EUROPÄISCHER GERICHTSHOF FÜR MENSCHENRECHTE
FÜNFTE SEKTION
ENTSCHEIDUNG
Individualbeschwerde Nr. 55977/13
N.
gegen Deutschland
Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (Fünfte Sektion) hat in seiner Sitzung am 4. Oktober 2016 als Kammer mit den Richterinnen und Richtern
Khanlar Hajiyev, Präsident,
Angelika Nußberger,
Erik Møse,
Faris Vehabović,
Yonko Grozev,
Síofra O’Leary,
Carlo Ranzoni
sowie Milan Blaško, Stellvertretender Sektionskanzler,
im Hinblick auf die oben genannte Individualbeschwerde, die am 2. September 2013 erhoben wurde,
nach Beratung wie folgt entschieden:
SACHVERHALT
1. Die Beschwerdeführerin, N., ist eine politische Partei in Deutschland. Vor dem Gerichtshof wurde sie von Herrn R., Rechtsanwalt in S., vertreten.
A. Die Umstände des Falles
2. Der Sachverhalt, wie er von der Beschwerdeführerin vorgebracht worden ist, lässt sich wie folgt zusammenfassen:
1. Die Beschwerdeführerin
3. Die Beschwerdeführerin wurde 1964 gegründet. Sie tritt regelmäßig bei Wahlen zum Europäischen Parlament sowie bei Bundestags-, Landtags- und Kommunalwahlen an. Zum Zeitpunkt der Einlegung dieser Individualbeschwerde war sie in den Landtagen von Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen sowie in zahlreichen Stadt- und Gemeinderäten und Kreistagen vertreten.
2. Das erste Parteiverbotsverfahren
4. 2001 stellten der Bundestag, der Bundesrat und die Bundesregierung nach Artikel 21 Abs. 2 GG (siehe „Das einschlägige innerstaatliche Recht und die einschlägige innerstaatliche Praxis“, Rdnr. 15) beim Bundesverfassungsgericht einen Antrag auf Verbot der Beschwerdeführerin (2 BvB 1/01, 2 BvB 2/01, 2 BvB 3/01). Die Antragsteller machten geltend, die Beschwerdeführerin sei verfassungswidrig und wolle die freiheitlich demokratische Grundordnung beeinträchtigen. Sie behaupteten, die Beschwerdeführerin verbreite nationalsozialistische, antisemitische, rassistische sowie antidemokratische Ansichten und wolle das von den Siegermächten nach dem Zweiten Weltkrieg auferlegte „System“, wie sie es nenne, abschaffen. Außerdem arbeite die Beschwerdeführerin darauf hin, die „Volksgemeinschaft“ wiederherzustellen und die parlamentarische Demokratie mit Mehrparteiensystem durch eine „Volksherrschaft“ der „nationalen Eliten“ zu ersetzen. Schließlich machten sie geltend, die Mitglieder und Anhänger der Beschwerdeführerin scheuten vor der Anwendung von Gewalt nicht zurück und drohten ihren Gegnern für den Fall der Machtübernahme mit einer „Abrechnung“.
5. Am 18. März 2003 beschloss das Bundesverfassungsgericht die Einstellung des Verfahrens, da die Äußerungen, die zum Nachweis der Verfassungswidrigkeit der Partei zitiert worden seien, nicht eindeutig von denen unterscheidbar seien, die von V-Leuten des Verfassungsschutzes stammten. Es befand, dass der Grundsatz der Staatsfreiheit als wesentliche Voraussetzung eines auf ein Verbot der Beschwerdeführerin abzielenden Verfahrens aufgrund des Einflusses dieser sogar im Parteivorstand präsenten V-Leute auf den Entscheidungsfindungsprozess der Beschwerdeführerin nicht eingehalten worden sei.
3. Das in Rede stehende Verfahren
6. Am 8. November 2012 begehrte die Beschwerdeführerin beim Bundesverfassungsgericht (2 BvE 11/12) in einem gegen den Bundestag, den Bundesrat und die Bundesregierung gerichteten Antrag die Feststellung, dass sie nicht verfassungswidrig im Sinne von Artikel 21 Abs. 2 GG sei. Hilfsweise beantragte sie die Feststellung, dass die Antragsgegner sie in ihren Rechten aus Artikel 21 Abs. 1 Satz 1 GG verletzten, indem sie fortwährend die Verfassungswidrigkeit der Beschwerdeführerin behaupteten, ohne ein Verbotsverfahren einzuleiten, und auf diese Weise die Wirkungen eines faktischen Parteiverbots herbeiführten. Höchst hilfsweise beantragte sie die Feststellung, dass ihre Rechte dadurch verletzt würden, dass es keinen Rechtsbehelf gebe, der es politischen Parteien erlaube, ihre Verfassungskonformität verfassungsgerichtlich feststellen zu lassen.
7. Zur Antragsbegründung zitierte die Beschwerdeführerin führende Politiker (Ministerpräsidenten und Innenminister verschiedener Länder sowie Bundestagsabgeordnete), die die N. als verfassungswidrig bezeichnet hatten. Die Beschwerdeführerin machte geltend, dass ihre im öffentlichen Dienst beschäftigten Mitglieder wegen ihrer Parteizugehörigkeit disziplinarrechtlich gemaßregelt oder gar aus dem Staatsdienst entfernt worden seien. In Mecklenburg-Vorpommern und Thüringen werde ihren Wahlbewerbern die Teilnahme an Kommunalwahlen verwehrt. Die Beschwerdeführerin trug vor, dass 328 Anfragen zur Kontoeröffnung bei öffentlichen und privaten Banken abgelehnt worden seien und sie daher in 35 Fällen rechtliche Schritte gegen öffentliche Banken habe einleiten müssen. Außerdem müsse sie nahezu jedes Mal, wenn sie kommunale Versammlungsräume für ihre Veranstaltungen anmieten wolle, die Verwaltungsgerichte anrufen, da die Gemeinden ihnen aus Angst vor Aktionen von „Linksextremisten“ keine Räumlichkeiten überlassen würden. Darüber hinaus finde die Beschwerdeführerin keinen Haftpflichtversicherer mehr, der bereit sei, ihre Veranstaltungen zu versichern, was eine Voraussetzung für das Anmieten kommunaler Räume sei. Sie rügte, dass ihre genehmigten Demonstrationen regelmäßig von Gegnern behindert würden und die Polizei diese Demonstrationen nicht hinreichend absichere. Sie wies darauf hin, dass ihre Mitglieder regelmäßig Opfer von Straftaten würden, die von „Linksextremisten“ begangen würden. Des Weiteren rügte die Beschwerdeführerin, dass sie bei der Zuweisung öffentlicher Gelder an Projekte gegen „Rechtsextremismus“ als rechtsextreme Partei bezeichnet werde, und kam zu dem Schluss, dass diese Mittel dazu benutzt würden, sie zu bekämpfen. Schließlich machte sie geltend, dass sie in den Medien nicht hinreichend zu Wort komme.
8. Die Beschwerdeführerin machte geltend, dass die verfügbaren innerstaatlichen Rechtsbehelfe für den Schutz ihrer Interessen angesichts des Ausmaßes der Diskriminierung und der einschränkenden Maßnahmen, denen sie ausgesetzt sei, einerseits und ihren begrenzten Mitteln andererseits nicht ausreichend seien. Die ständige „Stigmatisierung“ und die fortwährende Debatte über ein mögliches Parteiverbot komme einem faktischen Verbot gleich. Indem sie die Beschwerdeführerin stigmatisierten und die Öffentlichkeit zum „Kampf gegen Rechts“ aufriefen, seien die Antragsgegner zudem der Auslöser und damit verantwortlich für diskriminierende Handlungen und Straftaten, die Privatpersonen gegen die Beschwerdeführerin und ihre Mitglieder begingen.
9. Am 20. Februar 2013 verwarf das Bundesverfassungsgericht die Anträge. Die Entscheidung wurde der Beschwerdeführerin am 6. März 2013 zugestellt.
10. Das Bundesverfassungsgericht befand den Antrag auf Feststellung, dass die Beschwerdeführerin nicht verfassungswidrig sei, für unzulässig. Es legte dar, dass der Antrag auf Entscheidung, ob eine Partei verfassungswidrig ist, nach § 43 Abs. 1 BVerfGG (siehe „Das einschlägige innerstaatliche Recht und die einschlägige innerstaatliche Praxis“, Rdnr. 16) nur vom Bundestag, vom Bundesrat oder von der Bundesregierung gestellt werden könne. Im innerstaatlichen Recht sei nicht vorgesehen, dass eine Partei das Bundesverfassungsgericht zur Feststellung ihrer Verfassungsmäßigkeit anrufen kann. Es stellte fest, dass dies nicht zu einer Rechtsschutzlücke führe, da der Beschwerdeführerin und ihren Mitgliedern der Rechtsweg vor den Verwaltungs-, Zivil- und Strafgerichten offenstehe, wenn ihre Rechte verletzt würden.
11. Im Hinblick auf das Vorbringen der Beschwerdeführerin, dass ihr die Mittel fehlten, um in jedem Einzelfall den Rechtsweg zu beschreiten, stellte das Bundesverfassungsgericht fest, dass dies ein praktisches Problem darstelle, das mit zumutbarem Aufwand zu bewältigen sei. Es betonte, dass eine Partei, die an der Willensbildung des Volkes mitwirke, zu akzeptieren habe, wenn sie im Rahmen der freien Meinungsäußerung als „verfassungsfeindlich“ kritisiert werde. Soweit staatliche Stellen politische Auseinandersetzungen führten, hätten sie die Grenzen zu beachten, die ihnen durch das Grundgesetz gesetzt seien und deren Einhaltung gerichtlicher Überprüfung unterliege. Das Bundesverfassungsgericht war der Auffassung, dass eine Debatte über die Einleitung eines Parteiverbotsverfahrens rechtmäßig sei, solange diese entscheidungsorientiert und nicht mit dem Ziel der Benachteiligung der betroffenen Partei geführt werde. Es merkte an, dass es gerichtliche Wege gebe, die es der Beschwerdeführerin erlaubten, dem Vorwurf der Verfassungsfeindlichkeit zu begegnen, beispielsweise Rechtsbehelfe gegen die Überwachung durch Nachrichtendienste. Es stellte fest, dass für die Mitglieder der Beschwerdeführerin im Zusammenhang mit deren Anstellung im öffentlichen Dienst das gleiche gelte, und fügte an, dass aus Misserfolgen in entsprechenden Gerichtsverfahren nicht geschlossen werden könne, es bestehe eine Rechtsschutzlücke.
12. Das Bundesverfassungsgericht befand ferner, dass der hilfsweise gestellte Antrag auf Feststellung, dass die Antragsgegner die Beschwerdeführerin in ihren Rechten aus Artikel 21 Abs. 1 Satz 1 GG verletzten, indem sie fortwährend die Verfassungswidrigkeit der Beschwerdeführerin behaupteten, ohne ein Verbotsverfahren einzuleiten, und auf diese Weise die Wirkungen eines faktischen Parteiverbots herbeiführten, ebenfalls unzulässig sei. Es befand, dass dieser Antrag zwar grundsätzlich Gegenstand einer Organsklage (siehe „Das einschlägige innerstaatliche Recht und die einschlägige innerstaatliche Praxis“, Rdnrn. 15, 17 und 18) sein könnte, er jedoch nicht hinreichend substantiiert sei. Es merkte an, dass die von der Beschwerdeführerin angeführten Äußerungen und Maßnahmen nicht im Namen des Bundestags, des Bundesrats oder der Bundesregierung getätigt worden seien, sondern lediglich durch einige ihrer Mitglieder. Daher könnten sie nicht diesen Organen zugerechnet werden. Die Beschwerdeführerin zeige auch nicht auf, dass sie hierdurch in ihrem Parteistatus verletzt oder unmittelbar gefährdet werde.
13. Schließlich stellte das Bundesverfassungsgericht fest, dass der zweite Hilfsantrag auf Feststellung, dass die Rechte der Beschwerdeführerin verletzt würden, weil es keinen Rechtsbehelf gebe, der es politischen Parteien erlaube, ihre Verfassungskonformität verfassungsgerichtlich feststellen zu lassen, offensichtlich unbegründet sei. Aus den im Hinblick auf den Hauptantrag dargelegten Gründen (siehe Rdnrn. 10 und 11) bestehe keine Rechtsschutzlücke, weshalb eine Verletzung von Rechten der Beschwerdeführerin ausgeschlossen sei.
4. Das zweite Parteiverbotsverfahren
14. Am 3. Dezember 2013 stellte der Bundesrat nach Artikel 21 Abs. 2 GG erneut einen Antrag auf Verbot der Beschwerdeführerin beim Bundesverfassungsgericht (2 BvB 1/13). Das Verfahren ist noch nicht abgeschlossen.
B. Das einschlägige innerstaatliche Recht und die einschlägige innerstaatliche Praxis
1. Grundgesetz
15. Die maßgeblichen Bestimmungen des Grundgesetzes lauten wie folgt:
Artikel 21 [Politische Parteien]
„(1) Die Parteien wirken bei der politischen Willensbildung des Volkes mit. Ihre Gründung ist frei. Ihre innere Ordnung muss demokratischen Grundsätzen entsprechen. Sie müssen über die Herkunft und Verwendung ihrer Mittel sowie über ihr Vermögen öffentlich Rechenschaft geben.
(2) Parteien, die nach ihren Zielen oder nach dem Verhalten ihrer Anhänger darauf ausgehen, die freiheitliche demokratische Grundordnung zu beeinträchtigen oder zu beseitigen oder den Bestand der Bundesrepublik Deutschland zu gefährden, sind verfassungswidrig. Über die Frage der Verfassungswidrigkeit entscheidet das Bundesverfassungsgericht. […]“
Artikel 93 [Zuständigkeit des Bundesverfassungsgerichts]
„(1) Das Bundesverfassungsgericht entscheidet:
1. über die Auslegung dieses Grundgesetzes aus Anlass von Streitigkeiten über den Umfang der Rechte und Pflichten eines obersten Bundesorgans oder anderer Beteiligter, die durch dieses Grundgesetz oder in der Geschäftsordnung eines obersten Bundesorgans mit eigenen Rechten ausgestattet sind; […]“
2. Das Bundesverfassungsgerichtsgesetz
16. Das Bundesverfassungsgerichtsgesetz enthält die einschlägigen Bestimmungen über die Feststellung der Verfassungswidrigkeit einer Partei, die wie folgt lauten:
§ 43
„(1) Der Antrag auf Entscheidung, ob eine Partei verfassungswidrig ist (Artikel 21 Abs. 2 des Grundgesetzes), kann von dem Bundestag, dem Bundesrat oder von der Bundesregierung gestellt werden.
(2) Eine Landesregierung kann den Antrag nur gegen eine Partei stellen, deren Organisation sich auf das Gebiet ihres Landes beschränkt.“
§ 46
„(1) Erweist sich der Antrag als begründet, so stellt das Bundesverfassungsgericht fest, dass die politische Partei verfassungswidrig ist.
(2) Die Feststellung kann auf einen rechtlich oder organisatorisch selbständigen Teil einer Partei beschränkt werden.
(3) Mit der Feststellung ist die Auflösung der Partei oder des selbständigen Teiles der Partei und das Verbot, eine Ersatzorganisation zu schaffen, zu verbinden. Das Bundesverfassungsgericht kann in diesem Fall außerdem die Einziehung des Vermögens der Partei oder des selbständigen Teiles der Partei zugunsten des Bundes oder des Landes zu gemeinnützigen Zwecken aussprechen.“
17. Im Hinblick auf Organstreitverfahren lauten die einschlägigen Bestimmungen wie folgt:
§ 13
„Das Bundesverfassungsgericht entscheidet […]
5. über die Auslegung des Grundgesetzes aus Anlass von Streitigkeiten über den Umfang der Rechte und Pflichten eines obersten Bundesorgans oder anderer Beteiligter, die durch das Grundgesetz oder in der Geschäftsordnung eines obersten Bundesorgans mit eigenen Rechten ausgestattet sind (Artikel 93 Abs. 1 Nr. 1 des Grundgesetzes), […]“
§ 63
„Antragsteller und Antragsgegner können nur sein: der Bundespräsident, der Bundestag, der Bundesrat, die Bundesregierung und die im Grundgesetz oder in den Geschäftsordnungen des Bundestages und des Bundesrates mit eigenen Rechten ausgestatteten Teile dieser Organe.“
§ 64
„(1) Der Antrag ist nur zulässig, wenn der Antragsteller geltend macht, dass er oder das Organ, dem er angehört, durch eine Maßnahme oder Unterlassung des Antragsgegners in seinen ihm durch das Grundgesetz übertragenen Rechten und Pflichten verletzt oder unmittelbar gefährdet ist.
(2) Im Antrag ist die Bestimmung des Grundgesetzes zu bezeichnen, gegen die durch die beanstandete Maßnahme oder Unterlassung des Antragsgegners verstoßen wird.
(3) Der Antrag muss binnen sechs Monaten, nachdem die beanstandete Maßnahme oder Unterlassung dem Antragsteller bekannt geworden ist, gestellt werden.“
3. Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts
18. Nach der gefestigten Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts sind politische Parteien durch das Grundgesetz mit eigenen Rechten ausgestattete Organe im Sinne von Artikel 93 Abs. 1 Nr. 1 GG und können ihre Rechte im Wege des Organstreitverfahrens geltend machen (Entscheidung vom 20. Juli 1954, 1 PBvU 1/54, die seither kontinuierlich bestätigt wurde, siehe u. v. a. Urteil vom 29. September 1990, 2 BvE1, 3, 4/90, 2 BvR 1247/90).
RÜGE
19. Die Beschwerdeführerin rügte nach Artikel 13 der Konvention in Verbindung mit den Artikeln 10 und 11 der Konvention sowie Artikel 3 des Zusatzprotokolls zur Konvention, dass ihr auf innerstaatlicher Ebene kein wirksamer Rechtsbehelf zur Verfügung stehe, um ihre Rechte gegen eine Vielzahl an Verletzungen im Zusammenhang mit ihrer ständigen „Stigmatisierung“ als „verfassungswidrige Partei“ und ihr „faktisches Verbot“ zu schützen.
RECHTLICHE WÜRDIGUNG
20. Die Beschwerdeführerin rügte, die verfügbaren innerstaatlichen Rechtsbehelfe seien nicht wirksam, da Gerichtsentscheidungen erst nach Verletzung ihrer Rechte ergingen und nicht für eine angemessene Wiedergutmachung für diese Verletzungen sorgen könnten, beispielsweise wenn ihre Kandidaten nicht an Wahlen teilnehmen dürften oder wenn ihre Demonstrationen nicht hinreichend durch die Polizei abgesichert würden. Angesichts des Ausmaßes an Diskriminierung, der sie ausgesetzt sei, könne sie ihre Rechte nicht wirksam verteidigen. Vielmehr sei ein Feststellungsurteil, aus dem hervorgehe, dass sie keine verfassungswidrige Partei sei, vonnöten, um den Verletzungen ihrer Rechte ein Ende zu bereiten.
21. Sie berief sich auf Artikel 13 der Konvention, der wie folgt lautet:
„Jede Person, die in ihren in dieser Konvention anerkannten Rechten oder Freiheiten verletzt worden ist, hat das Recht, bei einer innerstaatlichen Instanz eine wirksame Beschwerde zu erheben, auch wenn die Verletzung von Personen begangen worden ist, die in amtlicher Eigenschaft gehandelt haben.“
22. Der Gerichtshof weist erneut darauf hin, dass nach Artikel 13 der Konvention auf nationaler Ebene ein Rechtsbehelf zur Verfügung stehen muss, um die Konventionsrechte und -freiheiten, gleichviel, in welcher Form sie in der innerstaatlichen Rechtsordnung sichergestellt sein mögen, inhaltlich durchzusetzen. Artikel 13 verlangt deshalb, dass ein innerstaatlicher Rechtsbehelf vorgesehen ist, damit eine inhaltliche Auseinandersetzung mit einer „vertretbaren Rüge“ einer Konventionsverletzung stattfindet und geeigneter Rechtsschutz gewährt wird (siehe u. v. a. M. S. S. ./. Belgien und Griechenland [GK], Individualbeschwerde Nr. 30696/09, Rdnr. 288, ECHR 2011).
23. Selbst unter der Annahme, dass die Beschwerdeführerin einen vertretbaren Anspruch aus den Artikeln 10 und 11 der Konvention sowie Artikel 3 des Zusatzprotokolls zur Konvention hätte, stellt der Gerichtshof fest, dass die Beschwerdeführerin die Existenz innerstaatlicher Rechtsbehelfe gegen jede der einschränkenden oder diskriminierenden Maßnahmen, deren Opfer sie (oder ihre Mitglieder und Unterstützer) zu sein behauptete, nicht geleugnet hat. Der Gerichtshof erinnert erstens daran, dass der Begriff „wirksame Beschwerde“ in Artikel 13 nicht dahingehend ausgelegt werden kann, dass die Beschwerde zwangsläufig Erfolg haben muss; vielmehr ist damit einfach ein zugänglicher Rechtsbehelf vor einer für die inhaltliche Prüfung der Rüge zuständigen Behörde gemeint (M. R. A. u. a. ./. Niederlande, Individualbeschwerde Nr. 46856/07, Rdnr. 114, 12. Januar 2016). Der Umstand, dass die von der Beschwerdeführerin eingelegten Rechtsbehelfe nicht in jedem Einzelfall erfolgreich waren, bedeutet daher nicht, dass diese Rechtsbehelfe nicht wirksam gewesen wären. Der Gerichtshof merkt zweitens an, dass eine Beschwerde dann im Sinne von Artikel 13 „wirksam“ ist, wenn sie entweder die behauptete Rechtsverletzung oder deren Fortdauer verhindert oder im Falle einer bereits erfolgten Rechtsverletzung für angemessene Wiedergutmachung sorgt (siehe Makedonski ./. Bulgarien, Individualbeschwerde Nr. 36036/04, Rdnr. 56, 20. Januar 2011). Der Umstand, dass die Beschwerdeführerin erst nach den behaupteten Rechtsverletzungen Rechtsbehelfe verfolgen und Wiedergutmachung erlangen konnte, bedeutet folglich nicht, dass diese Rechtsbehelfe nicht wirksam gewesen wären.
24. Mit Bezug auf das Vorbringen der Beschwerdeführerin, dass die bestehenden Rechtsbehelfe unwirksam seien, da sie Opfer einer Vielzahl von Verletzungen sei, erinnert der Gerichtshof daran, dass die in Artikel 13 geforderte Beschwerde sowohl praktisch als auch rechtlich „wirksam“ sein muss (M. S. S., a. a. O., Rdnr. 288). Er bemerkt, dass das Bundesverfassungsgericht befunden hat, dass es zwar ein praktisches Problem für die Beschwerdeführerin sei, eine Vielzahl von Verfahren vor den innerstaatlichen Gerichten anstrengen zu müssen, dass dieses jedoch mit zumutbarem Aufwand zu bewältigen sei (siehe Rdnr. 11). Nach Auffassung des Gerichtshofs führt der Umstand, dass eine Beschwerdeführerin, die zahlreiche Rechtsverletzungen durch verschiedene Handlungen oder Maßnahmen geltend macht, in Bezug auf jede mutmaßliche Verletzung ein eigenes Verfahren anstrengen muss, nicht dazu, dass die jeweiligen Rechtsbehelfe unwirksam wären.
25. Hinzu kommt, dass die Beschwerdeführerin selbst dann, wenn die innerstaatlichen Gerichte ein Feststellungsurteil erlassen würden, aus dem hervorginge, dass sie keine verfassungswidrige Partei sei, bei Verletzungen ihrer Rechte durch konkrete Maßnahmen weiterhin den Rechtsweg beschreiten müsste. Ein Feststellungsurteil, wie es die Beschwerdeführerin fordert, wäre demnach kein wirksamer Rechtsbehelf zur Verhinderung von Verletzungen der Konventionsrechte der Beschwerdeführerin. Darüber hinaus würde sich die abstrakte Feststellung, dass eine Partei nicht verfassungswidrig ist, nicht unbedingt präjudiziell auf den Ausgang der jeweiligen Gerichtsverfahren über konkrete, die Beschwerdeführerin angeblich beeinträchtigende Handlungen Dritter auswirken. Dies gilt insbesondere in Rechtsbereichen, in denen Vertragsfreiheit herrscht und in denen der Abschluss eines Vertrags – innerhalb des verfassungsrechtlichen Rahmens – dem freien Willen der Vertragsparteien unterliegt.
26. Der Gerichtshof merkt ferner an, dass die Rüge der Beschwerdeführerin hinsichtlich einer behaupteten Verletzung ihrer Rechte aus den Artikeln 10 und 11 der Konvention sowie aus Artikel 3 des Zusatzprotokolls durch eine Reihe von Maßnahmen, die, wie sie geltend machte, einem „faktischen Parteiverbot“ gleichkamen, nach Artikel 93 Abs. 1 Nr. 1 GG in Verbindung mit § 13 Nr. 5, § 63 und § 64 BVerfG (siehe „Das einschlägige innerstaatliche Recht und die einschlägige innerstaatliche Praxis“, Rdnrn. 15, 17 und 18) grundsätzlich Gegenstand eines Organstreitverfahrens vor dem Bundesverfassungsgericht sein könnte. Das Bundesverfassungsgericht hat diese Rüge mit der Feststellung für unzulässig erklärt, dass die Beschwerdeführerin sie nicht hinreicht substantiiert habe (siehe Rdnr. 12). Es befand auch, dass der Beschwerdeführerin wirksame Rechtsbehelfe vor den Verwaltungs-, Zivil- und sogar Strafgerichten zum Schutz ihrer Interessen zur Verfügung stünden (siehe Rdnrn. 10, 11 und 13).
27. Vor diesem Hintergrund ist der Gerichtshof davon überzeugt, dass der Beschwerdeführerin auf nationaler Ebene Rechtsbehelfe zur Verfügung standen, die es ihr ermöglichten, die Substanz ihrer durch die Konvention geschützten Rechte und Freiheiten wirksam durchzusetzen.
28. Die Beschwerde ist daher offensichtlich unbegründet und nach Artikel 35 Abs. 3 Buchst. a und Abs. 4 der Konvention zurückzuweisen.
Aus diesen Gründen erklärt der Gerichtshof
die Individualbeschwerde einstimmig für unzulässig.
Ausgefertigt in Englisch und schriftlich zugestellt am 27. Oktober 2016.
Milan Blaško Khanlar Hajiyev
Stellvertretender Sektionskanzler Präsident
Zuletzt aktualisiert am Dezember 5, 2020 von eurogesetze
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