Zweiter Bericht über die Schweiz. Angenommen am 18. Juni 1999. Strasbourg, den 21. März 2000

Europäische Kommission gegen Rassismus und Intoleranz

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Zweiter Bericht über die Schweiz

Angenommen am 18. Juni 1999
Strasbourg, den 21. März 2000.

Vorwort

Die Europäische Kommission gegen Rassismus und Intoleranz (ECRI) ist ein aus unabhängigen Mitgliedern zusammengesetztes Organ des Europarats mit dem Ziel, vom Standpunkt der Menschenrechte aus Rassismus, Fremdenfeindlichkeit, Antisemitismus und Intoleranz auf gesamteuropäischer Ebene zu bekämpfen.

Ein tragender Pfeiler der Arbeit von ECRI besteht in Einzeluntersuchungen der Lage hinsichtlich Rassismus und Intoleranz in sämtlichen Mitgliedstaaten des Europarats und in der Formulierung von Vorschlägen für den Umgang mit den dabei festgestellten Problemen.

Einen ersten vollständigen Turnus solcher Länderuntersuchungen beendete ECRI 1998; der in seinem Rahmen erstellte Bericht über die Schweiz trägt das Datum des 13. Juni 1997 (Veröffentlichung im März 1998). Die zweite Runde von Einzeluntersuchungen begann im Januar 1999; auch sie führt wieder zur Ausarbeitung eines Berichts über jeden Mitgliedstaat. Dieser zweite Bericht soll das Schicksal der in dem ersten Bericht ausgesprochenen Vorschläge weiterverfolgen, die in jenem Bericht enthaltenen Informationen auf neuesten Stand bringen und Fragen, die in dem untersuchten Land von besonderem Interesse sind, vertieft untersuchen.

Ein wichtiges Stadium der länderzentrierten Arbeit von ECRI besteht in einem vertraulichen Gespräch mit den zuständigen nationalen Behörden vor der endgültigen Annahme des Berichts. In dieser zweiten Runde von Länderberichten wird nun, als neuer Verfahrensschritt, vor der Abfassung des zweiten Berichts vonseiten der ECRI-Berichterstatter ein Kontaktbesuch in dem betreffenden Lande durchgeführt.

Für die Schweiz fand dieser Kontaktbesuch vom 3. bis 5. Mai 1999 statt. Dabei trafen die Berichterstatter mit Vertretern der für ECRI’s Aufgabenbereiche zuständigen Departemente (Ministerien) und Behörden zusammen. ECRI möchte den Schweizer Behörden verbindlich danken für ihre uneingeschränkte Mitarbeit bei der Organisation dieses Kontaktbesuchs; ihr Dank gilt insbesondere auch allen Schweizer Gesprächspartnern ihrer Delegation persönlich sowie dem Schweizer Verbindungsbeamten, dessen Effizienz und tatkräftige Mitarbeit die Berichterstatter von ECRI hoch schätzten.

ECRI möchte auch allen im Verlauf des Kontaktbesuchs getroffenen Vertretern von Nichtregierungsorganisationen für ihre sehr wertvollen Beiträge zu dem Vorhaben danken.

Der nachfolgende Bericht wurde von ECRI in eigener Verantwortung erstellt. Er betrifft die Situation, wie sie sich am 18. Juni 1999 darstellte; nach diesem Datum eingetretene Entwicklungen sind weder in der nachfolgenden Untersuchung noch in den von ECRI daraus gezogenen Schlussfolgerungen und Empfehlungen berücksichtigt.

Zusammenfassung

Die Schweiz hat in den letzten Jahren wichtige Schritte zur Erarbeitung einer Struktur für die Bekämpfung der mit Rassismus, Fremdenfeindlichkeit, Antisemitismus und Intoleranz verbundenen Probleme getan, worunter die Einführung einer strafrechtlichen Bestimmung zur Durchführung des durch die Schweiz ratifizierten Internationalen Übereinkommens zur Beseitigung jeder Form von Rassendiskriminierung sowie die Gründung einer Eidgenössischen Kommission gegen Rassismus mit verschiedenen einschlägigen Aufgaben. Auch auf kantonaler Ebene ist auf diesem Gebiet viel getan worden.

Wennschon heftige Bekundungen von Rassismus und Intoleranz in der Schweiz nur vereinzelt vorkommen, gibt es hier doch noch eine gewisse Fremdenfeindlichkeit und Intoleranz. Fehlende Erkenntnis der Tatsache, dass die Schweiz von heute eine Gesellschaft ist, wo Multikulturalität mehr umfassen muss als die traditionelle Vielsprachigkeit des Landes, mag dazu führen, dass sich Gefühle der Verunsicherung bei der Bevölkerung um Themen sammeln wie die Anwesenheit von Asylanten oder der grosse Anteil von Nichtschweizern in der Wohnbevölkerung (nahezu 20% der Bevölkerung), von denen viele schon jahrelang in der Schweiz leben. Solche Gefühle finden gelegentlich ihren Niederschlag in strengen Politiken und Vorschriften betreffend die Rechte von Nichtschweizern.

Daher empfiehlt ECRI der Schweiz in dem nachfolgenden Bericht, auf mehreren Gebieten weiterhin vorzugehen gegen Rassismus, Fremdenfeindlichkeit, Antisemitismus und Intoleranz. Die Empfehlungen betreffen unter anderem die Notwendigkeit, dafür zu sorgen, dass der vorhandene rechtliche Rahmen zur Bekämpfung von Rassismus und Diskriminierung angemessen und voll genutzt wird, sodann die Notwendigkeit, sich zu kümmern um die Situation von Nichtschweizern und deren Möglichkeit, voll partizipierende Mitglieder der schweizerischen Gesellschaft zu werden, und schliesslich den Bedarf nach Massnahmen zur Verbesserung des allgemeinen Meinungsklimas hinsichtlich solcher Menschen, die sich von der Mehrheit der Bevölkerung unterscheiden.

TEIL I: DIE LAGE IM ÜBERBLICK

A. Internationale Rechtsinstrumente

1. Die Schweiz hat zahlreiche für die Bekämpfung von Rassismus und Intoleranz wichtige internationale Rechtsinstrumente unterzeichnet und ratifiziert. ECRI begrüsst insbesondere die kürzlich erfolgte Ratifikation des Rahmenübereinkommens zum Schutz nationaler Minderheiten sowie der Europäischen Charta der Regional- und Minderheitensprachen. ECRI ermuntert die Schweizer Behörden zur Unterzeichnung und Ratifikation der Revidierten Europäischen Sozialcharta, der UNESCO-Konvention gegen Diskriminierung im Bildungswesen, des Europäischen Übereinkommens über die Rechtsstellung der Wanderarbeitnehmer sowie des Europäischen Übereinkommens über die Beteiligung von Ausländern am kommunalen öffentlichen Leben. Ausserdem hofft ECRI, dass die Schweiz zu Artikel 14 des Internationalen Übereinkommens zur Beseitigung jeder Form von Rassendiskriminierung eine Erklärung abgibt, wonach Einzelpersonen und Gruppen von Einzelpersonen beim Ausschuss für die Beseitigung von Rassendiskriminierung Klage einreichen können.

B. Verfassungsmässige und andere grundlegende Bestimmungen

2. Artikel 4 (1) der Verfassung legt fest, dass alle Schweizer vor dem Gesetz gleich sind. Gleichheit vor dem Gesetz entspricht einem Menschenrecht und trifft gemäss Artikel 4 der Verfassung auch für Nichtschweizer zu, es sei denn, die schweizerische Staatsbürgerschaft sei für die zu legiferierenden Belange von fundamentaler Bedeutung. In ihrem ersten Bericht hatte ECRI darauf hingewiesen, dass es wünschenswert sein könnte, den Grundsatz der Gleichheit vor dem Gesetz für Schweizer und Nichtschweizer in den Rechtstexten zu verdeutlichen. Die neue Eidgenössische Verfassung, die im Jahre 2000 in Kraft tritt, enthält nun in der Tat den Grundsatz: „Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich“.

3. Wennschon die noch geltende Verfassung Rasse oder Hautfarbe nicht ausdrücklich erwähnt, steht ausser Zweifel, dass auch diese Kriterien implizite unter das Diskriminierungsverbot fallen. Überdies enthält die neue Verfassung in Artikel 8 (2) die Feststellung: „Niemand darf diskriminiert werden, namentlich nicht wegen der Herkunft, der Rasse, des Geschlechtes, des Alters, der Sprache, der sozialen Stellung, der Lebensform, der religiösen, weltanschaulichen oder politischen Überzeugung oder wegen einer körperlichen, geistigen oder psychischen Behinderung“. Die Artikel 7 und 9 schützen die Würde des Menschen generell und untersagen die willkürliche Behandlung irgendeiner Person. Darüber hinaus verbieten zahlreiche kantonale Verfassungen explizit jede Rassendiskriminierung.

C. Strafrechtliche Bestimmungen

4. Der für die Durchführung des Übereinkommens zur Beseitigung jeder Form von Rassendiskriminierung durch die Schweiz eingeführte Artikel 261bis des Strafgesetzbuchs belegt öffentliche Anstiftung zu Rassenhass oder Diskriminierung, die Verbreitung rassistischer Ideologien, das Leugnen von Verbrechen gegen die Menschlichkeit und die Verweigerung einer öffentlichen Dienstleistung mit Strafe. Artikel 63 des Strafgesetzbuchs erhöht die Strafe für durch Rassismus motivierte Gesetzesverletzungen.

5. Das durch Artikel 261bis geschützte Interesse ist der öffentliche Friede und nicht nur die Würde einer Privatperson, auch wenn Privatpersonen Opfer der Gesetzesverletzung sind. Da rassistische Straftaten den Frieden verletzen, werden sie ex officio verfolgt. Es ist darauf hinzuweisen, dass Artikel 261bis nur den öffentlichen Bereich betrifft und daher vertragliche Beziehungen wie etwa Miet- oder Arbeitsverträge grundsätzlich nicht miteinschliesst (s. Punkt 10).

6. Da der Artikel 261bis relativ neu ist, ist seine Anwendung noch nicht ausführlich ausgewertet worden. Wie ECRI hörte, führte von bisher insgesamt 130 gefällten Urteilen ein Viertel zu Verurteilungen. Allerdings sind gewisse Fragen hinsichtlich des Geltungsbereichs und der Anwendung dieses Artikels aufgekommen. So wurde beanstandet, dass Artikel 261bis nicht zur Anwendung gelangt, wenn die fragliche rassistische Beleidigung nicht einzelne Gruppen, sondern umfangreiche Kategorien von Personen, also etwa die Asylanten oder die Ausländer allgemein betrifft. Ausserdem kann sich die Definition einer Aussage oder Handlung als öffentliche als problematisch erweisen. Im weiteren könnte die Frage, inwieweit der Artikel im Bereich der privaten vertraglichen Beziehungen anwendbar ist, noch weiterer Klärung bedürfen.

7. Trotz einiger Kontroversen betreffend Artikel 261bis und dessen allfällige Unzulänglichkeiten beschloss das Parlament zu Beginn des Jahres 1999, diese Bestimmung nicht zu ändern. ECRI bestärkt die schweizerischen Behörden darin, die Umsetzung dieser Bestimmung genau zu verfolgen, vor allem auch durch das Sammeln und Veröffentlichen von Angaben über die gemeldeten Fälle, die den Klagen geleisteten Folgen sowie den Ausgang der vor Gericht gebrachten Fälle sowohl auf eidgenössischer wie auf kantonaler Ebene. Ausserdem sollten die Behörden mögliche Verbesserungen oder Klärungen des Artikels 261bis in gewissen Bereichen, einschliesslich der oben erwähnten, erwägen.

8. Die Mitgliedschaft in Rassendiskriminierung betreibenden Vereinigungen ist nicht verboten. Die Schweiz brachte diesbezüglich einen Vorbehalt an betreffend Artikel 4 des Übereinkommens zur Beseitigung jeder Form von Rassendiskriminierung [1]. Artikel 260 ter des Strafgesetzbuchs erklärt es jedoch für illegal, einer Organisation beizutreten oder sie zu unterstützen, die ihren Aufbau und ihre personelle Zusammensetzung geheimhält und deren Zweck die Verübung von Straftaten diskriminatorischer Art ist. ECRI macht diesbezüglich aufmerksam auf ihre allgemeine politische Empfehlung Nr. 1, worin die Regierungen u.a. aufgefordert werden, „…. Massnahmen, einschliesslich etwa notwendiger rechtlicher Massnahmen, zur Bekämpfung rassistischer Organisationen zu ergreifen, … einschliesslich des Verbots solcher Organisationen, wenn sie der Auffassung sind, dass dies zum Kampf gegen den Rassismus beiträgt“.

D. Zivil- und verwaltungsrechtliche Bestimmungen

9. Die Grundsätze der individuellen Freiheit und der Vertragsfreiheit sind tragende Säulen des schweizerischen Rechtssystems. Nach der vorherrschenden Meinung und Theorie kann sich ein Verbot von Diskriminierung so, wie es in Artikel 4 der Verfassung festgelegt ist, nicht unmittelbar auf die Beziehungen zwischen Individuen auswirken. Die Rechtstheorie anerkennt jedoch die indirekte horizontale Wirkung der in der Eidgenössischen Verfassung verbrieften individuellen Freiheiten. [2]

10. In ihrem Bericht zuhanden des CERD weisen die schweizerischen Behörden darauf hin, dass Nichtschweizer, sobald sie angestellt sind, durch Artikel 328 des Obligationenrechts geschützt sind, wonach „der Arbeitgeber [hat] im Arbeitsverhältnis die Persönlichkeit des Arbeitnehmers zu achten und zu schützen“. Vor einer Entlassung aus Rassegründen schützt Artikel 336 (1) des Obligationenrechts, welcher festsetzt, dass eine der einen Partei aus einem in der Persönlichkeit der anderen Partei liegenden Grund aufgezwungene Entlassung rechtswidrig ist.

11. ECRI erinnert an ihre allgemeine politische Empfehlung Nr. 1, worin die Regierungen aufgefordert werden, „sicherzustellen, dass nationales Straf-, Zivil- und Verwaltungsrecht ausdrücklich und spezifisch Rassismus, Fremdenhass, Antisemitismus und Intoleranz bekämpft, und dabei insbesondere vorzusehen, dass Diskriminierung am Arbeitsplatz, bei der Lieferung von Waren und bei Dienstleistungen an die Öffentlichkeit rechtswidrig ist;…“. Deshalb dringt ECRI bei den schweizerischen Behörden darauf, einschlägige zivil- und verwaltungsrechtliche gesetzliche Bestimmungen einzuführen, welche Diskriminierung in allen Bereichen des Lebens, einschliesslich Verträge in den Bereichen Wohnen und Arbeiten, abdecken.

E. Fachorgane und andere Institutionen

12. Die Eidgenössische Kommission gegen Rassismus wurde nach der Ratifikation des CERD durch die Schweiz ins Leben gerufen. Ihre Aufgabe ist es, nach Rassendiskriminierung zu forschen, das Verständnis zwischen Personen unterschiedlicher ethnischer oder religiöser Zugehörigkeit zu fördern, jede Form der direkten oder indirekten Rassendiskriminierung zu bekämpfen und vor allem auch der Prävention als einer Möglichkeit der wirksamen Förderung ihrer Interessen Aufmerksamkeit zu schenken. Sie macht Öffentlichkeitsarbeit und führt Kampagnen durch, berät und unterstützt die Bundesbehörden, bietet in vermittelnder Rolle Einzelpersonen Anleitung und Unterstützung und arbeitet mit eidgenösisschen, kantonalen und kommunalen Behörden, Organisationen und Gruppen zusammen. Auch die Analysis der Rassendiskriminierung gehört hierzu.

13. Als die Gründung der Eidgenössischen Kommission gegen Rassismus im Parlament beraten wurde, wurde beschlossen, ihr nicht die Funktionen eines Ombudsmanns zuzuweisen. Dessen ungeachtet erlaubt es jedoch der Aufgabenbereich der Kommission ihrem Präsidenten, in gewissem Umfang als Ombudsmann für Rassismus zu fungieren, indem er Klagen anhört, Kunden über ihre Rechte unterrichtet und Fälle den zuständigen Behörden vorlegt. Diese Rolle ist allerdings recht begrenzt und enthält keine Durchsetzungsmöglichkeiten.

14. ECRI ist der Meinung, dass die Schweiz die Rolle und Befugnisse der Eidgenössischen Kommission gegen Rassismus entsprechend den Richtlinien aus der „Allgemeine politische Empfehlung Nr. 2 der ECRI betreffend Fachorgane zur Bekämpfung von Rassismus, Fremdenhass, Antisemitismus und Intoleranz auf nationaler Ebene“ verstärken sollte. So untersteht die Kommission zum Beispiel gegenwärtig dem Eidgenössischen Departement des Innern, und wenngleich sie in der Praxis einen hohen Grad an Unabhängigkeit geniesst, dürfte eine deutlichere Trennung von der Regierungsstruktur doch eine zusätzliche Sicherung darstellen.

15. ECRI meint auch, dass die Schaffung der Institution eines Ombudsmannes oder einer ähnlichen Einrichtung mit der Befugnis zur Untersuchung von Klagen über Rassendiskriminierung, vorzugsweise mit ähnlichen Einrichtungen auch auf kantonaler Ebene, in der Schweiz äusserst wünschenswert wäre.

16. In manchen Kantonen sind auf kantonaler und kommunaler Ebene Institutionen mit ähnlichen Funktionen gegründet worden, wie sie der Eidgenössischen Kommission gegen Rassismus obliegen. Eine solche Gründung hat beispielsweise der Kanton Zug vorgenommen. Auch sind in einigen Gemeinden und mehreren Kantonen Institutionen für die Beratung von Ausländern eingerichtet worden.

17. Ausserdem gibt es in der Schweiz eine Eidgenössische Ausländerkommission mit der Aufgabe, Verbesserungsmöglichkeiten für das Zusammenleben von Schweizern und Ausländern festzustellen und diesbezügliche Initiativen anzuregen und zu unterstützen. Diese Kommission besteht seit 1970. Sie unterhält Beziehungen zu Ausländervereinen und zu kantonalen und städtischen Einwanderungsbehörden. Eine im Dezember 1983 gegründete Eidgenössische Flüchtlingskommission arbeitet als Beratungsorgan der eidgenössischen Behörden. Diese beiden Organe sind innerhalb der eidgenössischen Verwaltungsstruktur angesiedelt.

F. Vollzugspersonal

18. Es wurde von Fällen der Misshandlung von Untersuchungsgefangenen, insbesondere von Ausländern und Schweizern ausländischer Herkunft, durch die Polizei berichtet [3]. Das UNO-Komitee gegen Folter sowie der Ausschuss des Europarats gegen Folter stellten bei Festnahmen und Vernehmungen, vor allem von Ausländern und Schweizern ausländischer Herkunft, Verstösse fest. ECRI legt den Schweizer Behörden bezugnehmend auf ihre Allgemeinen politischen Empfehlungen Nr. 1 nahe, „sicherzustellen, dass die Polizei alle Mitglieder der Öffentlichkeit gleich behandelt und alle rassistischen, fremdenfeindlichen, antisemitischen und intoleranten Handlungen vermeidet; formelle und informelle Strukturen für einen Dialog zwischen der Polizei und den Minderheitengemeinschaften zu entwickeln und ein Instrument für unabhängige Untersuchungen von Zwischenfällen und Konfliktbereichen zwischen der Polizei und Minderheitengruppen einzurichten“. Vor allem verweist ECRI auf die Wichtigkeit, dass ein unabhängiges Organ für die Untersuchung polizeilicher Misshandlungen geschaffen werde. Hinsichtlich der polizeilichen Ausbildung nimmt ECRI zur Kenntnis, dass das Schweizerische Polizei-Institut in Neuchâtel Mitgliedern kantonaler Polizeikräfte eine wichtige Menschenrechtsausbildung vermittelt, ist jedoch der Ansicht, dass das Thema Rassismus und Diskriminierung auf kantonaler Ebene sowohl in die Ausbildung als auch in die Fortbildung systematischer einbezogen werden müsste. Ausserdem sollten aktivere Bemühungen um die Rekrutierung von Mitgliedern unterrepräsentierter Minderheitengruppen in die Polizeikräfte stattfinden.

G. Verletzliche Gruppen

– Antisemitismus

19. Ende 1996 wurde die Schweiz mit einer Klage betreffend die Rückgabe von Geldern aus umsatzlosen Schweizer Bankkonten konfrontiert, deren Inhaber vor allem Juden waren, dem Holocaust zum Opfer gefallen waren. Die daraus resultierende Publizität und Anklagen führten in der Schweiz zu Spannungen und vor allem zu einem Anstieg des Antisemtisimus, der sich nicht so sehr gegen Schweizer Juden als gegen die die jüdische Gemeinschaft weltweit vertretenden Organisationen richtete. Der zunehmende Antisemitismus zeigte sich in der gedruckten Presse zum Beispiel in den in Zeitungen veröffentlichten Leserbriefen; die Bundespolizei berichtete auch von einer massiven Zunahme des 1997 und 1998 konfiszierten antisemitischen und Nazi-propagandistischen Materials. Die Schweizer Behörden reagierten auf den Anstieg des Antisemitismus mit der prompten öffentlichen Verurteilung solcher Manifestationen und mit der Ernennung einer „Task Force“ über den 2. Weltkrieg, welche im Lauf ihrer Arbeit einige Aspekte des schweizerischen Antisemitismus untersuchte. Ausserdem erstellte die Eidgenösissche Kommission gegen Rassismus einen Bericht über Antisemitismus in der Schweiz, den die eidgenössischen Behörden begrüssten und dessen Empfehlungen sie prüfen und umsetzen wollen.

20. Auch wenn der Anstieg des Antisemitismus in der Schweiz seinen Höhepunkt hinter sich zu haben scheint, ist ECRI doch der Meinung, dass die Situation weiterhin sorgfältig beobachtet werden und dass weitere Anstrengungen zur Bekämpfung des Antisemitismus unternommen werden sollten, etwa durch besonderen Unterricht zu dem Thema in den Schulen und durch die Verpflichtung seitens der Politiker, gegen jede Bekundung von Antisemitismus im politischen oder öffentlichen Leben das Wort zu ergreifen. Ein mögliches positives und tragfähiges Resultat der erwähnten öffentlichen Reaktion könnte darin liegen, dass sie als eine Art von Katalysator für die Diskussion und allfällige Ablehnung von Antisemitismus gedient haben und zur Diskussion auch anderer Themen im Zusammenhang mit Intoleranz in der Schweiz führen könnte. Als eine positive Folge liesse sich auch denken, dass die bisher möglichst wenig in Erscheinung tretende jüdische Gemeinschaft in der Schweiz nun eher in der Lage ist, zu Angelegenheiten, die sie angehen, Stellung zu nehmen.

– „Jenische“ und Sinti

21. In ihrem ersten Bericht an das CERD stellten die Schweizer Behörden fest: „Es stimmt, dass die in der Schweiz lebenden Fahrenden bisher, wie anderswo in Europa, unter Belästigung oder gar Verfolgung zu leiden hatten“. Der kantonale Aufbau der Schweiz führt zu Schwierigkeiten für die Fahrenden auf einer Reihe von Gebieten wie insbesondere dem Zugang zum Bildungswesen und der Erlaubnis zum Aufenthalt und zur Ausübung ihrer Geschäfte und traditionellen Berufe. Vor kurzem ist eine Stiftung „Zukunft für Schweizer Fahrende“ ins Leben gerufen worden; zudem untersucht die Eidgenössische Kommission gegen Rassismus die Lage der fahrenden Bevölkerung. ECRI nimmt zur Kenntnis, dass ein neues eidgenössisches Gesetz betreffend die Reisegewerbe in Beratung ist und erhofft davon eine Verbesserung der Lage. ECRI ermuntert die Behörden auf, Mittel und Wege zu finden, wie sichergestellt werden kann, dass das kantonale System nicht zur Diskriminierung der Fahrenden führt – vor allem nicht hinsichtlich ihrer Bildung und Beschäftigung.

– Asylanten

22. Verglichen mit anderen europäischen Ländern beherbergt die Schweiz eine beachtliche Anzahl von Asylanten[4] . Das Thema Asylanten war in letzter Zeit ein Gegenstand häufiger Debatten, vor allem im Zusammenhang mit der Vorbereitung eines neuen Asylgesetzes. Besonderes Interesse und Kritik in der Öffentlichkeit fand dabei die Einführung von „Zwangsmassnahmen“ („mesures de contrainte“). Diese Massnahmen ermöglichen u.a. die Inhaftierung von Asylsuchenden, deren Gesuch abgelehnt wurde und von denen angenommen wird, sie könnten untertauchen, bevor sie ausgewiesen werden, sowie die Inhaftierung von Personen, deren Identität oder Herkunftsland nicht festgestellt werden kann. Es scheint, dass auch Minderjährige von fünfzehn Jahren an solchen Zwangsmassnahmen unterworfen werden können, und es gibt Berichte, wonach solche Personen, die sich nichts anderes zuschulden haben kommen lassen, als dass ihr Aufenthalt in der Schweiz als illegal gilt, mangels geeigneter Einrichtungen in normalen Gefängnissen neben verurteilten Verbrechern inhaftiert werden können. ECRI betont, dass Einwanderer und Asylsuchende auch dann, wenn ihr Aufenthalt in der Schweiz als illegal gilt, nicht wie Verbrecher behandelt werden sollen und dass alle bezüglich solcher Personen ergriffenen Massnahmen eine entsprechende Einstellung widerspiegeln sollen.

23. Asylsuchende, deren Gesuch vom Bundesamt für Flüchtlingsfragen abgelehnt wurde, haben die Möglichkeit, Rekurs bei einer unabhängigen Asylrekurskommission einzulegen, die im selben Range steht wie das Bundesgericht. Dabei sind sie jedoch, sofern ihnen die dafür nötigen Mittel fehlen, von der Unterstützung durch Nichtregierungsorganisationen abhängig. ECRI ist der Ansicht, dass das Recht, gegen negative Entscheide Berufung einzulegen, im Bedarfsfall durch eine staatlich finanzierte Verfahrenskostenhilfe gestützt werden sollte.

24. Es scheint, dass Teile der öffentlichen Meinung dahin tendieren, Asylanten mit Kriminalität, vor allem mit Drogenhandel, in Verbindung zu bringen und die mit den Asylanten verbundenen finanziellen Lasten zu überschätzen. Solche falschen Vorstellungen werden zuweilen durch politisches Reden oder auch durch die Einstellung von Vertretern öffentlicher Organe (wie der Polizei) genährt, die möglicherweise selbst ein verzerrtes Bild von den in der Schweiz weilenden Asylanten haben. ECRI stellt fest, dass sensibilisierende und erzieherische Massnahmen sowohl beim breiten Publikum als auch in Schlüsselinstitutionen wie der Polizei für das Zurechtrücken von falschen Vorstellungen und die Bekämpfung von Vorurteilen von grösster Wichtigkeit sind.

H. Erziehungswesen

25. ECRI erfährt mit Besorgnis von in letzter Zeit in einigen Schweizer Schulen ergriffenen Initiativen, worin nach getrennten Schulen für Kinder mit ungenügender Kenntnis der Unterrichtssprache gerufen wird. Die kantonalen Erziehungsdirektoren haben gegen diese Praxis das Wort ergriffen; doch scheint es, dass gewisse Strömungen der öffentlichen Diskussion solche Massnahmen befürworten. ECRI bekundet ausdrücklich ihre Meinung, wonach Ansätze zu einer Segregation des Unterrichts internationalem Recht zuwiderlaufen und verhindert werden müssen. ECRI nimmt zur Kenntnis, dass die schweizerische Regierung in einer Erklärung dem Parlament gegenüber anerkannt hat, dass eine derartige Praxis der Verfassung sowie der UNO-Konvention über die Rechte des Kindes zuwiderliefe. Es sollten zusätzliche Schritte unternommen werden, um allfälligen Problemen im Erziehungswesen, die zu solcherart Initiativen geführt haben könnten, zu begegnen. So könnten beispielsweise Nachholhilfen für nichtschweizerische Kinder – wie etwa zusätzlichen Sprachunterricht für Kinder, deren Muttersprache nicht eine der vier Schweizer Sprachen ist – verstärkt und Sensibilisierungskampagnen bei Schweizer Eltern durchgeführt werden, um Ängsten vor allfälligen Auswirkungen gemischter Klassen auf die Bildung ihrer Kinder entgegenzuwirken.

26. Die Schweizer Behörden melden, dass in der Schweiz – wie in zahlreichen europäischen Ländern – vermutlich eine Anzahl von Schwarzarbeitern leben. ECRI stellt fest, dass die Schweizer Schulen jeden Schüler akzeptieren, ohne nach dem Status der Eltern zu fragen. Die Kinder von Asylanten werden in die normalen Schweizer Schulen aufgenommen und besuchen daneben Sprachkurse. ECRI findet es wertvoll, dass die Schweiz für die Schulbildung aller auf ihrem Territorium lebenden Kinder sorgt.

I. Kontrolle der Situation

27. In der Schweiz wird wenig Information über das Ausmass des Rassismus und der Diskriminierung systematisch eingeholt. ECRI wiederholt ihre in ihrer Allgemeinen politischen Empfehlung Nr. 1 ausgesprochene Empfehlung und legt der Schweizer Regierung dringend nahe, „… Daten gemäss den europäischen Gesetzen, Verordnungen und Empfehlungen über Datenschutz und Schutz der Privatsphäre zu erheben, anhand deren die Lage und die Erfahrungen von Gruppen bewertet werden können, die Rassismus, Fremdenfeindlichkeit, Antisemitismus und Intoleranz besonders ausgesetzt sind“. Diese Beobachtung sollte auch Daten auf kantonalem Niveau beinhalten, die auf Bundesebene gesammelt und überprüft werden. ECRI erinnert in diesem Zusammenhang an ihre Allgemeine Politische Empfehlung Nr. 4, in welcher sie die Regierungen aufruft, Erhebungen über die Erfahrung und Wahrnehmung von Rassismus und Diskriminierung aus der Sicht der potenziellen Opfer vorzunehmen.

TEIL II: BESONDERE BELANGE

28. In diesem Teil ihres Länderberichts möchte ECRI auf eine beschränkte Anzahl von Belangen aufmerksam machen, die ihrer Ansicht nach in dem untersuchten Land besondere und dringende Aufmerksamkeit erfordern. Im Falle der Schweiz möchte ECRI die Aufmerksamkeit auf die Frage des Erwerbs der Staatsbürgerschaft durch langfristig in der Schweiz gelebt habende Nichtschweizer und auf einige weitere Themen im Zusammenhang mit der Situation der nichtschweizerischen Bevölkerung lenken.

J. Erwerb der Staatsbürgerschaft

29. In der Schweiz lebt eine umfangreiche nichtschweizerische Bevölkerung, die beinahe 20% der Gesamtbevölkerung ausmacht. Trotz dieser grossen Zahl von Nichtstaatsbürgern sieht sich die Schweiz nicht als Einwanderungsland, vielmehr hat sie im allgemeinen die Anwesenheit dieser nichtschweizerischen Bevölkerung eng gebunden an die Bedürfnisse des Arbeitsmarkts. Die Einbürgerung sogar von langfristig in der Schweiz ansässigen Nichtstaatsbürgern und von deren in der Schweiz geborenen und aufgewachsenen Kindern unterliegt noch immer strengen Vorschriften, und das Verfahren, welches die eidgenössische, die kantonale und die kommunale Ebene miteinbezieht, ist komplex. Faktisch haben nur etwa 2% der in der Schweiz lebenden Personen ausländischer Herkunft die Staatsbürgerschaft erhalten, ungeachtet der Tatsache, dass mehr als die Hälfte der in der Schweiz lebenden Nichtschweizer hier schon seit über 20 Jahren leben. Wenn alle Personen mit langfristigen Niederlassungsbewilligungen (C-Bewilligungen) in der Schweiz die Staatsbürgerschaft erhielten, so wurde angemerkt, dann würde der Prozentsatz der in der Schweiz wohnenden Nichtschweizer nur noch etwa 6% betragen.

30. Für den Erwerb der schweizerischen Staatsbürgerschaft müssen gewisse gesetzliche Forderungen auf eidgenössischer Ebene erfüllt sein, zudem aber muss die Staatsbürgerschaft auch auf kantonaler und kommunaler Ebene gewährt werden. Die Zuerkennung der Staatsbürgerschaft auf kantonaler und auf kommunaler Ebene entspricht nun nicht einem Recht, das der Kandidat nach Erfüllung gewisser Erfordernisse automatisch ausübt, vielmehr hängt sie ab von einem Beschluss, der entweder durch das kantonale und das kommunale Parlament oder, bei Fehlen eines letzteren, mittels Abstimmung durch die Bevölkerung gefällt wird. Um Schweizer Bürger zu werden, müssen also alle drei Stufen der Staatsbürgerschaft erworben werden.

31. Die für den Erwerb der Staatsbürgerschaft geforderte Zeit der Ansässigkeit ist lang: ein Nichtschweizer muss mindestens zwölf Jahre – Jugendliche sechs Jahre – legal in der Schweiz gelebt haben. Auf der Ebene der Kantone variiert die geforderte Ansässigkeit im Kanton; das selbe ist möglich auf kommunaler Ebene. Dadurch kann der Erwerb der Staatsbürgerschaft auf kantonaler und kommunaler Ebene sehr schwierig werden für Personen, die innerhalb der Schweiz, manchmal auch nur innerhalb einer Agglomeration, umgezogen sind. Die Forderung, dass Anwärter auf die Staatsbürgerschaft die Sprache der Bevölkerungsmehrheit im Kanton oder der Gemeinde sprechen müssen, kann angesichts der in der Schweiz herrschenden Sprachenvielfalt ebenfalls Schwierigkeiten bereiten. Hinzu kommt, dass die Kantone und Gemeinden für den Erwerb der Bürgerschaft eine Gebühr erheben, die in manchen Fällen sehr hoch ist, sodass ihre Leistung manchen Personen schwer fallen könnte.

32. ECRI ist besorgt darüber, dass das System für die Gewährung der Staatsbürgerschaft auf kantonaler und kommunaler Ebene Raum lässt für eine diskriminatorische Praxis, dies besonders dort, wo der Entscheid über die Staatsbürgerschaft der Abstimmung in einer Gemeinde unterliegt. Auch wenn die Beschlussfassung im parlamentarischen Rahmen eines Kantons sowie einer Gemeinde im allgemeinen für weniger anfällig auf Diskriminierung gelten kann, so liegen doch Berichte vor, wonach in gewissen Gemeinden, besonders auf dem Lande, Diskriminierung bei der Gewährung der Bürgerschaft durchaus vorkommt. Konkrete Beweise für diskriminatorische Praxis sind schwer zu erbringen, zumal eine Darlegung der einem Beschluss zugrundeliegenden Motive nicht erbracht werden muss; doch berichten verschiedene Quellen von Fällen, in denen Nichtschweizern, die durch bestimmte Besonderheiten ihres – ethnischen oder religiösen – Hintergrundes charakterisiert sind, die Einbürgerung auf dieser Ebene mit grösserer Wahrscheinlichkeit verweigert wird, auch wenn sie die gesetzlichen Forderungen und die Vorschriften über die Dauer der Ansässigkeit erfüllen.

33. ECRI nimmt diesbezüglich mit Interesse das Vorhaben der Eidgenösischen Kommission gegen Rassismus zur Kenntnis, die Lage auf Diskriminationsprobleme hin zu untersuchen. ECRI betont, dass der Erwerb der Staatsbürgerschaft nach ihrem Dafürhalten nicht von einem Volksentscheid abhängen dürfe, der Raum bietet für willkürliche oder diskriminatorische Machenschaften. Sie empfiehlt den Schweizer Behörden, in enger Zusammenarbeit mit den Kantonen und Gemeinden Verfahren zu finden, die sicherstellen, dass die Zuerkennung der Staatsbürgerschaft auf allen drei Ebenen des eidgenössischen Systems in klarer, kohärenter und nichtdiskriminierender Weise praktiziert wird, und dass Berufungsverfahren existieren, die bei allfälliger Diskriminierung aufgrund nicht zu rechtfertigender Kriterien wie Abstammung oder Religion Abhilfe schaffen können.

34. ECRI bedauert, dass ein vor einigen Jahren durchgeführtes Referendum über die erleichterte Einbürgerung Jugendlicher zu einem negativen Volksentscheid führte, begrüsst jedoch die Tatsache, dass einige Kantone wie etwa Neuchâtel dennoch Schritte unternommen haben zum erleicherten Erwerb der Staatsbürgerschaft durch junge Menschen, die vielleicht ihr ganzes Leben in der Schweiz verbracht haben. ECRI ermutigt andere Kantone, diese gute Praxis zu übernehmen, nötigenfalls flankiert durch Sensibilisierungskampagnen und Erziehung beim allgemeinen Publikum, um die Akzeptanz solcher Veränderungen zu fördern. ECRI empfiehlt auch den eidgenössischen Behörden, welche gegenwärtig einen neuen diesbezüglichen Vorschlag ausarbeiten, ihre Bemühungen um die Erleichterung des Einbürgerungsverfahrens für junge Nichtschweizer und für andere, langfristig in der Schweiz ansässige Nichtstaatsbürger fortzusetzen.

K. Andere Nichtschweizer betreffende Belange

– Die Erteilung von Aufenthaltsbewilligungen

35. Die Erteilung der Aufenthalts- und Arbeitsbewilligung an Ausländer hängt eng von den Bedürfnissen des Arbeitsmarktes ab. Bis vor kurzem kam das sogenannte „Drei-Kreise-Modell“ zur Anwendung, nach welchem die Arbeitsbewilligung bevorzugt an Bürger von EU- oder EFTA-Staaten, danach an Bürger gewisser anderer, als traditionelle Arbeitsmarktpartner geltender Staaten und nur selten an Bürger aus der übrigen Welt abgegeben wurde. Hinter diesem Modell stand der Gedanke der „Integrationsfähigkeit“. Zwar stellen die Schweizer Behörden fest, dass damit keinerlei Diskriminierung aus Gründen der Rasse intendiert ist, doch räumten sie ein, dass dieses System die Zulassung von Personen aus anderen ethnischen Gruppen oder „Rassen“ wegen deren „begrenzter Integrationsfähigkeit“ erschweren könnte [5]. Es ist bemerkenswert, dass beispielsweise Bürger des ehemaligen Jugoslawien während des Jugoslawienkrieges aus dem zweiten Kreis herausgenommen wurden, da befunden wurde, dass sie in den dritten Kreis gehören.

36. Bei ihrer Ratifizierung der CERD brachte die Schweiz einen Vorbehalt an, der die Beibehaltung dieses „Drei-Kreise-Modells“ ermöglichte. Das Modell war jedoch sowohl innerhalb der Schweiz als auch im Ausland Anlass zu viel Kritik und ist nun durch ein „Zwei-Kreise-Modell“ ersetzt worden, welches nur noch zwischen EU/EFTA-Ländern und der übrigen Welt unterscheidet. Obwohl dieses neue Modell der oben genannten Kritik Rechnung tragen soll, ist doch die Besorgnis laut geworden, dass der zugrundeliegende Gedanke der „Integrationsfähigkeit“ beibehalten wurde, was weiterhin die mögliche Diskriminierung gewisser Nichtschweizer bedeuten könnte.

37. Die Vorschriften für die Gewährung der Aufenthaltsbewilligung sind immer noch streng. Die sogenannte „Bewilligung B“ ist eine jeweils erneuerungsbedürftige Bewilligung für ein Jahr, während die „Bewilligung C“ für zehn Jahre erteilt wird. Im allgemeinen wird vor einer allfälligen C-Bewilligung während mehrerer Jahre eine B-Bewilligung gegeben. Berichten zufolge wird das Erhalten einer C-Bewilligung schwieriger und sind Inhaber einer B-Bewilligung der Gefahr ausgesetzt, dass die Erneuerung ihrer B-Bewilligung aufgrund geringfügiger Vergehen ihrer selbst oder von Mitgliedern ihrer Familie, des Verlustes ihres Arbeitsplatzes oder der Abhängigkeit von Sozialleistungen abgelehnt wird. In ihrem Bericht an das CERD schreiben die Schweizer Behörden, es könne vorkommen, dass ausländische Jahresaufenthalter bei der Erneuerung ihrer Aufenthaltsbewilligung Schwierigkeiten bekommen, wenn sie und ihre Familie lngfristig Bezüger von Sozialleistungen sind. Das Forum gegen Rassismus berichtet, dass nicht nur Inhaber von Jahresbewilligungen, sondern auch Nichtschweizer mit Niederlassungsbewilligung in der Schweiz betroffen sein können, wenn sie während einer langen Zeitspanne Sozialleistungen bezogen haben; das Forum fügt bei, dass die Anwendung solcher Massnahmen aufgrund der verbreiteten Arbeitslosigkeit zunehmend wahrscheinlicher wird [6]. Die Entscheidung über die Erneuerung einer Aufenthaltsbewilligung oder deren Ablehnung wird durch das Bundesamt für Ausländerfragen, die für sämtliche Ausländerangelegenheiten zuständige Behörde, getroffen. ECRI hört mit Besorgnis, dass selbst dann, wenn die Ausweisung eines wegen eines Verbrechens verurteilten Nichtschweizers aus der Schweiz nicht richterlich beschlossen wurde, das Bundesamt für Ausländerfragen dieser Person dennoch die Aufenthaltsbewilligung entziehen kann, und dass die Möglichkeiten, in solchem Fall den Rechtsweg zu beschreiten, begrenzt sind.

38. Auch die Rechte der Familienzusammenführung sind in gewissen Fällen recht eng; so gestattet ein Kanton das Nachziehen der Familie nur dann, wenn gewisse Kriterien wie die Annahme einer „Erfolgsorientiertheit“ der fraglichen Familie erfüllt sind. ECRI bemerkt, dass solche Kriterien nicht objektiv sind und dass die Bedingungen für das Nachziehen der Familie klar und unzweideutig sein müssen.

39. ECRI ist der Ansicht, dass Nichtschweizer, die möglicherweise schon lange in der Schweiz leben und dort starke Familien- und andere Bindungen haben, unter Bedingungen wie den oben beschriebenen in einer verwundbaren Lage bleiben. Sie ersucht die Schweizer Behörden nachdrücklich, sicherzustellen, dass Nichtschweizern, die einige Zeit in der Schweiz gelebt haben, die Aufenthaltserlaubnis nur unter Ausnahmebedingungen und klar festgelegten Umständen entzogen werden kann und dass ein angemessener Rechtsweg für den Rekurs gegen eine solche Entscheidung geschaffen wird. ECRI ist davon unterrichtet, dass derartige Fragen im Zusammenhang mit dem Entwurf eines neuen Ausländergesetzes diskutiert werden und hofft, dass das Gesetz nach seiner Annahme diese Probleme lösen wird.

– Meinungsklima

40. Wenn es in der Schweiz auch sehr selten zu offenen Bekundungen von Rassismus kommt, ist ECRI doch besorgt angesichts der Tatsache, dass ein Klima der Intoleranz oder der Fremdenfeindlichkeit gegenüber Nichtstaatsbürgern und Personen, die sich von der eingeborenen Bevölkerung unterscheiden, fortzubestehen scheint. Wie weiter oben dargelegt, befinden sich die Nichtstaatsbürger oft in einer prekären Situation, was ihre Integration und ihre Partizipation als Mitglieder der Schweizer Gesellschaft erschweren kann: so gelten sie vielleicht aufseiten der Schweizer Bevölkerung noch nicht als bleibender Teil der Schweizer Gesellschaft, während sie selbst vielleicht gerade wegen ihres unsicheren Aufenthaltsrechts zögern, Schritte zur Stärkung ihrer Rechte zu unternehmen.

41. Bisher lag das Schwergewicht auf der Pflicht der Nichtstaatsbürger selbst, sich an die Schweizer Bevölkerung anzupassen, und es wurden vonseiten der Behörden wenig Integrationsmassnahmen ergriffen. ECRI begrüsst die in manchen Kantonen laufenden Bestrebungen, die Partizipation der Nichtstaatsbürger an der Gesellschaft – bei Wahrung ihres Rechts auf Beibehaltung ihrer kulturellen Identität – zu fördern. So besitzen beispielsweise in den Kantonen Neuchâtel und Jura die Nichtschweizer das kantonale und kommunale Wahlrecht, und obwohl sie faktisch davon nicht sehr viel Gebrauch machen, wird dieses Recht aufseiten der Ausländergemeinschaften doch geschätzt als ein Zeichen ihrer Akzeptanz in der Gesellschaft. Ein weiteres gutes Beispiel für einen Vorstoss zur Verbesserung der Integration der Nichtschweizer in das öffentliche Leben in der Schweiz sind die Konsultativkammern für Ausländer, wie sie neben anderen Städten etwa die Gemeinde Lausanne betreibt und deren Bestreben es ist, Nichtstaatsbürger in die Beschlussfassungsprozesse miteinzubinden.

42. Ungeachtet solch guter Beispiele jedoch scheint ein Mangel an Akzeptanz der Schweiz als einer tatsächlich multikulturellen Gesellschaft fortzubestehen, deren Mitglieder ein Bewusstsein ihrer Identität als Schweizer zugleich mit dem Gefühl einer anderen kulturellen oder ethnischen Identität haben dürfen. Überdies sind fremdenfeindliche und intolerante Gefühle gegenüber Nichtstaatsbürgern nicht selten und könnten sogar im Zunehmen begriffen sein. Solche Gefühle dürften durch öffentliche Reden, die mit unbegründeten Ängsten in der Bevölkerung spielen (indem sie etwa Verknüpfungen machen zwischen Asylanten und Kriminalität oder nach einer Begrenzung der Ausländerzahl in der Schweiz verlangen) verschlimmert werden. Solche Hinweise kennzeichnen tatsächlich gewisse Elemente der gegenwärtigen politischen Rede in der Öffentlichkeit, insbesondere im Kontext der Ausarbeitung einer neuen Asyl- und Ausländergesetzgebung. Auch die Boulevard-Presse äussert sich zu manchen Angelegenheiten fremdenfeindlich. ECRI fordert die Politiker und anderen Meinungsführer auf, von der Benützung solcher Themen Abstand zu nehmen und sich jeder Bekundung von Intoleranz oder Fremdenfeindlichkeit gegenüber Nichtschweizern überzeugend zu widersetzen. Auch die Vertreter öffentlicher, für Ausländerbelange zuständigen Organe sollten in ihrer Rede sprachliche Wendungen und Assoziationen vermeiden, die Vorurteilen oder einem Klima der Intoleranz gegenüber Ausländern Vorschub leisten könnten. ECRI ist der Meinung, dass eine verstärkte Anerkennung der modernen Schweiz als einer multikulturellen Gesellschaft, in der neue Formen von Vielfalt neben den hergebrachten gedeihen, erheblich dazu beitragen würde, viele der oben umrissenen Probleme zu lösen.

BIBLIOGRAPHIE

Die Bibliographie listet die Hauptquellen auf, die zur Überprüfung der Situation in der Schweiz beigezogen wurden – sie stellt jedoch keine umfassende Liste aller Informationen dar, welche ECRI bei der Verfassung des Berichts zur Verfügung standen.

1. CRI (98) 27: Bericht über die Schweiz, Europäische Kommission gegen Rassismus und Intoleranz, Europarat, März 1998

2. CRI (96) 43: Allgemeine politische Empfehlung Nr. 1 der ECRI: Bekämpfung von Rassismus, Fremdenhaß, Antisemitismus und Intoleranz, Europäische Kommission gegen Rassismus und Intoleranz, Europarat, Oktober 1996

3. CRI (97) 36: Allgemeine politische Empfehlung Nr. 2 der ECRI: Fremdenhaß, Antisemitismus und Intoleranz auf nationaler Ebene, Europäische Kommission gegen Rassismus und Intoleranz, Europarat, Juni 1997

4. CRI (98) 29: Allgemeine politische Empfehlung Nr. 3 der ECRI: Bekämpfung von Rassismus und Intoleranz gegen Roma/Sinti, Europäische Kommission gegen Rassismus und Intoleranz, Europarat, März 1998

5. CRI (98) 30: Allgemeine politische Empfehlung Nr. 4 der ECRI: Nationale Erhebungen über die Erfahrung und Wahrnehmung von Diskriminierung und Rassismus aus Sicht der potenziellen Opfer, Europäische Kommission gegen Rassismus und Intoleranz, Europarat, März 1998

6. CRI (98) 80 : Mesures juridiques existantes dans les Etats membres du Conseil de l’Europe en vue de combattre le racisme et l‘intolérance, Europarat, Strasbourg, 1998

7. Schweizerisches Strafgesetzbuch, Bundeskanzlei, 1998

8. « Bundesgesetz über Zwangsmassnahmen im Ausländerrecht » in Kraft seit 1. Februar 1995

9. « Asylgesetz » 5. Oktober 1979

10. « Asyl Schweiz – Ein Überblick über den Asylbereich », Bundesamt für Flüchtlinge, Winter 1998/1999

11. « Communauté de travail pour l’intégration des étrangers », Rapport 1998, Bureau du Délégué aux étrangers du Canton Neuchâtel

12. « Fahrendes Volk in der Schweiz », Bericht der vom Eidg. Justiz- und Polizeidepartement eingesetzten Studienkommission, Juni 1983

13. « Antisemitismus in der Schweiz », Bericht zu historischen und aktuellen Erscheinungsformen mit Empfehlungen für Gegenmassnahmen, Eidgenössische Kommission gegen Rassismus, November 1998

14. CDMG (97) 17 rev : « Evolution récente des politiques relatives aux migrations et aux migrants », Comité européen sur les migrations, Conseil de l’Europe, Janvier, 1998

15. CDMG (98) 11 : « Sécurité de résidence des immigrés de longue durée : étude comparative de la législation et de la pratique des pays européens », Comité européen sur les migrations, Conseil de l’Europe, Février 1998

16. MMG – 6 (96) 6 Addendum 1 : « Déclaration écrite – Suisse », Comité européen sur les migrations, Conseil de l’Europe, Juin 1996

17. MMG-5 (93) 11 : « Déclaration écrite sur le Thème 2 (Racisme, xénophobie, Intolérance) présentée par la délégation suisse, Comité européen sur les migrations, Conseil de l’Europe, 1993

18. Etudes et travaux n° 53 : « Migrants et minorités dans la Communauté », Comité européen sur les migrations, Conseil de l’Europe, 1996

19. CERD/C/270/Add.1 : « Rapport initial des Etats parties devant être présenté en 1995 – additif – Suisse », CERD, Nations Unies, Mars 1997

20. CERD/C/304/Add.44 : « Conclusions du Comité pour l’élimination de la discrimination raciale », CERD, Nations Unies, Mars 1998

21. E/C.12/1/Add.30 : « Conclusions du Comité des droits économiques, sociaux et culturels », Comité des droits économiques, sociaux et culturels, Nations Unies, Décembre 1998

22. CCPR/C/81/Add.8 : « Rapports initiaux que les Etats parties devaient présenter en 1993 – Additif », Pacte international relatif aux droits civils et politiques, Nations Unies, Mai 1995

23. HRI/CORE/1/Add.29 : « Document de base constituant la première partie des rapports des Etats parties », Nations Unies, Juillet 1993

24. E/1995/111/Add.1 : « Rapport du Secrétaire général – Additif », Nations Unies, Juillet 1995

25. Département d’Etat des Etats-Unis « Switzerland : Country Report on Human Rights Practices for 1997 », janvier 1998

26. Département d’Etat des Etats-Unis « Switzerland Country Report on Human Rights Practices for 1998 », Février 1999

27. Berichte über Rassismus und Fremdenfeindlichkeit in den Medien. Presseschau der Parlamentarischen Gruppe gegen Rassismus und Fremdenfeindlichkeit. Januar/Februar 1999.

28. « Autonomies locales, intégrité territoriale et protection des minorités » Colloque international, Lausanne, 25-27/4/1996, Institut Suisse de droit comparé, Zürich 1996

29. « AI Report 1998, Switzerland », Amnesty International

30. « AI Report 1997, Switzerland », Amnesty International

31. « AI Report 1996, Switzerland », Amnesty International

32. « Switzerland, Allegations of ill-treatment in police custody », Amnesty International, AI Index : EUR 43/02/97, November 1997

33. «Human Rights Watch World Report 1999 » Human Rights Watch

34. « La Suisse et son racisme », 1er rapport des ONG à l’ONU, Hans Stutz, Forum contre le racisme, Février 1998

35. « La Suisse et son racisme », Annexe de l’Association romande contre le racisme au Rapport complémentaire des ONG au 1er rapport de la Suisse au Comité pour l’élimination de la discrimination raciale, rédigée par Karl Grünberg

36. « Le pays de Neuchatel par ses résidents étrangers », Bureau du délégué aux étrangers du Canton Neuchâtel, 1994

37. « Rapport 1998 », CRIDA

38. Pierre Gentile and Maya Jegen « Paradise News» in New Xenophobia in Europe – Baumgartl & Favell – Kulwer Law International

39. « Droit de vote pour les étrangers au niveau communal », Sandrine Salerno, Carrefour, 12/12/1998

40. « La politique des trois cercles a vécu », Sandrine Salerno, Carrefour, 12/12/1998

41. « Extrémismes en Europe » Jean-Yves Camus (coord.), CERA, 1997, Article de Eugenio D’Alessio

42. Newsletter n° 20 « CARREFOUR », Septembre 1998

43. Newsletter n° 19 « La lettre de SOS Racisme – Carrefour », Juin 1998

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[1] Siehe den von der Schweiz beim CERD vorgelegten Bericht

[2] Siehe den durch das Schweizerische Institut für Rechtsvergleichung ausgearbeiteten Bericht

[3] Siehe unter anderem die abschliessenden Bemerkungen des CERD zum ersten von der Schweiz vorgelegten Bericht sowie Berichte von Amnesty International und den dem CERD durch das Schweizerische Forum gegen Rassismus vorgelegten Bericht

[4] Nahezu 24 000 Asylgesuche 1997 und über 41 000 im Jahre 1998

[5] Siehe den von der Schweiz dem CERD vorgelegten Bericht, CERD/C/304/Add.44

[6] Siehe den an das CERD gesandten Bericht des Forums unter dem Titel „La Suisse et son racisme“

Zuletzt aktualisiert am September 19, 2021 von eurogesetze

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