KOPPIKAR gegen Deutschland (Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte) Individualbeschwerde Nr. 11858/10

FÜNFTE SEKTION
ENTSCHEIDUNG
Individualbeschwerde Nr. 11858/10
K.
gegen Deutschland

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (Fünfte Sektion) hat in seiner Sitzung am 11. Dezember 2012 als Ausschuss mit der Richterin und den Richtern

André Potocki, Präsident,
Angelika Nußberger,
Aleš Pejchal,
sowie Stephen Phillips, stellvertretender Sektionskanzler,

im Hinblick auf die oben genannte Individualbeschwerde, die am 26. Februar 2010 erhoben wurde,

nach Beratung wie folgt entschieden:

SACHVERHALT

Der 19[…] geborene Beschwerdeführer, Herr K., ist deutscher Staatsangehöriger und in Kolbermoor wohnhaft. Vor dem Gerichtshof wurde er von Herrn R., Rechtsanwalt in B., vertreten.

A. Die Umstände des Falls

Der von dem Beschwerdeführer vorgebrachte Sachverhalt lässt sich wie folgt zusammenfassen.

Der Beschwerdeführer geht davon aus, der biologische Vater eines im September 2006 geborenen Mädchens zu sein, mit dessen Mutter, Frau S., er eine Beziehung unterhielt, die während der Schwangerschaft von Frau S. beendet wurde.

Am 22. Februar 2007 erkannte Herr N. mit Zustimmung von Frau S. die Vaterschaft zu dem Kind an.

Am 3. Juli 2007 erhob der Beschwerdeführer Klage zur Anfechtung der Vaterschaft von Herrn N. und auf Feststellung seiner eigenen Vaterschaft. Im Januar 2008 zogen Frau S. und das Kind zu Herrn N. Am 6. August 2008 heirateten Herr N. und Frau S.

Am 15. Januar 2009 wies das Amtsgericht Rosenheim nach Anhörung der Parteien, einschließlich eines zur Vertretung der Interessen des Kindes bestellten Verfahrenspflegers, aufgrund eines Sachverständigengutachtens den Antrag des Beschwerdeführers zurück. Das Gericht merkte an, dass durch ein Sachverständigengutachten erwiesen worden sei, dass der Beschwerdeführer der leibliche Vater des Kindes sei. Gleichwohl sei der Beschwerdeführer an der Anfechtung der Vaterschaft gehindert, weil zwischen dem Kind und seinem rechtlichen Vater, Herrn N., eine sozial-familiäre Beziehung bestehe. Das Gericht stellte insbesondere fest, dass Herr N. mit Frau S. schon vor der Geburt zusammen gewesen sei und bis zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung, also über zwei Jahre, weiterhin ununterbrochen mit ihr zusammen war. Die Feststellungen des Sachverständigen hätten bestätigt, dass zwischen Herrn N. und dem Kind eine intensive Beziehung bestehe. Im Hinblick auch drauf, dass Herr N. und Frau S. seit Anfang 2008 zusammengelebt und im August 2008 geheiratet hätten, sei nach § 1600 Abs. 3 Satz 2 BGB davon auszugehen, dass zwischen Herrn N. und dem Kind eine sozial-familiäre Beziehung besteht. Der Beschwerdeführer habe keine erheblichen Tatsachen vorgetragen, mit denen diese Annahme widerlegt werden könnte.

Am 26. August 2009 wies das Oberlandesgericht München die Berufung des Beschwerdeführers zurück. Der Beschwerdeführer hat keine Verfassungsbeschwerde erhoben, weil er der Auffassung war, dass eine solche Beschwerde keine Aussicht auf Erfolg habe.

B. Einschlägiges innerstaatliches Recht und Rechtsvergleichung

Das einschlägige innerstaatliche Recht und die Rechtsvergleichung werden in dem Urteil des Gerichtshofs in der Rechtssache A. ./. Deutschland , Individualbeschwerde Nr. 45071/09, Rdnrn. 22 – 28, 22. März 2012, zusammenfassend dargestellt.

RÜGEN

Der Beschwerdeführer rügte nach Artikel 6 und 8 in Verbindung mit Artikel 14 der Konvention, dass er von dem Verfahren zur Feststellung der Vaterschaft des Kindes ausgeschlossen worden sei; darüber hinaus beanstandete er die anschließende Weigerung der nationalen Gerichte, ihm die Möglichkeit zu geben, die Vaterschaft von Herrn N. anzufechten und eine rechtliche Feststellung seiner eigenen Vaterschaft zu erhalten. Ferner rügte er, dass ihm hinsichtlich seiner Vaterschaftsklage der Zugang zu einem fairen Gerichtsverfahren verweigert worden sei.

RECHTLICHE WÜRDIGUNG

I. BEHAUPTETE VERLETZUNG VON ARTIKEL 8 DER KONVENTION

Der Gerichtshof stellt fest, dass die Rüge des Beschwerdeführers in erster Linie nach Artikel 8 der Konvention zu prüfen ist, der wie folgt lautet:

„1. Jede Person hat das Recht auf Achtung ihres Privat- und Familienlebens, ihrer Wohnung und ihrer Korrespondenz.

2. Eine Behörde darf in die Ausübung dieses Rechts nur eingreifen, soweit der Eingriff gesetzlich vorgesehen und in einer demokratischen Gesellschaft notwendig ist für die nationale oder öffentliche Sicherheit, für das wirtschaftliche Wohl des Landes, zur Aufrechterhaltung der Ordnung, zur Verhütung von Straftaten, zum Schutz der Gesundheit oder der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer.“

Der Gerichtshof weist erneut darauf hin, dass er bereits festgestellt hat, dass Artikel 8 so ausgelegt werden kann, als erlege er den Mitgliedstaaten die Verpflichtung auf zu prüfen, ob es dem Kindeswohl entspricht, dem biologischen Vater den Aufbau einer Beziehung zu seinem Kind zu ermöglichen, beispielsweise durch die Gewährung eines Umgangsrechts (siehe A. ./. Deutschland, Individualbeschwerde Nr. 20578/07, Rdnrn. 70-73, 21. Dezember 2010; S. ./. Deutschland, Individualbeschwerde Nr. 17080/07, Rdnr. 103, 15 September 2011; A. ./. Deutschland, a. a. O., Rdnr. 74, 22. März 2012, und K. ./. Deutschland, Individualbeschwerde Nr. 23338/09, Rdnr. 76, 22. März 2012).

Der Gerichtshof hat aber auch entschieden, dass sich daraus nicht notwendigerweise eine konventionsrechtliche Pflicht ergibt, dem angeblichen biologischen Vater die Anfechtung der Vaterschaft des rechtlichen Vaters zu erlauben (siehe A. und K., beide a. a. O., Rdnrn. 74 bzw. 77). Mit Blick insbesondere auf den fehlenden Konsens zwischen den Mitgliedstaaten und auf den größeren Ermessensspielraum, der den Staaten in die rechtliche Stellung betreffenden Fragen zuzubilligen ist, ist der Gerichtshof der Ansicht, dass die Entscheidung, ob dem vermeintlichen biologischen Vater die Vaterschaftsanfechtung zu gestatten war, unter den Umständen der Rechtssachen A. und K. innerhalb des staatlichen Ermessensspielraums lag (siehe A. und K., beide a. a. O., Rdnrn. 75 bzw. 78). Der Gerichtshof ist der Auffassung, dass dieselben Grundsätze im vorliegenden Fall maßgeblich sind.

Hinsichtlich der verfahrensmäßigen Anforderungen des Artikels 8 der Konvention stellt der Gerichtshof fest, dass das über zwei Instanzen geführte vorliegende Verfahrene etwa zwei Jahre und zwei Monate dauerte. Auch unter Berücksichtigung der Bedeutung der Rechtssache für den Beschwerdeführer ist der Gerichtshof überzeugt, dass die nationalen Gerichte das Verfahren mit der in Fällen dieser Art gebotenen besonderen Sorgfalt geführt haben (vgl. A., a. a. O., Rdnr. 78 und die darin aufgeführte Rechtsprechung).

Aus dieser Überlegung ergibt sich, dass in dieser Rechtssache keine Anzeichen für eine Verletzung von Artikel 8 der Konvention vorliegen.

Daraus folgt, dass dieser Teil der Beschwerde offensichtlich unbegründet ist und nach Artikel 35 Abs. 3 Buchstabe a und Abs. 4 der Konvention zurückzuweisen ist.

II. DIE ÜBRIGEN RÜGEN

Der Beschwerdeführer rügte auch, dass ihm unter Verletzung von Artikel 6 Abs. 1 der Konvention der Zugang zu einem fairen Gerichtsverfahren verweigert worden sei. Unter Berufung auf Artikel 14 i. V. m. Artikel 8 und 6 der Konvention rügte er ferner, dass er als biologischer Vater diskriminiert worden sei. Unter Berücksichtigung aller ihm zur Verfügung stehenden Unterlagen und seiner Feststellungen in den Rechtssachen A. und K. (beide a. a. O., Rdnrn. 86-90 bzw. 85-92) stellt der Gerichtshof allerdings fest, dass das Vorbringen des Beschwerdeführers keine Anzeichen für eine Verletzung dieser Konventionsrechte erkennen lässt.

Daraus folgt, dass auch dieser Teil der Beschwerde offensichtlich unbegründet ist und nach Artikel 35 Abs. 3 Buchstabe a und Abs. 4 der Konvention zurückzuweisen ist.

Aus diesen Gründen erklärt der Gerichtshof die Individualbeschwerde einstimmig für unzulässig.

Stephen Phillips                                        André Potocki
Stellvertretender Kanzler                             Präsident

Zuletzt aktualisiert am Juli 21, 2021 von eurogesetze

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