Landessozialgericht Berlin-Brandenburg 5. Senat. Aktenzeichen: L 5 AS 457/21 B ER, L 5 AS 459/21 B ER PKH

Gericht: Landessozialgericht Berlin-Brandenburg 5. Senat
Entscheidungsdatum: 31.05.2021
Rechtskraft: ja
Aktenzeichen: L 5 AS 457/21 B ER, L 5 AS 459/21 B ER PKH
ECLI: ECLI:DE:LSGBEBB:2021:0531.L5AS457.21B.ER.00
Dokumenttyp: Beschluss

Grundsicherung für Arbeitsuchende – Leistungsausschluss für Ausländer – Unionsbürger – Rückausnahme des Daueraufenthaltsrechts – Notwendigkeit der durchgehenden Meldung bei der Meldebehörde im 5-Jahres-Zeitraum – Unterbrechung des rechtmäßigen Aufenthalts durch Strafhaft

Leitsatz

Die Rückausnahme des § 7 Abs 1 S 4 und 5 SGB II setzt nicht nur eine einmalige Anmeldung bei der Meldebehörde, sondern ein durchgehendes Gemeldetsein im Bundesgebiet für die Dauer von mindestens fünf Jahren voraus. (Rn.7)

Orientierungssatz

Zeiten der Verbüßung einer Freiheitsstrafe innerhalb des Fünfjahreszeitraums im Sinne des § 4a Abs 1 S 1 FreizügG/EU 2004 unterbrechen den rechtmäßigen Aufenthalt im Bundesgebiet. Der Fünfjahreszeitraum beginnt nach der Haftentlassung wieder neu. (Rn.6)

Verfahrensgang

vorgehend SG Berlin, 15. April 2021, S 124 AS 1664/21 ER, Beschluss

Tenor

Die unter dem Aktenzeichen L 5 AS 457/21 B ER registrierte Beschwerde wird zurückgewiesen.

Kosten sind nicht zu erstatten.

Auf die unter dem Aktenzeichen L 5 AS 459/21 B ER PKH registrierte Beschwerde wird der Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 15. April 2021 hinsichtlich der Entscheidung über das Prozesskostenhilfegesuch des Antragstellers geändert. Dem Antragsteller wird für das Verfahren vor dem Sozialgericht und für das unter dem Aktenzeichen L 5 AS 457/21 B ER registrierte Beschwerdeverfahren Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwalt I S, K-M-Straße, B bewilligt.

Gründe

1. Die gegen den Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 15. April 2021 gerichtete, unter dem Aktenzeichen L 5 AS 457/21 B ER registrierte Beschwerde ist zulässig, jedoch nicht begründet. Zu Recht hat das Sozialgericht die Anträge des Antragstellers, den Antragsgegner im Wege des Erlasses einer einstweiligen Anordnung zu verpflichten, a) ihm ab Antragseingang (9. März 2021) bis 31. Juli 2021, längstens jedoch bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache, Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) „in gesetzlicher Höhe einschließlich der Leistungen für Unterkunft und Heizung in Höhe von 25,00 EUR pro Person und pro Tag für einen Unterkunftsplatz in dem Berlin, zu gewähren“, und b) ihm für die Zeit vom 1. Februar 2021 bis zum 8. März 2021 „Leistungen für Unterkunft und Heizung in Höhe von 25,00 EUR pro Person und pro Tag für einen Unterkunftsplatz in dem Berlin, zu gewähren“, abgelehnt.

2. Gemäß § 86b Abs. 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein „streitiges Rechtsverhältnis“ (Anordnungsanspruch) treffen, wenn eine solche Regelung „zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint“ (Anordnungsgrund). Gemäß § 86b Abs. 2 Satz 4 SGG in Verbindung mit § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung (ZPO) hat der Antragsteller Anordnungsanspruch und -grund glaubhaft zu machen. Er muss substantiiert und nachvollziehbar darlegen, dass die anspruchsbegründenden Voraussetzungen vorliegen und dass ihm bei Ablehnung der von ihm beantragten einstweiligen Anordnung wesentliche Nachteile drohen, dass er mithin keine andere zumutbare Möglichkeit hat, die Nachteile einstweilen zu vermeiden oder zu kompensieren (vgl. Burkiczak, in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGG, 1. Aufl. 2017, § 86b SGG Rn. 409 – 410; Landessozialgericht ‹LSG› Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 22. Dezember 2020, L 4 AS 465/20 B ER). Die Anforderungen an die Glaubhaftmachung eines Anordnungsanspruches und -grundes dürfen zwar nicht überspannt werden. Allein der Umstand, dass Grundleistungen der sozialen Sicherung betroffen sind, genügt jedoch nicht, um einen unabwendbaren Nachteil anzunehmen. Vielmehr müssen durch eine spätere Entscheidung nicht mehr korrigierbare, irreparable Schäden drohen (vgl. Bundesverfassungsgericht ‹BVerfG›, Beschluss vom 19. September 2017, 1 BvR 1719/17; BVerfG, Beschluss vom 1. Oktober 2020, 1 BvR 1106/20).

3. Betrifft der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung den Anspruch auf Gewährung eines menschenwürdigen Existenzminimums aus Art. 1 Abs. 1 Grundgesetz (GG) in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 GG, ist die Sach- und Rechtslage nicht nur summarisch, sondern abschließend zu prüfen. Ist dies nicht möglich (etwa weil es dafür weiterer, in der Kürze der zur Verfügung stehenden Zeit nicht zu verwirklichender tatsächlicher Aufklärungsmaßnahmen bedürfte), ist mithin der Ausgang des Hauptsacheverfahrens offen, und entstünden dem Antragsteller bei Versagung des von ihm begehrten Eilrechtsschutzes schwere, unzumutbare, anders nicht abwendbare Nachteile, zu deren nachträglicher Beseitigung die Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr in der Lage wäre, ist von den Vorgaben des § 86b Abs. 2 Satz 2, 4 SGG in Verbindung mit § 920 Abs. 2 ZPO abzuweichen und anhand einer Folgenabwägung zu entscheiden (bei der die Nachteile abzuwägen sind, die einträten, wenn eine einstweilige Anordnung nicht erginge, der Antrag aber in der Hauptsache Erfolg hätte, gegenüber den Nachteilen, die entstünden, wenn die begehrte einstweilige Anordnung erlassen würde, dem Antrag in der Hauptsache aber der Erfolg zu versagen wäre) (vgl. BVerfG, Beschluss vom 12. Mai 2005, 1 BvR 569/05; BVerfG, Beschluss vom 25. Februar 2009, 1 BvR 120/09; BVerfG, Beschluss vom 14. März 2019, 1 BvR 169/19; BVerfG, Beschluss vom 5. Mai 2021, 1 BvR 781/21), sofern der Antragsteller darlegt, dass der Antrag in der zugehörigen Hauptsache weder unzulässig noch offensichtlich unbegründet ist (vgl. BVerfG, Beschluss vom 27. Dezember 2016, 1 BvQ 49/16), und sofern er eigene schwere Nachteile, aus denen sich ergibt, dass die Folgenabwägung zu seinen Gunsten ausgehen kann, hinreichend substantiiert vorträgt (vgl. BVerfG, Beschluss vom 27. Dezember 2016, 1 BvQ 49/16; BVerfG, Beschluss vom 26. März 2017, 1 BvQ 15/17; BVerfG, Beschluss vom 8. Mai 2017, 1 BvQ 19/17; BVerfG, Beschluss vom 10. März 2020, 1 BvR 515/20, BVerfG, Beschluss vom 28. Oktober 2020, 1 BvR 972/20). In Betracht kommt eine Folgenabwägung in der Regel aber nur, wenn der Sachverhalt unklar ist und seine Aufklärung in der mit Blick auf das Rechtsschutzbegehren angemessenen Zeit unter Berücksichtigung der gebotenen Prüfungsintensität objektiv unmöglich ist (Burkiczak, in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGG, 1. Aufl. 2017, § 86b Rn. 420, 424). Lässt sich der Sachverhalt nach Ausschöpfung der vom Gericht zur Aufklärung des Sachverhalts für notwendig erachteten Ermittlungsmaßnahmen von Amts wegen gegenwärtig allein deswegen nicht aufklären, weil der Antragsteller die ihm vom Antragsgegner oder vom Gericht aufgegebenen notwendigen Mitwirkungshandlungen nicht erfüllt, scheidet eine Folgenabwägung aus (vgl. BVerfG, Beschluss vom 1. Februar 2010, 1 BvR 20/10; vgl. auch BVerfG, Beschluss vom 6. August 2014, 1 BvR 1453/12; Burkiczak, SGb 2015, S. 151 – 154; Bayrisches LSG, Beschluss vom 2. April 2015, L 8 SO 56/15 B ER). Gleiches gilt, wenn der in der Hauptsache gestellte Antrag offensichtlich unzulässig oder unbegründet ist (vgl. BVerfG, Beschluss vom 26. August 2015, 2 BvF 1/15; BVerfG, Beschluss vom 27. Dezember 2016, 1 BvQ 49/16; BVerfG, Beschluss vom 16. Mai 2020, 1 BvQ 55/20; BVerfG, Beschluss vom 5. Mai 2021, 1 BvR 781/21; Burkiczak, in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGG, 1. Aufl. 2017, § 86b Rn. 422; Brandenburgisches Oberlandesgericht ‹OLG›, Beschluss vom 24. August 2015, 13 UF 132/15) oder wenn lediglich die Rechtslage umstritten, aber doch nicht so komplex und/oder schwierig ist, dass keine Möglichkeit besteht, sich über sie kurzfristig eine Meinung zu bilden (vgl. BVerfG, Beschluss vom 8. Juli 2020, 1 BvR 1094/20; LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 18. März 2014, L 13 AS 363/13 B ER; Knispel, jurisPR-SozR 4/2017 Anm. 2; LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 13. Februar 2017, L 23 SO 30/17 B ER; Burkiczak, in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGG, 1. Aufl. 2017, § 86b Rn. 425; vgl. auch BVerfG, Beschluss vom 14. September 2016, 1 BvR 1335/13). Die Gerichte sind dazu berufen, streitige Rechtsfragen zu entscheiden, nicht ihnen auszuweichen (vgl. Burkiczak, in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGG, 1. Aufl. 2017, § 86b Rn. 425).

4. In Anwendung dieser Grundsätze ist über den Antrag des Antragstellers anhand der Vorgaben des § 86b Abs. 2 Satz 2, 4 SGG in Verbindung mit § 920 Abs. 2 ZPO zu entscheiden. Eine Folgenabwägung scheidet aus. Der Antrag in der Hauptsache erweist sich gegenwärtig als aussichtslos. Nach den Vorgaben des § 86b Abs. 2 Satz 2, 4 SGG in Verbindung mit § 920 Abs. 2 ZPO ist dem Antrag des Antragstellers der Erfolg zu versagen. Ein Anordnungsanspruch ist nicht glaubhaft gemacht.

5. Der Antragsteller ist polnischer Staatsangehöriger. Er ist der Meinung, er sei nicht nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1, 2 SGB II von den Leistungen des SGB II ausgeschlossen, weil er sich auf § 4a Abs. 1 Satz 1 des Gesetzes über die allgemeine Freizügigkeit von Unionsbürgern (FreizügG/EU) und/oder § 7 Abs. 1 Satz 4 SGB II berufen könne.

6. Der Verweis des Antragstellers auf § 4a Abs. 1 Satz 1 FreizügG/EU geht fehl. In der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) ist geklärt, dass Zeiten der Verbüßung einer Freiheitsstrafe innerhalb des Fünfjahreszeitraums den rechtmäßigen Aufenthalt unterbrechen und der Fünfjahreszeitraum nach der Haftentlassung wieder neu beginnt. Denn Zeiträume, in denen der Unionsbürger im Aufnahmemitgliedstaat eine Freiheitsstrafe verbüßt hat, können nicht für die Zwecke des Erwerbs des Daueraufenthaltsrechts berücksichtigt werden, weil der Unionsgesetzgeber die Erlangung eines Daueraufenthaltsrechts nach Art. 16 Abs. 1 RL 2004/38/EU von der Integration des Unionsbürgers in den Aufnahmemitgliedstaat abhängig macht, diese Integration nicht nur auf territorialen und zeitlichen Faktoren, sondern auch auf qualitativen Elementen im Zusammenhang mit dem Grad der Integration im Aufnahmemitgliedstaat beruht, und die Verhängung einer Freiheitsstrafe ohne Bewährung durch ein nationales Gericht dazu angetan ist, deutlich zu machen, dass der Betroffene die von der Gesellschaft des Aufnahmemitgliedstaates in dessen Strafrecht zum Ausdruck gebrachten Werte nicht beachtet. Die Berücksichtigung von Zeiträumen der Verbüßung einer Freiheitsstrafe für die Zwecke des Erwerbs eines Daueraufenthaltsrechts würde dem mit der Einführung dieses Aufenthaltsrechts verfolgten Ziel eindeutig zuwiderlaufen (vgl. EuGH, Urteil vom 16. Januar 2014, C-378/12; EuGH, Urteil vom 16. Januar 2014, C-400/12; EuGH, Urteil vom 17. April 2018, C-316/16; Bayerischer Verwaltungsgerichtshof ‹VGH›, Beschluss vom 18. März 2015, 10 C 14.2655; Bayerischer VGH, Beschluss vom 21. Januar 2020, 10 ZB 19.2250; Hailbronner, in: Hailbronner, Ausländerrecht, 2. Update Mai 2021, 1. Fünfjähriger ständiger Aufenthalt, Rn. 13; Oberhäuser, in: Hofmann, Ausländerrecht, 2. Aufl. 2016, § 4a FreizügG/EU Rn. 6). Der Antragsteller war vom 12. Dezember 2017 bis zum 17. Mai 2018 (geschlossener Vollzug), vom 26. Juni 2018 bis zum 19. Dezember 2018 (offener Vollzug) und vom 15. Juli 2019 bis zum 30. Januar 2020 (erneut geschlossener Vollzug, da der Antragsteller seit dem 19. Dezember 2018 flüchtig war) in Berlin und Brandenburg in Strafhaft.

7. Auf § 7 Abs. 1 Satz 4, 5 SGB II kann sich der Antragsteller ebenfalls nicht berufen. Der Antragsteller gibt an, er halte sich seit 2013, davon durchgehend seit dem 28. Januar 2015 in der Bundesrepublik Deutschland auf. Er war/ist jedoch hierzulande seit dem 28. Januar 2015 nicht durchgängig gemeldet (sondern nur vom 28. Januar 2015 bis zum 28. Februar 2016, vom 12. Juni 2018 bis zum 1. Juli 2018 und ab 20. Februar 2020). Zwar ist in Literatur und Rechtsprechung umstritten, ob § 7 Abs. 1 Satz 4, 5 SGB II fortwährende (und überdies melderechtskonforme) Anmeldungen während der gesamten Dauer der Fünfjahresfrist voraussetzt (so LSG Schleswig-Holstein Beschluss vom 4. Mai 2018, L 6 AS 59/18 B ER; LSG Hessen, Beschluss vom 16. Oktober 2019, L 7 AS 343/19 B ER; LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 4. Mai 2020, L 31 AS 602/20 B ER; Groth, in: BeckOK Sozialrecht, 60. Edition, Stand 1. März 2021, § 23 Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch ‹SGB XII› Rn. 18e; so möglicherweise auch: Mushoff, in: BeckOK Sozialrecht, 60. Edition, Stand 1. März 2021, § 7 SGB II Rn. 43) oder nicht (so LSG Hamburg, Beschluss vom 20. Juni 2019, L 4 AS 34/19 B ER; LSG Schleswig-Holstein, Beschluss vom 9. Dezember 2019, L 6 AS 152/19 B ER; LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 3. Juli 2020, L 8 SO 73/20 B ER; LSG Nordrhein-Westfalen Beschluss vom 23. April 2018, L 7 AS 2162/17 B ER; LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 11. Mai 2020, L 18 AS 1812/19; Geiger, in: Münder/Geiger, SGB II, 7. Aufl. 2021, § 7 Rn. 42). Dem Senat erscheint jedoch (nunmehr, da er anders noch mit Beschluss vom 17. August 2020 ‹L 5 AS 982/20 B ER› entschieden hat) die erstgenannte Auffassung überzeugender. Für sie spricht bereits der Gesetzeswortlaut. Denn setzte § 7 Abs. 1 Satz 4, 5 SGB II keine fortwährenden und überdies melderechtskonforme Meldungen während der gesamten Dauer der Fünfjahresfrist voraus (mit der Folge, dass sich auf § 7 Abs. 1 Satz 4, 5 SGB II auch Ausländerinnen und Ausländer berufen könnten, die sich während ihres gewöhnlichen fünfjährigen Aufenthalts in der Bundesrepublik Deutschland nicht nur einmal angemeldet – und anschließend allenfalls umgemeldet – haben), müsste sich § 7 Abs. 1 Satz 5 SGB II entnehmen lassen, welche Anmeldung für den Beginn der Fünfjahresfrist maßgeblich ist. § 7 Abs. 1 Satz 5 SGB II spricht jedoch nur von der „Anmeldung“, nicht von der „erstmaligen“ oder „letztmaligen“ Anmeldung. Zeiten des Aufenthalts vor der Anmeldung können zudem nach dem eindeutigen Gesetzeswortlaut auch dann nicht berücksichtigt werden, wenn die/der Ausländer/in sie anderweit nachweisen kann (vgl. Groth, in: BeckOK SozR/Groth, 60. Edition, Stand 1. März 2021, § 23 SGB XII Rn. 18e; LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 16. August 2018, L 23 SO 146/18 B ER; Hohm, in: Schellhorn/Hohm/Scheider/Legros, SGB XII, 20. Aufl. 2020, § 23 Rn. 98; Knickrehm, in: Knickrehm/Kreikebohm/Waltermann, Kommentar zum Sozialrecht, 6. Aufl. 2019, § 7 SGB II Rn. 9e; Loose, in: Hohm, SGB II, Lsbl., § 7 Rn. 74.6; Birk, in: LPK-SGB XII, 12. Aufl. 2020, § 23 Rn. 34). Daher gebietet auch Art. 3 Abs. 1 GG, für die Zeit nach der Anmeldung fortwährende (und überdies melderechtskonforme) Meldungen zu verlangen (andernfalls ließe sich nicht rechtfertigen, warum diejenige/derjenige Ausländer/in, die/der sich nachweislich seit mindestens fünf Jahren gewöhnlich in der Bundesrepublik Deutschland aufhält, sich aber erst kürzlich angemeldet hat, keine Leistungen nach dem SGB II erhält, wohl aber diejenige/derjenige Ausländer/in, die/der sich nachweislich seit mindestens fünf Jahren gewöhnlich in der Bundesrepublik Deutschland aufhält, sich hierzulande auch vor fünf Jahren angemeldet, sich jedoch wenig später wieder abgemeldet und danach nicht wieder angemeldet hat). Allein dies entspricht auch dem Willen des Gesetzgebers. Denn in der amtlichen Begründung zu § 7 Abs. 1 Satz 5 SGB II heißt es (Bundestagsdrucksache 18/10211 S. 14): „[…]; durch die verpflichtende Meldung bei der Meldebehörde dokumentieren die Betroffenen ihre Verbindung zu Deutschland, die Voraussetzung für eine Aufenthaltsverfestigung ist.“ Daraus folgt, dass eine Abmeldung das genaue Gegenteil dokumentiert (vgl. LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 4. Mai 2020, L 31 AS 602/20 B ER). Hinzu tritt, dass der Ausschuss für Arbeit und Soziales zum Entwurf eines „Gesetzes zur Regelung von Ansprüchen ausländischer Personen in der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch und in der Sozialhilfe nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch“ am 25. November 2016 mehrere Sachverständige öffentlich angehört hat. Die „Diakonie Deutschland“ hat unter anderem folgenden Einwand erhoben (vgl. Ausschussdrucksache 18‹11›851 S. 46): „Der Fristlauf ab Anmeldung beim zuständigen Meldeamt ist tatbestandlich zu eng gefasst. § 30 Abs. 3 SGB I, der den persönlichen Geltungsbereich für die Sozialgesetzbücher festlegt, stellt auf den Wohnsitz oder den gewöhnlichen Aufenthalt der betreffenden Person in Deutschland ab, wie er den Umständen nach erkennbar ist. Dies ist der Fall, wenn die Umstände dafür sprechen, dass er sich nicht nur vorübergehend in Deutschland aufhält. Daher müssen auch andere Nachweise, die eine eindeutige Indizfunktion für den dauerhaften Aufenthalt in Deutschland haben, für einen Fristlauf zugrunde gelegt werden können.“ Diesen Einwand hat der Gesetzgeber nicht aufgegriffen, weil nach seinem Willen die Anmeldung nicht Indiz für einen dauerhaften Aufenthalt ist, sondern Voraussetzung für eine Aufenthaltsverfestigung (siehe oben Bundestagsdrucksache 18/10211 S. 14; vgl. auch die Rede der Parlamentarischen Staatssekretärin bei der Bundesministerin für Arbeit und Soziales ‹Anette Krame› in der zweiten und dritten Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes „zur Regelung von Ansprüchen ausländischer Personen in der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch und in der Sozialhilfe nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch“ ‹Plenarprotokoll 18/206 S. 20624›: „Zum anderen enthält der Gesetzentwurf eine Neuerung: Erstmals wird gesetzlich fixiert, wann von einer Verfestigung des tatsächlichen Aufenthalts auszugehen ist und wir aus verfassungsrechtlichen Gründen Leistungen gewähren.“). Zu berücksichtigen ist überdies, dass § 7 Abs. 1 Satz 4 SGB II eine Ausnahmevorschrift ist (vgl. Bundestagsdrucksache 18/10211 S. 15: „Ausländische Personen, die sich nach § 7 Absatz 1 Satz 4 – neu – auf die Rückausnahme vom Leistungsausschluss nach § 7 Absatz 1 Satz 2 Nummer 2 berufen […].“) und Ausnahmevorschriften eng auszulegen sind (vgl. Bundessozialgericht ‹BSG›, Urteil vom 23. Oktober 1958, 8 RV 619/57; BSG, Urteil vom 24. November 2020, B 12 KR 34/19 R; Bundesverwaltungsgericht ‹BVerwG›, Beschluss vom 18. März 1961, GrSen 4.60; BVerwG, Urteil vom 21. Juni 2005, 2 WD 12/04; BVerfG, Beschluss vom 21. Juni 2005, 2 BvR 957/04). Dies ergibt sich auch aus dem Sinn und Zweck, der dem „Gesetz zur Regelung von Ansprüchen ausländischer Personen in der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch und in der Sozialhilfe nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch“ vom 22. Dezember 2016 (Bundesgesetzblatt 2016 Teil I S. 3155), mit dem § 7 Abs. 1 Satz 4, 5 SGB II eingeführt wurde, zugrunde liegt. Denn mit diesem Gesetz wollte der Gesetzgeber die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts zu § 7 Abs. 1 Satz 2 SGB II alter Fassung (a. F.) und § 23 Abs. 1 Satz 1, 3, Abs. 3 Satz 1 SGB XII a. F. korrigieren und den Kreis der hilfebedürftigen, erwerbsfähigen Ausländerinnen und Ausländer, die Leistungen nach dem SGB II/SGB XII beanspruchen können, konkretisieren und zugleich eng begrenzen (vgl. Bundestagsdrucksache 18/10211 S. 11, 12: „Das BSG hat den Betroffenen außerdem unabhängig davon, zu welcher der im SGB II ausgeschlossenen Gruppen sie gehören, Leistungen nach dem SGB XII im Ermessenswege zugesprochen. Bei einem verfestigten Aufenthalt, den das BSG im Regelfall nach sechs Monaten annimmt, soll das Ermessen jedoch auf null reduziert sein, so dass für die Betroffenen so gut wie immer ein Anspruch besteht. Die Entscheidungen des BSG haben zu Mehrbelastungen bei den für die Leistungen zuständigen Kommunen geführt. […] Es ist davon auszugehen, dass die Regelung des Leistungsausschlusses im SGB XII eine Lenkungswirkung entfalten wird. Folglich werden voraussichtlich – frühestens fünf Jahre nach Inkrafttreten des Gesetzes – nur für eine geringe, nicht quantifizierbare Anzahl an Personen Ansprüche im SGB II entstehen, sodass nicht mit nennenswerten Mehrausgaben zu rechnen ist. Die Anzahl der Personen, die bereits mit Inkrafttreten der Regelung die Anspruchsvoraussetzungen ‹fünf Jahre Aufenthalt seit Meldung bei der zuständigen Meldebehörde› erfüllen, dürfte sehr gering sein, so dass hierdurch ebenfalls keine nennenswerten Mehrausgaben zu erwarten sind.“; vgl. auch die Rede des Abgeordneten Stephan Stracke ‹CDU/CSU› in der ersten Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes „zur Regelung von Ansprüchen ausländischer Personen in der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch und in der Sozialhilfe nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch“ ‹Plenarprotokoll 18/200 S. 20039›: „Die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts ist abenteuerlich. Sie besagt, dass jeder EU-Ausländer sich Sozialleistungen ersitzen kann, er muss bloß sechs Monate hier in Deutschland sein. Dieses sozialpolitische Ergebnis der Rechtsprechung ist nicht hinnehmbar. Deswegen korrigieren wir es.“). Dem Einwand, dass einzelnen Personengruppen – wie etwa Obdachlosen – der Zugang zu den Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II versperrt werde, wenn § 7 Abs. 1 Satz 4, 5 SGB II fortwährende Meldungen während der gesamten Dauer der Fünfjahresfrist voraussetzte (so LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 11. Mai 2020, L 18 AS 1812/19; LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 5. Mai 2021, L 9 SO 56/21 B ER), ist zu entgegnen, dass er auch für die gegenteilige Auffassung gilt, weil (wenn schon nicht auf durchgehende Meldungen, so doch zumindest) auf eine Anmeldung nach dem eindeutigen Gesetzeswortlaut nicht verzichtet werden kann, auch nicht bei Obdachlosen (vgl. Hohm, in: Schellhorn/Hohm/Scheider/Legros, SGB XII, 20. Aufl. 2020, § 23 Rn. 98; LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 16. August 2018, L 23 SO 146/18 B ER; Knickrehm, in: Knickrehm/Kreikebohm/Waltermann, Kommentar zum Soziaalrecht, 6. Aufl. 2019, § 7 SGB II Rn. 9e; Loose, in: Hohm, SGB II, Lsbl., § 7 Rn. 74.6; Birk, in: LPK-SGB XII, 12. Aufl. 2020, § 23 Rn. 34). Dem Einwand ist ferner entgegenzuhalten, dass unfreiwillig obdachlose Personen die Möglichkeit haben, sich nach dem Polizei- und Ordnungsrecht der Länder in eine Notunterkunft einweisen zu lassen und dort anzumelden. Menschen, die freiwillig obdachlos sind, haben die Möglichkeit, sich unter der Adresse der örtlichen Wohnungslosenhilfe anzumelden (in Berlin ist dies die Zentrale Beratungsstelle für Menschen in Wohnungsnot, Levetzowstraße 12a, 10555 Berlin ‹vgl. https://weddingweiser.de/effektive-hilfe-fuer-obdachlose-aber-wie/ und https:// www.wohnungslos-berlin.de/ueber-uns/›). Dem Einwand ist darüber hinaus entgegenzuhalten, dass das Grundgesetz nicht die Gewährung voraussetzungsloser Sozialleistungen gebietet (vgl. BVerfG, Beschluss vom 7. Juli 2010, 1 BvR 2556/09, BSG, Urteil vom 29. April 2015, B 14 AS 19/14 R). Der Einwand, der Gesetzgeber habe in § 7 Abs. 1 Satz 6 SGB II selbst Ausnahmen vom Lauf der Frist des § 7 Abs. 1 Satz 4 SGB II geregelt, zu denen eine Unterbrechung der Meldung nicht gehöre (so LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 11. Mai 2020), überzeugt ebenfalls nicht. § 7 Abs. 1 Satz 6 SGB II regelt keine Ausnahme zu § 7 Abs. 1 Satz 5 SGB II, sondern ergänzt die von § 7 Abs. 1 Satz 4 SGB II aufgestellten Voraussetzungen (vgl. die Worte „auf Zeiten des gewöhnlichen Aufenthalts“, die nur auf § 7 Abs. 1 Satz 4 SGB II Bezug nehmen; vgl. auch die Rede des Abgeordneten Stephan Stracke ‹CDU/ CSU› in der ersten Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes „zur Regelung von Ansprüchen ausländischer Personen in der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch und in der Sozialhilfe nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch“ ‹Plenarprotokoll 18/200 S. 20040›), so dass § 7 Abs. 1 Satz 4 bis 6 SGB II so zu lesen sind, als stünde dort „wenn sie seit mindestens fünf Jahren ihren gewöhnlichen und rechtmäßigen (im Sinne von nicht ausreisepflichten) Aufenthalt im Bundesgebiet haben, gerechnet ab dem Zeitpunkt, ab dem sie im Bundesgebiet durchgehend ordnungsgemäß gemeldet sind“.

8. Selbst wenn jedoch § 7 Abs. 1 Satz 4, 5 SGB II keine fortwährende (und überdies melderechtskonforme) Meldung während der gesamten Dauer der Fünfjahresfrist voraussetzte, wäre das Hauptsacheverfahren des Antragstellers gegenwärtig aussichtslos. Dessen Behauptung, er halte sich seit 2013, davon durchgängig seit dem 28. Januar 2015 in der Bundesrepublik Deutschland auf, lässt sich nicht erweisen. Dies geht zu seinen Lasten.

9. Fest steht der Aufenthalt des Antragstellers in der Bundesrepublik Deutschland lediglich für die Zeiten, in denen er in Berlin und Brandenburg in Strafhaft war. Für alle anderen Zeiten liegen keine oder kaum aussagekräftige Indizien (in Form von Meldungen) vor. Die eidesstattlichen Versicherungen des Antragstellers vom 24. März 2020 und 26. März 2020 scheiden als Beweismittel aus. Denn in der Begründung des Gesetzgebers zu § 7 Abs. 1 Satz 4 SGB II heißt es (Bundestagsdrucksache 18/10211 S. 15): „Ausländische Personen, die sich nach § 7 Absatz 1 Satz 4 – neu – auf die Rückausnahme vom Leistungsausschluss nach § 7 Absatz 1 Satz 2 Nummer 2 berufen und einen mindestens fünfjährigen Aufenthalt in Deutschland behaupten, haben hierfür im Zweifelsfall Beweismittel zu bezeichnen und auf Verlangen des zuständigen Leistungsträgers geeignete Nachweise zu erbringen (vergleiche § 60 Absatz 1 Satz 1 Nummer 3 des Ersten Buches Sozialgesetzbuch).“ Hieraus ergibt sich, dass die von der ausländischen Person aufgestellte Behauptung eines mindestens fünfjährigen Aufenthalts (jedenfalls „im Zweifelsfall“) kein Beweismittel ist. Hinzu tritt, dass zu einer Antwort auf die Frage, ob Anordnungsanspruch und –grund glaubhaft gemacht sind, auf die Angaben des Antragstellers allein nicht abgestellt werden kann (vgl. Burkiczak, in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGG, 1. Aufl. 2017, § 86b Rn. 416; LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 7. Dezember 2016, L 29 AS 2544/16 B ER). Wird zudem bedacht, dass der Gesetzgeber gemäß § 7 Abs. 1 Satz 4, 5 SGB II den gewöhnlichen Aufenthalt an eine öffentlich-rechtliche Meldebescheinigung knüpft, so erhellt sich, dass an deren Stelle nicht ohne weiteres eine private Erklärung treten kann (vgl. LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 4. Mai 2020, L 31 AS 602/20 B ER). Darüber hinaus ist zu berücksichtigen, dass sich der Antragsteller eigenen Angaben zufolge an die Zeit vor seinen Gefängnisaufenthalten, also an die Zeit vor dem 12. Dezember 2017, kaum mehr erinnert. Dies deckt sich mit der Tatsache, dass die Angaben des Antragstellers, die sich auf diese Zeit beziehen, teils widersprüchlich, teils lückenhaft, teils unverständlich sind. So gab der Antragsteller ursprünglich an (mit Schriftsatz vom 10. März 2020), dass er bereits in der Zeit vom 30. Dezember 2013 bis zum 28. Januar 2015 „in Deutschland obdachlos“ gewesen sei. Später (in seiner eidesstattlichen Versicherung vom 24. März 2020) behauptete er, dass er 2013 nach Deutschland eingereist sei, und hier zunächst sechs Monate bei seiner Großmutter gelebt habe. Anschließend habe er mit seiner Partnerin, Frau A S, in einem Wohnheim gelebt. (Erst) nach dem Tod seiner Mutter Anfang 2016 sei er obdachlos geworden. Am 11. Februar 2020 gab der Antragsteller an, dass er, nachdem er eine „Depression und […] Drogen und alkohol Probleme“ gehabt habe, in „Kewennes“ gewesen sei, er sei „19 monat im Kewenes“ gewesen, er sei „von 9.12.2017 im Ketenes“ gewesen. Zur Bedeutung dieser Worte konnte er auf Nachfrage des Berichterstatters nur eine Vermutung abgeben.

10. Der Antragsteller hat zwar vier Familienmitglieder benannt, die angeblich bezeugen können, dass sie ihn in den Zeiten seiner (vermeintlichen) Obdachlosigkeit von März 2016 bis Dezember 2017 und von Dezember 2018 bis Juli 2019 „auf der Straße oder in Parks aufgesucht“ hätten, „um sich seines Wohlergehens zu versichern und ihm gelegentlich Essen oder Getränke zu bringen“. Selbst wenn jedoch die Zeugen dies aussagen, ist damit allenfalls erwiesen, dass sich der Antragsteller „gelegentlich“, nicht aber, dass er sich durchgängig regelmäßig in der Bundesrepublik Deutschland aufgehalten hat (vgl. auch LSG Schleswig-Holstein, Beschluss vom 4. Mai 2018, L 6 AS 59/18 B ER: „Ebenso wie das Sozialgericht geht aber der Senat nach seiner Erfahrung davon aus, dass eine verlässliche Zeugenaussage darüber, ob eine zwar bekannte aber dennoch letztlich fremde Person über einen genau umrissenen Zeitraum von fünf Jahren ohne größere Unterbrechungen immer wieder gesehen worden ist, ohne schriftliche Aufzeichnungen dazu nahezu unmöglich ist. […]. Erschwerend kommt nach Ansicht des Senats hinzu, dass die Voraussetzungen für einen gewöhnlichen, also nicht nur vorübergehenden Aufenthalt […] zugunsten einer obdachlosen Person tatsächlich schwerer glaubhaft zu machen sind als für eine sesshafte Person, die allein durch Vorhalten einer Wohnung regelmäßig die Zukunftsoffenheit ihres Aufenthalts […] zu dokumentieren vermag.“). Dass die Zeugen zu den Umständen, unter denen sich der Antragsteller in der Bundesrepublik Deutschland aufgehalten hat, etwas aussagen können, ist ebenfalls nicht ersichtlich. Der Antragsteller behauptet dies nicht. Selbst er hat überdies diese Umstände bislang nicht dargelegt, so dass sich nicht feststellen lässt, ob seine (vermeintlichen) Aufenthalte in den Zeiten von März 2016 bis Dezember 2017 und von Dezember 2018 bis Juli 2019 zukunftsoffen waren. Er hat bis heute nicht einmal behauptet (geschweige denn glaubhaft gemacht), dass er bereits zu diesen Zeiten hierzulande den Mittelpunkt seiner Lebensbeziehungen hatte, dass er sich mithin hierzulande in familiärer, sozialer und/oder beruflicher Hinsicht „etabliert“ hatte. Er gibt nur an, dass er in diesen Zeiten depressiv, drogen- und alkoholabhängig gewesen sei und „im Umkreis Kreuzberg oder Neukölln“ bzw. „regelmäßig“ im Görlitzer Park geschlafen habe, gelegentlich aber auch bei „Bekannten oder anderen Frauen, die er durch die Drogenszene kennengelernt“ habe (die er aber namentlich nicht benennt). In der Zeit von Dezember 2018 bis Juli 2019 sei er auf der Flucht gewesen (folglich dürfte er sich zumindest in dieser Zeit nirgendwo zukunftsoffen aufgehalten haben). Er hat sich eigenen Angaben zufolge in diesen Zeiten nicht um Arbeit bemüht. Er hatte auch – soweit ersichtlich – zu diesen Zeiten noch keine hinreichenden Kenntnisse der deutschen Sprache, keine dauerhafte Beziehung und keine engen Kontakte zu seinen in der Bundesrepublik Deutschland lebenden Verwandten. Die Frage des Berichterstatters vom 5. Mai 2020, wovon er in den Zeiten von März 2016 bis Dezember 2017 und von Dezember 2018 bis Juli 2019 2016/2017 seinen Lebensunterhalt bestritten hat, hat er nicht beantwortet. Seine Aussage, wegen „Diebstahls – vor allem von Nahrungsmitteln und Spirituosen zum Selbstverzehr – und Fahren ohne Führerschein“ verurteilt worden zu sein, legt nahe, dass er seinen Lebensunterhalt damals allein durch Straftaten bestritten hat.

11. Eine Beiladung des zuständigen Trägers der Sozialhilfe gemäß § 75 Abs. 2 SGG war/ist entbehrlich. Dieser kommt nicht als leistungspflichtig in Betracht (§ 23 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 SGB XII). Die Voraussetzungen des § 4a Abs. 1 Satz 1 FreizügG/EU liegen nicht vor, die des § 23 Abs. 3 Satz 7 SGB XII sind (zumindest) nicht glaubhaft gemacht (siehe oben). Überbrückungsleistungen im Sinne des § 23 Abs. 3 Satz 3, 5, 6 SGB XII sind von dem Antrag des Antragstellers nicht umfasst, da sie im Verhältnis zu dem Anspruch auf laufende Leistungen nach dem SGB II/SGB XII einen eigenständigen Streitgegenstand bilden (vgl. Sozialgericht ‹SG› Dortmund, Beschluss vom 31. Januar 2017, S 62 SO 628/ 16 ER; LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 13. Februar 2017, L 23 SO 30/17 B ER; Bayerisches LSG, Beschluss vom 24. April 2017, L 8 SO 77/17 B ER; LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 7. November 2019, L 7 SO 934/19) und voraussetzen, dass der Hilfebedürftige dem Grunde nach ausreisebereit ist (vgl. LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 7. Januar 2019, L 23 SO 279/18 B ER; LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 27. November 2019, L 7 SO 3873/19 ER-B).

12. Dem Antragsteller war sowohl für das Verfahren vor dem Sozialgericht als auch für das unter dem Aktenzeichen L 5 AS 457/21 B ER registrierte Beschwerdeverfahren Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwalt I S, zu bewilligen. Die unter dem Aktenzeichen L 5 AS 459/21 B ER PKH registrierte Beschwerde ist zulässig. Zwar hat das Sozialgericht (auch) bei seiner Entscheidung über das Prozesskostenhilfegesuch des Antragstellers darauf abgestellt, dass dieser die ihm erteilte Auflage, „ungeschwärzte Kontoauszüge der letzten drei Monate in Kopie“ zu übersenden, nur unzureichend erfüllt habe. Abgelehnt hat es das Gesuch aber nicht deshalb, weil die wirtschaftlichen Voraussetzungen für die Prozesskostenhilfe nicht vorlägen (§ 172 Abs. 3 Nr. 2 a› SGG), sondern weil „das Begehren des Antragstellers keine Erfolgsaussichten“ habe. Die unter dem Aktenzeichen L 5 AS 459/21 B ER PKH registrierte Beschwerde ist auch begründet. Zu Unrecht ist das Sozialgericht zu dem Ergebnis gelangt, dass der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung keine hinreichen Aussicht auf Erfolg biete, weil der Antragsteller die ihm erteilte Auflage, „ungeschwärzte Kontoauszüge der letzten drei Monate in Kopie“ zu übersenden, nur unzureichend erfüllt habe und deshalb Anordnungsanspruch und -grund nicht glaubhaft gemacht seien. An dem Tag, an dem das Sozialgericht über den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung entschieden hat, lagen diese Kontoauszüge vollständig vor.

13. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 Satz 1 SGG (analog) und § 73a Abs. 1 Satz 1 SGG in Verbindung mit § 127 Abs. 4 ZPO.

14. Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht angefochten werden, § 177 SGG.

Zuletzt aktualisiert am Juli 21, 2021 von eurogesetze

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