Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte
FÜNFTE SEKTION
ENTSCHEIDUNG
Individualbeschwerde Nr. 52205/11
V. GmbH & CO. KG
gegen Deutschland
Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (Fünfte Sektion) hat in seiner Sitzung am 15. März 2016 als Kammer mit den Richterinnen und Richtern
Ganna Yudkivska, Präsidentin,
Angelika Nußberger,
Khanlar Hajiyev,
André Potocki,
Faris Vehabović,
Yonko Grozev,
und Carlo Ranzoni
sowie Claudia Westerdiek, Sektionskanzlerin,
im Hinblick auf die oben genannte Individualbeschwerde, die am 18. August 2011 erhoben wurde,
nach Beratung wie folgt entschieden:
SACHVERHALT
1. Die Beschwerdeführerin, die V. GmbH & Co KG, war früher unter dem Namen V. GmbH als Unternehmen mit Sitz in D. eingetragen. Sie verlegte das wöchentlich erscheinende Wirtschaftsmagazin W. 2010 wurde sie in eine Kommanditgesellschaft umgewandelt; das Unternehmen besteht seitdem nicht mehr. Vor dem Gerichtshof wurde die Beschwerdeführerin von Herrn M., Rechtsanwalt in H., vertreten.
2. Der Sachverhalt, wie er von der Beschwerdeführerin vorgebracht worden ist, lässt sich wie folgt zusammenfassen:
1. Die in Rede stehende Fotomontage
3. In der W. vom 14. September 2000 erschien ein Beitrag über den Vorstandsvorsitzenden eines deutschen Konzerns. Der Beitrag setzte sich unter der Überschrift „Allmächtiger …“ kritisch mit dem Führungsstil des Vorstandsvorsitzenden und seinen Folgen für den Konzern auseinander.
4. Zu dem Beitrag gehörte eine Fotomontage, die insgesamt vier Mal in verschiedenen Größen in dem Magazin abgebildet war. Die Fotomontage zeigte ein bröckelndes Logo des Konzerns, auf dem eine Person mit dem Gesicht des Vorstandsvorsitzenden saß. Das Bild setzte sich aus dem Körper eines sitzenden Modells und einem Foto des Kopfes des Vorstandsvorsitzenden zusammen. Die Beschwerdeführerin hatte die Aufnahme des Kopfes der Bilddatenbank der Associated Press entnommen. Um Körper und Kopf zusammenzufügen, war die Fotografie des Kopfes vertikal gestreckt und horizontal gestaucht worden.
2. Das einstweilige Verfügungsverfahren
5. Der Vorstandsvorsitzende beantragte den Erlass einer einstweiligen Verfügung, um jede weitere Verbreitung der Fotomontage zu unterbinden. Er machte geltend, dass durch die Montage seines Kopfes auf einen anderen Körper und dadurch, dass sein Kopf in der Fotomontage korpulenter erscheine als in Wirklichkeit, sein Ruf geschädigt werde. Er gab an, dass insbesondere seine Wangen länger, sein Kinn fülliger und sein Hals kürzer erschienen.
6. Am 26. September 2000 erließ das Landgericht Hamburg die einstweilige Verfügung, ohne die Beschwerdeführerin anzuhören.
7. Am 3. November 2000 hob das Landgericht Hamburg auf Widerspruch der Beschwerdeführerin die einstweilige Verfügung auf. Es stellte fest, dass die Fotomontage ein Werturteil in Form einer satirischen Abbildung darstelle, welche die in dem dazugehörigen Artikel zum Ausdruck gebrachte Kritik transportiere. Die geringfügigen Abweichungen und der „falsche“ Körper hätten den Vorstandsvorsitzenden nicht in einem Maße in seinen Persönlichkeitsrechten verletzt, dass ein Eingriff in die Meinungsfreiheit der Beschwerdeführerin gerechtfertigt wäre. Das Gericht führte auch aus, dass es nicht seine Aufgabe sei, einzuschätzen, ob die Beschwerdeführerin eine „bessere“, weniger verletzende Fotomontage hätte gestalten können, da die Ausdrucksform dem Autor oder Künstler vorbehalten sei. Ferner sei der Satirecharakter der Abbildung offensichtlich, da der durchschnittliche Leser nicht davon ausgehen würde, dass der auf einem bröckelnden Logo sitzende Vorstandsvorsitzende eine realitätsgetreue Darstellung sei.
8. Am 30. Januar 2001 setzte das Hanseatische Oberlandesgericht die einstweilige Verfügung wieder in Kraft. Es befand, bei der Abbildung sei zwischen dem Logo und der abgebildeten Person zu trennen. Während es offensichtlich sei, dass das Logo eine satirische Abbildung sei, sei die Manipulation des Kopfes, insbesondere die Streckung und Stauchung, weniger offenkundig. Folglich gehe der durchschnittliche Leser davon aus, dass das Bild des Vorstandsvorsitzenden der Realität entspreche. Aufgrund dieser „unwahren“ Abbildung würden die Persönlichkeitsrechte des Vorstandsvorsitzenden der Meinungsfreiheit der Beschwerdeführerin vorgehen.
3. Das Hauptsacheverfahren
9. Am 6. Juli 2001 erhielt das Landgericht Hamburg die einstweilige Verfügung hinsichtlich der Unterlassung jeder weiteren Verbreitung der Fotomontage aufrecht.
10. Am 12. Februar 2002 wies das Hanseatische Oberlandesgericht die von der Beschwerdeführerin eingelegte Berufung zurück. Es wiederholte, dass das manipulierte Foto des Vorstandsvorsitzenden diesen in einem unzutreffenden, ungünstigen und unvorteilhaften Licht zeige. Da die Manipulation allerdings so geringfügig sei, würde der durchschnittliche Leser die Verzerrung nicht erkennen. Das Gericht befand, dass der Vorstandsvorsitzende diese unzutreffende und manipulierte Abbildung seiner selbst in der Presse nicht hinnehmen müsse.
11. Am 30. September 2003 hob der Bundesgerichtshof das Urteil des Oberlandesgerichts auf. Er befand, dass die satirische Abbildung nicht in einzelne Bestandteile zerlegt werden könne, sondern im Ganzen zu bewerten sei. Daher sei der Satirecharakter der Abbildung offensichtlich und ein typischer Leser würde nicht davon ausgehen, eine realitätsgetreue Darstellung zu sehen. Da der Umfang der Veränderung so geringfügig gewesen sei, gehe die Meinungsfreiheit der Beschwerdeführerin den Persönlichkeitsrechten des Vorstandsvorsitzenden vor; dieser müsse die satirische Abbildung seiner Person hinnehmen. Der Bundesgerichtshof befand ferner, dass die Veröffentlichung des Fotos des Vorstandsvorsitzenden nicht in seinem Recht am eigenen Bild verletzt habe, da er als Vorstandsvorsitzender eines bekannten, früher staatlichen Unternehmens mit Monopolstellung eine relative Person der Zeitgeschichte sei. Da die Aktien des Unternehmens intensiv als „Volksaktien“ beworben würden und das Unternehmen noch immer eine führende Marktposition innehabe, sei der Führungsstil des Vorstandsvorsitzenden und dessen Folgen für das Unternehmen Gegenstand des Allgemeininteresses. Folglich sei die satirische Abbildung einschließlich der Veröffentlichung seines Fotos in Begleitung eines Wortbeitrags zu einer Debatte von allgemeinem Interesse legitim.
12. Am 14. Februar 2005 hob das Bundesverfassungsgericht das Urteil des Bundesgerichtshofs auf und verwies die Sache zurück (1 BvR 240/04). Es befand, dass Persönlichkeitsrechte grundsätzlich auch den Schutz vor der Verbreitung technisch manipulierter Fotos umfassten. Im Kontext einer satirischen Abbildung sei zu ermitteln, ob die Manipulation selbst satirischer Natur bzw. zur Erstellung der Abbildung technisch notwendig sei oder aber ob die Veränderungen unbedeutend seien. Unter Anwendung dieser Grundsätze auf die fragliche Fotomontage stellte es fest, die Beschwerdeführerin hätte ein Foto des Vorstandsvorsitzenden verwendet, um die Wirklichkeit abzubilden und die Person identifizierbar zu machen; die Abbildung der Person habe selbst keinen satirischen Wert. Folglich sei das unzutreffende Foto nur gerechtfertigt, wenn die Veränderungen technisch notwendig oder unbedeutend gewesen seien. Dies hätten allerdings die Instanzgerichte zu beurteilen.
13. Am 8. November 2005 verwies der Bundesgerichtshof die Sache zurück an das Oberlandesgericht, da dieses nicht festgestellt hatte, ob die Veränderungen technisch notwendig oder unbedeutend gewesen seien.
14. Am 7. Februar 2006 bestellte das Oberlandesgericht einen Sachverständigen für die Analyse der Manipulationen des Originalfotos des Vorstandsvorsitzenden; er sollte feststellen, in welchem Maße es verändert worden war. Der Sachverständige stellte fest, dass der Kopf um 8,7 % vertikal gestreckt und um 4,5 % horizontal gestaucht worden sei. Er erstellte darüber hinaus eine eigene Fotomontage, die zeigte, dass eine Zusammenfügung von Kopf und Körper auch möglich gewesen wäre, ohne die erwähnte Verzerrung vorzunehmen. Folglich kam er zu dem Schluss, dass die Manipulation nicht technisch notwendig gewesen sei.
15. Am 30. Oktober 2007 wies das Oberlandesgericht die Berufung der Beschwerdeführerin zurück und erhielt die ursprüngliche Unterlassungsverfügung hinsichtlich der weiteren Verbreitung der Fotomontage aufrecht. Das Gericht stellte fest, dass die nicht notwendigen Veränderungen des Fotos eine unzutreffende Aussage über das Erscheinungsbild des Vorstandsvorsitzenden vermittelten. Da die Manipulation nicht unbedeutend gewesen sei und zu einer unvorteilhaften und negativen Darstellung des Vorstandsvorsitzenden geführt habe, sei dieser in seinem allgemeinen Persönlichkeitsrecht verletzt worden. Diese Verletzung könne nicht durch die Meinungsfreiheit der Beschwerdeführerin gerechtfertigt werden.
16. Am 28. Oktober 2008 wies der Bundesgerichtshof die Beschwerde der Beschwerdeführerin gegen die Nichtzulassung der Revision zurück.
17. Am 15. Februar 2011 lehnte es das Bundesverfassungsgericht ohne Begründung ab, die von der Beschwerdeführerin eingelegte Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung anzunehmen (1 BvR 3349/08).
RÜGE
18. Die Beschwerdeführerin rügte nach Artikel 10 der Konvention die Unterlassungsverfügung hinsichtlich der weiteren Verbreitung der Fotomontage des Vorstandsvorsitzenden.
RECHTLICHE WÜRDIGUNG
19. Die Beschwerdeführerin rügte, dass sie durch die Verfügung in ihrer Pressefreiheit als Bestandteil des Rechts auf freie Meinungsäußerung verletzt werde. Sie berief sich auf Artikel 10 der Konvention. Dieser lautet, soweit maßgeblich:
Artikel 10
„1. Jede Person hat das Recht auf freie Meinungsäußerung. Dieses Recht schließt die Meinungsfreiheit und die Freiheit ein, Informationen und Ideen ohne behördliche Eingriffe […] zu empfangen und weiterzugeben.
2. Die Ausübung dieser Freiheiten ist mit Pflichten und Verantwortung verbunden; sie kann daher Formvorschriften, Bedingungen, Einschränkungen oder Strafdrohungen unterworfen werden, die gesetzlich vorgesehen und in einer demokratischen Gesellschaft notwendig sind […] zum Schutz des guten Rufes oder der Rechte anderer […]“
20. Die Beschwerdeführerin brachte vor, dass die Verfügung unverhältnismäßig gewesen sei, da die Manipulation von Fotos ein satirischen Abbildungen oder Fotomontagen immanentes Element sei. Gerechtfertigte Veränderungen sollten somit nicht auf technisch notwendige oder klar erkennbare Manipulationen eingegrenzt werden. Außerdem hätten sich die innerstaatlichen Gerichte, indem sie anhand der alternativen Fotomontage eines Sachverständigen die technische Notwendigkeit der Veränderungen beurteilt hätten, über die künstlerischen und journalistischen Freiheiten der Beschwerdeführerin hinsichtlich der Darstellungstechniken hinweggesetzt.
21. Der Gerichtshof stellt zunächst fest, dass die Unterlassungsverfügung einen Eingriff in das Recht der Beschwerdeführerin auf freie Meinungsäußerung darstellte und auf den einschlägigen Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuchs beruhte. Er merkt weiterhin an, dass sie dem Schutz des guten Rufes und der Rechte anderer dienen sollte. Der Gerichtshof beschränkt sich folglich bei seiner Prüfung auf die Frage, ob die Verfügung „in einer demokratischen Gesellschaft notwendig“ war.
22. Der Gerichtshof stellt ferner fest, dass in der vorliegenden Rechtssache eine Prüfung der Frage geboten ist, ob zwischen dem Recht der Beschwerdeführerin auf die nach Artikel 10 der Konvention garantierte Meinungsfreiheit und dem Recht des Vorstandsvorsitzenden auf Schutz des guten Rufes nach Artikel 8 ein gerechter Ausgleich herbeigeführt wurde. Nachdem der Gerichtshof bereits mit zahlreichen vergleichbaren, eine Prüfung des gerechten Ausgleichs erfordernden Streitigkeiten befasst war, verweist er auf die in seiner Rechtsprechung bezüglich der jeweils in Rede stehenden Rechte festgelegten Grundsätze (siehe Couderc und Hachette Filipacchi Associés ./. Frankreich [GK], Individualbeschwerde Nr. 40454/07, Rdnrn. 83-92, 10. November 2015; S. AG ./. Deutschland [GK], Individualbeschwerde Nr. 39954/08, Rdnrn. 78-88, 7. Februar 2012; H. ./. Deutschland (Nr. 2) [GK], Individualbeschwerden Nrn. 40660/08 und 60641/08, Rdnrn. 95-107, 7. Februar 2012).
23. Im Zusammenhang mit dem Ausgleich einander entgegenstehender Rechte hat der Gerichtshof insbesondere folgende maßgebliche Kriterien bestimmt: Beitrag zu einer Debatte von öffentlichem Interesse, Bekanntheitsgrad der betroffenen Person, Gegenstand des Nachrichtenbeitrags, früheres Verhalten des Betreffenden, Inhalt, Form und Auswirkungen der Veröffentlichung und ggfs. Umstände, unter denen die Fotos entstanden sind. Bei der Prüfung einer nach Artikel 10 erhobenen Beschwerde untersucht der Gerichtshof auch, auf welche Weise die Information erlangt wurde, sowie ihren Wahrheitsgehalt und die Schwere der gegen die Journalisten oder Verleger verhängten Strafe (siehe Couderc und Hachette Filipacchi Associés, Rdnr. 93; S. AG, Rdnrn. 90-95; und H. (Nr. 2), Rdnrn. 109-113, alle a. a. O.).
24. Hinsichtlich des Sachverhalts der vorliegenden Rechtssache stellt der Gerichtshof fest, dass die Fotomontage in einen Artikel über den Führungsstil des Vorstandsvorsitzenden und die Folgen für den deutschen Konzern eingebunden war. Der deutsche Konzern, ein ehemals staatliches Monopolunternehmen, wurde in eine Aktiengesellschaft umgewandelt; die entsprechenden Anteile wurden intensiv als „Volksaktien“ beworben. Da das Unternehmen weiterhin eine führende Marktposition innehatte, erkennt der Gerichtshof an, dass der Führungsstil des Vorstandsvorsitzenden dieses Unternehmens Gegenstand des öffentlichen Interesses war.
25. Hinsichtlich des Bekanntheitsgrades der von der Veröffentlichung betroffenen Person hat der Gerichtshof bereits in früheren Entscheidungen ausgeführt, dass es grundsätzlich in erster Linie den innerstaatlichen Gerichten obliegt, zu beurteilen, wie bekannt eine Person ist, vor allem, wenn es sich um eine hauptsächlich im Inland bekannte Persönlichkeit handelt (siehe S. AG ./. Deutschland, a. a. O., Rdnr. 98). Im vorliegenden Fall kam der Bundesgerichtshof zu dem Schluss, dass der Vorstandsvorsitzende aufgrund seiner Stellung eine relative Person der Zeitgeschichte sei. Diese Bewertung steht im Einklang mit der Rechtsprechung des Gerichtshofs, da dieser in einer früheren Entscheidung geurteilt hatte, dass der Manager eines der angesehensten Unternehmen eines Landes allein durch seine gesellschaftliche Stellung als Person des öffentlichen Lebens angesehen werden könne (siehe Verlagsgruppe News GmbH ./. Österreich (Nr. 2), Individualbeschwerde Nr. 10520/02, Rdnr. 36, 14. Dezember 2006).
26. Der Gerichtshof stellt ferner im Hinblick auf den Gegenstand des Nachrichtenbeitrags fest, dass der in Rede stehende Artikel das berufliche Verhalten des Vorstandsvorsitzenden betraf und dass das verwendete Foto lediglich seinen Kopf zeigte, an sich aber keine privaten Details preisgab. Überdies existierte das Originalfoto bereits und war der Bilddatenbank der Associated Press entnommen worden. In diesem Zusammenhang merkt der Gerichtshof außerdem an, dass der Vorstandsvorsitzende vor den innerstaatlichen Gerichten nicht die Verbreitung seines Fotos als solches, sondern nur dessen Manipulation rügte.
27. Was Inhalt und Form der Veröffentlichung anbelangt, stellt der Gerichtshof fest, dass dieses Kriterium im vorliegenden Fall eng mit dem Wahrheitsgehalt der Information verknüpft ist und somit beide Kriterien zusammen beurteilt werden müssen. Der Gerichtshof stellt fest, dass die in Rede stehende Fotomontage in satirischer Art und Weise die Aussage des Artikels transportierte. Sie vermittelte die Kritik an den autokratischen Führungsstil des Vorstandsvorsitzenden und mögliche Folgen für das Unternehmen, indem sie ihn sorglos auf einem bröckelnden Logo des deutschen Konzerns, sitzend zeigte. Der Gerichtshof stellt allerdings auch fest, dass das Bundesverfassungsgericht befand, dass die Veränderungen am Kopf des Vorstandsvorsitzenden nicht auf die satirische Botschaft der Fotomontage hindeuteten, sondern dass die Beschwerdeführerin dessen Foto verwendet habe, um die Wirklichkeit abzubilden und die Person identifizierbar zu machen. Der hinzugezogene Sachverständige stellte ferner fest, dass der Kopf um 8,7 % vertikal gestreckt und um 4,5 % horizontal gestaucht worden sei. Gestützt auf die Schlussfolgerung, dass die Darstellung der Person innerhalb der Abbildung keinen eigenen Satirewert habe, sondern den Eindruck erwecke, die Realität wiederzugeben, stellte das Oberlandesgericht fest, dass die Manipulation eine falsche Wiedergabe des Vorstandsvorsitzenden sei. Es war ferner der Ansicht, diese unzutreffende, ungünstige und unvorteilhafte Abbildung sei erkennbar, aber nicht technisch notwendig gewesen. Folglich gelangten die innerstaatlichen Gerichte zu dem Schluss, dass die Manipulation einen hinreichenden Schweregrad erreicht habe, um eine Verletzung von Recht auf Schutz des guten Rufes des Vorstandsvorsitzenden darzustellen. Der Gerichtshof hat keine Veranlassung, von der Feststellung der innerstaatlichen Gerichte abzuweichen, dass die Manipulation für einen Durchschnittsleser erkennbar war und der Vorstandsvorsitzende in einem unzutreffenden und ungünstigen Licht wahrgenommen wurde. Folglich sieht er die Schlussfolgerung, dass die Fotomontage einen hinreichenden Schweregrad erreicht habe, um eine Verletzung des Rechts auf Schutz des guten Rufes darzustellen, nicht als unangemessen an (siehe sinngemäß H. ./. Deutschland (Nr. 3), Individualbeschwerde Nr. 8772/10, Rdnr. 52, 19. September 2013).
28. Was schließlich die Schwere der gegen die Beschwerdeführerin verhängten Sanktionen anbelangt, ist der Gerichtshof der Auffassung, dass zwar jede Sanktion geeignet ist, eine abschreckende Wirkung auf einen Beschwerdeführer zu entfalten, die in der vorliegenden Rechtssache verhängten Sanktionen jedoch milde ausfielen, da die innerstaatlichen Gerichte der Beschwerdeführerin lediglich die Unterlassung der weiteren Veröffentlichung auferlegten.
29. Der Gerichtshof stellt fest, dass die innerstaatlichen Gerichte das Recht der Beschwerdeführerin auf freie Meinungsäußerung sorgfältig gegen das Recht des Vorstandsvorsitzenden auf Achtung seines Privatlebens abgewogen und dem Wahrheitsgehalt der von der Fotomontage vermittelten Botschaft, dem Grad der Manipulation und der technischen Notwendigkeit der Änderungen einen hohen Stellenwert eingeräumt haben. Daher hält es der Gerichtshof für angebracht, erneut darauf hinzuweisen, dass die Meinungen zum Ausgang einer Rechtssache auseinander gehen können, es für den Gerichtshof aber gewichtiger Gründe dafür bedarf, die Ansicht der innerstaatlichen Gerichte durch die eigene zu ersetzen, wenn die innerstaatlichen Behörden die Abwägung in Übereinstimmung mit den in der Rechtsprechung des Gerichtshofs niedergelegten Kriterien vorgenommen haben (siehe Lillo-Stenberg und Sæther ./. Norwegen, Individualbeschwerde Nr. 13258/09, Rdnr. 44, 16. Januar 2014; mit Verweisen auf S. AG, Rdnr. 88; und H. (Nr. 2), Rdnr. 107, beide a. a. O.).
30. Unter diesen Umständen und angesichts des Ermessensspielraums, der innerstaatlichen Gerichten bei der Abwägung konkurrierender Interessen zusteht, kommt der Gerichtshof zu dem Ergebnis, dass keine gewichtigen Gründe dafür vorliegen, die Ansicht der innerstaatlichen Gerichte durch die eigene zu ersetzen, und dass diese ihre Verpflichtungen nach Artikel 10 der Konvention nicht missachtet haben.
31. Folglich ist keine Verletzung ersichtlich. Die Beschwerde ist daher nach Artikel 35 Abs. 3 Buchst. a der Konvention offensichtlich unbegründet und muss nach Artikel 35 Abs. 4 zurückgewiesen werden.
Aus diesen Gründen erklärt der Gerichtshof
die Individualbeschwerde mit Stimmenmehrheit für unzulässig.
Ausgefertigt in Englisch und schriftlich zugestellt am 7. April 2016.
Claudia Westerdiek Ganna Yudkivska
Kanzlerin Präsidentin
Zuletzt aktualisiert am Dezember 10, 2020 von eurogesetze
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