Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte
FÜNFTE SEKTION
RECHTSSACHE W. P. ./. DEUTSCHLAND
(Individualbeschwerde Nr. 55594/13)
URTEIL
STRASSBURG
6. Oktober 2016
Dieses Urteil wird nach Maßgabe des Artikels 44 Absatz 2 der Konvention endgültig. Es wird gegebenenfalls noch redaktionell überarbeitet.
In der Rechtssache W. P. ./. Deutschland
hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (Fünfte Sektion) als Kammer mit den Richterinnen und Richtern
Ganna Yudkivska, Präsidentin,
Angelika Nußberger,
Khanlar Hajiyev,
Erik Møse,
Faris Vehabović,
Síofra O’Leary,
Carlo Ranzoni,
und Milan Blaško, Stellvertretender Sektionskanzler,
nach nicht öffentlicher Beratung am 13. September 2016
das folgende Urteil erlassen, das am selben Tag angenommen wurde.
VERFAHREN
1. Der Rechtssache lag eine Individualbeschwerde (Nr. 55594/13) gegen die Bundesrepublik Deutschland zugrunde, die ein deutscher Staatsangehöriger, W. P. („der Beschwerdeführer“), am 26. Juli 2013 nach Artikel 34 der Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten („die Konvention“) beim Gerichtshof eingereicht hatte. Am 23. August 2016 gab der Vizepräsident der Sektion dem Antrag des Beschwerdeführers vom 21. Juli 2016, seine Identität nicht offen zu legen (Artikel 47 Abs. 4 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs), statt.
2. Der Beschwerdeführer wurde von Frau K., Rechtsanwältin in H., vertreten. Die deutsche Regierung („die Regierung“) wurde durch zwei ihrer Verfahrensbevollmächtigten, Herrn H.-J. Behrens und Frau K. Behr vom Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz, vertreten.
3. Der Beschwerdeführer rügte insbesondere, dass die auf der Grundlage unzureichender Sachverständigengutachten nachträglich angeordnete Verlängerung seiner Sicherungsverwahrung, die zum Teil in der Justizvollzugsanstalt L. und zum Teil in einer Einrichtung für Sicherungsverwahrte der Justizvollzugsanstalt H. vollstreckt wurde, gegen Artikel 5 Abs. 1 und Artikel 7 Abs. 1 der Konvention verstoßen habe.
4. Am 6. Januar 2014 wurden die Rügen bezüglich der nachträglichen Verlängerung der Sicherungsverwahrung des Beschwerdeführers, die angeblich auf der Grundlage unzureichender Sachverständigengutachten erfolgt sei, der Regierung übermittelt und die Beschwerde im Übrigen nach Artikel 54 Abs. 3 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs für unzulässig erklärt.
SACHVERHALT
I. DIE UMSTÄNDE DES FALLS
5. Der Beschwerdeführer wurde 19.. geboren. Zum Zeitpunkt der Einlegung seiner Individualbeschwerde war er in einer Einrichtung für Sicherungsverwahrte der Justizvollzugsanstalt H. untergebracht. Derzeit lebt er in P.
A. Die Anordnung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung und deren Vollstreckung
6. Am 28. März 1994 sprach das Landgericht Lübeck den Beschwerdeführer der Vergewaltigung und sexuellen Nötigung schuldig. Es verurteilte ihn zu acht Jahren Freiheitsstrafe und ordnete seine Sicherungsverwahrung nach § 66 Abs. 1 Strafgesetzbuch (StGB) an (siehe Rdnr. 23). Das Gericht stellte fest, dass der Beschwerdeführer, der bei seiner Tat uneingeschränkt schuldfähig gewesen sei, im August 1986 eine achtzehnjährige Frau in einen Wald gelockt und dann vergewaltigt habe. Es wies darauf hin, dass der Beschwerdeführer zwischen dem 6. Oktober 1970 und dem 28. Mai 1991 wegen Vergewaltigung junger Frauen in fünf Fällen, begangen nur wenige Monate nach der Entlassung aus der Strafhaft, verurteilt worden sei. Daher stellte das Gericht, das einen ärztlichen Sachverständigen hinzugezogen hatte, fest, dass der Beschwerdeführer einen Hang zur Begehung erheblicher Sexualstraftaten habe und für die Allgemeinheit gefährlich sei.
7. Am 10. Januar 2002 wurde der Beschwerdeführer nach vollständiger Verbüßung seiner Freiheitsstrafe erstmals in der Sicherungsverwahrung untergebracht, zunächst in der Justizvollzugsanstalt L. Folglich hatte der Beschwerdeführer am 9. Januar 2012 zehn Jahre in der Sicherungsverwahrung verbracht.
B. Das in Rede stehende Verfahren
1. Der Beschluss des Landgerichts Lübeck
8. Am. 2. Oktober 2012 ordnete das Landgericht Lübeck nach persönlicher Anhörung des Beschwerdeführers und der Rechtsanwältin, von der er während des gesamten Verfahrens vertreten wurde, die Fortdauer der Unterbringung des Beschwerdeführers in der Sicherungsverwahrung an.
9. Das Landgericht war der Auffassung, dass die Anforderungen des § 67d StGB in Verbindung mit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 4. Mai 2011 (siehe Rdnr. 23) für die Fortdauer der nachträglich verlängerten Sicherungsverwahrung erfüllt seien. Der Beschwerdeführer leide an einer psychischen Störung im Sinne des § 1 Abs. 1 Therapieunterbringungsgesetz (ThUG) (siehe Rdnr. 23). Er leide an einer Persönlichkeits- und Verhaltensstörung, wie sie in dem einschlägigen Instrument zur Klassifikation von Krankheiten, der Internationalen statistischen Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme in der aktuellen Fassung (ICD-10), beschrieben sei. Das Landgericht schloss sich den Feststellungen an, zu denen der psychiatrische Sachverständige B. nach einer persönlichen Begutachtung des Beschwerdeführers in seinem Gutachten vom 4. Juni 2010 zu möglichen Vollzugslockerungen gelangt sei. Der Sachverständige habe festgestellt, dass der Beschwerdeführer an einer tiefgreifenden schweren Persönlichkeitsstörung mit narzisstischen Zügen und mangelndem Selbstwertgefühl leide. Seine Störung sei durch Verleugnungsverhalten, Idealisierung, völliges Ausblenden eigener Aggressionen sowie Bagatellisierung der eigenen Straftaten gekennzeichnet.
10. Darüber hinaus bestand nach Auffassung des Landgerichts bei dem Beschwerdeführer im Falle seiner Entlassung weiterhin eine hochgradige Gefahr schwerster Sexualstraftaten, die aus den genannten konkreten Umständen in seiner Person und seinem Verhalten abzuleiten sei. Insbesondere der Sachverständige B. und das Universitätsklinikum H. hätten wiederholt bekräftigt, dass der Beschwerdeführer eine umfassende Sexualtherapie in einer sozialtherapeutischen Einrichtung benötige. Der Beschwerdeführer, der keine Therapie abgeschlossen habe, habe bei seiner Anhörung jedoch bekräftigt, dass er eine Verlegung in die sozialtherapeutische Abteilung der Justizvollzugsanstalt ablehne. Außerdem habe der Beschwerdeführer bereits sechs Frauen vergewaltigt und sei wiederholt kurz nach seiner Entlassung rückfällig geworden.
2. Der Beschluss des Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgerichts
11. Am 24. Oktober 2012 legte der Beschwerdeführer gegen den Beschluss des Landgerichts sofortige Beschwerde beim Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgericht ein. Er brachte vor, dass die Fortdauer seiner Unterbringung in der Sicherungsverwahrung über die frühere Zehnjahresfrist hinaus gegen das Grundgesetz, wie es durch das Bundesverfassungsgericht ausgelegt worden sei, und gegen die Konvention verstoße. Insbesondere rügte er, dass das Landgericht es unterlassen habe, ein neues Gutachten eines anderen Sachverständigen einzuholen, und sich stattdessen auf das Gutachten des Sachverständigen B. berufen habe, das zweieinhalb Jahre alt sei und Vollzugslockerungen betroffen habe, auf die für die Fortdauer der Sicherungsverwahrung relevanten Fragen aber überhaupt nicht eingegangen sei.
12. Am 21. November 2012 verwarf das Schleswig-Holsteinische Oberlandesgericht die sofortige Beschwerde des Beschwerdeführers. Hinsichtlich der Feststellung, der Beschwerdeführer leide an einer psychischen Störung im Sinne von § 1 Abs. 1 Therapieunterbringungsgesetz (ThUG), betonte das Oberlandesgericht, dass die Entscheidung, die Unterbringung des Beschwerdeführers in der Sicherungsverwahrung zu verlängern, nicht allein auf dem vom Sachverständigen B. im Jahr 2010 erstatteten Gutachten beruhe. Der Sachverständige sei vom Landgericht am 6. Juni 2012 in einem anderen Verfahren (betreffend die Verlegung des Beschwerdeführers in ein psychiatrisches Krankenhaus, siehe Rdnr. 19) persönlich angehört worden und habe seine früheren Feststellungen aktualisiert und bestätigt. Seine Einschätzung sei darüber hinaus durch die Stellungnahme des Universitätsklinikums H. vom 27. März 2012 zu den therapeutischen Fortschritten des Beschwerdeführers bestätigt worden. Das Universitätsklinikum habe auf Grundlage der umfangreichen Akten die Schlussfolgerung des Sachverständigen B. bestätigt, wonach der Beschwerdeführer, der jahrelang jegliche Therapie verweigert habe, an einer tiefgreifenden Persönlichkeitsstörung leide, wie sie in der ICD-10 definiert sei, nämlich an einer narzisstischen Persönlichkeitsstörung mit emotional-instabilen und sadistischen Anteilen.
13. In Anbetracht des strafrechtlichen Vorlebens des Beschwerdeführers und der Tatsache, dass Therapieerfolge bisher ausgeblieben seien, war das Oberlandesgericht ebenfalls der Auffassung, dass weiterhin eine hochgradige Gefahr bestehe, dass der Beschwerdeführer im Falle seiner Entlassung schwerste Sexualstraftaten begehen würde. Wie von dem Beschwerdeführer bei seiner Anhörung vor dem Landgericht bestätigt worden sei, habe sich seine persönliche und therapeutische Situation seit der letzten Entscheidung des Oberlandesgerichts vom 18. November 2011, mit der die Unterbringung des Beschwerdeführers in der Sicherungsverwahrung im Rahmen regelmäßiger Überprüfungen verlängert worden sei, nicht geändert.
3. Der Beschluss des Bundesverfassungsgerichts
14. Am 17. Dezember 2012 erhob der Beschwerdeführer Verfassungsbeschwerde zum Bundesverfassungsgericht. Er rügte, dass die Verlängerung seiner Unterbringung in der Sicherungsverwahrung über die frühere gesetzliche Zehnjahresfrist hinaus gegen sein Recht auf Freiheit sowie gegen das rechtsstaatliche Vertrauensschutzgebot verstoße.
15. Der Beschwerdeführer brachte vor, dass die im Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 4. Mai 2011 festgelegten restriktiven Kriterien für eine Fortdauer der nachträglich verlängerten Sicherungsverwahrung nicht erfüllt seien. Die Anordnung der Fortdauer seiner Sicherungsverwahrung habe sich auf ein altes Sachverständigengutachten zu Vollzugslockerungen gestützt, das sich nicht mit den vom Bundesverfassungsgericht festgelegten Kriterien befasst habe. Unter diesen Umständen habe es für die Schlussfolgerung der Gerichte, der Beschwerdeführer leide an einer psychischen Störung nach dem ThUG, keine ausreichende Grundlage gegeben. Jedenfalls leide er nicht an einer psychischen Krankheit, wie es nach Artikel 5 Abs. 1 Buchst. e der Konvention erforderlich sei.
16. Am 20. März 2013 lehnte es das Bundesverfassungsgericht ohne Angabe von Gründen ab, die Verfassungsbeschwerde (2 BvR 2886/12) des Beschwerdeführers zur Entscheidung anzunehmen.
C. Die Bedingungen der Unterbringung des Beschwerdeführers während der Vollstreckung der Sicherungsverwahrungsanordnung
17. Vom 10. Januar 2002 bis zum 22. Mai 2013 wurde die gegen den Beschwerdeführer angeordnete Sicherungsverwahrung in der Justizvollzugsanstalt L. vollzogen, wo der Beschwerdeführer zusammen mit Strafgefangenen untergebracht war. Solange die Sicherungsverwahrung des Beschwerdeführers während des für das in Rede stehende Verfahren maßgeblichen Zeitraums in dieser Justizvollzugsanstalt vollzogen wurde, befand sich der Beschwerdeführer, der Behandlungsangebote, insbesondere seine Verlegung in die sozialtherapeutische Einrichtung der Justizvollzugsanstalt L., wiederholt abgelehnt hatte, anscheinend nicht in einer Therapie für Sexualstraftäter. Seine gelegentlichen Gespräche mit den Anstaltspsychologen endeten im Mai 2012.
18. Am 22. Mai 2013 wurde der Beschwerdeführer in eine neu eingerichtete Station für Sicherungsverwahrte der Justizvollzugsanstalt H. verlegt. Diese Station wurde errichtet, um dem im Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 4. Mai 2011 definierten verfassungsrechtlichen Gebot, zwischen Sicherungsverwahrung und Strafhaft zu unterscheiden, gerecht zu werden. Kurz nach seiner Verlegung auf diese Station begann der Beschwerdeführer eine umfassende Therapie, die sowohl Einzeltherapie- als auch Gruppentherapiesitzungen beinhaltete. Ab März 2014 wurde ihm unbegleiteter Ausgang gewährt.
D. Weitere Entwicklungen
19. Vor dem in Rede stehenden Verfahren lehnte das Landgericht Lübeck am 14. Juni 2012 den Antrag der Staatsanwaltschaft, den Beschwerdeführer zum weiteren Vollzug der Sicherungsverwahrung gemäß § 67a Abs. 2 StGB in ein psychiatrisches Krankenhaus zu verlegen, ab (siehe Rdnr. 23). Nach Anhörung des psychiatrischen Sachverständigen B. war das Landgericht der Auffassung, dass die Wiedereingliederung des Beschwerdeführers in die Gesellschaft in einem psychiatrischen Krankenhaus nicht besser gefördert werden könne. Erforderlich sei, dass sich der Beschwerdeführer einer Therapie für Sexualstraftäter in einer sozialtherapeutischen Abteilung der Justizvollzugsanstalt oder möglicherweise durch einen externen Sozialtherapeuten unterziehe. Den Beschwerdeführer, der zu einer Therapie nicht bereit sei, gegen seinen Willen in ein psychiatrisches Krankenhaus zu verlegen, sei aussichtslos.
20. Am 24. Oktober 2013 ordnete das Landgericht Hamburg in einem erneuten Überprüfungsverfahren die Fortdauer der Sicherungsverwahrung des Beschwerdeführers an. Es berücksichtigte dabei das Gutachten des psychiatrischen Sachverständigen L. vom 28. August 2013 zur Frage der psychischen Verfassung und Gefährlichkeit des Beschwerdeführers. Der Sachverständige L., der den Beschwerdeführer persönlich begutachtet hatte, war der Auffassung, dass es sich bei ihm um eine akzentuierte Persönlichkeit handele, dass bei ihm möglicherweise sadistische Persönlichkeitsanteile vorlägen und dass er ein mangelndes Selbstwertgefühl habe. Jedoch könne bei dem Beschwerdeführer keine psychische Störung im Sinne der ICD-10 diagnostiziert werden; insbesondere zeige er keine Anzeichen für sexuellen Sadismus. Es bestehe ein mittleres Risiko, dass der Beschwerdeführer im Falle seiner Entlassung erneut erhebliche Sexualstraftaten begehen würde.
21. Am 29. August 2014 erklärte das Landgericht Hamburg unter Hinweis auf ein zusätzliches Gutachten des Sachverständigen L. die Unterbringung des Beschwerdeführers in der Sicherungsverwahrung für erledigt und ordnete seine Entlassung am 1. Oktober 2014 an. Es befand, dass der Beschwerdeführer nicht an einer psychischen Störung leide und bei ihm im Falle seiner Entlassung auch keine hochgradige Wahrscheinlichkeit schwerster Gewalt- oder Sexualstraftaten bestehe.
II. EINSCHLÄGIGES INNERSTAATLICHES RECHT UND EINSCHLÄGIGE INNERSTAATLICHE PRAXIS
22. Ein umfassender Überblick über die Bestimmungen des Strafgesetzbuchs und der Strafprozessordnung zur Unterscheidung zwischen Strafen und Maßregeln der Besserung und Sicherung, insbesondere der Sicherungsverwahrung, sowie zum Erlass, zur Überprüfung und zur praktischen Umsetzung von Sicherungsverwahrungsanordnungen ist in den Urteilen des Gerichtshofs in den Rechtssachen M. ./. Deutschland (Individualbeschwerde Nr. 19359/04, Rdnrn. 45-78, ECHR 2009), G. ./. Deutschland (Individualbeschwerde Nr. 7345/12, Rdnrn. 32-52, 28. November 2013) und B. ./. Deutschland (Individualbeschwerde Nr. 23279/14, Rdnrn. 42-76, 7. Januar 2016) enthalten.
23. Die im vorliegenden Fall in Bezug genommenen Bestimmungen in der zur maßgeblichen Zeit geltenden Fassung finden sich an den folgenden Stellen: die Bestimmung über die Anordnung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung durch das erkennende Gericht (§ 66 Abs. 1 StGB) ist in der Rechtssache M. ./. Deutschland (a. a. O.), Rdnrn. 49‑50) dargestellt. Die maßgeblichen Bestimmungen über die gerichtliche Überprüfung und Dauer der Sicherungsverwahrung (§ 67e Abs. 1 und 2 StGB, § 67d Abs. 1 und 3 StGB in der vor dem 31. Januar 1998 geltenden Fassung und § 67d Abs. 3 StGB in der geänderten Fassung) sind in der Rechtssache G. (a. a. O., Rdnrn. 35-37) enthalten. Die Vorschriften über die Unterbringung psychisch kranker Personen (§ 63 StGB und § 1 ThUG) werden in der Rechtssache B. (a. a. O., Rndrn. 63-64) genannt. Die maßgebliche Bestimmung über die Überweisung in den Vollzug einer anderen Maßregel der Besserung und Sicherung (§ 67a StGB) ist in der Rechtssache G. (a. a. O., Rdnr. 41) dargestellt. Eine Zusammenfassung des Leiturteils des Bundesverfassungsgerichts zur Sicherungsverwahrung vom 4. Mai 2011 schließlich findet sich in der Rechtssache B. (a. a. O., Rdnrn. 66-72).
RECHTLICHE WÜRDIGUNG
I. BEHAUPTETE VERLETZUNG VON ARTIKEL 5 ABS. 1 UND ARTIKEL 7 ABS. 1 DER KONVENTION AUFGRUND DER NACHTRÄGLICHEN VERLÄNGERUNG DER SICHERUNGSVERWAHRUNG DES BESCHWERDEFÜHRES VOM 2. OKTOBER 2012 BIS ZUM 22. MAI 2013
24. Der Beschwerdeführer rügte, dass die Fortdauer seiner Sicherungsverwahrung über die frühere Zehnjahresfrist hinaus – einschließlich des Zeitraums zwischen dem 2. Oktober 2012 und dem 22. Mai 2013, in dem die Unterbringung in der Justizvollzugsanstalt L. erfolgte – sein Recht auf Freiheit nach Artikel 5 Abs. 1 der Konvention und das Verbot der rückwirkenden Bestrafung nach Artikel 7 Abs. 1 der Konvention verletzt habe.
25. Nachdem Versuche, eine gütliche Einigung zu erreichen, gescheitert waren, unterrichtete die Regierung den Gerichtshof mit Schreiben vom 5. Mai 2014 von ihrem Vorschlag, eine einseitige Erklärung zur Erledigung der in diesem Teil der Beschwerde aufgeworfenen Frage abzugeben. Ferner beantragte sie beim Gerichtshof, die Beschwerde gemäß Artikel 37 der Konvention im Register zu streichen.
26. Die Regierung erklärte in diesem Zusammenhang, dass sie das Urteil des Gerichtshofs in der Rechtssache G. (a. a. O.) zur Kenntnis genommen habe. Im Lichte der Feststellungen des Gerichtshof in diesem Urteil erkenne die Regierung an, dass der Beschwerdeführer bis zu seiner Überstellung in die Justizvollzugsanstalt H. im Mai 2013 – bis dahin sei er in der Justizvollzugsanstalt L. zusammen mit Strafgefangenen untergebracht gewesen – nicht in einer für psychisch kranke Patienten geeigneten Einrichtung untergebracht gewesen sei. Daher sei seine Unterbringung nicht mit Artikel 5 der Konvention vereinbar gewesen. Ferner sei im Hinblick auf diese Unterbringungsbedingungen die Sicherungsverwahrung des Beschwerdeführers während dieses Zeitraums als Strafe anzusehen und habe daher gegen Artikel 7 der Konvention verstoßen.
27. Die Erklärung lautete wie folgt:
„1. Die vom Gerichtshof vorgeschlagene gütliche Einigung ist gescheitert, da vom Beschwerdeführer keine Erklärung dazu abgegeben wurde.
2. Die Bundesregierung erkennt – durch eine einseitige Erklärung – an, dass es den Beschwerdeführer in seinen Rechten aus Art. 5, Art. 7 EMRK verletzt hat, dass er über den 9. Januar 2012 hinaus und damit länger als zehn Jahre in der Sicherungsverwahrung untergebracht war. Maßgeblich ist, dass er sich dabei – unter Berücksichtigung der einzelnen Umstände seiner konkreten Unterbringungssituation – zunächst nicht in einer für die Freiheitsentziehung in der Sicherungsverwahrung „geeigneten“ Einrichtung befand.
3. Die Bundesregierung ist bereit, aufgrund der konkreten Umstände dieses Einzelfalles eine Entschädigung in Höhe von 11.000 Euro an den Beschwerdeführer zu leisten, wenn der Gerichtshof das Individualbeschwerdeverfahren unter der Bedingung der Zahlung dieses Betrages gemäß Art. 37 Abs. 1 c) EMRK aus dem Register streicht. Damit würden sämtliche Ansprüche des Beschwerdeführers gegen die Bundesrepublik (d. h. gegen den Bund und/oder die Länder) wegen konventionswidriger Unterbringung in der Sicherungsverwahrung, Kosten und Auslagen als abgegolten gelten.
Der Betrag ist zahlbar innerhalb von drei Monaten nach Endgültigkeit der Entscheidung des Gerichtshofs über die Streichung der Rechtssache aus seinem Register.“
28. Mit Schreiben vom 4. Juni 2014 erklärte der Beschwerdeführer, dass er mit den Bedingungen der einseitigen Erklärung nicht zufrieden sei. Seine Beschwerde betreffe nicht nur einen Verstoß gegen seine Konventionsrechte infolge seiner Unterbringungsbedingungen. Insbesondere sei es zu einem weiteren Verstoß gegen diese Rechte dadurch gekommen, dass die innerstaatlichen Gerichte es versäumt hätten, ein notwendiges Sachverständigengutachten zu seinem psychischen Zustand und seiner Gefährlichkeit einzuholen, wodurch sich die Verlängerung seiner Sicherungsverwahrung über die Zehnjahresfrist hinaus an sich erübrigt hätte.
29. Der Gerichtshof stellt eingangs fest, dass sich der Beschwerdeführer in der vorliegenden Beschwerde gegen die Fortdauer seiner Sicherungsverwahrung wendete, die am 2. Oktober 2012 durch das Landgericht Lübeck angeordnet worden war. Die aus dieser Entscheidung resultierende Unterbringung dauerte bis zum 24. Oktober 2013 an, als das Landgericht Hamburg in einem neuen Verfahren erneut die Fortdauer der Sicherungsverwahrung des Beschwerdeführers anordnete (siehe Rdnr. 20). Ferner geht aus der Erklärung der Regierung und ihren diesbezüglichen Erläuterungen klar hervor, dass die einseitige Erklärung nur den Zeitraum vor der Überstellung des Beschwerdeführers in die Justizvollzugsanstalt H. am 22. Mai 2013 betrifft. Zudem betrifft die Erklärung nur Konventionsverstöße, die sich daraus ergaben, dass dem Beschwerdeführer keine Unterbringungsbedingungen gewährt wurden, die seinem Status als psychisch kranke Person in Sicherungsverwahrung angemessen waren.
30. Der Gerichtshof erinnert daran, dass er nach Artikel 37 der Konvention jederzeit während des Verfahrens entscheiden kann, eine Beschwerde in seinem Register zu streichen, wenn die Umstände Grund zu einer der in Absatz 1 Buchst. a, b oder c genannten Annahmen geben. Insbesondere kann der Gerichtshof nach Artikel 37 Abs. 1 Buchst. c eine Rechtssache in seinem Register streichen, wenn
„eine weitere Prüfung der Beschwerde aus anderen vom Gerichtshof festgestellten Gründen nicht gerechtfertigt ist.“
31. Er erinnert auch daran, dass er unter bestimmten Umständen eine Beschwerde oder Teile davon auch dann nach Artikel 37 Abs. 1 Buchst. c aufgrund einer einseitigen Erklärung einer beschwerdegegnerischen Regierung streichen kann, wenn der Beschwerdeführer die Fortsetzung der Prüfung der Rechtssache wünscht.
32. Zu diesem Zweck hat der Gerichtshof die Erklärung im Lichte der Grundsätze geprüft, die in seiner Rechtsprechung aufgestellt worden sind, insbesondere in dem Urteil Tahsin Acar (Tahsin Acar ./. Türkei (prozessuale Einreden) [GK], Individualbeschwerde Nr. 26307/95, Rdnrn. 75-77, ECHR 2003-VI).
33. Der Gerichtshof hat in einer Reihe von Fällen gegen Deutschland seine Praxis in Bezug auf Rügen wegen der Verletzung von Artikel 5 Abs. 1 und Artikel 7 Abs. 1 der Konvention durch die nachträgliche Verlängerung der Sicherungsverwahrung über die frühere Zehnjahresfrist hinaus festgelegt (siehe M. ./. Deutschland, a. a. O., Rdnrn. 79 ff.; und O.H. ./. Deutschland, Individualbeschwerde Nr. 4646/08, Rdnrn. 56 ff., 24. November 2011 mit weiteren Nachweisen). Darunter waren Fälle, in denen die Sicherungsverwahrung der betreffenden Beschwerdeführer zwar nach Erlass des Leiturteils des Bundesverfassungsgerichts vom 4. Mai 2011 verlängert wurde, der Vollzug aber noch nicht in den neu errichteten Einrichtungen für Sicherungsverwahrte erfolgte und damit nicht in Einrichtungen, die für psychisch Kranke im Sinne von Artikel 5 Abs. 1 Buchst. e geeignet waren, und nicht unter Bedingungen, durch die diese Maßnahme von eine „Strafe“ im Sinne von Artikel 7 unterschieden wurde.
34. Unter Berücksichtigung der Art des in der Erklärung der Regierung enthaltenen Eingeständnisses und der vorgeschlagenen Entschädigungssumme, die den in ähnlich gelagerten Fällen zugesprochenen Beträgen entspricht, ist der Gerichtshof der Auffassung, dass eine weitere Prüfung dieses Teils der Beschwerde nicht gerechtfertigt ist (Artikel 37 Abs. 1 Buchst. c).
35. Darüber hinaus ist der Gerichtshof im Lichte vorstehender Erwägungen und insbesondere in Anbetracht der eindeutigen und umfangreichen Rechtsprechung zu diesem Thema gewiss, dass die Achtung der Menschenrechte, wie sie in der Konvention und den Protokollen dazu definiert sind, keine weitere Prüfung dieses Teils der Beschwerde erfordert (Artikel 37 Abs. 1 in fine).
36. Der Gerichtshof ist ferner der Ansicht, dass für den betreffenden Betrag einfache Zinsen in Höhe eines Zinssatzes anfallen, der dem Spitzenrefinanzierungssatz (marginal lending rate) der Europäischen Zentralbank zuzüglich drei Prozentpunkten entspricht, wenn die Zahlung nicht innerhalb der in der einseitigen Erklärung der Regierung genannten Frist von drei Monaten erfolgt. Schließlich möchte der Gerichtshof betonen, dass, sollte die Regierung die Bedingungen ihrer einseitigen Erklärung nicht einhalten, die Beschwerde nach Artikel 37 Abs. 2 der Konvention wieder in das Register eingetragen werden könnte (Josipović ./. Serbien (Entsch.), Individualbeschwerde Nr. 18369/07, 4. März 2008).
37. Nach alledem ist es angezeigt, diesen Teil der Beschwerde im Register zu streichen.
II. BEHAUPTETE VERLETZUNG VON ARTIKEL 5 ABS. 1 DER KONVENTION AUFGRUND DER VERLÄNGERUNG DER SICHERUNGSVERWAHRUNG DES BESCHWERDEFÜHRERS AUF DER GRUNDLAGE ANGEBLICH UNZUREICHENDER SACHVERSTÄNDIGENGUTACHTEN UND AUFGRUND DER NACHTRÄGLICHEN VERLÄNGERUNG SEINER SICHERUNGSVERWAHRUNG VOM 22. MAI 2013 BIS ZUM 24. OKTOBER 2013
38. Der Beschwerdeführer rügte, dass das Verfahren zur Überprüfung seiner Sicherungsverwahrung und deren Verlängerung unfair gewesen sei, weil die Fortdauer seiner Sicherungsverwahrung auf der Grundlage unzureichender Sachverständigengutachten angeordnet worden sei. Er berief sich auf Artikel 6 Abs. 1 der Konvention. Der Gerichtshof ist im Hinblick auf seine Rechtsprechung (siehe insbesondere H.W. ./. Deutschland, Individualbeschwerde Nr. 17167/11, Rdnrn. 92-93, 19. September 2013) der Auffassung, dass diese Rüge nach Artikel 5 Abs. 1 der Konvention zu prüfen ist.
39. Der Beschwerdeführer trug ferner vor, dass er durch die Fortdauer seiner Sicherungsverwahrung über die frühere Zehnjahresfrist hinaus – soweit sie vom 22. Mai 2013 bis zum 24. Oktober 2013 in der Justizvollzugsanstalt H. vollzogen wurde – auch in seinem Recht auf Freiheit nach Artikel 5 Abs. 1 der Konvention verletzt worden sei, der, soweit maßgeblich, wie folgt lautet:
„1. Jede Person hat das Recht auf Freiheit und Sicherheit. Die Freiheit darf nur in den folgenden Fällen und nur auf die gesetzlich vorgeschriebene Weise entzogen werden:
[…]
e) rechtmäßige Freiheitsentziehung mit dem Ziel, die Verbreitung ansteckender Krankheiten zu verhindern, sowie bei psychisch Kranken, Alkohol- oder Rauschgiftsüchtigen und Landstreichern […]“
40. Die Regierung trat diesem Vorbringen entgegen.
A. Zulässigkeit
41. Der Gerichtshof stellt fest, dass dieser Teil der Beschwerde – der, wie bereits dargelegt, nicht von der einseitigen Erklärung der Regierung erfasst ist – nicht im Sinne von Artikel 35 Abs. 3 Buchst. a der Konvention offensichtlich unbegründet ist. Er ist auch nicht aus anderen Gründen unzulässig. Folglich ist er für zulässig zu erklären.
B. Begründetheit
1. Die Stellungnahmen der Parteien
a) Der Beschwerdeführer
42. Der Beschwerdeführer behauptete, dass seine Sicherungsverwahrung während des gesamten in Rede stehenden Zeitraums im Widerspruch zu Artikel 5 der Konvention gestanden habe, weil diese Unterbringung auf der Grundlage eines Sachverständigengutachtens vom 4. Juni 2010 angeordnet worden sei, das somit etwa zweieinhalb Jahre alt gewesen sei. Zudem habe sich dieses Gutachten nur mit der Frage befasst, ob Vollzugslockerungen gewährt werden könnten. Es habe daher eine andere Frage betroffen als die, mit der sich die innerstaatlichen Gerichte in dem in Rede stehenden Verfahren auseinandersetzen mussten, nämlich, mit welcher Wahrscheinlichkeit er im Fall seiner Entlassung aufgrund seiner psychischen Störung schwerste Gewalt- oder Sexualstraftaten begehen würde. Das Sachverständigengutachten befasse sich also nicht mit den neuen, strikteren Voraussetzungen, die das Bundesverfassungsgericht in seinem Leiturteil vom 4. Mai 2011 für die Fortdauer der nachträglich verlängerten Sicherungsverwahrung festgelegt habe, insbesondere nicht mit der Frage, ob er an einer psychischen Störung leide, was er bestreite.
43. Der Beschwerdeführer trug vor, dass der Sachverständige B. im Unterschied zu früheren Sachverständigen zu dem Ergebnis gekommen sei, dass bei ihm ein hohes Rückfallrisiko bestehe, obwohl sich seine Situation nicht wesentlich verändert habe. Ferner wies er darauf hin, dass in einem späteren Sachverständigengutachten, das der Sachverständige L. im September 2013 erstattet habe, seine Freilassung nach einer etwa einjährigen Vorbereitungszeit für möglich gehalten worden sei. Hätte das Landgericht Lübeck in dem in Rede stehenden Verfahren ein neues Gutachten eingeholt, wäre er früher entlassen worden.
44. Der Beschwerdeführer trug ferner vor, dass seine Sicherungsverwahrung in der Justizvollzugsanstalt H. ebenso wie diejenige in der Justizvollzugsanstalt L. gegen Artikel 5 der Konvention verstoßen habe. Er räumte ein, dass die Unterbringungsbedingungen in der Justizvollzugsanstalt H. akzeptabel gewesen seien, da er in einer separaten Einrichtung für Sicherungsverwahrte untergebracht gewesen sei und eine umfassende Therapie erhalten habe. Jedoch bestritt er, dass seine Sicherungsverwahrung nach Artikel 5 Abs. 1 Buchst. e als Freiheitsentziehung eines „psychisch Kranken“ gerechtfertigt war. Selbst wenn man unterstelle, dass bei ihm eine Persönlichkeitsstörung vorliege, wie der Sachverständige B. irrtümlich diagnostiziert habe, so leide er nicht an einer psychischen Störung im Sinne des ThUG. Erst recht nicht sei er „psychisch krank“ im Sinne von Artikel 5 Abs. 1 Buchst. e.
b) Die Regierung
45. Die Regierung vertrat die Auffassung, dass das Verfahren zur Überprüfung der Unterbringung des Beschwerdeführers in der Sicherungsverwahrung an sich mit Artikel 5 der Konvention vereinbar gewesen sei. Insbesondere hätten die Gerichte die vom Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil vom 4. Mai 2011 festgelegten Bedingungen hinsichtlich der Fortdauer der Sicherungsverwahrung des Beschwerdeführers korrekt angewandt.
46. Ferner war der Beschwerdeführer nach Auffassung der Regierung ab dem Zeitpunkt seiner Überstellung in die neue Station für Sicherungsverwahrte der Justizvollzugsanstalt H. in einer geeigneten Einrichtung im Sinne von Artikel 5 untergebracht.
2. Würdigung durch den Gerichtshof
a) Zusammenfassung der einschlägigen Grundsätze
47. Bezüglich eines Überblicks über die für den Fall einschlägigen Grundsätze im Hinblick auf Artikel 5 Abs. 1 Buchst. e verweist der Gerichtshof auf die Zusammenfassung dieser Grundsätze in seinem Urteil in der Rechtssache B. (a. a. O., Rdnrn. 95-99 und 101-102).
48. Der Gerichtshof weist insbesondere erneut darauf hin, dass einer Person wegen „psychischer Krankheit“ im Sinne von Artikel 5 Abs. 1 Buchst. e. die Freiheit nur entzogen werden kann, wenn die drei folgenden Mindestvoraussetzungen vorliegen: Erstens muss die psychische Krankheit zuverlässig nachgewiesen sein, d. h. eine tatsächliche psychische Störung muss aufgrund objektiver ärztlicher Gutachten von einer zuständigen Behörde festgestellt werden; zweitens muss die psychische Störung ihrer Art oder ihrer Schwere nach eine Zwangsunterbringung rechtfertigen; drittens hängt die Fortdauer der Unterbringung vom Fortbestehen einer derartigen Störung ab (siehe Winterwerp ./. die Niederlande, 24. Oktober 1979, Rdnr. 39, Serie A Bd. 33, und Stanev ./. Bulgarien [GK], Individualbeschwerde Nr. 36760/06, Rdnr. 145, ECHR 2012 ).
49. Die Objektivität des ärztlichen Gutachtens setzt insbesondere voraus, dass es hinreichend aktuell war (siehe A. ./. Deutschland (Entsch.), Individualbeschwerde Nr. 36356/10, Rdnr. 42, 21. Oktober 2014; und ferner Ruiz Rivera ./. Schweiz, Individualbeschwerde Nr. 8300/06, Rdnr. 60, 18. Februar 2014). Im Hinblick auf Sicherungsverwahrte warf nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs eine Situation, in der die innerstaatlichen Gerichte ihre Entscheidung, eine Person nicht aus der Sicherungsverwahrung zu entlassen, in erster Linie auf ein veraltetes Sachverständigengutachten über deren Gefährlichkeit stützten oder die Einholung eines entsprechenden unerlässlichen Sachverständigengutachtens unterließen, eine Frage nach Artikel 5 Abs. 1 auf. Die Verhältnismäßigkeit der Entscheidung, die Sicherungsverwahrung zu verlängern, war in Frage gestellt, wenn die nationalen Gerichte eindeutig über unzureichendes Material verfügten, welches die Schlussfolgerung nahe legte, dass die betreffende Person weiterhin eine Gefahr für die Allgemeinheit darstellte (siehe D. ./. Deutschland (Entsch.) Individualbeschwerde Nr. 2894/08, 22. Januar 2013, und H.W. ./. Deutschland, a. a. O., Rdnr. 107, beide betreffend Artikel 5 Abs.1 Buchst. a).
b) Anwendung dieser Grundsätze auf die vorliegende Rechtssache
(i) Gründe für die Freiheitsentziehung
50. Bei der Entscheidung darüber, ob in der vorliegenden Rechtssache die Sicherungsverwahrung des Beschwerdeführers, die über die frühere gesetzliche Zehnjahresfrist hinaus vollzogen wurde, nach Artikel 5 Abs. 1 Buchst. e als Freiheitsentziehung bei einem „psychisch Kranken“ gerechtfertigt war, muss der Gerichtshof zunächst prüfen, ob vor einer zuständigen Behörde auf der Grundlage objektiver ärztlicher Gutachten festgestellt wurde, dass der Beschwerdeführer an einer tatsächlichen psychischen Störung litt.
51. Der Gerichtshof nimmt zur Kenntnis, dass das Schleswig-Holsteinische Oberlandesgericht in Übereinstimmung mit der Schlussfolgerung des Landgerichts Lübeck festgestellt hat, dass der Beschwerdeführer an einer tiefgreifenden Persönlichkeitsstörung im Sinne der ICD-10 leide, nämlich an einer narzisstischen Persönlichkeitsstörung mit emotional-instabilen und sadistischen Anteilen.
52. Bei der Prüfung, ob die innerstaatlichen Gerichte diese Feststellung auf der Grundlage objektiver ärztlicher Gutachten trafen, stellt der Gerichtshof fest, dass sie ihre Schlussfolgerungen auf die Feststellungen des externen psychiatrischen Sachverständigen B. stützten (vgl. im Gegensatz dazu Ruiz Rivera, a. a. O., Rdnr. 63). B., der den Beschwerdeführer persönlich begutachtet hatte, legte seine Feststellungen in einem Gutachten vom 4. Juni 2010 dar, welches somit zum Zeitpunkt der Entscheidung des Oberlandesgerichts am 21. November 2012 nahezu zweieinhalb Jahre alt war.
53. Der Gerichtshof weist jedoch zunächst darauf hin, dass es keine Hinweise darauf gibt – und der Beschwerdeführer hat dies auch nicht behauptet –, dass sich seine persönliche oder therapeutische Situation seit der Erstellung des externen Sachverständigengutachtens wesentlich geändert hätte. Noch wichtiger ist, dass entgegen dem Vorbringen des Beschwerdeführers dieses schriftliche Gutachten nicht die alleinige Grundlage für die Entscheidung der innerstaatlichen Gerichte war. Der Gerichtshof verweist insoweit auf die Erläuterung des Oberlandesgerichts, dass die innerstaatlichen Gerichte bei ihrer Einschätzung auch berücksichtigt hätten, dass der Sachverständige B. am 6. Juni 2012 vom Landgericht Lübeck in einem ebenfalls den Beschwerdeführer betreffenden Verfahren (betreffend den Antrag auf Verlegung des Beschwerdeführers in ein psychiatrisches Krankenhaus, siehe Rdnrn. 12 und 19) angehört worden sei. In diesem Verfahren habe der Sachverständige seine früheren Feststellungen zum psychischen Zustand des Beschwerdeführers aktualisiert und bestätigt. Darüber hinaus schloss sich das Universitätsklinikum H. in einer neueren schriftlichen Stellungnahme vom 27. März 2012 der Feststellung des Sachverständigen B. an, dass der Beschwerdeführer an einer schweren Persönlichkeitsstörung leide. Die Stellungnahme erfolgte zwar ohne persönliche Begutachtung des Beschwerdeführers, sie wurde jedoch auf der Grundlage der umfangreichen Verfahrensakte erstellt.
54. Unter diesen Umständen ist der Gerichtshof überzeugt, dass die von den innerstaatlichen Gerichten herangezogenen ärztlichen Sachverständigengutachten hinreichend aktuell waren.
55. Der Gerichtshof stellt fest, dass der Beschwerdeführer außerdem im Wesentlichen behauptet, dass die den innerstaatlichen Gerichten vorliegenden Sachverständigengutachten insoweit unzureichend gewesen seien, als das Gutachten des Sachverständigen B. sich nicht mit der in dem in Rede stehenden Verfahren zu klärenden Frage befasse, nämlich, ob es sehr wahrscheinlich sei, dass er im Fall seiner Freilassung infolge einer psychischen Störung schwerste Sexualstraftaten begehen würde. Nach Feststellung des Gerichtshofs ist es zutreffend, dass die Fragen, zu denen der psychiatrische Sachverständige B. gehört wurde, nämlich, welche Vollzugslockerungen dem Beschwerdeführer gewährt werden könnten und ob seine Resozialisierung in einem psychiatrischen Krankenhaus besser gefördert werden könnte (siehe Rdnrn. 9, 12 und 19), nicht mit der im vorliegenden Verfahren vor den innerstaatlichen Gerichten in Rede stehenden Frage identisch waren. Die Stellungnahme des Universitätsklinikums H. zum psychischen Zustand des Beschwerdeführers wurde ebenfalls in einem anderen Zusammenhang erstellt, nämlich im Hinblick auf seine therapeutischen Fortschritte.
56. Der Gerichtshof stellt aber dennoch fest, dass sich die ärztlichen Sachverständigen, wenn auch in unterschiedlichen Zusammenhängen, mit der Frage der Art und Schwere der psychischen Störung des Beschwerdeführers befassten, die für die Entscheidung der innerstaatlichen Gerichte in dem in Rede stehenden Verfahren maßgeblich war. Nach Auffassung des Gerichts basierte die Schlussfolgerung der innerstaatlichen Gerichte, dass der Beschwerdeführer an einer psychischen Störung leide, daher auf hinreichenden ärztlichen Gutachten.
57. Der Gerichtshof übersieht in diesem Zusammenhang nicht, dass das Landgericht Hamburg, anders als das Landgericht Lübeck und das Schleswig-Holsteinische Oberlandesgericht, in einem späteren Verfahren auf der Grundlage eines neuen Gutachtens eines anderen psychiatrischen Sachverständigen, L., zu der Auffassung gelangte, dass der Beschwerdeführer nicht an einer psychischen Störung leide, sondern dass es sich bei ihm lediglich um eine akzentuierte Persönlichkeit, möglicherweise mit sadistischen Persönlichkeitsanteilen, handele. Die Sachverständigen scheinen also zu unterschiedlichen Ergebnissen gekommen zu sein, was die Einschätzung der Schwere des psychischen Zustands des Beschwerdeführers angeht.
58. Allerdings wird die Hinlänglichkeit der in dem in Rede stehenden Verfahren zur Verfügung stehenden Sachverständigengutachten nicht dadurch in Frage gestellt, dass es im Anschluss zu abweichenden Einschätzungen der psychischen Störung des Beschwerdeführers gekommen ist, denn dies kann auch auf Veränderungen seines psychischen Zustands nach dem Erlass der in Rede stehenden Entscheidungen zurückzuführen sein.
59. Im Hinblick auf die Frage, ob davon ausgegangen werden kann, dass die innerstaatlichen Gerichte, auf der Grundlage der ihnen vorliegenden objektiven ärztlichen Gutachten, eine tatsächliche psychische Störung im Sinne von Artikel 5 Abs. 1 Buchst. e festgestellt haben, nimmt der Gerichtshof zur Kenntnis, dass nach den Feststellungen der zuständigen Gerichte die tiefgreifende Persönlichkeitsstörung des Beschwerdeführers eine psychische Störung im Sinne von § 1 Abs. 1 ThUG darstellte.
60. Wie der Gerichtshof bereits in früheren Fällen festgestellt hat, hat es den Anschein, dass der Begriff „psychisch Kranke“ [„persons of unsound mind“] („aliené“ in der französischen Fassung) in Artikel 5 Abs. 1 Buchst. e der Konvention möglicherweise enger gefasst ist als der Begriff „psychische Störung“ in § 1 Abs. 1 ThUG (siehe G., a. a. O., Rdnr. 87 und B., a. a. O., Rdnr. 113). Dies unterstreicht einmal mehr die Notwendigkeit, die Gründe, aus denen eine Freiheitsentziehung zulässig ist, eng auszulegen (siehe u . a. G., a. a. O., Rdnr. 85, und B., ebd.).
61. In der vorliegenden Rechtssache kann der Gerichtshof akzeptieren, dass die psychische Störung, die nach den Feststellungen der innerstaatlichen Gerichte bei dem Beschwerdeführer vorlag, hinreichend schwerwiegend war, um eine tatsächliche psychische Störung im Sinne von Artikel 5 Abs. 1 Buchst. e darzustellen. Seine Persönlichkeitsstörung wurde von den innerstaatlichen Gerichten als „tiefgreifend“ mit insbesondere sadistischen Anteilen eingestuft. Ferner sei sie durch das Ausblenden seiner eigener Aggressionen sowie der Bagatellisierung seiner eigenen Straftaten gekennzeichnet. Darüber hinaus ist klar, dass der Zustand des Beschwerdeführers eine umfassende Behandlung im Rahmen einer Therapie für Sexualstraftäter in einer Spezialeinrichtung erforderte.
62. Der Gerichtshof ist überzeugt, dass, wie nach seiner Rechtsprechung erforderlich (siehe Rdnr. 48), die psychische Störung des Beschwerdeführers von einer solchen Art oder Schwere war, dass eine Zwangsunterbringung gerechtfertigt war. Die innerstaatlichen Gerichte haben festgestellt, dass eine hochgradige Gefahr bestehe, dass der Beschwerdeführer im Falle seiner Entlassung schwerste Sexualstraftaten, ähnlich der Vergewaltigung in sechs Fällen, derer er zuvor schuldig gesprochen worden sei, begehen würde. Ferner hing die Frage, ob die Fortdauer der Unterbringung des Beschwerdeführers berechtigt war, vom Fortbestehen seiner psychischen Störung ab, denn nach dem innerstaatlichen Recht konnte die Fortdauer seiner Sicherungsverwahrung nur angeordnet werden, wenn und solange eine hochgradige Gefahr bestand, dass er aufgrund dieser Störung im Falle seiner Entlassung rückfällig werden würde.
63. Daraus folgt, dass der Beschwerdeführer „psychisch krank“ im Sinne von Artikel 5 Abs. 1 Buchst. e war.
(ii) „Rechtmäßige” Freiheitsentziehung „auf die gesetzlich vorgeschriebene Weise“
64. Bei der Entscheidung darüber, ob die Freiheitsentziehung des Beschwerdeführers als psychisch Kranker „rechtmäßig“ im Sinne von Artikel 5 Abs. 1 Buchst. e war, stellt der Gerichtshof zunächst fest, dass die Fortdauer der Sicherungsverwahrung des Beschwerdeführers nach § 67d StGB, ausgelegt im Lichte des Bundesverfassungsgerichtsurteils vom 4. Mai 2011(siehe Rdnrn. 9 und 23), angeordnet wurde.
65. Der Gerichtshof muss ferner prüfen, ob die Freiheitsentziehung des Beschwerdeführers in einem Krankenhaus, einer Klinik oder sonstigen geeigneten Einrichtung erfolgte. Er nimmt zur Kenntnis, dass der Beschwerdeführer während des in Rede stehenden Zeitraums (22. Mai 2013 bis 24. Oktober 2013) in einer neu eingerichteten Station für Sicherungsverwahrte der Justizvollzugsanstalt H. untergebracht war, die errichtet wurde, um dem vom Bundesverfassungsgericht in seinem Leiturteil vom 4. Mai 2011 definierten Gebot gerecht zu werden, zwischen Sicherungsverwahrung und Strafhaft zu unterscheiden.
66. Der Beschwerdeführer bestreitet nicht, dass sich die ärztliche und therapeutische Betreuung, die ihm in dieser Einrichtung angeboten wurde, im Vergleich zu den Bedingungen in der Justizvollzugsanstalt L. wesentlich änderte. In dieser Einrichtung begann der Beschwerdeführer, der eine Therapie jahrelang verweigert hatte, eine umfassende Therapie, die sowohl Einzeltherapie- als auch Gruppentherapiesitzungen beinhaltete. Der Gerichtshof ist daher überzeugt, dass der Beschwerdeführer in einer für psychisch Kranke geeigneten Einrichtung untergebracht war.
67. Darüber hinaus kann die Freiheitsentziehung des Beschwerdeführers trotz der Tatsache, dass er zum Zeitpunkt der angegriffenen Entscheidungen der innerstaatlichen Gerichte bereits etwa 68 Jahre alt war und ihm aufgrund des Urteils des Landgerichts Lübeck vom 28. März 1994 bereits etwa 18 Jahre die Freiheit entzogen war, nicht als willkürlich angesehen werden. Die innerstaatlichen Gerichte haben unter Berücksichtigung objektiver ärztlicher Sachverständigengutachten überzeugend argumentiert, dass weiterhin eine hochgradige Gefahr bestehe, dass der Beschwerdeführer im Fall seiner Entlassung weitere schwere Sexualstraftaten (Vergewaltigung) begehen würde und er daher eine erhebliche Gefahr für die Allgemeinheit darstelle.
(iii) Schlussfolgerung
68. In Anbetracht der vorstehenden Ausführungen kommt der Gerichtshof zu dem Schluss, dass die in Rede stehende Sicherungsverwahrung des Beschwerdeführers, soweit es um das ihr zugrundeliegende Sachverständigengutachten geht und soweit sie vom 22. Mai 2013 bis zum 24. Oktober 2013 vollzogen wurde, nach Artikel 5 Abs. 1 Buchst. e als rechtmäßige, auf die gesetzlich vorgeschriebene Weise angeordnete Freiheitsentziehung eines „psychisch Kranken“ gerechtfertigt war.
69. Deshalb ist Artikel 5 Abs.1 der Konvention insoweit nicht verletzt worden.
III. BEHAUPTETE VERLETZUNG VON ARTIKEL 7 ABS. 1 DER KONVENTION AUFGRUND DER NACHTRÄGLICHEN VERLÄNGERUNG DER SICHERUNGSVERWAHRUNG DES BESCHWERDEFÜHRERS VOM 22. MAI 2013 BIS ZUM 24. OKTOBER 2013
70. Der Beschwerdeführer trug ferner vor, dass die Fortdauer seiner Sicherungsverwahrung über die frühere Zehnjahresfrist hinaus – soweit sie vom 22. Mai 2013 bis zum 24. Oktober 2013 in der Justizvollzugsanstalt H. vollzogen wurde – auch das Verbot der rückwirkenden Bestrafung nach Artikel 7 Abs. 1 der Konvention verletzt habe, der, soweit maßgeblich, wie folgt lautet:
„Niemand darf wegen einer Handlung oder Unterlassung verurteilt werden, die zur Zeit ihrer Begehung nach innerstaatlichem oder internationalem Recht nicht strafbar war. Es darf auch keine schwerere als die zur Zeit der Begehung angedrohte Strafe verhängt werden.“
71. Die Regierung trat diesem Vorbringen entgegen.
A. Zulässigkeit
72. Der Gerichtshof stellt fest, dass dieser Teil der Beschwerde – der, wie bereits dargelegt, ebenfalls nicht von der einseitigen Erklärung der Regierung erfasst ist – nicht im Sinne von Artikel 35 Abs. 3 Buchst. a der Konvention offensichtlich unbegründet ist. Er ist auch nicht aus anderen Gründen unzulässig. Folglich ist er für zulässig zu erklären.
B. Begründetheit
1. Die Stellungnahmen der Parteien
73. Unter Berufung auf das Urteil des Gerichtshofs in der Rechtssache M. ./. Deutschland (a. a. O.) brachte der Beschwerdeführer vor, dass die nachträgliche Verlängerung seiner Sicherungsverwahrung über die frühere Zehnjahresfrist hinaus gegen Artikel 7 Abs. 1 der Konvention verstoße.
74. Die Regierung verwies darauf, dass der Beschwerdeführer selbst eingeräumt habe, dass die Unterbringungsbedingungen in der Justizvollzugsanstalt H. akzeptabel gewesen seien, und vertrat die Auffassung, dass seine Sicherungsverwahrung ab dem Zeitpunkt seiner Überstellung in diese Justizvollzugsanstalt mit Artikel 7 der Konvention vereinbar gewesen sei.
2. Würdigung durch den Gerichtshof
75. Bezüglich eines Überblicks über die im Hinblick auf Artikel 7 Abs. 1 aufgestellten Grundsätze, soweit sie für den vorliegenden Fall relevant sind, verweist der Gerichtshof auf die Zusammenfassung dieser Grundsätze in seinem Urteil in der Rechtssache B. (a. a. O., Rdnrn. 149-150).
76. Bei der Entscheidung darüber, ob in der vorliegenden Rechtssache die Sicherungsverwahrung des Beschwerdeführers, die nachträglich über die frühere gesetzliche Zehnjahresfrist hinaus verlängert wurde, eine „Strafe“ im Sinne von Artikel 7 Abs. 1, Satz 2 darstellte, verweist der Gerichtshof zunächst auf seine Feststellungen in der Rechtssache B. (a. a. O., Rdnrn. 153-183). In diesem Fall hatte der Gerichtshof darüber zu entscheiden, ob die Sicherungsverwahrung des betroffenen Beschwerdeführers im Hinblick darauf als „Strafe“ einzustufen war, dass sie nur aufgrund seiner psychischen Störung angeordnet werden konnte und in einer neuen Einrichtung für Sicherungsverwahrte vollzogen wurde, die errichtet worden war, um dem verfassungsrechtlichen Gebot, zwischen Sicherungsverwahrung und Strafhaft zu unterscheiden, gerecht zu werden.
77. Der Gerichtshof stellte in diesem Urteil fest, dass sich in Fällen, in denen die Sicherungsverwahrung der betroffenen Person aufgrund ihrer psychischen Störung und der Notwendigkeit der Behandlung dieser Störung verlängert wurde, sowohl das Wesen als auch der Zweck der Sicherungsverwahrung dieser Person gegenüber der Sicherungsverwahrung, die unabhängig von einer psychischen Störung vollzogen wird, grundlegend änderte. In Fällen, in denen die Sicherungsverwahrung nur mit dem Zweck verlängert werden konnte, eine psychische Störung in einer geeigneten Einrichtung zu behandeln, und diese hierauf gestützt verlängert wurde, traten der strafende Charakter und der Zusammenhang mit der strafrechtlichen Verurteilung der Person so weit in den Hintergrund, dass die Maßnahme keine „Strafe“ im Sinne von Artikel 7 Abs. 1 mehr darstellte.
78. Der Gerichtshof stellt fest, dass die Sicherungsverwahrung des Beschwerdeführers ebenfalls nur verlängert wurde und verlängert werden konnte, weil bei ihm eine psychische Störung festgestellt wurde (siehe Rdnrn. 9 und 23). Sie wurde ebenfalls in einer neu errichteten Einrichtung für Sicherungsverwahrte vollzogen. Die Regierung hat zwar nur wenige Angaben zu den genauen Unterbringungsbedingungen und zu der genauen Behandlung in dieser Einrichtung gemacht, es ist jedoch unbestritten, dass dem Beschwerdeführer eine individuelle Betreuung und eine umfassende Therapie, in der seine psychische Störung mit einzel- und gruppentherapeutischen Maßnahmen angegangen wurde, angeboten wurden und er diese auch angenommen hat.
79. Unter diesen Umständen kommt der Gerichtshof zu dem Ergebnis, dass die Sicherungsverwahrung des Beschwerdeführers in dem in Rede stehenden Zeitraum nicht mehr als „Strafe“ eingestuft werden konnte.
80. Folglich ist Artikel 7 Abs. 1 der Konvention nicht verletzt worden.
AUS DIESEN GRÜNDEN ENTSCHEIDET DER GERICHTSHOF EINSTIMMIG:
1. Er nimmt den Wortlaut der Erklärung der beschwerdegegnerischen Regierung in Bezug auf einen Verstoß gegen Artikel 5 Abs. 1 und Artikel 7 Abs. 1 der Konvention aufgrund der nachträglichen Verlängerung der Sicherungsverwahrung des Beschwerdeführers, soweit sie vom 2. Oktober 2012 bis zum 22. Mai 2013 vollzogen wurde, sowie die Modalitäten für die Erfüllung der darin enthaltenen Verpflichtungen zur Kenntnis;
2. Dieser Teil der Beschwerde wird gemäß Artikel 37 Abs. 1 Buchst. c der Konvention im Register gestrichen;
3. Die Individualbeschwerde wird im Übrigen für zulässig erklärt;
4. Artikel 5 Abs. 1 der Konvention ist aufgrund angeblich unzureichender Sachverständigengutachten oder aufgrund der nachträglichen Verlängerung der Sicherungsverwahrung des Beschwerdeführers, vollzogen vom 22. Mai 2013 bis zum 24. Oktober 2013, nicht verletzt worden;
5. Artikel 7 Abs. 1 der Konvention ist aufgrund der nachträglichen Verlängerung der Sicherungsverwahrung des Beschwerdeführers, soweit sie vom 22. Mai 2013 bis zum 24. Oktober 2013 vollzogen wurde, nicht verletzt worden;
Ausgefertigt in englischer Sprache und schriftlich zugestellt am 6. Oktober 2016 nach Artikel 77 Abs. 2 und 3 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs.
Milan Blaško Ganna Yudkivska
Stellvertretender Sektionskanzler Präsidentin
Zuletzt aktualisiert am Dezember 5, 2020 von eurogesetze
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