FÜNFTE SEKTION
ENTSCHEIDUNG
Individualbeschwerde Nr. 21252/09
T../. Deutschland
Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (Fünfte Sektion) hat in seiner Sitzung am 27. November 2012 als Kammer mit den Richterinnen und Richtern
Mark Villiger, Präsident,
Angelika Nußberger,
Boštjan M. Zupančič,
Ann Power-Forde,
André Potocki,
Paul Lemmens,
und Helena Jäderblom
sowie Claudia Westerdiek, Sektionskanzlerin,
im Hinblick auf die oben genannte Individualbeschwerde, die am 22. April 2009 erhoben wurde,
nach Beratung wie folgt entschieden.
SACHVERHALT
1. Das beschwerdeführende Unternehmen („die Beschwerdeführerin“), die T. AG, ist eine Aktiengesellschaft mit Sitz in H. Sie firmiert gegenwärtig unter dem Namen T. Die Beschwerdeführerin wurde vor dem Gerichtshof von Herrn M. und Herrn W., beide Rechtsanwälte in B., vertreten.
A. Der Hintergrund der Rechtssache
2. Der von der Beschwerdeführerin vorgebrachte Sachverhalt lässt sich wie folgt zusammenfassen.
1. Rechtlicher Hintergrund
3. In Deutschland ist die Zuständigkeit für das Glücksspiel zwischen Bund und Ländern aufgeteilt. In den meisten Ländern gibt es ein regionales Monopol für die Veranstaltung von Sportwetten und Lotterien, während mit der Veranstaltung von Pferdewetten und dem Betrieb von Spielautomaten und Spielbanken private Wirtschaftsteilnehmer mit entsprechender Erlaubnis betraut sind. Mit einem Staatsvertrag zu Lotteriespielen (Staatsvertrag zum Lotteriewesen in Deutschland, LottStV), der am 1. Juli 2004 in Kraft trat, schufen die Länder einen einheitlichen Rahmen für die Veranstaltung, die Durchführung und die gewerbliche Vermittlung von Glücksspielen. Nach diesem Vertrag war die gewerbliche Vermittlung von Lotteriespielen ohne besonderen Erlaubnisvorbehalt zulässig, solange die Vermittler bestimmte Vorgaben einhielten.
4. In seinem Urteil vom 28. März 2006 (1 BvR 1054/01) entschied das Bundesverfassungsgericht, dass das in Bayern bestehende regionale Monopol für Sportwetten mit Artikel 12 Abs. 1 GG, durch den Berufsfreiheit garantiert werde, nicht vereinbar sei. Das Gericht befand, dass das Monopol insbesondere deshalb eine unverhältnismäßige Beeinträchtigung des Rechts auf freie Berufswahl darstelle, weil es private Wirtschaftsteilnehmer von der Tätigkeit der Veranstaltung von Wetten ausschließe, ohne zugleich rechtliche Rahmenbedingungen zu schaffen, mit denen das Ziel der Begrenzung der Wettleidenschaft und der Bekämpfung der Spielsucht wirksam verfolgt werden könne.
5. Ein Großteil der Länder einigte sich später auf den Staatsvertrag zum Glücksspielwesen (GlüStV, „der Staatsvertrag“, siehe Rdnr. 18), mit dem das Veranstalten, Durchführen und Vermitteln von Glücksspielen einen neuen einheitlichen Rahmen erhielt. Der Staatsvertrag wurde von den Ländern Berlin und Niedersachsen am 15. Dezember 2007 ratifiziert und trat vorbehaltlich bestimmter Übergangsregelungen am 1. Januar 2008 in Kraft. Der Staatsvertrag führte einen Erlaubnisvorbehalt für das Veranstalten und Vermitteln von Glücksspielen ein, wonach einzelne Länder Erlaubnisse erteilen konnten, die nur für das Gebiet des jeweiligen Landes galten. Darüber hinaus beinhaltete der Staatsvertrag ein völliges Verbot des Veranstaltens und Vermittelns öffentlicher Glücksspiele im Internet.
2. Die beruflichen Tätigkeiten der Beschwerdeführerin
6. Seit dem Jahr 2000 betrieb die Beschwerdeführerin eine Internetplattform, über die man Wetten bei den Lotteriegesellschaften der Bundesländer platzieren konnte. Diese Vermittlung erfolgte auf der Grundlage vertraglicher Vereinbarungen mit den Lotterieveranstaltern, die der Beschwerdeführerin eine Provision zahlten. Die Beschwerdeführerin hatte in diesem Bereich einen Gesamtmarktanteil von über 60 Prozent. Bis Ende 2008 hatte sie etwa zweieinhalb Millionen registrierte Kunden.
7. Die Beschwerdeführerin ersuchte vor Inkrafttreten des Staatsvertrags die Landesbehörden gemäß § 25 Abs. 6 GlüStV um Erteilung einer Erlaubnis zur Fortführung ihrer beruflichen Tätigkeit für eine Übergangsfrist von einem Jahr. Nur die Länder Hamburg und Hessen erteilten diese Erlaubnis. Die Beschwerdeführerin setzte folglich ihre Tätigkeit in diesen Ländern bis zum 31. Dezember 2008 fort. Nach diesem Stichtag stellte die Beschwerdeführerin sämtliche Tätigkeiten im Bereich der Vermittlung staatlicher Lotterien ein. Stattdessen nutzte sie ihre Internetplattform fortan für die Bereitstellung von Geschicklichkeitsspielen, sogenannten ability games, die jedoch deutlich weniger Kunden ansprachen.
3. Das Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht
8. Am 29. Februar 2008 legte die Beschwerdeführerin Verfassungsbeschwerde gegen verschiedene Bestimmungen des Staatsvertrags in der durch die Gesetze der Länder Berlin und Niedersachsen umgesetzten Fassung ein. Die Beschwerdeführerin machte insbesondere geltend, dass das Verbot des Veranstaltens und Vermittelns öffentlicher Glücksspiele im Internet in § 4 Abs. 4 GlüStV ihr Recht auf freie Berufswahl nach Artikel 12 GG verletze. Ferner rügte sie eine Verletzung ihrer Eigentumsrechte sowie ihres Rechts auf freie Meinungsäußerung und auf Gleichbehandlung.
9. Am 14. Oktober 2008 lehnte es das Bundesverfassungsgericht in einer aus drei Richtern bestehenden Kammer ab, die Verfassungsbeschwerde der Beschwerdeführerin zur Entscheidung anzunehmen. Es stellte fest, dass § 4 Abs. 4 GlüStV das Vermitteln öffentlicher Glücksspiele im Internet, und damit eine berufliche Tätigkeit, die die Beschwerdeführerin bis dahin in zulässiger Weise ausgeübt hatte, einschränke und (ab 1. Januar 2009) gänzlich verbiete. Überdies schränke § 4 Abs. 1 und 2 GlüStV, durch den das Veranstalten öffentlicher Spiele an eine staatliche Erlaubnis geknüpft werde, das Recht der Beschwerdeführerin auf eine bestimmte berufliche Tätigkeit ein. In engem Zusammenhang mit diesen Regelungen stehe § 9 Abs. 4 GlüStV, demzufolge die Erlaubnisse von den Landesbehörden erteilt werden und nur für das Gebiet des jeweiligen Landes gelten. Das Bundesverfassungsgericht kam zu dem Schluss, dass diese Regelungen einen Eingriff in die Dienstleistungsfreiheit der Beschwerdeführerin darstellten. Dies gelte auch für die Vorschriften über die Werbung und das Werbeverbot im Fernsehen, im Internet sowie über andere Telekommunikationsanlagen. Hingegen liege die Beschwerde der Beschwerdeführerin nicht im Schutzbereich des Eigentums (Artikel 14 GG), denn dieser betreffe Eingriffe in die Verwendung vorhandener Vermögensgüter, nicht jedoch Fälle, in denen es um bestimmte berufliche Tätigkeiten gehe.
10. Das Bundesverfassungsgericht befand, dass die in Rede stehenden Regelungen hinreichend bestimmt seien und der Kompetenzverteilung in einem föderalen Staat entsprächen. Außerdem werde der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz beachtet. Das Gericht merkte in diesem Zusammenhang an, dass die Regelungen vorrangig dem Ziel dienten, die Bevölkerung, insbesondere Kinder und Jugendliche, vor den Gefahren der Glücksspielsucht und der mit Glücksspielen verbundenen Begleitkriminalität zu schützen. Dies seien wichtige Gemeinwohlziele, die objektive Beschränkungen der Freiheit, eine bestimmte berufliche Tätigkeit auszuüben, rechtfertigen könnten.
11. Das Gericht war ferner der Auffassung, dass Spielsucht schwerwiegende Folgen nicht nur für die Betroffenen selbst, sondern auch für ihre Familien und für die Gemeinschaft haben könne. Es sei richtig, dass unterschiedliche Glücksspielformen ein unterschiedliches Suchtpotenzial aufwiesen und dass die von der Beschwerdeführerin vermittelten Lotteriespiele mit geringerer Wahrscheinlichkeit zu problematischem oder gar pathologischem Spielverhalten führen würden als beispielsweise Spielautomaten oder Kasinospiele. Dies stelle jedoch nicht die Legitimität der verfolgten Ziele infrage.
12. Das Gericht war der Ansicht, dass der Gesetzgeber bei der Einschätzung der von der Allgemeinheit abzuwendenden Gefahren einen weiten Beurteilungsspielraum habe. Dieser Beurteilungsspielraum sei erst dann überschritten, wenn die Erwägungen des Gesetzgebers so offensichtlich fehlsam seien, dass sie nicht als Grundlage für die in Rede stehenden gesetzgeberischen Maßnahmen dienen könnten. Daran gemessen sah das Bundesverfassungsgericht keine Veranlassung, die Erwägungen des Gesetzgebers zu beanstanden. Es wies darauf hin, dass diese Erwägungen von den Forschungsergebnissen der Universität Bremen gestützt würden, die zeigten, dass Lotteriespiele die Entwicklung von Suchtsymptomen verursachen könnten.
13. Das Gericht stellte ferner fest, dass die Regelungen zur Zweckerreichung geeignet seien. Durch die Verbots- und die speziellen Erlaubnisregelungen für das Veranstalten von Glücksspielen werde ein Kanalisierungseffekt erreicht, mit dem das Angebot an Glücksspielen beschränkt und die Transparenz der Glücksspielindustrie gefördert werde. Insbesondere durch das Erlaubniserteilungsverfahren würden die Landesbehörden in die Lage versetzt, unmittelbar Einfluss auf die Zahl der in der Glücksspielindustrie aktiv tätigen Personen zu nehmen. Auch die Werbebeschränkungen dienten der Suchtbekämpfung und dem Jugendschutz.
14. Das Gericht befand schließlich, dass das Verbot des Veranstaltens und Vermittelns öffentlicher Glücksspiele im Internet darauf abziele, problematisches Spielverhalten zu begrenzen. Das Spielen per Internet sei durch ein hohes Maß an Bequemlichkeit und unbeschränkte Verfügbarkeit der entsprechenden Spiele gekennzeichnet. Der im Vergleich zu Glücksspielen herkömmlicher Art hohe Abstraktionsgrad sei geeignet, die Wahrnehmung des Spielers zu beeinträchtigen und ihn insbesondere die Möglichkeit des Verlustes seiner Einsätze ignorieren zu lassen. Die Beschneidung der Möglichkeit des Internet-Glücksspiels erschwere die Teilnahme und mache dem einzelnen Spieler den Vorgang des Spielens bewusster, wodurch ein Abgleiten in problematisches Spielverhalten verhindert werden könne. Überdies bestünden nach wie vor Bedenken, ob sich im Internet der Jugendschutz effektiv verwirklichen lasse.
15. Hinsichtlich der Verhältnismäßigkeit des Eingriffs stellte das Gericht ferner fest, dass die Länder ihren Beurteilungsspielraum nicht überschritten hätten. Es sei insbesondere zulässig, jede Form der Internetwerbung zu verbieten, da das staatliche Glücksspiel ausschließlich der Kanalisierung des menschlichen Spieltriebs dienen, sich jedoch nicht zu einem nationalen Wirtschaftszweig entwickeln solle. Schließlich befand das Gericht, dass keine Anhaltspunkte für eine Verletzung der übrigen von der Beschwerdeführerin in Bezug genommenen Grundrechte ersichtlich seien.
16. Die Entscheidung wurde den Anwälten der Beschwerdeführerin am 22. Oktober 2008 zugestellt.
4. Die weiteren Entwicklungen
17. Am 1. Juni 2012 trat ein neuer Staatsvertrag zur Änderung des Staatsvertrags zum Glücksspielwesen in Kraft. Nach diesem neuen Staatsvertrag dürfen die Länder das Veranstalten und Vermitteln von öffentlichen Glücksspielen im Internet erlauben, wenn bestimmte Bedingungen erfüllt sind. Der Veranstalter muss insbesondere den Ausschluss minderjähriger oder gesperrter Spieler gewährleisten. Ferner darf der Einsatz je Spieler grundsätzlich einen Betrag von 1.000 Euro pro Monat nicht übersteigen; besondere Suchtanreize durch schnelle Wiederholungen sind verboten; es ist ein an die besonderen Bedingungen des Internets angepasstes Sozialkonzept zu entwickeln und einzusetzen und Wetten und Lotterien dürfen nicht über dieselbe Internetdomain angeboten werden. Werbung für öffentliches Glücksspiel im Fernsehen, im Internet und über Telekommunikationsanlagen bleibt weiterhin grundsätzlich verboten, doch die Länder können gemäß den im Staatsvertrag festgelegten Grundsätzen Werbung für Lotterien sowie Sport- und Pferdewetten im Internet und im Fernsehen erlauben.
B. Das einschlägige innerstaatliche Recht
18. Die maßgeblichen Vorschriften des Staatsvertrags zum Glücksspielwesen (GlüStV, „der Staatsvertrag“), der am 1. Januar 2008 in Kraft trat, lauten wie folgt:
§ 1
„Ziele des Staatsvertrages
Ziele des Staatsvertrages sind
1. das Entstehen von Glücksspielsucht und Wettsucht zu verhindern und die Voraussetzungen für eine wirksame Suchtbekämpfung zu schaffen,
2. das Glücksspielangebot zu begrenzen und den natürlichen Spieltrieb der Bevölkerung in geordnete und überwachte Bahnen zu lenken, insbesondere ein Ausweichen auf nicht erlaubte Glücksspiele zu verhindern,
3. den Jugend- und den Spielerschutz zu gewährleisten,
4. sicherzustellen, dass Glücksspiele ordnungsgemäß durchgeführt, die Spieler vor betrügerischen Machenschaften geschützt und die mit Glücksspielen verbundene Folge- und Begleitkriminalität abgewehrt werden.“
§ 4
„Allgemeine Bestimmungen
(1) Öffentliche Glücksspiele dürfen nur mit Erlaubnis der zuständigen Behörde des jeweiligen Landes veranstaltet oder vermittelt werden. Das Veranstalten und das Vermitteln ohne diese Erlaubnis (unerlaubtes Glücksspiel) ist verboten.
(2) Die Erlaubnis ist zu versagen, wenn das Veranstalten oder das Vermitteln des Glücksspiels den Zielen des § 1 zuwiderläuft. Die Erlaubnis darf nicht für das Vermitteln nach diesem Staatsvertrag nicht erlaubter Glücksspiele erteilt werden. Auf die Erteilung der Erlaubnis besteht kein Rechtsanspruch.
(3) Das Veranstalten und das Vermitteln von öffentlichen Glücksspielen darf den Erfordernissen des Jugendschutzes nicht zuwiderlaufen. Die Teilnahme von Minderjährigen ist unzulässig. Die Veranstalter und die Vermittler haben sicherzustellen, dass Minderjährige von der Teilnahme ausgeschlossen sind.
(4) Das Veranstalten und das Vermitteln öffentlicher Glücksspiele im Internet ist verboten.“
§ 5
„Werbung
(1) Werbung für öffentliches Glücksspiel hat sich zur Vermeidung eines Aufforderungscharakters bei Wahrung des Ziels, legale Glücksspielmöglichkeiten anzubieten, auf eine Information und Aufklärung über die Möglichkeit zum Glücksspiel zu beschränken.
(2) Werbung für öffentliches Glücksspiel darf nicht in Widerspruch zu den Zielen des § 1 stehen, insbesondere nicht gezielt zur Teilnahme am Glücksspiel auffordern, anreizen oder ermuntern. Sie darf sich nicht an Minderjährige oder vergleichbar gefährdete Zielgruppen richten. Die Werbung darf nicht irreführend sein und muss deutliche Hinweise auf das Verbot der Teilnahme Minderjähriger, die von dem jeweiligen Glücksspiel ausgehende Suchtgefahr und Hilfsmöglichkeiten enthalten.
(3) Werbung für öffentliches Glücksspiel ist im Fernsehen, im Internet sowie über Telekommunikationsanlagen verboten.
(4) Werbung für unerlaubte Glücksspiele ist verboten.“
§ 9
„Glücksspielaufsicht
[…]
(4) Die Erlaubnis wird von der zuständigen Behörde für das Gebiet des jeweiligen Landes oder einen Teil dieses Gebietes erteilt. Sie ist widerruflich zu erteilen und zu befristen. […]“
§ 25
„(6) Die Länder können befristet auf ein Jahr nach In-Kraft-Treten des Staatsvertrages abweichend von § 4 Abs. 4 bei Lotterien die Veranstaltung und Vermittlung im Internet erlauben, wenn keine Versagungsgründe nach § 4 Abs. 2 vorliegen und folgende Voraussetzungen erfüllt sind:
1. Der Ausschluss minderjähriger oder gesperrter Spieler wird durch Identifizierung und Authentifizierung gewährleistet; die Richtlinien der Kommission für Jugendmedienschutz zur geschlossenen Benutzergruppe sind zu beachten.
2. Die Beachtung der in der Erlaubnis festzulegenden Einsatzgrenzen, die 1.000 Euro pro Monat nicht überschreiten dürfen, und des Kreditverbots ist sichergestellt.
3. Besondere Suchtanreize durch schnelle Wiederholung und die Möglichkeit interaktiver Teilnahme mit zeitnaher Gewinnbekanntgabe sind ausgeschlossen; davon kann regelmäßig bei Lotterien mit nicht mehr als zwei Gewinnentscheiden pro Woche ausgegangen werden.
4. Durch Lokalisierung nach dem Stand der Technik wird sichergestellt, dass nur Personen teilnehmen können, die sich im Geltungsbereich der Erlaubnis aufhalten.
5. Ein an die besonderen Bedingungen des Internets angepasstes Sozialkonzept ist zu entwickeln und einzusetzen; seine Wirksamkeit ist wissenschaftlich zu evaluieren.“
C. Die einschlägige Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union
19. Am 8. September 2010 ergingen mehrere Urteile des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) zur Vereinbarkeit der Vorschriften zu Sportwetten mit EU-Recht (Rechtssache C-409/06, W. ./. Bürgermeisterin der Stadt B.; verb. Rechtssachen C-316/07, C-358/07 bis C-360/07, C-409/07 und C-410/07, M. u. a. ./. W. u. a.; und C-46/08, C. ./. S. u. a.). Der EuGH befand, dass die deutschen Vorschriften Glücksspiele nicht in kohärenter und systematischer Weise regelten. Vor diesem Hintergrund könne das Ziel, Anreize zu übermäßigen Ausgaben für das Spielen zu vermeiden und die Spielsucht zu bekämpfen, nicht länger wirkungsvoll durch ein öffentliches Monopol verfolgt werden, so dass dieses im Hinblick auf die Artikel 43 und 49 EG-Vertrag (Niederlassungsfreiheit und freier Dienstleistungsverkehr; siehe M.u. a., a. a. O., Rdnrn. 106-107) nicht mehr gerechtfertigt sei.
20. In seinem Urteil in der Rechtssache C. (a. a. O., Rdnrn. 97-111) beantwortete der EuGH darüber hinaus die Frage, ob ein Verbot wie das in § 4 des Staatsvertrags (nachfolgend: „GlüStV“) enthaltene als zur Verfolgung der Ziele der Bekämpfung der Spielsucht und des Schutzes Minderjähriger vor der Glücksspielindustrie geeignet angesehen werden kann, wie folgt.
„97. Was erstens das Verbot des Veranstaltens und des Vermittelns von Glücksspielen im Internet betrifft, ist darauf hinzuweisen, dass das vorlegende Gericht die Vereinbarkeit dieses Verbots mit dem Unionsrecht nur in der in Randnr. 95 des vorliegenden Urteils wiedergegebenen ganz allgemeinen Form in Zweifel gezogen hat.
98. Da dieses Gericht seine insoweit bestehenden Zweifel nicht genauer dargelegt und dazu lediglich auf die Standpunkte verwiesen hat, die die Kommission in einer an die Bundesrepublik Deutschland gerichteten detaillierten Stellungnahme zu dem von dieser mitgeteilten Entwurf des GlüStV [Glücksspielstaatsvertrag, siehe Randnrn. 5 und 17] vertreten haben soll, ohne die Zweifel jedoch näher zu erläutern, wird der Gerichtshof seine Prüfung auf die Frage beschränken, ob eine Maßnahme wie die in § 4 Abs. 4 GlüStV vorgesehene, mit der das Anbieten von Glücksspielen im Internet verboten wird, grundsätzlich als geeignet angesehen werden kann, die Ziele der Vermeidung von Anreizen zu übermäßigen Ausgaben für das Spielen und der Bekämpfung der Spielsucht sowie des Jugendschutzes zu erreichen.
99. Dazu ist einleitend darauf hinzuweisen, dass der Gerichtshof bereits anerkannt hat, dass eine Maßnahme, mit der die Ausübung einer bestimmten Form von Glücksspielen, nämlich von Lotterien, im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats schlicht verboten wird, mit solchen zwingenden Gründen des Allgemeininteresses gerechtfertigt werden kann (vgl. Urteil S.).
100. Im Ausgangsfall betrifft das streitige Verbot nicht die Vermarktung einer bestimmten Art von Glücksspielen, sondern einen bestimmten Vertriebskanal für Glücksspiele, nämlich das Internet.
101. Der Gerichtshof hatte bereits Gelegenheit, die Besonderheiten des Anbietens von Glücksspielen über das Internet hervorzuheben (vgl. Urteil Liga Portuguesa de Futebol Profissional und Bwin International, Randnr. 72).
102. Er hat insbesondere ausgeführt, dass über das Internet angebotene Glücksspiele, verglichen mit den herkömmlichen Glücksspielmärkten, wegen des fehlenden unmittelbaren Kontakts zwischen dem Verbraucher und dem Anbieter anders geartete und größere Gefahren in sich bergen, dass die Verbraucher eventuell von den Anbietern betrogen werden (Urteil Liga Portuguesa de Futebol Profissional und Bwin International, Randnr. 70).
103. Desgleichen können sich die Besonderheiten des Angebots von Glücksspielen im Internet als Quelle von, verglichen mit den herkömmlichen Glücksspielmärkten, anders gearteten und größeren Gefahren für den Schutz der Verbraucher und insbesondere von Jugendlichen und Personen erweisen, die eine besonders ausgeprägte Spielneigung besitzen oder eine solche Neigung entwickeln könnten. Neben dem bereits erwähnten fehlenden unmittelbaren Kontakt zwischen Verbraucher und Anbieter stellen auch der besonders leichte und ständige Zugang zu den im Internet angebotenen Spielen sowie die potenziell große Menge und Häufigkeit eines solchen Angebots mit internationalem Charakter in einem Umfeld, das überdies durch die Isolation des Spielers, durch Anonymität und durch fehlende soziale Kontrolle gekennzeichnet ist, Faktoren dar, die die Entwicklung von Spielsucht und übermäßige Ausgaben für das Spielen begünstigen und aufgrund dessen die damit verbundenen negativen sozialen und moralischen Folgen, die in ständiger Rechtsprechung herausgestellt worden sind, vergrößern können.
104. Im Übrigen ist darauf hinzuweisen, dass angesichts des Ermessens, über das die Mitgliedstaaten bei der Bestimmung des Niveaus des Verbraucherschutzes und des Schutzes der Sozialordnung im Glücksspielsektor verfügen, im Hinblick auf das Kriterium der Verhältnismäßigkeit nicht verlangt wird, dass eine von den Behörden eines Mitgliedstaats erlassene restriktive Maßnahme einer von allen Mitgliedstaaten geteilten Auffassung in Bezug auf die Modalitäten des Schutzes des fraglichen berechtigten Interesses entspricht (vgl. entsprechend Urteil vom 28. April 2009, Kommission/Italien, C 518/06, Slg. 2009, I 3491, Randnrn. 83 und 84).
105. Nach alledem ist anzuerkennen, dass eine Maßnahme, mit der jedes Anbieten von Glücksspielen über das Internet verboten wird, grundsätzlich als geeignet angesehen werden kann, die legitimen Ziele der Vermeidung von Anreizen zu übermäßigen Ausgaben für das Spielen und der Bekämpfung der Spielsucht sowie des Jugendschutzes zu verfolgen, auch wenn das Anbieten solcher Spiele über herkömmlichere Kanäle zulässig bleibt.
106. Zweitens ist, was die Schaffung einer Übergangsfrist der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Art betrifft, insbesondere zu prüfen, ob sie nicht die Kohärenz der betreffenden Rechtsvorschriften beeinträchtigt, indem sie zu einem Ergebnis führt, das dem verfolgten Ziel widerspricht.
107. Dazu ist zunächst festzustellen, dass die im Ausgangsverfahren in Rede stehende Übergangsmaßnahme nur auf Lotterien und nicht auf andere Arten von Glücksspielen Anwendung findet.
108. Sodann ergibt sich aus den Erläuterungen des vorlegenden Gerichts, dass diese Übergangsmaßnahme lediglich bezweckt, bestimmten Wirtschaftsteilnehmern, die in dem betreffenden Bundesland bislang rechtmäßig Lotterien über das Internet angeboten haben, eine Umstellung ihrer Tätigkeit zu ermöglichen, nachdem das Verbot ihrer ursprünglichen Tätigkeit in Kraft getreten ist, und dass sie auf die Dauer eines Jahres befristet ist, was unter diesem Blickwinkel nicht als unangemessen angesehen werden kann.
109. Schließlich ist noch hervorzuheben, dass zum einen aus § 25 Abs. 6 GlüStV und § 9 GlüStV AG hervorgeht, dass die betreffenden Wirtschaftsteilnehmer während der Übergangsfrist zur Einhaltung einer Reihe von Voraussetzungen hinsichtlich des Ausschlusses minderjähriger und gesperrter Spieler, der Einsatzgrenzen, der Modalitäten und der Häufigkeit des Spielangebots sowie zum Einsatz sozialer Maßnahmen verpflichtet sind, und dass zum anderen nach den Angaben, die das Land Schleswig-Holstein vor dem Gerichtshof gemacht hat, alle eventuell betroffenen Lotterieveranstalter diskriminierungsfrei in den Genuss der Übergangsmaßnahme kommen können.
110. Daher ist nicht ersichtlich, dass eine solche Übergangsfrist, die durch Erwägungen der Rechtssicherheit gerechtfertigt erscheint (vgl. entsprechend Urteil vom 17. Juli 2008, ASM Brescia, C 347/06, Slg. 2008, I 5641, Randnrn. 68 bis 71), die Kohärenz der Maßnahme, mit der das Anbieten von Glücksspielen im Internet verboten wird, und ihre Eignung zur Erreichung der mit ihr verfolgten legitimen Ziele zu beeinträchtigen vermag (vgl. entsprechend zu einer vorübergehenden Ausnahme von einem Verbot des Betriebs von Apotheken durch Personen, die keine Apotheker sind, Urteil vom 19. Mai 2009, A. u. a., C‑171/07 und C 172/07, Slg. 2009, I 4171, Randnrn. 45 bis 50).
111. Nach alledem ist auf die vierte Vorlagefrage zu antworten, dass Art. 49 EG dahin gehend auszulegen ist, dass eine nationale Regelung, die das Veranstalten und das Vermitteln von Glücksspielen im Internet untersagt, um übermäßige Ausgaben für das Spielen zu verhindern, die Spielsucht zu bekämpfen und die Jugend zu schützen, grundsätzlich als zur Verfolgung solcher legitimer Ziele geeignet angesehen werden kann, auch wenn das Anbieten solcher Spiele über herkömmlichere Kanäle zulässig bleibt. Dass das Verbot mit einer Übergangsmaßnahme wie der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden verbunden ist, lässt seine Eignung unberührt.“
RÜGEN
21. Die Beschwerdeführerin rügte nach Artikel 1 des Protokolls Nr. 1 und Artikel 10 sowie Artikel 14 der Konvention den Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 14. Oktober 2008 sowie die entsprechenden Vorschriften des Staatsvertrags.
RECHTLICHE WÜRDIGUNG
A. Behauptete Verletzung von Artikel 1 des Protokolls Nr. 1 zur Konvention
22. Die Beschwerdeführerin rügte, dass die maßgeblichen Vorschriften des Staatsvertrags ihr Recht auf Achtung ihres Eigentums aus Artikel 1 des Protokolls Nr. 1 zur Konvention verletzten; dieser Artikel lautet:
„Jede natürliche oder juristische Person hat das Recht auf Achtung ihres Eigentums. Niemandem darf sein Eigentum entzogen werden, es sei denn, dass das öffentliche Interesse es verlangt, und nur unter den durch Gesetz und durch die allgemeinen Grundsätze des Völkerrechts vorgesehenen Bedingungen.
Absatz 1 beeinträchtigt jedoch nicht das Recht des Staates, diejenigen Gesetze anzuwenden, die er für die Regelung der Benutzung des Eigentums im Einklang mit dem Allgemeininteresse oder zur Sicherung der Zahlung der Steuern oder sonstigen Abgaben oder von Geldstrafen für erforderlich hält.“
23. Die Beschwerdeführerin brachte vor, dass der Staatsvertrag in ihr Eigentum eingreife, das insbesondere aus ihrer Klientel von zweieinhalb Millionen registrierten Kunden bestehe. Mit Inkrafttreten des Staatsvertrags habe sich dieser Vermögenswert erheblich verringert. Die Beschwerdeführerin brachte ferner vor, dass dieser Eingriff, sofern er sie daran hindere, ihren beruflichen Tätigkeiten im Internet nachzugehen, einer Enteignung gleichkomme, die nicht mit Artikel 1 des Protokolls Nr. 1 vereinbar sei. Sie behauptete insbesondere, die rechtlichen Voraussetzungen für die Erlaubniserteilung seien nicht hinreichend bestimmt. Dies gelte auch für das Werbeverbot. Die Beschwerdeführerin trug ferner vor, dass der Eingriff nicht „im Einklang mit dem Allgemeininteresse erforderlich” gewesen sei. Insbesondere verfolge der Gesetzgeber nicht ausschließlich die in § 1 GlüStV genannten Ziele, sondern die Länder verfolgten darüber hinaus das unausgesprochene Ziel, durch Glücksspiele Einkommen für die entsprechende Landeskasse zu generieren. Wie vom EuGH bestätigt, verfolge der Gesetzgeber sein behauptetes Ziel, die Allgemeinheit sowie Kinder und Jugendliche vor den schädlichen Auswirkungen des Glücksspiels zu schützen, nicht in kohärenter und systematischer Weise. Dies zeige sich u. a. daran, dass die deutschen Behörden darüber hinwegsähen, dass die staatlichen Lotterien ungeachtet der im Staatsvertrag diesbezüglich festgelegten strikten Werbebeschränkungen selbst großangelegte Werbekampagnen in Auftrag geben würden. Die Beschwerdeführerin betonte weiterhin, dass sich ihre beruflichen Tätigkeiten stets darauf beschränkt hätten, das Platzieren von Wetten bei den staatlichen Lotterien im Internet anzubieten. Diese auf zweimal wöchentlich begrenzten Gewinnziehungen stellten keine erhebliche Gefahr für die Allgemeinheit dar. Alle einschlägigen wissenschaftlichen Studien bestätigten, dass das Hauptproblem bei den in Restaurants und Kasinos aufgestellten Spielautomaten liege. Es bestehe praktisch keine Gefahr, dass derartige Lotteriespiele mit seltenen Ziehungen für sich genommen suchtauslösend seien. Bestätigt werde dies durch die Tatsache, dass in § 25 Abs. 6 GlüStV davon ausgegangen werde, dass derartige Lotterien nicht suchtfördernd wirkten. Die Beschwerdeführerin brachte weiter vor, dass das Betreiben der Internetplattform gesetzeskonform gewesen sei und mit innerstaatlichem und EU-Recht in Einklang gestanden habe. Daher habe die Beschwerdeführerin die berechtigte Erwartung gehegt, eine Erlaubnis zur Ausübung ihrer beruflichen Tätigkeiten zu erhalten. Zum Schluss trug die Beschwerdeführerin vor, dass sie keine Entschädigung für die Eigentumsentziehung erhalten habe. Die in § 25 Abs. 6 GlüStV vorgesehenen Übergangsregelungen würden die Wirkung des Gesetzes lediglich aufschieben, jedoch keine Entschädigung darstellen.
24. Der Gerichtshof stellt zunächst fest, dass die Beschwerdeführerin nach Inkrafttreten des Staatsvertrags ab dem 1. Januar 2008 bzw. ab dem 1. Januar 2009 daran gehindert war, ihre beruflichen Tätigkeiten im Bereich des Vermittelns von öffentlichen Glücksspielen im Internet auszuüben. Am 1. Juni 2012 (siehe Rdnr. 17) trat ein neuer Staatsvertrag in Kraft. Nach diesem Staatsvertrag dürfen die Länder, vorbehaltlich bestimmter Bedingungen, das Veranstalten und das Vermitteln von öffentlichen Glücksspielen im Internet gestatten. Daraus folgt, dass jede Form des Vermittelns von Glücksspielen im Internet und das Werben dafür vom 1. Januar 2008 an (mit einer Übergangsphase bis zum 1. Januar 2009) bis zum 1. Juni 2012 vollständig verboten war und jetzt einem speziellen Erlaubnisvorbehalt der jeweiligen Länder unterliegt. Daher ist die Beschwerdeführerin nach wie vor Opfer der behaupteten Verletzung ihrer Konventionsrechte (Artikel 34 der Konvention).
25. Der Gerichtshof wird zunächst prüfen, ob sich der Staatsvertrag auf das „Eigentum“ der Beschwerdeführerin im Sinne von Artikel 1 Protokoll Nr. 1 ausgewirkt hat. Der Gerichtshof hat seine Rechtsprechung zu Artikel 1 Protokoll Nr. 1 im Hinblick auf berufliche Tätigkeiten kürzlich in der Rechtssache Malik ./. das Vereinigte Königreich (Individualbeschwerde Nr. 23780/08, Rdnrn. 88-89 (sic), 13. März 2012) zusammengefasst:
„88. Der Gerichtshof weist zunächst erneut darauf hin, dass Artikel 1 Protokoll Nr. 1 nur für vorhandenes Eigentum einer Person gilt; es wird kein Recht auf Eigentumserwerb gewährt (siehe Marckx ./. Belgien, 13. Juni 1979, Rdnr. 50, Serie A Band 31; und Slivenko ./. Lettland (Entsch.) [GK], Individualbeschwerde Nr. 48321/99, Rdnr. 121, ECHR 2002-II (Auszüge)).
89. Der Gerichtshof hat bisher die Auffassung vertreten, dass in Fällen, in denen es um die Ausübung von Berufen ging, bei denen die betroffenen Beschwerdeführer durch eigene Arbeit eine Klientel aufgebaut hatten, Rechte bestehen, die Eigentumsrechten gleichkommen. Er hat ausgeführt, dass diese Klientel in vielerlei Hinsicht den Charakter eines privaten Rechts trägt und einen Vermögenswert darstellt, also Eigentum i.S.v. Artikel 1 Satz 1 (siehe Van Marle u.a., a. a. O., Rdnr. 41). In einer Rechtssache, in der es um einen behaupteten Eingriff in die ärztliche Berufsausübung eines Beschwerdeführers ging, stellte die Kommission fest, dass das `wohlerworbene Recht´ (vested interest) an der Arztpraxis des Beschwerdeführers als `Eigentum´ angesehen werden kann (siehe Karni ./. Schweden, Individualbeschwerde Nr. 11540/85, Kommissionsentscheidung vom 8. März 1988, Decisions and Reports 55, S. 157). In späteren Fällen führte der Gerichtshof aus, dass Anwaltskanzleien und ihr Mandantenstamm Rechtspositionen mit einem gewissen Wert darstellen, die in vielerlei Hinsicht den Charakter eines privaten Rechts tragen und daher Vermögenswerte, also Eigentum im Sinne von Artikel 1 Satz 1 darstellen (siehe O. ./. Deutschland (Entsch.), Individualbeschwerde Nr. 37592/97, 25. Mai 1999; D. ./. Deutschland (Entsch.), Individualbeschwerde Nr. 37595/97, 9. November 1999; und W. ./. Deutschland, a. a. O.). Der Gerichtshof hat auch darauf hingewiesen, dass es nicht darauf ankommt, ob die Beschwerdeführer das Eigentum durch Inanspruchnahme einer günstigen Stellung oder ausschließlich durch Eigenleistungen erworben haben. Er befand, dass in Fragen des Schutzes gesetzlich eingeräumter Privilegien Artikel 1 Protokoll Nr. 1 Anwendung findet, soweit diese Privilegien Anlass zu einer berechtigten Hoffnung auf Erwerb eines bestimmten Eigentums gaben.
90. In früheren Fällen, in denen es um die Ausübung von Berufen ging, vertrat der Gerichtshof die Auffassung, dass eine Einschränkung des Rechts der Beschwerdeführer auf Ausübung des in Rede stehenden Berufs, beispielsweise durch die Verweigerung der Aufnahme in ein bestimmtes Berufsregister, grundlegenden Einfluss auf die Bedingungen der Ausübung ihrer beruflichen Tätigkeiten hatte und deren Umfang verminderte. In Fällen, in denen sich als Folge dieser Einschränkung die Einnahmen des Beschwerdeführers und der Wert seiner Klientel sowie seines Geschäfts allgemein verringerten, sah der Gerichtshof einen Eingriff in das Recht auf Achtung des Eigentums (siehe Van Marle, a. a. O., Rdnr. 42).
91. In Fällen, in denen es um die Erteilung von Erlaubnissen oder Genehmigungen zur Führung eines Geschäfts ging, hat der Gerichtshof darauf hingewiesen, dass der Widerruf oder die Rücknahme einer Erlaubnis oder Genehmigung einen Eingriff in das Recht der Beschwerdeführer auf Achtung ihres Eigentums, einschließlich der wirtschaftlichen Interessen im Zusammenhang mit der zugrunde liegenden Geschäftstätigkeit, darstellt (siehe Fredin ./. Schweden (Nr. 1), 18. Februar 1991, Rdnr. 40, Serie A Band 192, im Hinblick auf die Abbaugenehmigung für eine Kiesgrube; und entsprechend Tre Traktörer AB ./. Schweden, 7. Juli 1989, Rdnr. 53, Serie A Band 159, betreffend eine Ausschankgenehmigung für alkoholische Getränke in einem Restaurant; siehe auch Rosenzweig and Bonded Warehouses Ltd. ./. Polen, Individualbeschwerde Nr. 51728/99, Rdnr. 49, 28. Juli 2005, wo es um die Erlaubnis für den Betrieb eines Zolllagers ging). Hierzu stellte der Gerichtshof insbesondere in der Rechtssache Tre Traktörer AB fest, dass die Aufrechterhaltung der Erlaubnis eine der Grundvoraussetzungen für die Weiterbetreibung des Geschäfts des beschwerdeführenden Unternehmens war, und dass ihre Rücknahme schädliche Auswirkungen auf den Geschäftswert (goodwill) und den Substanzwert des Restaurants hatte (in Rdnrn. 43 und 53 des Urteils des Gerichtshofs).
[…]
93. Der Gerichtshof erinnert daran, dass der Geschäftswert (goodwill) als Bestandteil der Ermittlung des Wertes einer beruflichen oder gewerblichen Tätigkeit eine Rolle spielen kann. Erwartete Einnahmen hingegen stellen nur dann `Eigentum´ dar, sobald sie erzielt worden sind oder soweit ein vollstreckbarer Anspruch darauf besteht (siehe Ian Edgar (Liverpool) Ltd. ./. das Vereinigte Königreich (Entsch.), Individualbeschwerde Nr. 37683/97, 25. Januar 2000; und Denimark Limited und 11 andere ./. das Vereinigte Königreich (Entsch.), Individualbeschwerde Nr. 37660/97, 26. September 2000). In Fällen, in denen sich ein Beschwerdeführer auf den Wert seines Geschäfts auf der Grundlage der durch das Geschäft erwirtschafteten Gewinne oder der Möglichkeit des Erzielens von Einkünften durch das Geschäft als „Geschäftswert“ (goodwill) beruft, hat der Gerichtshof darauf hingewiesen, dass diese Beschwerde ihrem wesentlichen Inhalt nach als Beschwerde hinsichtlich des Verlusts von erwarteten Einnahmen anzusehen ist. Der Gerichtshof hat bereits festgestellt, dass dieser Bestandteil der Beschwerde nicht unter Artikel 1 des Protokolls Nr. 1 fällt (siehe Ian Edgar (Liverpool) Ltd.; und Denimark Limited und 11 andere, beide a. a. O.).
94. Die obige Rückschau der allgemeinen Grundsätze, die sich aus der Prüfung der Rechtsprechung des Gerichtshofs ergeben, zeigt, dass in Fällen, in denen es um den Widerruf oder die Rücknahme von Erlaubnissen oder Genehmigungen oder um die Verweigerung der Aufnahme in ein Register von Personen, die zur Ausübung eines bestimmten Berufs berechtigt sind, ging, der Gerichtshof dazu tendierte, das zugrunde liegende Geschäft oder die zugrunde liegende Berufsausübung als „Eigentum“ zu betrachten. Beschränkungen der Registrierungen, Erlaubnisse oder Genehmigungen, die mit der Tätigkeit zusammenhängen, die durch das Geschäft oder die Berufsausübung verrichtetet wird, werden vom Gerichtshof in der Regel als das Element angesehen, durch das der Eingriff in eine Geschäftstätigkeit oder eine Berufsausübung erfolgte.“
26. Aus der vorstehend dargestellten Rechtsprechung ergibt sich, dass sämtliche Beschwerden über einen Rückgang des Geschäftswerts (goodwill) in Form erwarteter Einnahmen eindeutig nicht unter Artikel 1 des Protokolls Nr. 1 fallen. Im Gegensatz dazu kann das Geschäftsvermögen der Beschwerdeführerin, einschließlich ihrer Klientel von etwa zweieinhalb Millionen registrierten Kunden, als „Eigentum“ im Sinne dieses Artikels angesehen werden.
27. Im Hinblick auf die Frage, ob ein Eingriff in dieses Eigentum stattgefunden hat, stellt der Gerichtshof fest, dass die Beschwerdeführerin den Wertverlust dieses Geschäftsvermögens infolge der durch den Staatsvertrag auferlegten Beschränkungen rügt. Der Gerichtshof merkt an, dass keine formelle Enteignung von Vermögen der Beschwerdeführerin stattgefunden hat, weder zugunsten der Regierung noch zugunsten eines Dritten. Unter bestimmten Umständen kann zwar auch ohne formelle Veräußerung eine De-facto-Enteignung vorliegen, weil das Eigentum vollständig unbrauchbar geworden ist (siehe z. B. Papamichalopoulos u. a. ./. Griechenland, 24. Juni 1993, Rdnrn. 43-45, Serie A Band 260-B), aus der vorliegenden Individualbeschwerde gehen aber keine derartigen Umstände hervor. Der Gerichtshof merkt in diesem Zusammenhang an, dass die Beschwerdeführerin nach der Umsetzung des Verbots ihre Internetplattform weiter zum Anbieten von Geschicklichkeitsspielen, sogenannten „ability games“, nutzte.
28. Der Gerichtshof ist der Ansicht, dass sich die Lage der Beschwerdeführerin in der vorliegenden Rechtssache mit der Situation vergleichen lässt, die in der Rechtssache Ian Edgar (Liverpool) Ltd. ./. das Vereinigte Königreich ((Entsch.), Individualbeschwerde Nr. 37683/97, ECHR 2000‑I; vgl. auch Denimark Ltd. u. a. ./. das Vereinigte Königreich (Entsch.), Individualbeschwerde Nr. 37660/97, 26. September 2000) vorlag, in der das beschwerdeführende Unternehmen ein Großhandelsunternehmen für Waffen war und die Geschäftseinbußen auf ein Verbot des Besitzes von Handfeuerwaffen zurückzuführen waren. In diesem Fall bewertete der Gerichtshof die von der Beschwerdeführerin erlittenen Geschäftseinbußen nicht als „Entziehung des Eigentums“, sondern vielmehr als „Regelung der Benutzung“.
29. In der vorliegenden Rechtssache war die Beschwerdeführerin nicht von dem Verbot des Veranstaltens von Glücksspielen im Internet betroffen, da sie keiner derartigen Geschäftstätigkeit nachging. Die Beschwerdeführerin hat jedoch dargelegt, dass sie durch das Verbot des Vermittelns von Glücksspielen im Internet Geschäftseinbußen erlitten hat. Im Hinblick auf die von der Beschwerdeführerin ferner gerügten Werbebeschränkungen befindet der Gerichtshof, dass diese Maßnahmen die Möglichkeiten zur Generierung erwarteter Einnahmen möglicherweise reduziert haben, aber keinen unmittelbaren Einfluss auf das Eigentum der Beschwerdeführerin hatten. Der Gerichtshof kommt zu dem Ergebnis, dass mit dem Verbot des Vermittelns von Glücksspielen im Internet durch den Staatsvertrag in das Eigentum der Beschwerdeführerin eingegriffen wurde, und zwar in Form einer „Regelung der Benutzung“.
30. Demnach ist nun zu bestimmen, ob die maßgeblichen Vorschriften des Staatsvertrags die Bedingungen des zweiten Absatzes von Artikel 1 des Protokolls Nr. 1 zur Konvention erfüllten.
31. Der Gerichtshof stellt eingangs fest, dass durch den Staatsvertrag die Bedingungen für die Erteilung einer Erlaubnis für das Veranstalten und Vermitteln von Glücksspielen ebenso wie für das Verbot solcher Tätigkeiten im Internet zur Erfüllung des Zwecks der Regelung der Benutzung des Eigentums im Sinne von Artikel 1 Absatz 2 des Protokolls Nr. 1 hinreichend klar definiert wurden.
32. Daher wird der Gerichtshof nun prüfen, ob mit dem Eingriff in das Eigentum der Beschwerdeführerin ein legitimes Ziel verfolgt und ein gerechter Ausgleich zwischen den Erfordernissen des Allgemeininteresses und dem gebotenen Schutz der Eigentumsrechte der Beschwerdeführerin herbeigeführt wurde. Für die Beurteilung der Frage, ob ein gerechter Ausgleich gegeben ist, hat der Staat, wie der Gerichtshof anerkannt hat, einen weiten Ermessensspielraum, und zwar sowohl hinsichtlich der Wahl der Durchsetzungsmaßnahmen als auch hinsichtlich der Feststellung, ob die Folgen der Durchsetzung zur Verwirklichung des Zwecks des fraglichen Gesetzes im Allgemeininteresse gerechtfertigt sind (siehe AGOSI ./. das Vereinigte Königreich, 24. Oktober 1986, Rdnr. 52, Serie A Band 108; Tre Traktörer AB ./. Schweden, 7. Juli 1989, Rdnr. 62, Serie A Band 159; und Fredin ./. Schweden (Nr. 1), 18. Februar 1991, Rdnr. 51, Serie A Band 192).
33. Im Hinblick auf die Umstände der Rechtssache stellt der Gerichtshof fest, dass die in Rede stehenden Vorschriften des Staatsvertrags den in § 1 GlüStV aufgeführten Zielen – der Verhinderung von Glücksspielsucht und dem Schutz Minderjähriger – dienen, die beide zweifellos sehr wichtige Gemeinwohlbelange sind. Dies wird nicht durch den Umstand infrage gestellt, dass die Regelungen insgesamt, insbesondere in Verbindung mit dem öffentlichen Monopol, möglicherweise auch den Nebeneffekt hatten, durch das Veranstalten von Glücksspielen Einkommen für die Landeskassen zu generieren. Ferner erkennt der Gerichtshof an, dass online verfügbare Glücksspiele möglicherweise anders geartete und schwerwiegendere Risiken bergen als herkömmliche Formen der Teilnahme an solchen Spielen. Dies wird nicht durch den Umstand infrage gestellt, dass das von der Beschwerdeführerin vermittelte Lottospiel für sich genommen möglicherweise mit geringerer Wahrscheinlichkeit zu Sucht führt als andere Glücksspiele.
34. Der Gerichtshof stellt weiter fest, dass die Beschwerdeführerin ihr Geschäft in einer Branche betrieben hat, die angesichts der dem Glücksspiel innewohnenden Gefahren traditionell Einschränkungen unterliegt, wie das zur maßgeblichen Zeit bestehende staatliche Lotteriemonopol zeigt. Unter diesen Umständen sieht der Gerichtshof keine hinreichenden Gründe für die von der Beschwerdeführerin geäußerte Erwartung, sie könne ihrem Geschäft, der Online-Vermittlung von Lotteriespielen, auf Dauer nachgehen. Darüber hinaus stellt der Gerichtshof fest, dass der Staatsvertrag eine Übergangsbestimmung enthielt und der Beschwerdeführerin gestattet wurde, ihre beruflichen Tätigkeiten nach dem Inkrafttreten der neuen Regelungen in zwei der betroffenen Länder für ein weiteres Jahr fortzuführen.
35. Unter diesen Umständen hält der Gerichtshof es nicht für unangemessen, ein Verbot für das Vermitteln von Glücksspielen im Internet aufzustellen. Dies wird nicht durch den Umstand infrage gestellt, dass gemäß dem neuen, am 1. Juni 2012 in Kraft getretenen Staatsvertrag die Erteilung einer Erlaubnis für derartige Tätigkeiten möglich ist, wenn bestimmte Bedingungen erfüllt werden (vgl. Rdnr. 17). Angesichts des weiten Ermessensspielraums, der dem Staat in diesem Bereich zuerkannt wird (siehe Rdnr. 32), sowie der Bedeutung der zu schützenden Interessen, ist der Gerichtshof der Ansicht, dass es keine Anhaltspunkte für eine übermäßige Belastung der Beschwerdeführerin gibt. Eine Verletzung der Rechte der Beschwerdeführerin aus Artikel 1 des Protokolls Nr. 1 zur Konvention ist somit nicht ersichtlich.
36. Daraus folgt, dass diese Rüge offensichtlich unbegründet und nach Artikel 35 Abs. 3 Buchst. a und Abs. 4 der Konvention zurückzuweisen ist.
B. Behauptete Verletzung von Artikel 10 der Konvention
37. Die Beschwerdeführerin rügte ferner, dass die Beschränkungen, die der Staatsvertrag ihrem Recht auf Werbung auferlegt hat, sie in ihrem Recht auf freie Meinungsäußerung nach Artikel 10 der Konvention verletzt haben; dieser lautet wie folgt:
„1. Jede Person hat das Recht auf freie Meinungsäußerung. Dieses Recht schließt die Meinungsfreiheit und die Freiheit ein, Informationen und Ideen ohne behördliche Eingriffe und ohne Rücksicht auf Staatsgrenzen zu empfangen und weiterzugeben. Dieser Artikel hindert die Staaten nicht, für Hörfunk-, Fernseh- oder Kinounternehmen eine Genehmigung vorzuschreiben.
2. Die Ausübung dieser Freiheiten ist mit Pflichten und Verantwortung verbunden; sie kann daher Formvorschriften, Bedingungen, Einschränkungen oder Strafdrohungen unterworfen werden, die gesetzlich vorgesehen und in einer demokratischen Gesellschaft notwendig sind für die nationale Sicherheit, die territoriale Unversehrtheit oder die öffentliche Sicherheit, zur Aufrechterhaltung der Ordnung oder zur Verhütung von Straftaten, zum Schutz der Gesundheit oder der Moral, zum Schutz des guten Rufes oder der Rechte anderer, zur Verhinderung der Verbreitung vertraulicher Informationen oder zur Wahrung der Autorität und der Unparteilichkeit der Rechtsprechung.“
38. Laut Vorbringen der Beschwerdeführerin sind die in § 5 GlüStV vorgesehenen Beschränkungen nicht hinreichend bestimmt. Überdies sei der Eingriff in einer demokratischen Gesellschaft nicht notwendig. Während Werbung für andere Produkte, beispielsweise Sportwetten, möglicherweise suchtgefährdete Personen anspreche, gelte dies nicht für Lotterien. Dennoch würden die Werbebeschränkungen für alle Glücksspielformen gelten, unabhängig davon, welches Suchtpotenzial sie aufwiesen.
39. Der Gerichtshof wiederholt, dass die Staaten bei der Regelung der Meinungsäußerung in geschäftlichen Angelegenheiten oder in der Werbung einen weiten Ermessensspielraum haben (siehe Mouvement raëlien suisse ./. Schweiz [GK], Individualbeschwerde Nr. 16354/06, Rdnr. 61, 13. Juli 2012, sowie die dort zitierte Rechtsprechung). Im Hinblick auf die Behauptung der Beschwerdeführerin, dass die deutschen Behörden „darüber hinwegsehen“ würden, dass die staatlichen Lotterien selbst großangelegte Werbekampagnen in Auftrag geben würden (vgl. Rdnr. 23), stellt der Gerichtshof fest, dass die in § 5 GlüStV vorgesehenen Werbebeschränkungen (siehe Rdnr. 18) für öffentliche und private Vermittler gleichermaßen galten. Selbst wenn es wahr sein sollte, dass die innerstaatlichen Behörden die Umsetzung dieser Vorschriften im öffentlichen Sektor in der Vergangenheit nicht hinreichend überwacht haben, stellt dies die generelle Notwendigkeit des Verbots nicht infrage. Unter Berücksichtigung seiner Feststellungen nach Artikel 1 des Protokolls Nr. 1 (siehe Rdnrn. 33-34) befindet der Gerichtshof, dass ein Eingriff in das Recht der Beschwerdeführerin auf freie Meinungsäußerung nach Artikel 10 Abs. 2 gerechtfertigt, weil in einer demokratischen Gesellschaft notwendig war. Folglich ist nicht ersichtlich, dass Artikel 10 der Konvention verletzt worden ist.
40. Daraus folgt, dass diese Rüge auch offensichtlich unbegründet und nach Artikel 35 Abs. 3 Buchst. a und Abs. 4 der Konvention zurückzuweisen ist.
C. Behauptete Verletzung von Artikel 14 in Verbindung mit Artikel 1 des Protokolls Nr. 1 und Artikel 10 der Konvention
41. Die Beschwerdeführerin rügte schließlich, dass sie als Online-Diensteanbieter im Gegensatz zu Wettbewerbern, die andere Telekommunikationsanlagen nutzten, diskriminiert worden sei. Sie berief sich auf Artikel 14 in Verbindung mit Artikel 1 des Protokolls Nr. 1 und Artikel 10 der Konvention. Artikel 14 der Konvention lautet:
„Der Genuss der in [der] Konvention anerkannten Rechte und Freiheiten ist ohne Diskriminierung insbesondere wegen des Geschlechts, der Rasse, der Hautfarbe, der Sprache, der Religion, der politischen oder sonstigen Anschauung, der nationalen oder sozialen Herkunft, der Zugehörigkeit zu einer nationalen Minderheit, des Vermögens, der Geburt oder eines sonstigen Status zu gewährleisten.“
42. Laut Vorbringen der Beschwerdeführerin gebe es keine stichhaltigen Gründe dafür, die Internetvermittlung anders zu behandeln als das Vermitteln auf dem Postweg oder in Verkaufsstellen. Herkömmliche Verkaufsstellen würden von Privaten betrieben, die, genau wie die Beschwerdeführerin, versuchten, Gewinne zu erwirtschaften. Es mache keinen Unterschied, ob ein Tippschein von Hand oder im Internet ausgefüllt werde. Selbst unter der Annahme, dass von Lotterien eine Suchtgefahr ausgehe, bestehe diese Suchtgefahr unabhängig davon, auf welchem Weg die Scheine vertrieben würden. Von der Internetvermittlung könne keine höhere Suchtgefahr ausgehen, da Verkaufsstellen, wie beispielsweise autorisierte Zeitungsstände, landesweit leicht zugänglich seien. Darüber hinaus würden im Internet Links zu Informationen über Suchtprävention angeboten und strengere Kontrollen zum Schutz Minderjähriger durchgeführt als an herkömmlichen Verkaufsstellen. Es sei nicht ersichtlich, warum solche Maßnahmen während der Übergangsfrist als ausreichend angesehen würden, langfristig jedoch nicht. Ebenso gebe es keine zutreffenden Gründe dafür, Werbung im Internet zu verbieten, aber nicht im Radio oder an herkömmlichen Verkaufsstellen.
43. Der Gerichtshof stellt eingangs fest, dass in dem vorliegenden Fall ein Eingriff in die Eigentumsrechte der Beschwerdeführerin stattgefunden hat. Folglich ist Artikel 14 anwendbar. Nach der ständigen Rechtsprechung des Gerichtshofs liegt Diskriminierung vor, wenn Personen in verhältnismäßig gleichen Situationen ohne sachliche und vernünftige Gründe unterschiedlich behandelt werden. Für eine unterschiedliche Behandlung gibt es keine objektive und angemessene Rechtfertigung, wenn mit ihr kein „legitimes Ziel“ verfolgt wird oder die eingesetzten Mittel zum angestrebten Ziel nicht in einem „angemessenen Verhältnis“ stehen (siehe, u. v. a., Kurić u. a. ./. Slowenien [GK], Individualbeschwerde Nr. 26828/06, Rdnr. 386, ECHR 2012).
44. Was die Umstände des vorliegenden Falles anbelangt, stellt der Gerichtshof zunächst fest, dass die Beschwerdeführerin rügte, als Online-Diensteanbieter gegenüber anderen Wettbewerbern, die dieselben Dienste über herkömmlichere Medien anbieten, diskriminiert worden zu sein. Der Gerichtshof stellt fest, dass das Internet ein Medium mit besonderen Eigenschaften ist; so ist es beispielsweise leicht zugänglich und jederzeit verfügbar. Der Gerichtshof erkennt die Einschätzung der innerstaatlichen Behörden an, dass das Vermitteln von Wetten über dieses Medium anders geartete und größere Gefahren in sich birgt als das Vermitteln über herkömmlichere Medien (vgl. in dieser Hinsicht auch die Rechtsprechung des EuGH, siehe Rdnr. 18(sic)). Der Gerichtshof kommt zu dem Ergebnis, dass die innerstaatlichen Behörden hinreichende Gründe dafür hatten, einen Unterschied zwischen der Vermittlung im Internet und der Vermittlung über andere Medien zu machen.
45. Die Beschwerdeführerin rügte ferner eine Verletzung von Artikel 14 in Verbindung mit Artikel 1 des Protokolls Nr. 1 und Artikel 10 der Konvention, da das Internetvermittlungs- und Werbeverbot für sie genauso gelte wie für Vermittler von Lottospielen mit häufigen Ziehungen und anderen Glücksspielarten. Sie sei daher genauso behandelt worden wie Vermittler tatsächlich gefährlicher Glücksspiele. Diese Behandlung diene in keiner Weise dem erklärten Ziel des Staatsvertrags. Der Gerichtshof weist erneut darauf hin, dass das Recht, bei der Wahrnehmung der in der Konvention garantierten Rechte nicht diskriminiert zu werden, auch dann verletzt werden kann, wenn Staaten ohne eine objektive und vernünftige Rechtfertigung Personen in deutlich unterschiedlichen Situationen nicht unterschiedlich behandeln (siehe Thlimmenos ./. Griechenland [GK], Individualbeschwerde Nr. 34369/97, Rdnr. 44, ECHR 2000-IV). Er ist jedoch der Ansicht, dass die Tatsache, dass die von der Beschwerdeführerin angebotenen Spiele möglicherweise weniger gefährlich sind als andere von dem Verbot betroffene Spiele den Gesetzgeber nicht dazu verpflichtete, Dienste wie die von der Beschwerdeführerin angebotenen von dem Verbot auszunehmen.
46. Der Gerichtshof kommt zu dem Ergebnis, dass es keine Anhaltspunkte für eine diskriminierende, gegen Artikel 14 in Verbindung mit Artikel 1 des Protokolls Nr. 1 und Artikel 10 der Konvention verstoßende Behandlung gibt. Daraus folgt, dass diese Rüge offensichtlich unbegründet und nach Artikel 35 Abs. 3 Buchst. a und Abs. 4 der Konvention zurückzuweisen ist.
Aus diesen Gründen erklärt der Gerichtshof die Beschwerde einstimmig für unzulässig.
Claudia Westerdiek Mark Villiger
Kanzlerin Präsident
Zuletzt aktualisiert am Juli 21, 2021 von eurogesetze
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