RECHTSSACHE PARTEI DIE FRIESEN ./. DEUTSCHLAND (Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte) Individualbeschwerde Nr. 65480/10

Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte
FÜNFTE SEKTION
RECHTSSACHE D. ./. DEUTSCHLAND
(Individualbeschwerde Nr. 65480/10)
URTEIL
STRASSBURG
28. Januar 2016

Dieses Urteil wird nach Maßgabe des Artikels 44 Absatz 2 der Konvention endgültig. Es wird gegebenenfalls noch redaktionell überarbeitet.

In der Rechtssache D. ./. Deutschland

verkündet der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (Fünfte Sektion) als Kammer mit den Richterinnen und Richtern

Ganna Yudkivska, Präsidentin,
Angelika Nußberger,
André Potocki,
Faris Vehabović,
Síofra O’Leary,
Carlo Ranzoni,
Mārtiņš Mits,
und Claudia Westerdiek, Sektionskanzlerin,

nach nicht öffentlicher Beratung am 5. Januar 2016

das folgende an diesem Tag gefällte Urteil:

VERFAHREN

1. Der Rechtssache lag eine Individualbeschwerde (Nr. 65480/10) gegen die Bundesrepublik Deutschland zugrunde, die die politische Partei „D.“ („die Beschwerdeführerin“), am 1. November 2010 nach Artikel 34 der Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten („die Konvention“) beim Gerichtshof eingereicht hatte.

2. Die Beschwerdeführerin wurde von Herrn B., Rechtsanwalt in O., vertreten. Die deutsche Regierung („die Regierung“) wurde durch ihren Verfahrensbevollmächtigten, Herrn H.-J. Behrens vom Bundesministerium der Justiz, vertreten.

3. Die Beschwerdeführerin behauptete insbesondere, durch die bei den Landtagswahlen in einem Bundesland angewendete 5%-Sperrklausel diskriminiert worden zu sein.

4. Am 15. Mai 2013 wurde die Beschwerde der Regierung übermittelt.

SACHVERHALT

I. DIE UMSTÄNDE DES FALLS

5. Die Beschwerdeführerin wurde 2007 gegründet und ist in A. ansässig. Sie nimmt für sich in Anspruch, die Interessen einer regionalen Minderheit in Deutschland zu vertreten, beschränkt ihre politischen Tätigkeiten jedoch auf das das Bundesland, in dem die regionale Minderheit traditionell ansässig ist. Die Beschwerdeführerin schätzt, dass auf dem von insgesamt 7.900.000 Personen bewohnten Gebiet des Bundeslandes etwa 100.000 Menschen dieser regionalen Minderheit leben. Die Volksgruppe hat ihre eigene Sprache und kulturelle Identität, die unter verwandten regionalen Minderheiten in den Niederlanden und in Schleswig-Holstein ähnlich ist, während die Mitglieder der regionalen Minderheit in dem betreffenden Bundesland ihre Sprache weitgehend nicht mehr sprechen.

6. Nach dem Landeswahlgesetz des betreffenden Bundeslandes(; siehe „Das einschlägige innerstaatliche Recht“, Rdnr. 16) werden Abgeordnetensitze – abgesehen von den Sitzen, die denjenigen Kandidaten zugeteilt werden, die in ihrem Wahlkreis die Stimmenmehrheit erreicht haben – nach dem Verfahren der proportionalen Repräsentation nach d’Hondt zugeteilt. Nach § 33 Abs. 3 des Landeswahlgesetzes werden bei der Verteilung der Sitze nur Parteien berücksichtigt, die mindestens 5 % der insgesamt abgegebenen gültigen Stimmen erhalten haben. Diese Klausel ist auch in Artikel 8 Abs. 3 der Landesverfassung enthalten (siehe„ Das einschlägige innerstaatliche Recht“, Rdnr. 15).

7. Mit Schreiben vom 27. September 2007 an den Ministerpräsidenten des betreffenden Bundeslandes und mit Schreiben vom 17. Dezember 2007 an den Präsidenten des Landtages des Bundeslandes beantragte die Beschwerdeführerin, für die anstehende Landtagswahl vom Anwendungsbereich der Sperrklausel ausgenommen zu werden. Der Antrag wurde abgelehnt.

8. Bei den Wahlen am 27. Januar 2008 konnte die Beschwerdeführerin insgesamt 10.069 Stimmen auf sich vereinigen, was einem Anteil von 0,3% der insgesamt abgegebenen gültigen Stimmen entspricht. Unabhängig von der Sperrklausel hätte die Anzahl der erhaltenen Stimmen nicht ausgereicht, um ein Abgeordnetenmandat zu erlangen.

9. Am 6. März 2008 legte die Beschwerdeführerin Einspruch gegen die Gültigkeit des Wahlergebnisses ein. Sie brachte insbesondere vor, dass sie die Interessen der in dem betreffenden Bundesland lebenden Minderheit vertrete. Die Volksgruppe bilde eine nationale Minderheit im Sinne des Rahmenübereinkommens zum Schutz nationaler Minderheiten („das Rahmenübereinkommen“, SEV Nr. 157; siehe „Dokumente des Europarats“, Rdnrn. 20 bis 23). Die Beschwerdeführerin rügte insbesondere, dass die Sperrklausel für sie einen faktischen Ausschluss von der Teilnahme an der Landtagswahl und eine diskriminierende Behandlung gegenüber anderen kleinen Parteien darstelle, die zumindest theoretisch die Möglichkeit hätten, diese Hürde zu erreichen. Die Beschwerdeführerin berief sich ferner auf Artikel 14 der Konvention i. V. m. Artikel 3 des 1. Zusatzprotokolls zur Konvention.

10. Am 9. Mai 2008 nahm der Landeswahlleiter des Bundeslandes zusammen mit dem Innenministerium schriftlich zu dem Einspruch Stellung. Sie führten zunächst aus, dass die Einstufung der Volksgruppe als nationale Minderheit fraglich sei. Laut der Erklärung der Bundesregierung bei der Unterzeichnung des Rahmenübereinkommens seien ausschließlich Dänen deutscher Staatsangehörigkeit und Angehörige des sorbischen Volkes mit deutscher Staatsangehörigkeit als nationale Minderheiten in der Bundesrepublik Deutschland anerkannt. Im Gegensatz dazu heiße es in der Erklärung lediglich, dass das Rahmenübereinkommen auch auf die ethnische Gruppe der Volksgruppe mit deutscher Staatsangehörigkeit angewendet werde. Aus dem Wortlaut der Erklärung gehe demnach eindeutig hervor, dass die Volksgruppe nicht als nationale Minderheit gelten würde. Selbst wenn man unterstelle, dass die Volksgruppe den Status einer nationalen Minderheit habe, wäre eine Befreiung der Beschwerdeführerin von der 5%-Klausel trotzdem keinesfalls zwingend. Eine Pflicht hierzu ergebe sich weder aus dem Grundgesetz, noch aus der Verfassung des betreffenden Bundeslandes oder dem Rahmenübereinkommen. Auch aus § 6 Abs. 6 des Bundeswahlgesetzes könne eine solche Pflicht nicht abgeleitet werden, denn das Landeswahlrecht falle in die Gesetzgebungskompetenz der Länder und eine Bindungswirkung des Bundesrechts für das Landeswahlrecht gebe es nicht. Die Privilegierung der Partei der dänischen Minderheit in Schleswig-Holstein lasse ebenfalls keine weiteren Schlussfolgerungen zu, weil der Schutz und die Förderung der dänischen Minderheit in der betreffenden Landverfassung ausdrücklich vorgesehen sei. Schließlich sei es, den Minderheitenstatus der Volksgruppe wieder vorausgesetzt, fraglich, ob es sich bei der Beschwerdeführerin um die Partei der regionalen Minderheit der Volksgruppe in Deutschland handele. Die Beurteilung dieser Frage hänge nicht nur vom Selbstverständnis der Partei ab, sondern von einer Gesamtbetrachtung aller tatsächlichen und rechtlichen Umstände.

11. Am 2. Februar 2009 hielt der Wahlprüfungsausschuss eine öffentliche Sitzung zum Einspruch der Beschwerdeführerin ab.

12. Am 19. Februar 2009 wies der Landtag des betreffenden Bundeslandes den Einspruch der Beschwerdeführerin als unbegründet zurück. Er berief sich auf die gemeinsamen Eingaben des Wahlleiters und des Innenministeriums und stellte fest, dass eine Pflicht, die Beschwerdeführerin von der Sperrklausel auszunehmen, weder aus der Verfassung des betreffenden Bundeslandes noch aus Bundes- oder Völkerrecht abgeleitet werden könne. Daher sei der Einspruch der Beschwerdeführerin unbegründet.

13. Am 6. April 2009 legte die Beschwerdeführerin Beschwerde beim Staatsgerichtshof des betreffenden Bundeslandes ein und beantragte, unter Aufhebung des Beschlusses des Landtags vom 19. Februar 2009 das Ergebnis der Wahl vom 27. Januar 2008 für ungültig zu erklären, bzw. hilfsweise § 33 Abs. 3 des Landeswahlgesetzes des betreffenden Bundeslandes für verfassungswidrig zu erklären.

14. Am 30. April 2010 verwarf der Staatsgerichtshof des betreffenden Bundeslandes die Beschwerde der Beschwerdeführerin als unbegründet. Der Staatsgerichtshof stellte zu Beginn fest, dass die einschlägigen Bestimmungen eine Ausnahme von der Sperrklausel für nationale Minderheiten nicht zuließen. Ferner vertrat er die Auffassung, dass die Sperrklausel zwar einen Eingriff in die Wahlrechtsgleichheit bewirke, dieser Eingriff jedoch gerechtfertigt sei, da hierdurch das legitime Ziel verfolgt werde, die Funktionsfähigkeit der gewählten Volksvertretung zu gewährleisten. Die Arbeit der Parlamente in einer Demokratie erfordere, dass sie entscheidungsfähig seien und nicht durch die Beteiligung von Splitterparteien in ihrer Arbeit beeinträchtigt würden. Der Staatsgerichtshof nahm ferner auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur 5%-Sperrklausel Bezug. Es sei verfassungsrechtlich nicht geboten, Parteien von der 5%-Sperrklausel auszunehmen. Zwar seien solche Ausnahmen in bestimmten Wahlgesetzen vorgesehen. Dies gelte jedoch hauptsächlich für das Bundeswahlrecht, welches eine Ausnahme für Parteien nationaler Minderheiten vorsehe, sowie für die Wahlgesetze der Länder Brandenburg und Schleswig-Holstein, die Ausnahmen für die Parteien der sorbischen bzw. dänischen Minderheiten vorsähen. Allerdings fänden sich in beiden Bundesländern besondere Rechte für nationale Minderheiten in der jeweiligen Landesverfassung. Die Verfassung des betreffenden Bundeslandes enthalte keine derartigen Regelungen. Das Bundesverfassungsgericht habe die entsprechende Bestimmung des Bundeswahlrechts für verfassungsgemäß erklärt, obwohl das Grundgesetz keine besonderen Rechte für nationale Minderheiten enthalte. Das Bundesverfassungsgericht habe jedoch auch betont, dass dem Gesetzgeber insoweit ein Gestaltungsspielraum zustehe. Der Staatsgerichtshof des betreffenden Bundeslandes war abschließend die Auffassung, dass der angebliche Anspruch weder aus der Konvention zum Schutz der Menschenrechte noch aus dem Rahmenübereinkommen abgeleitet werden könne. Die Europäische Menschenrechtskonvention enthalte keinerlei Sonderrechte für nationale Minderheiten. Unter Berufung auf den Wortlaut von Artikel 15 des Rahmenübereinkommens stellte der Staatsgerichtshof fest, dass diese Bestimmung keine Pflicht begründe, Ausnahmen von Sperrklauseln zugunsten nationaler Minderheiten vorzusehen, sondern offen lasse, wie eine Teilnahme der Angehörigen nationaler Minderheiten an öffentlichen Angelegenheiten wirksam auszugestalten sei. Deshalb verbleibe den Vertragsstaaten diesbezüglich ein weiter Gestaltungsspielraum. In Deutschland sei die Partizipation nationaler Minderheiten am öffentlichen Leben bereits durch das Verfassungssystem gewährleistet. Der Verfassungsgeber des betreffenden Bundeslandes habe, indem er die 5%-Sperrklausel ohne Ausnahmeregelung in die Landesverfassung aufgenommen habe, der Funktionsfähigkeit des Landtags Vorrang vor einer Privilegierung nationaler Minderheiten gegeben. Es könne daher dahinstehen, ob die Volksgruppe überhaupt eine nationale Minderheit darstellte und ob die Beschwerdeführerin die politische Partei dieser nationalen Minderheit sei.

II. DAS EINSCHLÄGIGE INNERSTAATLICHE RECHT

15. Artikel 8 Abs. 3 der Verfassung des betreffenden Bundeslandes lautet:

Wahl des Landtages

„Wahlvorschläge, für die weniger als fünf vom Hundert der Stimmen abgegeben werden, erhalten keine Mandate.“

16. § 33 Abs. 3 des Landeswahlgesetzes des betreffenden Bundeslandes lautet:

„Bei der Verteilung der Sitze auf die Landeswahlvorschläge […] werden nur Parteien berücksichtigt, die mindestens 5 vom Hundert der […] abgegebenen gültigen Zweitstimmen erhalten haben.“

17. § 3 Abs. 1 des Wahlgesetzes für den Landtag Brandenburg lautet:

Wahl der Abgeordneten nach den Landeslisten

„Bei der Verteilung der Sitze auf die Landeslisten werden nur Parteien, politische Vereinigungen und Listenvereinigungen berücksichtigt, die mindestens fünf vom Hundert der […] abgegebenen gültigen Zweitstimmen erhalten […]. Die Bestimmungen über die Sperrklausel nach Satz 1 finden auf die von Parteien, politischen Vereinigungen oder Listenvereinigungen der Sorben eingereichten Landeslisten keine Anwendung. […]“

18. § 3 Abs. 1 des Schleswig-holsteinischen Landeswahlgesetzes lautet:

„An dem Verhältnisausgleich nimmt jede Partei teil, für die eine Landesliste aufgestellt und zugelassen worden ist, sofern […] sie insgesamt fünf v. H. der […] abgegebenen gültigen Zweitstimmen erzielt hat. Diese Einschränkungen gelten nicht für Parteien der dänischen Minderheit.“

19. § 6 Abs. 6 des Bundeswahlgesetzes lautet:

„Bei Verteilung der Sitze auf die Landeslisten werden nur Parteien berücksichtigt, die mindestens 5 Prozent der […] abgegebenen gültigen Zweitstimmen erhalten […] haben. Satz 1 findet auf die von Parteien nationaler Minderheiten eingereichten Listen keine Anwendung.“

III. DOKUMENTE DES EUROPARATS

20. Artikel 15 des Rahmenübereinkommens (SEV Nr. 157), das am 1. Februar 1998 in Kraft trat, lautet:

„Die Vertragsparteien schaffen die notwendigen Voraussetzungen für die wirksame Teilnahme von Angehörigen nationaler Minderheiten am kulturellen, sozialen und wirtschaftlichen Leben und an öffentlichen Angelegenheiten, insbesondere denjenigen, die sie betreffen.“

21. In einer mit der Zeichnung des Rahmenübereinkommens am 11. Mai 1995 ergangenen und bei Ratifizierung am 10. September 1997 erneuerten Erklärung der Bundesregierung heißt es:

„Das Rahmenübereinkommen enthält keine Definition des Begriffs der nationalen Minderheiten. Es ist deshalb Sache der einzelnen Vertragsstaaten zu bestimmen, auf welche Gruppen es nach der Ratifizierung Anwendung findet. Nationale Minderheiten in der Bundesrepublik Deutschland sind die Dänen deutscher Staatsangehörigkeit und die Angehörigen des sorbischen Volkes mit deutscher Staatsangehörigkeit. Das Rahmenübereinkommen wird auch auf die Angehörigen der traditionell in Deutschland heimischen Volksgruppen der Friesen deutscher Staatsangehörigkeit und der Sinti und Roma deutscher Staatsangehörigkeit angewendet.“

22. Auszug aus dem vom Beratenden Ausschuss zum Rahmenübereinkommen am 27. Februar 2008 verabschiedeten Kommentar:

ii. Konzeption des Wahlsystems auf nationaler, regionaler und lokaler Ebene

„(80) Die Teilnahme von Angehörigen nationaler Minderheiten an Wahlverfahren ist wesentlich, um Minderheiten in die Lage zu versetzen, ihre Ansichten darzulegen, wenn Gesetzgebungsmaßnahmen und politische Ansätze, die sie betreffen, entwickelt werden.

(81) Unter Berücksichtigung der Tatsache, dass die Vertragsstaaten souverän über ihr Wahlsystem entscheiden, hat der Beratende Ausschuss betont, wie wichtig es ist, Möglichkeiten zu schaffen, um Themen der betreffenden Minderheiten auf die öffentliche Agenda zu setzen. Dies kann entweder durch die Anwesenheit von Minderheitenvertretern in den gewählten Körperschaften und/oder durch die Einbeziehung ihrer Interessen in die Agenda der gewählten Körperschaften geschehen.

(82) Der Beratende Ausschuss hat festgestellt, dass, wenn das Wahlgesetz eine Mindestklausel vorsieht, deren potenziell negative Auswirkung auf die Teilnahme nationaler Minderheiten am Wahlprozess sorgfältig berücksichtigt werden muss. Aus­nahmeregelungen von der Mindestklausel haben sich als erfolgreich erwiesen, um die Vertretung nationaler Minderheiten in gewählten Körperschaften zu stärken.“

23. In seinem Bericht vom 15. März 2005 über Wahlgesetzgebung und positive Maßnahmen für die Teilhabe nationaler Minderheiten am Entscheidungsprozess in europäischen Staaten empfahl die Europäische Kommission für Demokratie durch Recht (Venedig-Kommission), nachdem sie die Vorgehensweisen bestimmter Mitgliedstaaten analysiert hatte, fünf konkrete Maßnahmen, um die Vertretung von Minderheiten zu fördern: Zwei der Maßnahmen wirken sich auf die Frage der Mindestklauseln aus:

„68.

[…]

d. Mindestklauseln bei Wahlen sollten die Chancen nationaler Minderheiten, vertreten zu sein, nicht beeinträchtigen.

e. Wahlbezirke (Anzahl, Größe und Form, Bedeutung) können mit dem Ziel ausgestaltet werden, die Teilhabe von Minderheiten am Entscheidungsprozess zu ver­bessern.“

RECHTLICHE WÜRDIGUNG

I. BEHAUPTETE VERLETZUNG VON ARTIKEL 14 DER KONVENTION IN VERBINDUNG MIT ARTIKEL 3 DES 1. ZUSATZPROTOKOLLS

24. Die Beschwerdeführerin rügte, dass sie durch die bei den Landtagswahlen in dem betreffenden Bundesland auf sie angewendete 5%-Sperrklausel in ihrem in Artikel 14 der Konvention i. V. m. Artikel 3 des 1. Zusatzprotokolls vorgesehenen Recht auf diskriminierungsfreie Teilnahme an Wahlen verletzt worden sei; die maßgeblichen Vorschriften lauten wie folgt:

Artikel 14

„Der Genuss der in [der] Konvention anerkannten Rechte und Freiheiten ist ohne Diskriminierung insbesondere wegen des Geschlechts, der Rasse, der Hautfarbe, der Sprache, der Religion, der politischen oder sonstigen Anschauung, der nationalen oder sozialen Herkunft, der Zugehörigkeit zu einer nationalen Minderheit, des Vermögens, der Geburt oder eines sonstigen Status zu gewährleisten.“

Artikel 3 des 1. Zusatzprotokolls

„Die Hohen Vertragsparteien verpflichten sich, in angemessenen Zeitabständen freie und geheime Wahlen unter Bedingungen abzuhalten, welche die freie Äußerung der Meinung des Volkes bei der Wahl der gesetzgebenden Körperschaften gewährleisten.“

25. Die Regierung trat diesem Vorbringen entgegen.

A. Das Vorbringen der Beschwerdeführerin

26. Die Beschwerdeführerin behauptete, dass sie die gesamte Volksgruppe vertrete. Wie sie betonte, sei in dem betreffenden Bundesland die Zahl der Angehörigen der regionalen Minderheit so gering, dass die Beschwerdeführerin die erforderliche 5%-Hürde bei Landtagswahlen nicht erreichen könne. Ihrer Ansicht nach stelle die Sperrklausel und nicht die Frage der Ausnahme einen Eingriff nach der Konvention dar. Die Beschwerdeführerin widersprach der Auffassung, dass die Abschaffung der Sperrklausel die Stabilität der Regierung beeinträchtigen würde. 2008 hätte nur eine zusätzliche Partei Sitze im Landtag erlangt, wenn die Sperrklausel abgeschafft worden wäre. Unter Berücksichtigung der geringen Zahl von Minderheitswählern und der Tatsache, dass keine anderen Minderheiten in dem betreffenden Bundesland ansässig seien, könne eine Ausnahmeregelung für die Beschwerdeführerin als einzige Minderheitenpartei die Stabilität der Regierung nicht beeinträchtigen.

27. Die Anwendung der Sperrklausel auf die Beschwerdeführerin diskriminiere sie in dem Sinne in ihrem Recht, an Wahlen teilzunehmen, dass sie nicht mit anderen Parteien verglichen werden könne, die keine Minderheitenparteien seien, weil sie keine Minderheiten vertreten würden. Unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung des Gerichtshofs in der Rechtssache Thlimmenos ./. Griechenland ([GK], Individualbeschwerde Nr. 34369/97, Rdnr. 44, 6. April 2000) hob die Beschwerdeführerin hervor, dass das Recht, bei der Wahrnehmung der in der Konvention garantierten Rechte nicht diskriminiert zu werden, auch dann verletzt sei, wenn Staaten es daran fehlen lassen, Personen, die sich in erheblich unterschiedlichen Situationen befänden, ohne objektive und angemessene Rechtfertigung unterschiedlich zu behandeln. Die Anwendung der Sperrklausel auf die Beschwerdeführerin sei ferner unverhältnismäßig, weil das Ziel der Sperrklausel – eine stabile Regierung – durch eine zusätzliche Partei, die Sitze im Landtag erlange, nicht gefährdet werde, die Sperrklausel selbst aber den faktischen Ausschluss der Volksgruppe von der politischen Teilhabe an der Gesetzgebung bedeute. Darüber hinaus seien nationale Minderheiten in den Bundesländern Schleswig-Holstein und Brandenburg sowie im Bundeswahlrecht von den entsprechenden Sperrklauseln ausgenommen.

B. Das Vorbringen der Regierung

28. Die Regierung erkannte an, dass die Volksgruppe eine nationale Minderheit im Sinne des Rahmenübereinkommens sei. Sie trug vor, aus der Tatsache, dass in der Erklärung der Bundesregierung bei der Unterzeichnung des Rahmenübereinkommens (siehe Rdnr. 21) die regionale Minderheit als „Volksgruppe“ bezeichnet und die Dänen und Sorben als „nationale Minderheiten“ anerkannt worden seien, könne keine rechtliche Differenzierung abgeleitet werden. Dass unterschiedliche Begriffe verwendet würden, sei allein darauf zurückzuführen, dass die Volksgruppe aufgrund der damals zum Teil mit dem Begriff „Minderheit“ verbundenen negativen Konnotation ausdrücklich hierum gebeten hätte. Unter Verweis auf die weniger als 100 Mitglieder der Beschwerdeführerin und die fehlenden Belege für den Vertretungsanspruch der Partei bestritt die Regierung, dass die Beschwerdeführerin die Volksgruppe, oder auch nur die regionale Minderheit in dem betreffenden Bundesland, vertrete.

29. Selbst unter der Annahme, dass eine Vertretung durch die Beschwerdeführerin gegeben sei, bestritt die Regierung unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung der Gerichtshof in der Rechtssache Mathieu-Mohin und Clerfayt ./. Belgien (2. März 1987, Serie A Nr. 113) und Yumak und Sadak ./. Türkei ([GK], Individualbeschwerde Nr. 10226/03, ECHR 2008), dass aufgrund der 5%-Sperrklausel und deren Anwendung auf die Beschwerdeführerin eine ungerechtfertigte Diskriminierung vorliege. Die Beschwerdeführerin werde nicht anders behandelt als jede andere politische Partei, die die Sperrklausel akzeptieren müsse. Unter Bezugnahme auf die Entscheidung der früheren Kommission in der Rechtssache Magnago und Südtiroler Volkspartei ./. Italien vom 15. April 1996 (Individualbeschwerde Nr. 25035/94) betonte die Regierung, dass die Konvention keine positive Diskriminierung verlange. Schließlich lasse sich aus dem Rahmenübereinkommen keine Verpflichtung ableiten, Parteien nationaler Minderheiten von der Sperrklausel auszunehmen.

C. Würdigung durch den Gerichtshof

1. Anwendbarkeit

30. Der Gerichtshof weist erneut darauf hin, dass Artikel 14 lediglich eine Ergänzung der übrigen materiellrechtlichen Bestimmungen der Konvention und der Protokolle dazu darstellt. Er existiert nicht für sich allein, da er nur in Bezug auf den „Genuss der Rechte und Freiheiten“, die durch diese Bestimmungen geschützt sind, Wirkung entfaltet. Obgleich die Anwendung von Artikel 14 eine Verletzung dieser Bestimmungen nicht voraussetzt und er insoweit autonom ist, kann es Raum für seine Anwendung nur geben, wenn der in Frage stehende Sachverhalt unter eine oder mehrere dieser Bestimmungen fällt (siehe u. v. a. Z. ./. Deutschland, Individualbeschwerde Nr. 22028/04, Rdnr. 35, 3. Dezember 2009).

31. Der Gerichtshof muss deshalb zunächst feststellen, ob Artikel 3 des 1. Zusatz­protokolls in der vorliegenden Rechtssache anwendbar ist.

32. Der Gerichtshof bekräftigt insoweit, dass Artikel 3 des 1. Zusatzprotokolls nicht nur auf nationale Gesetzgeber, sondern auch auf Wahlen zu den deutschen Landesparlamenten als gesetzgebende Körperschaften anwendbar ist (siehe T. ./. Deutschland, Individual­beschwerde Nr. 27311/95, Entscheidung der früheren Kommission vom 11. September 1995).

33. Ferner impliziert Artikel 3 des 1. Zusatzprotokolls individuelle Rechte, einschließlich des Wahlrechts und des Rechts auf Teilnahme an Wahlen (siehe u. a. Mathieu-Mohin und Clerfayt ./. Belgien, a. a. O., Rdnrn. 46 bis 51; Ždanoka ./. Lettland [GK], Individualbeschwerde Nr. 58278/00, Rdnr. 102, ECHR 2006‑IV und Yumak und Sadak ./. Türkei, a. a. O., Rdnr. 109).

34. Der Gerichtshof stellt fest, dass die Beschwerdeführerin bei den in Rede stehenden Landtagswahlen lediglich 0,3% aller Stimmen auf sich vereinigen konnte. Folglich erhielt die Beschwerdeführerin ganz unabhängig von der Sperrklausel zu wenige Stimmen, um ein Abgeordnetenmandat zu erlangen. Der Gerichtshof akzeptiert jedoch das Argument der Beschwerdeführerin, dass die Sperrklausel eine abschreckende Wirkung auf potentielle Wähler gehabt habe, die möglicherweise ihre Stimme nicht an eine politische Partei „verschwenden“ wollten, die die 5%-Hürde nicht erreichen könne. Daraus folgt, dass durch die Anwendung der 5%-Sperrklausel in das Recht der Beschwerdeführerin auf Teilnahme an Wahlen eingegriffen wurde.

35. Der Gerichtshof stellt deshalb fest, dass der Sachverhalt der vorliegenden Rechtssache unter Artikel 3 des 1. Zusatzprotokolls fällt und dass Artikel 14 daher anwendbar ist.

2. Vereinbarkeit

36. Der Gerichtshof ist der Auffassung, dass die 5%-Sperrklausel an sich keine Frage nach Artikel 14 i. V. m. Artikel 3 des 1. Zusatzprotokolls aufwirft (siehe Partija “Jaunie Demokrāti” und Partija “Mūsu Zeme” ./. Lettland (Entsch.), Individualbeschwerden Nrn. 10547/07 und 34049/07, 29. November 2007). Die in der vorliegenden Rechtssache zu klärende Frage ist, ob davon auszugehen ist, dass die Anwendung der Sperrklausel auf die Beschwerdeführerin im Widerspruch zu Artikel 14 i. V. m. Artikel 3 des 1. Zusatzprotokolls steht.

37. Der Gerichtshof hat in seiner Rechtsprechung festgestellt, dass eine Diskriminierung vorliegt, wenn Personen, die sich in Situationen befinden, die in erheblichem Maße vergleichbar sind, ohne sachliche und vernünftige Gründe unterschiedlich behandelt werden (siehe Willis ./. Vereinigtes Königreich, Individualbeschwerde Nr. 36042/97), Rdnr. 48, ECHR 2002‑IV, und O. ./. Deutschland, Individualbeschwerde Nr. 59140/00, Rdnr. 33, 25. Oktober 2005). Artikel 14 verbietet es einem Mitgliedstaat jedoch nicht, Gruppen unterschiedlich zu behandeln, um „tatsächliche Ungleichheiten“ zwischen ihnen zu korrigieren; unter bestimmten Umständen kann ein Verstoß gegen den Artikel sogar gerade darin begründet sein, dass nicht versucht wird, Ungleichheiten durch unterschiedliche Behandlung zu korrigieren (siehe Thlimmenos ./. Griechenland [GK], a. a. O., Rdnr. 44; Stec u. a. ./. Vereinigtes Königreich [GK], Individualbeschwerde Nr. 65731/01, Rdnr. 51, ECHR 2006‑VI; D.H. u. a. ./. Tschechische Republik [GK], Individualbeschwerde Nr. 57325/00, Rdnr. 175, ECHR 2007‑IV).

38. Im Hinblick auf die vorliegende Rechtssache ist es nach Feststellung des Gerichts­hofs unstrittig, dass die Beschwerdeführerin nicht anders behandelt wird als jede andere kleine politische Partei, die an den Wahlen in dem betreffenden Bundesland teilnimmt.

39. Soweit die Beschwerdeführerin behauptet, sie befinde sich in einer ähnlichen Situation wie die Parteien der Dänen und der Sorben, die an den Wahlen in zwei anderen Bundesländern teilnähmen – Schleswig-Holstein und Brandenburg, die Minderheitenparteien privilegierten – stellt der Gerichtshof fest, dass nach dem Bundeswahlrecht bei Bundestags­wahlen alle nationalen Minderheiten die gleichen Privilegien genießen. Was die Teilnahme an Wahlen auf Landesebene angeht, nimmt der Gerichtshof die Feststellung des Staatsgerichtshofs des betreffenden Bundeslandes in der vorliegenden Rechtssache zur Kenntnis (siehe Rdnr. 14), dass nach dem für das betreffende Bundesland geltenden Verfassungsrecht keine Verpflichtung bestehe, Parteien nationaler Minderheiten bei Wahlen auf Landesebene von Mindestklauseln auszunehmen. Im deutschen föderalen System besitzen die Länder die Souveränität, bestimmte Angelegenheiten zu regeln, von der sie in unterschiedlicher Weise Gebrauch machen. Die Entscheidung von Landesgesetzgebern, Ausnahmen für Parteien nationaler Minderheiten in ihr Wahlrecht aufzunehmen, hat daher keine Auswirkungen für Parteien nationaler Minderheiten, die sich außerhalb ihrer Gesetzgebungsgewalt befinden. Daraus folgt, dass die Situation der Beschwerdeführerin nicht mit der Situation der Parteien der Dänen und der Sorben vergleichbar ist, denn diese nehmen an Wahlen in anderen Bundesländern als dem betreffenden Bundesland teil.

40. Der Gerichtshof hat ferner zu untersuchen, ob sich die Situation der Beschwerdeführerin wie von ihr behauptet erheblich von der anderer politischer Parteien in dem betreffenden Bundesland unterscheidet, was im Hinblick auf die Rechtsprechung des Gerichtshofs (siehe Thlimmenos ./. Griechenland, a. a. O., Rdnr. 44) möglicherweise eine unterschiedliche Behandlung verlangen würde. Der Gerichtshof akzeptiert das Hauptargument der Beschwerdeführerin, dass die Anzahl der in dem betreffenden Bundesland lebenden Volksgruppe nicht hoch genug ist, um die Sperrklausel zu erreichen, selbst wenn alle Wähler der betreffenden Volksgruppe ihr ihre Stimme geben würden. Der Gerichtshof stellt jedoch fest, dass die Situation der Beschwerdeführerin insoweit prinzipiell mit der Situation anderer Parteien vergleichbar ist, die sich auf die Vertretung zahlenmäßig kleiner Interessengruppen konzentrieren, die sich anhand von Kriterien wie Alter, Glaube oder Beruf definieren. Die Nachteile im Wahlprozess sind daher auf das von ihnen gewählte Konzept zurückzuführen, nur die Interessen eines kleinen Teils der Bevölkerung zu vertreten, wofür ein Vertragsstaat im Allgemeinen nicht verantwortlich gemacht werden kann.

41. Der Gerichtshof hat festgestellt, dass eine Minderheit durch die Gründung einer Vereinigung, um ihrer Identität Ausdruck zu verleihen und zu fördern, maßgeblich darin unterstützt werden kann, ihre Rechte zu bewahren und aufrecht zu erhalten (siehe Gorzelik u. a. ./. Polen [GK], Individualbeschwerde Nr. 44158/98, Rdnr. 93, ECHR 2004‑I). Daher bleibt noch festzustellen, ob die Beschwerdeführerin in ihrer Eigenschaft als Partei, die eine nationale Minderheit vertritt, diskriminiert wurde, d. h. ob Parteien nationaler Minderheiten nach der Konvention anders behandelt werden sollten als andere Parteien, die besondere Interessen vertreten.

42. Der Gerichtshof weist erneut auf die Feststellung der früheren Kommission in einer vergleichbaren Rechtssache betreffend die Rechte der deutschsprachigen Minderheit in Norditalien hin, nämlich, dass die Konvention die Vertragsparteien nicht verpflichtet, eine positive Diskriminierung zugunsten von Minderheiten vorzusehen (siehe Magnago und Südtiroler Volkspartei ./. Italien, a. a. O.).

43. Der Gerichtshof stellt jedoch fest, dass diese Entscheidung vor dem Inkrafttreten des Rahmenübereinkommens am 1. Februar 1998 getroffen wurde. Der Gerichtshof stellt ferner fest, dass das Rahmenübereinkommen zwar den Ermessensspielraum des Staates in Wahl­angelegenheiten anerkennt, jedoch die Teilnahme nationaler Minderheiten an öffentlichen Angelegenheiten herausstellt (siehe Artikel 15 des Rahmenübereinkommens, Rdnr. 20). Die Möglichkeit der Ausnahme von einer Sperrklausel wird in diesem Zusammenhang allerdings lediglich als eine von vielen Möglichkeiten dargestellt. Der Beratende Ausschuss zu dem Rahmenübereinkommen hat die Auffassung zum Ausdruck gebracht, dass die potenziell negative Auswirkung von Sperrklauseln auf die Teilnahme nationaler Minderheiten am Wahlprozess sorgfältig berücksichtigt werden müsse. Ausnahmereglungen von der Sperrklausel hätten sich als erfolgreich erwiesen, um die Vertretung nationaler Minderheiten in gewählten Körperschaften zu stärken (siehe Kommentar des Beratenden Ausschusses zum Rahmenübereinkommen, angenommen am 27. Februar 2008, Rdnr. 82, „Dokumente des Europarats“, Rdnr. 22). Auch die Venedig-Kommission vertritt den Standpunkt, dass Sperrklauseln bei Wahlen die Chancen nationaler Minderheiten, vertreten zu sein, nicht beeinträchtigen sollten (siehe „Dokumente des Europarats“, Rdnr. 23). Jedoch lässt sich, wie der Staatsgerichtshof des betreffenden Bundeslandes in der vorliegenden Rechtssache festgestellt hat (siehe Rdnr. 14), aus dem Rahmenübereinkommen keine Verpflichtung ableiten, Parteien nationaler Minderheiten von Sperrklauseln auszunehmen. Die Vertragsstaaten des Rahmenübereinkommens haben einen weiten Ermessensspielraum, was das in Artikel 15 des Rahmenübereinkommens formulierte Ziel angeht, eine Teilnahme der Angehörigen nationaler Minderheiten an öffentlichen Angelegenheiten wirksam auszugestalten. Der Gerichtshofs vertritt daher die Auffassung, dass die Konvention, selbst wenn sie im Lichte des Rahmenübereinkommens ausgelegt wird, in diesem Zusammenhang keine unterschiedliche Behandlung zugunsten von Minderheitenparteien verlangt.

44. Ein Eingriff in Artikel 14 der Konvention in Verbindung mit Artikel 3 des 1. Zusatzprotokolls liegt daher nicht vor.

II. BEHAUPTETE VERLETZUNG VON ARTIKEL 13 IN VERBINDUNG MIT ARTIKEL 14 DER KONVENTION UND ARTIKEL 3 DES 1. ZUSATZPROTOKOLLS

45. Die Beschwerdeführerin rügt nach Artikel 13 i. V. m. Artikel 14 der Konvention und Artikel 3 des 1. Zusatzprotokolls, dass ihr eine wirksame Beschwerde gegen die Verletzung ihrer Konventionsrechte verwehrt worden sei. Insbesondere fehle es dem Landtag des betreffenden Bundeslandes in einem Verfahren, in dem es um die Gültigkeit des Wahlergebnisses gehe, an Unparteilichkeit und Unabhängigkeit. Überdies sei ihr in dem Verfahren vor dem Staatsgerichtshof des betreffenden Bundeslandes, der ihren Fall ohne mündliche Verhandlung und ohne umfassende Prüfung des Sachverhalts entschieden habe, kein faires Verfahren zuteil geworden.

46. Die Regierung trat diesem Vorbringen entgegen.

47. Der Gerichtshof merkt an, dass die Beschwerdeführerin die Möglichkeit hatte, Beschwerde beim Staatsgerichtshof des betreffenden Bundeslandes einzulegen, der die Rechtssache auf der Grundlage schriftlicher Stellungnahmen der Beschwerdeführerin und des Wahlleiters entschied. Es ist nicht ersichtlich, dass dieser Rechtsbehelf nicht wirksam war.

48. Soweit die Beschwerdeführerin argumentierte, dass das Verfahren vor dem Staatsge­richtshof die Voraussetzungen von Artikel 6 Abs. 1 der Konvention nicht erfüllte, u. a. weil es keine mündliche Verhandlung gab, erinnert der Gerichtshof daran, dass Artikel 6 nicht auf Streitigkeiten in Wahlangelegenheiten anwendbar ist (vgl. Partija “Jaunie Demokrāti” und Partija “Mūsu Zeme” ./. Lettland (Entsch.), a. a. O., und die darin zitierte Rechtsprechung).

49. Daraus folgt, dass diese Rüge nach Artikel 35 Abs. 3 Buchst. a offensichtlich unbegründet ist und nach Artikel 35 Abs. 4 zurückzuweisen ist.

AUS DIESEN GRÜNDEN ENTSCHEIDET DER GERICHTSHOF EINSTIMMIG:

1. Die Rüge bezüglich der angeblichen Verletzung von Artikel 14 der Konvention i. V. m. Artikel 3 des 1. Zusatzprotokolls zur Konvention wird für zulässig und die Beschwerde im Übrigen für unzulässig erklärt;

2. Artikel 14 der Konvention i. V. m. Artikel 3 des 1. Zusatzprotokolls zur Konvention ist nicht verletzt worden.

Ausgefertigt in Englisch und schriftlich zugestellt am 28. Januar 2016 nach Artikel 77 Abs. 2 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs.

Claudia Westerdiek                                  Ganna Yudkivska
Kanzlerin                                                     Präsidentin

Zuletzt aktualisiert am Dezember 10, 2020 von eurogesetze

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