Sondernutzungsgebühren für die Nutzung eines öffentlichen Platzes zur Lagerung von Baumaterial

Gericht: Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg 1. Senat
Entscheidungsdatum: 02.06.2021
Aktenzeichen: OVG 1 B 2.19
ECLI: ECLI:DE:OVGBEBB:2021:0602.OVG1B2.19.00
Dokumenttyp: Urteil

Sondernutzungsgebühren für die Nutzung eines öffentlichen Platzes zur Lagerung von Baumaterial

Leitsatz

1. Dem öffentlichen Verkehr gewidmete Plätze sind öffentliche Straßen im Sinne von § 2 Abs 1 BerlStrG (juris: StrG BE) und damit grundsätzlich sondernutzungsgebührenpflichtig.(Rn.22)

2. Die Formulierung „Inanspruchnahme von … verkehrsberuhigten Bereichen“ in der Tarifstelle 5.1 Buchst. a) des Gebührenverzeichnisses zur Sondernutzungsgebührenverordnung (SNGebV; juris: SoGebV BE) umfasst auch straßenrechtlich für ruhige Verkehrsarten (Fußgänger- und/oder Fahrradverkehr) beschränkt gewidmete Plätze. Eine Beschilderung nach der Straßenverkehrsordnung (StVO) ist insofern nicht erforderlich.(Rn.38)

Verfahrensgang

vorgehend VG Berlin, 1 K 440.17

Tenor

Soweit die Beteiligten den Rechtsstreit in der Hauptsache übereinstimmend für erledigt erklärt haben, wird das Verfahren eingestellt; insoweit ist das Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin vom 6. Dezember 2018 wirkungslos.

Auf die Berufung der Klägerin wird das angegriffene Urteil geändert. Die Bescheide des Bezirksamts Mitte vom 31. Oktober 2016 in Gestalt des Widerspruchsbescheids der Senatsverwaltung für Umwelt, Verkehr und Klimaschutz vom 30. Mai 2017 und der Änderungsbescheide des Bezirksamts Mitte vom 3. April 2019 sowie vom 2. Mai 2019 werden aufgehoben soweit Sondernutzungsgebühren von mehr als 367.456,92 Euro festgesetzt worden sind. Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.

Die Kosten des Verfahrens beider Rechtstufen tragen die Klägerin und der Beklagte jeweils zur Hälfte.

Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der jeweilige Vollstreckungsschuldner darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung i.H.v. 110 v.H. des jeweils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der jeweilige Vollstreckungsgläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

1. Die Klägerin wendet sich gegen die Zahlung von Sondernutzungsgebühren für die Nutzung des Washingtonplatzes in Berlin zur Lagerung von Baumaterial. Sie ist Rechtsnachfolgerin der V… GmbH (im Folgenden: V…), die wiederum Rechtsnachfolgerin der Verwertungsgesellschaft für E…GmbH & Co. KG (im Folgenden: Verwertungsgesellschaft) ist.

2. Die Verwertungsgesellschaft war Eigentümerin verschiedener im städtebaulichen Entwicklungsbereich „Hauptstadt Berlin – Parlaments- und Regierungsviertel“ gelegener Grundstücke am sogenannten Stadtquartier Lehrter Bahnhof. Sie beabsichtigte, die Entwicklung der Grundstücke am Stadtquartier Lehrter Bahnhof über Projektgesellschaften durchzuführen. Zu diesem Zweck schlossen die Verwertungsgesellschaft und der Beklagte am 25. September 2001 eine Vereinbarung u.a. über die Ablöse eines Ausgleichsbetrages nach dem Baugesetzbuch (BauGB) aufgrund städtebaulicher Sanierung und über die Abwendung des Grunderwerbs durch den Beklagten betreffend das Baufeld MK 9 auf dem südlichen Bahnhofsvorplatz, dem späteren Washingtonplatz. Mit Grundstückskaufvertrag vom 26. Juni 2002 verkaufte die V… unter anderem die das Baufeld MK 9 umgrenzenden Flächen auf dem Washingtonplatz, unter denen sie ursprünglich eine Tiefgarage realisieren wollte, an die D… mbH (im Folgenden: D…). Die D… führte als Entwicklungsträgerin und Treuhänderin für den Beklagten aufgrund des Entwicklungsträgervertrages vom 29. Juni 1994 die Entwicklungsmaßnahme „Hauptstadt Berlin – Parlaments- und Regierungsviertel“ durch.

3.

Ausweislich der Begründung der Vorlage – zur Beschlussfassung – (vgl. Abgh-Drs. 15/5173, S. 53) des mit Verordnung über die Festsetzung des Bebauungsplans II-201a im Bezirk Mitte, Ortsteile Moabit und Mitte vom 3. Juli 2006 bekannt gemachten (GVBl. Nr. 27 vom 15. Juli 2006, S. 795) Bebauungsplans vom 12. Januar 2006 handelt es sich bei dem Washingtonplatz um „Verkehrsflächen besonderer Zweckbestimmung“ i.S.v. § 9 Abs. 1 Nr. 11 BauGB für die als Verkehrsarten „nur die Erschließung der Solitäre und ansonsten Fahrrad- und Fußgängerverkehr“ vorgesehen sind. Mit Allgemeinverfügung vom 13. Februar 2007 (ABI. Nr. 9 / 02.03.2007, S. 543) wurde der Washingtonplatz entsprechend dem Bebauungsplan II-201a als öffentliches Straßenland gemäß § 3 Berliner Straßengesetz (BerlStrG) gewidmet.

4. Mit Vereinbarung vom 28. Oktober 2009 änderten die V… und der Beklagte die in der Abwendungsvereinbarung vom 25. September 2001 festgelegte Höhe des Ausgleichsbetrags. Im Vorfeld hatten die Vertragsparteien über die Frage der Erhebung von Sondernutzungsgebühren verhandelt, ohne hierzu eine Einigung zu erzielen (vgl. Besprechungsprotokoll vom 14. Mai 2009, Gerichtsakte Bl. 146). Am 19. März 2015 gingen die Grundstücksflächen rund um das Baufeld MK 9, soweit sie nicht bereits im Eigentum des Beklagten standen, in dessen Eigentum über.

5. Mit zwei Bescheiden – jeweils vom 31. Oktober 2016 – erteilte das Bezirksamt Mitte von Berlin der Klägerin die beantragten Sondernutzungserlaubnisse für die Benutzung des Washingtonplatzes als Baustelleneinrichtungsfläche zunächst für drei Monate (1. September 2016 bis 30. November 2016 – Phase 0) sowie für weitere 34 Monate (1. Dezember 2016 bis 30. September 2019 – Phase 1). Nach den übereinstimmenden Angaben der Beteiligten umfasste die Baustelleneinrichtung in der Zeit vom 1. September 2016 bis 31. Juli 2018 (23 Monate) auch 147,06 m2 des Gehwegs der Ella-Trebe-Straße. Für die Sondernutzung wurden Gebühren in Höhe von vier Euro/m2 pro Monat nach der Tarifstelle 5.1 Buchst. b), Spalte 1, des Gebührenverzeichnisses zur Verordnung über die Erhebung von Gebühren für die Sondernutzung öffentlicher Straßen (Sondernutzungsgebührenverordnung – SNGebV -) festgesetzt. Daraus ergaben sich rechnerisch Sondernutzungsgebühren für die Phase 0 in Höhe von (5.964,08 m2 x 4 Euro x 3 Monate =) 71.568,96 Euro sowie für die Phase 1 (5.970,16 m2 x 4 Euro x 34 Monate =) 811.941,76 Euro, mithin insgesamt 883.510,72 Euro.

6. Gegen diese Bescheide legte die Klägerin unter dem 24. November 2016 Widerspruch ein, den die Senatsverwaltung für Umwelt, Verkehr und Klimaschutz mit Widerspruchsbescheid vom 30. Mai 2017 zurückwies.

7. Am 30. Juni 2017 hat die Klägerin gegen die Gebührenforderung Anfechtungsklage erhoben, die das Verwaltungsgericht mit am 6. Dezember 2018 verkündetem Urteil, das der Klägerin (spätestens) am 23. Januar 2019 zugestellt worden ist, abgewiesen und die Berufung zugelassen hat. Zur Begründung heißt es: Die Tatbestandsvoraussetzungen der Gebührenfestsetzung nach dem Berliner Straßengesetz i.V.m. der Tarifstelle 5.1 Buchst. b), Spalte 1, der Anlage 1 zu § 1 Abs. 1 Satz 1 SNGebV seien erfüllt. Die Gebührenerhebung verstoße weder gegen das Äquivalenzprinzip noch gegen Treu und Glauben. Die Klägerin habe auch keinen Anspruch auf eine Ermäßigung der Gebühren oder deren Erlass.

8. Hiergegen hat die Klägerin am 11. Februar 2019 Berufung eingelegt und diese mit Schriftsatz vom 21. März 2019 begründet.

9. Im Laufe des Baufortschritts war die Baustelleneinrichtungsfläche in Abstimmung mit dem Beklagten stückweise reduziert worden. Diesem Umstand hat das Bezirksamt Mitte von Berlin mit Änderungsbescheiden vom 3. April 2019 und 2. Mai 2019 Rechnung getragen und die festgesetzten Sondernutzungsgebühren um (69.936,00 + 92.190,40 =) 162.126,40 Euro reduziert. Dementsprechend haben die Beteiligten das Verfahren insoweit übereinstimmend für erledigt erklärt, so dass noch eine Gebührenhöhe von 721.384,32 Euro im Streit ist.

10. Die Klägerin macht zur Begründung der Berufung im Wesentlichen geltend: Die Nutzung des Washingtonplatzes sei gebührenfrei erfolgt. Die Tarifstelle 5.1 des Gebührenverzeichnisses tauge insgesamt nicht als Rechtsgrundlage für die Erhebung von Sondernutzungsgebühren wegen einer Baustelleneinrichtung auf einem öffentlich Platz. Der Washingtonplatz unterfalle als selbständiger Platz nicht dem Tatbestand der Tarifstelle 5.1, denn es handele sich „nicht (um) dem Fahrzeugverkehr dienende Straßenbestandteile wie Gehweg, Grünanlagen, Trenn-, Rand- oder Sicherheitsstreifen“. Dieser Definition unterfielen nur unselbständige Straßenbestandteile bzw. Anlagen. Der Verordnungsgeber habe Sondernutzungsgebühren nur bei einer Inanspruchnahme der Fahrbahn und gegebenenfalls darin befindlicher Mittelstreifen sowie an die Fahrbahn üblicherweise anschließender Radwege und daneben befindlicher Gehwege erheben wollen, nicht aber für die Nutzung selbständiger Flächen, die keine Bestandteile der Fahrbahn seien. Sofern man die Tarifstelle 5.1 Buchst. a) heranziehen wolle, sei diese zu unbestimmt und damit unwirksam. Unabhängig davon seien die Sondernutzungsgebühren nach § 8a SNGebV zu ermäßigen oder zu erlassen, weil die Sondernutzung im besonderen öffentlichen Interesse Berlins gelegen habe (Nr. 1) bzw. die Gebührenerhebung auf Grund der Besonderheit des Einzelfalles zu einer Härte führen würde (Nr. 2). Schon die zwischen ihr und dem Land Berlin bzw. der D… sowie weiteren Beteiligten geschlossenen Vereinbarungen (Abwendungsvereinbarung vom 25. September 2001, Grundstückskaufvertrag 26. Juni 2002 und Änderungsvereinbarung vom 28. Oktober 2009) stünden der Erhebung entgegen. Es werde daher die Einrede der Vertragsanpassung erhoben. Außerdem liege ein Verstoß gegen das Äquivalenzprinzip sowie gegen Treu und Glauben vor.

11. Die Klägerin beantragt,

12. das Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin vom 6. Dezember 2018 zu ändern und die Bescheide des Bezirksamts Mitte vom 31. Oktober 2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids der Senatsverwaltung für Umwelt, Verkehr und Klimaschutz vom 30. Mai 2017 und der Änderungsbescheide des Bezirksamt Mitte vom 3. April 2019 sowie vom 2. Mai 2019 hinsichtlich der festgesetzten Sondernutzungsgebühren aufzuheben.

13. Der Beklagte beantragt,

14. die Berufung zurückzuweisen.

15. Er meint: Der Verordnungsgeber habe mit der Tarifstelle 5.1 die Regelung in § 11 Abs. 3 Satz 1 BerlStrG für Sondernutzungserlaubnisse in Bezug auf die Einrichtung von Baustellen und deren Beeinträchtigung des fließenden oder ruhenden Straßenverkehrs aufgegriffen und die Unterscheidung zwischen Fahrzeugverkehr und Fußgängerverkehr weiter ausgeformt. Die Tarifstelle unterscheide einerseits zwischen der „Inanspruchnahme von Straßen innerhalb von Tempo 30-Zonen und verkehrsberuhigten Bereichen sowie von Straßen mit einer Geschwindigkeitsbeschränkung unter 30 km/h“ (Buchst. a) und andererseits der Inanspruchnahme „aller anderen Straßen“ (Buchst. b). Innerhalb dieser Unterteilung werde zwischen „nicht dem Fahrzeugverkehr dienende(n) Straßenbestandteile(n) wie Gehweg, Grünanlagen, Trenn-, Rand- oder Sicherheitsstreifen“ (Spalte 1) und den Straßenbestandteilen differenziert, „die dem fließenden und ruhenden Fahrzeugverkehr zu dienen bestimmt sind“ (Spalte 2). Für die Anwendung des Buchstaben a) der Tarifstelle 5.1 bedürfe es einer Geschwindigkeitsbeschränkung durch ein entsprechendes Verkehrszeichen nach der Straßenverkehrs-Ordnung. Für die den Washingtonplatz umgrenzenden Straßen (Rahel-Hirsch-Straße, Ella-Trebe-Straße und Friedrich-List-Ufer) bestünden keine Geschwindigkeitsbegrenzungen, so dass die regelmäßig innerorts zulässige Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h gelte. Danach scheide die Anwendung der Tarifstelle 5.1 Buchst. a) aus und der Buchstabe b) für „alle(.) anderen Straßen“ sei einschlägig. Die weitere Abstufung der Gebührenhöhe in den Spalten 1 und 2 zeige die Absicht des Verordnungsgebers, die unterschiedlich starke Beeinträchtigung des Gemeingebrauchs auf einem Gehweg, bei dem der rollende Verkehr unbeeinflusst bleibe und nur der Fußgängerverkehr beeinträchtigt werde, gegenüber Sondernutzungen im Straßenraum, die den Fahrzeugverkehr behinderten, zu berücksichtigen. Da für die inmitten stehenden Flächen eine Zweckbestimmung für den Fahrrad- und Fußgängerverkehr festgesetzt worden sei, unterfalle die Nutzung des Washingtonplatzes der Tarifstelle 5.1. Buchst. b), Spalte 1. Die Ermäßigungs- und Erlassregelungen des § 8a Nr. 1 und 2 SNGebV seien tatbestandlich nicht erfüllt. Eine ohnehin nur beachtliche gröbliche Störung des Äquivalenzprinzips liege nicht vor. Die zwischen dem Land Berlin bzw. der D… und der Klägerin sowie weiteren Beteiligten geschlossenen Vereinbarungen stünden der Gebührenerhebung ebenfalls nicht entgegen.

16. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte (2 Bände) sowie die Verwaltungsvorgänge des Beklagten (2 Hefter) Bezug genommen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung und der Beratung gewesen sind.

Entscheidungsgründe

17. Die durch das Verwaltungsgericht zugelassene Berufung ist zulässig, insbesondere ist sie form- und fristgemäß eingelegt und begründet worden (§ 124a Abs. 2 und 3 VwGO).

18. I. Soweit die Beteiligten den Rechtsstreit in der Hauptsache übereinstimmend für erledigt erklärt haben, ist das Verfahren entsprechend § 92 Abs. 3 Satz 1 VwGO einzustellen. Im Umfang der Erledigung (in Höhe einer Gebührenforderung von 162.126,40 Euro), die am 11. März 2021 eingetreten ist, ist das Urteil des Verwaltungsgerichts vom 6. Dezember 2018 wirkungslos (§ 173 Satz 1 VwGO i.V.m. § 269 Abs. 3 Satz 1 ZPO analog).

19. II. Die angegriffenen Bescheide sind im tenorierten Umfang rechtswidrig und verletzen die Klägerin in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Das angefochtene Urteil ist entsprechend zu ändern, denn insoweit hätte das Verwaltungsgericht der Anfechtungsklage stattgeben müssen. Im Übrigen hat die Berufung keinen Erfolg.

20. Rechtsgrundlage der Gebührenfestsetzung ist §§ 11 Abs. 9 Satz 1, 27 Abs. 2 Satz 1 BerlStrG vom 13. Juli 1999 (GVBl. S. 380), in der bei Erlass des Widerspruchsbescheides geltenden Fassung des Gesetzes vom 14. Dezember 2008 (GVBl. S. 466), i.V.m. § 1 Abs. 1 Satz 1 SNGebV, in der hier maßgeblichen Fassung der ersten Änderungsverordnung vom 16. Mai 2012 (GVBl. 2012, 160), i.V.m. der Tarifstelle 5.1 Buchst. a) und b), jeweils Spalte 1, des Gebührenverzeichnisses zu § 1 Abs. 1 Satz 1 (Anlage 1) vom 12. Juni 2006 (GVBl. 2006, 589). Nach § 1 Abs. 1 Satz 1 SNGebV werden für Sondernutzungen i.S.v. § 11 Abs 1 BerlStrG auf öffentlichen Straßen, die in der Baulast und im Eigentum des Landes Berlin oder der Bundesrepublik Deutschland stehen, Sondernutzungsgebühren nach dieser Verordnung und dem Gebührenverzeichnis der Anlage 1 erhoben. Auf dieser rechtlichen Grundlage sind die festgesetzten Gebühren nur im erkannten Umfang rechtmäßig.

21. 1. In formeller Hinsicht sind die angefochtenen Bescheide nicht zu beanstanden. Das Bezirksamt war für den Erlass des Bescheides zuständig (vgl. § 26 Abs. 1 Satz 1 BerlStrG, § 3 Abs. 2 AZG bzw. § 2 Abs. 4 ASOG i.V.m. Nr. 15 Abs. 2 ZustKat Ord sowie Senatsurteil vom 23. April 2015 – OVG 1 B 23.12 – juris Rn. 30 ff.).

22. 2. Materiell folgt der Gebührenanspruch aus § 1 Abs. 1 Satz 1 SNGebV. Dessen Voraussetzungen sind erfüllt. Bei dem Washingtonplatz handelt es sich um eine öffentliche Straße im Sinne von § 2 Abs. 1 BerlStrG. Hierzu zählen ausdrücklich auch Plätze, die – wie der Washingtonplatz – für den öffentlichen Verkehr gewidmet sind (vgl. Allgemeinverfügung vom 13. Februar 2007, a.a.O.). Die Baustelleneinrichtung stellte keine verkehrliche Nutzung dar und unterfiel damit nicht dem gebührenfreien Gemein- bzw. Anliegergebrauch (vgl. Senatsurteil vom 23. April 2015 – OVG 1 B 23.12 – juris Rn. 56).

23. Die Erhebung der Sondernutzungsgebühren richtet sich nach der Tarifstelle 5.1 des Gebührenverzeichnisses. Die Vorschrift lautet:

24. „5 Sondernutzungen im Zusammenhang mit baulichen Maßnahmen

25. 5.1 a) Inanspruchnahme von Straßen innerhalb von Tempo 30-
Zonen und verkehrsberuhigten Bereichen sowie von Straßen
mit einer Geschwindigkeitsbeschränkung unter 30 km/h
für die unter Berücksichtigung von § 11 Abs. 3 Satz 2 BerlStrG
in der Sondernutzungserlaubnis festgelegte Nutzungszeit

26. (Spalte 1)

27. nicht dem Fahrzeugverkehr dienende Straßenbestandteile wie
Gehweg, Grünanlagen, Trenn-, Rand- oder Sicherheitsstreifen
je Monat/m2 2,00 €

28. (Spalte 2)

29. alle Straßenbestandteile, die dem fließenden und ruhenden
Fahrzeugverkehr zu dienen bestimmt sind
je Monat/m2 4,00 €

30. b) Inanspruchnahme aller anderen Straßen

31. für die unter Berücksichtigung von § 11 Abs. 3 Satz 2 BerlStrG
in der Sondernutzungserlaubnis festgelegte Nutzungszeit

32. (Spalte 1)

33. nicht dem Fahrzeugverkehr dienende Straßenbestandteile wie
Gehweg, Grünanlagen, Trenn-, Rand- oder Sicherheitsstreifen
je Monat/m2 4,00 €

34. (Spalte 2)

35. alle Straßenbestandteile, die dem fließenden und ruhenden
Fahrzeugverkehr zu dienen bestimmt sind
je Monat/m2 7,50 €.“

36. a. Die Ansicht der Klägerin, dass es für Plätze generell keine Rechtsgrundlage für die Erhebung von Sondernutzungsgebühren gebe, trifft nicht zu. Dagegen spricht der Wortlaut der Tarifstelle 5.1 sowie der erkennbare Sinn und Zweck der Sondernutzungsgebührenverordnung. Bereits dem Wortlaut der Anlage 2 „Sofern die Grenzen eines Bereichs durch Straßen oder Plätze definiert werden, sind diese Bestandteil des Bereiches“, ist eindeutig zu entnehmen, dass auch die Sondernutzung von Plätzen grundsätzlich gebührenpflichtig sein soll. Auf die von der Klägerin getroffene Differenzierung von selbstständigen und unselbständigen Bestandteilen einer Straße kommt es in diesem Zusammenhang nicht an. Maßgebend ist allein, dass es sich bei dem Platz um eine öffentliche Straße handelt. Das ist nach der Legaldefinition des § 2 Abs. 1 BerlStrG der Fall. Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus dem Senatsurteil vom 7. Oktober 2010 – OVG 1 B 27.09 – (juris Rn. 20 ff. <23>). Darin hatte sich der Senat lediglich mit der Erhebung von Gebühren für eine Baustelleinrichtung auf einem Grünstreifen, einem bloßen Straßenbestandteil, befasst, so dass bereits ein anderer Nutzungsgegenstand zugrunde lag. Zudem erging das Urteil zu der bis zum 16. Juni 2012 geltenden Fassung der Tarifstelle 5.1 (vgl. GVBl. 2006, 589 <594>).

37. b. Entgegen der Ansicht des Beklagten ist die Tarifstelle 5.1 Buchst. a) für die Sondernutzung des Washingtonplatzes einschlägig.

38. (1) Der Verordnungsgeber ist nach Wortlaut, Sinn und Zweck der Tarifstelle 5.1. erkennbar davon ausgegangen, dass Sondernutzungen im Zusammenhang mit baulichen Maßnahmen auf öffentlichen Straßen i.S.v. § 2 Abs. 1 BerlStrG, die geschwindigkeitsbeschränkt oder verkehrsberuhigte Bereiche sind, dem Buchst. a) der Norm unterfallen, wonach eine niedrigere Gebühr zu erheben ist als bei nicht verkehrsberuhigten „allen anderen“ Straßen (Buchst. b). Mit dieser Differenzierung hält der Verordnungsgeber den ihm zustehenden weiten Gestaltungsspielraum bei der Festlegung konkreter Gebührenhöhen ein. Diese Gestaltungsfreiheit endet erst dort, wo ein einleuchtender Grund für eine vorhandene oder unterlassene Differenzierung nicht mehr erkennbar ist (vgl. dazu Senatsurteile vom 27. August 2014 – OVG 1 B 57.11 – juris Rn. 38 und 7. Oktober 2010 – OVG 1 B 27.09 – juris Rn. 24). Die Formulierung der „verkehrsberuhigten Bereiche()“ in Buchst. a) ist in einem umfassenden Sinn zu verstehen und nicht auf die straßenverkehrsrechtliche Terminologie beschränkt. Damit sind nicht nur mit Verkehrszeichen 325 der Anlage 3 zu § 42 Abs. 2 StVO, Abschnitt 4, gekennzeichnete verkehrsberuhigte Bereiche (sog. Spielstraßen), „verkehrsberuhigte Geschäftsbereiche“ i.S.v. § 45 Abs. 1d StVO und Fußgängerzonen (Zeichen 242) angesprochen, sondern ebenfalls straßenrechtlich gleichsam „verkehrsberuhigt“ gewidmete Flächen. Denn das Straßenrecht entscheidet, welche Verkehrsarten auf der jeweiligen Straße zulässig sind. Die Regelung des konkreten Verkehrsverhaltens durch das Straßenverkehrsrecht darf im Ergebnis nicht auf eine Erweiterung der Widmung, etwa durch Zulassung einer weiteren Verkehrsart, hinauslaufen, da diese Frage bereits zum Gemeingebrauch selbst gehört (vgl. Sauthoff, Öffentliche Straßen, 3. Aufl., 2020, Rn. 19 ff.).

39. Die Widmung des Washingtonplatzes als öffentliches Straßenland hat den 2006 für das Gebiet festgesetzten Bebauungsplan II-201a ausdrücklich in Bezug genommen. Danach ist für die Bahnhofsvorplätze und damit auch für den Washingtonplatz schon nach der zeichnerischen Darstellung keine Straßenverkehrsfläche für alle Verkehrsarten vorgesehen, sondern eine „Verkehrsfläche besonderer Zweckbestimmung“ i.S.d. § 9 Abs. 1 Nr. 11 BauGB. Dass eine solche Festsetzung in einem Bebauungsplan grundsätzlich zulässig ist, ist allgemein anerkannt (vgl. nur VGH Mannheim, Urteil vom 22. März 2006 – 3 S 1119/04 – juris Rn. 34; OVG Münster, Urteil vom 26. Februar 2009 – 10 D 31/07.NE – juris Rn. 29 ff.). Als Verkehrsarten sind hier ausdrücklich „zunächst nur die Erschließung der Solitäre und ansonsten Fahrrad- und Fußgängerverkehr … vorgesehen“. Ausweislich der Planbegründung sollte dadurch „verhindert werden, dass die städtebauliche Grundform von Blockstruktur, Solitärbebauung und Hafenkolonnaden durch Straßenverkehr oder Parkplatzanlagen gestört wird. Erst die freien Plätze erlauben die Wirkung der Solitäre. Insbesondere der südliche Platz unterstreicht die Beziehung zwischen dem Bahnhof und dem Regierungsbereich durch seine weiträumigen Blickbeziehungen zum Inneren Spreebogen. Darüber hinaus soll insbesondere der südliche Bahnhofsvorplatz (Washingtonplatz) ein Ort werden, der durch seine Aufenthaltsqualität zum Verweilen einlädt“.

40. Vor diesem Hintergrund ist die maßgebliche straßenrechtliche Widmung des Washingtonplatzes als „verkehrsberuhigter Bereich“ i.S.d. der Tarifstelle 5.1 Buchst. a) nicht zweifelhaft. Einer gesonderten straßenverkehrsrechtlichen Beschilderung bedurfte es dafür – anders als im Fall des Senatsurteils vom 23. April 2015 – OVG 1 B 23.12 – (juris Rn. 36) – naturgemäß nicht. Denn in dem dieser Entscheidung zugrunde liegenden Sachverhalt ging es um einen Parkplatz, der dem Kraftfahrzeugverkehr gewidmet war.

41. (2) Innerhalb des Buchst. a) der Tarifstelle 5.1 ist – nach insofern übereinstimmender Ansicht der Beteiligten – die Spalte 1 für den Washingtonplatz einschlägig, da der südliche Bahnhofsvorplatz ausweislich seiner Widmung und bauseitigen Gestaltung nicht dem Kraftfahrzeugverkehr zu dienen bestimmt ist. In der früheren Fassung der Tarifstelle 5.1 wurde innerhalb der Buchstaben a) und b) – anders als bei der hier anzuwendenden Fassung (s.o.) – lediglich zwischen „Gehweg“ (Spalte 1) und „übriger Straßenraum“ (Spalte 2) unterschieden. Dieser Unterscheidung ist die erkennbare Absicht des Verordnungsgebers zu entnehmen, die Gebührenhöhe unter Beachtung der Bemessungskriterien des § 11 Abs. 9 Satz 2 BerlStrG abzustufen und die Sondernutzungsgebühren für Beeinträchtigungen des Fußgängerverkehrs niedriger anzusetzen als diejenigen für Beeinträchtigungen des Kraftfahrzeugverkehrs (vgl. Senatsurteil vom 7. Oktober 2010 – OVG 1 B 27.09 – juris Rn. 19 ff., 23 m.w.N.). Diese Differenzierung, die Höhe der Sondernutzungsgebühren mit Blick auf die Beeinträchtigungsintensität unterschiedlicher Verkehrsarten zu staffeln, liegt auch der hier anwendbaren Fassung der Tarifstelle 5.1 zugrunde.

42. Der Verordnungshistorie ist ferner zu entnehmen, dass der Verordnungsgeber mit der Ersten Verordnung zur Änderung der Sondernutzungsgebührenverordnung – offenbar in Folge des Senatsurteils vom 7. Oktober 2010 (a.a.O.) – um eine Klarstellung bemüht war, indem in der Tarifstelle 5.1 das Wort „Gehweg“ durch die Wörter „nicht dem Fahrzeugverkehr dienende Straßenbestandteile wie Gehweg, Grünanlagen, Trenn-, Rand- oder Sicherheitsstreifen“ und die Wörter „übriger Straßenraum“ jeweils durch die Wörter „alle Straßenbestandteile, die dem fließenden und ruhenden Fahrzeugverkehr zu dienen bestimmt sind“ ersetzt wurde. Durch diese „detaillierte Beschreibung des öffentlichen Straßenraums“ sollte eine „klare Zuordnung ermöglicht werden, welche Straßenlandflächen im Zusammenhang mit Baustelleneinrichtungen konkret in Anspruch genommen werden. Mit der an das Berliner Straßengesetz angelehnten Formulierung sollen etwa bestehende Unklarheiten beseitigt werden“ (vgl. Vorlage – zur Kenntnisnahme – über die Erste Verordnung zur Änderung der Sondernutzungsgebührenverordnung, b) Einzelbegr. Zu Artikel I Nummer 6 (Anlage 1), Zu Buchstabe j (Tarifstelle 5.1).

43. (3) Entgegen der Ansicht der Klägerin ist die Regelung auch nicht zu unbestimmt. Das Bestimmtheitsgebot verlangt im Bereich des Gebühren- und Beitragsrechts eine dem jeweiligen Sachzusammenhang angemessene Regelungsdichte. Insbesondere muss der Gebührenpflichtige hinreichend klar erkennen können, für welche öffentliche Leistung die Gebühr erhoben wird und welche Zwecke mit der Gebührenbemessung verfolgt werden. Eine willkürliche Handhabung durch die Behörden muss ausgeschlossen sein (BVerwG, Urteil vom 27. Juni 2013 – 3 C 7.12 – juris Rn. 16 ff. m.w.N.). Gemessen daran, ist die unter II 2.a. und b. (1) und (2) skizzierte Regelungsdichte ausreichend und – jedenfalls im Wege der Auslegung – hinreichend klar. Was unter „verkehrsberuhigten Bereichen“ zu verstehen ist, ist – wie oben ausgeführt – sowohl straßenverkehrsrechtlich als auch straßenrechtlich ebenso eindeutig wie die Staffelung der unter konkreter Angabe von Euro-Beträgen festgelegten Gebührensätze nach Maßgabe der jeweiligen Beeinträchtigungsintensität. Jeder Gebührenschuldner kann die Höhe der zu erwartenden Gebührenlast anhand der normativen Festlegungen sicher einschätzen.

44. (4) Schließlich verstößt die Einordnung des Washingtonplatzes unter die Tarifstelle 5.1 Buchst. a) des Gebührenverzeichnisses nicht gegen das Äquivalenzprinzip.

45. Das Äquivalenzprinzip ist eine gebührenrechtliche Ausprägung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes. Danach darf eine Sondernutzungsgebühr ihrer Höhe nach weder außer Verhältnis zum Ausmaß der mit der Sondernutzung verbundenen Beeinträchtigung der gemeingebräuchlichen Nutzungsmöglichkeit noch außer Verhältnis zu dem mit der Straßennutzung verfolgten wirtschaftlichen Interesse stehen (vgl. BVerwG, Beschluss vom 17. Oktober 2008 – 9 B 24.08 – juris Rn. 4 und Urteil vom 15. Juli 1988 – 7 C 5.87 – juris Rn. 13 ff., BVerwGE 80, 36 ff.). Das Äquivalenzprinzip ist nur bei einer gröblichen Störung des Ausgleichsverhältnisses zwischen der Gebühr und dem Vorteil bzw. einer prohibitiven oder erdrosselnden Wirkung verletzt, wobei die individuelle Gewinnerwartung eines Sondernutzers unberücksichtigt bleiben kann (vgl. Senatsurteile vom 23. April 2015 – OVG 1 B 23.12 – juris Rn. 80 und vom 27. August 2014 – OVG 1 B 57.11 – juris Rn. 32 ff. m.w.N., nachgehend BVerwG, Beschluss vom 30. Juni 2015 – 9 B 85.14 – juris).

46. Angesichts der innerhalb der Tarifstelle 5.1 geringsten Gebührenhöhe von 2 Euro/m2 (Buchst. a), Spalte 1) ist eine gröbliche Störung des Verhältnisses zwischen Gebühr und Vorteil nicht erkennbar. Die von der Klägerin für ihre Baustelleinrichtung genutzte und gebührenrechtlich angesetzte Fläche von rd. 5.970 m2 betrug ca. 1/3 des Washingtonplatzes (ca. 18.000 m2). Die Nutzung dauerte insgesamt über 3 Jahre, wodurch der Gemeingebrauch auf dem Platz in räumlicher und zeitlicher Hinsicht erheblich eingeschränkt war.

47. Aus dem Senatsurteil vom 7. Oktober 2010 (OVG 1 B 27.09 – juris Rn. 22 <24>) kann die Klägerin auch in diesem Zusammenhang nichts für ihre Rechtsansicht ableiten. Im Gegenteil: Das Bemessungskriterium des Gesetz- und Verordnungsgebers, wonach die (hier nicht gegebene) Beeinträchtigung des Kraftfahrzeugverkehrs erst innerhalb der jeweiligen Spalte der Buchstaben a) und b) der Tarifstelle 5.1 maßgeblich sein soll, ist mit der unstreitigen Anwendbarkeit der Spalte 1 gewahrt.

48. c. Soweit die Klägerin den Gehweg der Ella-Trebe-Straße genutzt hat, ist die Anwendung der Tarifstelle 5.1 Buchst. b), Spalte 1, hingegen nicht zu beanstanden; Insoweit handelt es sich auch nach der Rechtsansicht der Klägerin um die Inanspruchnahme eines zum Straßenkörper gehörenden Bestandteils (§ 2 Abs. 2 Nr. 1 Buchst. b) BerlStrG) einer „anderen“ Straße.

49. 3. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf eine Ermäßigung oder einen Gebührenerlass nach § 8a SNGebV. Danach kann eine Sondernutzungsgebühr ermäßigt oder erlassen werden, „wenn (1.) die Sondernutzung im besonderen öffentlichen Interesse Berlins liegt oder (2.) ihre Erhebung aufgrund der Besonderheit des Einzelfalls zu einer Härte führen würde, die nicht auf persönlichen Umständen des Gebührenschuldners beruht.“ Beide Voraussetzungen sind nicht erfüllt.

50. a. Das Verwaltungsgericht (vgl. VG-Urteil, S. 7) hat ein besonderes öffentliches Interesse mit Blick auf die Begründung zu dem durch die Erste Verordnung zur Änderung der Sondernutzungsgebührenverordnung vom 10. April 2012 (vgl. Abgh-Drs. 17/039, S. 8 f.) neu eingeführten § 8a verneint. Danach müsse „die Sondernutzung selbst in besonderem öffentlichen Interesse stehen“, wobei „nicht jede Sondernutzung, die in irgendeiner Form auch der Allgemeinheit dient, bereits für die Eröffnung der Vorschrift“ ausreiche. Gefordert sei vielmehr „ein öffentliches Interesse von nicht untergeordneter Bedeutung.“ Ferner sei zu berücksichtigen, dass es sich bei § 8a SNGebV um eine Härtefallregelung handele (vgl. Abgh-Drs. 17/039, S. 9), die als Ausnahmevorschrift grundsätzlich eng auszulegen sei. Nach diesen Maßstäben sei nicht erkennbar, dass an der Inanspruchnahme des Washingtonplatzes als Baustelleneinrichtungsfläche ein besonderes öffentliches Interesse bestanden habe; denn die Nutzung des Platzes habe der Errichtung einer privaten Tiefgarage und damit nicht dem Gemeinwohl, sondern den Individualinteressen der Klägerin gedient. Aus dem entwicklungsrechtlichen Förderergebot nach § 166 Abs. 1 Satz 2 BauGB ergebe sich kein besonderes öffentliches Interesse. Der Bundesgesetzgeber habe in § 169 Abs. 1 Nr. 5 i.V.m. § 151 Abs. 2 Satz 2 BauGB für den städtebaulichen Entwicklungsbereich klargestellt, dass Gebührenregelungen nach landesrechtlichen Vorschriften unberührt blieben.

51. Hiergegen bringt die Berufungsbegründung nichts Durchgreifendes vor. Der Klägerin ist zwar zuzugeben, dass ein Begriffsverständnis, wonach die „Sondernutzung selbst“ im besonderen öffentlichen Interesse stehen müsse, zu eng ist. Vielmehr ist stets auch die Maßnahme in den Blick zu nehmen, deren Durchführung und Umsetzung die Sondernutzung dient. Die insoweit von der Klägerin hervorgehobenen Besonderheiten des Sachverhalts zur Entwicklung des tatsächlichen Baugeschehens sowie zum besonderen entwicklungsrechtlichen Interesse Berlins belegen jedoch nicht, dass bei Sondernutzungen öffentlichen Straßenraums im Zusammenhang mit hauptstädtischen Entwicklungsmaßnahmen „per se“ oder im vorliegenden Fall ein „öffentliches Interesse von nicht untergeordneter Bedeutung“ gegeben ist (vgl. hierzu auch Senatsurteil vom 23. April 2015 – OVG 1 B 23.12 – juris Rn. 78). Aus der vorzeitigen Herstellung des südlichen Bahnhofsvorplatzes folgt dies schon deswegen nicht, weil in der Änderungsvereinbarung vom 28. Oktober 2009 zwischen der Rechtsvorgängerin der Klägerin (V…) und dem Land Berlin neben den in § 2.2 getroffenen Vereinbarungen auch eine Regelung zu den Sondernutzungsgebühren möglich gewesen wäre, allerdings unstreitig unterblieben ist (vgl. dazu noch 3.b.). Daher ist nicht von Belang, ob sich die Frage einer gebührenpflichtigen Sondernutzung des südlichen Bahnhofsvorplatzes nach den ursprünglichen Vorstellungen und Vereinbarungen der Beteiligten nie gestellt hätte.

52. Unabhängig davon sind die in der Begründung zur Einführung des § 8a SNGebV mit Änderungsverordnung vom 10. April 2012 (vgl. Abgh-Drs. 17/039, S. 8) genannten Beispiele – etwa Belange des Baum-, Umwelt- und Denkmalschutzes – zweifelsfrei Gründe des Allgemeinwohls. Demgegenüber hat die Klägerin den Washingtonplatz ebenso zweifelsfrei für ihre eigenen Zwecke genutzt, nämlich für eine Baustelleneinrichtung zur Errichtung eines privaten Gebäudes (Tiefgarage), woraus sie einen wirtschaftlichen Vorteil ziehen konnte. Dieser dem Sondernutzer erwachsende wirtschaftliche Vorteil ist nach der Begründung der Norm bei der Ermittlung des öffentlichen Interesses angemessen zu berücksichtigen (vgl. Abgh-Drs. 17/039, S. 9). Entgegen der Ansicht der Klägerin entfällt das privatwirtschaftliche Interesse auch nicht dadurch, dass die vom Gebührenschuldner entfaltete Tätigkeit durch einen Träger öffentlicher Verwaltung selbst hätte durchgeführt werden können (vgl. Senatsurteil vom 23. April 2015 – OVG 1 B 23.12 – juris Rn. 74 unter Hinweis auf OVG Lüneburg, Beschluss vom 11. Juni 1998 – 12 L 1777/98 – juris Rn. 10).

53. b. Die Klägerin hat auch keinen Härtefall i.S.v.§ 8a Nr. 2 SNGebV dargelegt. Dem Begriff des Härtefalls liegen Konstellationen zugrunde, die sich besonders ungünstig auf den Betroffenen auswirken, ihn besonders hart treffen und außerhalb seines Einflusses liegen. An einer solchen Härte fehlt es hier. Eine wirtschaftliche Schieflage, die die Klägerin besonders trifft, hat sie nicht geltend gemacht. Eine außerhalb ihres Einflusses liegende besondere Härte kann schon deswegen nicht angenommen werden, weil die Rechtsvorgängerin der Klägerin (V…) im Rahmen der Verhandlungen über die Änderung der Abwendungsvereinbarung die Möglichkeit hatte, die in der Besprechung am 14. Mai 2009 (siehe dazu noch unter 4.d.) ausdrücklich angesprochene Frage der Sondernutzungsgebühren in ihrem Sinne vertraglich zu regeln. Soweit die Klägerin meint, ihre Rechtsvorgängerin habe die Flächen für den Washingtonplatz über die D… an den Beklagten im Jahr 2002 in dem Bewusstsein verkauft, dass bei der Errichtung des Gebäudes MK 9 keine Sondernutzungsgebühren anfallen würden, und in diesem Bewusstsein habe sie dem Wunsch des Beklagten im Jahr 2009 entsprochen, den Platz vorzeitig endgültig herzustellen, so ändert dies nichts daran, dass die Frage der Sondernutzungsgebühren in der Änderungsvereinbarung vom 28. Oktober 2009 erkannt und ausdrücklich offen geblieben war, so dass – anders als die Klägerin meint – ein offener Dissens und kein „unbeabsichtigter Reflex“ vorliegt.

54. 4. Schließlich stehen auch die geschlossenen Verträge der Erhebung von Sondernutzungsgebühren nicht entgegen. Die Klägerin kann deren Anpassung nicht verlangen und dieses Begehren der Gebührenforderung im Wege der Einrede entgegen setzen.

55. a. Aus dem zwischen der Rechtsvorgängerin der Klägerin (V…) und der D… geschlossenen Grundstückskaufvertrag vom 26. Juni 2002 kann die Klägerin schon deshalb nichts für sich ableiten, weil der Beklagte nicht Vertragspartner war. Das die D… als Entwicklungstreuhänderin für das Land Berlin (§ 167 Abs. 2 BauGB) auftrat, ändert daran nichts, dass nicht das Land Berlin, sondern das Bezirksamt Mitte Gläubigerin der Sondernutzungsgebühren ist, so dass der Beklagte einen entsprechenden Verzicht nicht von sich aus herbeiführen konnte.

56. b. Aus der ursprünglichen Abwendungsvereinbarung zwischen der Verwertungsgesellschaft E… und dem Beklagten vom 25. September 2001 folgt keine andere Bewertung. Darin heißt es: „Die Erhebung sonstiger Beiträge, Gebühren und Abgaben wird durch diesen Vertrag, soweit nicht ausdrücklich anders geregelt, nicht berührt“ (§ 12 Ziff. 12.4 Satz 2 der Vereinbarung). Insoweit schildert die Berufungsbegründung auch nur die ursprünglich angedachte, jedoch durch spätere Vereinbarungen überholte Baureihenfolge zur Fertigstellung des Washingtonplatzes.

57. c. Aus der Änderungsvereinbarung vom 28. Oktober 2009 zur Abwendungsvereinbarung folgt ebenfalls kein Anspruch, weil die Rechtsvorgängerin der Klägerin mit ihrem in die Verhandlungen eingebrachten Begehren, dass sie „ihr Entgegenkommen betreffend die vorzeitige Platzherstellung nicht dadurch vergolten sehen wollte, dass sie bei Ausführung der Hochbaumaßnahme in beträchtlicher Höhe zu Sondernutzungsgebühren herangezogen würde,“ nicht durchgedrungen ist, obwohl sie die Möglichkeit hatte, die Änderungsvereinbarung – ohne eine Einigung über die erwartete Erhebung von Sondernutzungsgebühren – nicht abzuschließen. Dass die V… die Erwartung hatte, keine Sondernutzungsgebühren zahlen zu müssen, kann als wahr unterstellt werden, so dass es auf die angeregte Vernehmung des Niederlassungsleiters der V…, Herrn T…, nicht ankommt.

58. d. Aus den vorstehenden Gründen hat das Verwaltungsgericht einen seitens des Beklagten abgelehnten Anpassungsanspruch (vgl. dazu BVerwG, Urteil vom 18. Juli 2012 – 8 C 4.11 – BVerwGE 143, 335 ff., Rn. 35 ff.) wegen späterer Änderung der Vertragsumstände nach § 60 Abs. 1 VwVfG bzw. nach Treu und Glauben entsprechend § 242 BGB zutreffend verneint. Dass die V… einen Verzicht auf die Erhebung von Gebühren oder die Schaffung eines „wirtschaftliche(n) Äquivalent(s)“ in den Verhandlungen über die Änderungsvereinbarung vom 28. Oktober 2009 gefordert hatte, ist ohne Belang (s.o.). Ihre enttäuschte Erwartung, dass die Senatsverwaltung den Bezirk Mitte auf das Thema Sondernutzungsgebühren ansprechen werde und es nach Abschluss der Änderungsvereinbarung zu weiteren Gesprächen und zu einer Verständigung über diesen Punkt kommen würde, rechtfertigt keine Vertragsanpassung, denn diese Erwartungshaltung ist einseitig geblieben. Die Klägerin konnte realistischerweise nicht davon ausgegeben, dass das zuständige Bezirksamt ohne weiteres auf Sondernutzungsgebühren in nicht unbeträchtlicher Höhe verzichten würde. Eine entsprechende Zusage, später keine Sondernutzungsgebühren zahlen zu müssen, ist auch nicht zur Geschäftsgrundlage der Änderungsvereinbarung vom 28. Oktober 2009 geworden (vgl. VG-Urteil, S. 10). Mit dieser Vereinbarung wollten die Beteiligten zum einen das verwaltungsgerichtliche Verfahren (VG 19 K 146.07) beenden, in dem es offenbar um die Höhe der zu leistenden Ablösebeträge ging. Andererseits diente die Vereinbarung dazu, hinsichtlich des Interesses der V… an einer bestimmten bauseitigen Herstellung des Washingtonplatzes (Materialwahl, Anpassung des Gefälles, Verlegung des Natursteins in ungebundener Bauweise etc.) sowie über das Interesse des Beklagten an einer zeitnahen Herstellung der öffentlichen Flächen auf dem Washingtonplatz Einigkeit zu erzielen. Dass es nicht zu einem Verzicht auf die erwartbar anfallenden Sondernutzungsgebühren gekommen ist, ist nicht treuwidrig, weil der Beklagte einen entsprechenden Verzicht oder Erlass nicht in eigener Zuständigkeit herbeiführen konnte. Darauf hatten die Vertreter der Senatsverwaltung (Sen Stadt) in der Besprechung vom 14. Mai 2009 ausdrücklich hingewiesen. In der Folgezeit hat es die Klägerin bis zum Abschluss der Änderungsvereinbarung selbst versäumt, der von ihr angenommenen Geschäftsgrundlage (keine Entrichtung von Sondernutzungsgebühren) Rechnung zu tragen und den Vertragsinhalt an die erkannten geänderten Verhältnisse anzupassen.

59. 5. Nach alledem ist die Gebührenforderung nach der Tarifstelle 5.1. Buchst. a), Spalte 1, nur i.H.v. 2 Euro/Monat rechtmäßig, so dass der noch umstrittene, mit 4 Euro/Monat in Rechnung gestellte Betrag von 721.384,32 Euro um die Hälfte auf 360.692,16 Euro/Monat zu reduzieren ist. Die anteilige Sondernutzungsgebühr für Nutzung des Gehwegs an der Ella-Trebe-Straße im Umfang von 147,06 m2 für 23 Monate ist hingegen zutreffend festgesetzt worden, so dass dem vorgenannten Betrag (360.692,16) weitere (147,06 x 2 Euro x 23 Monate =) 6.764,76 Euro zuzuschlagen sind. Im Ergebnis schuldet die Klägerin insgesamt 367.456,92 Euro.

60. Die Kostenentscheidung hinsichtlich des streitig zu entscheidenden Klagebegehrens beruht auf § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Soweit die Beteiligten den Rechtsstreit in der Hauptsache übereinstimmend für erledigt erklärt haben, folgt die Kostenentscheidung aus § 161 Abs. 2 Satz 1 VwGO. Unter Berücksichtigung des Sach- und Streitstandes entspricht es billigem Ermessen, die Kosten des Rechtsstreits auch insoweit hälftig zu teilen, weil die Gebührenerhebung auch insoweit nur in Höhe der hälftigen Gebührenforderung rechtmäßig war.

61. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 Satz 1 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 10, § 711 ZPO.

62. Die Revision ist nicht zuzulassen, weil keiner der in § 132 Abs. 2 VwGO genannten Gründe vorliegt.

Zuletzt aktualisiert am Juli 21, 2021 von eurogesetze

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