VG Berlin 6. Kammer. Aktenzeichen: 6 L 89/21

Gericht: VG Berlin 6. Kammer
Entscheidungsdatum: 27.05.2021
Aktenzeichen: 6 L 89/21
ECLI: ECLI:DE:VGBE:2021:0527.6L89.21.00
Dokumenttyp: Beschluss

Tenor

Der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes wird zurückgewiesen.

Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens.

Der Wert des Verfahrensgegenstandes wird auf 5.000,00 Euro festgesetzt.

Gründe

I.

1. Die Antragstellerin wendet sich gegen eine sofort vollziehbare zweckentfremdungsrechtliche Rückführungsaufforderung mit Zwangsgeldandrohung.

2. Sie ist seit dem 3. Januar 2018 Eigentümerin von im 1. OG gelegenen Räumlichkeiten des auf dem Grundstück B… errichteten Gebäudes. Ausweislich der Eintragung im Grundbuch T… und der Teilungserklärung vom 13. März 1996 besteht an dem Grundstück ein Miteigentumsanteil in Höhe von 650/10.000 verbunden mit Sondereigentum an den „nicht zu Wohnzwecken dienenden“ Räumlichkeiten. Nach § 3 Ziffer 3 der Miteigentumsordnung können die Räumlichkeiten zu allen gewerblichen Zwecken, insbesondere Laden, Büro, Atelier, Werkstatt, Gastronomie, und zu Wohnzwecken genutzt werden.

3. Von April 2009 bis Mai 2017 vermietete der damalige Eigentümer S… die Räumlichkeiten auf unbestimmte Zeit an das M…, der sie wiederum an eine Wohngemeinschaft in wechselnder Belegung untervermietete. Die dort melderechtlich mit Hauptwohnsitz erfassten Personen bewohnten die Räumlichkeiten jeweils für mindestens ein halbes Jahr, teilweise für mehr als fünf Jahre. Zum 1. Juni 2018 vermietete die Antragstellerin die Räumlichkeiten befristet an die E… zur ausschließlichen Nutzung als Büroräume.

4. Am 25. März 2020 hörte das Bezirksamt Friedrichshain-Kreuzberg von Berlin – Bezirksamt – die Antragstellerin zu einer zweckfremden Nutzung von Wohnraum an. Die Antragstellerin teilte daraufhin mit, dass es sich um Räumlichkeiten handele, die ausweislich sowohl der Eintragung im Grundbuch als auch der Teilungserklärung nicht zu Wohnzwecken dienten.

5. Mit Bescheid vom 29. Dezember 2020 forderte das Bezirksamt die Antragstellerin auf, den Wohnraum bis zum 28. Februar 2021 wieder Wohnzwecken zuzuführen. Für den Fall des fruchtlosen Fristablaufs drohte es ein Zwangsgeld in Höhe von 10.000,00 EUR an. Bei den Räumlichkeiten handele es sich um Wohnraum, da diese in der Zeit von April 2009 bis Mai 2017 zu Wohnzwecken vermietet gewesen und von wechselnden Mietern dauerhaft zum Wohnen genutzt worden seien. Darauf, wie die Räumlichkeiten im Grundbuch eingetragen oder in der Teilungserklärung bezeichnet seien, komme es nicht an.

6. Ihren hiergegen eingelegten Widerspruch vom 29. Januar 2021 begründete die Antragstellerin damit, die verfahrensgegenständlichen Räumlichkeiten seien Gewerberäume und unterfielen deshalb nicht dem Zweckentfremdungsrecht. Sie habe die Räumlichkeiten als Gewerberäume erworben und auch entsprechend vermietet. Für eine Nutzungsänderung – die sie jedoch nicht anstrebe – benötigte sie zudem die Zustimmung aller Wohnungseigentümer im Beschlusswege. Eine tatsächliche Wohnnutzung in der Vergangenheit könne die erforderliche Beschlussfassung der Teileigentümer nicht ersetzen. Es fehle auch an einer subjektiven Eignung zu Wohnzwecken, da die Räumlichkeiten von keinem Eigentümer zu Wohnzwecken gewidmet worden seien. Soweit Räumlichkeiten, die wie vorliegend zu anderen Zwecken als zur dauernden Wohnnutzung errichtet worden seien, nur dann keinen vom Zweckentfremdungsrecht umfassten Wohnraum darstellten, wenn sie auch zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des Zweckentfremdungsverbots entsprechend genutzt wurden, seien die entsprechenden Vorschriften verfassungswidrig.

7. Am 9. März 2021 vereinbarten die Antragstellerin und die E… die Auflösung des Mietvertrags zum 28. Februar 2022. Mit Bescheid vom 9. April 2021 ordnete das Bezirksamt gegenüber der…die Duldung der Rückführungsmaßnahmen des Eigentümers gemäß Bescheid vom 29. Dezember 2020 an.

8. Zur Begründung ihres bereits am 3. Februar 2021 gestellten Antrags auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes führte die Antragstellerin ergänzend aus, von der früheren Vermietung der Räumlichkeiten erst im März 2021 erfahren zu haben. Das Mietverhältnis sei zudem über Gewerberäume geschlossen worden, da der Vertragszweck allein die Überlassung der Räumlichkeiten zur Erfüllung der satzungsmäßigen Aufgaben des damaligen Mieters, der dort nicht gewohnt habe, gewesen sei. Demzufolge sei auch die Vollziehung des Bescheids rechtswidrig.

9. Die Antragstellerin beantragt sinngemäß,

10. die aufschiebende Wirkung ihres Widerspruchs gegen die Rückführungsaufforderung mit Zwangsgeldandrohung in dem Bescheid des Bezirksamtes Friedrichshain-Kreuzberg von Berlin vom 29. Dezember 2020 anzuordnen.

11. Der Antragsgegner beantragt,

12. den Antrag zurückzuweisen.

13. Zur Begründung führt er ergänzend aus, die verfahrensgegenständlichen Räumlichkeiten seien zur dauernden Wohnnutzung tatsächlich geeignet, da sie bereits acht Jahre lang von einer Wohngemeinschaft zu Wohnzwecken genutzt worden seien. Zudem lägen öffentlich-rechtliche Vorschriften, die einer Nutzung zu Wohnzwecken entgegenstünden, nicht vor. Auf die Zweckbestimmung durch den jeweiligen Verfügungsberechtigten der Räume komme es nicht an. Ebenso wenig sei maßgeblich, wie das frühere Mietverhältnis rechtlich zu qualifizieren sei. Entscheidend sei allein die tatsächliche Endnutzung zu Wohnzwecken.

14. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie den Verwaltungsvorgang des Antragsgegners verwiesen.

II.

15. Der Antrag bleibt ohne Erfolg.

16. Er ist zulässig, insbesondere ist er nach § 80 Abs. 5 Satz 1 Var. 1 der Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO – statthaft. Der Widerspruch gegen die Rückführungsaufforderung in dem Bescheid vom 29. Dezember 2020 hat gemäß § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO in Verbindung mit § 4 Abs. 4 Satz 1 des Zweckentfremdungsverbot-Gesetzes – ZwVbG – in der seit dem 20. April 2018 geltenden Fassung (GVBl. S. 211) keine aufschiebende Wirkung. Dies gilt nach § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO in Verbindung mit § 4 Abs. 1 Satz 1 des Gesetzes zur Ausführung der Verwaltungsgerichtsordnung ebenso für die Zwangsgeldandrohung als Maßnahme in der Verwaltungsvollstreckung.

17. Der Antrag ist jedoch unbegründet. Die nach § 80 Abs. 5 Satz 1 Var. 1 VwGO gebotene Abwägung der widerstreitenden Interessen geht zulasten der Antragstellerin aus. Bei der im vorläufigen Rechtsschutzverfahren nur möglichen, aber auch allein gebotenen summarischen Prüfung begegnet die Rechtmäßigkeit der Rückführungsaufforderung in dem Bescheid vom 29. Dezember 2020 keinen ernstlichen Zweifeln.

18. 1. Rechtsgrundlage der Rückführungsaufforderung ist § 4 Abs. 1 Satz 1 und 2 ZwVbG. Wird Wohnraum ohne die erforderliche Genehmigung zweckentfremdet, soll das zuständige Bezirksamt nach dieser Bestimmung anordnen, dass Verfügungsberechtigte oder Nutzungsberechtigte die Wohngebäude, Wohnungen oder Wohnräume wieder Wohnzwecken zuzuführen haben (Rückführungsgebot). Das Bezirksamt setzt hierfür eine Frist, die im Regelfall einen Monat beträgt.

19. a) Bei den Räumlichkeiten handelt es sich um zweckentfremdungsrechtlich geschützten Wohnraum. Unter Wohnraum fallen gemäß § 1 Abs. 3 Satz 1 ZwVbG alle Räumlichkeiten, die zur dauernden Wohnnutzung tatsächlich und rechtlich geeignet sind. Dies trifft auf die Räumlichkeiten der Antragstellerin zu.

20. aa) Rechtlich ungeeignet sind nur Räumlichkeiten, die – beispielsweise wegen entgegenstehender baurechtlicher Vorschriften – aus Rechtsgründen nicht bewohnt werden dürfen. Dem Tatbestandsmerkmal der objektiven Eignung in § 1 Abs. 3 Satz 1 ZwVbG liegt die Einsicht zu Grunde, dass die Rechtsordnung eine Wohnnutzung nicht zugleich für (bebauungsrechtlich) unzulässig und dennoch (zweckentfremdungsrechtlich) geboten erklären kann (vgl. BVerwG, Urteil vom 1. Oktober 1986 – BVerwG 8 C 53.85 –, juris Rn. 13 m.w.N.).

21. Unbeachtlich ist hingegen eine nur formelle Baurechtswidrigkeit, das heißt das Fehlen einer die materiell baurechtmäßige Wohnnutzung deckenden Baugenehmigung (vgl. BVerwG, Urteil vom 29. November 1985 – BVerwG 8 C 105.83 –, juris Rn. 20; Urteil vom 7. September 1984 – BVerwG 8 C 48.83 –, juris Rn. 13; Urteil der Kammer vom 17. Oktober 2018 – VG 6 K 524.17 –, juris). So wie es dem Verfügungsberechtigten obliegt, tatsächliche Hindernisse, die einer Wohnnutzung entgegenstehen, „mit vertretbarem, dem Verfügungsberechtigten objektiv zumutbaren Modernisierungs- oder Renovierungsaufwand“ zu beheben, ist er zweckentfremdungsrechtlich auch gehalten, die rechtliche Unzulässigkeit des Bewohnens auszuräumen, indem er die ggf. baurechtlich erforderlichen Anträge stellt (vgl. BVerwG, Urteil vom 29. November 1985 – BVerwG 8 C 105.83 -, juris Rn. 20). Die Ausführungsvorschriften über das Verbot der Zweckentfremdung von Wohnraum in der Fassung vom 25. Februar 2019 (– AV –, ABl. Nr. 12, S. 1739) bestätigen dieses Verständnis des Begriffs der rechtlichen Eignung. Dort heißt es unter Ziffer 6.3, Wohnraum im Sinne des Zweckentfremdungsverbots liege nicht vor, wenn „baurechtlich eine allgemeine Wohnnutzung nicht zulässig und auch nicht genehmigungsfähig ist, also auch keine Ausnahme oder Befreiung nach § 31 des Baugesetzbuchs (BauGB) in der jeweiligen Fassung vorliegt.“

22. Planungsrecht steht einer Nutzung der Räumlichkeiten zu Wohnzwecken selbst dann nicht entgegen, sollten sie nicht als Wohnraum errichtet worden sein. Der Baunutzungsplan für Berlin 1958/1960 in der Fassung vom 28. Dezember 1960 (ABl. 1961, S. 742) in Verbindung mit den bauplanungsrechtlichen Vorschriften der Bauordnung für Berlin in der Fassung vom 21. November 1958 – BO 58 –, der mangels eines für das Grundstück festgesetzten Bebauungsplans nach § 7 Nr. 3 BO 58 fortgilt, weist das Grundstück als allgemeines Wohngebiet aus, in dem Wohngebäude zulässig sind (vgl. § 7 Nr. 8 BO 58).

23. Die in die Teilungserklärung aufgenommene Miteigentumsordnung steht einer Nutzung der Räumlichkeiten zu Wohnzwecken überdies bereits deshalb nicht entgegen, weil deren § 3 Ziffer 3 dies – entsprechend dem damals und auch weiterhin geltenden Planungsrecht – ausdrücklich gestattet.

24. bb) An der tatsächlichen Eignung der Räumlichkeiten besteht ebenfalls kein Zweifel. Sie wurden von April 2009 bis zum Mai 2017 an eine Wohngemeinschaft untervermietet, deren wechselnde Bewohner dort melderechtlich mit ihrer Hauptwohnung erfasst waren, und dies für Zeiträume von teilweise über fünf Jahren. Es ist weder ersichtlich noch vorgetragen, dass die Antragstellerin die Räumlichkeiten nach Beendigung des Mietverhältnisses mit dem M… baulich derart verändert hätte, dass eine Wohnnutzung dort objektiv nicht mehr möglich wäre. Vielmehr weist die Baubeschreibung vom 24. April 2018 auf eine umfassende Sanierung der Räumlichkeiten, auch von Küche und Bad, mit dem Ziel ihrer (erneuten) Vermietung zu Wohnzwecken hin.

25. cc) Auf die Ausnahme des § 1 Abs. 3 Satz 2 ZwVbG kann sich die Antragstellerin nicht berufen. Nach der gesetzlichen Begriffsbestimmung „zur dauernden Wohnnutzung tatsächlich und rechtlich geeignet“ kommt es auf die Zweckbestimmung der Räume seitens des Verfügungsberechtigten grundsätzlich nicht an, weder auf den Zweck, zu dem die Räumlichkeiten einmal errichtet worden sind, noch auf eine später geänderte Zweckbestimmung. Hiervon gilt nach § 1 Abs. 3 Satz 2 ZwVbG nur die Ausnahme, dass vom Wohnraumbegriff Räumlichkeiten ausgenommen sind, die zu anderen Zwecken errichtet worden sind und zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des Zweckentfremdungsverbots am 1. Mai 2014 auch entsprechend genutzt werden (vgl. OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 6. April 2017 – OVG 5 B 14.16 u.a. –, juris Rn. 39). Von dieser Ausnahme abgesehen enthält der Wohnraumbegriff auch nach dem Willen des Gesetzgebers – insoweit in ausdrücklicher Abgrenzung zum Wohnraumbegriff des Gesetzes zur Verbesserung des Mietrechts und zur Begrenzung des Mietanstiegs sowie zur Regelung von Ingenieur- und Architektenleistungen – Mietrechtsverbesserungsgesetz – keine Bezugnahme auf die subjektive Zweckbestimmung durch den Eigentümer beziehungsweise Verfügungsberechtigten. Stattdessen kommt es ausschließlich auf das objektive Kriterium der Eignung als Wohnraum an. Zur Sicherstellung der ausreichenden Versorgung der Bevölkerung mit Wohnraum ist es im Falle einer Wohnraummangellage nach Auffassung des Gesetzgebers nicht ausreichend, nur den bestehenden Wohnungsbestand zu sichern. Vielmehr sei es hierfür erforderlich, dass neben dem Bau zusätzlicher Wohnungen auch der Bestand der zum Wohnen geeigneten, aber zu anderen Zwecken genutzten Räumlichkeiten zur Beseitigung der Wohnraummangellage berücksichtigt werde (vgl. Agh-Drs. 17/1057, S. 12).

26. Die Errichtung zu anderen als Wohnzwecken hat die Antragstellerin, die sich auf diese Ausnahme beruft und damit die Darlegungs- und Beweislast trägt, nicht glaubhaft gemacht. Es ist weder vorgetragen noch sonst ersichtlich, dass die Räumlichkeiten ursprünglich bzw. nach Aufteilung des Grundstückes zu gewerblichen Zwecken errichtet wurden. Allein die Teilungserklärung sowie die Eintragung in das Grundbuch, die Räume zu gewerblichen Zwecken zu nutzen bzw. nutzen zu können, reicht für einen entsprechenden Nachweis nicht aus. Der Annahme einer hierauf gestützten Zweckbestimmung steht bereits entgegen, dass § 3 Ziffer 3 der in die Teilungserklärung aufgenommenen Miteigentumsordnung dem jeweiligen Eigentümer nicht nur die gewerbliche, sondern auch eine Nutzung zu Wohnzwecken gestattet. Zwar hat das Bezirksamt Kreuzberg von Berlin die Abgeschlossenheit der „nicht zu Wohnzwecken dienenden Räume“ am 27. Oktober 1995 nach § 7 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 des Wohnungseigentumsgesetzes – WEG – bescheinigt. Allerdings erschöpft sich die Abgeschlossenheitsbescheinigung in einer urkundlichen Feststellung durch die zuständige Baubehörde, dass die Räume, an denen Sondereigentum begründet werden soll, in bautechnischer Hinsicht in sich abgeschlossen im Sinne von § 3 Abs. 3 WEG sind. Eine darüber hinausgehende verbindliche Aussage etwa über den Umfang der baurechtlich zulässigen Nutzung des Sondereigentums enthält die Bescheinigung von Gesetzes wegen nicht (vgl. BVerwG, Urteil vom 11. Dezember 1987 – BVerwG 8 C 55/85 –, juris Rn. 12). Der Inhalt einer Abgeschlossenheitsbescheinigung hat auf die Einschlägigkeit des Zweckentfremdungsverbots mithin keinen Einfluss (vgl. BVerwG, Urteil vom 29. November 1985 – BVerwG 8 C 105/83 –, juris Rn. 23). Hingegen spricht für eine Errichtung der Räumlichkeiten im 1. OG des Mehrfamilienhauses zu Wohnzwecken, dass als auf dem Grundstück vorhandene tatsächliche Bebauung im Amtlichen Liegenschaftskatasterinformationssystem Berlin – ALKIS – ein „Wohnhaus“ dokumentiert ist.

27. Selbst unterstellt, die Räumlichkeiten seien zu gewerblichen Zwecken errichtet oder nach Aufteilung des Grundstücks durch einen früheren Eigentümer entsprechend genutzt worden, ergibt sich hieraus nichts anderes. Denn im Zeitpunkt des Inkrafttretens der Verordnung über das Verbot der Zweckentfremdung von Wohnraum (Zweckentfremdungsverbot-Verordnung) – ZwVbVO – am 1. Mai 2014 wurden die Räumlichkeiten durch eine in einem Untermietverhältnis mit dem M… stehende Wohngemeinschaft unstreitig dauerhaft zu Wohnzwecken genutzt. Insoweit kommt es nicht auf die rechtliche Einstufung der zwischen dem früheren Eigentümer der Räumlichkeiten und dem M… bestehenden vertraglichen Beziehung als Wohnraum- oder Gewerberaummietverhältnis an. Entscheidend ist allein die Art der Endnutzung. Maßgeblich ist damit nicht, ob die Vergabe der Räumlichkeiten durch den Eigentümer eine Nutzung zu gewerblichen Zwecken darstellt, sondern allein, ob die Räume vom letzten Glied in der Kette etwaiger Vermietungen und Untervermietungen zu gewerblichen oder – wie hier – zu Wohnzwecken genutzt werden (vgl. OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 6. April 2017, a.a.O., juris Rn. 43). Die Nutzung zu Wohnzwecken war zudem auf Dauer angelegt. Nach § 2 Ziffer 2.1 des Mietvertrags war sie zeitlich unbefristet vereinbart und damit von grundsätzlich unbestimmter Fortdauer.

28. Selbst wenn es auf eine Änderung auch der subjektiven Zweckbestimmung durch den Verfügungsberechtigten zum Stichtag ankäme, wäre gleichwohl von einer Wohnnutzung auszugehen. Eine solche Nutzung entsprach schon ausweislich der Bezeichnung der Vereinbarung als „Mietvertrag über Wohnraum“ dem Willen der Vertragsparteien und damit auch des damaligen Verfügungsberechtigten und Rechtsvorgängers der Antragstellerin. Der Vertrag bezeichnete zudem den Mieter als eingetragener gemeinnütziger Verein auch mit dessen Vereinszweck – der Wohnraumbeschaffung –, der sich bereits ausdrücklich aus dem Vereinsnamen ergab. Auch wurde zwischen den Parteien die Anwendung des Wohnraumkündigungsschutzes vereinbart, vgl. § 15 Ziffer 15.1 des Mietvertrags von 2009. Darüber hinaus ermöglichte § 8 Ziffer 8.1 des Vertrags, wonach der Mieter berechtigt war, ohne Erlaubnis des Vermieters den Gebrauch der Mietsache einem Dritten zu überlassen, insbesondere die Mietsache unterzuvermieten, eine reibungslose Endnutzung entsprechend dem Vereinszweck „Gemeinschaftswohnen“ mit mehrfach wechselnder Bewohnerschaft.

29. Der Anwendbarkeit des Zweckentfremdungsrechts stehen auch keine verfassungsrechtlichen Bedenken entgegen. Soweit die Antragstellerin unter Hinweis auf die Vorlagen des OVG Berlin-Brandenburg nach Art. 100 Abs. 1 des Grundgesetzes – GG – (Beschlüsse vom 6. April 2017, a.a.O., juris) meint, eine Anwendung von § 1 Abs. 3 Satz 2 ZwVbG verletze sie in ihren Grundrechten, dringt sie damit nicht durch. Streitgegenständlich in den Vorlagebeschlüssen sind Nutzungen, die nach Außerkrafttreten des vorherigen Zweckentfremdungsverbots erlaubnisfrei ins Werk gesetzt wurden und bis zum Stichtag andauerten. Dies ist vorliegend jedoch nicht der Fall. Sofern eine gewerbliche Nutzung für die Vergangenheit unterstellt wird, dauerte sie allenfalls bis März 2009 an. Hierüber hinausgehende verfassungsrechtliche Zweifel bestehen nicht.

30. b) Die derzeitige Nutzung der Räumlichkeiten stellt eine zweckfremde Nutzung im Sinn des § 2 Abs. 1 Nr. 2 ZwVbG dar. Danach liegt eine Zweckentfremdung vor, wenn Wohnraum zu anderen als Wohnzwecken genutzt wird, insbesondere wenn Wohnraum für gewerbliche oder berufliche sonstige Zwecke verwendet wird. So liegt es hier. Ausweislich des von der Antragstellerin vorgelegten Mietvertrags vom Mai 2018 erfolgte die Vermietung zur ausschließlichen Nutzung als Büroräume. Diese werden von der jetzigen Mieterin auch unstreitig so genutzt.

31. 2. Auf eine Unmöglichkeit der Rückführung kann sich die Antragstellerin im hiesigen Verfahren nicht berufen. Die derzeitige Vermietung an die E…wirkt sich nicht auf die Rechtmäßigkeit der Rückführungsaufforderung, sondern allenfalls auf nachfolgende Vollstreckungsmaßnahmen aus. Unabhängig hiervon verpflichtet die Anordnung des Bezirksamts vom 9. April 2021 die derzeitige Mieterin zur Duldung der gegenüber der Antragstellerin angeordneten Rückführungsmaßnahmen.

32. 3. Die Zwangsgeldandrohung in Höhe von 10.000,00 Euro ist nicht zu beanstanden. Sie beruht auf § 6 ZwVbG in Verbindung mit §§ 6 Abs. 1, 13 des Verwaltungs-Vollstreckungsgesetzes, deren Voraussetzungen erfüllt sind.

33. 4. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Die Streitwertfestsetzung hat ihre Rechtsgrundlage in §§ 39, 52 f. des Gerichtskostengesetzes in Verbindung mit dem Streitwertkatalog für die Verwaltungsgerichtsbarkeit. Dabei war der Streitwert nach dessen Ziffer 1.7.2 Satz 2 anhand des angedrohten Zwangsgeldes zu bemessen. Hiervon wird für das Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes die Hälfte angesetzt(vgl. Ziffer 1.5 des Streitwertkataloges).

Zuletzt aktualisiert am Juli 21, 2021 von eurogesetze

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