 8. November 2008 wurde es der Beschwerdeführerin erlaubt, sich von 14:20 Uhr bis 15:02 Uhr im Außenbereich der Polizeiinspektion Braunschweig aufzuhalten. Dabei war sie locker mit Handschellen an eine Polizeibeamtin gefesselt. Im Hinblick auf das frühere Verhalten der Beschwerdeführerin, insbesondere ihrer Weigerung, in der Nacht vom Schrank herabzusteigen, habe die Gefahr bestanden, dass die geflüchtet wäre, wenn man sie nicht gefesselt hätte, da die Polizeiinspektion Braunschweig nicht über einen geschlossenen Innenhof verfüge. Am 9. November 2008 habe sich die Beschwerdeführerin von 12:22 Uhr bis 12:35 Uhr im Freien aufgehalten und es sei ihr erlaubt worden, in Gegenwart von Polizeibeamten, die sie kannten, auf einen Baum zu klettern.

88. Die Regierung argumentierte auch, dass insoweit als die Beschwerdeführerin sich darüber beschwerte, es habe ihr an Material, wie Büchern oder Schreibmaterial, gemangelt, um sich zu beschäftigen und sie habe nicht genug Kontakt mit der Außenwelt gehabt, da man ihr ihr Handy abgenommen habe, es sich dabei um für einen kurzen Polizeigewahrsam typische Einschränkungen gehandelt habe. Darüber hinaus seien der Beschwerdeführerin Bücher zur Verfügung gestellt worden und man habe ihr innerhalb von zwei Tagen im Polizeigewahrsam drei Besuche eines Freundes und zwei ihrer Ärztin erlaubt, die ihr auch einige Zeitschriften mitgebracht habe. Es sei ihr außerdem erlaubt worden, mehrmals ihre Rechtsanwältin und ihren Partner anzurufen.

89. Darüber hinaus stellte sich die Regierung auf den Standpunkt, die Behörden hätten hinreichende Maßnahmen zum Schutz der Gesundheit der Beschwerdeführerin getroffen. Sie sei während ihres Gewahrsams zweimal von einem Polizeiarzt und zweimal von ihrer Hausärztin untersucht worden. Die Polizeibeamten hätten sofort einen Krankenwagen gerufen und einen Arzt konsultiert, als die Beschwerdeführerin während der Fahrt von Lüneburg nach Braunschweig über Atembeschwerden geklagt habe. Ferner sei allein aufgrund eines mündlichen telefonischen Berichts ihrer Hausärztin ihre Entlassung angeordnet worden, um jegliche Risiken für die Gesundheit der Beschwerdeführerin auszuschließen. Selbst wenn man annehmen würde, dass es einen Kausalzusammenhang zwischen den Vollzugsbedingungen des Gewahrsams der Beschwerdeführerin und der Verschlechterung ihres Gesundheitszustands gibt, wäre letztere vor dem Hintergrund der ihr gewährten medizinischen Betreuung für die Behörden nicht vorhersehbar gewesen.

2. Würdigung durch den Gerichtshof

(a) Zusammenfassung der wesentlichen Prinzipien

90. Der Gerichtshof wiederholt, dass in Artikel 3 der Konvention einer der elementarsten Werte einer demokratischen Gesellschaft verankert ist. Er stellt ein absolutes Verbot von Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe ungeachtet der Umstände und des Verhaltens des Opfers dar (siehe, u.a., Labita ./. Italien [GK], Individualbeschwerde Nr. 26772/95, Rdnr. 119, ECHR 2000‑IV; Kudła ./. Polen [GK], Individualbeschwerde Nr. 30210/96, Rdnr. 90, ECHR 2000‑XI und Van der Ven ./. Niederlande,Individualbeschwerde Nr. 50901/99, Rdnr. 46, ECHR 2003‑II).

91. Die Misshandlung muss jedoch ein Mindestmaß an Schwere erreicht haben, damit sie unter den Schutzbereich des Artikel 3 fällt. Die Beurteilung, ob dieses Mindestmaß erreicht ist, ist relativ: Sie hängt von allen Umständen des Falls ab, wie der Dauer der Behandlung, der körperlichen und mentalen Folgen und in einigen Fällen auch dem Geschlecht, Alter und Gesundheitszustand des Opfers (siehe u.a. Kalashnikov ./. Russland, Individualbeschwerde Nr. 47095/99, Rdnr. 95, ECHR 2002‑VI; Van der Ven,a.a.O., Rdnr. 47 und Mkhitaryan ./. Russland, Individualbeschwerde Nr. 46108/11, Rdnr. 70, 5. Februar 2013).

92. Eine Behandlung wurde vom Gerichtshof für „unmenschlich“ gehalten, weil sie unter anderem vorsätzlich erfolgte, sich über Stunden erstreckte und entweder zu einer tatsächlichen Verletzung des Körpers oder zu intensivem körperlichen oder mentalen Leiden führte und auch als „erniedrigend“, weil sie so geartet war, dass sie bei den Opfern Gefühle der Angst, Qualen und Minderwertigkeit hervorrief, die geeignet waren, sie zu demütigen und entwürdigen (siehe z.B. Kudła, a.a.O., Rdnr. 92; Kalashnikov, a.a.O., Rdnr. 95 und H. ./. Deutschland, Individualbeschwerde Nr. 20999/05, Rdnr. 51, 7. Juli 2011). Die Frage, ob es Zweck der Behandlung war, das Opfer zu demütigen oder entwürdigen, ist ein weiterer Faktor, der berücksichtigt werden muss, allerdings kann allein die Tatsache, dass ein solcher Zweck nicht vorliegt, nicht abschließend eine Verletzung von Artikel 3 ausschließen (siehe z.B. Peers ./. Griechenland, Individualbeschwerde Nr. 28524/95, Rdnr. 74, ECHR 2001-III und Kalashnikov, a.a.O., Rdnr. 101).

93. Haftbedingungen können in Einzelfällen eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung darstellen (siehe Peers, a.a.O., Rdnr. 75). Bei der Untersuchung der Haftbedingungen müssen diese Bedingungen in der Gesamtschau gesehen werden sowie die besonderen Anschuldigungen des Beschwerdeführers (siehe Dougoz ./. Griechenland, Individualbeschwerde Nr. 40907/98, Rdnr. 46, ECHR 2001‑II und Van der Ven,a.a.O., Rdnr. 49). Die Dauer, die eine Person unter den bestimmten Bedingungen inhaftiert ist, ist ein wesentlicher zu berücksichtigender Faktor (siehe Alver ./. Estland, Individualbeschwerde Nr. 64812/01, Rdnr. 50, 8. November 2005; Horshill ./. Griechenland, Individualbeschwerde Nr. 70427/11, Rdnr. 44, 1. August 2013; und Fakailo (Safoka)et alia ./. Frankreich, Individualbeschwerde Nr. 2871/11, Rdnr. 39, 2. Oktober 2014).

94. Der Staat muss sicherstellen, dass eine Person unter Bedingungen festgehalten wird, die mit dem Respekt der Menschenwürde übereinstimmen, dass die Art und Methode des Vollzugs der Maßnahme des Freiheitsentzugs die Person keiner Belastung oder Härte aussetzt, die das unvermeidbare Maß von Leid, das mit einer Haft verbunden ist, überschreitet und dass die Gesundheit und das Wohlergehen der Person, unter Berücksichtigung der praktischen Erfordernisse einer Inhaftierung, angemessen sichergestellt werden (siehe Kudła, a.a.O., Rdnr. 94; Kalashnikov, a.a.O., Rdnr. 95; and Mkhitaryan, a.a.O., Rdnr. 72).

95. Was besondere Aspekte der Haftbedingungen angeht, hat der Gerichtshof u.a. bereits den Schlafentzug aufgrund einer dauerhaften Beleuchtung und Lärm als geeignet angesehen, für den Häftling eine körperliche oder psychische Belastung darzustellen, die in diesem Kontext relevant ist (siehe Kalashnikov, a.a.O, Rdnr. 97). Darüber hinaus hat der Gerichtshof berücksichtigt, ob es in der Zelle des Häftlings ein Fenster und eine Lüftung gab (siehe Peers, a.a.O, Rdnr. 75; Alver, a.a.O, Rdnr. 53; Horshill, a.a.O, Rdnr. 46 und Fakailo (Safoka)et alia, a.a.O, Rdnr. 41). Auch der Umfang, in dem einem Häftling die Beschäftigung im Freien erlaubt wurde, spielt hier eine Rolle (siehe Kalashnikov, a.a.O, Rdnr. 97; Mathew ./. Niederlande, Individualbeschwerde Nr. 24919/03, Rdnr. 213, ECHR 2005‑IX; und Horshill, a.a.O, Rdnr. 46).

96. Die Verwendung von Handschellen oder anderen Mitteln zur Einschränkung der Bewegungsfreiheit stellt normalerweise keine Behandlung dar, die unter Artikel 3 der Konvention problematisch ist, wenn die Maßnahme im Zusammenhang mit einer rechtmäßigen Haft erfolgte und nicht zu einem Einsatz von Gewalt oder öffentlicher Zurschaustellung führte, die über das hinausgeht, was vernünftigerweise unter den Umständen für notwendig erachtet wird. In dieser Hinsicht ist es z.B. wichtig, die Gefahr zu berücksichtigen, dass die Person flüchtet oder Menschen verletzt oder Sachschäden verursacht werden (siehe Raninen ./. Finnland, 16. Dezember 1997, Rdnr. 56, ECHR 1997‑VIII; Mouisel ./. Frankreich, Individualbeschwerde Nr. 67263/01, Rdnr. 47, ECHR 2002‑IX; und Kashavelov ./. Bulgarien, Individualbeschwerde Nr. 891/05, Rdnr. 38, 20. Januar 2011).

(b) Anwendung der oben genannten Prinzipien auf den vorliegenden Fall

97. Bei der Ermittlung, ob es sich vor dem Hintergrund der oben genannten Prinzipien bei einer Gesamtschau der Auswirkungen der Vollzugsbedingungen des Gewahrsams der Beschwerdeführerin, deren Unterbringung im Gewahrsam im Wesentlichen in zwei Polizeiinspektionen vollzogen wurde, im vorliegenden Fall um eine Behandlung handelt, die Artikel 3 verletzt, stellt der Gerichtshof Folgendes fest.

98. Im Hinblick auf den Gewahrsam der Beschwerdeführerin in der Polizeiinspektion Lüneburg stellt der Gerichtshof fest, dass die Beschwerdeführerin die Größe und unzureichende Beleuchtung der Zelle, in der sie festgehalten wurde und den Lärm des Ventilators rügte, der sie nicht schlafen ließ. Der Gerichtshof stellt fest, dass die Beschwerdeführerin in dieser Zelle weniger als 19 Stunden festgehalten wurde, nämlich vom 7. November 2008 um 19:00 Uhr bis zum 8. November 2008 um 01:40 Uhr.

99. Was die Größe der Zelle angeht, verweist der Gerichtshof auf die vom CPT entwickelten Standards, wonach 7 m² pro Häftling als ein ungefährer, wünschenswerter Richtwert für eine Zelle im Polizeigewahrsam für Aufenthalte von mehr als nur ein paar Stunden festgelegt werden (siehe Rdnr. 50 oben). Es wurde nicht hinreichend substantiiert dargelegt, dass die schmale Zelle, in der die Beschwerdeführerin festgehalten wurde, diesen Standard nicht einhielt.

100. Was die Beleuchtung in dieser Zelle angeht, stellt der Gerichtshof fest, dass es nur begrenzt natürliches Licht in der Zelle gab, die nach dem Vortrag der Beschwerdeführerin über den Belüftungsschlitz beleuchtet wurde und nach dem Vortrag der Regierung durch eine Mattglasscheibe. Zusätzlich gab es elektrisches Licht. Der Gerichtshof erkennt an, dass ein beschränkter Zugang zu Tageslicht in Haft bei der Untersuchung der Einhaltung der Vollzugsbedingungen des Gewahrsams gemäß Artikel 3 ein relevanter Aspekt ist (siehe Rdnr. 95 oben), insbesondere unter Berücksichtigung der CPT-Empfehlungen in dieser Hinsicht (siehe Rdnrn. 50 und 52 oben). Jedoch ist der Gerichtshof der Ansicht, dass die Beleuchtung der Zelle der Beschwerdeführerin im Wesentlichen durch elektrisches Licht im Hinblick auf die relativ kurze Dauer des Aufenthalts der Beschwerdeführerin in dieser Zelle nicht als unangemessen betrachtet werden kann.

101. Was den in dieser Zelle durch den Ventilator verursachten Lärm angeht, erkennt der Gerichtshof an, dass Schlafentzug als Folge von Lärm für die betroffene Inhaftierte eine Belastung darstellte (siehe Rdnr. 95 oben). Jedoch gibt es keinen Hinweis darauf, dass sich die Polizeibehörden, bei denen sich die Beschwerdeführerin nicht über den vom Ventilator ausgehenden Lärm beschwerte, der Tatsache bewusst waren, dass die Beschwerdeführerin aufgrund des Betriebs des Ventilators um ihre Nachtruhe gebracht wurde.

102. Was die Vollzugsbedingungen des Gewahrsams der Beschwerdeführerin in der Polizeiinspektion Braunschweig angeht, stellt das Gericht fest, dass die Beschwerdeführerin dort weniger als zwei Tage festgehalten wurde, nämlich vom 8. November 2008 um 02:10 Uhr bis zum 9. November 2008 um 18:32 Uhr). Immer wenn die Beschwerdeführerin durch den Flur des Gewahrsamstrakts ging, insbesondere wenn sie auf Toilette ging, musste sie an Fotografien vorbeigehen, die in diesem Flur ausgestellt waren und die Bilder gefesselter Personen zeigten, einschließlich einer Person, die durch den kombinierten Einsatz von Hand- und Fußgelenksschellen gefesselt war. Diese Art der Fesselung wird tatsächlich, wie von der Beschwerdeführerin vorgetragen, vom CPT missbilligt (siehe Rdnr. 51 oben). Der Gerichtshof erkennt an, dass diese Bilder bei Inhaftierten Gefühle der Angst und Hilflosigkeit hervorrufen könnten.

103. Der Gerichtshof stellt in diesem Zusammenhang weiter fest, dass das Landgericht diese Bilder für geschmacklos hielt, jedoch zu dem Ergebnis kam, sie seien nicht aufgehängt worden, um Häftlinge einzuschüchtern (siehe Rdnr. 23 oben). Der Gerichtshof berücksichtigt ferner die Erklärung der Regierung, die ihr Bedauern ausdrückte, dass die Fotografien die Beschwerdeführerin negativ berührt hätten und dass diese Fotografien Polizeibeamte zeigten, die die portraitierten Situationen für interne Schulungszwecke simuliert hätten.

104. Während der Gerichtshof im Lichte dieser Erläuterungen bereit ist anzuerkennen, dass es nicht Zweck der Ausstellung der fraglichen Fotografien gewesen ist, Häftlinge, wie die Beschwerdeführerin, zu entwürdigen, ist er dennoch der Ansicht, dass die Polizeibehörden die einschüchternde Wirkung, die die Ausstellung solcher Fotografien auf Inhaftierte haben könnte, hätten vorhersehen können.

105. Der Gerichtshof muss jedoch auch berücksichtigen, dass die fraglichen Fotografien nur im Flur des Gewahrsamstrakts ausgestellt waren, so dass die Beschwerdeführerin ihnen nur einige Mal im Vorbeigehen ausgesetzt war.

106. Was die Tatsache angeht, dass das Licht während der gesamten ersten Nacht der Unterbringung der Beschwerdeführerin im Gewahrsam in Braunschweig angeschaltet blieb, wodurch die Beschwerdeführerin nicht schlafen konnte, bezieht sich der Gerichtshof auf seine Erkenntnisse oben (siehe Rdnr. 95), dass der Schlafentzug als Folge einer dauerhaften Beleuchtung für die betroffene Inhaftierte eine Belastung darstellt, die für die Beurteilung der Frage, ob die Vollzugsbedingungen des Gewahrsams im Einklang mit Artikel 3 stehen, relevant ist.

107. Der Gerichtshof stellt jedoch fest, dass auch wenn der Grund, warum die Beschwerdeführerin eingangs auf den Schrank kletterte, zwischen den Parteien strittig ist, es unstrittig ist, dass die Beschwerdeführerin auf den Schrank in einer Höhe von 1,90 m über dem Erdboden in ihrer Zelle kletterte und dass sich die Polizei als Folge der Weigerung der Beschwerdeführerin herabzusteigen weigerte, das Licht auszuschalten. Ferner nimmt der Gerichtshof das Argument des Landgerichts und der Regierung zur Kenntnis, dass ein Herunterholen der Beschwerdeführerin unter Zwang und eventuell Maßnahmen, um sie daran zu hindern, wieder auf den Schrank zu steigen, die Freiheit der Beschwerdeführerin noch stärker eingeschränkt hätten, als das Licht zum Schutz der Beschwerdeführerin angeschaltet zu lassen und regelmäßig in der Zelle nach der Beschwerdeführerin zu sehen. Das Gericht erkennt an, dass die Tatsache, dass die Polizei das Licht während der Nacht angeschaltet ließ, durch das eigene Verhalten der Beschwerdeführerin erforderlich wurde und unter den gegebenen Umständen darauf abzielte, die mit ihrem Gewahrsam für die Beschwerdeführerin verbundenen Leiden zu begrenzen und den Schutz ihrer Gesundheit sicherzustellen.

108. Was die Möglichkeiten der Beschwerdeführerin angeht, sich im Freien zu bewegen, ein weiteres Element, das bei der Untersuchung der Frage, ob die Haft einer Person mit Artikel 3 im Einklang steht, zu berücksichtigen ist (siehe Rdnr. 95 oben), stellt der Gerichtshof fest, dass die Beschwerdeführerin am 7. November 2008 dreimal entlang dem Ilmenau-Ufer spazieren geführt wurde. Es wurde ihr ferner erlaubt, für weniger als eine Stunde am 8. November 2008 und am 9. November 2008 für dreizehn Minuten im Außenbereich der Polizeiinspektion Braunschweig spazieren zu gehen. Der Gerichtshof nimmt in diesem Zusammenhang von der Empfehlung des CPT Kenntnis, dass Personen, die länger als 24 Stunden in Polizeigewahrsam festgehalten werden, jeden Tag Bewegung im Freien angeboten werden sollte (siehe Rdnr. 50 oben) und von der späteren Klarstellung des CPT, dass mindestens eine Stunde Bewegung im Freien angeboten werden sollte (siehe Rdnr. 53 oben). Er bemerkt ferner, dass gemäß Nr. 10 der damals geltenden Polizeigewahrsamsordnung Personen im Polizeigewahrsam die Möglichkeit gegeben werden sollte, sich täglich 45 Minuten im Freien aufzuhalten, sofern die personellen und räumlichen Voraussetzungen dies zuließen (siehe Rdnr. 46).

109. Der Gerichtshof ist der Ansicht, dass, auch wenn es insbesondere im Hinblick auf den Gesundheitszustand der Beschwerdeführerin, nämlich ihr Rheuma-Leiden, wünschenswert gewesen wäre, der Beschwerdeführerin mehr Aktivität im Freien zu erlauben, die Vollzugsbedingungen des Gewahrsams der Beschwerdeführerin unter Berücksichtigung der Dauer ihres Gewahrsams von weniger als dreieinhalb Tagen und der Tatsache, dass kein Platzmangel in ihren Gewahrsamszellen festgestellt wurde, in dieser Hinsicht keinen Fall einer Verletzung von Artikel 3 darstellen.

110. Der Gerichthof stellt ferner fest, dass die Beschwerdeführerin während ihres Spaziergangs im Freien am 8. November 2008 lose an eine Polizeibeamtin gefesselt war. Er wiederholt, dass die Verwendung von Handschellen zu einem Verstoß gegen Artikel 3 führen kann, wenn die Maßnahme mit einer öffentlichen Zurschaustellung einhergeht, die über das hinausgeht, was vernünftigerweise unter den jeweiligen Umständen für notwendig erachtet wird (siehe Rdnr. 96 oben). Im vorliegenden Fall haben die Polizeibeamten die Beschwerdeführerin gefesselt, um sie an der Flucht zu hindern, da sie eine hervorragende Kletterin war und bereits zuvor Anordnungen der Polizei nicht Folge geleistet hat (siehe Rdnr. 8 und 20 oben), einschließlich Anordnungen, vom Bogen einer Eisenbahnbrücke oder vom Schrank in ihrer Zelle herabzusteigen. Unter diesen Umständen, ist der Gerichtshof überzeugt, dass die Behörden es vernünftigerweise für erforderlich halten konnten, die Beschwerdeführerin zu fesseln, da die Polizeiinspektion Braunschweig nicht über einen geschlossenen Innenhof verfügte. Darüber hinaus wurde von der Beschwerdeführerin nicht nachgewiesen, dass sie während ihres Spaziergangs auf dem Gelände der Polizeiinspektion während sie gefesselt war unnötig der Öffentlichkeit ausgesetzt war.

111. Insoweit die Beschwerdeführerin sich über mangelnde Möglichkeiten beklagte, sich zu beschäftigen, stellt der Gerichtshof fest, dass die Vollzugsbedingungen des Gewahrsams der Beschwerdeführerin in dieser Hinsicht tatsächlich nicht so gut waren, wie die verurteilter Straftäter im Gefängnis. Der Gerichthof würde sich aber den Erkenntnissen des CPT in seinen Standards zum Polizeigewahrsam anschließen, dass im Hinblick auf die relativ kurze Dauer eines solchen Polizeigewahrsams nicht erwartet werden kann, dass die physischen Bedingungen der Unterbringung genauso gut sind wie dort, wo Personen über lange Zeiträume festgehalten werden (siehe Rdnr. 50 oben). Ergänzend ist auszuführen, dass der Beschwerdeführerin zumindest zu einem späteren Zeitpunkt Schreibmaterial zur Verfügung gestellt wurde und es ihr erlaubt wurde, drei Besuche eines Freundes zu empfangen und ihren Partner mehrmals anzurufen. Im Hinblick auf die kurze Dauer des Gewahrsams der Beschwerdeführerin führt dieser Aspekt daher nicht zu einer Verletzung von Artikel 3.

112. Schließlich kommt der Gerichtshof zu dem Ergebnis, dass die Gesundheit der Beschwerdeführerin während ihres Gewahrsams angemessen gesichert war. Er stellt in diesem Zusammenhang fest, dass auch wenn die Beschwerdeführerin während ihres Gewahrsams in der Polizeiinspektion Braunschweig nicht von einem Polizeiarzt oder Amtsarzt untersucht wurde, ihr Gesundheitszustand seit ihrer Festnahme von einem Arzt der Bundespolizei und ein anderes Mal von einem Polizeiarzt untersucht wurde (siehe Rdnr. 16 und 18 oben). Darüber hinaus untersuchte sie ihre Hausärztin zweimal während ihres dreieinhalb Tage dauernden Gewahrsams, und das Ergebnis der Untersuchung durch diese Ärztin wurde bei der Anordnung der Entlassung der Beschwerdeführerin, die aufgrund ihres Zustands besonders empfindlich auf die Unterbringung im Gewahrsam reagierte, aus gesundheitlichen Gründen berücksichtigt, ohne eine weitere Untersuchung durch einen Amtsarzt abzuwarten. Der Gerichtshof nimmt den Vortrag der Beschwerdeführerin zur Kenntnis, die Vollzugsbedingungen ihres Gewahrsams hätten bei ihr zu einer posttraumatischen Belastungsstörung geführt, wodurch sie zu 30 Prozent behindert sei. Der Gerichtshof ist der Ansicht, dass die dem Gericht vorliegenden Beweise (siehe Rdnr. 82 oben) es nicht erlauben, den Schluss zu ziehen, dass die „psychische Behinderung“, die bei der Beschwerdeführerin festgestellt wurde, (nur) durch die Vollzugsbedingungen ihres Gewahrsams im November 2008 verursacht wurde.

113. Berücksichtigt man die Vollzugsbedingungen des insgesamt relativ kurzen Gewahrsams der Beschwerdeführerin, ist der Gerichtshof der Ansicht, dass sie nicht das Mindestmaß an Schwere erreichen, um aus den Vollzugsbedingungen des Gewahrsams eine erniedrigende Behandlung zu machen, die Verletzung von Artikel 3 darstellt.

114. Es liegt also keine Verletzung von Artikel 3 der Konvention vor.

AUS

DIESEN GRÜNDEN ENTSCHEIDET DER GERICHTSHOF EINSTIMMIG

1. die Rüge gemäß Artikel 3 der Konvention wird für zulässig und die Individualbeschwerde im Übrigen für unzulässig erklärt;

2. Artikel 3 der Konvention ist nicht verletzt worden.

Ausgefertigt in englischer Sprache und schriftlich zugestellt am 6. Oktober 2015 gemäß Artikel 77 Abs. 2 und 3 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs.

Claudia Westerdiek                              Josep Casadevall
Kanzlerin                                                 Präsident

___________

[1] Behälter für die Lagerung und den Transport von radioaktivem Material.
[2] Das CPT tritt überdies dafür ein, dass Personen, die 24 Stunden oder länger in Polizeigewahrsam festgehalten werden, möglichst jeden Tag Bewegung an der frischen Luft angeboten werden sollte.
[3] Im Hinblick auf die Größe von Polizeizellen siehe auch Ziffer 43 des 2. Jahresberichts (CPT/Inf (92) 3).

Zuletzt aktualisiert am Januar 2, 2021 von eurogesetze

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