Gericht: Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg 11. Senat
Entscheidungsdatum: 19.05.2021
Aktenzeichen: OVG 11 S 26/20
ECLI: ECLI:DE:OVGBEBB:2021:0519.OVG11S26.20.00
Dokumenttyp: Beschluss
Anfechtbarkeit von Nebenbestimmungen nach § 12 Abs 1 S 1 BImSchG bezüglich Abschaltzeiten zum Schutz von Fledermausarten
Orientierungssatz
1. Da Nebenbestimmungen nach § 12 Abs 1 S 1 BImSchG dazu dienen, tatbestandliche Erteilungshindernisse zu überwinden, erscheint das Abgrenzungsmerkmal ungeeignet, ob der Betrieb der Anlage ohne Beachtung der Nebenbestimmung zu irreversiblen, namentlich artenschutzrechtliche Schäden führen würde.(Rn.38)
2. Der Senat hält an seinem Beschluss vom 15. März 2012 – 11 S 72.10 –, in dem die Anordnung von Abschaltzeiten bei der immissionsschutzrechtlichen Genehmigung einer Windkraftanlage zum Schutz von Fledermäusen nicht als selbstständig anfechtbare Nebenbestimmung, sondern nicht abtrennbare Inhaltsbestimmung des Genehmigungsbescheids angesehen wurde, nicht mehr fest.(Rn.40)
Verfahrensgang
vorgehend VG Cottbus, 20. März 2020, 5 L 368/19
Tenor
Die Beschwerde des Antragsgegners gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Cottbus vom 20. März 2020 wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass unter Nr. 1 der Beschlussformel das Wort „Zwangsgeldfestsetzung“ durch das Wort „Zwangsgeldandrohung“ ersetzt wird.
Die Kosten der Beschwerde trägt der Antragsgegner.
Der Wert des Beschwerdegegenstandes wird auf 142.725,00 EUR festgesetzt.
Gründe
1. Durch Bescheid vom 5. Januar 2007 erteilte der Antragsgegner der Antragstellerin nach § 4 BImSchG die Genehmigung zur Errichtung und zum Betrieb von 11 im einzelnen bezeichneten Windkraftanlagen. Der Bescheid enthielt unter anderem die Nebenbestimmung:
2. „I.V. 9.10
3. Zur Vermeidung von Beeinträchtigungen der Fledermäuse sind die WKA 2, 3, 5, 6, 7, 8 und 10 jeweils vom 15.06. bis 01.09. von Sonnenuntergang bis 2:00 Uhr abzuschalten. Mit diesem Zeitintervall wird die Hauptbetroffenheit der Fledermausfauna abgedeckt.
4. Bei Vorlage eines ergänzenden Fledermausgutachtens (Anforderungen entsprechend Hinweis 34) mit Betrachtung der Eingriffssituation und der Kompensationsmaßnahmen für die Fledermäuse kann über die Notwendigkeit und den Umfang der Abschaltzeiten erneut befunden werden.“
5. Mit Bescheid vom 11. Oktober 2007 wurde eine wesentliche Änderung der genannten WKA genehmigt und unter anderem die Fortgeltung der Nebenbestimmung IV. 9.10 angeordnet.
6. Der auf den unter anderem die Festlegung der Abschaltzeiten betreffenden Widerspruch der Antragstellerin erlassene Widerspruchsbescheid des Antragsgegners vom 9. Juli 2018 enthält unter anderem folgende Bestimmungen:
7. „Die Nebenbestimmung Nr. IV. 9 der Änderungsgenehmigung Nr. 50.023.Ä0/07/0106.2/RS [wird] wie folgt geändert:
8. „Die NB 9.1, 9.3 – 9.6 und 9.8 der Ursprungsgenehmigung Nr. 50.069.00/05/05-0106.2/RS vom 05.01.2007 gelten fort. Die NB 9.2, 9.7, 9.9 und die Inhaltsbestimmung 9.10 werden wir folgt neu gefasst:
9. „…9.10 Die WEA 1 bis 11 sind im Zeitraum vom 15. Juli bis 15. September eine Stunde vor Sonnenuntergang bis eine Stunde vor Sonnenaufgang unter folgenden Voraussetzungen, die zusammen vorliegen müssen, abzuschalten:
10. o bei Windgeschwindigkeiten in Gondelhöhe unterhalb von 5,0 m/s
11. o bei einer Lufttemperatur 10°C im Windpark
12. o kein Niederschlag.
13. Die Einhaltung der Abschaltzeitenregelung zur Verringerung des Kollisions- und Tötungsrisikos für Fledermäuse ist dem LfU, Referat N1 jährlich nachzuweisen. Dafür werden die vollständigen Laufzeitprotokolle (10-min-Datensatz) im .csv oder .xls-Format benötigt. Erforderlich sind Angaben zu
14. Temperatur, Windgeschwindigkeit, Niederschlag (sofern niederschlagabhängig abgeschaltet wird),
15. – Sonnenauf- und Sonnenuntergang sowie dem Status der jeweiligen WEA (über Rotordrehzahl und Leistung).
16. Ferner sind alle Werte / Daten (auch Datum und Uhrzeit) jeweils in getrennten Spalten darzustellen. Des Weiteren ist ein eindeutiger Bezug der Abschaltprotokolle zu den einzelnen genehmigten WEA herzustellen.
17. Die Protokolle sind jeweils bis zum 15.11. des betreffenden Abschaltjahres per E-Mail und unter Angabe der Registriernummer des Genehmigungsverfahrens an folgende Adresse zu senden: n1@lfu.brandenburg.de.“
18. Die Antragstellerin hat gegen die Abschaltvorgaben in Gestalt des Widerspruchsbescheids Klage erhoben, die bei dem Verwaltungsgericht unter dem Geschäftszeichen 5 K 1483/18 anhängig ist.
19. Mit Bescheid vom 8. Juli 2019 ordnete der Antragsgegner unter Berufung auf § 20 Abs. 2 S. 1 BImSchG Folgendes an:
20. „1. Teilstilllegungsverfügung
21. Die durch Sie betriebenen Windenergieanlagen 1 – 11 am Standort … sind im Zeitraum vom 15. Juli bis 15. September eine Stunde vor Sonnenuntergang bis eine Stunde vor Sonnenaufgang unter folgenden Voraussetzungen, die zusammen vorliegen müssen, abzuschalten:
22. – Bei Windgeschwindigkeiten in Gondelhöhe unterhalb von 5,0 m/s
23. – bei einer Lufttemperatur >10°C im Windpark
24. – kein Niederschlag.
25. 2. Zwangsgeldfestsetzung
26. Sollten Sie gegen die unter Ziff. I.1 getroffene Anordnung verstoßen, drohe ich Ihnen hiermit die Festsetzung eines Zwangsgeldes i.H.v. 10.000 € (zehntausend Euro) an.
27. 3. Anordnung der sofortigen Vollziehung
28. Die sofortige Vollziehung dieser Verfügung zur Ziff. I.1 ordne ich gemäß § 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO an.
29. …“
30. Durch Beschluss vom 20. März 2020 hat das Verwaltungsgericht die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs der Antragstellerin gegen die Teilstilllegungsverfügung vom 8. Juli 2019 wiederhergestellt sowie „gegen die ebenfalls im Bescheid enthaltene Zwangsgeldfestsetzung angeordnet.“ Zur Begründung hat das Verwaltungsgericht unter anderem ausgeführt: Entgegen der Ansicht des Antragsgegners habe dieser der Antragstellerin die immissionsschutzrechtliche Genehmigung zeitlich unbeschränkt erteilt. Die hier streitgegenständliche Nebenbestimmung Nr. 9.10, die Abschaltzeiten zum Schutz der Fledermäuse an den 11 Windenergieanlagen festsetze, entfalte – noch – keine rechtliche Verbindlichkeit. Für die Anlagen 1, 4 und 9 gelte dies unabhängig von der zwischen den Beteiligten streitigen Einordnung der Nebenbestimmung als Auflage oder zeitliche Beschränkung des genehmigten Anlagenbetriebs, weil die erstmals im Widerspruchsbescheid verfügte Abschaltzeit wegen der aufschiebenden Wirkung der Klage (gemeint: keine) Geltung beanspruchen könne. Ebenso wenig würden die übrigen Anlagen ohne die erforderliche Genehmigung betrieben. Die in der Ausgangs- und Änderungsgenehmigung vorgesehenen Abschaltzeiten seien als Auflagen zu qualifizieren. Wegen der aufschiebenden Wirkung der Klage seien sie derzeit unbeachtlich. Gleiches gelte für den Widerspruchsbescheid, der die Auflage in eine Inhaltsbestimmung habe verwandeln sollen.
II.
31. Die Beschwerde des Antragsgegners bleibt ohne Erfolg, weil ihre Begründung eine Änderung des angefochtenen Beschlusses nicht rechtfertigt (§ 146 Abs. 4 VwGO).
32. 1. Soweit der Antragsgegner beanstandet, das Verwaltungsgericht habe ihn mit einer veralteten Behördenbezeichnung rubriziert, ist dieser Fehler nicht ergebnisrelevant und im Rubrum des vorliegenden Senatsbeschlusses korrigiert.
33. 2. Die Rüge des Antragsgegners, das Verwaltungsgericht habe nicht die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs der Antragstellerin gegen die im Bescheid des Antragsgegners vom 8. Juli 2019 „enthaltene Zwangsgeldfestsetzung“ anordnen dürfen, weil dieser Bescheid lediglich eine Zwangsgeldandrohung enthalte, ist zwar insoweit zutreffend, als das Verwaltungsgericht die Falschbezeichnung unter Ziff. I.2 des Bescheides vom 8. Juli 2019 übernommen hat. Sie führt aber lediglich zu der in die Beschlussformel des vorliegenden Beschlusses aufgenommenen Maßgabe, weil die vom Antragsgegner im Bescheid vom 8. Juli 2019 der Sache nach verfügte Zwangsgeldandrohung, soweit hier relevant, rechtlich nicht anders zu behandeln ist als eine vom Verwaltungsgericht angenommene Zwangsgeldfestsetzung.
34. 3. Die Einwände des Antragsgegners gegen die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs der Antragstellerin gegen die Teilstilllegung (Ziff. I.1 des Bescheides vom 8. Juli 2019) greifen nicht durch.
35. 3.1. Sein Einwand, das Verwaltungsgericht habe zu Unrecht angenommen, dass die streitgegenständliche Regelung IV.9.10. bezüglich der 11 WKA noch keine „rechtliche Verbindlichkeit“ entfalte, weil der Widerspruchsbescheid vom 9. Juli 2018 mit seiner Bekanntgabe gemäß § 41 Abs. 1 i.V.m. § 43 Abs. 1 S. 1 VwVfG wirksam geworden sei, verfängt nicht, weil es im Ergebnis allein darauf ankommt, ob die Vollziehbarkeit der vom Verwaltungsgericht als Nebenbestimmung qualifizierten Abschaltzeitenregelung aufgrund der Klage 5 K 1483/18 der Antragstellerin gemäß § 80 Abs. 1 VwGO gehemmt ist. Hiervon geht selbst der Antragsgegner aus und anders ist auch der angefochtene Beschluss des Verwaltungsgerichts nicht zu verstehen (vgl. nur Beschlussabdruck Seite 3, vorvorletzter und vorletzter Absatz).
36. 3.2. Es kann dahinstehen, ob die aufschiebende Wirkung der Klage 5 K 1483/18 hinsichtlich der WKA 1, 4 und 9, wie vom Verwaltungsgericht angenommen, bereits daraus folgt, dass hinsichtlich dieser Anlagen Abschaltzeiten erstmals im Widerspruchsbescheid verfügt wurden. Denn hinsichtlich aller 11 WKA ist bei summarischer Prüfung anzunehmen, dass die in Rede stehende Nebenbestimmung IV.9.10 selbstständig anfechtbar ist und die durch die Antragstellerin gegen sie erhobene Klage gemäß § 80 Abs. 1 S. 1 VwGO aufschiebende Wirkung entfaltet, weil der Antragsgegner ihre sofortige Vollziehung nicht angeordnet hat. Deshalb kommt es auch nicht auf die vom Antragsgegner erörterte Frage an, ob der Widerspruchsbescheid eine nach den Grundsätzen der Reformatio in peius zulässige Verschärfung beinhaltet.
37. 3.2.1. Die Voraussetzungen der isolierten Anfechtbarkeit von Nebenbestimmungen sind in der höchstrichterlichen Rechtsprechung geklärt. Eine isolierte Anfechtung von belastenden Nebenbestimmungen ist gemäß § 42 Abs. 1 VwGO grundsätzlich statthaft. Ob eine Nebenbestimmung isoliert aufgehoben werden kann, hängt davon ab, ob der Verwaltungsakt ohne sie sinnvoller- und rechtmäßiger Weise bestehen bleiben kann. Dies ist eine Frage der Begründetheit des Anfechtungsbegehrens, sofern eine isolierte Aufhebbarkeit nicht offenkundig von vornherein ausscheidet. Letzteres ist der Fall, wenn die fragliche Bestimmung den Regelungsgehalt des Hauptverwaltungsakts definiert oder modifiziert, sogenannte Inhaltsbestimmung (vgl. BVerwG, Beschluss vom 31. Januar 2019 – 8 B 10/18 –, Rn. 5, juris, m.w.N.).
38. Demgegenüber scheidet eine selbständige Anfechtbarkeit von Nebenbestimmungen nicht schon deshalb aus, weil diese und der Hauptverwaltungsakt aufgrund einer einheitlichen Ermessensentscheidung ergangen sind. Auch ist eine isolierte Anfechtbarkeit nicht offenkundig von vornherein ausgeschlossen, wenn die Nebenbestimmung erforderlich ist, um Voraussetzungen für den Erlass des Verwaltungsaktes herbeizuführen oder einen gesetzlichen Versagungsgrund auszuräumen (vgl. Senatsbeschluss vom 28. September 2020 – 11 N 39.17 –, Rn. 9 f., juris, m.w.N.). Dies folgt, wie das Verwaltungsgericht zutreffend ausgeführt hat, vorliegend bereits aus § 12 Abs. 1 S. 1 BImSchG, wonach die Genehmigung unter Bedingungen erteilt oder mit Auflagen verbunden werden kann, soweit dies erforderlich ist, um die Erfüllung der in § 6 BImSchG genannten Genehmigungsvoraussetzungen sicherzustellen (vgl. allgemein auch § 36 Abs. 1 VwVfG). Insoweit überzeugt bei summarischer Prüfung auch das Argument des Antragsgegners nicht, eine untrennbare Verknüpfung mit dem Genehmigungsinhalt lasse sich daraus ableiten, dass die Abschaltzeitenfestsetzung einen Verstoß gegen das artenschutzrechtliche Tötungsverbot verhindern soll. Da Nebenbestimmungen nach § 12 Abs. 1 S. 1 BImSchG dazu dienen, tatbestandliche Erteilungshindernisse zu überwinden, erscheint auch das vom Antragsgegner angeführte Abgrenzungsmerkmal ungeeignet, ob der Betrieb der Anlage ohne Beachtung der Nebenbestimmung zu irreversiblen, namentlich artenschutzrechtliche Schäden führen würde, worin der Antragsgegner in Anknüpfung an die nicht näher erläuterte Formulierung des Verwaltungsgerichts „darüberhinausgehende Umstände“ erblickt, die derart wesentlich seien, dass mit ihnen die Genehmigung „steht und fällt“.
39. 3.2.2 Auch der Verweis des Antragsgegners auf den Beschluss des Senats vom 15. März 2012 – 11 S 72.10 – (Rn. 8 ff., juris) rechtfertigt keine Änderung des erstinstanzlichen Verfahrensausgangs. Der Senat hatte darin ausgeführt, das Verwaltungsgericht habe unter umfassender Heranziehung der Rechtsprechung, insbesondere auch der des Bundesverwaltungsgerichts zur Abgrenzung einer bloß inhaltlich eingeschränkten Erteilung einer Genehmigung dargelegt, dass die angegriffene Feststellung von Fledermausabschaltzeiten im Rahmen der Erteilung der immissionsschutzrechtlichen Genehmigung keine selbstständige, isoliert mit Widerspruch und Anfechtungsklage angreifbare Begleitpflicht darstelle. Vielmehr sei die Genehmigung in ihrem zeitlichen Umfang begrenzt erteilt worden. Damit aber sei die angegriffene Regelung als Inhaltsbestimmung ein nicht sinnvoll abteilbarer, integraler Bestandteil der Genehmigung, so dass ein Anspruch auf Erteilung einer unbeschränkten Genehmigung in der Hauptsache nur mit der Verpflichtungsklage und im vorläufigen Rechtsschutzverfahren nur mittels einstweiliger Anordnung erreicht werden könne. Hiergegen sei bei summarischer Prüfung auch in Würdigung der Beschwerdebegründung nichts zu erinnern. Die angegriffenen Nebenbestimmung schränke die der Antragstellerin erteilte immissionsschutzrechtliche Erlaubnis zum Betrieb der Anlage in zeitlicher Hinsicht ein. Die Durchsetzung der Abschaltzeiten bedürfe gerade keiner selbstständigen Vollstreckungsmaßnahmen; vielmehr würde die Antragstellerin die WKA während dieser Zeiten schon aufgrund des Inhalts des Genehmigungsbescheides ungenehmigt betreiben. Würde diese Nebenbestimmung in der Hauptsache gemäß § 113 Abs. 1 S. 1 VwGO aufgehoben oder im Wege des vorläufigen Rechtsschutzes gemäß § 80 VwGO suspendiert, so wurde die Antragstellerin eine zeitlich unbeschränkte und damit inhaltlich veränderte Genehmigung erhalten.
40. Hieran hält der beschließende Senat nach erneuter, wenngleich wiederum summarischer Prüfung für Abschaltverpflichtungen der vorliegenden Art nicht mehr fest, denn es erweist sich nicht als offenkundig, dass deren isolierte Anfechtbarkeit von vornherein ausscheidet.
41. 3.2.2.1 Gegen die Annahme einer Inhaltsbestimmung im Sinne einer zeitlichen Beschränkung mit der Folge des automatischen Fehlens der Betriebsgenehmigung während der in der angegriffenen Nebenbestimmung definierten Zeiträume sprechen bereits gesetzessystematische Gründe. § 12 Abs. 1 S. 1 BImSchG sieht vor, dass die Genehmigung unter Bedingungen erteilt und mit Auflagen verbunden werden kann. Der Begriff der Bedingung ist in § 36 Abs. 2 Nr. 2 VwVfG legal definiert als eine Bestimmung, nach der der Eintritt oder der Wegfall einer Vergünstigung oder einer Belastung von einem ungewissen Eintritt eines zukünftigen Ereignisses abhängt. Wird eine Genehmigung unter einer Bedingung erteilt, so tritt ihre innere Wirksamkeit mit dem Eintritt des Ereignisses ein (aufschiebende Bedingung) bzw. sie endet mit dessen Eintritt (auflösende Bedingung). Ferner kann die Genehmigung gemäß § 12 Abs. 2 BImSchG auf Antrag für einen bestimmten Zeitraum erteilt werden. Eine derartige Befristung knüpft den Beginn bzw. das Ende der Wirksamkeit der Genehmigung an einen feststehenden Zeitpunkt oder die Dauer der Wirksamkeit an einen bestimmten Zeitraum (§ 36 Abs. 2 Nr. 1 VwVfG). Der Antragsgegner erstrebt mit der streitgegenständlichen Nebenbestimmung eine Regelung, die verschiedene dieser Elemente miteinander kombiniert. Zum einen ist er der Auffassung, dass die innere Wirksamkeit der Genehmigung wiederholt enden und sodann wiederaufleben soll. Zum anderen knüpft er die aus seiner Sicht gegebene zeitliche Beschränkung nicht nur an bestimmte feststehende Zeiträume (15. Juli bis 15. September 1 Stunde vor Sonnenuntergang bis 1 Stunde vor Sonnenaufgang), sondern zusätzlich an den Eintritt ungewisser Ereignisse, nämlich bestimmter meteorologischer Voraussetzungen, die, zumal in ihrem Zusammenwirken, nicht präzise vorausgesagt werden können. Insoweit unterscheidet sich der vorliegende Fall auch von den Sachverhaltskonstellationen, die den vom Verwaltungsgericht Cottbus in seinem Beschluss vom 4. November 2010 (4 L 341/09) angeführten Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts vom 14. November 2007 – 6 C 8/07 – (unbedingte Begrenzung der waffenrechtlichen Erwerbserlaubnis auf nicht mehr als 2 Waffen innerhalb von 6 Monaten) sowie vom 17. Juni 1999 – 3 C 20/98 – (nicht an Bedingungen geknüpfte, nach Wochentag und Uhrzeit bestimmte Betriebszeitenregelungen für den Einsatz von Rettungsdienstfahrzeugen) sowie der Entscheidung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs – 22 C 96.2688 – (allein nach Wochentag und Uhrzeit definierte Betriebszeitenregelung für Motorsportanlage) zugrunde lagen.
42. Vor allem aber erfordert die streitgegenständliche Nebenbestimmung von der Antragstellerin als Genehmigungsinhaberin ein aktives Tun, nämlich den Eintritt der jeweiligen Witterungs“bedingungen“, und sei es automatisiert, zu kontrollieren und darauf jeweils zu reagieren. Demgemäß hat der Antragsgegner in der streitgegenständlichen Nebenbestimmung auch ausdrücklich die Pflicht der Antragstellerin geregelt, die WEA 1-11 jeweils „abzuschalten“. Damit erlegt der Antragsgegner der Antragstellerin (wiederholte) Handlungspflichten auf, die typischerweise eine Auflage im Sinne von § 36 Abs. 2 Nr. 4 VwVfG kennzeichnen. Überdies enthält die streitgegenständliche Nebenbestimmung differenzierte Regelungen zum Nachweis der Einhaltung der Abschaltzeitenregelung durch die Antragstellerin und statuiert auch insoweit selbstständige Handlungspflichten, die nur als Auflagen angesehen werden können. Zwar erscheint es nicht ausgeschlossen, gesonderte Auflagen zum Nachweis der Einhaltung einer Inhaltsbestimmung zu erlassen. Die zusammenhängenden Regelungen der Nebenbestimmung IV. 9.10 zeigen aber, dass der Antragsgegner der Antragstellerin insgesamt Handlungspflichten auferlegt hat.
43. 3.2.2.2 Darüber hinaus sprechen Gründe der Rechtssicherheit für eine Einordnung der streitgegenständlichen Nebenbestimmung als Auflage. Denn die Verknüpfung der inneren Wirksamkeit der Betriebsgenehmigung mit Bedingungen, deren Eintritt, zeitliche Dauer und Häufigkeit naturgemäß nicht präzise vorherbestimmt werden können, würde den jeweiligen Genehmigungsstatus von Umständen abhängig machen, die der Antragsgegner selbst auch gar nicht kontrollieren, sondern sich im Nachhinein jährlich durch die Antragstellerin nachweisen lassen will. Dabei spricht die Komplexität der der Antragstellerin auferlegten Nachweise (vollständige Laufzeitprotokolle [10-Minuten-Datensatz] mit Angaben zu Temperatur, Windgeschwindigkeit Niederschlag [sofern niederschlagabhängig abgeschaltet wird], Sonnenauf- und Sonnenuntergang sowie dem Status der jeweiligen WEA [über Rotordrehzahl und Leistung]) dafür, dass auch der Antragsgegner allenfalls eine stichprobenartige nachgängige Kontrolle der Einhaltung der Abschaltregelung beabsichtigen dürfte, obgleich er die Rechtsauffassung vertritt, dass jeglicher Verstoß gegen diese Regelung einen genehmigungslosen Betrieb darstellen soll.
44. 3.2.2.3 Es ist bei summarischer Prüfung auch sonst nicht offenkundig, dass die in Rede stehende Nebenbestimmung den Regelungsgehalt der der Antragstellerin erteilten immissionsschutzrechtlichen Genehmigung definiert oder modifiziert. Der Antragstellerin ist die Genehmigung zur Errichtung und zum Betrieb von nicht mehr als 20 Windkraftanlagen mit einer Gesamthöhe von jeweils mehr als 50 m im Sinne von Nr. 1.6.2 des Anhangs 1 zur 4. BImSchV erteilt worden. An dieser grundsätzlichen Klassifizierung ändert die streitgegenständlichen Abschaltverpflichtung nichts. Sie führt auch nicht dazu, dass der Antragstellerin eine von ihr nicht beantragte Genehmigung (aliud) erteilt worden wäre, denn es ist nicht ersichtlich, dass die in Rede stehende Nebenbestimmung die von der Antragstellerin beantragte und ihr erteilte immissionsschutzrechtliche Genehmigung zur Errichtung und zum Betrieb von 11 Windkraftanlagen qualitativ ändert. Ebenso wenig führt sie zu einer unmittelbaren Festlegung des Genehmigungsgegenstands in räumlicher oder sachlicher Hinsicht (vgl. Thüringer Oberverwaltungsgericht, Beschluss vom 10. Februar 2015 – 1 EO 356/14 -, Rn. 41, juris). Die vom Antragsgegner angesprochene Frage, ob die Genehmigung auch ohne die Abschaltzeitenregelung sinnvoller und rechtmäßiger Weise bestehen bleiben könnte, ist, wie bereits dargelegt, der Begründetheit der bei dem Verwaltungsgericht anhängigen Klage 5 K 1483/18 zuzuordnen.
45. 3.2.3 Schließlich ist die streitgegenständliche Nebenbestimmung auch nicht deshalb als eine die isolierte Anfechtbarkeit offensichtlich ausschließende Inhaltsbestimmung zu qualifizieren, weil sie im Widerspruchsbescheid des Antragsgegners als eine solche bezeichnet und in der Begründung des Widerspruchsbescheides entsprechend proklamiert wird. Bei der Abgrenzung zwischen einer selbständig anfechtbaren Nebenbestimmung und einer Inhaltsbestimmung kommt es auf den Erklärungswert des Genehmigungsbescheides an, wie er sich bei objektiver Betrachtung aus der Sicht des Empfängers darstellt. Dabei ist die sprachliche Bezeichnung einer Regelung allein nicht entscheidend (vgl. Thüringer Oberverwaltungsgericht, Beschluss vom 10. Februar 2015 – 1 EO 356/14 –, Rn. 41, juris). Ob in Fällen, in denen sich die an das jeweilige Vorhaben zu stellenden Anforderungen nicht zweifelsfrei entweder als Inhaltsbestimmungen oder als zur Genehmigung hinzutretende Nebenbestimmungen einordnen lassen, der Genehmigungsbehörde ein gewisser Gestaltungsspielraum einzuräumen und sie befugt ist, selbst zu entscheiden, mit welchen Mitteln sie die Einhaltung der jeweiligen Genehmigungsvoraussetzungen gewährleisten will (so Thüringer Oberverwaltungsgericht, Beschluss vom 10. Februar 2015 – 1 EO 356/14 -, Rn. 44, juris, sowie sich dem anschließend Oberverwaltungsgericht des Landes Sachsen-Anhalt, Urteil vom 20. April 2016 – 2 L 64/14 –, Rn. 48, juris), bedarf hier keiner Entscheidung. Denn unabhängig davon, dass der Antragsgegner die Nebenbestimmung IV.9.10 auch im Widerspruchsbescheid ausdrücklich auf § 12 Abs. 1 S. 1 BImSchG gestützt hat (vgl. dazu Thüringer Oberverwaltungsgericht, a.a.O., Rn. 45, juris; Oberverwaltungsgerichts des Landes Sachsen-Anhalt, a.a.O., Rn. 48, juris), vermag ihre Bezeichnung als „Inhaltsbestimmung“ sowie die im Widerspruchsbescheid getroffene Feststellung, dass es sich nach Ansicht des Antragsgegners „um keine selbstständige, isoliert mit Widerspruch angreifbare Begleitpflicht“ handele, nichts daran zu ändern, dass der Antragstellerin in der Nebenbestimmung eindeutig Handlungspflichten auferlegt worden sind, nämlich die WEA während bestimmter Zeiträume bei gleichzeitigem Vorliegen der bezeichneten Witterungsbedingungen „abzuschalten“ und die Einhaltung dieser Vorgaben in differenzierter Weise „jährlich nachzuweisen.“
46. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 1 GKG.
47. Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5 i.V.m. § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).
Zuletzt aktualisiert am Juli 21, 2021 von eurogesetze
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