Gericht: VG Berlin 35. Kammer. Entscheidungsdatum: 28.07.2021. Aktenzeichen: 35 L 94/21

Gericht: VG Berlin 35. Kammer
Entscheidungsdatum: 28.07.2021
Aktenzeichen: 35 L 94/21
ECLI: ECLI:DE:VGBE:2021:0728.35L94.21.00
Dokumenttyp: Beschluss

Leitsatz

Die Geschwisterreglung des § 3 Abs. 5 Satz 2 Nr. 1 AufnahmeVO-SbP verstößt nicht gegen höherrangiges Recht. Die Entscheidung, Bewerberkinder mit Geschwistern an demselben Standort in der SESB oder an einem anderen SESB-Grundschulstandort mit derselben Sprachkombination vorrangig aufzunehmen, erfolgte im Rahmen des normativen Gestaltungsspielraums des Verordnungsgebers, der gerichtlich nur eingeschränkt überprüfbar ist, und ist von diesem gedeckt.
Die Regelung des § 3 Abs. 4 Satz 13 AufnahmeVO SbP ist anzuwenden, wenn ursprünglich für geeignete Kinder aus nach Berlin zuziehenden Familien freigehaltene Plätze, die nun zur Verfügung stehen (vgl. § 3 Abs. 11 Satz 3), nicht gleichmäßig auf alle Sprachgruppen verteilt werden können. Solche Plätze sind unter allen verbliebenen Bewerbern durch Los zu vergeben.
Ist die Auswahlentscheidung fehlerhaft, weil ein gebotenes Losverfahren rechtswidrig unterblieben ist, ist zur Kompensation dieses Fehlers ein fiktives Losverfahren durchzuführen. Durch die Nachholung des Losverfahrens wird den Bewerberkindern, die um gerichtlichen Rechtsschutz nachgesucht haben, genau die Aufnahmechance zuteil, die sie auch in einem ursprünglich durchzuführenden Losverfahren gehabt hätten (vgl. OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 19. November 2020 – OVG 3 S 76/20 -, juris Rn. 10 m.w.N.).

Verfahrensgang
vorgehend VG Berlin, VG 35 L 94/21

Tenor

Der Antragsgegner wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, bis zum 3. August 2021 unter den Bewerberkindern um die Aufnahme in die Jahrgangsstufe 1 der Grundschule am Arkonaplatz – SESB – K…(VG 35 L 94/21), J…(VG 35 L 128/21) und zwölf weiteren fiktiven Mitbewerberkindern ein fiktives Losverfahren durchzuführen, hierbei die Rangfolge zu ermitteln und den Antragsteller zu 1 zum Schuljahr 2021/2022 vorläufig in die Jahrgangsstufe 1 der Grundschule am Arkonaplatz – SESB – aufzunehmen, sofern bei der Verlosung der erste oder zweite Rangplatz auf ihn entfällt.

Im Übrigen wird der Antrag zurückgewiesen.
Der Antragsgegner trägt die Kosten des Verfahrens zu 1/7 und die Antragsteller zu 6/7.
Der Wert des Verfahrensgegenstandes wird auf 2.500,- Euro festgesetzt.

Gründe

1. Die Antragsteller begehren im Wesentlichen die Aufnahme des am 1… geborenen Antragstellers zu 1, Sohn der Antragstellerin zu 2 und des Antragstellers zu 3, in die Jahrgangsstufe 1 des Zuges der Staatlichen Europa-Schule Berlin – SESB – an der Grundschule am Arkonaplatz mit den Partnersprachen Deutsch und Französisch zum kommenden Schuljahr 2021/2022. Die ältere Schwester des Antragstellers zu 1 besucht die Jahrgangsstufe 5 des Französischen Gymnasiums Berlin.

2. Der sinngemäße Antrag vom 6. April 2021,

3. den Antragsgegner im Wege einstweiliger Anordnung zu verpflichten, den Antragsteller zu 1 zum Schuljahr 2021/2022 vorläufig in die Jahrgangsstufe 1 der Grundschule am Arkonaplatz – SESB – aufzunehmen,

4. hilfsweise, den Antragsgegner im Wege einstweiliger Anordnung zu verpflichten, unter sämtlichen Bewerberkindern um die Aufnahme in die Jahrgangsstufe 1 der Grundschule am Arkonaplatz – SESB -, die der deutschen Sprachgruppe zugeordnet sind, ein fiktives Losverfahren durchzuführen, hierbei die Rangfolge zu ermitteln und den Antragsteller zu 1 zum Schuljahr 2021/2022 vorläufig in die Jahrgangsstufe 1 der Grundschule am Arkonaplatz – SESB – aufzunehmen, sofern bei der Verlosung einer der ersten acht Rangplätze auf ihn entfällt,

5. hat (nur) in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang Erfolg.

6. Der Antrag nach § 123 Abs. 1 der Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO – ist nach der im Eilverfahren allein möglichen summarischen Prüfung zulässig und teilweise begründet.

7. Wegen des im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes grundsätzlich zu beachtenden Verbots, die Entscheidung in einem Klageverfahren in der Hauptsache vorwegzunehmen, kommt der Erlass der begehrten, dem (möglichen) Prozessergebnis in der Hauptsache weitgehend vorgreifenden einstweiligen Anordnung nur dann in Betracht, wenn mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist, dass eine Klage mit dem Ziel, den Antragsteller zu 1 zum Schuljahr 2021/2022 als Schulanfänger in die Grundschule am Arkonaplatz – SESB – aufzunehmen, Erfolg hätte (Anordnungsanspruch) und dass den Antragstellern durch die Verweisung auf das Hauptsacheverfahren unzumutbare, irreparable Nachteile entstünden (Anordnungsgrund). Diese Voraussetzungen liegen hier teilweise vor.

8. A. Die Antragsteller haben einen Anordnungsanspruch auf Teilnahme des Antragstellers zu 1 an der tenorierten (fiktiven) Verlosung und auf die daraus möglicherweise anknüpfende Aufnahme in die Grundschule am Arkonaplatz – SESB – glaubhaft gemacht. Ein darüberhinausgehender Anordnungsanspruch – auf Aufnahme in die Schule (Hauptantrag) oder ein fiktives Losverfahren um acht Plätze in der deutschen Sprachgruppe (Hilfsantrag) – besteht nicht. Insoweit erscheint der (noch nicht bestandskräftige) Bescheid des Antragsgegners vom 16. Februar 2021, mit dem eine Aufnahme des Antragstellers zu 1 als Schulanfänger an dieser Schule abgelehnt wird, als rechtmäßig und die Antragsteller nicht in ihren Rechten verletzend (§ 113 Abs. 5 VwGO).

9. 1. Rechtliche Grundlage für das Begehren der Antragsteller ist das Schulgesetz für das Land Berlin – SchulG – in Verbindung mit der gemäß § 18 Abs. 3 SchulG erlassenen Verordnung über die Aufnahme in Schulen besonderer pädagogischer Prägung – AufnahmeVO-SbP -.

10 Nach § 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Alt. 1 AufnahmeVO-SbP ist die Grundschule am Arkonaplatz eine einzügige Staatliche Europa-Schule Berlin mit den Partnersprachen Deutsch und Französisch. Nach § 3 Abs. 4 Sätze 1 und 10 AufnahmeVO-SbP nimmt die genannte Schule im Rahmen der Einschulung ausschließlich Kinder auf, die Deutsch oder Französisch altersgemäß wie eine Muttersprache beherrschen sowie bilinguale Kinder, die eine Partnersprache auf muttersprachlichem Niveau und die andere Sprache auf mindestens annähernd muttersprachlichem Niveau beherrschen. Plätze, die innerhalb einer Sprachgruppe nicht vergeben werden, werden den beiden jeweils anderen Sprachgruppen gleichermaßen zugeordnet (§ 3 Abs. 4 Satz 12 AufnahmeVO-SbP).

11. Nach § 3 Abs. 11 Satz 1 AufnahmeVO-SbP beträgt die Eingangsfrequenz in SESB-Klassen in der Grundschule 24 bis höchstens 26 Schülerinnen und Schüler. Nach Satz 3 der Vorschrift sind in allen neu einzurichtenden Klassen der Jahrgangsstufen 1 und 7 bis zwei Wochen vor Beginn der Sommerferien zwei Plätze ausschließlich für geeignete Kinder aus nach Berlin zuziehenden Familien freizuhalten, die sich nicht am regulären Anmeldeverfahren beteiligen konnten.

12. Übersteigt die Zahl geeigneter Anmeldungen die der verfügbaren Plätze, erfolgt die Auswahl gemäß § 3 Abs. 5 Satz 1 AufnahmeVO-SbP getrennt nach den drei Sprachgruppen. Die Aufnahme richtet sich nach Satz 2 der Vorschrift in jeder Sprachgruppe nach folgenden Kriterien in abgestufter Rangfolge:

13. 1. Kinder, deren Geschwister sich bereits an demselben Standort in der SESB befinden oder an einem anderen SESB-Grundschulstandort in derselben Sprachkombination unterrichtet werden,

14. 2. Kinder, die gemäß § 42 Abs. 1 SchulG schulpflichtig werden, und Kinder, die nach einer Rückstellung gemäß § 42 Abs. 3 SchulG angemeldet werden.

15. Unter gleichrangig geeigneten Bewerberinnen und Bewerbern entscheidet innerhalb des jeweiligen Kontingents das Los (§ 3 Abs. 5 Satz 3 AufnahmeVO-SbP).

16. In dem Auswahlverfahren werden zunächst Schülerinnen und Schüler berücksichtigt, deren Erziehungsberechtigte die jeweilige Schule als Erstwunsch bestimmt haben; erst nachrangig erfolgt die Auswahl zunächst nach Zweit-, zuletzt nach Drittwünschen (§ 2 Abs. 2 Satz 2 AufnahmeVO-SbP).

17. 2. Nach diesen Maßstäben hat es der Antragsgegner im Rahmen seiner Auswahlentscheidung am 28. Januar 2021 zu Recht abgelehnt, den Antragsteller zu 1 zum nächsten Schuljahr in die Grundschule am Arkonaplatz – SESB – aufzunehmen. Zwar verfügt der Antragsteller zu 1 über die erforderliche sprachliche Mindesteignung, die er mit dem im Dezember 2020 in der deutschen Sprache absolvierten Test auf muttersprachlichem Niveau nachgewiesen hat. Er wurde gemäß des Testergebnisses zutreffend der deutschen Sprachgruppe zugeteilt. Allerdings überstieg die Zahl geeigneter Anmeldungen in der deutschen Sprachgruppe die der verfügbaren Plätze, so dass ein Auswahlverfahren durchgeführt werden musste (vgl. Schriftsatz des Antragsgegners vom 19. April 2021 und Einrichtungsvermerk vom 28. Januar 2021 im ersten Teil des Generalvorgangs). Die Durchführung dieses Auswahlverfahrens ist nicht zu beanstanden.

18. a) In der für den Antragsteller zu 1 maßgeblichen deutschen Sprachgruppe gab es 29 geeignete Erstwunschanmeldungen (vgl. § 2 Abs. 2 Satz 2 AufnahmeVO-SbP) bei acht verfügbaren Plätzen. Zwei der Bewerberkinder haben die sprachlichen Mindesteignung nicht nachgewiesen und konnten deshalb nicht berücksichtigt werden (vgl. § 3 Abs. 4 Sätze 1 und 10 AufnahmeVO-SbP). Sieben der angemeldeten Kinder haben Geschwister an der Grundschule am Arkonaplatz – SESB – und wurden zum Schuljahr 2021/2022 schulpflichtig, so dass sie gemäß § 3 Abs. 5 Satz 2 AufnahmeVO-SbP vorrangig zu berücksichtigen waren. Zwischen den zwanzig weiteren Kindern, die über die sprachliche Mindesteignung verfügen und zum nächsten Schuljahr schulpflichtig werden, wurde der verbliebene Platz verlost. Der Antragsteller zu 1 nahm an dem Losverfahren teil, erzielte aber nur den nicht zur Aufnahme berechtigenden Losplatz 19.

19. b) Der Antragsteller zu 1 hat zu Recht lediglich am Losverfahren teilgenommen. Ein darüberhinausgehender Anspruch auf Aufnahme an der Grundschule am Arkonaplatz – SESB – steht ihm nicht zu. Er war nicht vorrangig zu berücksichtigen; insbesondere kann er sich nicht auf den Geschwistervorrang des § 3 Abs. 5 Satz 2 AufnahmeVO-SbP berufen. Der Antragsteller zu 1 hat unstreitig keine Geschwister an der Grundschule am Arkonaplatz – SESB – oder an einem anderen SESB-Grundschulstandort mit derselben Sprachkombination. Seine Schwester besucht die fünfte Klasse des Französischen Gymnasiums Berlin.

20. Die von den Antragstellern begehrte – durch Auslegung wegen der klaren Wortlautgrenze der Norm nicht mehr erreichbare – Ausweitung des Anwendungsbereichs von § 3 Abs. 5 Satz 2 AufnahmeVO-SbP auf Bewerber mit Geschwistern am Französischen Gymnasium Berlin kommt nicht in Betracht.Den von den Antragstellern behaupteten gleichheitswidrigen Begünstigungsausschluss unterstellt, ist bereits fraglich, ob hieraus überhaupt ein Anspruch auf Besserstellung folgen würde. Der Grund hierfür ist, dass Ungleichbehandlungen unterschiedlich behoben werden können, etwa indem die Vergleichsgruppe ebenfalls aus dem Regelungsbereich herausgenommen wird oder die Betroffenen in ihn hineingenommen werden. Der Normgeber ist lediglich verpflichtet einen verfassungskonformen Zustand herzustellen; wie er dieses Ziel erreicht, entscheidet er selbst (vgl. Wolff in: Hömig/Wolff, Grundgesetz, 12. Aufl. 2018, Art. 3 Rn. 11). Ein erstinstanzliches Fachgericht darf bei einer Unvereinbarkeit von untergesetzlichen Normen mit dem Gleichbehandlungsgebot grundsätzlich – trotz der ihm insoweit zustehenden Kontroll- und Verwerfungskompetenz – die begehrte Begünstigung nicht zusprechen, es sei denn, allein die Ausdehnung der Begünstigung sei ausnahmsweise die allein verfassungsgemäße Alternative (vgl. BVerfG, Beschluss vom 17. Januar 2006 – 1 BvR 541/02 -, BVerfGE 115, 81, juris Rn. 45 ff.; BVerwG, Urteil vom 11. Oktober 1996 – 3 C 29.96 -, BVerwGE 102, 113, juris Rn. 37). Ohnehin ist aber nicht ersichtlich, dass § 3 Abs. 5 Satz 2 Nr. 1 AufnahmeVO-SbP gegen höherrangiges Recht, insbesondere gegen Verfassungsrecht, verstößt.

21. Die Norm ist von der Verordnungsermächtigung gedeckt. Dem als Verordnungsermächtigung maßgeblichen § 18 Abs. 3 Satz 1 SchulG zufolge wird die für das Schulwesen zuständige Senatsverwaltung ermächtigt, durch Rechtsverordnung Schulen besonderer pädagogischer Prägung einzurichten, die von einzelnen Vorschriften des Schulgesetzes oder von aufgrund des Schulgesetzes erlassenen Rechtsverordnungen abweichen können, soweit es das besondere pädagogische oder organisatorische Konzept erfordert. Hierzu zählen gemäß § 18 Abs. 3 Satz 2 SchulG insbesondere auch die Vorschriften über die Aufnahme in die Schule. Dass es der Gesetzgeber grundsätzlich dem Verordnungsgeber bei der Einrichtung einer Schule besonderer pädagogischer Prägung überlässt, ob und unter welchen Umständen er (privilegierende) Aufnahmevorschriften des Schulgesetzes im Hinblick auf das jeweilige Konzept der Schule übernimmt, ist sachgerecht und nicht zu beanstanden. Hierbei durfte der Gesetzgeber davon ausgehen, dass sich die Vorschriften der Rechtsverordnung regelmäßig an dem pädagogischen und organisatorischen Konzept orientieren (vgl. OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 7. November 2018 – OVG 3 S 67.18 -, juris Rn. 11).

22. Der Verordnungsgeber hat sich dafür entschieden, an der SESB je Klasse drei Sprachgruppen zu bilden und innerhalb der Sprachgruppe vorrangig Kinder aufzunehmen, deren Geschwister sich bereits an demselben Standort in der SESB befinden oder an einem anderen SESB-Grundschulstandort in derselben Sprachkombination unterrichtet werden. Die Entscheidung, die Bewerberkinder mit den bezeichneten Geschwistern vorrangig aufzunehmen, erfolgte im Rahmen des normativen Gestaltungsspielraums des Verordnungsgebers, der gerichtlich nur eingeschränkt überprüfbar ist, und ist von diesem gedeckt (vgl. auch OVG Berlin-Brandenburg, a.a.O., Rn. 13). Ein Verstoß gegen Verfassungsrecht, insbesondere gegen Art. 12 Abs. 1 und 3 und Art. 20 Abs. 1 der Verfassung von Berlin sowie Art. 3 Abs. 1, Art. 6 Abs. 2 und Art. 12 Abs. 1 des Grundgesetzes – GG -, ist nicht dargetan. Das Differenzierungsmerkmal „Geschwisterkind“ genügt insbesondere den Anforderungen des Gleichheitssatzes aus Art. 3 Abs. 1 GG (vgl. OVG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 23. August 2013 – 3 M 268/13 -, juris Rn. 9; VG Berlin, Beschluss vom 7. August 2020 – VG 35 L 288/20 -, juris Rn. 41).

23. Die unterschiedliche Behandlung von solchen Kindern, deren Geschwister bereits an demselben SESB-Standort aufgenommen worden sind und Kindern ohne Geschwister dort, ist angesichts des regelmäßig einhergehenden reduzierten Betreuungsaufwands und vielfältigen Erleichterungen des Familienlebens (Zeitersparnis bei Schulwegen, schulische Veranstaltungen an derselben Schule, Kontakte zu Schulleitung und Lehrpersonal, geschwisterliche Bindung) sachlich gerechtfertigt. Auch sofern § 3 Abs. 5 Satz 2 Nr. 1AufnahmeVO-SbP Kinder mit Geschwistern, die an anderen SESB-Grundschulstandorten in derselben Sprachkombination unterrichtet werden, privilegiert, bestehen keine durchgreifenden verfassungsrechtlichen Bedenken. Sowohl das aufzunehmende Kind als auch seine Eltern können ein schützenswertes Interesse daran haben, dass Geschwisterkinder in derselben Sprache unterrichtet werden und jeweils im Anschluss auch einen Anspruch auf Fortsetzung ihres Bildungsgangs in der Sekundarstufe der SESB haben (vgl. § 3 Abs. 6 Satz 1 AufnahmeVO-SbP). Die Situation eines Bewerberkindes mit einem Geschwisterkind am Französischen Gymnasium Berlin, einer weiterführenden Schule mit abweichendem Schulkonzept, ist insoweit nicht vergleichbar.

24. c) Der Antragsgegner ist auch zutreffend davon ausgegangen, dass lediglich ein Platz in der deutschen Sprachgruppe zu verlosen war. Er hat zurecht sieben Kinder mit Geschwistern an der Grundschule am Arkonaplatz – SESB – vorrangig aufgenommen. Der Einwand der Antragsteller, die Geschwisterreglung des § 3 Abs. 5 Satz 2 Nr. 1 AufnahmeVO-SbP verstoße gegen höherrangiges Recht und müsse daher unangewendet bleiben, greift aus den unter b) genannten Gründen nicht durch.

25. Selbst unterstellt, die Privilegierung von Kindern mit Geschwistern an anderen SESB-Standorten sei verfassungsrechtlich problematisch, könnte diesen Bedenken hier durch Auslegung im Wege geltungserhaltender Reduktion Rechnung getragen werden. Bliebe dieser Bestandteil der Geschwisterkinderregelung des § 3 Abs. 5 Satz 2 Nr. 1 AufnahmeVO-SbP vorliegend unangewendet, ergäben sich daraus keine für die Antragsteller günstigen Rechtsfolgen. Denn ausweislich der Geschwisterliste im Einrichtungsvermerk vom 18. Januar 2021 sind bei der Aufnahme nur Kinder mit Geschwistern an der Grundschule am Arkonaplatz – SESB – vorrangig berücksichtigt worden, nicht aber Kinder mit Geschwistern an anderen SESB-Grundschulstandorten in derselben Sprachkombination.

26. Überdies hält der Antragsgegner den Antragstellern zurecht entgegen, dass sie die Tatsache, dass die Schwester des Antragstellers zu 1 das Französische Gymnasium besucht, erst im Rahmen des Widerspruchsverfahrens und damit zu spät angegeben haben. Denn grundsätzlich beurteilt sich die Frage, ob eine Bewerberin oder ein Bewerber an der gewünschten Schule aufgenommen wird, nach der Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der Aufnahmeentscheidung, die als verbindlicher Abschluss des bei einer Übernachfrage durchzuführenden Aufnahmeverfahrens ergeht (st. Rspr., vgl. OVG Berlin-Brandenburg, Beschlüsse vom 9. September 2020 – OVG 3 S 73/20 -, juris Rn. 3, vom 6. September 2019 – OVG 3 S 76.19 -, juris Rn. 6 und vom 9. Oktober 2020 – OVG 3 S 69.20 -, juris Rn. 18, jeweils m. w. N.). Dies war hier am 28. Januar 2021.

27. 3. Als fehlerhaft erweist sich jedoch die am 9. Juni 2021 erfolgte Vergabe von zwei Schulplätzen, die zunächst für geeignete Kinder aus nach Berlin zuziehenden Familien freigehalten wurden, die sich nicht am regulären Anmeldeverfahren beteiligen konnten (vgl. § 3 Abs. 11 Satz 3 AufnahmeVO-SbP). Der Antragsgegner hat diese beiden Plätze – obgleich alle drei Sprachgruppen übernachgefragt waren – ausweislich seines Vermerks vom 9. Juni 2021 der deutschen und der bilingualen Sprachgruppe zugeteilt und anschließend entsprechend der jeweiligen Nachrückerlisten in den beiden Sprachgruppen vergeben. Diese Art und Weise der Platzvergabe entsprach nicht den gesetzlichen Vorgaben. Vielmehr hätte die Regelung des § 3 Abs. 4 Satz 13 AufnahmeVO SbP Anwendung finden müssen, wonach zur Verfügung stehende Plätze, die im Rahmen der Aufteilung gemäß § 3 Abs. 11 Satz 3 nicht gleichmäßig auf alle Sprachgruppen verteilt werden können, unter allen verbliebenen Bewerbern durch Los zu vergeben sind.

28. In einer Fallkonstellation wie der vorliegenden, in der die Auswahlentscheidung fehlerhaft ist, weil ein gebotenes Losverfahren rechtswidrig unterblieben ist, ist zur Kompensation dieses Fehlers ein fiktives Losverfahren durchzuführen. Durch die Nachholung des Losverfahrens wird den Bewerberkindern, die um gerichtlichen Rechtsschutz nachgesucht haben, genau die Aufnahmechance zuteil, die sie auch in einem ursprünglich durchzuführenden Losverfahren gehabt hätten. In das hiernach durchzuführende fiktive Losverfahren sind der Antragsteller zu 1 und die Antragstellerin J… (VG 35 L 128/21) sowie zwölf weitere fiktive Bewerberkinder einzubeziehen (vgl. Schriftsatz des Antragsgegners vom 19. Juli 2021, Bl. 80 der Gerichtsakte, 16 Kinder im Widerspruchsverfahren abzüglich eines Bewerberkindes ohne Mindesteignung, vgl. Beschluss der Kammer vom 21. Juli 2021 mit dem Aktz.: VG 34 L 200/21, und abzüglich eines Zweitwunsch-Kindes). Dem Anspruch auf Gewährung effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 GG) ist damit genüge getan (vgl. OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 19. November 2020 – OVG 3 S 76/20 -, juris Rn. 10 m.w.N.).

29. B. Es besteht insoweit auch ein Anordnungsgrund.

30. Ohne die aus dem Tenor ersichtliche Anordnung würde der Anspruch der Antragsteller auf Durchführung des tenorierten fiktiven Losverfahrens und die möglicherweise daraus folgende Aufnahme des Antragstellers zu 1 an die Grundschule am Arkonaplatz – SESB – zum Beginn des Schuljahres 2021/2022 zumindest teilweise vereitelt. Eine Entscheidung im Hauptsachverfahren könnte nicht mehr rechtzeitig vor dem Schulbeginn ergehen.

31. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 155 Abs. 1, 159 Satz 1 VwGO i. V. m. § 100 Abs. 1 ZPO. Die Kosten wurden entsprechend des Ausmaßes des teilweisen Obsiegens und teilweisen Obliegens der Beteiligten verhältnismäßig geteilt. Die Kostenquote orientiert sich an der Aufnahmechance des Antragstellers zu 1 im Rahmen des durchzuführenden fiktiven Losverfahrens von 1/7.

32. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 53 Abs. 2 Nr. 1 i. V. m. § 52 Abs. 2 des Gerichtskostengesetzes, wobei die Kammer in schulrechtlichen Eilverfahren nach den Nrn. 1.5 Satz 1 Hs. 1 und 38.4 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013 die Hälfte des für das Hauptsacheverfahren anzusetzenden Auffangstreitwertes zugrunde legt.

Zuletzt aktualisiert am August 17, 2021 von eurogesetze

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