FÜNFTE SEKTION
RECHTSSACHE P. ./. DEUTSCHLAND
(Individualbeschwerde Nr. 43481/09)
URTEIL
STRASSBURG
8. November 2012
Dieses Urteil wird nach Maßgabe von Artikel 44 Abs. 2 der Konvention endgültig. Es wird gegebenenfalls noch redaktionell überarbeitet.
In der Rechtssache P ./. Deutschland
hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (Fünfte Sektion) als Kammer mit den Richterinnen und Richtern
Dean Spielmann, Präsident,
Mark Villiger,
Karel Jungwiert,
Boštjan M. Zupančič,
Ann Power-Forde,
Angelika Nußberger und
André Potocki,
sowie Claudia Westerdiek, Sektionskanzlerin,
nach nicht öffentlicher Beratung am 18. September 2012
das folgende Urteil erlassen, das am selben Tag angenommen wurde.
VERFAHREN
1. Der Rechtssache liegt eine Individualbeschwerde (Nr. 43481/09) gegen die Bundesrepublik Deutschland zugrunde, die P. („die Beschwerdeführerin“), ein in Deutschland ansässiger Verein, am 12. August 2009 nach Artikel 34 der Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten („die Konvention“) beim Gerichtshof eingereicht hat.
2. Der beschwerdeführende Verein wurde von Herrn L., Rechtsanwalt in Göttingen, vertreten. Die deutsche Regierung („die Regierung“) wurde durch ihren Verfahrensbevollmächtigten, Herrn H.-J. Behrens vom Bundesministerium der Justiz, vertreten.
3. Der beschwerdeführende Verein rügte insbesondere eine Verletzung seines Rechts auf freie Meinungsäußerung.
4. Am 14. November 2011 wurde die Beschwerde der Regierung übermittelt.
5. Die Parteien erwiderten schriftlich auf die gegnerischen Schriftsätze. Darüber hinaus gingen Stellungnahmen der Drittbeteiligten, des Herrn K. und des Zentralrats der Juden in Deutschland, beide vertreten durch Rechtsanwalt V., denen der Präsident die Teilnahme am schriftlichen Verfahren gestattet hatte (Artikel 36 Abs. 2 der Konvention und Artikel 44 Abs. 3 der Verfahrensordnung), ein.
SACHVERHALT
I. DIE UMSTÄNDE DER RECHTSSACHE
6. Bei dem beschwerdeführenden Verein handelt es sich um die deutsche Repräsentanz der Tierschutzorganisation …. Die Ziele des Vereins bestehen unter anderem darin, das Leiden von Tieren zu verhindern und die Öffentlichkeit dazu anzuhalten, keine tierischen Produkte zu benutzen.
7. Im März 2004 plante der beschwerdeführende Verein den Start einer Werbekampagne mit dem Titel „Der Holocaust auf Ihrem Teller“. Die geplante Kampagne, die in ähnlicher Form bereits in den Vereinigten Staaten durchgeführt worden war, umfasste eine Reihe von Plakaten, auf denen jeweils ein Foto von KZ-Insassen und ein Foto von in Massentierhaltung gehaltenen Tieren abgebildet waren. Begleitet wurde dies von einem kurzen Text. Unter der Überschrift „Wandelnde Skelette“ zeigte eines der Plakate ein Foto von nackten, abgemagerten KZ-Häftlingen neben dem Foto eines ausgehungerten Rindes. Andere Plakate zeigten unter dem Titel „Endgültige Demütigung“ Bilder aufgehäufter menschlicher Leichen neben einem Haufen geschlachteter Schweine, oder unter dem Titel „Wo es um Tiere geht, wird jeder zum Nazi“ Reihen von KZ-Häftlingen in Stockbetten neben Reihen von Hühnern in Legebatterien. Ein anderes Plakat, auf dem ein ausgehungerter nackter männlicher KZ-Häftling neben einem ausgehungerten Rind abgebildet ist, trug den Titel „Der Holocaust auf Ihrem Teller“ und den Begleittext „Zwischen 1938 und 1945 starben 12 Millionen Menschen im Holocaust. Genau so viele Tiere werden für den menschlichen Verzehr jede Stunde in Europa getötet.“
8. Im März 2004 beantragten drei Einzelpersonen, P. S., C. K. und S. K., beim Landgericht Berlin, dem beschwerdeführenden Verein im Wege der einstweiligen Verfügung zu untersagen, sieben konkret bezeichnete Plakate über das Internet, in Form einer der Öffentlichkeit zugänglichen Ausstellung oder in sonstiger Weise zu verbreiten oder verbreiten zu lassen. Bei den Antragstellern handelte es sich um den damaligen Präsidenten und die Damaligen zwei Vizepräsidenten des Zentralrats der Juden in Deutschland. Sie alle hatten den Holocaust als Kinder überlebt; C. K. hat ihre Familie durch den Holocaust verloren. Sie brachten vor, die geplante Kampagne sei beleidigend und verletze ihre Menschenwürde sowie die Persönlichkeitsrechte der verstorbenen Familienmitglieder von C. K.
9. Am 18. März 2004 erließ das Landgericht Berlin die Verbotsverfügung. Mit Urteil vom 22. April 2004 bestätigte dasselbe Gericht die einstweilige Verfügung. Es vertrat die Auffassung, die Antragsteller hätten einen Unterlassungsanspruch nach § 823 Abs. 1 und 2 BGB i. V. m. § 1004 BGB, §§ 185 ff. StGB, Art. 1 Abs. 1 und 2 GG (sic) (siehe „Einschlägiges innerstaatliches Recht“). Die Antragsteller seien als ehemalige Opfer des Holocaust von den streitgegenständlichen Äußerungen betroffen.
10. Das Landgericht war darüber hinaus der Auffassung, dass es sich bei den streitgegenständlichen Darstellungen um Meinungsäußerungen handele, die von der Schutzwirkung des Artikels 5 GG erfasst seien. Dieses Recht schütze Meinungsäußerungen selbst dann, wenn sie polemisch oder verletzend formuliert seien. Die Darstellungen seien gerade deshalb so aufwühlend und hätten ein so breites Echo in der Medienlandschaft gefunden, weil die nebeneinander montierten Fotos scheinbar ähnliche Situationen zeigten, die sich lediglich dadurch unterschieden, dass auf der einen Seite Tiere in Farbe abgebildet seien und auf der anderen Seite in Schwarz/Weiß lebende oder tote Menschen. Aus Sicht eines durchschnittlichen Betrachters seien die streitgegenständlichen Plakate so zu interpretieren, dass das Schicksal der abgebildeten Tiere und das der abgebildeten Menschen auf eine Stufe gestellt werden solle.
11. Nichts deute darauf hin, dass es dem beschwerdeführenden Verein in erster Linie um eine Herabwürdigung der Holocaust-Opfer gegangen sei, da mit den Plakaten offensichtlich Kritik an den Bedingungen der Tierhaltung geübt werden und der Betrachter zu einem Nachdenken über diese Verhältnisse gebracht werden solle. Hieraus ergebe sich, dass die Meinungsäußerung Fragen des öffentlichen Interesses betreffe und daher im Rahmen einer Abwägung widerstreitender Interessen im Allgemeinen ein höheres Schutzniveau genieße. In der vorliegenden Rechtssache müsse aber berücksichtigt werden, dass KZ-Häftlinge und Holocaust-Opfer mit Tieren gleichgesetzt worden seien. Vor dem Hintergrund des Menschenbildes des Grundgesetzes, welches die Menschenwürde ins Zentrum stelle und den Tierschutz nur am Rande erwähne, erscheine dieser Vergleich willkürlich, weil die Opfer des Holocaust für Zwecke des Tierschutzes mit dem leidvollen Schicksal ihrer Verfolgung konfrontiert würden. Die Erniedrigung von KZ-Häftlingen werde demnach instrumentalisiert, um für eine bessere Unterbringung von Legehennen und anderem Getier zu streiten.
12. Schließlich vertrat das Landgericht die Auffassung, dass es bei der Entscheidung in der vorliegenden Rechtssache nicht auf eine Abwägung widerstreitender Interessen ankomme, weil mit der Meinungsäußerung die Menschenwürde der Antragsteller verletzt werde. Der Vergleich beleidige die Antragsteller als Opfer des Holocaust, indem er ihren Anspruch auf Achtung ihrer Menschenwürde verletze. Diese Verletzung werde noch dadurch verschlimmert, dass die abgebildeten Personen in einem höchst verletzlichen Zustand gezeigt würden.
13. Am 27. August 2004 wies das Kammergericht Berlin die Berufung der Beschwerdeführerin zurück.
14. Am 2. Dezember 2004 bestätigte das Landgericht Berlin im Hauptverfahren seine Verbotsverfügung. In Ergänzung der bereits im einstweiligen Verfügungsverfahren vorgebrachten Gründe vertrat das Landgericht die Auffassung, dass es nicht seine Aufgabe sei, aus philosophischer oder ethischer Sicht darüber zu entscheiden, ob das Leiden hochentwickelter Tiere dem von Menschen vergleichbar sei, da das Grundgesetz die Würde des Menschen ins Zentrum stelle.
15. Am 25. November 2005 wies das Kammergericht Berlin die Berufung der Beschwerdeführerin zurück.
16. Am 20. Februar 2009 wies das Bundesverfassungsgericht die Verfassungsbeschwerde der Beschwerdeführerin zurück. Das Bundesverfassungsgericht vertrat die Auffassung, dass die Deutung der streitgegenständlichen Darstellungen durch die Zivilgerichte schlüssig sei und den Anforderungen, die das Recht auf freie Meinungsäußerung stelle, gerecht werde.
17. Das Bundesverfassungsgericht äußerte Zweifel daran, dass die geplante Kampagne die Menschenwürde der abgebildeten Personen oder der Kläger verletze. Es stehe zwar außer Frage, dass die Fotografien die Holocaust-Opfer in Situationen zeigten, in denen sie durch ihre Peiniger in höchstem Maße entwürdigt seien. Daraus folge aber nicht zwangsläufig, dass die Verwendung dieser Bilder einer Verletzung der Menschenwürde der dargestellten Personen gleichkomme. Angesichts der besonderen Umstände der vorliegenden Rechtssache war das Gericht der Auffassung, dass die geplante Kampagne den abgebildeten Holocaust-Opfern nicht ihren personalen Wert abspreche, indem sie mit Tieren auf eine Stufe gestellt würden. Auch wenn der beschwerdeführende Verein vielleicht generell von der Gleichwertigkeit des menschlichen und tierischen Leids überzeugt sei, habe die geplante Kampagne nicht auf eine Herabwürdigung abgezielt, da mit den Darstellungen lediglich angedeutet werde, dass das den abgebildeten Menschen und Tieren zugefügte Leid gleichwertig sei.
18. Das Bundesverfassungsgericht hielt es jedoch nicht für notwendig, darüber zu entscheiden, ob die geplante Kampagne die Menschenwürde der Kläger verletzte, da die angegriffenen Entscheidungen hinreichende Argumente enthielten, welche die Unterlassungsverfügung ohne Rekurs auf die Verletzung der Menschenwürde der Kläger rechtfertigten. Es sei insbesondere nicht zu beanstanden, dass die innerstaatlichen Gerichte ihre Entscheidungen auf die Annahme gestützt hätten, dass das Grundgesetz klar zwischen dem menschlichem Leben und der menschlichen Würde einerseits und den Belangen des Tierschutzes andererseits unterscheide und dass die Kampagne das Schicksal der Holocaust-Opfer banalisiere. Ferner sei die Schlussfolgerung, dass der Inhalt der Kampagne die Persönlichkeitsrechte der Kläger beeinträchtige, nicht zu beanstanden. Unter Bezugnahme auf seine frühere Rechtsprechung stellte das Bundesverfassungsgericht fest, dass es zum Selbstverständnis der in Deutschland lebenden Juden gehöre, einer durch das Schicksal herausgehobenen Personengruppe anzugehören, und dass ihnen gegenüber eine besondere moralische Verantwortung aller anderen bestehe, und dieses Teil ihrer Würde sei.
19. Das Bundesverfassungsgericht hielt es nicht für erforderlich, die Rechtssache zur erneuten Entscheidung an die Fachgerichte zurückzuverweisen, da nichts darauf hindeute, dass diese im Falle einer erneuten Befassung zu einer anderen Schlussfolgerung kämen. Bei einer Abwägung der widerstreitenden Interessen könne der Rechtsposition der Kläger auch ohne Berufung auf eine Verletzung der Menschenwürde der Kläger Vorrang gegenüber dem Recht auf Meinungsfreiheit des beschwerdeführenden Vereins eingeräumt werden. Die Fachgerichte hätten hinreichende Gründe für eine solche Schlussfolgerung vorgebracht. Insbesondere hätten sie die widerstreitenden Interessen bereits im Ansatz gegeneinander abgewogen. Außerdem hätten sie ihre Auffassung, die streitgegenständliche Kampagne verletze die Menschenwürde der Kläger, darauf gestützt, dass sie die Verletzung des personalen Geltungsanspruchs der Kläger als besonders schwerwiegend beurteilt hätten. Da diese Erwägungen in ähnlicher Weise auf eine Verletzung der Persönlichkeitsrechte der Kläger anwendbar seien, sei zu erwarten, dass die Gerichte sich im Fall einer Zurückverweisung ebenfalls von diesen Grundsätzen leiten lassen würden.
II. Einschlägiges innerstaatliches Recht
20. Die einschlägigen Bestimmungen des deutschen Grundgesetzes lauten wie folgt:
Artikel 1
„(1) Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.
(2) Das Deutsche Volk bekennt sich darum zu unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechten als Grundlage jeder menschlichen Gemeinschaft, des Friedens und der Gerechtigkeit in der Welt.“
Artikel 5
„(1) Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten und sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten. Die Pressefreiheit und die Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk und Film werden gewährleistet. Eine Zensur findet nicht statt.
(2) Diese Rechte finden ihre Schranken in den Vorschriften der allgemeinen Gesetze, den gesetzlichen Bestimmungen zum Schutze der Jugend und in dem Recht der persönlichen Ehre.“
Artikel 20a
Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen und der Tiere
„Der Staat schützt auch in Verantwortung für die künftigen Generationen die natürlichen Lebensgrundlagen und die Tiere im Rahmen der verfassungsmäßigen Ordnung durch die Gesetzgebung und nach Maßgabe von Gesetz und Recht durch die vollziehende Gewalt der Rechtsprechung.“
21. Die einschlägigen Vorschriften des deutschen Bürgerlichen Gesetzbuches lauten wie folgt:
§ 823
„(1) Wer vorsätzlich oder fahrlässig das Leben, den Körper, die Gesundheit, die Freiheit, das Eigentum oder ein sonstiges Recht eines anderen widerrechtlich verletzt, ist dem anderen zum Ersatz des daraus entstehenden Schadens verpflichtet.
(2) Die gleiche Verpflichtung trifft denjenigen, welcher gegen ein den Schutz eines anderen bezweckendes Gesetz verstößt.
§ 1004
„(1) Wird das Eigentum in anderer Weise als durch Entziehung oder Vorenthaltung des Besitzes beeinträchtigt, so kann der Eigentümer von dem Störer die Beseitigung der Beeinträchtigung verlangen. Sind weitere Beeinträchtigungen zu besorgen, so kann der Eigentümer auf Unterlassung klagen.“
§ 185 Strafgesetzbuch lautet wie folgt:
„Die Beleidigung wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe … bestraft.“
Nach der ständigen Rechtsprechung der deutschen Zivilgerichte sieht § 823 Abs. 1 und 2 BGB i. V. m. § 1004 BGB (in analoger Anwendung) und § 185 StGB für jede Person, deren Persönlichkeitsrechte oder strafrechtlich geschützten Rechte durch eine andere Person konkret gefährdet sind, einen entsprechenden Unterlassungsanspruch gegen diese andere Person vor.
III. Rechtsposition des Obersten Gerichtshofs von Österreich
22. Im März 2004 organisierte der beschwerdeführende Verein eine Ausstellung in Wien, bei der dieselben Plakate wie die, die Gegenstand des vorliegenden Verfahrens sind, öffentlich gezeigt wurden. Mehre österreichische Staatsangehörige jüdischer Herkunft, die vorbrachten, den Holocaust überlebt zu haben, und die nicht mit den Klägern in dem Verfahren vor den deutschen Gerichten identisch waren, beantragten bei den österreichischen Gerichten den Erlass einer einstweiligen Verfügung auf Unterlassung der Veröffentlichung der angeführten sieben Plakate.
23. Am 12. Oktober 2006 wies der Oberste Gerichtshof von Österreich den Antrag ab (Az: 6 Ob 321/04f). Das Gericht äußerte Zweifel daran, dass die Kläger von der streitgegenständlichen Plakataktion unmittelbar betroffen seien. Es war jedenfalls der Auffassung, dass die angegriffene Kampagne durch die Meinungsfreiheit gerechtfertigt sei. Die Plakatkampagne entwürdige die abgebildeten KZ-Insassen nicht. Das Gericht war darüber hinaus der Auffassung, dass die Plakatkampagne nicht nur ein für die Allgemeinheit wichtiges Thema anspreche, sondern auch den positiven Effekt der Erinnerung an den nationalsozialistischen Völkermord habe. Die KZ-Bilder dokumentierten historische Wahrheiten und riefen unfassliche Verbrechen in Erinnerung, was zur Vergangenheitsaufarbeitung als positiv beurteilt werden könne. Die Kläger seien nur eingeschränkt durch eine Kollektivbeleidigung betroffen. Demgegenüber habe der beschwerdeführende Verein ein legitimes Interesse, sein Anliegen auch mit drastischen Mitteln an die Öffentlichkeit zu bringen.
RECHTLICHE WÜRDIGUNG
I. BEHAUPTETE VERLETZUNG VON ARTIKEL 10 DER KONVENTION
24. Der beschwerdeführende Verein rügte, dass die zivilrechtlichen Unterlassungsverfügungen sein Recht auf freie Meinungsäußerung nach Artikel 10 der Konvention verletzt hätten. Artikel 10 lautet wie folgt:
„1. Jede Person hat das Recht auf freie Meinungsäußerung. Dieses Recht schließt die Meinungsfreiheit und die Freiheit ein, Informationen und Ideen ohne behördliche Eingriffe und ohne Rücksicht auf Staatsgrenzen zu empfangen und weiterzugeben. Dieser Artikel hindert die Staaten nicht, für Hörfunk-, Fernseh- oder Kinounternehmen eine Genehmigung vorzuschreiben.
2. Die Ausübung dieser Freiheiten ist mit Pflichten und Verantwortung verbunden; sie kann daher Formvorschriften, Bedingungen, Einschränkungen oder Strafdrohungen unterworfen werden, die gesetzlich vorgesehen und in einer demokratischen Gesellschaft notwendig sind für die nationale Sicherheit, die territoriale Unversehrtheit oder die öffentliche Sicherheit, zur Aufrechterhaltung der Ordnung oder zur Verhütung von Straftaten, zum Schutz der Gesundheit oder der Moral, zum Schutz des guten Rufes oder der Rechte anderer, zur Verhinderung der Verbreitung vertraulicher Informationen oder zur Wahrung der Autorität und der Unparteilichkeit der Rechtsprechung.“
25. Die Regierung trat diesem Vorbringen entgegen.
A. Zulässigkeit
26. Der Gerichtshof stellt fest, dass diese Rüge nicht im Sinne von Artikel 35 Abs. 3 Buchstabe a der Konvention offensichtlich unbegründet ist. Sie ist auch nicht aus anderen Gründen unzulässig. Folglich ist sie für zulässig zu erklären.
B. Begründetheit
2. Die Vorbringen des beschwerdeführenden Vereins
27. Der beschwerdeführende Verein brachte insbesondere vor, dass die angefochtene Entscheidung auf einer falschen Würdigung der Tatsachen beruhe. Es sei nicht wahr, dass die Bilder des Holocaust und die der Massentierhaltung auf den angegriffenen Plakaten eine Gleichstellung beinhalteten; sie zeigten lediglich verstörende Ähnlichkeiten hinsichtlich der Behandlung der Holocaustopfer und der Tiere auf. Selbst wenn man annähme, dass die Darstellungen eine Gleichwertigkeit zwischen den abgebildeten Menschen und Tieren postulieren würden, könne dies nicht als Erniedrigung der dargestellten Holocaustopfer verstanden werden. Nach der Überzeugung des beschwerdeführenden Vereins, die von immer größeren Teilen der Gesellschaft geteilt werde, seien Tiere als gleichwertige Mitgeschöpfe anzusehen.
28. Die Plakatkampagne verfolge keinesfalls das Ziel, die auf den Plakaten dargestellten Personen zu erniedrigen oder zu beleidigen, und habe die Kläger in keinem ihrer Rechte verletzt. Weder banalisiere sie das Leiden, noch habe sie irgendeinen antisemitischen Hintergrund. Der beschwerdeführende Verein wies darauf hin, dass die Poster nicht die Kläger abbildeten und es nicht einmal sicher sei, dass alle auf den Fotos abgebildeten Personen jüdischen Glaubens seien. Viele Menschen jüdischer Herkunft seien nicht der Auffassung, dass ein solcher Vergleich ihre Persönlichkeitsrechte verletze und hätten in ihren eigenen Veröffentlichungen sogar ähnliche Vergleiche gezogen oder an der Konzeption der Kampagne mitgewirkt. Holocaust-Vergleiche seien nicht rechtswidrig und in der öffentlichen Debatte weit verbreitet. Der Oberste Gerichtshof von Österreich habe in seinem Beschluss vom 12. Oktober 2006 (siehe Rdnr. 23) einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung gegen die Veröffentlichung der angegriffenen Plakate in Österreich abgewiesen.
29. Der beschwerdeführende Verein bestritt nicht, dass die rechtlichen Voraussetzungen für den Erlass einer einstweiligen Verfügung im Gesetz niedergelegt seien und durch die ständige Rechtsprechung der deutschen Gerichte näher definiert würden. Diese Voraussetzungen seien jedoch in dem vorliegenden Fall nicht erfüllt worden. Insbesondere habe der beschwerdeführende Verein nicht vorhersehen können, dass die Veröffentlichung der streitgegenständlichen Abbildungen nach Ansicht der innerstaatlichen Gerichte in die Persönlichkeitsrechte der in Deutschland lebenden Juden eingreifen werde. Entgegen dem Vorbringen der Regierung sei die Frage, ob in dieser Rechtssache eine Betroffenheit der Kläger vorliege, nach deutschem Recht nicht eindeutig geklärt worden. Die von der Regierung angeführte Rechtsprechung beziehe sich ausschließlich auf die Leugnung des Holocaust und sei daher im vorliegenden Fall nicht anwendbar. Die diesbezüglichen Entscheidungen entbehrten jeder Rechtsgrundlage und müssten daher als willkürlich angesehen werden.
30. Der beschwerdeführende Verein brachte weiter vor, dass der Eingriff in seine Konventionsrechte in einer demokratischen Gesellschaft nicht erforderlich gewesen sei. Die innerstaatlichen Gerichte hätten nicht berücksichtigt, dass die Freiheit der Meinungsäußerung nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs eine der wesentlichen Grundlagen einer demokratischen Gesellschaft sei und dass Meinungsäußerungen, die im Verlauf einer Debatte über Fragen öffentlichen Interesses erfolgten, besonders geschützt seien. Der beschwerdeführende Verein räumte ein, dass der geschichtliche Hintergrund in Deutschland es erforderlich mache, besondere Kriterien aufzustellen, die es jedem Menschen jüdischer Abstammung ermöglichen sollten, gegen antisemitische Diskriminierung vorzugehen. Wenn jede Abbildung einer Person jüdischer Abstammung automatisch als Kollektivbeleidigung angesehen werde, gehe dieser Ansatz jedoch zu weit.
31. Der beschwerdeführende Verein war der Auffassung, dass es somit nicht einmal notwendig sei, eine Abwägung zwischen widerstreitenden Interessen vorzunehmen. Wenn man jedoch eine solche Abwägung vornehme, sei dem Recht des beschwerdeführenden Vereins Vorrang einzuräumen. Die deutschen Gerichte hätten die widerstreitenden Interessen nicht gegeneinander abgewogen, insbesondere wenn man berücksichtige, dass der beschwerdeführende Verein höchste ethische und moralische Wertvorstellungen verfolge, was auch dadurch belegt werde, dass der Tierschutz in Artikel 20a des deutschen Grundgesetzes ausdrücklich erwähnt sei. Aufgrund der Reizüberflutung durch Werbespots und Anzeigen sei der Beschwerdeführer darauf angewiesen, in drastischer Weise auf sein Anliegen aufmerksam zu machen. Dass dem beschwerdeführenden Verein auch andere Formen der Meinungsäußerung zur Verfügung stünden, spiele daher keine Rolle.
2. Die Vorbringen der Regierung
32. Die Regierung war der Auffassung, dass die zivilrechtliche Unterlassungsverfügung nach Artikel 10 Abs. 2 der Konvention gerechtfertigt sei. Die deutschen Gerichte hätten in dem vorliegenden Verfahren eine gerechte Abwägung zwischen dem Recht des beschwerdeführenden Vereins auf freie Meinungsäußerung und den Persönlichkeitsrechten der Kläger vorgenommen und ihren Ermessensspielraum somit nicht überschritten.
33. Der Eingriff in die Meinungsfreiheit des beschwerdeführenden Vereins sei rechtmäßig und in einer demokratischen Gesellschaft zum Schutz der Persönlichkeitsrechte der Kläger erforderlich gewesen. Die rechtlichen Voraussetzungen für einen zivilrechtlichen Unterlassungsanspruch würden durch die gefestigte Rechtsprechung der innerstaatlichen Gerichte klar definiert. Nach den entsprechenden Bestimmungen sei es unerheblich, ob der beschwerdeführende Verein die Persönlichkeitsrechte der Kläger vorsätzlich verletzt habe.
34. Die zivilrechtliche Unterlassungsverfügung verfolge ein legitimes Ziel, nämlich den Schutz der Persönlichkeitsrechte der Kläger, und sei in einer demokratischen Gesellschaft für den Schutz dieser Rechte erforderlich. Die innerstaatlichen Gerichte hätten die konfligierenden Interessen sorgfältig gegeneinander abgewogen und dabei der Bedeutung der Meinungsfreiheit in einer demokratischen Gesellschaft Rechnung getragen.
35. Im Gegensatz zu der Rechtslage in Österreich bestehe nach deutschem Recht kein Zweifel daran, dass die Kläger, in ihrer Eigenschaft als in Deutschland lebende Juden, berechtigt seien, in dem vorliegenden Fall eigene Persönlichkeitsrechte geltend zu machen. Mit seinem das Leugnen des Holocaust betreffenden Urteil vom 18. September 1979 (Az. VI ZR 140/78) habe der Bundesgerichtshof allen Menschen mit jüdischer Abstammung das Recht eingeräumt, ihr eigenes Persönlichkeitsrecht geltend zu machen, auch dann, wenn sie erst nach Ende des Nationalsozialismus geboren worden und nicht alle ihre Vorfahren jüdischer Abstammung seien. Der Bundesgerichtshof habe diese Grundsätze im vorliegenden Fall korrekt angewandt.
36. Die Regierung war der Auffassung, dass ihr ein weiter Ermessensspielraum zustehe, der es zulasse, den Kreis der betroffenen Personen großzügig zu bestimmen. Dies gelte insbesondere vor dem geschichtlichen Hintergrund in Deutschland, der eine ähnliche Auffassung wie die des Obersten Gerichtshofs von Österreich (vgl. Rdnr. 23) kaum vorstellbar erscheinen lasse. In Anbetracht seiner geschichtlichen Verantwortung obliege es Deutschland sicherzustellen, dass Persönlichkeitsrechtsverletzungen im Zusammenhang mit dem Holocaust gerichtlich geltend gemacht werden können. Die auf den Bildern abgebildeten Personen könnten dies fast ausnahmslos nicht selbst tun.
37. Daraus folge, dass nach der Konvention angenommen werden müsse, dass es einen ausreichend direkten Zusammenhang zwischen der Plakataktion der Beschwerdeführerin und den Persönlichkeitsrechten der Kläger gebe. Daher sei es unerheblich, ob die auf den Fotos abgebildeten Personen oder deren Nachfahren den Erlass der Unterlassungsverfügung gewünscht hätten. Der Angriff auf das Persönlichkeitsrecht liege nicht in der Abbildung der konkreten Personen auf den Fotos, sondern darin, dass die Beschwerdeführerin für ihre Kampagne Fotos aus Konzentrationslagern verwendet habe. Irrelevant sei darüber hinaus auch, ob alle abgebildeten Personen jüdischen Glaubens seien, da der Holocaust das Ziel gehabt habe, alle in Europa lebenden Juden zu vernichten und die weit überwiegenden Zahl der Opfer während dieser Zeit jüdischer Abstammung gewesen sei.
38. Nach Auffassung der Regierung hatten die innerstaatlichen Gerichte umfangreich und stichhaltig begründet, warum sie dem Schutz der Persönlichkeitsrechte der Kläger Vorrang vor der Meinungsfreiheit des Beschwerdeführers einräumten. Sie hätten insbesondere berücksichtigt, dass sich der beschwerdeführende Verein zu einem Thema des öffentlichen Interesses habe äußern wollen und es ihm weder um eine Herabsetzung der Opfer des Holocaust noch um eine Bagatellisierung ihres Leids gegangen sei. Andererseits hätten die innerstaatlichen Gerichte die Schwere des Eingriffs in die Persönlichkeitsrechte der Kläger berücksichtigt. Darüber hinaus sei zu berücksichtigen, dass die dem Beschwerdeführer auferlegte Sanktion nicht besonders schwerwiegend sei und dem beschwerdeführenden Verein zahlreiche andere Formen des Protests gegen die Massentierhaltung zur Verfügung stünden.
3. Die Stellungnahmen der Drittbeteiligtenparteien
39. Die Drittbeteiligten brachten vor, dass die Rechte des Herrn S. Korn, in seiner Eigenschaft als in Deutschland lebender Jude, und der in Deutschland lebenden Juden, die mehrheitlich durch den Zentralrat der Juden in Deutschland vertreten würden, durch die Plakataktion unmittelbar verletzt würden. Sie betonten, es sei nach der gefestigten Rechtsprechung des Bundesgerichthofs und des Bundesverfassungsgerichts anerkannt, dass die in Deutschland lebenden Juden sich als eine vom Schicksal herausgehobene Personengruppe ansähen, denen gegenüber eine besondere moralische Verantwortung aller anderen bestehe. Folglich verletze eine Leugnung oder Trivialisierung des Völkermords an den Juden im Dritten Reich die Rechte aller Mitglieder dieser Gruppe. Die unmittelbare Verletzung der Rechte aller in Deutschland lebenden Juden werde auch in einfachen Rechtsnormen sowie auf der europäischen Ebene anerkannt.
40. Die unmittelbare Betroffenheit der Deutschland lebenden Juden hänge nicht von der Identifizierung der abgebildeten Holocaustopfer ab. Es könne nicht ernsthaft in Zweifel gezogen werden, dass solche Bilder ein Symbol der systematischen Verfolgung und Ermordung der Juden in Europa seien. Jeder einzelne der mehr als 100.000 vom Zentralrat der Juden vertretenen Juden würde eine Verletzung seiner Persönlichkeitsrechte bejahen. Aus dem Vorbringen des beschwerdeführenden Vereins sei klar ersichtlich, dass er sich der Sensibilität der Angelegenheit nicht bewusst sei.
41. In den Augen einer rationalen und unvoreingenommenen Öffentlichkeit ließen die Fotos zusammen mit den Begleittexten nur den Schluss zu, dass das Leiden der abgebildeten Tiere genauso gewichtig sei wie das Leiden der neben ihnen abgebildeten Menschen. In diesem Zusammenhang spiele es keine Rolle, ob der beschwerdeführende Verein die Persönlichkeitsrechte und Menschenwürde der in Deutschland lebenden Juden absichtlich habe verletzen wollen.
4. Würdigung durch den Gerichtshof
42. Der Gerichtshof stellt fest, dass zwischen den Parteien unbestritten ist, dass die angegriffene Maßnahme einen behördlichen Eingriff in das nach Artikel 10 der Konvention garantierte Recht der Beschwerdeführerin auf freie Meinungsäußerung darstellt. Der Gerichtshof bestätigt diese Bewertung. Ein solcher Eingriff verletzt die Konvention, wenn er nicht die Erfordernisse aus Artikel 10 Abs. 2 erfüllt. Daher ist darüber zu entscheiden, ob der Eingriff „gesetzlich vorgesehen“ war, ein oder mehrere Ziele verfolgte, die nach Artikel 10 Abs. 2 legitim sind, und „in einer demokratischen Gesellschaft notwendig“ war, um das oder die genannten Ziele zu erreichen.
43. Der Gerichtshof stellt fest, dass der Eingriff auf § 823 Abs. 1 und 2 i. V. m. § 1004 BGB sowie § 185 StGB beruhte (vgl. Rdnr. 21). Der Gerichtshof stellt fest, dass der beschwerdeführende Verein nicht bestritt, dass diese Bestimmungen nach der gefestigten innerstaatlichen Rechtsprechung jeder Person, deren Persönlichkeitsrechte durch eine andere Person gefährdet sind, einen Unterlassungsanspruch gegen diese andere Person einräumt. Es besteht kein Zweifel, dass die einschlägigen Bestimmungen dem beschwerdeführenden Verein zugänglich waren. Bezüglich der Frage, ob die innerstaatlichen Gerichte diese Bestimmungen korrekt angewandt haben, stellt der Gerichtshof erneut fest, dass die Anwendung und die Auslegung des innerstaatlichen Rechts in erster Linie Sache der innerstaatlichen Behörden sind, die nach Art der Sache besonders qualifiziert sind, die in diesem Zusammenhang auftauchenden Fragen zu klären (vgl. u. a. B. ./. Deutschland, 25. März 1985, Rdnr. 48, Serie A Band 90). Der Gerichtshof stellt fest, dass das Vorbringen des beschwerdeführenden Vereins in erster Linie erkennen lässt, dass er mit den Entscheidungen der innerstaatlichen Gerichte nicht einverstanden ist. Folglich ist der Gerichtshof davon überzeugt, dass die gerügte Verfügung „gesetzlich vorgesehen“ war.
44. Der Gerichtshof ist darüber hinaus davon überzeugt, dass der Eingriff ein legitimes Ziel verfolgte, nämlich den Schutz der Persönlichkeitsrechte der Kläger und somit „den Schutz des guten Rufes oder der Rechte anderer“.
45. Somit bleibt festzustellen, ob der Eingriff „in einer demokratischen Gesellschaft notwendig“ war. In dem Urteil Pedersen und Baadsgaard ./. Dänemark [GK], Individualbeschwerde Nr. 49017/99, ECHR 2004-XI, hat der Gerichtshof die allgemeinen Grundsätze in seiner Rechtssprechung wie folgt zusammengefasst:
„68. Der Prüfungsmaßstab der „Notwendigkeit in einer demokratischen Gesellschaft“ verlangt, dass der Gerichtshof entscheidet, ob der gerügte Eingriff einem „dringenden gesellschaftlichen Bedürfnis“ entsprach. Die Vertragsstaaten haben einen gewissen Ermessensspielraum bei der Beurteilung der Frage, ob ein solches Bedürfnis besteht; dieser geht jedoch Hand in Hand mit einer europäischen Überwachung, die sich sowohl auf die Gesetzgebung bezieht als auch auf die Entscheidungen, die sie anwenden, auch wenn sie von unabhängigen Gerichten getroffen wurden. Der Gerichtshof ist daher befugt, abschließend darüber zu entscheiden, ob eine „Einschränkung“ mit der durch Artikel 10 geschützten Meinungsfreiheit in Einklang zu bringen ist (siehe u. v. a. Quellen, Perna ./. Italien [GK], Individualbeschwerde Nr. 48898/99, ECHR 2003-V, und Association Ekin ./. Frankreich, Individualbeschwerde Nr. 39288/98, Rdnr. 56, ECHR 2001-VIII).
69. Aufgabe des Gerichtshofs ist es jedoch nicht, sich bei seiner Überwachung an die Stelle der zuständigen innerstaatlichen Gerichte zu setzen; er hat vielmehr die von ihnen im Rahmen ihres Beurteilungsspielraums getroffenen Entscheidungen nach Artikel 10 EMRK zu überprüfen (siehe Fressoz und Roire ./. Frankreich [GK], Individualbeschwerde Nr. 29183/95, Rdnr. 45, ECHR 1999-I). Das heißt nicht, dass sich die Überprüfung darauf beschränkt festzustellen, ob der beschwerdegegnerische Staat seinen Beurteilungsspielraum angemessen, sorgfältig und in gutem Glauben ausgeübt hat; der Gerichtshof muss den gerügten Eingriff im Lichte aller Umstände des Falls betrachten, einschließlich des Inhalts der den Beschwerdeführern vorgehaltenen Ausführungen und des Zusammenhangs, in dem sie sie gemacht haben (siehe News Verlags GmbH & Co KG ./. Österreich, Individualbeschwerde Nr. 31457/96, Rdnr. 52, ECHR 2000-I).
70. Insbesondere muss der Gerichtshof darüber entscheiden, ob die von den nationalen Behörden zur Rechtfertigung des Eingriffs angeführten Gründe „stichhaltig und ausreichend“ waren, und ob die ergriffene Maßnahme „zu den verfolgten rechtmäßigen Zielen verhältnismäßig“ war (siehe Chauvy u. a. ./. Frankreich, Individualbeschwerde Nr. 64915/01, Rdnr. 70, ECHR 2004-VI). Dabei muss sich der Gerichtshof davon überzeugen, dass die nationalen Behörden die erheblichen Tatsachen nachvollziehbar bewertet haben und Regeln anwendeten, die mit den in Artikel 10 enthaltenen Grundsätzen vereinbar sind (siehe u.v.a. Zana. ./. Türkei, Urteil vom 25. November 1997, Urteils- und Entscheidungssammlung 1997-VII, S. 2547-2548, Rdnr. 51).
46. Der Gerichtshof erinnert daran, dass die innerstaatlichen Behörden über eine Reihe von Instrumenten verfügen, mit denen sie einen gerechten Ausgleich zwischen den verschiedenen widerstreitenden Interessen herbeiführen können. Bei der Prüfung der Verhältnismäßigkeit der in Rede stehenden Maßnahme haben sie jenseits eines vollständigen Verbots oder einer vollständigen Erlaubnis insbesondere die Möglichkeit, die Erlaubnis oder das Verbot mit bestimmten Einschränkungen zu versehen. Darüber hinaus gilt die Meinungsfreiheit nicht nur für „Informationen“ oder „Ideen“, die positiv aufgenommen oder als unschädlich oder belanglos angesehen werden, sondern auch für solche, die beleidigen, schockieren oder beunruhigen. Diese Freiheit unterliegt den in Artikel 10 aufgeführten Ausnahmen, die jedoch eng auszulegen sind, und die Notwendigkeit einer Einschränkung muss überzeugend nachgewiesen werden (siehe A../. Deutschland [GK], Individualbeschwerde Nr. 39954/08, Rdnr. 78, 7. Februar 2012, mit weiteren Nachweisen). Darüber hinaus gibt es nach Artikel 10 Abs. 2 der Konvention wenig Raum für Einschränkungen der politischen Redefreiheit oder der Debatte über Angelegenheiten des öffentlichen Interesses (siehe u. v. a. Ceylan ./. Türkei [GK], Individualbeschwerde Nr. 23556/94, Rdnr. 33, ECHR 1999‑IV; Verein gegen Tierfabriken Schweiz (VgT) ./. die Schweiz (Nr. 2) [GK], Individualbeschwerde Nr. 32772/02, Rdnr. 92, ECHR 2009, und Mouvement raëlien ./. die Schweiz [GK], Individualbeschwerde Nr. 16354/06, Rdnr. 61, 13. Juli 2012).
47. Was die Umstände des vorliegenden Falles angeht, stellt der Gerichtshof zunächst fest, dass die geplante Plakataktion des beschwerdeführenden Vereins die Intensivtierhaltung betraf. Da sie also den Tier- und Umweltschutz betraf, ging es zweifellos um eine Angelegenheit des öffentliches Interesses (vgl. Verein gegen Tierfabriken Schweiz, a.a.O.). Daraus folgt, dass nur gewichtige Gründe den Eingriff in das Recht der Beschwerdeführerin auf freie Meinungsäußerung rechtfertigen können. Der Gerichthof stellt weiter fest, dass die mit dem Fall der Beschwerdeführerin befassten innerstaatlichen Gerichte sorgfältig prüften, ob die Ausstellung der beantragten zivilrechtlichen Unterlassungsverfügung das Recht des beschwerdeführenden Vereins auf freie Meinungsäußerung verletzen würde. Bei dieser Prüfung wandten die innerstaatlichen Gerichte die vom Gerichtshof entwickelten und oben beschriebenen Maßstäbe an. Sie räumten ausdrücklich ein, dass es sich bei den streitgegenständlichen Darstellungen um nach dem Recht auf Meinungsfreiheit geschützte Meinungsäußerungen handele. Sie räumten ferner ein, dass dieses Recht auch Meinungsäußerungen schütze, die polemisch oder verletzend formuliert seien (vgl. Rdnr. 10), und dass die angegriffenen Plakate Fragen des öffentlichen Interesses beträfen, da mit ihnen offensichtlich die Bedingungen kritisiert werden sollten, unter denen Tiere gehalten würden (vgl. Rdnr. 11).
48. Der Gerichtshof stellt weiter fest, dass die innerstaatlichen Gerichte der Auffassung waren, dass die geplante Plakataktion nicht auf eine Herabwürdigung der abgebildeten Lagerinsassen abziele, da mit den Bildern lediglich zu verstehen gegeben werden solle, dass das den abgebildeten Menschen und Tieren zugefügte Leid gleichwertig sei. Die innerstaatlichen Gerichte waren jedoch der Auffassung, dass der beschwerdeführende Verein die Kläger zu Zwecken des Tierschutzes mit ihrem Leid und ihrem Verfolgungsschicksal konfrontiere. Es sei diese „Instrumentalisierung“ des Leidens der Kläger, welche ihre Persönlichkeitsrechte als in Deutschland lebende Juden und als Holocaust-Überlebende verletze. Diese Verletzung werde noch dadurch verschlimmert, dass die abgebildeten Holocaustopfer in einem höchst verletzlichen Zustand gezeigt würden. In Anbetracht der Schwere dieser Verletzung waren die Gerichte der Auffassung, dass das Interesse des beschwerdeführenden Vereins an einer Veröffentlichung der angegriffenen Bilder zurückstehen müsse. Obwohl das Bundesverfassungsgericht Zweifel daran äußerte, dass die geplante Aktion die Menschenwürde der abgebildeten Personen oder der Kläger verletze, stützte es die Einschätzung der Instanzgerichte, die Aktion banalisiere das Schicksal der Holocaustopfer und verletze die persönliche Ehre der Kläger in besonders schwerwiegender Weise.
49. Der Gerichtshof ist der Auffassung, dass der vorliegende Sachverhalt nicht vom historischen und sozialen Zusammenhang, in dem die Äußerung getätigt wurde, losgelöst werden kann (vgl. H. und A., a.a.O., Rdnr. 48 und Rekvényi ./. Ungarn [GK], Individualbeschwerde Nr. 25390/94, Rdnrn. 48 ff., ECHR 1999-III). Er merkt an, dass ein Verweis auf den Holocaust auch im speziellen Zusammenhang der deutschen Vergangenheit betrachtet werden muss (siehe H. und A., a.a.O.,) und akzeptiert die Haltung der Regierung, die sich gegenüber den in Deutschland lebenden Juden in einer besonderen Verantwortung sieht (vgl. Rdnr. 36). Daher ist der Gerichtshof der Auffassung, dass die innerstaatlichen Gerichte ausreichende und stichhaltige Gründe für den Erlass der Anordnung gegen die Veröffentlichung der Plakate angeführt haben. Dies wird nicht dadurch in Frage gestellt, dass Gerichte anderer Länder ähnliche Fragen anders behandeln könnten (vgl. auch Müller ./. die Schweiz, 24. Mai 1988, Rdnr. 36, Serie A Band 133).
50. Der Gerichtshof erinnert ferner daran, dass bei der Prüfung der Verhältnismäßigkeit des Eingriffs auch die Art und die Schwere einer auferlegten Sanktion zu berücksichtigen sind (siehe u. a. Ceylan, a.a.O., Rdnr. 37, und A. II ./. Deutschland (Entsch.), Individualbeschwerden Nrn. 2373/07 und 2396/07, 30. März 2010). Was die Umstände der vorliegenden Rechtssache angeht, stellt der Gerichtshof fest, dass das in Rede stehende Verfahren keine strafrechtlichen Sanktionen, sondern eine zivilrechtliche Unterlassungsverfügung betraf, mit der der beschwerdeführende Verein daran gehindert wurde, sieben konkret bezeichnete Plakate zu veröffentlichen. Der Gerichtshof stellt weiter fest, dass der Beschwerdeführer nicht nachgewiesen hat, dass ihm keine anderen Mittel zur Verfügung standen, um die Öffentlichkeit auf die Belange des Tierschutzes aufmerksam zu machen.
51. Unter Berücksichtigung der oben angeführten Erwägungen und insbesondere der sorgfältigen Prüfung des Falles durch die innerstaatlichen Gerichte akzeptiert der Gerichtshof, dass die gegen den beschwerdeführenden Verein ergangenen zivilrechtlichen Unterlassungsverfügungen ein verhältnismäßiges Mittel zum Schutz der Persönlichkeitsrechte der Kläger darstellten.
Folglich ist Artikel 10 der Konvention nicht verletzt worden.
II. ANDERE BEHAUPTETE KONVENTIONSVERLETZUNGEN
52. Der beschwerdeführende Verein rügt ferner nach Artikel 6 Abs. 1 der Konvention, dass die innerstaatlichen Gerichte ihre Urteile willkürlich auf eine fehlerhafte Würdigung der Tatsachen gestützt und die einschlägige Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nicht berücksichtigt hätten. Schließlich rügte er nach Artikel 14 der Konvention, dass er als antisemitisch stigmatisiert worden sei.
53. Unter Berücksichtigung aller ihm zur Verfügung stehenden Unterlagen und soweit die gerügten Angelegenheiten unter seine Zuständigkeit fallen, stellt der Gerichtshof allerdings fest, dass hier keine Anzeichen für eine Verletzung der in der Konvention oder den Protokollen dazu bezeichneten Rechte und Freiheiten ersichtlich sind.
Daraus folgt, dass dieser Teil der Beschwerde offensichtlich unbegründet ist und nach Artikel 35 Absätze 3 Buchstabe a und 4 der Konvention zurückzuweisen ist.
AUS DIESEN GRÜNDEN ENTSCHEIDET DER GERICHTSHOF EINSTIMMIG:
1. Die Rüge nach Artikel 10 der Konvention wird für zulässig und die Individualbeschwerde im Übrigen für unzulässig erklärt;
2. Artikel 10 der Konvention ist nicht verletzt worden.
Ausgefertigt in Englisch und schriftlich zugestellt am 8. November 2012 nach Artikel 77 Absätze 2 und 3 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs.
Claudia Westerdiek Dean Spielmann
Kanzlerin Präsident
_____________
Gemäß Artikel 45 Absatz 2 der Konvention und Artikel 74 Absatz 2 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs ist diesem Urteil die persönliche Meinung von Richter Zupancic, der sich Richter Spielmann angeschlossen hat, beigefügt.
D.S.
C.W.
ÜBEREINSTIMMENDE MEINUNG VON RICHTER ZUPANČIČ, der sich Richter Spielmann ANgeschlossen hat
1. Offensichtlich sind wir mit dem Ausgang dieser Rechtssache einverstanden. Wir können uns jedoch der Mehrheitsbegründung, wie sie im Wesentlichen aus Rdnr. 49 des Urteils ersichtlich ist, nicht anschließen. Dort heißt es: „dass die Auswirkung einer Meinungsäußerung auf die Persönlichkeitsrechte einer anderen Person nicht vom historischen und sozialen Zusammenhang, in dem Äußerung getätigt wurde, losgelöst werden kann und ein Verweis auf den Holocaust auch im speziellen Zusammenhang der deutschen Vergangenheit betrachtet werden muss.“ (zitiert aus H. und A., Rdnr. 48).
2. Dies ist natürlich völlig richtig, impliziert jedoch, dass der Gerichtshof in einem Land, in dem „der historische und soziale Zusammenhang“ angeblich anders ist, mit der Straflosigkeit eines solchen Verhaltens seitens eines Beschwerdeführers einverstanden sein könnte.
3. Hiervon abgesehen geht es eigentlich darum, dass eine inakzeptable Ausübung der Meinungsfreiheit relativiert wird. Diese Relativierung ist, dem bloßen Anschein nach, nur noch eine Nuance von einer diskriminierenden Äußerung nach NS-Art entfernt. Man muss sich nur einmal vorstellen, das Plakat sei aus dem entgegengesetzten Blickwinkel entstanden. Dann kommt man leicht zu dem umgekehrten Eindruck, dass die Insassen hinter dem Stacheldraht mit den Schweinen hinter den Gittern verglichen werden sollen. Wenn eine solche Aussage von dem Recht auf freie Meinungsäußerung gedeckt sein sollte, kann man sich nur schwer vorstellen, was nicht von der freien Meinungsäußerung gedeckt wäre.
4. Die obige Relativierung ist aus einem scheinbar „demokratischen“ Blickwinkel, nach dem alles erlaubt ist, weil alles relativ und, metaphorisch gesprochen, zu kaufen ist, höchst problematisch. Die Leute haben nur Meinungen, es fehlt ihnen aber an Überzeugungen und noch viel mehr an dem Mut, ihre Überzeugungen zu vertreten. Der Unterschied zwischen Gut und Böse, zwischen dem, was richtig und dem, was klar falsch ist, ist demnach eine Ansichtssache, als ob vernünftige Menschen über ein bestimmtes Thema vernünftigerweise unterschiedlicher Ansicht sein könnten.
5. Hier können wir eine Pause einlegen und uns fragen, ob vernünftige Menschen tatsächlich unterschiedlicher Auffassung hinsichtlich des äußerst geschmacklosen und inakzeptablen Vergleichs zwischen Schweinen auf der einen und den Häftlingen von Auschwitz oder einem anderen Konzentrationslager auf der anderen Seite sein könnten oder nicht. Noch vor ein paar Jahrzehnten hätte diese Art von Denkexperiment, selbst im amerikanischen Kontext, nur zu einem für die Beschwerdeführer ungünstigen Ergebnis führen können, denn vor ein paar Jahrzehnten hätte vernünftige Menschen hinsichtlich der uns hier beschäftigenden Frage niemals unterschiedlicher Auffassung sein können.
6. Anscheinend haben sich die Dinge in einem Maße geändert, dass sowohl das Bundesverfassungsgericht in Deutschland als auch unser Gerichtshof zwar noch sagen können, dass dieser Vergleich inakzeptabel ist, allerdings nur im Kontext eines Landes, das hinsichtlich der Konzentrationslager ein historisches Stigma trägt.
7. Wie wir in Rdnr. 48 festgestellt haben, bestätigte das Bundesverfassungsgericht die vorinstanzlichen deutschen Gerichte dahingehend, dass die Aktion das Schicksal der Holocaustopfer banalisiere und die Verletzung der persönlichen Ehre der Kläger besonders schwerwiegend sei. Wir dagegen scheinen sogar noch „flexibler“ zu sein und machen nur geltend, dass die Persönlichkeitsrechte nicht vom sozialen Zusammenhang, in dem die Plakatäußerung getätigt wurde, losgelöst werden können und dass der Verweis auf den Holocaust darüber hinaus auch im speziellen Kontext der deutschen Vergangenheit betrachtet werden muss.
8. Ganz abgesehen davon, dass das deutsche Bundesverfassungsgericht die Frage nicht unter dem Aspekt der verfassungsgerichtlich garantierten Menschenwürde geprüft hat, was mit formalen Gründen erklärt wurde, gibt es einen merklichen Unterschied zwischen den beiden Positionen. So lässt sich nur schwer sagen, ob das Bundesverfassungsgericht, sollte es zu einer derartigen Attacke kommen, eine Verletzung der Menschenwürde feststellen würde. Persönlich zweifeln wir nicht daran, dass es dies tun würde.
9. Wenn dies zutreffen sollte, wäre die Position des innerstaatlichen Verfassungsgerichts viel mehr als unsere eigene eine Frage von Grundsätzen, d. h. die Entscheidung würde im innerstaatlichen deutschen Kontext nicht als Angelegenheit angesehen werden, die einer kulturellen Relativierung unterliegen würde. Andererseits scheint unsere eigene Position unglücklicherweise zu implizieren, dass dieselbe Art der „freien Meinungsäußerung“ im kulturellen Kontext Österreichs – von anderen Ländern, von Aserbeidschan im Osten bis Island im Westen ganz zu schweigen – eindeutig akzeptabel wäre.
10. Darüber hinaus wird die Entscheidung in der vorliegenden Rechtssache, falls diese nicht an die Große Kammer geht, zu einem Präzedenzfall werden und für alle anderen Länder – außer für Deutschland – eine natürlich negative faktische Verbindlichkeit erlangen. Dann ist nämlich das, was in Deutschland inakzeptabel ist, in Österreich, wo es ähnliche historische Bedenken gibt, und erst recht in anderen Ländern nicht mehr inakzeptabel. Wir glauben nicht, dass eine solche Betrachtungsweise, wenn sie von der Großen Kammer erneut geprüft würde, akzeptiert und bestätigt werden würde.
11. Wenn wir uns nun wieder dem Eingangsthema zuwenden und uns mit dem Unterschied zwischen der grundsätzlichen und der relativierenden Position befassen, werden wir, wenn auch nur am Rande, daran erinnert, dass H. L. A. Hart zwischen präskriptiven Normen auf der einen und instrumentellen Normen auf der anderen Seite unterschieden hat.
12. Weil instrumentelle Normen durch die präskriptive Norm bedingt sind, sind sie in diesem Sinne relativ, wogegen die präskriptive Norm aufgrund negativer Unterscheidung und Gegenüberstellung kategorisch und in diesem Sinne absolut ist.
13. Hier werden wir an Immanuel Kants kategorischen Imperativ erinnert. Seine Position war die, dass jedes menschliche Wesen Zweck an sich selbst und entsprechend zu behandeln sei. Dies deckt sich vielleicht mit dem deutschen Verfassungskonzept der Würde.
14. Wenn jedoch menschliche Wesen in ihrem äußersten Leiden und in ihrer äußersten Erniedrigung, wie hier, zu dem nachrangigen Zweck der sonst legitimen Förderung der Tierrechte mit Hühnern und Schweinen verglichen werden, können wir nicht länger geltend machen, dass die auf diesen Bildern abgebildeten Menschen als Zweck an sich behandelt werden.
15. Diese Menschen, bei denen es sich nicht nur um Juden, sondern um Menschen aller Nationalitäten handelt, werden hier offensichtlich als Mittel zur Förderung der Tierrechte behandelt. Wenn ihr Bild derart instrumentalisiert wird, bleibt zweifellos, auch im Kontext des deutschen Verfassungsrechts, von ihrer Menschenwürde nur wenig übrig.
16. Die Unterscheidung, die Hart zwischen präskriptiven Normen auf der einen und instrumentellen Normen auf der anderen Seite vorgenommen hat, stellt in der Tat eine Analogie zwischen Kants kategorischem Imperativ einerseits und weniger kategorischen Normen andererseits dar.
17. Daher stellt sich, in einfacher legalistischer Sprache, folgende Frage: Wo ziehen wir die Grenze? Wären diese Bilder in Aserbeidschan oder in Island, oder in Österreich, akzeptabel, oder wären sie nicht akzeptabel?
18. In der Tat ist dies eine Frage unterschiedlicher kultureller Normen in 47 Ländern, die im jeweiligen kulturellen Kontext von allen geteilt werden oder auch nicht. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte ist nun seinerseits in einer Lage, in der er darüber entscheiden muss, ob er diese Angelegenheit in den sogenannten Beurteilungsspielraum relegiert oder nicht.
19. Nach dieser Logik wäre das, was in einem Land akzeptabel ist, in einem anderen, beispielsweise in Deutschland, nicht akzeptabel. Wir sehen, dass dies einfach eine andere Art der Relativierung derselben Angelegenheit ist, d. h. es geht um unsere eigene Weigerung, die Grenze zu ziehen. Wenn man hier keine Grenze ziehen kann, darf man wohl fragen, wo man denn eine ziehen würde. Es wäre schwierig, irgendetwas zu finden, was, wie Richter Frankfurter vom U.S. Supreme Court es ausgedrückt habe würde, für das menschliche Gewissen noch schockierender ist.
Zuletzt aktualisiert am Juli 21, 2021 von eurogesetze
Schreibe einen Kommentar