Gericht: Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg 4. Senat. Entscheidungsdatum: 26.07.2021. Aktenzeichen: OVG 4 N 60.18

Gericht: Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg 4. Senat
Entscheidungsdatum: 26.07.2021
Aktenzeichen: OVG 4 N 60.18
ECLI: ECLI:DE:OVGBEBB:2021:0726.OVG4N60.18.00
Dokumenttyp: Beschluss

Leitsatz

Soweit eine fehlerhafte Sachverhaltswürdigung des Verwaltungsgerichts gerügt wird, liegt der Zulassungsgrund des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO nur dann vor, wenn die tatsächlichen Feststellungen des Verwaltungsgerichts augenscheinlich nicht zutreffen oder beispielsweise wegen gedanklicher Lücken oder Ungereimtheiten ernstlich zweifelhaft sind. Allein die Möglichkeit einer anderen Bewertung der Sachlage rechtfertigt die Zulassung der Berufung nicht.

Verfahrensgang
vorgehend VG Berlin, 25. Juni 2018, 5 K 268.16

Tenor

Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin vom 25. Juni 2018 wird abgelehnt.
Der Kläger trägt die Kosten des Berufungszulassungsverfahrens.
Der Streitwert wird für die zweite Rechtsstufe auf 20.804,91 Euro festgesetzt.

Gründe

1. Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg. Das Gericht prüft nur die von dem Kläger dargelegten Gründe (§ 124a Abs. 5 Satz 2 VwGO). Gemessen an dessen Darlegungen hat das Verwaltungsgericht die von dem auf eigenen Antrag entlassenen Kriminalkommissaranwärter gegen die Rückforderung von Anwärterbezügen in Höhe von 20.804,91 Euro gerichtete Anfechtungsklage zu Recht abgewiesen.

2. Der Kläger macht ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils geltend (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO). Dieser Zulassungsgrund ist gegeben, wenn ein tragender Rechtssatz oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung des angegriffenen Urteils mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt wird und auch die Richtigkeit des Entscheidungsergebnisses solchen Zweifeln unterliegt (OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 2. April 2020 – OVG 4 N 24.19 – juris Rn. 1).

3. Der Kläger macht im ersten Abschnitt seiner Begründung geltend, das Verwaltungsgericht habe den Sinn und Zweck von § 59 Abs. 5 BBesG BE verkannt. Es gehe nicht nur um die Ausbildungstreue, sondern daneben auch um die Diensttreue, und zwar nicht zu verstehen als Betriebstreue, sondern als Treue gegenüber dem öffentlichen Dienst insgesamt. Es komme entscheidend auf den Verbleib im öffentlichen Dienst an. Das sieht das Verwaltungsgericht nicht anders, denn es entnimmt den Begriff der Ausbildungstreue der von ihm zitierten Rechtsprechung des Senats und führt in demselben Absatz auf Seite 5 des Urteils unter Hinweis auf das Bundesverwaltungsgericht aus, Anwärter sollten keine Privilegierung gegenüber sonstigen Studenten haben, wenn der Zweck, zu dem die Privilegierung erfolge, nämlich deren „Eintritt und Verbleib im öffentlichen Dienst aufgrund der geleisteten Ausbildung“, nicht erreicht werde. Das Verwaltungsgericht bekräftigt diese Zwecksetzung, wenn es später einen Dienst in der Bundeswehr als Grund für einen Rückforderungsverzicht nach Nr. 59.5.5 lit. c) BBesGVwV in Betracht zieht.

4. Die anschließenden Ausführungen des Klägers zur Auslegung der Zweckbestimmung verbunden mit der Behauptung, das Verwaltungsgericht habe die Auslegungsregeln nicht berücksichtigt, gehen nicht mit Darlegungen einher, was das Verwaltungsgericht missverstanden habe und wie die Zweckbestimmung richtig auszulegen sei. Das Gleiche trifft auf die Behauptung zu, das Verwaltungsgericht habe verkannt, dass die Auflage vom gesetzgeberisch gewollten Anspruch auf Anwärterbezüge abweiche. Wenn der Kläger meint, grundsätzlich müsse der Anwärter seine Berufswahl mit möglichst geringen Nachteilen korrigieren können, führt das nicht weiter, soweit der Kläger nicht die Rechtmäßigkeit der ihm erteilten Auflagen und Rückforderungsausnahmen in Zweifel zieht.

5. Der Kläger rügt im zweiten Abschnitt seiner Begründung weitere nach seiner Auffassung vom Verwaltungsgericht begangene Rechts- sowie Tatsachenfehler in der Auslegung und Anwendung von Nr. 59.5.5 lit. b) und c) BBesGVwV und vermisst einen Verzicht auf die Rückforderung aus ungeschriebenen Gründen.

6. Das Verwaltungsgericht hält in seinem Urteil das Vorbringen des Beklagten fest, der Kläger habe ausweislich seines Entlassungsantrags lediglich der Bestandskraft des Entlassungsbescheids zuvorkommen wollen. Er habe nicht die Ausbildung beendet, um beim Land Brandenburg ausgebildet zu werden. Das Ausbildungsverhältnis sei jedenfalls auch nicht unverzüglich begründet worden. Allein der Zeitpunkt der frühestmöglichen Einstellung beim Land Brandenburg habe neun Wochen betragen. Das Verwaltungsgericht verhält sich in den Entscheidungsgründen ausgehend von den bereits erstinstanzlich vorgebrachten Rügen des Klägers zur Bedeutung von Nr. 59.5.5 lit. b) und c) BBesGVwV.

7. Der Kläger lässt mit diesen in der Zulassungsbegründung erneuerten bzw. vertieften Rügen, mit denen die Verzichtstatbestände gleichsam wie ein Gesetz ausgelegt werden, unerwähnt, dass die Rückforderung des Teils der gezahlten Anwärterbezüge die explizite Folge der Nichterfüllung der Auflagen in der Verpflichtungserklärung vom 27. September 2012 ist. Dort heißt es, die Anwärterbezüge würden mit den Auflagen gewährt, dass „a) die Ausbildung nicht vor Ablauf der in den Ausbildungs- und Prüfungsvorschriften festgelegten oder im Einzelfall festgesetzten Ausbildungszeit aus einem von Ihnen zu vertretenden Grunde endet und b) Sie im Anschluss an den Vorbereitungsdienst rechtzeitig einen Antrag auf Übernahme in das Beamtenverhältnis auf Probe stellen oder ein Ihnen angebotenes Amt annehmen und c) Sie im Anschluss an Ihre Ausbildung nicht vor Ablauf einer Mindestdienstzeit von 5 Jahren aus einem von Ihnen zu vertretenden Grunde aus dem öffentlichen Dienst (§ 29 Abs. 1 BBesG) ausscheiden.“ Es folgen weitere Präzisierungen.

8. Es ist in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts geklärt, dass der Dienstherr nach § 59 Abs. 5 BBesG / BBesG BE die Gewährung der Anwärterbezüge für Anwärter, die im Rahmen ihres Vorbereitungsdienstes ein Studium ableisten, von der Erfüllung von Auflagen abhängig machen kann. Zum Bedeutungsgehalt dieser Vorschrift hat die höchstrichterliche Rechtsprechung festgestellt: Sie soll sicherstellen, dass Anwärter, die im Rahmen des Vorbereitungsdienstes an einer Fachhochschule studieren, keine finanziellen Vorteile gegenüber anderen Studierenden erlangen, wenn sie nach erfolgreichem Abschluss des Vorbereitungsdienstes nicht mehr bereit sind, als Beamte im öffentlichen Dienst zu verbleiben. Daher ermächtigt § 59 Abs. 5 BBesG / BBesG BE den Dienstherrn, die Zahlung der Anwärterbezüge daran zu koppeln, dass der Anwärter nach dem Abschluss des Vorbereitungsdienstes mindestens fünf Jahre als Beamter Dienst leistet. Ein derartiger Zeitraum ist auch in Anbetracht des Grundrechts der freien Berufswahl gemäß Art. 12 Abs. 1 GG zumutbar. Scheidet der Beamte vor Ablauf der festgelegten Mindestdienstzeit von bis zu fünf Jahren auf eigenen Antrag aus, so können die Anwärterbezüge als „zuviel gezahlt“ nach § 12 Abs. 2 Satz 1 BBesG / BBesG BE, § 812 Abs. 1 Satz 2 BGB durch Leistungsbescheid zurückgefordert werden (so BVerwG, Beschluss vom 3. Juli 2009 – 2 B 13.09 – juris Rn. 5 m.w.N.). Die Auslegung und Anwendung der in der Verpflichtungserklärung formulierten Zweckbestimmungen ist maßgeblich dafür, ob eine Zweckverfehlung eingetreten ist oder nicht (vgl. das Urteil des erkennenden Senats vom 4. Oktober 2007 – OVG 4 B 14.07 – juris Rn. 25 f.).

9. Es ist vom Bundesverwaltungsgericht weiter entschieden worden, dass der Dienstherr bei der Rückforderung von Anwärterbezügen wegen Verstoßes gegen „Auflagen“ nach § 59 Abs. 5 BBesG / LBesG nach Ermessen Verzicht üben darf (vgl. BVerwG, Beschluss vom 3. Juli 2009 – 2 B 13.09 – juris Rn. 7; ebenso Buchwald in: Schwegmann/Summer, Besoldungsrecht des Bundes und der Länder, Stand Mai 2021, § 59 BBesG Rn. 41 f.).

10. Der Kläger behauptet selbst nicht, dass er die in der Verpflichtungserklärung vom 27. September 2012 auf sich genommenen „Auflagen“ erfüllt. Er beruft sich stattdessen auf die Nr. 59.5.5 lit. b) und c) BBesGVwV, mithin auf Verwaltungsvorschriften, die gemäß dem angefochtenen Bescheid vom 31. Mai 2016 lediglich analog angewendet werden und zu einem Verzicht auf die Einleitung eines Rückforderungsverfahrens verpflichten. Auch im Widerspruchsbescheid vom 9. September 2016 ist von einem Verzicht auf die Rückforderung nach Nr. 59.5.5 BBesGVwV die Rede. In der vom Kläger abgegebenen Verpflichtungserklärung werden die Verwaltungsvorschriften weder ausdrücklich einbezogen noch auch nur erwähnt. Sie sind deswegen nicht als Modifikation der „Auflagen“ zu verstehen, reduzieren nicht die Tatbestände, die einen Rückforderungsanspruch auslösen. Wird von einer wegen Zweckverfehlung an sich möglichen Rückforderung nach Ermessen abgesehen, liegt es auf der Hand, dass der Dienstherr seiner Entscheidung zugunsten des Schuldners andere Sachverhalte als die von den „Auflagen“ erfassten Umstände zugrunde legt. Die Verwaltungsvorschriften lenken mithin das Ermessen des Dienstherrn in der Frage, ob er auf die Rückforderung verzichtet.

11. Ob die Ermessensbetätigung des Dienstherrn bei einem Verzicht auf die Rückforderung fehlerhaft ist, ist gerichtlich nur gemäß § 114 VwGO zu überprüfen. Steuert der Dienstherr das behördliche Ermessen durch Verwaltungsvorschriften, ist nicht deren Wortlaut, sondern die tatsächliche Praxis maßgeblich. Das ist höchstrichterlich in ständiger Rechtsprechung gesichert (BVerwG, Urteil vom 2. Februar 1995 – 2 C 19.94 – juris Leitsatz 1). Von daher hilft dem Kläger die von ihm unternommene Auslegung der Verwaltungsvorschriften wie ein Gesetz nicht weiter. Sie würde lediglich bei einer erheblichen Diskrepanz zwischen Text und Praxis nach einer Erläuterung durch den Beklagten verlangen. Dieser hatte die Verneinung der Fallgruppen b) und c) in Nr. 59.5.5 BBesGVwV in den Bescheiden – wie bereits erwähnt – damit vor Gericht erläutert, dass der Kläger ausweislich seines Entlassungsantrags lediglich der Bestandskraft des Entlassungsbescheids habe zuvorkommen wollen. Er habe nicht die Ausbildung beendet, um beim Land Brandenburg ausgebildet zu werden. Das Ausbildungsverhältnis sei jedenfalls auch nicht unverzüglich begründet worden. Allein der Zeitpunkt der frühestmöglichen Einstellung beim Land Brandenburg habe neun Wochen betragen.

12. Das Verwaltungsgericht belegt mit seiner weiter ausgeführten Bewertung von Nr. 59.5.5 lit. b) BBesGVwV, der Verzichtsgrund enthalte „sowohl ein finales als auch ein objektives Element“, dass sich die Ermessenspraxis des Beklagten nicht ganz von der Verwaltungsvorschrift abgelöst hat. Es heißt in der Verwaltungsvorschrift, auf die Einleitung eines Rückforderungsverfahrens solle verzichtet werden, wenn der Vorbereitungsdienst abgebrochen werde, um unverzüglich ein anderes Ausbildungsverhältnis innerhalb des öffentlichen Dienstes aufzunehmen (…). Die gleiche Wendung enthält Nr. 59.5.5 lit. c) BBesGVwV. Danach solle verzichtet werden, wenn der Vorbereitungsdienst abgebrochen werde, um unverzüglich eine hauptberufliche Tätigkeit innerhalb des öffentlichen Dienstes aufzunehmen (…).

13. Die Formulierungen legen eine Würdigung der Absichten des ausgeschiedenen Beamten geradezu nahe. Dagegen ist gerichtlich nichts zu erinnern, wie wiederum das Bundesverwaltungsgericht bereits entschieden hat (Beschluss vom 3. Juli 2009 – 2 B 13.09 – juris Rn. 7). Der Beklagte stellte entscheidend darauf ab, dass nach seiner Überzeugung der Kläger seine Entlassung beantragte, um der bestandskräftigen Entlassung durch den Dienstherrn zuvorzukommen. Das Verwaltungsgericht hat sich dem in Auswertung des Schreibens des Klägers vom 25. Januar 2016 angeschlossen, mithin nicht feststellen können, dass der Beklagte von einem falschen Sachverhalt ausgegangen ist. Auch ist die weitere Erwägung des Beklagten, dass die Einstellung in Brandenburg im günstigsten Fall nach neun Wochen hätte erfolgen können, angesichts der Verwaltungsvorschrift, die eine unverzügliche Aufnahme des anderen Ausbildungsverhältnisses bzw. der hauptberuflichen Tätigkeit als Verzichtsgrund benennt, triftig. Bei dieser Sachverhaltswürdigung in der Ermessensbetätigung des Beklagten besteht kein Anlass zu erwägen, wie der Fall zu bewerten wäre, wenn das eigentliche Motiv gewesen sei, jedenfalls im öffentlichen Dienst tätig zu sein, sei es in der Brandenburger Polizei oder bei der Bundeswehr. Dieser vom Kläger reklamierte „ungeschriebene“, das heißt in der Verwaltungsvorschrift nicht angeführte Verzichtsgrund musste sich dem Beklagten nicht aufdrängen.

14. Der Kläger beharrt auf einer anderen Bewertung des Sachverhalts. Indes lassen seine Ausführungen im Zulassungsverfahren nicht erkennen, dass die Würdigung des entscheidungserheblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht fehlerhaft sein könnte. Gemäß § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO entscheidet das Gericht nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung. Es darf bei seiner Überzeugungsbildung nicht in der Weise verfahren, dass es einzelne erhebliche Tatsachen oder Beweisergebnisse nicht zur Kenntnis nimmt oder nicht in Erwägung zieht. Soweit eine fehlerhafte Sachverhaltswürdigung des Verwaltungsgerichts gerügt wird, liegt der Zulassungsgrund des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO folglich nur dann vor, wenn die tatsächlichen Feststellungen des Verwaltungsgerichts augenscheinlich nicht zutreffen oder beispielsweise wegen gedanklicher Lücken oder Ungereimtheiten ernstlich zweifelhaft sind. Allein die Möglichkeit einer anderen Bewertung der Sachlage rechtfertigt die Zulassung der Berufung nicht (OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 30. April 2012 – OVG 2 N 16.11 – juris Rn. 3; ebenso Beschluss vom 7. August 2015 – OVG 7 N 161.14 – BA S. 3).

15. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 3 GKG.

16. Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5 i.V.m. § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).

Zuletzt aktualisiert am August 17, 2021 von eurogesetze

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