Streitwert – Berücksichtigung Hilfsanträge

Gericht: LArbG Berlin-Brandenburg 26. Kammer
Entscheidungsdatum: 27.05.2021
Rechtskraft: ja
Aktenzeichen: 26 Ta (Kost) 6052/21
ECLI: ECLI:DE:LAGBEBB:2021:0527.26TA.KOST6052.21.00
Dokumenttyp: Beschluss

Streitwert – Berücksichtigung Hilfsanträge

Leitsatz

1. Eine erstinstanzliche Entscheidung über Hilfsanträge ist für die Berechnung des erstinstanzlichen Gebührenstreitwerts unerheblich, wenn in einer Rechtsmittelinstanz letztlich den Hauptanträgen stattgegeben wird (vgl. BAG 21. Januar 2021 – 6 AZR 126/20; 17. Dezember 2015 – 2 AZR 304/15, Rn. 30; BGH 13. September 2016 – VII ZR 17/14, Rn. 18, mwN).(Rn.7)

2. Der Umstand, dass das Arbeitsgericht entgegen § 308 ZPO über einen unechten Hilfsantrag entschieden hat, bewirkt nicht seine Berücksichtigung im Rahmen der Streitwertbemessung.(Rn.8) Überschreitet das Gericht den gestellten Antrag in der irrigen Annahme, sich noch in dessen Rahmen zu halten, so ist für den Streitwert nicht die irrtümliche Entscheidung des Gerichts, sondern gemäß § 40 GKG der Antrag der Partei maßgebend (vgl. LAG Berlin-Brandenburg 27. April 2021 – 17 Ta (Kost) 6033/21; 11. Mai 2021 – 26 Ta (Kost) 6034/21).(Rn.13)

3. Zur kostenrechtlichen Bewertung eines Weiterbeschäftigungsantrags (Fortführung zu LAG Berlin-Brandenburg 17. Dezember 2020 – 26 Ta (Kost) 6098/20).(Rn.9)

Verfahrensgang

vorgehend ArbG Berlin, 11. März 2021, 38 Ca 2410/18, Beschluss

Tenor

Die Beschwerde der Prozessbevollmächtigten der Klägerin gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Berlin vom 11. März 2021 – 38 Ca 2410/18 – wird zurückgewiesen.

Gründe

I.

1. Die Parteien haben erst- und zweitinstanzlich mit einem Hauptantrag über die Wirksamkeit einer Kündigung gestritten. Daneben hat die klagende Partei erst- und zweitinstanzlich einen allgemeinen Feststellungsantrag gestellt bzw. angekündigt. Mit einem weiteren Hauptantrag hat sie in beiden Instanzen Auskunft darüber begehrt, welchem Betriebsteil sie zugeordnet gewesen und auf wen dieser Betriebsteil übergegangen sei. Außerdem hat die klagende Partei Hilfsanträge gestellt, auf Zahlung eines Nachteilsausgleichs und auf Abgabe eines Angebots auf Abschluss eines Fortsetzungsvertrages. Darüber hinaus hat sie erstinstanzlich einen Antrag auf Weiterbeschäftigung gestellt. Die klagende Partei hat das Klageziel insoweit mit folgendem Antrag verfolgt:

2. „Für den Fall, dass der Beklagte im Gütetermin nicht zu Protokoll erklärt, dass er die Klagepartei im Falle des Obsiegens in der 1. Instanz bis zur Rechtskraft vertragsgerecht weiter beschäftigt und der Gütetermin erfolglos bleibt, wird folgender Antrag gestellt:
3. Der Beklagte wird verurteilt, die Klagepartei bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens zu unveränderten Arbeitsbedingungen als Flugbegleiter auf den Mustern der A 320 Familie/A330 mit der Zusatzfunktion Performance and Leaderchip Coach im Flugbetrieb der Insolvenzschuldnerin im Flugbetrieb der Insolvenzschuldnerin weiter zu beschäftigen.“

3. Das Arbeitsgericht hat die Klage hinsichtlich sämtlicher Anträge abgewiesen. Es hat den Wert der Beschwer in dem Urteil auf 76.245 Euro festgesetzt. Das durchschnittliche Bruttoeinkommen der klagenden Partei betrug 4.485 Euro. Die klagende Partei hat das Urteil, soweit es den Weiterbeschäftigungsantrag betrifft, mit der Berufung nicht angegriffen.

4. Der Beklagte hat in Bezug auf den Kündigungsschutzantrag in der Berufungsinstanz ein Anerkenntnis abgegeben. Die klagende Partei hat die Berufung hinsichtlich des allgemeinen Feststellungsantrags und hinsichtlich des Auskunftsantrags zurückgenommen. Das Landesarbeitsgericht hat durch Anerkenntnisurteil entschieden. Auf Antrag des Klägervertreters hat das Arbeitsgericht den Gebührenstreitwert auf 15.697 Euro festgesetzt, ein Vierteljahreseinkommen hinsichtlich des Kündigungsschutzantrags und ½ Bruttoeinkommen hinsichtlich des Auskunftsantrags. Die Berücksichtigung der übrigen Anträge hat das Arbeitsgericht bei der Streitwertbemessung abgelehnt.

5. Die Prozessbevollmächtigten der klagenden Partei begehren im Rahmen der Streitwertbeschwerde Heraufsetzung des erstinstanzlichen Streitwerts auf 56.062,50 Euro, dh auf insgesamt 12,5 Bruttoeinkommen (ein Bruttoeinkommen für den Weiterbeschäftigungsantrag, 11 Bruttoeinkommen für den Antrag auf Nachteilsausgleich und wohl ½ Bruttoeinkommen für den Auskunftsantrag). An sich habe das Arbeitsgericht den Streitwert in seinem Urteil aber bereits rechtskräftig festgesetzt.

II.

6. Die zulässige Beschwerde ist unbegründet. Das Arbeitsgericht hat den Gebührenstreitwert zutreffend berechnet. Der Kündigungsschutzantrag war dabei mit einem Vierteljahreseinkommen zu berücksichtigen und der Auskunftsantrag mit einem halben Bruttoeinkommen (vgl. LAG Berlin-Brandenburg 6. September 2019 – 26 Ta (Kost) 6012/19, Rn. 33), der allgemeine Feststellungsantrag hat den Streitwert nicht erhöht. Die Hilfsanträge, darunter der Weiterbeschäftigungsantrag, waren bei der Berechnung des Streitwerts nicht zu berücksichtigen.

7. 1) Auf den erstinstanzlichen Gebührenstreitwert wirken sich die (echten) Hilfsanträge (Nachteilsausgleich, Wiedereinstellung) nicht aus. Die Gebührenstreitwerte richten sich auch insoweit nach den Hauptanträgen, und zwar unabhängig davon, dass erstinstanzlich auch über die Hilfsanträge entschieden worden ist. Die Frage ist allerdings umstritten (vgl. dazu ausführlich Frank, Anspruchsmehrheiten im Streitwertrecht, S. 254 ff.). Sowohl das BAG (21. Januar 2021 – 6 AZR 126/20; 17. Dezember 2015 – 2 AZR 304/15, Rn. 30) als auch der BGH (13. September 2016 – VII ZR 17/14, Rn. 18, mwN) haben sich der auch hier vertretenen Auffassung angeschlossen, wonach es letztlich nicht entscheidend darauf ankommt, inwieweit in den Instanzen Arbeit aufgewandt worden ist, um zu einem (aus Sicht der letzten Instanz unrichtigen) Ergebnis zu gelangen. Maßgeblich ist das endgültige Unterliegen und Obsiegen der Parteien. Wie sich auch aus der Wertung des § 30 GKG ergibt, soll die durch die gerichtliche Entscheidung begründete Kostentragungspflicht erlöschen, soweit die Entscheidung durch eine andere gerichtliche Entscheidung aufgehoben oder abgeändert wird. Hat das Gericht falsch entschieden, soll das bei den echten Hilfsanträgen nicht zu einer Kostenbelastung führen (zutreffend: Frank, aaO, S. 254 ff.).

8. 2) Das gilt hier auch für den Weiterbeschäftigungsantrag. Der Umstand, dass das Arbeitsgericht entgegen § 308 ZPO über den Weiterbeschäftigungsantrag (unechter Hilfsantrag) entschieden hat, bewirkt nicht seine Berücksichtigung im Rahmen der Streitwertbemessung.

9. a) Nach der Rechtsprechung des erkennenden Gerichts ist bei einem unbedingt formulierten Antrag anzunehmen, dass dieser auch als solcher gewollt ist (vgl. LAG Berlin-Brandenburg 4. Dezember 2015 – 17 Ta (Kost) 6104/15; 27. Juni 2018 – 26 Ta (Kost) 6092/18). Davon ist auszugehen, wenn zur Begründung ausdrücklich auf die Unbedingtheit hingewiesen wird (so auch BAG 5. Dezember 2019 – 2 AZR 240/19, Rn. 118). Unabhängig davon kann der Antrag immer als unbedingter Antrag angesehen werden, wenn sich die klagende Partei auf einen Widerspruch des Betriebsrats mit den sich aus § 102 Abs. 5 BetrVG ergebenden Rechtsfolgen beruft. In diesem Fall ist die Entscheidung über den Weiterbeschäftigungsantrag von der Entscheidung über den Kündigungsschutzantrag nicht abhängig. Anders ist zu entscheiden, wenn sich aus der Klagebegründung Anhaltspunkte dafür ergeben, dass der Weiterbeschäftigungsantrag notwendig von dem Erfolg des Kündigungsschutzantrags abhängig ist und es daher der Sache nach um einen Hilfsantrag geht. Davon kann insbesondere dann ausgegangen werden, wenn der Weiterbeschäftigungsantrag ausdrücklich auf die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zum allgemeinen Weiterbeschäftigungsanspruch gestützt wird. In diesem Fall wird der Antrag auf vorläufige Weiterbeschäftigung während eines Kündigungsschutzverfahrens auch regelmäßig als unechter Hilfsantrag für den Fall des Obsiegens mit dem Bestandsschutzantrag ausgelegt, und zwar auch dann, wenn der Formulierung des Antrags der Hilfscharakter nicht unmittelbar zu entnehmen ist (vgl. BAG 7. Mai 2020 – 2 AZR 692/19, Rn. 62). Der Hilfscharakter ergibt sich in diesem Fall schon der Sache nach (vgl. LAG Berlin-Brandenburg 17. August 2020 – 12 Ta 941/20). Will die klagende Partei in dieser Konstellation ihren Antrag als unbedingten Antrag verstanden wissen, muss sich dies aus der Begründung ergeben. Macht die Partei allerdings deutlich, dass auch vor diesem Hintergrund auf jeden Fall ein unbedingter Antrag gewollt ist, kann nicht unabhängig vom ausdrücklich erklärten Willen der Partei von einem Hilfsantrag ausgegangen werden. Der Umstand, dass ein solches Vorgehen prozesskostenhilferechtlich als mutwillig eingestuft wird (dazu LAG Berlin 29. November 2005 – 17 Ta 1981/05), ist bei der Streitwertbemessung nicht zu berücksichtigen (vgl. LAG Berlin-Brandenburg 6. September 2019 – 26 Ta (Kost) 6012/19, zu II 1 d der Gründe; zum Ganzen: LAG Berlin-Brandenburg 17. Dezember 2020 – 26 Ta (Kost) 6098/20, Rn. 8).

10. Bei der Auslegung eines Klageantrags ist darauf abzustellen, welcher Inhalt ihm unter Berücksichtigung seiner Begründung am Schluss der mündlichen Verhandlung zukommt, die die Grundlage für die Entscheidung über ihn darstellt, hier also am Schluss der Verhandlung des Arbeitsgerichts (vgl. LAG Berlin-Brandenburg 11. Mai 2021 – 26 Ta (Kost) 6034/21, zu 1 der Gründe).

11. b) Bereits der Antragstellung war zu entnehmen, dass der Antrag auf Weiterbeschäftigung unter der auflösenden Bedingung stehen sollte, dass dem Kündigungsschutzantrag nicht stattgegeben werde.

12. Der Weiterbeschäftigungsantrag wurde hilfsweise für den Erfolg des Kündigungsschutzantrags gestellt. Zwar enthält der Wortlaut des Antrags zu 3) für sich genommen keinen Hinweis auf ein Hilfsverhältnis. Der Klageschrift ist jedoch eindeutig zu entnehmen, dass die klagende Partei eine Verurteilung zur Beschäftigung nur für den Fall des Erfolges mit ihrer Bestandsstreitigkeit begehrte. So sollte über den Weiterbeschäftigungsantrags nur entschieden werden, wenn der Beklagte nicht in der (erfolglosen) Güteverhandlung erkläre, die klagende Partei werde „im Falle des Obsiegens in der 1. Instanz bis zur Rechtskraft vertragsgerecht weiter beschäftigt“. Die klagende Partei begehrte danach im Falle des Fehlens der Erklärung in der Güteverhandlung die Verurteilung zur vorläufigen Weiterbeschäftigung nur für den Fall des Erfolges mit dem Kündigungsschutzantrag. Folgerichtig hat die klagende Partei zur Begründung des Weiterbeschäftigungsantrags „auf die Rechtsprechung des BAG verwiesen“, die regelmäßig eine Verpflichtung des Arbeitgebers zur vorläufigen Beschäftigung während eines Kündigungsschutzprozesses nur für den Fall eines erstinstanzlichen Obsiegens mit dem Bestandsschutzantrag vorsieht. Eine Erklärung der klagenden Partei, sie verfolge einen Weiterbeschäftigungsanspruch nunmehr unbedingt, ist bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung nicht erfolgt. Insbesondere lässt sich dem Protokoll der mündlichen Verhandlung vor dem Arbeitsgericht nicht entnehmen, der gestellte Weiterbeschäftigungsantrag solle – zudem entgegen dem Kosteninteresse der klagenden Partei – nunmehr als Hauptantrag gestellt werden (vgl. zu vergleichbar gelagerten Sachverhalten: LAG Berlin-Brandenburg 27. April 2021 – 17 Ta (Kost) 6033/21; 11. Mai 2021 – 26 Ta (Kost) 6034/21, zu 2 der Gründe).

13. (3) Der Umstand, dass das Arbeitsgericht entgegen § 308 ZPO über den unechten Hilfsantrag entschieden hat, bewirkt nicht seine Berücksichtigung im Rahmen der Streitwertbemessung. Überschreitet das Gericht den gestellten Antrag in der irrigen Annahme, sich noch in dessen Rahmen zu halten, so ist für den Streitwert nicht die irrtümliche Entscheidung des Gerichts, sondern der Antrag der Partei maßgebend. Wäre für die Streitwertfestsetzung statt der Anträge der Umfang der ergangenen Entscheidung ausschlaggebend, so wären die Parteien uU zur Anfechtung der Entscheidung allein aus kostenrechtlichen Gründen gezwungen (vgl. BGH 27. September 1973 – VII ZR 10/72, zu II 2 a der Gründe; Schneider, MDR 1971, 437, 438; Frank, Anspruchsmehrheiten im Streitwertrecht, 1986, S. 31). Für die Wertberechnung ist gemäß § 40 GKG die Antragstellung und nicht eine – zu Unrecht ergangene – gerichtliche Entscheidung maßgebend. Die klagende Partei muss nicht Gebühren für eine Entscheidung tragen, die sie nicht zum Gegenstand des gerichtlichen Verfahrens gemacht hat (vgl. LAG Berlin-Brandenburg 27. April 2021 – 17 Ta (Kost) 6033/21; 11. Mai 2021 – 26 Ta (Kost) 6034/21, zu 3 der Gründe).

14. 3) Entgegen der Ansicht des Klägervertreters ist über den Gebührenstreitwert nicht bereits im erstinstanzlichen Urteil „rechtskräftig entschieden“ worden. Der dort angegebene Wert der Beschwer ist für die Berechnung der Gebühren unmaßgeblich.

III.

15. Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlasst, § 68 Abs. 3 Satz 2 GKG. Das Verfahren ist gebührenfrei, § 68 Abs. 3 Satz 1 GKG.

IV.

16. Die Entscheidung ist unanfechtbar.

Zuletzt aktualisiert am Juli 21, 2021 von eurogesetze

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