RECHTSSACHE PRADE ./. DEUTSCHLAND (Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte) Individualbeschwerde Nr. 7215/10

Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte
FÜNFTE SEKTION
RECHTSSACHE P. ./. DEUTSCHLAND
(Individualbeschwerde Nr. 7215/10)
URTEIL
STRASSBURG
3. März 2016

Dieses Urteil wird nach Maßgabe des Artikels 44 Absatz 2 der Konvention endgültig. Es wird gegebenenfalls noch redaktionell überarbeitet.

In der Rechtssache P. ./. Deutschland

hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (Fünfte Sektion) als Kammer mit den Richterinnen und Richtern

Ganna Yudkivska, Präsidentin,
Angelika Nußberger,
Khanlar Hajiyev,
Erik Møse,
Faris Vehabović,
Síofra O’Leary
und Carlo Ranzoni
sowie Claudia Westerdiek, Sektionskanzlerin,

nach nicht öffentlicher Beratung am 9. Februar 2016

das folgende Urteil erlassen, das am selben Tag angenommen wurde.

VERFAHREN

1. Der Rechtssache lag eine Individualbeschwerde (Nr. 7215/10) gegen die Bundesrepublik Deutschland zugrunde, die ein deutscher Staatsangehöriger, P. („der Beschwerdeführer“), am 2. Februar 2010 nach Artikel 34 der Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten („die Konvention“) beim Gerichtshof eingereicht hatte.

2. Der Beschwerdeführer wurde von Herrn R., Rechtsanwalt in H., vertreten. Die deutsche Regierung („die Regierung“) wurde durch ihren Verfahrensbevollmächtigten, Herrn H.-J. Behrens vom Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz, vertreten.

3. Der Beschwerdeführer rügte insbesondere, dass durch die Verwertung von Beweismitteln, die bei einer unrechtmäßigen Wohnungsdurchsuchung zufällig gefunden worden seien, Artikel 6 Abs. 1 der Konvention verletzt worden sei.

4. Am 18. November 2014 wurde die Beschwerde der Regierung übermittelt.

SACHVERHALT

I. DIE UMSTÄNDE DER RECHTSSACHE

5. Der 19.. geborene Beschwerdeführer ist in H. wohnhaft.

A. Der Hintergrund der Rechtssache

6. Der Beschwerdeführer ist Jurist und als Beamter beim Finanzamt tätig. Im Jahr 1995 war der Beschwerdeführer Mitglied im Vorstand der Ortsgruppe eines eingetragenen Vereins. In dieser Eigenschaft eröffnete er ein Bankkonto für den Verein. Zeichnungsberechtigt waren er und zwei weitere Vereinsmitglieder. Auf dem Konto wurden Spenden und Mitgliedsbeiträge verbucht. Daher wurden die Kontodaten veröffentlicht, zum Beispiel in Broschüren. Im Jahr 2000 schied der Beschwerdeführer aus dem Vereinsvorstand aus.

7. Im Jahr 2003 wurde die Polizei von einem Dritten darüber informiert, dass er über eBay eine Uhr gekauft habe. Die Uhr habe sich als Fälschung erwiesen. Nach dieser Erkenntnis habe er versucht, den Kauf rückgängig zu machen, aber der Verkäufer – von dem ihm nur die E-Mail-Adresse „X“ bekannt gewesen sei – habe dies abgelehnt. Die polizeilichen Ermittlungen ergaben, dass bei eBay als Nutzer der E-Mail-Adresse „X“ ein gewisser Herr D. registriert war. Das für die E-Mail-Adresse „X“ eingetragene Konto war das Konto des oben erwähnten Vereins. Ermittlungen ergaben ferner, dass verschiedene andere bei eBay registrierte Nutzer das Vereinskonto des oben erwähnten Vereins als ihre Bankverbindung angegeben hatten. Die Polizei fand auch heraus, dass der Nutzer der Adresse „X“ über eBay mit Computerprogrammen gehandelt hatte. Eine Untersuchung der Transaktionen auf dem Vereinskonto des oben erwähnten Vereins ergab, dass lediglich ein Zahlungsvorgang mit eBay-Bezug zu verzeichnen war: Am 7. Oktober 2003 hatte eBay versucht, Gebühren (36,33 EUR) einzuziehen. Der oben erwähnte Verein hatte der Zahlung widersprochen und diese wurde am 27. November 2003 zurückgebucht. Herr D. wurde von der Polizei vernommen. Er gab glaubhaft an, dass er mit der E-Mail-Adresse „X“ bzw. dem Bankkonto des oben erwähnten Vereins nichts zu tun habe.

B. Der Durchsuchungsbeschluss für die Wohnung des Beschwerdeführers

8. Am 21. September 2004 erließ das Amtsgericht München auf Antrag der Staatsanwaltschaft München I einen Durchsuchungsbeschluss für die Wohnung des Beschwerdeführers (und die Wohnungen dreier weiterer Mitglieder des oben erwähnten Vereins, die zeichnungsberechtigt für das Vereinskonto waren) wegen des Verdachts der „Markenpiraterie“, begangen durch den Verkauf von gefälschten Waren wie Uhren und Computerprogrammen. Mit dem Durchsuchungsbeschluss wurde genehmigt, Computer und Unterlagen zu suchen und zu beschlagnahmen, die Informationen über die Veräußerung der gefälschten Uhr und der Computerprogramme enthielten.

C. Die Durchsuchung der Wohnung des Beschwerdeführers

9. Am 8. Dezember 2004 wurde die (in Gemeinschaft bewohnte) Wohnung des Beschwerdeführers in H. durchsucht. Die Polizeibeamten fanden nicht, wonach sie gesucht hatten. Stattdessen fanden die Polizeibeamten in der Wohnung durch Zufall 463,732 Gramm Haschisch mit einem Gehalt von 39,09 Gramm reinem THC (Tetrahydrocannabinol) sowie zwei nicht funktionstüchtige Waagen. Die Menge und Qualität des Haschischs wurden von einem Sachverständigen festgestellt. Die Menge war ausreichend für 2606 Konsumeinheiten. Das hinsichtlich der vermuteten „Markenpiraterie“ eingeleitete Strafverfahren wurde eingestellt. Allerdings wurde gegen den Beschwerdeführer ein neues Verfahren wegen des Besitzes von und Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge eingeleitet.

D. Das Verfahren zur Anfechtung des Durchsuchungsbeschlusses und der Durchsuchung der Wohnung des Beschwerdeführers

1. Das Verfahren vor dem Amtsgericht München und dem Landgericht München I zur Anfechtung der Rechtmäßigkeit des Durchsuchungsbeschlusses und der Wohnungsdurchsuchung

10. Der anwaltlich vertretene Beschwerdeführer legte bei den Strafgerichten Beschwerde gegen den Durchsuchungsbeschluss ein und trug vor, dass der Beschluss und folglich auch die Durchsuchung unrechtmäßig gewesen seien und ihn in seinem Grundrecht auf die Unverletzlichkeit seiner Wohnung nach Art. 13 GG (siehe Rdnr. 22) verletzt hätten. Das Amtsgericht München und das Landgericht München I verwarfen die Beschwerde.

2. Das erste Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht zur Anfechtung der Rechtmäßigkeit des Durchsuchungsbeschlusses und der Wohnungsdurchsuchung

11. Der Beschwerdeführer erhob daraufhin Verfassungsbeschwerde zum Bundesverfassungsgericht.

12. Am 13. November 2005 befand das Bundesverfassungsgericht die Beschwerde für offensichtlich begründet und stellte eine Verletzung von Art. 13 GG fest; es erklärte die Wohnungsdurchsuchung für rechtswidrig und hob den Durchsuchungsbeschluss sowie die Beschlüsse des Amtsgerichts und des Landgerichts auf. Das Gericht ließ offen, ob angesichts der wenigen Anhaltspunkte für den Anfangsverdacht einer von dem Beschwerdeführer möglicherweise begangenen „Markenpiraterie“ die Anordnung einer Durchsuchung gerechtfertigt war. In jedem Fall entschied das Bundesverfassungsgericht aber, dass bei Abwägung der wenigen Anhaltspunkte für den Verdacht einer von dem Beschwerdeführer möglicherweise begangenen „Markenpiraterie“ gegenüber dem mit einer Wohnungsdurchsuchung verbundenen massiven Eingriff in das Grundrecht des Beschwerdeführers auf die Unverletzlichkeit seiner Wohnung der Erlass eines Durchsuchungsbeschlusses und folglich auch die Durchsuchung unverhältnismäßig gewesen seien. Es wäre möglich und erforderlich gewesen, vor einer Durchsuchung der Wohnung des Beschwerdeführers andere, grundrechtsschonendere Ermittlungsschritte vorzunehmen.

E. Das in Rede stehende Verfahren

1. Der erste Abschnitt des Strafverfahrens vor dem Amtsgericht Hamburg

13. Am 29. Juli 2005 erhob die Staatsanwaltschaft Hamburg Anklage gegen den Beschwerdeführer wegen des Besitzes von und Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge. Am 24. Januar 2006 verurteilte das Amtsgericht Hamburg den Beschwerdeführer wegen eines minder schweren Falles des Besitzes von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer zehnmonatigen Freiheitsstrafe, die zur Bewährung ausgesetzt wurde. Dem Urteil lag ausschließlich der bei der Wohnungsdurchsuchung am 8. Dezember 2004 gemachte Haschischfund zugrunde.

2. Der erste Abschnitt des Strafverfahrens vor dem Oberlandesgericht Hamburg

14. Der Beschwerdeführer legte beim Oberlandesgericht Hamburg Revision ein und trug vor, er hätte freigesprochen werden müssen, weil die bei der Wohnungsdurchsuchung gefundenen Beweismittel in dem strafrechtlichen Verfahren wegen Betäubungsmittelbesitzes nicht verwertet werden dürften. Da das Bundesverfassungsgericht den Durchsuchungsbeschluss aufgehoben habe, seien die Polizeibeamten nicht zum Betreten der Wohngemeinschaft des Beschwerdeführers berechtigt gewesen und hätten folglich niemals eine rechtmäßige Möglichkeit gehabt, die Betäubungsmittel in der Wohnung des Beschwerdeführers zu finden. Darüber hinaus sei die Beschlagnahme des Haschischs von dem rechtswidrigen Durchsuchungsbeschluss nicht einmal abgedeckt gewesen. Der Eingriff in das Recht des Beschwerdeführers auf die Unverletzlichkeit seiner Wohnung sei so schwerwiegend gewesen, dass die Beweismittel, die zufällig bei der Wohnungsdurchsuchung gefunden worden waren, nicht gegen den Beschwerdeführer verwertet werden dürften.

15. Am 5. September 2006 hob das Oberlandesgericht das amtsgerichtliche Urteil auf und verwies die Sache zurück an das Amtsgericht, weil es der Auffassung war, dieses habe nicht hinreichend untersucht, ob das Haschisch dem Beschwerdeführer gehört habe. Da der Beschwerdeführer in einer Wohngemeinschaft lebe, hätten der Raum und demnach auch die Betäubungsmittel jedem anderen Mitbewohner gehören können. Hinsichtlich der Verwertbarkeit der Beweismittel befand das Oberlandesgericht, dass das bei der Durchsuchung gefundene Haschisch als Beweismittel gegen den Beschwerdeführer verwertet werden könne. Die Verletzung der Grundrechte des Beschwerdeführers im Hinblick auf das Strafverfahren wegen Markenpiraterie sei nicht so schwer gewesen, dass das Interesse des Beschwerdeführers an der Unverletzlichkeit seiner Wohnung das öffentliche Interesse an der Strafverfolgung überwiege. Das Oberlandesgericht verwies auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (siehe Rdnr. 26), der zufolge unrechtmäßig erlangte Beweismittel in Strafverfahren verwertet werden dürfen, sofern nach umfassender Abwägung der verschiedenen betroffenen Interessen das öffentliche Interesse an der Strafverfolgung nicht hinter das Recht des Betroffenen auf Unverletzlichkeit seiner Wohnung zurücktreten müsse und die Rechte des Betroffenen nicht absichtlich verletzt wurden. Es wiederholte die Feststellung des Bundesverfassungsgerichts, dass die Grundrechte des Beschwerdeführers schwer verletzt worden seien (siehe Rdnr. 12). Ob der Durchsuchungsbeschluss hinreichend präzise gewesen sei oder nicht und ob ein ausreichender Anfangsverdacht für den Erlass eines Durchsuchungsbeschlusses bestanden habe oder nicht, könne dahinstehen, denn selbst unter der Annahme, dies sei nicht der Fall gewesen, würden die erlangten Beweismittel durch diese Mängel nicht unrechtmäßig. Wegen der Schwere der Straftat des Betäubungsmittelbesitzes und der erheblichen Menge des gefundenen Haschischs überwiege das öffentliche Interesse an der Strafverfolgung das Interesse des Beschwerdeführers an der Unverletzlichkeit seiner Wohnung. Außerdem seien die Rechte des Beschwerdeführers nicht bewusst verletzt worden, die Durchsuchung der Wohnung sei nicht willkürlich erfolgt und die Menge des gefundenen Haschischs würde eine Wohnungsdurchsuchung theoretisch gerechtfertigt haben. Das Oberlandesgericht war folglich der Auffassung, dass das bei der Durchsuchung gefundene Haschisch als Beweismittel gegen den Beschwerdeführer verwertet werden könne.

3. Das erste Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht zur Anfechtung der Verwertbarkeit der bei der Wohnungsdurchsuchung gefundenen Beweismittel

16. Aufgrund rechtlicher Unklarheiten hinsichtlich der Bindungswirkung der Feststellungen des Oberlandesgerichts zur Verwertbarkeit der bei der Wohnungsdurchsuchung gefundenen Beweismittel gegenüber den vorinstanzlichen Gerichten erhob der Beschwerdeführer Verfassungsbeschwerde zum Bundesverfassungsgericht. Am 27. Dezember 2006 verwarf das Bundesverfassungsgericht die Beschwerde als unzulässig.

4. Die Fortführung des Strafverfahrens vor dem Amtsgericht Hamburg

17. In dem fortgeführten Verfahren vor dem Amtsgericht Hamburg erklärte der Beschwerdeführer, dass das Zimmer, in dem das Haschisch gefunden worden war, ausschließlich von ihm genutzt werde. Am 18. April 2007 sprach das Amtsgericht den Beschwerdeführer frei und urteilte, dass das bei der Wohnungsdurchsuchung gefundene Haschisch nicht als Beweismittel gegen ihn verwertet werden könne. Das Gericht führte aus, dass nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (siehe Rdnr. 26) eine rechtswidrige Wohnungsdurchsuchung nicht automatisch zur Folge habe, dass die dabei beschlagnahmten Beweismittel in dem Verfahren gegen den Betroffenen nicht verwertet werden dürften. Es könne jedoch ein Verwertungsverbot bestehen, wenn der Eingriff in das Recht des Beschwerdeführers auf die Unverletzlichkeit seiner Wohnung besonders schwer gewesen sei. Das Gericht wog zwischen dem öffentlichen Interesse an der Verfolgung der Straftat des Betäubungsmittelbesitzes und dem Interesse des Beschwerdeführers an der Unverletzlichkeit seiner Wohnung ab. Es war der Auffassung, dass der Anfangsverdacht einer von dem Beschwerdeführer möglicherweise begangenen Markenpiraterie derart vage gewesen sei, dass der Erlass eines Durchsuchungsbeschlusses in keiner Weise gerechtfertigt gewesen sei. Folglich sei das Recht des Beschwerdeführers auf die Unverletzlichkeit seiner Wohnung in so schwerwiegender Weise verletzt worden, dass trotz der Schwere der Straftat des Betäubungsmittelbesitzes und der erheblichen Menge des gefundenen Haschischs das öffentliche Interesse an der Strafverfolgung das Interesse des Beschwerdeführers an der Unverletzlichkeit seiner Wohnung nicht überwiegen könne.

5. Das Verfahren vor dem Landgericht Hamburg

18. Am 5. Oktober 2007 hob das Landgericht Hamburg, auf Berufung der Staatsanwaltschaft, den Freispruch auf und verurteilte den Beschwerdeführer wegen eines minder schweren Falles des Besitzes von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten, die zur Bewährung ausgesetzt wurde. Hinsichtlich der Frage, ob der Beschwerdeführer in Besitz der Betäubungsmittel gewesen sei, stützte sich das Landgericht auf eine Einlassung des Beschwerdeführers vom 13. März 2007, der zufolge das Zimmer, in dem das Haschisch gefunden worden war, nur von ihm genutzt werde. Außerdem sah sich das Landgericht an die Feststellungen des Oberlandesgerichts in dessen Urteil vom 5. September 2006 (siehe Rdnr. 15) zur Verwertbarkeit des Haschischs als einzigem Beweismittel gebunden und befand folglich, dass das in der Wohnung des Beschwerdeführers aufgefundene Haschisch als Beweismittel gegen ihn verwertet werden könne. Darüber hinaus stellte das Gericht klar, dass es selbst dann, wenn die Ausführungen des Oberlandesgerichts zu dieser Frage nicht bindend sein sollten, gleichwohl aus eigener Überzeugung der Auffassung sei, dass bei Abwägung des Interesses des Beschwerdeführers an der Unverletzlichkeit seiner Wohnung gegenüber dem öffentlichen Interesse an der Strafverfolgung Letzteres überwiege und das Beweismittel demnach verwertbar sei.

6. Der zweite Abschnitt des Strafverfahrens vor dem Oberlandesgericht Hamburg

19. Der Beschwerdeführer legte daraufhin erneut Revision beim Oberlandesgericht ein und trug vor, dass das Landgericht die Beweismittel nicht hätte verwerten dürfen. Am 16. September 2008 verwarf das Oberlandesgericht die Revision. Das Gericht wog zwischen dem öffentlichen Interesse an der Verfolgung der Straftat des Betäubungsmittelbesitzes und dem Interesse des Beschwerdeführers an der Unverletzlichkeit seiner Wohnung ab. Es war der Auffassung, dass angesichts der Schwere der Straftat des Betäubungsmittelbesitzes und der erheblichen Menge des gefundenen Haschischs das öffentliche Interesse an der Strafverfolgung das Interesse des Beschwerdeführers an der Unverletzlichkeit seiner Wohnung überwiege, da die Rechte des Beschwerdeführers nicht bewusst verletzt worden seien, die Durchsuchung der Wohnung nicht willkürlich erfolgt sei und die Menge des gefundenen Haschischs eine Wohnungsdurchsuchung theoretisch gerechtfertigt haben würde.

7. Der zweite Abschnitt des Verfahrens vor dem Bundesverfassungsgericht zur Anfechtung der Verwertbarkeit der bei der Wohnungsdurchsuchung gefundenen Beweismittel

20. Der Beschwerdeführer erhob erneut Verfassungsbeschwerde und trug vor, dass die Verwertung der Beweismittel sein Recht auf die Unverletzlichkeit seiner Wohnung nach Art. 13 GG sowie sein Recht auf ein faires Verfahren nach Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 20 Abs. 3 GG verletze (siehe Rdnr. 23). Am 2. Juli 2009 lehnte es das Bundesverfassungsgericht ab, die Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung anzunehmen (2 BvR 2225/08). Die Entscheidung wurde dem Rechtsanwalt des Beschwerdeführers am 3. August 2009 zugestellt. Das Gericht prüfte das Vorbringen des Beschwerdeführers in erster Linie nach Art. 13 GG. Es befand, dass das Oberlandesgericht bei seiner Abwägung aller betroffenen Interessen weder willkürlich noch unangemessen vorgegangen sei und die Verurteilung des Beschwerdeführers, auch wenn sie allein auf den bei der Wohnungsdurchsuchung gefundenen Beweismitteln beruhe, diesen nicht in seinen Grundrechten verletze. Im Hinblick auf das Vorbringen des Beschwerdeführers, dass die Verwertung des beschlagnahmten Haschischs als Beweismittel gegen ihn sein Recht nach Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 20 Abs. 3 GG verletzt habe, führte das Gericht aus, dass der Fairnessgrundsatz in einer Weise umgesetzt worden sei, die weder ungerechtfertigt noch willkürlich genannt werden könne. Somit seien die Grundrechte des Beschwerdeführers nicht verletzt worden.

F. Das Disziplinarverfahren

21. Da der Beschwerdeführer Beamter war, wurde angesichts der Strafsache gegen ihn auch ein Disziplinarverfahren eingeleitet. Das Disziplinarverfahren ruhte während des Strafverfahrens. Nach der strafrechtlichen Verurteilung des Beschwerdeführers stellte die zuständige Behörde förmlich ein Dienstvergehen fest und stellte das Disziplinarverfahren ein, da das Vergehen nicht solcher Art oder Schwere gewesen sei, dass es eine Disziplinarmaßnahme erfordert hätte.

II. EINSCHLÄGIGES INNERSTAATLICHES RECHT UND EINSCHLÄGIGE INNERSTAATLICHE PRAXIS

22. Art. 13 des Grundgesetzes garantiert die Unverletzlichkeit der Wohnung einer Person. Er lautet, soweit maßgeblich, wie folgt:

Art. 13 GG

„(1) Die Wohnung ist unverletzlich.

(2) Durchsuchungen dürfen nur durch den Richter, bei Gefahr im Verzuge auch durch die in den Gesetzen vorgesehenen anderen Organe angeordnet und nur in der dort vorgeschriebenen Form durchgeführt werden. […]“

23. Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 20 Abs. 3 GG garantiert das Recht auf ein faires Verfahren. Die Bestimmungen lauten, soweit maßgeblich, wie folgt:

Art. 2 GG

„(1) Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt. […]“

Art. 20 GG

„[…]

(3) Die Gesetzgebung ist an die verfassungsmäßige Ordnung, die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung sind an Gesetz und Recht gebunden. […]“

24. In den §§ 102 bis 108 der Strafprozessordnung ist festgelegt, unter welchen Voraussetzungen und mittels welcher Vorgehensweise die Wohnung einer Person durchsucht und Gegenstände beschlagnahmt werden können. Diese Bestimmungen lauten, soweit maßgeblich, wie folgt:

§ 102 StPO
[Durchsuchung bei Beschuldigten]

„Bei dem, welcher als Täter oder Teilnehmer einer Straftat oder der Begünstigung, Strafvereitelung oder Hehlerei verdächtig ist, kann eine Durchsuchung der Wohnung und anderer Räume sowie seiner Person und der ihm gehörenden Sachen sowohl zum Zweck seiner Ergreifung als auch dann vorgenommen werden, wenn zu vermuten ist, dass die Durchsuchung zur Auffindung von Beweismitteln führen werde.“

§ 105 StPO
[Anordnung der Durchsuchung; Durchführung]

„(1) Durchsuchungen dürfen nur durch den Richter, bei Gefahr im Verzug auch durch die Staatsanwaltschaft und ihre Ermittlungspersonen […] angeordnet werden. […]“

§ 108 StPO
[Beschlagnahme anderer Gegenstände]

„(1) Werden bei Gelegenheit einer Durchsuchung Gegenstände gefunden, die zwar in keiner Beziehung zu der Untersuchung stehen, aber auf die Verübung einer anderen Straftat hindeuten, so sind sie einstweilen in Beschlag zu nehmen. Der Staatsanwaltschaft ist hiervon Kenntnis zu geben. […]“

25. Das deutsche Strafgesetzbuch enthält abgesehen von § 136a StGB, der bestimmt, dass Geständnisse, die durch Folter oder durch unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder rechtswidrige Nötigung erlangt wurden, einem Beweisverwertungsverbot unterliegen, keine allgemeinen Regeln für die Verwertbarkeit von Beweismitteln.

26. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (siehe u. a. 2 BvR 2017/94 und 2 BvR 2039/94 vom 1. März 2000; 2 BvR 1990/96 vom 27. April 2000; 2 BvR 75/94 vom 27. April 2000; 2 BvR 2257/00 vom 8. November 2001; 2 BvR 1707/02 vom 9. Oktober 2003; 2 BvR 1502/04 vom 30. Juni 2005; und 2 BvR 784/08 vom 28. Juli 2008) und des Bundesgerichtshofs (siehe u. a. 5 StR 190/91 vom 27. Februar 1992) besteht allerdings in Strafverfahren kein absolutes Verwertungsverbot für Beweismittel, die unter Verstoß gegen die Verfahrensvorschriften erlangt wurden. Grundsätzlich haben die Gerichte alle zur Verfügung stehenden Beweismittel zu berücksichtigen, um objektiv die Schuld oder Unschuld eines Angeschuldigten feststellen zu können, da ein Staat nicht funktionsfähig ist, wenn er nicht gewährleistet, dass Straftäter verfolgt und verurteilt werden (siehe Bundesverfassungsgericht, 2 BvL 7/71, 19. Juli 1972). Daher muss ein Beweisverwertungsverbot die Ausnahme bleiben (siehe Bundesgerichtshof, 3 StR 181/98, 11. November 1998). Unabdingbar ist ein solches Verbot jedoch bei schwerwiegenden, bewussten oder willkürlichen Verfahrensverstößen, bei denen systematisch Grundrechte missachtet wurden. Ein solches Verbot ist auch dann unerlässlich, wenn Beweismittel unter Verletzung von Grundrechten erlangt wurden, die den Kernbereich der privaten Lebensgestaltung betreffen (siehe Bundesverfassungsgericht, 2 BvR 446/98 vom 15. Juli 1998; 2 BvR 1027/02 vom 12. April 2005; und 2 BvR 954/02 vom 16. März 2006). Ob ein Beweisverwertungsverbot besteht oder nicht, kann nicht grundsätzlich, sondern nur einzelfallbezogen entschieden werden.

RECHTLICHE WÜRDIGUNG

I. BEHAUPTETE KONVENTIONSVERLETZUNG AUFGRUND DER VERWERTUNG VON UNRECHTMÄSSIG ERLANGTEN BEWEISMITTELN IN DEM VERFAHREN

27. Der Beschwerdeführer rügte, dass er durch die Verwertung der bei der Vollstreckung eines ungültigen Durchsuchungsbeschlusses erlangten Beweismittel in dem gegen ihn geführten Verfahren in seinen Konventionsrechten verletzt worden sei. Er berief sich auf das Recht auf ein faires Verfahren (Artikel 6 Abs. 1) und das Recht auf Achtung seines Privatlebens (Artikel 8). Der Gerichtshof ist der Auffassung, dass die Rüge des Beschwerdeführers allein nach Artikel 6 Abs. 1 der Konvention zu prüfen ist, der, soweit maßgeblich, wie folgt lautet:

„Jede Person hat ein Recht darauf, dass […] über eine gegen sie erhobene strafrechtliche Anklage von einem […] Gericht in einem fairen Verfahren […] verhandelt wird.“

28. Die Regierung trat diesem Vorbringen entgegen.

A. Zulässigkeit

29. Der Gerichtshof stellt fest, dass diese Rüge nicht im Sinne von Artikel 35 Abs. 3 Buchst. a der Konvention offensichtlich unbegründet ist. Sie ist auch nicht aus anderen Gründen unzulässig. Folglich ist sie für zulässig zu erklären.

B. Begründetheit

1. Die Stellungnahmen der Parteien

a) Der Beschwerdeführer

30. Der Beschwerdeführer war der Ansicht, dass die Verwertung der Beweismittel seinem Recht auf ein faires Verfahren entgegenstand, da der Eingriff in sein Recht auf die Unverletzlichkeit seiner Wohnung schwerwiegender Art war. In dieser Hinsicht machte er geltend, dass der Durchsuchungsbeschluss willkürlich und eine rechtmäßige Durchsuchung seiner Wohnung nicht möglich gewesen sei, da der Anfangsverdacht einer durch ihn möglicherweise begangenen Markenpiraterie zu vage gewesen sei. Der Beschwerdeführer betonte, dass das bei der unrechtmäßigen Wohnungsdurchsuchung gefundene Haschisch das einzige Beweismittel sei. Seine Aussage hinsichtlich der ausschließlich durch ihn erfolgenden Nutzung des Zimmers, in dem das Haschisch gefunden worden war, könne nicht als Beweismittel angesehen werden, da sie sich nicht auf das gefundene Haschisch beziehe. Schließlich trug er vor, dass das öffentliche Interesse an der Strafverfolgung nicht sein Recht auf Unverletzlichkeit seiner Wohnung überwiegen könne, da die Straftat geringfügige Auswirkungen auf die Öffentlichkeit gehabt habe und die Verletzung seiner Grundrechte schwerwiegend gewesen sei. Sein Fall sei daher mit der Rechtssache J. ./. Deutschland ([GK], Individualbeschwerde Nr. 54810/00, Rdnrn. 94-96, ECHR 2006‑IX) vergleichbar.

b) Die Regierung

31. Die Regierung war der Ansicht, dass das Verfahren fair gewesen ist. Die innerstaatlichen Gerichte hätten sich in ihren Entscheidungen ausführlich mit der Frage der Verwertbarkeit von Beweismitteln auseinandergesetzt. Dabei hätten sie die Grundrechte des Beschwerdeführers sehr sorgfältig gegen das öffentliche Interesse an der Strafverfolgung abgewogen. Der Umstand, dass kein Anfangsverdacht wegen eines Betäubungsmitteldelikts bestanden habe, werde durch die Menge des gefundenen Haschischs ausgeglichen, die den Erlass eines Durchsuchungsbeschlusses gestattet hätte. Die Abwägung der innerstaatlichen Gerichte sei somit angemessen. Der Sachverhalt des Falles sei nicht mit dem der Rechtssache J. (a. a. O.) vergleichbar. Außerdem habe der Beschwerdeführer in allen Verfahrensstadien von der Möglichkeit Gebrauch gemacht, sich gegen die Verwertung der unrechtmäßig erlangten Beweismittel zu wenden. Schließlich würden die Umstände, unter denen das Haschisch gefunden wurde, keine Zweifel an seiner Verlässlichkeit oder Genauigkeit als Beweismittel erwecken, und es sei auch nicht das einzige Beweismittel. Der zweite entscheidende Aspekt für die strafrechtliche Verantwortlichkeit des Beschwerdeführers sei seine Aussage hinsichtlich der Nutzung des Zimmers, in dem das Haschisch gefunden worden sei.

2. Würdigung durch den Gerichtshof

a) Allgemeine Grundsätze

32. Der Gerichtshof stellt erneut fest, dass Artikel 6 zwar das Recht auf ein faires Verfahren garantiert, aber nicht die Zulässigkeit von Beweismitteln an sich regelt, da dieser Bereich in erster Linie dem innerstaatlichen Recht unterliegt (siehe Schenk ./. die Schweiz, 12. Juli 1988, Rdnr. 45, Serie A, Bd. 140; Teixeira de Castro ./. Portugal, 9. Juni 1998, Rdnr. 34, Urteils- und Entscheidungssammlung 1998‑IV; und J., a. a. O., Rdnrn. 94-96).

33. Es ist daher nicht Aufgabe des Gerichtshofs, grundsätzlich zu entscheiden, ob bestimmte Arten von Beweismitteln – z. B. solche, die nach Maßgabe des innerstaatlichen Rechts unrechtmäßig erlangt wurden – zulässig sind, oder aber ob der Beschwerdeführer schuldig oder unschuldig ist. Vielmehr ist die Frage zu beantworten, ob das Verfahren insgesamt, einschließlich der Art und Weise, in der die Beweismittel erlangt worden sind, fair war. Hierzu ist eine Prüfung der fraglichen „Unrechtmäßigkeit“ und, wenn es um die Verletzung eines weiteren nach der Konvention geschützten Rechts geht, der Art der festgestellten Verletzung erforderlich (siehe Bykov ./. Russland [GK], Individualbeschwerde Nr. 4378/02, Rdnr. 89, 10. März 2009; und Lee Davies ./. Belgien, Individualbeschwerde Nr. 18704/05, Rdnr. 41, 28. Juli 2009).

34. Um festzustellen, ob das Verfahren insgesamt fair war, ist auch zu berücksichtigen, ob die Rechte der Verteidigung gewahrt wurden. Dabei ist insbesondere zu prüfen, ob der Beschwerdeführer die Möglichkeit hatte, die Echtheit der Beweismittel anzufechten und ihrer Verwertung zu widersprechen (siehe Szilagyi ./. Rumänien (Entsch.), Individualbeschwerde Nr. 30164/04, 17. Dezember 2013). Zu berücksichtigen ist zudem die Qualität der Beweismittel einschließlich der Frage, ob die Umstände, unter denen sie erlangt wurden, Zweifel an ihrer Verlässlichkeit oder Genauigkeit aufkommen lassen (siehe u. a. Bykov, a. a. O., Rdnr. 90 und Lisica ./. Kroatien, Individualbeschwerde Nr. 20100/06, Rdnr. 49, 25. Februar 2010). Eine Frage der Fairness stellt sich zwar nicht zwangsläufig, wenn der erlangte Beweis nicht durch andere Mittel erhärtet wird, gleichwohl ist anzumerken, dass der Bedarf an stützenden Beweisen entsprechend geringer ausfällt, wenn das Beweismittel sehr klare Anhaltspunkte liefert und keine Gefahr besteht, dass es unzuverlässig ist (siehe Lee Davies, a. a. O., Rdnr. 42; Bykov, a. a. O., Rdnr. 90).

35. Ferner kann bei der Entscheidung über die Frage, ob das Verfahren insgesamt fair gewesen ist, das Gewicht des öffentlichen Interesses an der Ermittlung und Bestrafung der jeweils in Rede stehenden Straftat berücksichtigt und gegen das Interesse des Einzelnen abgewogen werden, dass die ihn belastenden Beweismittel rechtmäßig erlangt werden (siehe J. ./. Deutschland [GK], Individualbeschwerde Nr. 54810/00, Rdnr. 97, ECHR 2006‑IX).

b) Anwendung auf den vorliegenden Fall

36. Um im Lichte der oben genannten Grundsätze zu entscheiden, ob das Verfahren des Beschwerdeführers fair gewesen ist, wird der Gerichtshof zunächst die „Unrechtmäßigkeit“ der Gewinnung der Beweismittel im Falle des Beschwerdeführers prüfen.

37. Der Gerichtshof stellt eingangs fest, dass die im Rahmen eines anderen strafrechtlichen Verfahrens gegen den Beschwerdeführer durchgeführte Wohnungsdurchsuchung, die zum Auffinden der Betäubungsmittel führte, nicht mit dem innerstaatlichen Recht in Einklang stand. Das Bundesverfassungsgericht hob den Durchsuchungsbeschluss auf, da diesem zu wenige Anhaltspunkten für den Verdacht einer von dem Beschwerdeführer möglicherweise begangenen „Markenpiraterie“ zugrunde gelegen hatten und folglich kein hinreichender Grund zur Rechtfertigung des mit einer Wohnungsdurchsuchung verbundenen massiven Eingriffs in die Grundrechte des Beschwerdeführers bestand. Allerdings hatten die Behörden, wie nach Artikel 13 des Grundgesetzes vorgeschrieben, vor der Durchsuchung eine richterliche Genehmigung eingeholt. Im vorliegenden Fall deutet nichts darauf hin, dass die Polizeibeamten bei der Einholung und Vollstreckung des Durchsuchungsbeschlusses bösgläubig handelten oder vorsätzlich gegen formelle Regelungen verstießen (vgl. K. ./. Deutschland (Entsch.), Individualbeschwerde Nr. 31890/06, 23. Juni 2009).

38. Der Gerichtshof stellt fest, dass der Beschwerdeführer die wirksame Möglichkeit hatte, die Verwertung der bei der Vollstreckung des unrechtmäßigen Durchsuchungsbeschlusses erlangten Beweismittel anzufechten. Er widersprach dieser Verwertung in allen drei Rechtszügen und machte geltend, dass das öffentliche Interesse an der Strafverfolgung nicht sein Recht auf Unverletzlichkeit seiner Wohnung überwiegen könne. Sein Vorbringen wurde von den Gerichten in allen Instanzen berücksichtigt.

39. Der Gerichtshof hat nunmehr die Qualität des fraglichen Beweismittels zu prüfen. Was die Schwere des Eingriffs anbelangt, stellt der Gerichtshof fest, dass sich der vorliegende Fall deutlich von der Rechtssache J. (a. a. O.) unterscheidet. In der Rechtssache J. hatten die Behörden gegen den Willen des Beschwerdeführers einen schwerwiegenden Eingriff in seine körperliche und psychische Unversehrtheit vorgenommen und die Beweismittel folglich durch eine Maßnahme erlangt, die Artikel 3, und damit eines der durch die Konvention garantierten Kernrechte, verletzte (siehe J., a. a. O., § 82); im vorliegenden Fall hingegen wurden die Beweismittel durch eine gegen innerstaatliches Recht verstoßende Maßnahme erlangt, die nicht gegen Artikel 3 verstieß. Hinsichtlich der Frage, ob die Umstände, unter denen die Beweismittel erlangt wurden, Zweifel an ihrer Verlässlichkeit oder Genauigkeit aufkommen lassen, merkt der Gerichtshof an, dass zwischen den Parteien unstrittig ist, dass die Beweismittel in der Wohnung in einem Zimmer gefunden wurden, das ausschließlich von dem Beschwerdeführer genutzt wurde (siehe Rdnr. 18). Ferner wurden die Menge und Qualität des Haschischs von einem Sachverständigen bestimmt, dessen Feststellungen von dem Beschwerdeführer in keinem Stadium des Verfahrens angefochten wurden. Es bestehen folglich keine Zweifel an der Verlässlichkeit oder Genauigkeit der Beweismittel (im Gegensatz dazu Layijov ./. Aserbaidschan, Individualbeschwerde Nr. 22062/07, Rdnr. 75, 10. April 2014; Horvatić ./. Kroatien, Individualbeschwerde Nr. 36044/09, Rdnr. 84, 17. Oktober 2013 und Lisica, a. a. O., Rdnr. 57).

40. Hinsichtlich der Bedeutung des streitigen Beweismittels für die strafrechtliche Verurteilung des Beschwerdeführers (vgl. Lisica, a. a. O., Rdnr. 57) stellt der Gerichtshof fest, dass nach den Feststellungen des Bundesverfassungsgerichts das angefochtene Material in der vorliegenden Rechtssache tatsächlich das einzige gegen den Beschwerdeführer vorliegende Beweismittel war (siehe Rdnr. 20). Er merkt weiterhin an, dass das Landgericht sich auf die von dem Beschwerdeführer selbst abgegebene schriftliche Erklärung stützte, dass er in Besitz der Betäubungsmittel gewesen sei. Der Gerichtshof erinnert daran, dass es von den Umständen des Falles abhängt, ob das Vorliegen von anderen als den angefochtenen Beweismitteln erheblich ist. Unter den vorliegenden Umständen, unter denen die in der Wohnung des Beschwerdeführers gefundenen Stoffe klare Anhaltspunkte lieferten und keine Gefahr bestand, dass sie unzuverlässig waren, war der Bedarf an stützenden Beweisen entsprechend geringer (vgl. Lee Davies, a. a. O., Rdnr. 52).

41. Schließlich kann bei der Entscheidung über die Frage, ob das Verfahren insgesamt fair gewesen ist, das Gewicht des öffentlichen Interesses an der Ermittlung und Bestrafung der jeweils in Rede stehenden Straftat berücksichtigt und gegen das Interesse des Einzelnen abgewogen werden, dass die ihn belastenden Beweismittel rechtmäßig erlangt werden. Der Gerichtshof stellt fest, dass sich die innerstaatlichen Gerichte detailliert mit dem Vorbringen des Beschwerdeführers bezüglich der Verwertung des Beweismittels auseinandersetzten und ausführlich begründeten, warum sie der Auffassung waren, dass es in dem in Rede stehenden Strafverfahren verwertet werden durfte, obwohl es bei einer unrechtmäßigen Wohnungsdurchsuchung erlangt worden war. Sie wogen zwischen dem öffentlichen Interesse an der Verfolgung der Straftat des Betäubungsmittelbesitzes und dem Interesse des Beschwerdeführers an der Unverletzlichkeit seiner Wohnung ab. Anders als in der Rechtssache J. (a. a. O., Rdnr. 107), bei der die innerstaatlichen Behörden der Ansicht waren, die Verwertung von Beweismitteln, die durch die zwangsweise Verabreichung von Brechmitteln erlangt worden waren, sei nach innerstaatlichem Recht zulässig, war den Gerichten in der vorliegenden Rechtssache bei der Würdigung der verfügbaren Beweise bewusst, dass es in ihrem Ermessen stand, die unrechtmäßig gewonnenen Beweismittel von der Verwertung auszuschließen. Unter diesen Umständen und da die innerstaatlichen Gerichte ferner die beträchtliche Menge des aufgefundenen Haschischs (im Gegensatz zur Rechtssache J., bei der nur eine geringe Menge Kokain gefunden wurde) berücksichtigten, war ihre Schlussfolgerung, wonach das öffentliche Interesse den Grundrechten des Beschwerdeführers vorgehe, sorgfältig und umfassend begründet und ließ keine Anzeichen von Willkür oder Unverhältnismäßigkeit erkennen.

42. Nach Prüfung der Garantien, die hinsichtlich der Beurteilung der Zulässigkeit und Verlässlichkeit der betreffenden Beweismittel bestanden, der Art und der Schwere der Unrechtmäßigkeit und der Verwendung, der das durch die angefochtene Durchsuchung gewonnene Material zugeführt wurde, stellt der Gerichtshof fest, dass das Verfahren in der Rechtssache des Beschwerdeführers insgesamt nicht den Anforderungen an ein faires Verfahrens widersprochen hat.

43. Folglich ist Artikel 6 Abs. 1 der Konvention nicht verletzt worden.

II. BEHAUPTETE WEITERE KONVENTIONSVERLETZUNG

44. Der Beschwerdeführer rügte weiterhin nach Artikel 8 der Konvention, dass er durch den Durchsuchungsbeschluss und die Wohnungsdurchsuchung in seinem Recht auf Achtung seines Privatlebens und seiner Wohnung verletzt worden sei.

45. Diesbezüglich merkt der Gerichtshof an, dass die Sechsmonatsfrist nach Artikel 35 Abs. 1 der Konvention am Tag der „endgültigen“ Entscheidung einsetzte. Hinsichtlich des Durchsuchungsbeschlusses und der Wohnungsdurchsuchung ist das die erste Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 13. November 2005. Der Gerichtshof kommt zu dem Schluss, dass die vorliegende, am 2. Februar 2010 eingelegte Individualbeschwerde diesbezüglich außerhalb der Sechsmonatsfrist eingelegt wurde. Folglich ist dieser Teil der Beschwerde nach Artikel 35 Abs. 1 und 4 der Konvention zurückzuweisen.

AUS DIESEN GRÜNDEN ENTSCHEIDET DER GERICHTSHOF EINSTIMMIG:

1. Die Rüge nach Artikel 6 Abs. 1 der Konvention bezüglich der Verwertung der bei einer unrechtmäßigen Wohnungsdurchsuchung gefundenen Beweismittel in dem Verfahren wird für zulässig und die Individualbeschwerde im Übrigen für unzulässig erklärt;

2. Artikel 6 Abs. 1 der Konvention ist nicht verletzt worden.

Ausgefertigt in Englisch und schriftlich zugestellt am 3. März 2016 nach Artikel 77 Abs. 2 und 3 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs.

Claudia Westerdiek                                 Ganna Yudkivska
Kanzlerin                                                    Präsidentin

Zuletzt aktualisiert am Dezember 10, 2020 von eurogesetze

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert