Gericht: VG Berlin 35. Kammer
Entscheidungsdatum: 26.07.2021
Aktenzeichen: 35 L 179/21
ECLI: ECLI:DE:VGBE:2021:0726.35L179.21.00
Dokumenttyp: Beschluss
Verfahrensgang
vorgehend VG Berlin, VG 35 L 179/21, Beschluss
Tenor
Der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes wird zurückgewiesen.
Die Antragsteller tragen die Kosten des Verfahrens.
Der Wert des Verfahrensgegenstandes wird auf 2.500,- Euro festgesetzt.
Gründe
1. Die Antragsteller begehren im Wesentlichen die Aufnahme des am 2… 2015 geborenen Antragstellers zu 1, Sohn der Antragstellerin zu 2 und des Antragstellers zu 3, in die Jahrgangsstufe 1 eines Zuges der Staatlichen Europa-Schule Berlin – SESB – an der Quentin-Blake-Grundschule mit den Partnersprachen Deutsch und Englisch zum kommenden Schuljahr 2021/2022.
2. Der Antrag vom 16. Juni 2021,
3. den Antragsgegner im Wege einstweiliger Anordnung zu verpflichten, den Antragsteller zu 1 zum Schuljahr 2021/2022 vorläufig in die Schulanfangsphase der Quentin-Blake-Grundschule, Staatliche Europaschule Berlin – SESB –, aufzunehmen,
4. hat keinen Erfolg.
5 Der Antrag ist nach § 123 Abs. 1 der Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO – zulässig, aber unbegründet.
6. Wegen des im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes grundsätzlich zu beachtenden Verbots, die Entscheidung in einem Klageverfahren in der Hauptsache vorwegzunehmen, käme der Erlass der begehrten, dem (möglichen) Prozessergebnis in der Hauptsache weitgehend vorgreifenden einstweiligen Anordnung nur dann in Betracht, wenn mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwarten wäre, dass eine Klage mit dem Ziel, den Antragsteller zu 1 zum Schuljahr 2021/2022 als Schulanfänger in die Quentin-Blake-Grundschule – SESB – aufzunehmen, Erfolg hätte (Anordnungsanspruch) und dass den Antragstellern durch die Verweisung auf das Hauptsacheverfahren unzumutbare, irreparable Nachteile entstünden (Anordnungsgrund). Diese Voraussetzungen liegen hier nicht vor.
7. Nach der im Eilverfahren gebotenen und nur möglichen summarischen Prüfung haben die Antragsteller gemäß § 123 Abs. 3 VwGO in Verbindung mit §§ 920 Abs. 2, 294 der Zivilprozessordnung – ZPO – bereits nicht glaubhaft gemacht, dass sie über einen Anordnungsanspruch verfügen. Der noch nicht bestandskräftige Bescheid des Antragsgegners vom 2. März 2021, mit dem eine Aufnahme des Antragstellers zu 1 als Schulanfänger an der Quentin-Blake-Grundschule – SESB – mangels Mindesteignung abgelehnt wird, erscheint als rechtmäßig und die Antragsteller nicht in ihren Rechten verletzend (§ 113 Abs. 5 VwGO).
8. 1. Rechtliche Grundlage für das Begehren der Antragsteller ist das Schulgesetz für das Land Berlin – SchulG – in Verbindung mit der gemäß § 18 Abs. 3 SchulG erlassenen Verordnung über die Aufnahme in Schulen besonderer pädagogischer Prägung – AufnahmeVO-SbP –.
9. Nach § 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Alt. 3 AufnahmeVO-SbP ist die Quentin-Blake-Grundschule eine Staatliche Europa-Schule Berlin – SESB – mit den Partnersprachen Deutsch und Englisch. Nach § 3 Abs. 4 Sätze 1 und 10 AufnahmeVO-SbP nimmt die genannte Schule im Rahmen der Einschulung ausschließlich Kinder auf, die Deutsch oder Englisch altersgemäß wie eine Muttersprache beherrschen sowie bilinguale Kinder, die eine Partnersprache auf muttersprachlichem Niveau und die andere Sprache auf mindestens annähernd muttersprachlichem Niveau beherrschen (Mindesteignung). Nach § 2 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 Satz 1 AufnahmeVO-SbP ist auch bei freien Kapazitäten die Eignung der Schülerinnen und Schüler für das spezifische Angebot der jeweiligen Schule erforderlich.
10. § 3 Abs. 4 Satz 3 AufnahmeVO-SbP regelt, dass die für die Aufnahme erforderlichen sprachlichen Kompetenzen in einer von der Schulaufsichtsbehörde einheitlich genehmigten Überprüfung nachzuweisen sind. Maßgeblich sind die zum Zeitpunkt der Überprüfung festgestellten Sprachkenntnisse (Satz 4). Die Überprüfung der muttersprachlichen Kenntnisse erfolgt durch die SESB (Satz 5). Je nachdem, welche Sprache als Muttersprache angegeben wird, erfolgt die Überprüfung in einem in Deutsch oder in der nichtdeutschen Partnersprache geführten Test; bei Kindern, die als bilingual angemeldet wurden, erfolgt sie in beiden Unterrichtssprachen (Satz 6). Das Testergebnis eines Standorts gilt für alle Standorte derselben Sprachkombination (Satz 7). Die Wiederholung des Tests ist unzulässig (Satz 8). Muttersprachliche Kenntnisse hat, wer im Test mindestens 80 Prozent der möglichen Punkte erreicht, annähernd muttersprachliche Kenntnisse hat, wer mindestens 60 Prozent der möglichen Punkte erreicht (Satz 9).
11. 2. Hiervon ausgehend haben die Antragsteller keinen Anspruch darauf, dass der Antragsteller zu 1 im kommenden Schuljahr (vorläufig) in die Jahrgangsstufe 1 der Quentin-Blake-Grundschule – SESB – aufgenommen wird bzw. dass er – als Minus – im Rahmen eines fiktiven Losverfahrens berücksichtigt wird oder seine Sprachkenntnisse zum Zweck der Aufnahme erneut überprüft werden. Denn der Antragsteller zu 1 verfügt nicht über die erforderliche Mindesteignung im Sinne der genannten Vorschriften. Entgegen der Ansicht der Antragsteller sind keine Fehler bei der Durchführung, Auswertung oder Bewertung der für die Aufnahme auf die Quentin-Blake-Grundschule – SESB – erforderlichen sprachlichen Kompetenzen des Antragstellers zu 1 zu erkennen, aufgrund derer ein Anspruch auf Aufnahme in die genannte Schule bzw. jedenfalls auf Berücksichtigung in einem fiktiven Losverfahren oder auf Neuüberprüfung seiner Sprachkenntnisse bestehen könnte.
12. Die Überprüfung der Sprachkompetenzen des Antragstellers zu 1 erfolgte am 27. Oktober 2020 in der deutschen Sprache, nachdem die Antragstellerin zu 2 und der Antragsteller zu 3 ihn am 5. Oktober 2020 für die Sprachgruppe „muttersprachlich Deutsch“ angemeldet hatten (vgl. Bl. 2 der Unterlagen bzgl. der Antragsteller im Verwaltungsvorgang – VV –). Bei der Sprachprüfung erzielte der Antragsteller zu 1 ursprünglich 74 von 100 möglichen Punkten (vgl. Bl. 1 VV). Auf die von den Antragstellern im Widerspruchsverfahren geäußerten Einwände hin wurde der Sprachtest am 2. Juni 2021 einer erneuten Überprüfung durch die Schule unterzogen und teilweise neubewertet (Bl. 45 f. der Streitakte; Änderungen in Sektion 2 des Sprachtests, Protokollzeile 1 und 2: jeweils Höchstpunktzahl vergeben); das Ergebnis lautet nunmehr 78 von 100 möglichen Punkten. Auch nach dieser Neubewertung erreicht der Antragsteller zu 1 somit nicht mindestens 80 Prozent der möglichen Punkte. Muttersprachliche Deutschkenntnisse im Sinne von § 3 Abs. 4 Sätze 1 und 9 AufnahmeVO-SbP liegen nicht vor.
13. Die Bewertung der muttersprachlichen Deutschkenntnisse des Antragstellers zu 1 mit weniger als 80 Punkten ist nicht zu beanstanden. Bei der Überprüfung der Sprachkenntnisse eines Bewerberkindes kommt der Schule ein Bewertungsspielraum zu, der gerichtlich nur eingeschränkt überprüfbar ist. Das Gericht kann daher nur prüfen, ob die Testenden die rechtlichen Grenzen ihres Bewertungsspielraums überschritten haben. Dies ist der Fall, wenn Verfahrensfehler gemacht werden, die Testenden anzuwendendes Recht verkennen, von einem unrichtigen Sachverhalt ausgehen, allgemeingültige Bewertungsmaßstäbe verletzen oder sich von sachfremden Erwägungen leiten lassen (vgl. bspw. VG Berlin, Beschluss vom 12. Juni 2020 – VG 35 L 135/20 -, juris Rn. 35, m. w. N.). Es sind vorliegend keine derartigen Überschreitungen des Bewertungsspielraumes erkennbar.
14. a) Entgegen der Auffassung der Antragsteller ist zunächst die Bewertung des Satzes „Der kleine Junge ist an die Mama und die Papa an die Hand.“ in Sektion 2 des Sprachtests, Protokollzeile 8, mit 0 Punkten (vgl. Bl. 18 VV) nicht zu beanstanden. Der Leitfaden der Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Familie vom August 2020 zur Sprachstandserhebung „Spiel mit mir!“ – Leitfaden – enthält neben den Auswertungsbögen zu den verschiedenen Aufgaben des Sprachtests auch detaillierte Erläuterungen zur Durchführung und Bewertung des Tests sowie organisatorische Vorgaben und Materialen zu den verschiedenen Testversionen. Dort heißt es bei Nr. 6.2 zur Bepunktung der Äußerungen dieser Aufgabe (S. 13 des Leitfadens), dass bei einem komplexen Satz (Subjekt, Prädikat, Ergänzung) in einer korrekten Reihung der Satzglieder bei drei falschen Satzgliedern ein Punkt vergeben werde; sinngemäß nicht richtige Sätze seien mit 0 Punkten zu bewerten. Unter Nr. 9.2.3 wird hinsichtlich der Aufgabe erläutert, dass das Verb i.S.v. Handlungsbeschreibungen hier im Vordergrund stehe. So sei für den Satz „Da ist ein Bär.“ mangels beschriebener Handlung kein Punkt zu vergeben (S. 22 des Leitfadens). Auch wenn, wie die Antragsteller vortragen, trotz der drei falschen Satzglieder der Satzbau dieses Satzes im Ansatz richtig erscheinen mag, so ist es vom Bewertungsspielraum auch nach den Vorgaben des Leitfadens zu „sinngemäß nicht richtigen Sätzen“ gedeckt, diesen Satz als insgesamt grammatikalisch falsch mit 0 Punkten zu bewerten. Hinzu kommt, dass der Satz mit dem Verb „(an der Hand) sein“ keine Handlung beschreibt und auch bereits aus diesem Grund eine Bewertung mit 0 Punkten nach dem Leitfaden zu rechtfertigen ist.
15. b) Ebensowenig ist die Bewertung des Satzes „Sie packt die Häschen in die Blume.“ in Sektion 2 des Sprachtests, Protokollzeile 10, mit 2 Punkten (vl. Bl. 18 VV) zu beanstanden. Selbst wenn man mit den Antragstellern davon ausgeht, dass das Verb „packen“ synonym zu „setzen“, „legen“, „platzieren“ verwandt werden könne, so beschreibt keines dieser Verben die auf dem Bild dargestellte Handlung. Hier hat der Antragsgegner seiner Bewertung überzeugend zugrunde gelegt, dass auf dem Bild das Mädchen einen Hasen gefunden hat und diesen freudestrahlend seiner Mutter zeigt, ihn aber nicht wieder in die Blumen legen möchte.
16. c) Soweit die Antragsteller vortragen, dass die Beschreibung des Gegensatz-Bilderpaares „dicker/dünner Clown“ in Sektion 3 des Sprachtests mit dem Satz „Das ist der Papaclown und das ist ein Mamaclown.“ mit 3 von 3 möglichen Punkten statt mit 0 Punkten (vgl. Bl. 18R VV) hätte bewertet werden müssen, greift dies ebenfalls nicht durch. Der Zweck der Aufgabe besteht laut Nr. 9.3.2 des Leitfadens darin, Gegensätze bzw. Unterschiede zu erkennen und zu benennen (S. 29 des Leitfadens). Zwar stimmt der Vortrag der Antragsteller, dass bei den Bildern nicht immer nur ein Gegensatzpaar das korrekte sein kann, sondern dass teilweise mehrere Gegensatzpaare als korrekte Antwort in Betracht kommen. So wird bei dem Gegensatz-Bilderpaar mit einem Haus, das ganz vorne steht, und einem anderen Haus, das weiter hinten steht, auch die Beschreibung „Das Haus ist groß und das Haus ist klein.“ für korrekt erachtet (S. 34 des Leitfadens). Voraussetzung für eine derartige Zulassung mehrerer beschreibbarer Gegensätze ist jedoch, dass diese in den Bildern angelegt und allgemein nachvollziehbar sind. Dass die prüfenden Personen dies ist bei der Beschreibung des dicken und des dünnen Clowns mit „Mama- und Papaclown“ verneint haben, überschreitet ihren Bewertungsspielraum nicht. Denn auch wenn etwas mehr Männer als Frauen in Deutschland übergewichtig sind (67% der Männer und 53% der Frauen; vgl. den Themenschwerpunkt „Übergewicht und Adipositas“ auf www.rki.de), so erscheint die Assoziation von dicken Personen mit „Papas“ und dünnen Personen mit „Mamas“ – abgesehen von der Frage, ob es sich bei „Mama/Papa“ tatsächlich um ein Gegensatzpaar handelt – nicht derart allgemein nachvollziehbar oder in den Bildern angelegt, dass sie zwingend als korrekt benannter Unterschied hätte bewertet werden müssen. Daran ändert auch die Tatsache, dass ein anderes Kind (K… ) die Clowns ebenfalls als Mann und Frau beschrieben hat, nichts, da dieser Einzelfall nicht geeignet ist nachzuweisen, dass eine derartige Zuschreibung in den Bildern angelegt sei. Im Übrigen wurde die Antwort dieses anderen Kindes ebenfalls – und mit dem hiesigen Fall konsistent – mit 0 Punkten bewertet. Ausweislich der Stellungnahme der Schule vom 2. Juni 2021 (Bl. 45R der Streitakte) hat die Testerin den Antragsteller zu 1 sogar noch gefragt, warum das eine ein Papa- und das andere ein Mamaclown sei, und ihm mit dieser Nachfrage die Chance gegeben, seine Antwort näher zu begründen: etwa damit, dass der eine Clown dick und kräftig ist, der andere jedoch dünn und schmal. Der Antragsteller zu 1 gab hierauf jedoch ausweislich der Stellungnahme keine Antwort und nahm so die Chance für eine nähere Erläuterung des von ihm vermeintlich erkannten Gegensatzes nicht wahr.
17. d) Schließlich ist auch kein Bewertungs- oder Verfahrensfehler hinsichtlich Sektion 4B des Sprachtests erkennbar. Zwar sollen ausweislich der Testanweisungen die durch das Kind formulierten Sätze protokolliert werden und die testenden Personen haben in Protokollzeile 8, 9 und 10 das Feld „Protokoll“ jeweils nicht ausgefüllt (vgl. Bl. 22 VV). Allerdings liegt hierin entgegen der Ansicht der Antragsteller kein Protokollierungsfehler. Denn durch den vorgegebenen oben stehenden Text „Das Kind antwortet: Das Stofftier liegt/legt sich…“ sowie durch die möglichen weiteren Antwortteile (Bsp. Zeile 8: „vor dem/den Stuhl“) wird hinreichend klar, welchen Satz das Kind gebildet hat. So geht aus dem Auswertungsbogen klar hervor, dass der Antragsteller zu 1 in Zeile 8 geantwortet hat: „Das Stofftier liegt vor den Stuhl.“ Denn die Präposition „vor“ ist richtig verwandt worden, was durch die Vergabe von einem Punkt deutlich wird. Der Kasus hingegen ist falsch verwandt worden, da „den“ umkringelt und kein Punkt vergeben worden ist. Daraus folgt, dass der Antragsteller zu 1 die Anfangswendung „liegt“ genutzt haben muss, da bei ihr der Kasus „den“ nicht korrekt ist (anders wäre es bei „legt sich“). Dem entspricht, dass ausweislich der Angaben der Schule (Bl. 46 der Streitakte) die Testerin danach gefragt hat, wo der Teddy liegt (und nicht, wo er sich hinlegt), was eine Antwort mit dem gleichen Verb nahelegt. Entgegen der Ansicht der Antragsteller ist nicht mangels genauer Protokollierung des Verbs davon auszugehen, dass der Antragsteller zu 1 „Das Stofftier legt sich vor den Stuhl.“ gesagt (und damit den richtigen Kasus verwandt) hätte. Vielmehr ist der Rückschluss von einem falschen Kasus auf das entsprechend verwendete Verb bei einer derart wenig komplexen Aufgabe zulässig, ohne dass hier eine weitere Protokollierung zwingend erforderlich wäre. Gleiches gilt für die beiden anderen, vergleichbaren und gleichermaßen protokollierten Aufgaben in Zeile 9 und 10 dieser Sektion.
18. Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 1, 159 Satz 1 VwGO i. V. m. § 100 Abs. 1 ZPO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 53 Abs. 2 Nr. 1 i. V. m. § 52 Abs. 2 des Gerichtskostengesetzes, wobei die Kammer in schulrechtlichen Eilverfahren nach den Nrn. 1.5 Satz 1 Hs. 1 und 38.4 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013 die Hälfte des für das Hauptsacheverfahren anzusetzenden Auffangstreitwertes zugrunde legt.
Zuletzt aktualisiert am August 17, 2021 von eurogesetze
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