Der Anspruch einer Mietermehrheit auf Erteilung der Erlaubnis zur teilweisen Gebrauchsüberlassung der Mietsache an einen Dritten setzt nach § 553 Abs. 1 Satz 1 BGB nicht voraus, dass das dafür erforderliche berechtigte Interesse bei sämtlichen Mietern vorliegt. Es reicht aus, dass es lediglich in der Person eines von mehreren Mietern gegeben ist.

Gericht: LG Berlin 67. Zivilkammer
Entscheidungsdatum: 22.07.2021
Aktenzeichen: 67 S 59/21
ECLI: ECLI:DE:LGBE:2021:0722.67S59.21.00
Dokumenttyp: Urteil

Leitsatz

Der Anspruch einer Mietermehrheit auf Erteilung der Erlaubnis zur teilweisen Gebrauchsüberlassung der Mietsache an einen Dritten setzt nach § 553 Abs. 1 Satz 1 BGB nicht voraus, dass das dafür erforderliche berechtigte Interesse bei sämtlichen Mietern vorliegt. Es reicht aus, dass es lediglich in der Person eines von mehreren Mietern gegeben ist.

Verfahrensgang
vorgehend AG Berlin-Mitte, 17. März 2021, 9 C 341/20, Urteil

Tenor

Auf die Berufung der Kläger wird das am 17. März 2021 verkündete Urteil des Amtsgerichts Mitte – 9 C 341/20 – abgeändert.
Die Beklagte wird verurteilt, den Klägern die Überlassung des Gebrauchs eines Zimmers sowie den Mitgebrauch an den Gemeinschaftsräumen in den Räumen der Wohnung X- Straße in Y an Frau Z zu erlauben.
Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages zuzüglich 10 % abwenden, wenn nicht die Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe des jeweils zu vollstreckenden Betrages zuzüglich 10 % leisten.
Die Revision wird zugelassen.

Gründe

I.

1. Die klagenden Mieter begehren von der beklagten Vermieterin die Erlaubnis zur teilweisen Gebrauchsüberlassung an die im Tenor näher bezeichnete Untermieterin.

2. Die Parteien schlossen im Jahre 2019 einen Mietvertrag. Im Jahre 2020 zog der Kläger zu 2) aus der streitgegenständlichen Mietsache aus. Er wohnt seitdem anderen Ortes in Berlin. Der Kläger zu 1) ist es nicht gewohnt, die Wohnung allein zu nutzen. Er bevorzugt aus persönlichen Gründen deren gemeinsame Nutzung und möchte an diesen Lebensumständen auch nach dem Fortzug des Klägers zu 2) festhalten, indem er sich die Wohnung auch weiterhin mit einem weiteren (Unter-)Mieter teilt. Der Kläger zu 2) ist mit der vom Kläger zu 1) beabsichtigten Nutzung der Wohnung einverstanden.

3. Das Amtsgericht hat die Klage abgewiesen. Die Voraussetzungen eines vertraglichen Erlaubnisanspruches seien nicht gegeben. Der gesetzliche Erlaubnisanspruch scheitere daran, dass das Überlassungsinteresse nicht erst nach Abschluss des Mietverhältnisses entstanden sei. Die Kläger hätten das gegenteilige Vorbringen der Beklagten als insoweit darlegungs- und beweisbelastete Partei nicht zu widerlegen vermocht.

4. Wegen der weiteren Einzelheiten, insbesondere zum erstinstanzlichen Vorbringen und zu den im ersten Rechtszug gestellten Anträgen, wird auf das amtsgerichtliche Urteil (Bl. 59-68 d.A.) Bezug genommen.

5. Gegen das ihnen am 19. März 2021 zugestellte Urteil haben die Kläger mit am 30. März 2021 eingegangenem Schriftsatz Berufung eingelegt und diese mit am 17. Mai 2021 eingegangenem Schriftsatz begründet.

6. Sie sind der Ansicht, es sei nicht gerechtfertigt, dass das Amtsgericht ihren Sachvortrag zu den ursprünglichen Planungen des Klägers zu 2) für unzutreffend erachtet hätte. Die in § 8 des Mietvertrages getroffenen Regelungen zur Gebrauchsüberlassung seien als von der Beklagten gestellte Allgemeine Geschäftsbedingung unwirksam. Ihr Erlaubnisanspruch ergebe sich aus dem Gesetz.

7. Sie beantragen,

8. wie erkannt. Wegen der Einzelheiten ihres Berufungsantrags wird auf den Schriftsatz vom 17. Mai 2021 (Bl. 106 d.A.) Bezug genommen.

9. Die Beklagte beantragt,

10. die Berufung zurückzuweisen.

11. Sie verteidigt das angefochtene Urteil und vertieft ihren erstinstanzlichen Vortrag.

12. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die zwischen den Parteien erst- und zweitinstanzlich gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

II.

13. Die Berufung ist begründet. Den Klägern steht der geltend gemachte Anspruch auf die Erlaubnis zur Gebrauchsüberlassung an die aus dem Tenor ersichtliche Untermieterin gemäß § 553 Abs. 1 Satz 1 BGB zu. Danach kann der Mieter in dem Fall, in dem für ihn nach Abschluss des Mietvertrags ein berechtigtes Interesse entsteht, einen Teil des Wohnraums einem Dritten zum Gebrauch zu überlassen, von dem Vermieter die Erlaubnis hierzu verlangen. So liegt der Fall hier.

14. Die Kläger können sich mit Erfolg auf ein berechtigtes Interesse zur teilweisen Gebrauchsüberlassung berufen. Als berechtigtes Interesse i.S.d. 553 Abs. 1 Satz 1 BGB ist jedes nach Vertragsschluss entstehende Interesse des Mieters von nicht ganz unerheblichem Gewicht anzusehen, das mit der geltenden Rechts- und Sozialordnung in Einklang steht (st. Rspr., vgl. nur BGH, Urt. v. 23. November 2005 – VIII ZR 4/05, NJW 2006, 1200, juris Tz. 8; Kammer, Urt. v. 9. April 2015 – 67 S 28/15, WuM 2015, 421, juris Tz. 9; Emmerich, in: Staudinger, BGB, Neubearb. 2021, § 553 Rz. 4). Diese Voraussetzungen sind hier erfüllt.

15. Die von den Klägern geltend gemachten wirtschaftlichen Interessen des Klägers zu 1) können dabei dahinstehen. Denn bereits der unstreitige Wunsch des Klägers zu 1), nach dem Auszug des Klägers zu 2) auch zukünftig zu zweit und nicht alleine zu wohnen, ist von hinreichendem Gewicht und steht mit der geltenden Rechts- und Sozialordnung in Einklang. Dieses persönliche Interesse ist auch erst nach dem Mietvertragsschluss im Moment des Auszugs des Klägers zu 2) entstanden. Allein darauf kommt es an. Ob der Kläger zu 2) bereits zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses im Jahre 2019 seinen Auszug für das Jahr 2020 geplant hatte, ist hingegen unerheblich. Die von der Beklagten behauptete vorherige Planung stünde der Geltendmachung des Überlassungsinteresses auch nicht gemäß § 242 BGB entgegen, da eine Aufklärungspflicht des Mieters gegenüber dem Vermieter hinsichtlich seiner zukünftigen Lebensplanung bei Abschluss des Mietvertrages unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt besteht.

16. Es berührt den Erlaubnisanspruch der Kläger schließlich auch nicht, dass das berechtigte Interesse zur Gebrauchsüberlassung nur bei dem Kläger zu 1) besteht, nicht jedoch bei dem aus der Wohnung ausgezogenen Kläger zu 2). Denn im Falle einer Mietermehrheit ist es ausreichend, dass ein berechtigtes Interesse lediglich in der Person eines Mieters vorliegt (vgl. Emmerich, a.a.O., Tz. 4a). Die Rechte des Vermieters sind auch in diesem Falle hinreichend über den Ausschlusstatbestand des § 553 Abs. 1 Satz 2 BGB sowie die grundsätzlich gegebene Möglichkeit zur Erhebung eines Untermietzuschlages nach § 553 Abs. 2 BGB gewahrt. Die Beklagte hat – und kann – sich hierauf jedoch nicht berufen, da die tatbestandlichen Voraussetzungen dafür nicht erfüllt sind.

17. Auf die zwischen den Parteien streitige Wirksamkeit der in § 8 des Mietvertrages getroffenen Regelung zur Gebrauchsüberlassung kam es davon ausgehend nicht mehr an, zumal von § 553 Abs. 1 und 2 BGB zum Nachteil des Mieters abweichende Vereinbarungen ohnehin gemäß § 553 Abs. 3 BGB unwirksam sind.

18. Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO, die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit auf den §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

19. Die Kammer hat die Revision gemäß § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassen, da die Auswirkungen des Auszugs eines von mehreren Mietern auf den Anspruch einer Mietermehrheit auf Erlaubnis der teilweisen Gebrauchsüberlassung an einen Dritten allein im Interesse der in der Mietsache verbliebenen Mieter bislang höchstrichterlich ungeklärt sind.

Zuletzt aktualisiert am August 17, 2021 von eurogesetze

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