Gericht: Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg 4. Senat
Entscheidungsdatum: 11.06.2021
Aktenzeichen: OVG 4 S 6/21
ECLI: ECLI:DE:OVGBEBB:2021:0611.OVG4S6.21.00
Dokumenttyp: Beschluss
Isolierte Angreifbarkeit von Untersuchungsanordnungen im Zurruhesetzungsverfahren
Leitsatz
Im Licht der jüngeren Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (Kammerbeschluss vom 21. Oktober 2020 – 2 BvR 652/20 – und Kammerentscheidungen gemäß § 32 Abs. 1 BVerfGG vom 13. Mai 2020 – 2 BvR 652/20 – und vom 12. August 2020 – 2 BvR 1427/20 –) sind Untersuchungsanordnungen im Zurruhesetzungsverfahren isoliert angreifbar.(Rn.4)
Verfahrensgang …
Tenor
Die Beschwerde des Antragsgegners gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Potsdam vom 6. Januar 2021 wird zurückgewiesen.
Der Antragsgegner trägt die Kosten der Beschwerde.
Der Wert des Beschwerdegegenstandes wird auf 5.000 Euro festgesetzt.
Gründe
1. Die Beschwerde hat keinen Erfolg. Die dargelegten Gründe, auf deren Prüfung das Oberverwaltungsgericht beschränkt ist (§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO), rechtfertigen keine Änderung des angefochtenen Beschlusses.
2. 1. Das Verwaltungsgericht hat in der angefochtenen Entscheidung die Zulässigkeit des auf die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes gegen eine Untersuchungsanordnung gerichteten Antrags bejaht (vgl. näher VG Potsdam, Beschluss vom 6. Januar 2021 – 2 L 1170/20 – juris Rn. 21 f.). Die mit der Beschwerde hiergegen erhobenen Einwände greifen nicht durch.
3. Das Verwaltungsgericht ist der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts nicht gefolgt, wonach eine Untersuchungsanordnung zur Feststellung der Dienstfähigkeit eines Beamten im Rahmen eines Zurruhesetzungsverfahrens gemäß § 44a VwGO nicht isoliert angreifbar sei (Beschluss vom 14. März 2019 – 2 VR 5.18 – juris Ls. 1). Zur Begründung verweist es unter anderem auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, das jüngst hervorgehoben habe, die inhaltlichen Anforderungen an die Untersuchungsanordnung dienten gerade dazu, „dem Beamten effektiven Rechtsschutz noch vor dem Untersuchungstermin zu ermöglichen“. Dies würde unterlaufen, wollte man mit dem Bundesverwaltungsgericht vorläufigen (isolierten) Rechtsschutz gegen die Untersuchungsanordnung für ausgeschlossen halten. Hierzu verhält sich die Beschwerde nicht.
4. Auch der Senat entnimmt der jüngeren Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (Kammerbeschluss vom 21. Oktober 2020 – 2 BvR 652/20 – und Kammerentscheidungen gemäß § 32 Abs. 1 BVerfGG vom 13. Mai 2020 – 2 BvR 652/20 – und vom 12. August 2020 – 2 BvR 1427/20 – alle in juris), dass dieses das Ergebnis der vom Bundesverwaltungsgericht nach den Grundsätzen der praktischen Konkordanz vorgenommenen Abwägung der widerstreitenden Verfassungsgüter (die materiellen Grundrechte des Beamten einschließlich der Garantie effektiven Rechtsschutzes einerseits, die Funktionsfähigkeit der öffentlichen Verwaltung und die besondere Pflichtenstellung des Beamten andererseits), wonach der (nachgelagerte) Inzidentrechtsschutz im Rahmen des (Eil- oder Klage-)Verfahrens gegen die Zurruhesetzungsverfügung einen angemessenen und verhältnismäßigen Ausgleich der Verfassungsgüter darstelle (BVerwG, a.a.O. Rn. 37), nicht teilt. Der Senat hält daher an seiner Entscheidung, unter Aufgabe seiner bisherigen Rechtsprechung (Beschluss vom 22. Januar 2018 – OVG 4 S 19.17 – juris Rn. 3, Beschluss vom 26. Juli 2016 – OVG 4 S 40.15 – BeckRS 2016, 131910 Rn. 3) der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zu folgen (Beschluss vom 13. Mai 2019 – OVG 4 S 17.19 – BA S. 2), nicht mehr fest und hält Untersuchungsanordnungen im Zurruhesetzungsverfahren für isoliert angreifbar. Dem steht § 44a VwGO bei verfassungskonformer Auslegung nicht entgegen.
5. 2. Auch die Einwände der Beschwerde gegen die Entscheidung des Verwaltungsgerichts, der Antrag sei begründet, bleiben ohne Erfolg.
6. Das Verwaltungsgericht hat angenommen, dass die streitgegenständliche Untersuchungsanordnung vom 5. Oktober 2020 sich mit hoher Wahrscheinlichkeit als rechtswidrig erweise. Es fehlten tatsächlichen Feststellungen, die die (Polizei-) Dienstunfähigkeit des Antragstellers als naheliegend erscheinen ließen.
7. Soweit der Antragsgegner hiergegen anführt, die Anordnung verweise auf die in der Untersuchungsanordnung vom 11. Mai 2020 angeführten Umstände, namentlich die Vorerkrankung, die Vorfälle und die Verhaltensweisen des Antragstellers, die die erheblichen Zweifel an der Dienstfähigkeit des Antragstellers begründeten, der Anlass und die tatsächlichen Feststellungen seien damit für den Antragsteller klar erkennbar, trifft dies nicht die erstinstanzliche Begründung. Das Verwaltungsgericht hat gerade darauf abgestellt, dass dieselben Umstände, auf die der Antragsgegner die Untersuchungsanordnung stützt, bereits Grundlage der vorangehenden Anordnung waren, die der polizeiärztlichen Untersuchung und Begutachtung des Antragstellers zugrunde liegt, die ohne externe psychiatrische Begutachtung zu dem Ergebnis geführt hat, der Antragsteller sei dienstfähig. Das Verwaltungsgericht hat eine nachvollziehbare Begründung für die der streitgegenständlichen Untersuchungsanordnung zugrunde liegende Auffassung des Antragsgegners vermisst, ein fachpsychiatrisches Gutachten werde zwingend für die Entscheidung über die Polizeidienstfähigkeit und Dienstfähigkeit benötigt. Es fehle an einer hinreichenden Auseinandersetzung mit dem Gutachten der Polizeiärztin und der darin getroffenen Aussage, eine externe Begutachtung sei aufgrund der vorliegenden Testergebnisse entbehrlich. Die Beschwerdebegründung stellt dies nicht in Abrede, sondern holt die vermisste Erläuterung nach, ohne dass dies der Beschwerde zum Erfolg verhelfen kann. Da der Beamte anhand der Begründung in der Untersuchungsanordnung nachvollziehen und prüfen können muss, ob die angeführten Gründe tragfähig sind, kann ein wie hier durchgreifender Begründungsmangel nicht im gerichtlichen Verfahren geheilt werden (vgl. BVerwG, Beschluss vom 14. März 2019 – 2 VR 5.18 – juris Rn. 43 m.w.N.).
8. Soweit der Antragsgegner der Auffassung sein sollte, es komme allein auf die Kenntnis des Antragstellers von den tatsächlichen Umständen an, die die Zweifel des Antragsgegners an seiner Dienstfähigkeit begründeten, genügte die Untersuchungsanordnung auch insoweit nicht den Anforderungen, da sie diese tatsächlichen Umstände nicht konkret benennt. Auch in der Zusammenschau mit der vorangegangenen Anordnung benennt die Untersuchungsanordnung vom 5. Oktober 2020 Dienstkonflikte, ohne diese näher zu konkretisieren, und referiert breit die Vorgänge im Zusammenhang mit der einem Dienstkonflikt nachfolgenden längeren Dienstunfähigkeit des Antragstellers. Diese Umstände führen – zumal die psychischen Beschwerden, die der polizeiärztlichen Annahme der Dienstunfähigkeit des Antragstellers ab Juni 2018 zugrunde lagen, laut polizeiärztlichem Gutachten aktuell nicht bestehen – für sich genommen nicht auf Zweifel an dessen aktueller Dienstfähigkeit. Das zur Begründung solcher Zweifel angeführte Verhalten des Antragstellers wird rein wertend beschrieben. So heißt es in der streitgegenständlichen Anordnung: „Mit der Dienstaufnahme im E… nahmen (die) in der Vergangenheit gezeigten Verhaltensauffälligkeiten mit steigender Tendenz wieder zu. Dies zeigte sich im Wesentlichen durch die Ablehnung der Akzeptanz eines geordneten hierarchischen Dienstbetriebs“. In der Anordnung vom 11. Mai 2020 wird noch ergänzt: „Sie akzeptierten Vorgaben und Weisungen Ihrer Vorgesetzten nicht, ignorierten oder würdigten diese herab.“ Die dieser Bewertung zugrundeliegenden tatsächlichen Umstände benennt die Untersuchungsanordnung nicht. Der betroffene Beamte muss aber anhand der Untersuchungsanordnung erkennen können, welcher Vorfall oder welches Ereignis zur Begründung der Aufforderung herangezogen wird. Der Dienstherr darf insbesondere nicht nach der Überlegung vorgehen, der Adressat werde schon wissen, „worum es geht“ (vgl. BVerwG, Urteil vom 30. Mai 2013 – 2 C 68.11 – juris Rn. 20). Wie bereits ausgeführt, kann eine unzureichende Begründung nicht durch das Nachschieben weiterer Gründe geheilt werden. Sollte der Antragsgegner die Dienstfähigkeit des Antragstellers weiter in Frage gestellt sehen, wird er nicht umhinkommen, die Verhaltensweisen des Antragstellers, auf die er seine Zweifel gründet, in einer erneuten Untersuchungsanordnung konkret darzustellen. Nach Aktenlage ist im Übrigen nichts dafür ersichtlich, dass die Polizeiärztin in Kenntnis dieser Darstellung nicht bereit und in der Lage wäre, ihre Einschätzung im Rahmen eines erneuten Gutachtenauftrags kritisch zu hinterfragen. Mit seiner in der Beschwerdebegründung geübten Kritik an dem polizeiärztlichen Gutachten vom 13. August 2020 stellt der Antragsgegner die Kompetenz des polizeiärztlichen Dienstes, über die Notwendigkeit einer fachpsychiatrischen Zusatzbegutachtung entscheiden zu können, nicht generell in Zweifel.
9. Soweit die Beschwerde sich gegen den bei juris formulierten Orientierungssatz zu der dort veröffentlichten erstinstanzlichen Entscheidung richtet, findet sich dieser nicht in den Entscheidungsgründen des Verwaltungsgerichts. Dieses hat nicht den allgemeinen, seine Entscheidung tragenden Rechtssatz aufgestellt, eine weitere externe Gutachtensanordnung seitens des Dienstherrn komme nicht in Betracht, wenn der Polizeiarzt in einem Gutachten festgestellt habe, eine externe psychiatrische Untersuchung sei aufgrund der vorliegenden Testergebnisse entbehrlich. Die hiergegen erhobenen Einwände sind daher für die hier zu treffende Entscheidung unerheblich.
10. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 1, § 52 Abs. 2 GKG.
11. Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5 i.V.m. § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).
Zuletzt aktualisiert am Juli 19, 2021 von eurogesetze
Schreibe einen Kommentar