SIHLER-JAUCH gegen Deutschland (Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte) Individualbeschwerden Nrn. 68273/10 und 34194/11

Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte
FÜNFTE SEKTION
ENTSCHEIDUNG
Individualbeschwerden Nrn. 68273/10 und 34194/11
S. gegen Deutschland
und J. gegen Deutschland

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (Fünfte Sektion) hat in seiner Sitzung am 24. Mai 2016 als Kammer mit den Richterinnen und Richtern

Ganna Yudkivska, Präsidentin
Angelika Nußberger,
Erik Møse,
Faris Vehabović,
Yonko Grozev,
Síofra O’Leary,
Mārtiņš Mits,
und Claudia Westerdiek, Sektionskanzlerin,

im Hinblick auf die oben genannten Individualbeschwerden, die am 16. November 2010 bzw. 26. Mai 2011 eingereicht wurden,

nach Beratung wie folgt entschieden:

SACHVERHALT

1. Die 19.. geborene Beschwerdeführerin der ersten Individualbeschwerde, S., ist deutsche Staatsangehörige. Der 19.. geborene Beschwerdeführer der zweiten Individualbeschwerde, J., ist deutscher Staatsangehöriger. Beide Beschwerdeführer sind in P. wohnhaft und wurden vor dem Gerichtshof von Frau S., Rechtsanwältin in B., vertreten.

2. Der Beschwerdeführer ist ein bekannter Journalist, Produzent und Fernsehmoderator. Die von ihm zur maßgeblichen Zeit moderierten Fernsehsendungen umfassten auch eine politische Talkshow und ein Nachrichtenmagazin.

A. Die Umstände des Falles

3. Der Sachverhalt, so wie er von den Beschwerdeführern vorgebracht worden ist, lässt sich wie folgt zusammenfassen:

1. Der Hintergrund der Rechtssache

4. Die Beschwerdeführer heirateten im Juli 2006. Der Hochzeitsempfang fand im Schloss Belvedere, einer von englischen Gärten umgebenen historischen Schlossanlage, in P. statt. Die Trauung erfolgte ebenfalls in P., in der Friedenskirche. Beide Orte sind bekannte Ausflugsziele und stehen in der Regel dem Publikumsverkehr offen.

5. Unter den 180 Hochzeitsgästen waren bekannte Journalisten, Fernsehmoderatoren und Persönlichkeiten aus dem Sportbereich. Auch der Regierende Bürgermeister von Berlin war anwesend.

6. Angesichts des zu erwartenden Medieninteresses hatte der Anwalt der Beschwerdeführer die einschlägigen Zeitschriften im Vorfeld darüber informiert, dass die Beschwerdeführer keine Berichterstattung über Einzelheiten ihrer Hochzeit wünschten. Außerdem waren beide Orte für die Öffentlichkeit gesperrt worden und nur geladene Gäste erhielten Zugang.

7. Am 13. Juli 2006 veröffentlichte das Magazin „B.“, ein sogenanntes People-Magazin mit einer Auflage von circa 650.000 Exemplaren, einen Bericht über die Hochzeit. Der Artikel wurde auf dem Titelblatt des Magazins angekündigt und war mit mehreren Fotos illustriert. Neben Fotos von Hochzeitsgästen und alten Aufnahmen der Beschwerdeführer zeigte ein Bild die Beschwerdeführerin an ihrem Hochzeitstag, aufgenommen vor der Trauung innerhalb des abgesperrten Geländes. Es trug (fälschlicherweise) die Bildunterschrift „FRISCH GETRAUT S. nach dem Jawort“. In dem anschließenden Zivilverfahren wurde darüber gestritten, von wo aus das Foto der Beschwerdeführerin aufgenommen worden war. Während die Beschwerdeführer behaupteten, das Foto sei – unter Einsatz eines starken Teleobjektivs – von außerhalb des abgesperrten Geländes durch eine Öffnung im Mauerwerk aufgenommen worden, wurde vonseiten des Magazins behauptet, dass nichts über die Herkunft des Fotos bekannt sei, da es von einer Bildagentur erworben worden sei. Es könne allerdings auch ebenso gut von einem der akkreditierten Fotografen, einem geladenen Gast oder einem Mitglied des Personals stammen.

8. Der Artikel selbst informierte den Leser über die von den Beschwerdeführern getroffenen Vorkehrungen zur Vermeidung der Presseberichterstattung, aber auch über Einzelheiten der Hochzeit, einschließlich der Art der Speisen und Getränke, der Kleidung der Beschwerdeführer, der Musik und der Dekoration der Kirche. Der Bericht enthielt auch Zitate aus der Ansprache des Pfarrers und aus den Reden, die der Beschwerdeführer und der Vater der Beschwerdeführerin gehalten hatten, sowie einen Auszug aus einer von einem Kind der Beschwerdeführer vorgetragenen Fürbitte.

9. Nach der Veröffentlichung des Beitrags gab das Magazin auf Aufforderung der Beschwerdeführer eine Unterlassungsverpflichtungserklärung hinsichtlich der weiteren Verbreitung einer Reihe von Aussagen ab, die Einzelheiten der Hochzeit beschrieben. In Bezug auf das vorgenannte Foto der Beschwerdeführerin verweigerte das Magazin die Abgabe einer solchen Verpflichtungserklärung.

2. Das von der Beschwerdeführerin eingeleitete Verfahren

10. Am 1. August 2006 erließ das Landgericht Berlin eine einstweilige Verfügung gegen die weitere Verbreitung des Fotos der Beschwerdeführerin an ihrem Hochzeitstag.

11. Die Beschwerdeführerin erhob Klage gegen das Magazin und forderte 250.000 EUR fiktive Lizenzgebühr, 75.000 EUR Entschädigung sowie 997,37 EUR für vorgerichtliche Aufwendungen im Zusammenhang mit der Unterlassungsverpflichtungserklärung.

12. Am 11. Januar 2008 bestätigte das Landgericht Hamburg den Unterlassungsanspruch, sprach der Beschwerdeführerin 25.000 EUR Schadenersatz zu und ordnete an, dass das Magazin die vorgerichtlichen Kosten zu ersetzen habe.

13. Das Gericht befand, dass der Artikel ein Ereignis von öffentlichem Interesse zum Gegenstand habe, da der Beschwerdeführer einer der bekanntesten und beliebtesten Fernsehmoderatoren Deutschlands sei und großen Einfluss auf die öffentliche Meinungsbildung habe. Seine Hochzeit sei daher ohnehin von öffentlichem Interesse, insbesondere, weil die Öffentlichkeit ein Interesse daran habe zu erfahren, mit welchen Personen er derart eng verbunden sei, dass er sie zu seiner Hochzeit einlade. Letzteres sei von besonderer Bedeutung, weil es der Öffentlichkeit ermögliche, die journalistische Unabhängigkeit des Beschwerdeführers zu beurteilen. Das Gericht stellte auch fest, dass das öffentliche Interesse durch die Auswahl der Hochzeitsorte erhöht worden sei, da die beiden Örtlichkeiten zu den beliebtesten Sehenswürdigkeiten Deutschlands zählten. Das Gericht befand, dass weder das Foto noch der Bericht die Beschwerdeführer in einem unvorteilhaften Lichte zeige; sie seien auch in keiner Weise herabwürdigend. Das Foto berühre auch nicht den Kernbereich der Privatsphäre der Beschwerdeführer, denn es zeige nicht die Trauzeremonie selbst. Dennoch befand das Gericht, dass seine Veröffentlichung nicht durch ein berechtigtes Interesse gerechtfertigt gewesen sei, da sich die Beschwerdeführerin an eine abgeschiedene, den Blicken der Öffentlichkeit nicht ausgesetzte Stelle zurückgezogen habe. Überdies hätten die Beschwerdeführer zum Ausdruck gebracht, dass sie keine Presseberichterstattung über ihre Hochzeit wünschten, indem sie die Presse baten, von entsprechenden Berichten abzusehen, und Vorkehrungen trafen, durch die Begrenzung des Zugangs zu dem Hochzeitsort bzw. den Hochzeitsorten eine gewisse Abgeschiedenheit zu schaffen.

14. Das Gericht befand allerdings, dass die Veröffentlichung des Berichts allein – unabhängig von dem Begleitfoto – eine so schwerwiegende Verletzung des Persönlichkeitsrechts der Beschwerdeführerin darstelle, dass eine Entschädigung gerechtfertigt sei. Insbesondere die Veröffentlichung von Kerninformationen über die Hochzeitsfeierlichkeiten und die Trauzeremonie – beispielsweise was in den Reden gesagt wurde, welche Getränke und Speisen bei der Hochzeit gereicht und welche Musikstücke gespielt wurden – könne nicht durch öffentliches Interesse gerechtfertigt werden, sondern stelle vielmehr einen voyeuristischen Eingriff in die Privatsphäre der Beschwerdeführer dar. Im Hinblick auf die fiktive Lizenzgebühr führte das Gericht aus, dass Honorarzahlungen an Betroffene eines Nachrichtenbeitrags nicht als übliche kaufmännische Praxis betrachtet werden könnten. Folglich habe das Magazin keine Gebühren gespart, die es normalerweise für die Veröffentlichung des Berichts und des Fotos an die Beschwerdeführerin hätte zahlen müssen.

15. Am 21. Oktober 2008 hob das Oberlandesgericht Hamburg das Urteil des Landgerichts auf und wies die Klage der Beschwerdeführerin vollen Umfangs ab. Es schloss sich den Ausführungen des Landgerichts hinsichtlich des öffentlichen Interesses aufgrund der Beliebtheit der Hochzeitsorte an. Darüber hinaus betonte es insbesondere, dass die Allgemeinheit angesichts des Einflusses des Beschwerdeführers auf die öffentliche Meinung und seiner Rolle als Moderator politscher TV-Sendungen ein berechtigtes Interesse daran habe zu erfahren, wer – wie der Regierende Bürgermeister von Berlin – zu seiner Hochzeit eingeladen sei, und zu beurteilen, ob die von ihm vermittelte öffentliche Meinung in Übereinstimmung mit oder Kontrast zu seinem wirklichen Leben stehe. Da die Hochzeit ein gemeinsames Ereignis im Leben beider Beschwerdeführer sei, müsse die Beschwerdeführerin das öffentliche Interesse am Leben des Beschwerdeführers hinnehmen.

16. Das Gericht widersprach allerdings den Feststellungen des Landgerichts hinsichtlich des Schweregrades des Eingriffs in die Persönlichkeitsrechte der Beschwerdeführerin. Die veröffentlichten Hochzeitsdetails, beispielsweise Informationen über Getränke, Speisen und Musik, seien nicht vom Kernbereich der Privatsphäre erfasst, sondern Informationen, die im Zusammenhang mit einer Hochzeit gemeinhin Gegenstand der Erörterung und des Interesses seien. Das Gericht wies überdies darauf hin, dass es gängige Praxis und zu erwarten sei, dass im Zusammenhang mit einer Hochzeit von verschiedenen – geladenen wie ungeladenen – Personen Fotos gemacht würden. Da das Foto der Beschwerdeführerin diese nicht in einem negativen Licht zeige und nicht auf der Titelseite des Magazins veröffentlicht worden sei, könne seine Verbreitung durch das öffentliche Interesse gerechtfertigt werden. Schließlich berücksichtigte das Oberlandesgericht besonders die Veröffentlichung der Zitate aus der Ansprache des Pfarrers und aus den Reden des Beschwerdeführers und des Vaters der Beschwerdeführerin sowie eines Auszugs aus der von einem Kind der Beschwerdeführer vorgetragenen Fürbitte. Es führte aus, dass die Veröffentlichung dieser Informationen einen stärkeren Eingriff darstelle als die Veröffentlichung der übrigen Details. Jedoch seien, auch wenn die Hochzeit der Allgemeinheit nicht zugänglich gewesen sei, doch etwa 180 Gäste eingeladen worden und diese seien nicht zur Verschwiegenheit verpflichtet gewesen. Da diese Gäste nicht alle zum engsten Familienkreis gehörten, müssten die Redner und die Beschwerdeführerin es hinnehmen, dass bestimmte Informationen auch an nicht geladene Personen und die Öffentlichkeit weitergegeben würden. Im Ergebnis könne der bloße Wunsch der Beschwerdeführer, dass keine Presseberichterstattung erfolgen solle, nicht das berechtigte öffentliche Interesse an der Hochzeit, den veröffentlichten Einzelheiten und dem Foto überwiegen.

17. Die Nichtzulassungsbeschwerde der Beschwerdeführerin wurde zurückgewiesen.

18. Am 12. Mai 2010 lehnte es das Bundesverfassungsgericht ohne Angabe von Gründen ab, die Verfassungsbeschwerde der Beschwerdeführerin zur Entscheidung anzunehmen (1 BvR 760/10).

3. Das von dem Beschwerdeführer eingeleitete Verfahren

19. Auch der Beschwerdeführer erhob Klage gegen das Magazin und forderte eine Entschädigung von mindestens 25.000 EUR sowie 1.057,69 EUR für vorgerichtliche Aufwendungen zur Geltendmachung des Unterlassungsanspruchs.

20. Am 24. April 2009 wies das Landgericht Hamburg die Klage des Beschwerdeführers ab. Es schloss sich der Begründung des Oberlandesgerichts Hamburg an und zitierte ausführlich aus dessen Urteil vom 21. Oktober 2008.

21. Die Berufung und die Nichtzulassungsbeschwerde des Beschwerdeführers wurden zurückgewiesen.

B. Das einschlägige innerstaatliche Recht

22. In Artikel 5 Abs. 1 und 2 des Grundgesetzes (GG) wird freie Meinungsäußerung und Pressefreiheit garantiert und vorgesehen, dass diese Rechte in den Vorschriften der allgemeinen Gesetze, den gesetzlichen Bestimmungen zum Schutz der Jugend und in dem Recht der persönlichen Ehre ihre Schranken finden.

23. Nach § 22 Satz 1 des Gesetzes betreffend das Urheberrecht an Werken der bildenden Künste und der Photographie (KunstUrhG) dürfen Bildnisse nur mit ausdrücklicher Einwilligung der betroffenen Person verbreitet werden. In § 23 Abs. 1 Nr. 1 KunstUrhG ist eine Ausnahme hiervon vorgesehen, wenn die Bildnisse einen Aspekt der Zeitgeschichte wiedergeben, sofern durch die Verbreitung kein berechtigtes Interesse der betroffenen Person verletzt wird (§ 23 Abs. 2).

24. Nach § 823 Abs. 1 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) ist jeder, der vorsätzlich oder fahrlässig das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die Gesundheit, die Freiheit, das Eigentum oder ein sonstiges Recht eines anderen widerrechtlich verletzt, zum Ersatz des daraus entstehenden Schadens verpflichtet. Nach § 253 BGB kann Entschädigung in Geld wegen eines Nichtvermögensschadens nur in den durch das Gesetz bestimmten Fällen gefordert werden. Darunter fallen Verletzungen des Körpers, der Gesundheit, der Freiheit oder der sexuellen Selbstbestimmung einer Person.

RÜGEN

25. Die Beschwerdeführer rügten nach Artikel 8 der Konvention, dass ihre Privatsphäre durch die innerstaatlichen Gerichte nicht hinreichend geschützt worden sei, da ihnen der geforderte Schadenersatz versagt worden sei.

26. Die Beschwerdeführer rügten weiter nach Artikel 1 des Protokolls Nr. 1, dass ihnen keine fiktive Lizenzgebühr für den Bericht über ihre Hochzeit gezahlt worden sei.

RECHTLICHE WÜRDIGUNG

A. Gleichzeitige Prüfung der Beschwerden

27. Angesichts des ähnlichen Gegenstands und Tatsachenhintergrunds der beiden Individualbeschwerden hält es der Gerichtshof für angemessen, diese nach Artikel 42 Abs. 1 der Verfahrensordnung gleichzeitig in einer Entscheidung zu prüfen.

B. Artikel 8

28. Die Beschwerdeführer rügten, dass die Nichtzuerkennung von Schadenersatz durch die Gerichte ihr Recht auf Achtung ihres Privatlebens verletzt habe. Sie beriefen sich auf Artikel 8 der Konvention, der soweit maßgeblich wie folgt lautet:

Artikel 8

„Jede Person hat das Recht auf Achtung ihres Privat[…]lebens […].

Eine Behörde darf in die Ausübung dieses Rechts nur eingreifen, soweit der Eingriff gesetzlich vorgesehen und in einer demokratischen Gesellschaft notwendig ist […] zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer.“

29. Die Beschwerdeführer trugen insbesondere vor, dass die innerstaatlichen Gerichte durch die Versagung des von den Beschwerdeführern geforderten Schadenersatzes indirekt den Artikel über ihre Hochzeit gebilligt hätten. Damit hätten sie ihre positive Verpflichtung, die Privatsphäre der Beschwerdeführer zu schützen, nicht erfüllt, da sie bei ihrer Abwägung die Presse unverhältnismäßig bevorteilt hätten.

30. Der Gerichtshof merkt zunächst an, dass es in Rechtssachen wie der vorliegenden nicht um staatliches Handeln geht, sondern darum, dass die innerstaatlichen Gerichte dem Privatleben der Beschwerdeführer behauptetermaßen unzulänglichen Schutz gewährten. Er wiederholt, dass die mit Artikel 8 verbundene positive Verpflichtung einem Staat das Ergreifen von Maßnahmen zur Sicherstellung der Achtung des Privatlebens auferlegen kann, auch im Bereich des Verhältnisses von einzelnen Personen untereinander. Die anwendbaren Grundsätze sind jedoch ähnlich und es ist auf einen gerechten Ausgleich zu achten, der zwischen den betroffenen widerstreitenden Interessen hergestellt werden muss (siehe H. ./. Deutschland (Nr. 2) [GK], Individualbeschwerden Nrn. 40660/08 und 60641/08, Rdnrn. 98, 99, 7. Februar 2012, mit weiteren Verweisen).

31. Daher ist der Gerichtshof der Auffassung, dass in der vorliegenden Rechtssache eine Prüfung der Frage geboten ist, ob zwischen dem Recht der Beschwerdeführer auf Schutz ihres Privatlebens nach Artikel 8 der Konvention und dem Recht des Magazins auf freie Meinungsäußerung nach Artikel 10 ein gerechter Ausgleich herbeigeführt wurde. Nachdem der Gerichtshof bereits mit zahlreichen vergleichbaren, eine Prüfung des gerechten Ausgleichs erfordernden Streitigkeiten befasst war, verweist er auf die in seiner Rechtsprechung bezüglich der jeweils in Rede stehenden Rechte festgelegten Grundsätze (siehe Couderc und Hachette Filipacchi Associés ./. Frankreich [GK], Individualbeschwerde Nr. 40454/07, Rdnrn. 83-92, 10. November 2015; S. AG ./. Deutschland [GK], Individualbeschwerde Nr. 39954/08, Rdnrn. 78-88, 7. Februar 2012; und H. (Nr. 2), a. a. O., Rdnrn. 95-107, 7. Februar 2012).

32. In Fällen wie dem vorliegenden, in denen die nationalen Behörden einen Ausgleich zwischen zwei widerstreitenden Interessen herbeizuführen hatten und die Abwägung dieser beiden Rechte von den innerstaatlichen Behörden in Übereinstimmung mit den in der Rechtsprechung des Gerichtshofs niedergelegten Kriterien vorgenommen wurde, bedarf es für den Gerichtshof gewichtiger Gründe, um die Ansicht der innerstaatlichen Gerichte durch die eigene zu ersetzen (siehe MGN Limited ./. das Vereinigte Königreich, Individualbeschwerde Nr. 39401/04, Rdnrn. 150 und 155, 18. Januar 2011; und H. (Nr. 2), a. a. O., Rdnr. 107).

33. Im Zusammenhang mit dem Ausgleich einander entgegenstehender Rechte hat der Gerichtshof folgende maßgebliche Kriterien bestimmt: Beitrag zu einer Debatte von öffentlichem Interesse, Bekanntheitsgrad der betroffenen Person, Gegenstand des Nachrichtenbeitrags, früheres Verhalten des Betreffenden, Inhalt, Form und Auswirkungen der Veröffentlichung und ggfs. Umstände, unter denen die Fotos entstanden sind (siehe Couderc und Hachette Filipacchi Associés, Rdnr. 93; S. AG, Rdnrn. 90-95; und H. (Nr. 2), Rdnrn. 109-113, alle a. a. O.).

34. Hinsichtlich des Sachverhalts der vorliegenden Rechtssache und unter Anwendung der vorstehenden maßgeblichen Kriterien stellt der Gerichtshof fest, dass im vorliegenden Fall die Kriterien „Beitrag zu einer Debatte von öffentlichem Interesse“, „Bekanntheitsgrad der betroffenen Person“ und „Gegenstand des Nachrichtenbeitrags“ eng miteinander verknüpft sind.

35. In Bezug auf den Bekanntheitsgrad der betroffenen Person hat der Gerichtshof bereits in früheren Entscheidungen ausgeführt, dass es grundsätzlich in erster Linie den innerstaatlichen Gerichten obliegt, zu beurteilen, wie bekannt eine Person ist, vor allem im Falle einer hauptsächlich im Inland bekannten Persönlichkeit (siehe S. AG, a. a. O., Rdnr. 98). Das Landgericht und das Oberlandesgericht gingen ausführlich auf die Prominenz des Beschwerdeführers und die unterschiedlichen TV-Sendungen, für die er bekannt war, ein. Sie stellten auch fest, dass die Hochzeit der beiden Beschwerdeführer ein gemeinsames Ereignis sei, und sich daher der Bekanntheitsgrad der Beschwerdeführerin im Zusammenhang mit diesem besonderen Anlass von ihrem Partner ableite. Angesichts der besonderen Umstände der Rechtssache und des Bekanntheitsgrades des Beschwerdeführers sieht der Gerichtshof keine Anhaltspunkte dafür, dass die Feststellungen der innerstaatlichen Gerichte im Hinblick auf die beiden Beschwerdeführer unangemessen gewesen wären.

36. Der Gerichtshof stellt weiter fest, dass der Gegenstand des Artikels die Hochzeit der Beschwerdeführer war und diese den Lesern detailliert geschildert wurde. Er merkt an, dass nach Feststellung der innerstaatlichen Gerichte ein allgemeines öffentliches Interesse an der Hochzeit selbst und den diesbezüglichen Einzelheiten bestand, insbesondere an den Namen der Anwesenden, und zwar aufgrund der prominenten Gästeliste, die unter anderem den Regierenden Bürgermeister von Berlin umfasste, aufgrund der Bedeutung des Beschwerdeführers für die öffentliche Meinungsbildung und aufgrund der bekannten Hochzeitsorte. Der Gerichtshof hält es für zweckmäßig, in diesem Zusammenhang darauf hinzuweisen, dass er das Bestehen eines allgemeinen öffentlichen Interesses bisher nicht nur bei Veröffentlichungen über politische Fragen oder Straftaten angenommen hat, sondern auch bei Berichten über Sport oder darstellende Künstler (siehe H. (Nr. 2), a. a. O., Rdnr. 109, mit weiteren Verweisen). Darüber hinaus hat der Gerichtshof in früheren Entscheidungen die Auffassung gebilligt, dass eine Hochzeit eine öffentliche Seite habe und dass ein Artikel darüber nicht nur die Befriedigung der öffentlichen Neugier zum Ziel haben dürfe (siehe Lillo-Stenberg und Sæther ./. Norwegen, Individualbeschwerde Nr. 13258/09, Rdnr. 37, 16. Januar 2014). Somit erkennt der Gerichtshof an, dass die Hochzeit von allgemeinem Interesse war und der Bericht zu einer Debatte von öffentlichem Interesse beitrug.

37. Was das frühere Verhalten der betroffenen Person anbelangt, weist der Gerichtshof darauf hin, dass der Beschwerdeführer, der selbst Journalist und TV-Moderator ist, der Öffentlichkeit bereits bis zu einem gewissen Grad Aspekte seiner Persönlichkeit offengelegt hat. Der Gerichtshof stellt allerdings auch fest, dass die Beschwerdeführer die Presse im Vorfeld gebeten hatten, von Berichten über die Hochzeit abzusehen, und Vorkehrungen zur Verhinderung einer Berichterstattung trafen.

38. In Bezug auf Inhalt und Form des veröffentlichten Beitrags stellt der Gerichtshof fest, dass das Magazin Informationen über die Speisen, die Getränke, die Kleidung der Beschwerdeführer, die Musik sowie die Dekoration der Kirche veröffentlichte und auch Zitate aus den Reden verschiedener Personen bei der Trauzeremonie abdruckte. Der Gerichtshof stellt jedoch auch fest, dass die Beschwerdeführer den Wahrheitsgehalt der Informationen aus dem Bericht nicht bestritten, abgesehen von der Bildunterschrift des veröffentlichten Fotos der Beschwerdeführerin. Darüber hinaus stellte der Artikel die Beschwerdeführer nicht in einem negativen Licht dar und enthielt nichts Unvorteilhaftes über sie, das ihren Ruf hätte schädigen können (vgl. Lillo-Stenberg und Sæther, a. a. O., Rdnr. 41). Schließlich stellt der Gerichtshof fest, dass in den innerstaatlichen Verfahren nicht klar war, woher das Foto der Beschwerdeführerin stammte. Während die Beschwerdeführer vortrugen, das Foto sei – unter Einsatz eines leistungsfähigen Teleobjektivs – von außerhalb des abgesperrten Geländes durch eine Öffnung im Mauerwerk aufgenommen worden, wurde vonseiten des Magazins angegeben, dass nichts über die Herkunft des Fotos bekannt sei, da es von einer Bildagentur erworben worden sei. Es könne allerdings auch ebenso gut von einem der akkreditierten Fotografen, einem geladenen Gast oder einem Mitglied des Personals stammen. Die innerstaatlichen Gerichte ließen dies jedoch dahinstehen, weil das Foto nicht den Kernbereich der Privatsphäre der Beschwerdeführer berühre.

39. Abschließend stellt der Gerichtshof fest, dass die nationalen Gerichte das Recht der Beschwerdeführer auf Achtung ihres Privatlebens und das Recht des Magazins auf freie Meinungsäußerung sorgfältig gegeneinander abgewogen und die grundsätzliche Bedeutung des Bekanntheitsgrades des Beschwerdeführers, des Schweregrades des Eingriffs und des allgemeinen öffentlichen Interesses an der Hochzeit anerkannt haben. Angesichts des Ermessensspielraums, der den nationalen Gerichten zusteht, kommt der Gerichtshof zu dem Ergebnis, dass keine gewichtigen Gründe dafür vorliegen, die Ansicht der innerstaatlichen Gerichte durch die eigene zu ersetzen, und dass die innerstaatlichen Gerichte durch die Versagung des von den Beschwerdeführern geforderten Schadenersatzes ihre Verpflichtung zum Schutz der Achtung des Privatlebens der Beschwerdeführer nicht missachtet haben.

40. Folglich ist keine Verletzung von Artikel 8 der Konvention ersichtlich. Dieser Teil der Beschwerde ist somit im Sinne von Artikel 35 Abs. 3 Buchst. a offensichtlich unbegründet und muss nach Artikel 35 Abs. 4 der Konvention zurückgewiesen werden.

C. Artikel 1 Protokoll Nr. 1

41. Die Beschwerdeführer rügten weiter nach Artikel 1 des Protokolls Nr. 1, dass die deutschen Gerichte ihr Eigentum nicht geschützt hätten, da sie ihnen keine fiktive Lizenzgebühr für den Bericht über ihre Hochzeit zugesprochen hätten.

42. Unter Berücksichtigung aller ihm zur Verfügung stehenden Unterlagen und soweit die gerügten Angelegenheiten in seine Zuständigkeit fallen, stellt der Gerichtshof allerdings fest, dass hier keine Anzeichen für eine Verletzung der in der Konvention oder den Protokollen dazu bezeichneten Rechte und Freiheiten ersichtlich sind.

43. Daraus folgt, dass dieser Teil der Beschwerden offensichtlich unbegründet und nach Artikel 35 Abs. 3 Buchst. a und Abs. 4 der Konvention zurückzuweisen ist.

Aus diesen Gründen entscheidet der Gerichtshof einstimmig:

Die Individualbeschwerden werden verbunden;

die Individualbeschwerden werden für unzulässig erklärt.

Ausgefertigt in Englisch und schriftlich zugestellt am 16. Juni 2016.

Claudia Westerdiek                                   Ganna Yudkivska
Kanzlerin                                                      Präsidentin

Zuletzt aktualisiert am Dezember 10, 2020 von eurogesetze

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