Gericht: Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg 6. Senat
Entscheidungsdatum: 08.06.2021
Aktenzeichen: OVG 6 M 38/21
ECLI: ECLI:DE:OVGBEBB:2021:0608.OVG6M38.21.00
Dokumenttyp: Beschluss
(Notwendigkeit der Hinzuziehung eines Bevollmächtigten im Vorverfahren; Amtlich bestellter Betreuer; Vertretung vor Behörden und Gerichten
Leitsatz
Für die Frage der Zumutbarkeit der Hinzuziehung eines Rechtsanwalts im Vorverfahren kann jedenfalls dann auf den Bildungs- und Erfahrungsstand des Betreuers abgestellt werden, wenn er zur Vertretung vor Behörden und Gerichten bestellt ist. Es ist nicht notwendig, auf den Betroffenen selbst abzustellen (entgegen SG Trier, Urteil vom 1. September 2016 – S 1 SO 21/16 -, Rn. 17 bei juris).(Rn.4)
Verfahrensgang
vorgehend VG Berlin, 27. April 2021, 21 K 203/20, Beschluss
Tenor
Die Beschwerde der Klägerin gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Berlin vom 27. April 2021 wird zurückgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens. Außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.
Gründe
1. Die Beschwerde der Klägerin gegen die erstinstanzliche Versagung von Prozesskostenhilfe hat keinen Erfolg. Die Annahme des Verwaltungsgerichts, dass die Klage keine hinreichende Aussicht auf Erfolg im Sinne des § 166 Abs. 1 VwGO in Verbindung mit § 114 Abs. 1 ZPO biete, ist nicht zu beanstanden.
2. Das Verwaltungsgericht hat zu Recht angenommen, dass die auf Notwendigerklärung der Hinzuziehung eines Bevollmächtigten im Vorverfahren im Sinne des § 63 Abs. 2 SGB X in Verbindung mit § 68 Nr. 14 SGB X gerichtete Klage voraussichtlich unbegründet ist. Die Notwendigkeit der Hinzuziehung eines Bevollmächtigten im Vorverfahren hängt von der Prüfung im Einzelfall ab. Die Kriterien hierfür hat das Verwaltungsrecht zutreffend benannt und ausgeführt, dass es der Klägerin bzw. ihrem gerichtlich eingesetzten Berufsbetreuer nach diesen Maßstäben zuzumuten gewesen sei, den Widerspruch gegen den Änderungsbescheid vom 7. Juni 2019 selbst zu erheben und das Widerspruchsverfahren ohne Inanspruchnahme eines Rechtsanwalts zweckentsprechend zu führen. Die Sach- und Rechtslage sei einfach gelagert gewesen, weil das Jugendamt bei seinem Änderungsbescheid klar erkennbar davon ausgegangen sei, dass die Klägerin Kindergeld erhalte. Der Betreuer der Klägerin habe diesen Umstand gegenüber dem Jugendamt telefonisch am 9. Juli 2019 geltend gemacht, das Jugendamt habe eine erneute Prüfung zugesagt. Der Erhebung eines anwaltlichen Widerspruchs am Folgetag habe es vor diesem Hintergrund nicht bedurft. Das Beschwerdevorbringen rechtfertigt keine andere Einschätzung.
3. Die allgemein gehaltenen Ausführungen, die Notwendigkeit der Zuziehung eines Rechtsanwalts im Vorverfahren sei kein Ausnahmefall, sondern in der Regel zu bejahen, dies gelte auch bei einfachen Fällen, wenn der Widerspruchsführer ohne den Bevollmächtigten hilflos sei, stellen die Würdigung des Verwaltungsgerichts nicht in Frage. Die Klägerin lässt unberücksichtigt, dass die Notwendigkeit der Zuziehung eines Bevollmächtigten im Vorverfahren nach § 63 Abs. 2 SGB X verneint werden kann, wenn es um die Klärung tatsächlicher Fragen geht oder aus dem angegriffenen Bescheid ersichtlich ist, dass die Entscheidung auf einem Missverständnis beruft, dass vom Widersprechenden leicht aufzuklären ist (BSG, Urteil vom 2. November 2012 – B 4 AS 97/11 -, Rn. 22 bei juris).
4. Ohne Erfolg beruft sich die Beschwerde auf eine Entscheidung des Sozialgerichts Trier (Urteil vom 1. September 2016 – S 1 SO 21/16 -, Rn. 17 bei juris), wonach selbst bei einfachen Fällen die Notwendigkeit zu bejahen sei, wenn der Widerspruchsführer ohne den Bevollmächtigten hilflos wäre, abzustellen sei dabei auf den Betroffenen und nicht auf seinen rechtlichen Betreuer. Diese Ansicht überzeugt nicht.
5. Vielmehr kann für die Frage der Zumutbarkeit der Hinzuziehung eines Rechtsanwalts im Vorverfahren jedenfalls dann auf den Bildungs- und Erfahrungsstand des Betreuers abgestellt werden, wenn er – wie hier – zur Vertretung vor Behörden und Gerichten bestellt ist. Es ist nicht notwendig, auf den Betroffenen selbst abzustellen. Es entspricht gerade der Funktion einer solchen Betreuung, derartige Angelegenheiten des Betreuten zu regeln. Daher erschließt sich nicht, weshalb nicht auf die Sicht und das Verhalten des Betreuers abgestellt werden können soll. Dies entspricht im Übrigen auch obergerichtlicher Rechtsprechung, die in diesen Fällen ohne Weiteres auf die Kenntnis des Betreuers abgestellt (vgl. etwa: LSG Essen, Beschluss vom 12. Dezember 2011 – L 9 SO 568/11 B -, Rn. 3 bei juris).
6. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, § 127 Abs. 4 ZPO. Das Verfahren ist gemäß § 188 Satz 2 VwGO gerichtskostenfrei.
7. Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).
Zuletzt aktualisiert am Juli 20, 2021 von eurogesetze
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