RECHTSSACHE KLINKENBUSS ./. DEUTSCHLAND (Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte) Individualbeschwerde Nr. 53157/11

Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte
FÜNFTE SEKTION
RECHTSSACHE K. ./. DEUTSCHLAND
(Individualbeschwerde Nr. 53157/11)
URTEIL
STRASSBURG
25. Februar 2016

Dieses Urteil wird nach Maßgabe des Artikels 44 Abs. 2 der Konvention endgültig. Es wird gegebenenfalls noch redaktionell überarbeitet.

In der Rechtssache K. ./. Deutschland

hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (Fünfte Sektion) als Kammer mit den Richterinnen und Richtern

Ganna Yudkivska, Präsidentin,
Angelika Nußberger,
Khanlar Hajiyev,
Erik Møse,
Faris Vehabović,
Siofra O’Leary
und Carlo Ranzoni
sowie Claudia Westerdiek, Sektionskanzlerin,
nach nicht öffentlicher Beratung am 2. Februar 2016
das folgende Urteil erlassen, das am selben Tag angenommen wurde.

VERFAHREN

1. Der Rechtssache lag eine Individualbeschwerde (Nr. 53157/11) gegen die Bundesrepublik Deutschland zugrunde, die ein deutscher Staatsangehöriger, K. („der Beschwerdeführer“), am 18. August 2011 nach Artikel 34 der Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten („die Konvention“) beim Gerichtshof eingereicht hatte.

2. Der Beschwerdeführer wurde von Herrn S., Rechtsanwalt in S., vertreten. Die deutsche Regierung („die Regierung“) wurde durch zwei ihrer Verfahrensbevollmächtigten, Herrn H.-J. Behrens und Frau K. Behr vom Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz, vertreten.

3. Der Beschwerdeführer machte insbesondere geltend, dass seine fortdauernde Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus sein Recht auf Freiheit nach Artikel 5 Abs. 1 der Konvention verletzt habe.

4. Am 14. April 2014 wurde die Rüge bezüglich der Fortdauer der Unterbringung des Beschwerdeführers in einem psychiatrischen Krankenhaus der Regierung übermittelt und die Beschwerde im Übrigen nach Artikel 54 Abs. 3 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs für unzulässig erklärt.

SACHVERHALT

I. DIE UMSTÄNDE DER RECHTSSACHE

5. Der Beschwerdeführer wurde 19.. geboren und ist derzeit in einem psychiatrischen Krankenhaus in L. untergebracht.

A. Die Verurteilung des Beschwerdeführers, die Anordnung seiner Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus und deren Vollstreckung

6. Der Beschwerdeführer zwang im Jahr 1979 zwei sieben Jahre alte Mädchen und im Jahr 1980 ein vier Jahre altes Mädchen, sich auszuziehen, und schlug sie dann mit einem Stock. Im Jahr 1981 zwang der Beschwerdeführer ein sieben Jahre altes Mädchen, sich auszuziehen, und legte sich auf einer Bank auf das Mädchen. Die wegen dieser Taten eingeleiteten Strafverfahren wurden mangels strafrechtlicher Verantwortlichkeit des minderjährigen Beschwerdeführers eingestellt.

7. Am 21. Januar 1983 verurteilte das Landgericht Münster den Beschwerdeführer wegen versuchter Vergewaltigung in Tateinheit mit sexueller Nötigung und gefährlicher Körperverletzung sowie wegen versuchten Mordes und Körperverletzung unter Anwendung des Jugendstrafrechts zu fünf Jahren Freiheitsstrafe und ordnete nach § 63 StGB seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an (siehe Rdnr. 28).

8. Das Landgericht stellte fest, dass der damals nicht volljährige Beschwerdeführer am 22. Juni 1982 ein vierzehn Jahre altes Mädchen gezwungen habe, mit ihm in einen Wald zu gehen, wo er versucht habe, das Mädchen zu vergewaltigen, es mit einem Stock sexuell misshandelt habe und dann versucht habe, es durch Erwürgen zu töten, um seine Taten zu verbergen. Als er bei seiner Rückkehr zum Tatort festgestellt habe, dass sein Opfer nicht tot war, habe er es mit einem Stock heftig auf das Gesäß geschlagen.

9. Das Landgericht hielt es für erforderlich, nach § 63 StGB die Unterbringung des Beschwerdeführers in einem psychiatrischen Krankenhaus anzuordnen. Es war der Auffassung, der Beschwerdeführer sei bei den Handlungen nur vermindert schuldfähig gewesen (§ 21 StGB, siehe Rdnr. 27). Unter Berücksichtigung der Feststellungen des Sachverständigen H. war das Gericht davon überzeugt, dass die geistigen Fähigkeiten des Beschwerdeführers aufgrund einer frühkindlichen Hirnschädigung eingeschränkt seien. Diese Schädigung habe zusammen mit Defiziten bei seiner Erziehung (sein Vater hatte ihn selbst wiederholt mit einem Stock geschlagen) eine Bewusstseinsstörung sowie die sadistischen sexuellen Neigungen verursacht, die bei seiner Tat offenbart worden seien. Diese Störungen stellten eine „schwere andere seelische Abartigkeit“ im Sinne der §§ 20 und 21 StGB dar (siehe Rdnrn. 26-27). Darüber hinaus habe eine Gesamtwürdigung der Persönlichkeit des Beschwerdeführers aufgezeigt, dass von ihm infolge seines Zustands und insbesondere der sadistischen Neigungen, die sich in der Straftat, für die er verurteilt worden sei, manifestiert hätten, weitere rechtswidrige Taten zu erwarten seien und er daher für die Allgemeinheit gefährlich sei.

10. Seit 29. Januar 1983 ist der Beschwerdeführer in einem psychiatrischen Krankenhaus untergebracht.

11. Im Dezember 1990 überfiel er während eines Freigangs eine 26-jährige Radfahrerin, bedrohte sie mit einem Messer und versuchte, sie in einen Wald zu drängen. Er wurde von einem Autofahrer verjagt. Das diesbezügliche Strafverfahren wurde im Hinblick auf seine frühere Verurteilung eingestellt.

12. Die Freiheitsentziehung des Beschwerdeführers wurde von den Strafvollstreckungsgerichten in regelmäßigen Abständen überprüft. Insbesondere ordnete das Landgericht Paderborn am 5. Februar 2010 die Fortdauer der Unterbringung des Beschwerdeführers in einem psychiatrischen Krankenhaus an. Es hatte insbesondere festgestellt, dass der Beschwerdeführer therapeutische Gespräche ablehne. Bezüglich der Behandlung des Beschwerdeführers sei eine Stagnation festzustellen; die Vertreter des psychiatrischen Krankenhauses hätten erläutert, dass wesentliche Änderungen in der Persönlichkeit des Beschwerdeführers durch Sexualtherapie nicht mehr zu erwarten seien.

B. Das in Rede stehende Verfahren

1. Das Verfahren vor dem Landgericht Paderborn

13. Am 28. Januar 2011 ordnete das Landgericht Paderborn nach §§ 67d und 67e StGB die Fortdauer der Unterbringung des Beschwerdeführers in einem psychiatrischen Krankenhaus an (siehe Rdnrn. 29-31).

14. Das Landgericht stellte fest, dass der externe psychiatrische Sachverständige T. in seinem Bericht vom 28. Januar 2010 bei dem Beschwerdeführer, den er persönlich exploriert habe, eine Anomalie der Geschlechtschromosomen (das sogenannte Klinefelter-Syndrom) diagnostiziert habe. Letzteres habe mit hoher Wahrscheinlichkeit ein endokrines Persönlichkeitssyndrom verursacht, das durch Entwicklungsverzögerungen und Störungen der Persönlichkeitsentwicklung sowie eine unzureichende Verinnerlichung ethischer Regeln gekennzeichnet sei. Daher habe der Beschwerdeführer eine dissoziale und schizoide Persönlichkeit entwickelt. Es sei unklar, ob der Beschwerdeführer immer noch an sadistischer Paraphilie leide. Der Sachverständige war der Auffassung, dass die Entwicklungsverzögerungen des Beschwerdeführers durch eine Hormonbehandlung teilweise kompensiert worden seien. Darüber hinaus sei es durch Sozio- und Psychotherapien gelungen, die dissozialen Verhaltensweisen und die schizoide Persönlichkeitsstörung des Beschwerdeführers abzuschwächen.

15. Hinsichtlich der Beurteilung des von dem Beschwerdeführer ausgehenden Risikos war der Sachverständige der Auffassung, dass berücksichtigt werden müsse, dass der Beschwerdeführer bereits eine Reihe sadistischer Straftaten gegen Kinder begangen habe. Darüber hinaus müsse die Schwere der Straftat, für die der Beschwerdeführer im Jahr 1983 verurteilt worden sei, sowie der Überfall auf eine Frau im Jahr 1990 – zu einem Zeitpunkt, als er bereits in einem psychiatrischen Krankenhaus untergebracht war – in die Betrachtung einbezogen werden. Es sei offenbar während seiner langjährigen psychiatrischen Unterbringung nicht möglich gewesen, mit dem Beschwerdeführer kontinuierlich sexualtherapeutisch zu arbeiten. Es stehe zu befürchten, dass der Beschwerdeführer bei Überforderung oder Enttäuschung infolge sadistischer Neigungen straffällig werden könne. Der Sachverständige gab allerdings an, es sei für ihn unmöglich zu beurteilen, inwieweit der Beschwerdeführer noch von sadistischen Fantasien angetrieben werde. Dementsprechend sei das Rückfallrisiko im Falle seiner Entlassung schwer einzuschätzen und könne nur im Verlauf weiterer Therapien bestimmt werden.

16. Ein Vertreter des psychiatrischen Krankenhauses hatte in seiner Stellungnahme an das Gericht vom 7. Dezember 2010 bestätigt, dass der Beschwerdeführer auf seinen Wunsch hin mit einem Psychologen gesprochen habe. Er sei jedoch immer noch nicht in der Lage, die Motive für seine Straftat zu reflektieren. Daher sei es schwierig zu beurteilen, wie gefährlich der Beschwerdeführer sei; im Falle seiner Entlassung bestehe die Gefahr eines Rückfalls. Darüber hinaus habe der für den Beschwerdeführer zuständige Therapeut bestätigt, dass man die Gefährlichkeit des Beschwerdeführers nicht wirklich einschätzen könne.

17. Das Landgericht war nach Anhörung des Beschwerdeführers und unter Berücksichtigung der ihm vorliegenden Beweismittel der Auffassung, dass die Fortdauer der Unterbringung des Beschwerdeführers in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet werden müsse. Obwohl der Beschwerdeführer sich bei Ausgängen in den letzten Jahren als zuverlässig erwiesen habe, könne nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit davon ausgegangen werden, dass er im Falle seiner Entlassung keine neuen Straftaten begehen werde. Insbesondere könne nicht ausgeschlossen werden, dass seine sadistischen Neigungen fortbestünden. Eine Therapie im eigentlichen Sinne finde bei dem Beschwerdeführer nicht statt und er leide an Hospitalismus.

18. Das Landgericht war darüber hinaus der Auffassung, dass die Fortdauer der Unterbringung des Beschwerdeführers verhältnismäßig sei. Zur Stützung dieser Auffassung verwies es auf die schwerwiegende Straftat, die zur Unterbringung des Beschwerdeführers in einem psychiatrischen Krankenhaus geführt hatte, auf seinen Rückfall während der Vollstreckung seiner Unterbringungsanordnung und auf die von dem Sachverständigen und von Mitarbeitern des psychiatrischen Krankenhauses bestätigte mögliche Gefahr, dass der Beschwerdeführer im Falle seiner Entlassung weitere Straftaten begehen werde.

2. Das Verfahren vor dem Oberlandesgericht Hamm

19. Der Beschwerdeführer erhob am 23. Februar 2011 sofortige Beschwerde gegen den Beschluss des Landgerichts.

20. Am 15. März 2011 verwarf das Oberlandesgericht Hamm unter Bestätigung der vom Landgericht vorgebrachten Gründe die sofortige Beschwerde des Beschwerdeführers.

3. Das Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht

21. Mit Schriftsatz vom 1. April 2011 reichte der Beschwerdeführer Verfassungsbeschwerde beim Bundesverfassungsgericht ein. Er brachte vor, dass seine bereits mehr als 28 Jahre andauernde Unterbringung unverhältnismäßig sei und daher sein verfassungsmäßiges Recht auf Freiheit und das grundgesetzliche Rechtsstaatsprinzip verletzt habe. Dass die Gerichte ihre Einschätzung, er sei gegenwärtig noch gefährlich, auf mehr als 28 Jahre zurückliegende Straftaten sowie auf einen Zwischenfall während der Vollstreckung seiner Unterbringungsanordnung, der mehr als 20 Jahre zurückliege, gestützt hätten, sei unzureichend gewesen. Darüber hinaus hätten die Sachverständigen und die Gerichte bestätigt, dass bei ihm keine Therapie mehr durchgeführt werde und dass es unklar sei, ob er für die Allgemeinheit immer noch eine Gefahr darstelle.

22. Am 27. Juli 2011 lehnte es das Bundesverfassungsgericht ohne Angabe von Gründen ab, die Verfassungsbeschwerde des Beschwerdeführers zur Entscheidung anzunehmen (2 BvR 735/11).

C. Der Vollzug der Unterbringung des Beschwerdeführers in einem psychiatrischen Krankenhaus

23. Der Beschwerdeführer nahm während seiner Unterbringung in dem psychiatrischen Krankenhaus an mehreren Therapiemaßnahmen teil, unter anderem an Sozial- und Psychotherapie. Nachdem es dem Beschwerdeführer mehrfach nicht gelungen war, eine sexualtherapeutische Maßnahme abzuschließen, beschloss die Leitung des psychiatrischen Krankenhauses L., die Sexualtherapiebestrebungen eine Zeit lang ruhen zu lassen. 2006 wurde der Beschwerdeführer in den sogenannten „Long-Stay“-Bereich des Krankenhauses überstellt, wo er während des für das in Rede stehende Verfahren maßgeblichen Zeitraums untergebracht war und wo er keine Sexualtherapie erhielt. Ziel der Unterbringung des Beschwerdeführers im „Long-Stay“-Bereich war vielmehr, ihm eine Entlastung von den gescheiterten Bestrebungen, eine Sexualtherapie zu absolvieren, zu verschaffen. Er wurde in psychotherapeutischen Einzelgesprächen mit einem Psychologen darauf vorbereitet, erneut eine Sexualtherapie anzugehen. Allerdings wurden Angebote, erneut eine solche Einzel- oder Gruppentherapie aufzunehmen, von ihm wiederholt zurückgewiesen.

24. Der Beschwerdeführer geht in einem Betrieb auf dem Gelände des psychiatrischen Krankenhauses einer Arbeit nach. Bei den mehrmals im Jahr stattfindenden begleiteten Ausgängen hat er Familienangehörige besucht.

D. Weitere Entwicklungen

25. Am 18. Januar 2012 ordnete das Landgericht Paderborn unter Bestätigung der in seiner früheren Entscheidung aufgeführten Gründe die Fortdauer der Unterbringung des Beschwerdeführers in einem psychiatrischen Krankenhaus an. Es schloss sich der von dem Vertreter des psychiatrischen Krankenhauses geäußerten Ansicht an, dass Sadismus nicht geheilt werden könne, und war der Auffassung, dass die hochgradige Gefahr bestehe, dass der Beschwerdeführer erneut schwere Straftaten gegen das Leben und die sexuelle Selbstbestimmung anderer begehen werde. Am 20. März 2012 wies das Oberlandesgericht Hamm die sofortige Beschwerde des Beschwerdeführers zurück.

II. EINSCHLÄGIGES INNERSTAATLICHES RECHT

A. Bestimmungen zur Schuldfähigkeit

26. § 20 StGB enthält Vorschriften über die Schuldunfähigkeit aufgrund psychischer Störungen. Danach handelt ohne Schuld, wer bei Begehung der Tat wegen einer krankhaften seelischen Störung, wegen einer tiefgreifenden Bewusstseinsstörung oder wegen Schwachsinns oder einer schweren anderen seelischen Abartigkeit unfähig ist, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln.

27. In § 21 StGB ist die verminderte Schuldfähigkeit geregelt. Danach kann die Strafe gemildert werden, wenn die Fähigkeit des Täters, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, aus einem der in § 20 StGB bezeichneten Gründe bei Begehung der Tat erheblich vermindert ist.

B. Bestimmungen zur Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus

1. Die Anordnung der Unterbringung einer Person in einem psychiatrischen Krankenhaus

28. § 63 StGB sieht vor, dass das Gericht die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus ohne Angabe einer Höchstdauer anordnet, wenn jemand eine rechtswidrige Tat im Zustand der Schuldunfähigkeit (§ 20 StGB) oder der verminderten Schuldfähigkeit (§ 21 StGB) begangen hat und die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Tat ergibt, dass von ihm infolge seines Zustands erhebliche rechtswidrige Taten zu erwarten sind und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich ist. Diese Maßregel der Besserung und Sicherung (siehe §§ 61 ff. StGB) soll die Untergebrachten durch Therapie resozialisieren und die Allgemeinheit vor weiteren erheblichen rechtswidrigen Taten schützen (siehe § 1 Abs. 1 Maßregelvollzugsgesetz von Nordrhein-Westfalen).

2. Die gerichtliche Überprüfung und die Dauer der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus

29. Nach § 67e StGB kann das Gericht (d. h. die zuständige Strafvollstreckungskammer) jederzeit prüfen, ob die weitere Vollstreckung der Unterbringung einer Person in einem psychiatrischen Krankenhaus zur Bewährung auszusetzen oder für erledigt zu erklären ist. Dies muss vor Ablauf bestimmter Fristen geschehen (§ 67e Abs. 1 StGB). Für in einem psychiatrischen Krankenhaus untergebrachte Personen beträgt die Frist ein Jahr (§ 67e Abs. 2).

30. § 67d StGB enthält Bestimmungen über die Dauer der Unterbringung. In Absatz 2 ist festgelegt, dass, sofern keine Höchstfrist vorgesehen oder die Frist noch nicht abgelaufen ist, das Gericht die weitere Vollstreckung der Unterbringung zur Bewährung aussetzt, wenn zu erwarten ist, dass die untergebrachte Person nach ihrer Entlassung keine rechtswidrigen Taten mehr begehen wird. Mit der Aussetzung tritt Führungsaufsicht ein.

31. § 67d Abs. 6 StGB sieht insbesondere vor, dass das Gericht die weitere Vollstreckung der Maßregel für erledigt erklärt, wenn es nach Beginn der Vollstreckung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus feststellt, dass die Voraussetzungen der Maßregel nicht mehr vorliegen oder diese unverhältnismäßig wäre. Mit der Erledigung der Maßregel tritt Führungsaufsicht ein.

C. Bestimmung zur Jugendstrafe

32. Nach § 18 Abs. 1 JGG beträgt das Höchstmaß der Freiheitsstrafe, die wegen einer Straftat gegen einen jugendlichen Straftäter (zwischen vierzehn und achtzehn Jahren) verhängt werden kann, zehn Jahre.

RECHTLICHE WÜRDIGUNG

BEHAUPTETE VERLETZUNG VON ARTIKEL 5 ABSATZ 1 DER KONVENTION

33. Der Beschwerdeführer rügte, dass die Anordnung der Fortdauer seiner Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus – ohne, dass er noch therapiert werde, auf der Grundlage unzureichender Sachverständigengutachten und für über 28 Jahre – sein Recht auf Freiheit verletzt habe. Er berief sich auf Artikel 5 Abs. 1 der Konvention, der, soweit maßgeblich, wie folgt lautet:

„1. Jede Person hat das Recht auf Freiheit und Sicherheit. Die Freiheit darf nur in den folgenden Fällen und nur auf die gesetzlich vorgeschriebene Weise entzogen werden:

a) rechtmäßige Freiheitsentziehung nach Verurteilung durch ein zuständiges Gericht;

e) rechtmäßige Freiheitsentziehung mit dem Ziel, die Verbreitung ansteckender Krankheiten zu verhindern, sowie bei psychisch Kranken, Alkohol- oder Rauschgiftsüchtigen und Landstreichern; […]“

34. Die Regierung trat diesem Vorbringen entgegen.

A. Zulässigkeit

35. Der Gerichtshof stellt fest, dass diese Rüge nicht im Sinne von Artikel 35 Abs. 3 Buchst. a der Konvention offensichtlich unbegründet ist. Sie ist auch nicht aus anderen Gründen unzulässig. Folglich ist sie für zulässig zu erklären.

B. Begründetheit

1. Die Stellungnahmen der Parteien

(a) Der Beschwerdeführer

36. Der Beschwerdeführer vertrat die Auffassung, dass die Anordnung der Fortdauer seiner Unterbringung Artikel 5 Abs. 1 der Konvention verletzt habe. Sie sei weder nach Buchst. e, einer eigens die psychiatrische Unterbringung betreffenden Bestimmung, noch, soweit anwendbar, nach Buchst. a dieses Artikels gerechtfertigt gewesen.

37. Der Beschwerdeführer brachte vor, dass kein kausaler Zusammenhang im Sinne von Artikel 5 Abs. 1 Buchst. a zwischen seiner Verurteilung und seiner fortdauernden Unterbringung, einer reinen Präventivmaßnahme, bestehe.

38. Der Beschwerdeführer trug ferner vor, dass seine Unterbringung fortdaure, obwohl selbst anhand der Berichte, die nach einer unzureichenden Exploration durch medizinische Sachverständige erstellt worden seien, nicht belegt worden sei, dass er an einer psychischen Erkrankung leide, was seiner Meinung nach nicht der Fall sei. Die innerstaatlichen Gerichte hätten nicht festgestellt, an welcher Krankheit er genau leide; einige der von den Sachverständigen diagnostizierten Störungen, insbesondere die Persönlichkeitsstörung, könnten nicht als Krankheiten eingestuft werden. In jedem Fall rühre die behauptete Gefahr, die er darstelle, nicht von einer psychischen Erkrankung her.

39. Außerdem trug der Beschwerdeführer vor, dass er seit 2005 keine Therapie mehr erhalten und so keine Perspektive auf ein Leben in Freiheit habe. Er gab an, dass er bereit sei, an weiteren sozialtherapeutischen Maßnahmen teilzunehmen; diese stünden aber am Ort seiner gegenwärtigen Unterbringung nicht zur Verfügung. Er könne nicht dazu gezwungen werden, Therapeuten bei einer Sexualtherapie intime Gedanken anzuvertrauen, da dies sein Recht auf Privatsphäre verletze.

40. In jedem Fall erachte er die Fortdauer seiner Unterbringung angesichts der Gesamtdauer seiner Freiheitsentziehung von etwa 30 Jahren als unverhältnismäßig. Er unterstrich, dass er für keine weitere Straftat verurteilt worden sei als die eine, als Jugendlicher von ihm begangene Tat, derer er 1982[1] für schuldig befunden worden sei, und die nicht als äußerst schwere Straftat eingestuft werden könne. Freiheitsstrafen für Jugendliche dürften zehn Jahre nicht überschreiten und auch die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus solle nicht über diese Frist hinausgehen.

(b) Die Regierung

41. Die Regierung trug vor, dass die Unterbringung des Beschwerdeführers in einem psychiatrischen Krankenhaus mit Artikel 5 Abs. 1 der Konvention vereinbar gewesen sei. Sie sei sowohl nach Buchst. a als auch nach Buchst. e dieser Bestimmung gerechtfertigt gewesen.

42. Die Regierung machte insbesondere geltend, dass die Freiheitsentziehung des Beschwerdeführers als Freiheitsentziehung nach Verurteilung im Sinne von Artikel 5 Abs. 1 Buchst. a gerechtfertigt sei. Es bestehe nach wie vor ein Kausalzusammenhang zwischen der Verurteilung des Beschwerdeführers durch das Landgericht Münster und der Fortdauer seiner Unterbringung, da die Unterbringung des Beschwerdeführers noch immer zum Schutz der Allgemeinheit erfolge. Alle medizinischen Sachverständigen stimmten, wenn auch unter Heranziehung unterschiedlicher Terminologie, darin überein, dass der Beschwerdeführer nach wie vor an derselben psychischen Erkrankung leide, und zwar einer pathologischen Persönlichkeitsstörung mit schizoiden und dissozialen Anteilen sowie einer Störung der Sexualpräferenz einschließlich Sadismus. Da er im Rahmen der Sexualtherapie nicht in der Lage gewesen sei, sich mit seinem Zustand und den von ihm begangenen schwersten Sexualstraftaten auseinanderzusetzen, bestehe im Falle seiner Entlassung die hochgradige Gefahr, dass er weitere gravierende Sexualstraftaten begehen werde.

43. Die Regierung bestätigte, dass der Beschwerdeführer gegenwärtig im sogenannten „Long-Stay“-Bereich des psychiatrischen Krankenhauses untergebracht sei, wo er keine Sexualtherapie erhalte. Mit seiner Überstellung in diesen Bereich sei beabsichtigt gewesen, ihm nach seinen wiederholt gescheiterten Versuchen, eine Sexualtherapie zu absolvieren, eine Entlastung zu ermöglichen. Er führe Einzelgespräche mit einem Therapeuten. Er werde darauf vorbereitet, erneut eine auf seine sexuellen Straftaten bezogene Therapie aufzunehmen und abzuschließen. Bisher habe der Beschwerdeführer allerdings wiederholt Angebote eines Therapieneustarts abgelehnt.

44. Die Regierung trug vor, dass auch ungeachtet der Dauer der Unterbringung des Beschwerdeführers in einem psychiatrischen Krankenhaus diese Unterbringung verhältnismäßig sei. Sie betonte, dass diese Frage von dem Landgericht in seiner Entscheidung geprüft worden sei. Der Beschwerdeführer habe eine sehr schwerwiegende Sexualstraftat begangen, sei anschließend rückfällig geworden und habe sich während seiner gesamten Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus einer Sexualtherapie verweigert. Unter diesen Umständen gehe das Sicherheitsinteresse der Allgemeinheit den Freiheitsinteressen des Beschwerdeführers vor.

2. Würdigung durch den Gerichtshof

(a) Zusammenfassung der einschlägigen Grundsätze

45. Der Gerichtshof weist erneut darauf hin, dass in Artikel 5 Abs. 1 Buchst. a bis f eine erschöpfende Liste zulässiger Gründe für die Freiheitsentziehung enthalten ist; Freiheitsentziehung kann je nach den Umständen nach einem oder mehreren Buchstaben gerechtfertigt sein (siehe Witold Litwa ./. Polen, Individualbeschwerde Nr. 26629/95, Rdnr. 49, ECHR 2000-III mit weiteren Verweisen).

46. Freiheitsentziehung „nach“ Verurteilung im Sinne von Artikel 5 Abs. 1 Buchst. a bedeutet, dass zwischen der Verurteilung und der in Rede stehenden Freiheitsentziehung ein hinreichender Kausalzusammenhang bestehen muss (siehe u. a. Kafkaris ./. Zypern [GC], Individualbeschwerde Nr. 21906/04, Rdnr. 117, ECHR 2008). Jedoch wird die Verbindung zwischen der ursprünglichen Verurteilung und der weiteren Freiheitsentziehung mit zunehmendem Zeitablauf allmählich schwächer. Der nach Buchst. a erforderliche Kausalzusammenhang könnte schließlich durchbrochen werden, wenn eine Position erreicht würde, in der die Entscheidung, keine Freilassung anzuordnen, sich auf Gründe stützte, die mit den Zielen der ursprünglichen Entscheidung (durch ein erkennendes Gericht) unvereinbar wären, oder auf eine Einschätzung, die im Hinblick auf diese Ziele unangemessen wäre. Unter diesen Umständen würde sich eine Freiheitsentziehung, die zu Beginn rechtmäßig war, in eine willkürliche Freiheitsentziehung verwandeln, die folglich mit Artikel 5 nicht vereinbar wäre (siehe M. ./. Deutschland, Individualbeschwerde Nr. 19359/04, Rdnr. 88, ECHR 2009 mit weiteren Verweisen).

47. Die Entscheidung, einen Untergebrachten nicht zu entlassen, kann mit den Zielen der von dem erkennenden Gericht für diese Person erlassenen Unterbringungsanordnung nicht mehr vereinbar sein, wenn die Person untergebracht und diese Unterbringung später verlängert wird, weil die Gefahr gegeben ist, dass sie weitere Straftaten begeht, dieser Person aber zugleich die erforderlichen Mittel wie geeignete Therapien vorenthalten werden, mit denen sie beweisen könnte, dass sie nicht mehr gefährlich ist (siehe O. ./. Deutschland, Individualbeschwerde Nr. 36035/04, Rdnr. 74, 22. März 2012; und H. W. ./. Deutschland, Individualbeschwerde Nr. 17167/11, Rdnr. 112, 19. September 2013).

48. Die Verhältnismäßigkeit der Entscheidung, die Unterbringung einer Person zu verlängern, um die Allgemeinheit vor weiteren Straftaten dieser Person zu schützen, wird insbesondere in Frage gestellt, wenn die innerstaatlichen Gerichte offensichtlich über unzureichendes Material verfügten, welches die Schlussfolgerung nahelegte, dass die betreffende Person weiterhin eine Gefahr für die Allgemeinheit darstellt, vornehmlich, weil die Gerichte es unterließen, unabdingbare und aktuelle Sachverständigengutachten einzuholen (D. ./. Deutschland (Entsch.), Individualbeschwerde Nr. 2894/08, 22. Januar 2013; und H. W. ./. Deutschland, a. a. O., Rdnr. 107; vgl. sinngemäß im Kontext von Artikel 5 Abs. 1 Buchst. e und Artikel 5 Abs. 4, Ruiz Rivera ./. Schweiz, Individualbeschwerde Nr. 8300/06, Rdnr. 60, 18. Februar 2014).

(b) Anwendung dieser Grundsätze auf die vorliegende Rechtssache

49. Bei der Prüfung der Frage, ob die Unterbringung des Beschwerdeführers mit Artikel 5 Abs. 1 in Einklang stand, stellt der Gerichtshof fest, dass seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus vom Landgericht Münster zusammen mit seiner Verurteilung unter anderem wegen versuchter Vergewaltigung und versuchten Mordes angeordnet wurde. Sie könnte daher sowohl nach Artikel 5 Abs. 1 Buchst. a als rechtmäßige Freiheitsentziehung nach Verurteilung durch ein zuständiges Gericht als auch nach Buchst. e dieser Bestimmung als Freiheitsentziehung bei einem „psychisch Kranken“ gerechtfertigt sein. Da die psychiatrische Unterbringung des Beschwerdeführers das Ergebnis einer strafrechtlichen Verurteilung ist, untersucht der Gerichtshof zunächst, ob seine Unterbringung nach Artikel 5 Abs. 1 Buchst. a gerechtfertigt war.

50. Die Unterbringung des Beschwerdeführers erfolgte „nach“ Verurteilung im Sinne dieser Bestimmung, wenn zwischen der strafrechtlichen Verurteilung des Beschwerdeführers im Jahr 1983 und seiner im Jahr 2011 angeordneten fortdauernden Unterbringung noch ein hinreichender Kausalzusammenhang bestand. Der Gerichtshof stellt fest, dass die innerstaatlichen Gerichte die Unterbringung des Beschwerdeführers in einem psychiatrischen Krankenhaus verlängerten, um zu verhindern, dass der Beschwerdeführer aufgrund seines psychischen Zustands weitere schwere, mit der Tat, für die er 1983 verurteilt worden war, vergleichbare Sexualstraftaten begeht. Das Landgericht Münster hatte seinerseits die Unterbringung des Beschwerdeführers in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet, weil zu erwarten gewesen sei, dass der Beschwerdeführer aufgrund seiner geistigen Entwicklungsverzögerung und insbesondere der sadistischen Neigungen, die sich in der Straftat, für die er verurteilt worden sei, manifestiert hätten, weitere rechtswidrige Taten begehen werde. Die Entscheidung der innerstaatlichen Gerichte, den Beschwerdeführer nicht zu entlassen, stand folglich mit den Zielen des Urteils des erkennenden Gerichts in Einklang.

51. Vor diesem Hintergrund nimmt der Gerichtshof ferner das Vorbringen des Beschwerdeführers zur Kenntnis, dass er keine Therapie mehr erhalte und folglich keinerlei Perspektive auf ein Leben in Freiheit habe. Der Gerichtshof wiederholt, dass das fehlende Angebot angemessener Therapie – durch die eine Person, der wegen ihrer Gefährlichkeit die Freiheit entzogen wird, in die Lage versetzt wird zu beweisen, dass sie nicht mehr gefährlich ist – dazu führen kann, dass die Entscheidung, die untergebrachte Person nicht zu entlassen, mit den Zielen der von dem erkennenden Gericht für die Person erlassenen Unterbringungsanordnung nicht mehr vereinbar ist (siehe Rdnr. 47).

52. Der Gerichtshof stellt fest, dass zwischen den Parteien unstreitig ist, dass der Beschwerdeführer zur maßgeblichen Zeit im sogenannten „Long-Stay“-Bereich des psychiatrischen Krankenhauses L. untergebracht war und dort nicht die von den innerstaatlichen Gerichten in Übereinstimmung mit den Feststellungen des von ihnen konsultierten psychiatrischen Sachverständigen als erforderlich erachtete Sexualtherapie absolvierte. Er nimmt jedoch die Erläuterung der Regierung zur Kenntnis, wonach mit seiner Überstellung in diesen Bereich vielmehr beabsichtigt gewesen sei, ihm nach mehreren gescheiterten Versuchen, eine Sexualtherapie zu absolvieren, eine Entlastung zu verschaffen. Zu der maßgeblichen Zeit sei er von einem Psychologen darauf vorbereitet worden, einen neuen Versuch zum Abschluss einer Sexualtherapie zu unternehmen, habe es jedoch wiederholt abgelehnt, erneut eine solche Einzel- oder Gruppentherapie aufzunehmen, da dies in sein Recht auf Privatsphäre eingreife.

53. Der Gerichtshof möchte betonen, dass der Zweck der Unterbringung des Beschwerdeführers in einem psychiatrischen Krankenhaus – eine Maßregel der Besserung und Sicherung – nicht nur darin bestand, die Allgemeinheit vor ihm zu schützen, solange er infolge seines Zustands gefährlich war, sondern gleichermaßen darauf abzielte, dem Beschwerdeführer die erforderliche Behandlung zur Verbesserung seines Gesundheitszustands anzubieten und damit seine Resozialisierung zu ermöglichen. Der Gerichtshof hat in diesem Zusammenhang wiederholt unterstrichen, dass die innerstaatlichen Behörden, um in einem psychiatrischen Krankenhaus untergebrachten Personen nicht die Aussicht auf Entlassung zu nehmen, dafür sorgen sollten, dass jede derartige Unterbringung mit wirksamen und konsequenten Therapiemaßnahmen einhergeht, deren Umsetzung von den innerstaatlichen Gerichten besonders genau geprüft werden sollte (vgl. u. a. F. ./. Deutschland (Entsch.), Individualbeschwerde Nr. 32705/06, 28. September 2010).

54. Daher ist es unerlässlich, dem Beschwerdeführer fortgesetzt geeignete Therapieangebote zur Verminderung seiner Gefährlichkeit für die Allgemeinheit zu unterbreiten. Unter Berücksichtigung der ihm zur Verfügung stehenden Unterlagen ist der Gerichtshof überzeugt, dass diese Bedingung während der Unterbringung des Beschwerdeführers zur maßgeblichen Zeit erfüllt war. In der Tat hat der Beschwerdeführer nicht bestritten, dass ihm die von den innerstaatlichen Gerichten aus begründetem Anlass als notwendig angesehene Therapie, d. h. Sexualtherapie, angeboten worden ist und bestätigt, dass er die Wiederaufnahme einer derartigen Therapie abgelehnt hat. Folglich stand in der vorliegenden Rechtssache die Entscheidung der innerstaatlichen Gerichte, den Beschwerdeführer nicht zu entlassen, mit den Zielen des Urteils des erkennenden Gerichts in Einklang.

55. Bei der Beurteilung der Frage, ob die Anordnung der Fortdauer der Unterbringung des Beschwerdeführers in einem psychiatrischen Krankenhaus auch auf einer Bewertung beruhte, die im Hinblick auf die von dem erkennenden Gericht mit dieser Maßnahme verfolgten Ziele angemessen war, stellt der Gerichtshof fest, dass sich dem Vorbringen des Beschwerdeführers zufolge die Entscheidung, seine Unterbringung zu verlängern, auf eine mit Hilfe von Sachverständigengutachten vorgenommene unzureichende Bewertung der Tatsachen bezüglich seiner behaupteten psychischen Erkrankung und seiner Gefährlichkeit stützte.

56. Der Gerichtshof stellt fest, dass die innerstaatlichen Gerichte ihre Einschätzung, dass der Beschwerdeführer noch immer, genau wie zur Tat- und Urteilszeit, an einer psychischen Erkrankung leide, die ihn zu einer Gefahr für die Allgemeinheit mache, auf einen hinreichend aktuellen, ein Jahr zuvor angefertigten Bericht des psychiatrischen Sachverständigen T. stützen. Hinsichtlich der im Lichte des Sachverständigengutachtens getroffenen Feststellungen der Gerichte ist der Gerichtshof überzeugt, dass diese über hinreichendes Material für die Schlussfolgerung im Sinne von § 67d StGB verfügten, dass der Beschwerdeführer an einer psychischen Störung leide, aufgrund derer die Gefahr bestehe, dass er weitere schwere Sexualstraftaten begehen werde. Sie schlossen sich der Auffassung des Sachverständigen an, dass der Beschwerdeführer insbesondere an einer durch das sogenannte Klinefelter-Syndrom ausgelösten schizoiden Persönlichkeitsstörung leide. Verbleibende Unklarheiten dahingehend, ob der Beschwerdeführer darüber hinaus immer noch an sadistischer Paraphilie leide, stellen diese Feststellungen nicht in Frage. Überdies ist es unstreitig, dass der Beschwerdeführer nicht in der Lage war, die von den innerstaatlichen Gerichten auf der Grundlage von Sachverständigengutachten als erforderlich erachtete Sexualtherapie zu absolvieren, um seine Gefährlichkeit, die sich in der von ihm begangenen schweren Sexualstraftat gezeigt hat, zu vermindern. Die Entscheidung der innerstaatlichen Gerichte, den Beschwerdeführer nicht zu entlassen, beruhte folglich auf einer Bewertung, die in dieser Hinsicht keine Unangemessenheit erkennen lässt.

57. Bei der Prüfung, inwiefern die Verlängerung der psychiatrischen Unterbringung des Beschwerdeführers auf einer Bewertung beruhte, die im Hinblick auf das von dem erkennenden Gericht mit dieser Maßnahme verfolgte Ziel, die Allgemeinheit vor Sexualstraftaten zu schützen, angemessen war, nimmt der Gerichtshof ferner die Gesamtdauer der Unterbringung des Beschwerdeführers zur Kenntnis. Zum Zeitpunkt des in Rede stehenden Verfahrens war der 46 Jahre alte Beschwerdeführer für mehr als 28 Jahre, also für geraume Zeit, in einem psychiatrischen Krankenhaus untergebracht gewesen. Diese Unterbringung war wegen einer Straftat angeordnet worden, die der Beschwerdeführer als Siebzehnjähriger begangen hatte.

58. Der Gerichtshof stellt fest, dass nach innerstaatlichem Recht die Freiheitsstrafe für eine von einem Jugendlichen begangene Straftat zwar nicht über zehn Jahre hinausgehen darf, aber keine Höchstdauer für die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gilt (siehe Rdnrn. 32 und 28). Er ist allerdings der Auffassung, dass die Verhältnismäßigkeit der Verlängerung einer Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus umso genauer geprüft werden muss, je länger die Unterbringung andauert (siehe sinngemäß im Kontext von Artikel 5 Abs. 1 Buchst. e F., a. a. O.; G. ./. Deutschland (Entsch.) Individualbeschwerde Nr. 53783/09, 18. Oktober 2011; und K. ./. Deutschland (Entsch.), Individualbeschwerde Nr. 48057/10, Rdnr. 60, 19. März 2013).

59. Der Gerichtshof stellt fest, dass das Landgericht Paderborn, dem sich das Oberlandesgericht anschloss, auf die Frage der Verhältnismäßigkeit der Fortdauer der Unterbringung des Beschwerdeführers in einer, wenn auch relativ knappen, Begründung eingegangen ist. Die innerstaatlichen Gerichte stützen ihre Entscheidung auf die Tatsache, dass die von dem Beschwerdeführer begangenen Straftaten – versuchte Vergewaltigung in Tateinheit mit sexueller Nötigung sowie gefährliche Körperverletzung und versuchter Mord und Körperverletzung zum Nachteil eines vierzehnjährigen Mädchens – schwerwiegend waren; dieser Einschätzung schließt sich der Gerichtshof an. Außerdem waren sie, wie bereits dargelegt aus begründetem Anlass, der Auffassung, es bestehe die Gefahr, dass der Beschwerdeführer im Falle seiner Entlassung weitere vergleichbare schwerwiegende Sexualstraftaten begehen werde. In Anbetracht dieser Faktoren kommt der Gerichtshof zu dem Schluss, dass die Einschätzung der innerstaatlichen Gerichte, die fortdauernde Unterbringung des Beschwerdeführers sei erforderlich, obwohl sie bereits geraume Zeit andaure, auch in dieser Hinsicht keine Unangemessenheit erkennen lässt.

60. Folglich bestand noch immer ein hinreichender Kausalzusammenhang zwischen der strafrechtlichen Verurteilung des Beschwerdeführers aus dem Jahr 1983 und seiner in Rede stehenden Unterbringung im Sinne von Artikel 5 Abs. 1 Buchst. a.

61. Die Anordnung der Fortdauer der Unterbringung des Beschwerdeführers in einem psychiatrischen Krankenhaus durch das Strafvollstreckungsgericht, die auf §§ 67d und 67e i. V. m. § 63 StGB beruhte, war außerdem rechtmäßig und erfolgte auf die gesetzlich vorgeschriebene Weise, wie nach Artikel 5 Abs. 1 Buchst. a erforderlich.

62. In Anbetracht der Tatsache, dass die Unterbringung des Beschwerdeführers folglich nach Artikel 5 Abs. 1 Buchst. a gerechtfertigt war, hält es der Gerichtshof nicht für erforderlich, zu prüfen, ob diese Unterbringung darüber hinaus auch nach Artikel 5 Abs. 1 Buchst. e gerechtfertigt war.

63. Folglich ist Artikel 5 Abs. 1 der Konvention nicht verletzt worden.

AUS DIESEN GRÜNDEN ENTSCHEIDET DER GERICHTSHOF EINSTIMMIG:

1. Die Rüge nach Artikel 5 Abs. 1 der Konvention wird für zulässig erklärt.

2. Artikel 5 Abs. 1 der Konvention ist nicht verletzt worden.

Ausgefertigt in Englisch und schriftlich zugestellt am 25. Februar 2016 nach Artikel 77 Abs. 2 und 3 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs.

Claudia Westerdiek                                       Ganna Yudkivska
Kanzlerin                                                         Präsidentin

__________

[1] Die Straftat erfolgte 1982, die Verurteilung im Januar 1983. [Anm. d. Übers.]

Zuletzt aktualisiert am Dezember 10, 2020 von eurogesetze

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