Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg 9. Senat. Aktenzeichen: OVG 9 A 5.12

Gericht: Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg 9. Senat
Entscheidungsdatum: 15.06.2021
Aktenzeichen: OVG 9 A 5.12
ECLI: ECLI:DE:OVGBEBB:2021:0615.OVG9A5.12.00
Dokumenttyp: Urteil

Normenkontrollverfahren; Schmutzwasserbeitragssatzung; Aufwandsüberschreitungsverbot; Beitragskalkulation; Bringschuld; Aufgabenverteilung; Gewaltenteilung; veranschlagen; Beurteilungsspielraum; Plausibilisierung; Mitwirkungsobliegenheit; Veranschlagungsgrundsatz; Anschaffungs – und Herstellungskosten; kostenbezogene Erforderlichkeit; Vergabeverfahren; Gutachten; MUNR-Katalog; gebührendeckende Abschreibungen; Fördermittel; Beweisantrag; Sachverständiger

Tenor

§ 3 Abs. 10 der Schmutzwasserbeitragssatzung des Antragsgegners vom 28. Februar 2012 wird für unwirksam erklärt.

Der Antragsgegner trägt die Kosten des Verfahrens.

Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Antragsgegner darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 v.H. des Vollstreckungsbetrages abwenden, wenn nicht der Antragsteller vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

1. Der Antragsteller wendet sich im Wege der Normenkontrolle gegen § 3 Abs. 10 der im Jahr 2012 beschlossenen Schmutzwasserbeitragssatzung des Antragsgegners (SBS 2012).

2. Der Antragsgegner ist im August 1992 gegründet worden und betreibt eine zentrale öffentliche Schmutzwasserbeseitigungsanlage. Mit Beginn des Jahres 2006 trat die Stadt Zossen hinsichtlich ihres Ortsteils Waldstadt dem Antragsgegner bei. Dieser bestimmte den Ortsteil in seiner Beitragssatzung vom 19. Januar 2006 zu einem gesonderten Entsorgungsgebiet, in dem keine Anschlussbeiträge, sondern nur Benutzungsgebühren erhoben werden sollten. Das übrige Verbandsgebiet bestimmte der Antragsgegner zu einem Entsorgungsgebiet, in dem er Beiträge und Gebühren erhob. Mit Urteil vom 1. März 2010 (VG 8 K 1266/09) sah das Verwaltungsgericht Potsdam die Beitragssatzung vom 19. Januar 2006 als unwirksam an, weil technisch nur ein einziges Entsorgungssystem vorliege und deshalb die Bildung unterschiedlicher öffentlicher Einrichtungen mit unterschiedlichen Finanzierungssystemen nicht zulässig sei.

3. Mit Blick auf den Neuerlass einer Beitragssatzung beschloss die Verbandsversammlung am 2. November 2010 verschiedene „Kalkulationsgrundsätze“ zur Beitragskalkulation der zentralen öffentlichen Schmutzwasserentsorgung (Beschluss Nr. VV 30/2010); u. a. sollte der Deckungsgrad des Beitragssatzes 85 % betragen.

4. Die im November 2010 erstellte (Global-)Kalkulation bezog auch den Ortsteil Waldstadt ein und erstreckte sich auf den Zeitraum 1. August 1992 (Verbandsgründung) bis 31. Dezember 2013 (geplanter Abschluss der Erschließungsmaßnahmen). Stichtag für die Abgrenzung der tatsächlichen von den prognostizierten Aufwendungen war der 31. Dezember 2008. Die Kalkulation ging von umlagefähigen Anschaffungs- und Herstellungskosten in Höhe von 92.016.834,21 Euro und einer nutzungsbezogenen Grundstücksfläche von 26.031.217 m² aus, woraus sich rechnerisch ein zulässiger Beitragssatz von 3,53 €/m² ergab.

5. Die hier in Rede stehende Schmutzwasserbeitragssatzung wurde am 28. Februar 2012 beschlossen und im Amtsblatt für den Landkreis Teltow-Fläming vom 13. März 2012, S. 2, bekannt gemacht. Nach ihrem § 9 trat sie rückwirkend zum 1. Januar 2011 in Kraft. Der Beitragssatz wurde in dem angegriffenen § 3 Abs. 10 SBS 2012 auf 3,00 €/ m² der mit dem Nutzungsfaktor vervielfachten Grundstücksfläche festgelegt. Das waren 85 % des nach der Kalkulation zulässigen Beitragssatzes.

6. Der Antragsteller ist Eigentümer eines Grundstücks im Verbandsgebiet; er ist mit einem noch nicht bestandskräftigen Bescheid zur Zahlung eines Beitrags herangezogen worden.

7. Mit seinem am 29. März 2012 gestellten Normenkontrollantrag rügt er u. a. die Plausibilität der Beitragskalkulation. Er macht u. a. geltend, in der Zeit vom 1. August 1992 bis 1996/1997 habe eine desaströse Lage geherrscht, in der der damalige Verbandsvorsteher den Antragsgegner praktisch in die Insolvenz gewirtschaftet habe. Nach einem von der unteren Kommunalaufsichtsbehörde in Auftrag gegebenen Gutachten der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft BDO vom 3. März 1995 bestünden Bedenken an der sparsamen und wirtschaftlichen Führung des Zweckverbandes. Ferner beruft sich der Antragsteller auf die Monita in dem vom Brandenburgischen Ministerium des Inneren beauftragten Sanierungskonzept Zweckverband KMS der ARGE Mittelrheinische Treuhand / U.T.G. Control, Rechtlicher und wirtschaftlicher Teil, Ausfertigung vom 30. August 1999, in der Hauptstudie zum Sanierungskonzept, Abschlussbericht Technischer Bereich, sowie in den Jahresabschlussberichten für die 1992 bis 1997 der Mittelrheinischen Treuhand. Die Berichte und Untersuchungen belegten, dass die Tätigkeit des Antragsgegners in den Jahren 1992 bis 1997 durch fehlende oder unzureichende Ausschreibungen und nicht wahrgenommene Kontrolle gekennzeichnet gewesen sei, was zu überhöhten Preisen geführt habe. Die Kosten für Baumaßnahmen aus diesem Zeitraum seien nicht in voller Höhe beitragsfähig. Ferner seien die Kosten für zum 31. Dezember 2008 bereits stillgelegtes Anlagevermögen, für eine nicht erforderliche Überleitung zur Kläranlage Waßmannsdorf sowie für die Hausanschlüsse in der Waldstadt unzulässigerweise in die Beitragskalkulation eingestellt worden.

8. Weitere Rügen des Antragstellers betreffen die Höhe der als Abzugsposten in der Kalkulation zu berücksichtigenden Fördermittel, den Nichtansatz der in Abzug zu bringenden gebührengedeckten Abschreibungen, die Gesamtfläche der im Verbandsgebiet vorhandenen beitragspflichtigen Grundstücke sowie die Bestimmung der maßgeblichen Vollgeschosse für diese Grundstücke.

9. Auch nach Herausrechnung aller nicht beitragsfähigen Kosten und Korrektur des Flächenansatzes sei der Antragsgegner an das von der Verbandsversammlung am 2. November 2010 separat beschlossene und mit dem Satzungsbeschluss vom 28. Februar 2012 bestätigte Verhältnis der Finanzierung der Anschaffungs- und Herstellungskosten durch Beiträge und Gebühren (85 % zu 15 %) gebunden.

10. Der Antragsteller beantragt,

11. § 3 Abs. 10 SBS 2012 für unwirksam zu erklären.

12. Der Antragsgegner beantragt,

13. den Antrag zurückzuweisen.

14. Die umlagefähigen Anschaffungs- und Herstellungskosten seien zwar um 348.725,64 Euro zu reduzieren, da weitere Fördermittel in dieser Höhe in der Beitragskalkulation nicht berücksichtigt worden seien. Die umlagefähigen Anschaffungs- und Herstellungskosten betrügen deshalb 91.668.108,57 Euro. Hiervon abgesehen sei die Beitragskalkulation plausibel, insbesondere seien in diese keine überhöhten Kosten eingestellt worden. Dies gelte auch für die Baumaßnahmen aus den Jahren 1992 bis 1997. Im Zusammenhang mit der Bewilligung von Fördermitteln sei die Angemessenheit der Kosten geprüft worden. Auch aus den Ausschreibungsunterlagen – soweit sie noch hätten ausfindig gemacht werden können – ergebe sich, dass bis auf eine Ausnahme der billigste Anbieter ausgewählt worden sei. Zudem belege der Vergleich mit den Ausschreibungsergebnissen eines Nachbarverbands, dass die in Rede stehenden Baumaßnahmen nicht überteuert gewesen seien. Gegen die Angemessenheit der Kosten spreche auch nicht ein Vergleich mit den Werten in der im Juli 1996 erschienenen 2. Auflage der vom damaligen Ministerium für Umwelt, Naturschutz und Raumordnung herausgegebenen Druckschrift „Abwasserentsorgung in Brandenburg – Orientierungswerte für den Kostenaufwand bei der Abwasserableitung und –behandlung“ (im Folgenden: MUNR-Katalog). Soweit diese Werte überschritten worden seien, sei dies wegen örtlicher Besonderheiten gerechtfertigt.

15. Der Antragsgegner hat mit Schriftsätzen vom 8. Mai und 5. Juli 2019 mitgeteilt, er habe nach öffentlicher Ausschreibung die a… GmbH beauftragt, die Anschaffungs- und Herstellungskosten aus den Jahren 1992 bis 1997 unter Beachtung der örtlichen Gegebenheiten auf ihre Erforderlichkeit anhand vergleichbarer Ausschreibungspreise aus diesem Zeitraum zu prüfen; dabei solle auch ein Kostenvergleich mit den im MUNR-Katalog angegebenen Orientierungswerten erfolgen. Der Antragsgegner hat das Gutachten der a… GmbH mit Schriftsatz vom 29. Mai 2020 eingereicht. Es beinhaltet neben dem Kostenvergleich mit den genannten Orientierungswerten einen weiteren Kostenvergleich mit Daten aus der sog. „a…-online-Plattform“. Wegen der Einzelheiten des Gutachtens wird auf die Beiakte 50 verwiesen. Soweit im Gutachten hinsichtlich des letztgenannten Vergleichs Kostenüberschreitungen festgestellt worden sind, hat der Antragsgegner hierzu Stellung genommen. Darüber hinaus trägt er bezogen auf alle Baumaßnahmen vor, aufgrund der Geologie (Eiszeitfindlinge) und „anthropogenen Einflüssen“ (Sperrzone Zossen/Wünsdorf) sei im Verbandsgebiet mit einem nennenswerten Mehraufwand zu rechnen gewesen. Ferner weise das Verbandsgebiet höhere Grundwasserstände als andere Regionen auf, zudem seien die Grundwasserstände im Untersuchungszeitraum höher gewesen als zum Zeitpunkt der Messungen für die Datenbasis der Vergleichsmessungen im Jahr 2011. Eine weitere Besonderheit sei das örtliche Vorhandensein von belastetem Asphalt aus DDR-Zeiten, der erhöhte Kosten beim Abbruch und der Entsorgung bedinge. Die vorgenannten Gesichtspunkte sollten zumindest qualitativ berücksichtigt werden. Damit erwiesen sich auch die im Vergleich zu den a…-Vergleichswerten festgestellten Kostenüberschreitungen als erforderlich, so dass sie beitragsfähige Kosten darstellten.

16. Der Senat hat dem Antragsgegner aufgegeben, die zum Zeitpunkt des Satzungsinkrafttretens bereits über gebührenfinanzierte Abschreibungen gedeckten beitragsfähigen Aufwendungen zu berechnen. Dem ist der Antragsgegner mit Schriftsätzen vom 21. Dezember 2012 und 2. Dezember 2014 nachgekommen. Dabei ist er von allen Abschreibungen ausgegangen, die buchhalterisch auf die Anlagen zur zentralen Entsorgung entfallen sind. Sodann hat er ermittelt, wieviel davon auf beitragsfähige Anschaffungs- und Herstellungskosten entfällt und bereits über Gebühren gedeckt gewesen ist. Nach den Berechnungen des Antragsgegners betragen diese gebührendeckten Abschreibungen insgesamt 7.960.579,24 Euro.

17. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird ergänzend auf die Gerichtsakte und die Beiakten (Nr. 1 bis 51) verwiesen.

Entscheidungsgründe

18. Der Normenkontrollantrag ist nach § 47 VwGO zulässig und begründet.

19. Der in § 3 Abs. 10 der Schmutzwasserbeitragssatzung des Antragsgegners vom 28. Februar 2012 geregelte Beitragssatz verstößt gegen das gesetzliche Aufwandsüberschreitungsverbot (§ 8 Abs. 4 Satz 8 KAG). Danach soll der Beitragssatz so kalkuliert werden, dass das veranschlagte Beitragsaufkommen die umlagefähigen Anschaffungs- und Herstellungskosten nicht übersteigt. Die Einhaltung des Aufwandsüberschreitungsverbots ist durch eine methodisch korrekte und im Übrigen plausible Beitragskalkulation zu belegen, die spätestens im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung vorliegen muss (vgl. Urteil des Senats vom 26. Januar 2011 – OVG 9 B 14.09 -, juris Rn. 35). Aus der vorzulegenden Kalkulation muss nachvollziehbar hervorgehen, dass der Beitragssatz bereits aus der Sicht des Satzungsinkrafttretens dem Aufwandsüberschreitungsverbot gerecht geworden ist. Insoweit besteht eine Bringschuld der Gemeinde oder des Gemeindeverbandes (vgl. Becker, in: Becker (u. a.), KAG Bbg, Stand: September 2020, § 8 Rn. 279), die spätestens im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung zu erfüllen ist.

20. Die entsprechende materiell-rechtliche Verpflichtung ergibt sich aus § 8 Abs. 4 Satz 2, 4, 7 und 8 KAG. Beiträge sind Geldleistungen, die dem Ersatz des Aufwands für die Herstellung, Anschaffung, Erweiterung, Erneuerung und Verbesserung öffentlicher Einrichtungen und Anlagen im Sinne des § 4 Abs. 2 oder Teilen davon, jedoch ohne die laufende Unterhaltung und Instandsetzung, dienen (§ 8 Abs. 2 Satz 1 KAG). Der Aufwand kann nach den tatsächlichen Aufwendungen oder nach Einheitssätzen, denen die der Gemeinde oder dem Gemeindeverband für gleichartige Einrichtungen oder Anlagen üblicherweise durchschnittlich erwachsenden Aufwendungen zugrunde zu legen sind, ermittelt werden (§ 8 Abs. 4 Satz 2 KAG). Bei leitungsgebundenen Einrichtungen und Anlagen, die der Versorgung oder der Abwasserbeseitigung dienen, kann der durchschnittliche Aufwand für die gesamte Einrichtung oder Anlage veranschlagt und zugrunde gelegt werden (Anschlussbeitrag), § 8 Abs. 4 Satz 3 KAG. Wenn die Einrichtungen oder Anlagen erfahrungsgemäß auch von der Allgemeinheit oder von der Gemeinde oder dem Gemeindeverband selbst in Anspruch genommen werden, bleibt bei der Ermittlung des Aufwandes ein dem wirtschaftlichen Vorteil der Allgemeinheit oder der Gemeinde oder des Gemeindeverbandes entsprechender Betrag außer Ansatz; Zuwendungen Dritter sind, sofern der Zuwendende nichts anderes bestimmt hat, zunächst zur Deckung dieses Betrages und nur, soweit sie diesen übersteigen, zur Deckung des übrigen Aufwandes zu verwenden (§ 8 Abs. 4 Satz 7 KAG). Das veranschlagte Beitragsaufkommen soll den nach Satz 1 bis 7 ermittelten Aufwand, der sonst von der Gemeinde oder dem Gemeindeverband selbst aufzubringen wäre, einschließlich des Wertes der bereitgestellten eigenen Grundstücke, nicht überschreiten (§ 8 Abs. 4 Satz 8 KAG). Soweit in den genannten Bestimmungen von „Ermitteln“, „Veranschlagen“, „ZuGrunde-legen“, „Ansetzen“ und „Verwenden“ die Rede ist, sind schon nach dem Wortlaut, aber auch nach dem Sinn und Zweck der Bestimmungen Tätigkeiten der beitragserhebenden Gemeinde oder des beitragserhebenden Zweckverbandes gemeint. Diese müssen sich vergewissern, dass in den Beitragssatz nur Aufwendungen eingehen, die abstrakt ihrer Art nach und konkret ihrer Höhe nach beitragsfähig sind. Dass die Begriffe „Ermitteln“, „Veranlagen“ etc. Tätigkeiten beschreiben, die von den Gemeinden und Zweckverbänden zu leisten sind, ergibt sich daraus, dass § 8 KAG die Grundlage der Beitragserhebung schafft, aber auch deren Grenzen zieht. Die Grenzziehung erfolgt gegenüber den Gemeinden und Zweckverbänden und ist von diesen – unabhängig von einer möglichen späteren gerichtlichen Kontrolle – schon auf Grund ihrer Gesetzesbindung zu beachten (Art. 20 Abs. 3 GG). Die Gemeinden und Zweckverbände müssen insoweit in Vorlage treten, während die Gerichte das Vorgelegte nur kontrollieren. Das entspricht der Aufgabenverteilung zwischen Verwaltung und Gerichten im gewaltengeteilten Staat und gilt umso mehr, als das teilweise verwendete Wort „Veranschlagen“ deutlich macht, dass für die beitragserhebende Stelle ein Beurteilungsspielraum hinsichtlich der Angemessenheit besteht (vgl. BVerwG, Beschluss vom 11. September 2014 – 9 B 21.14 -, juris Rn. 9; Urteil vom 17. April 2002 – 9 CN 1.01 -, juris Rn. 21 ff.; OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 14. Juli 2015 – OVG 9 S 44.14 -, juris Rn. 23). Diesen Spielraum hat das Gericht aus Gründen der Gewaltenteilung zu respektieren. Kehrseite der damit verbundenen Freiheit ist die Obliegenheit der beitragserhebenden Stelle, die rechtmäßige Ausübung dieser Freiheit zu plausibilisieren.

21. Dass die Gemeinden und Zweckverbände den Beitragssatz nicht mit einer Kalkulation plausibilisieren müssen, die bereits im Zeitpunkt des Satzungsbeschlusses vorgelegen hat, sondern etwaige Kalkulationsfehler noch während des gerichtlichen Verfahrens beseitigen können (bis hin dazu, dass ein zunächst nur „gegriffener“ Beitragssatz überhaupt erst während des gerichtlichen Verfahrens mit einer Kalkulation untersetzt wird), ändert nichts an dem Vorliegen der Bringschuld an sich. Die Aufgabe, nur einen angemessenen Betrag zu erheben, wird vom Landesgesetzgeber der beitragserhebenden Stelle zugewiesen und die Überprüfung dessen dem Gericht. Die beitragserhebende Stelle kann demgegenüber nicht verlangen, dass stattdessen das Gericht praktisch originär an ihrer Stelle eine „Ersatzkalkulation“ aufstellt (vgl. OVG Brandenburg, Urteil vom 27. März 2002 – 2 D 46/99.NE -, juris 66). Allein eine insoweit bestehende Bringschuld der beitragserhebenden Stelle wird im Übrigen auch der prozessualen Mitwirkungspflicht (§ 86 Abs. 1 Satz 1 Hs. 2 VwGO) der beitragserhebenden Stelle gerecht, die zugleich die Amtsermittlungspflicht des Gerichts begrenzt (vgl. OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 13. August 2019 – OVG 9 A 10.17 -, juris Rn. 23, m. w. N.; Kopp/Schenke, VwGO, 20. Auflage, § 86, Rn. 12). Gelingt es der abgabenerhebenden Stelle mit den ihr zur Verfügung stehenden Mitteln (wozu auch die Beauftragung eines Sachverständigen zählen kann) nicht, die Erforderlichkeit der angesetzten Aufwendungen spätestens im Gerichtsverfahren zu plausibilisieren, dann geht dies zu ihren Lasten und ist schon deshalb von der Ungültigkeit der entsprechenden Regelungen auszugehen.

22. So liegt der Fall hier. Der Antragsgegner hat seine Beitragskalkulation aus dem Jahr 2010 zwar im Laufe des Verfahrens ergänzt. Auch danach sind indessen auf der Aufwandsseite der Kalkulation Anschaffungs- und Herstellungskosten angesetzt, die hinsichtlich ihrer Höhe nicht plausibilisiert worden sind (A). Darüber hinaus sind bestimmte (weitere) Fördermittel und bereits über Gebühren finanzierte Kostenanteile (B) abzusetzen. Das führt unbeschadet der Frage, ob auch die weiteren Rügen des Antragstellers berechtigt sind, dazu, dass der satzungsmäßige Beitragssatz in einem Maße überhöht ist, das nicht mehr als unbeachtlich angesehen werden kann (C).

23. A) Auf der Aufwandsseite der Kalkulation dürfen nur beitragsfähige Kosten angesetzt werden. Das betrifft nicht nur die abstrakte Beitragsfähigkeit, sondern auch die Frage, ob die Aufwendungen der Sache und der Höhe nach erforderlich gewesen sind (sachbezogene und kostenbezogene Erforderlichkeit). Die insoweit zu prüfende Erforderlichkeit ist nicht im Sinne einer Beschränkung auf das Notwendigste zu verstehen. Nach dem Grundsatz der kostenbezogenen Erforderlichkeit, der auch im Anschlussbeitragsrecht gilt (vgl. BVerwG, Beschluss vom 30. April 1997 – 8 B 105.97 -, juris Rn. 6; OVG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 26. Januar 2011 – OVG 9 B 14.09 -, juris Rn. 41 ff.), steht der abgabenerhebenden Stelle bei der Beurteilung der Angemessenheit der Kosten ein weiter Entscheidungsspielraum zu (vgl. BVerwG, Urteil vom 30. Januar 2013 – 9 C 11.11 -, juris Rn. 24; vgl. auch Urteil des Senats vom 26. Januar 2001, a. a. O., Rn. 42). Demgemäß wird auch insoweit für die Erforderlichkeit der aufgewendeten Kosten lediglich eine äußerste Grenze markiert. Diese ist erst dann überschritten, wenn sich die abgabenerhebende Stelle ohne rechtfertigende Gründe nicht an das Gebot der Wirtschaftlichkeit gehalten hat und dadurch augenfällige Mehrkosten entstanden sind, das heißt, wenn die Kosten in für die abgabenerhebenden Stelle erkennbarer Weise eine grob unangemessene Höhe erreicht haben, also sachlich schlechthin unvertretbar sind (BVerwG, Urteil vom 30. Januar 2013, a. a. O.; Beschluss vom 30. April 1997, a. a. O.). Dabei ist auch bei einer nachträglichen Rechtfertigung des Beitragssatzes eine „ex ante-Perspektive“ einzunehmen, d. h. es ist auf die Verhältnisse und Erkenntnisse zum Zeitpunkt der Erstellung der Kalkulation bzw. des Inkrafttretens der Satzung (hier: 1. Januar 2011) abzustellen (vgl. etwa Urteil des Senats vom 1. Dezember 2005 – OVG 9 A 3.05 -, juris Rn. 29). Maßgeblich ist, was ein verständiger Beitragsgläubiger zu diesem Zeitpunkt für angemessen halten durfte. Beruht die Auftragsvergabe auf einem ordnungsgemäß durchgeführten Vergabeverfahren, dann indiziert dies die Erforderlichkeit der Kosten (vgl. BVerwG, Urteil vom 30. Januar 2013 – 9 C 11.11 -, juris Rn. 26). Fehlt es mangels ordnungsgemäßen Vergabeverfahrens an der entsprechenden Indizwirkung, ist im gerichtlichen Verfahren zu klären, ob durch den Vergaberechtsverstoß augenfällige Mehrkosten entstanden sind (vgl. BVerwG, a. a. O, Rn. 27). Dabei ist es in erster Linie Sache der abgabenerhebenden Stelle darzutun, dass die angefallenen Kosten sach- und marktgerecht gewesen sind. Denn die zur Beurteilung der Erforderlichkeit der Kosten notwendigen Kenntnisse und Informationen liegen in ihrer Sphäre (vgl. BVerwG, a.a.O., Rn. 29).

24. Dem wird die Kalkulation – auch unter Berücksichtigung der im gerichtlichen Verfahren erfolgten Ergänzungen – nicht gerecht, soweit es um Aufwendungen für Maßnahmen aus den Jahren 1992 bis 1997 geht.

25. I.1. Hinsichtlich der kostenbezogenen Erforderlichkeit dieser Kosten fehlt es an der Indizwirkung eines fehlerfrei durchgeführten Vergabeverfahrens. In den für den Antragsgegner erstellten Jahresabschlussberichten 1992 bis 1997 der Mittelrheinischen Treuhand (Beiakte 42) wird – bezogen auf alle dort angesprochenen – Maßnahmen bemängelt, dass Vergabeverfahren mit Fehlern behaftet gewesen seien (vgl. insbesondere Bl. 393, 238R, 219R, 165, 137, 118 und 77 der Beiakte 42; vgl. ferner das Sanierungskonzept Zweckverband KMS der ARGE Mittelrheinische Treuhand / U.T.G. Control, Rechtlicher und wirtschaftlicher Teil, Ausfertigung vom 30. August 1999 (Beiakte 33, Bl. 63) sowie die Hauptstudie zum Sanierungskonzept, Abschlussbericht Technischer Bereich – Stand 24. März 1999 – (Beiakte 35, Bl. 10).

26. Darüber hinaus sind in den vorgenannten Berichten bei der – zumindest – stichprobenhaften Überprüfung von Baumaßnahmen z. T. ganz erhebliche Kostenüberschreitungen festgestellt worden (vgl. nur beispielhaft: BA 42, Bl. 238R: 78%; Bl. 165: bis zu 87%; Bl. 137: Vergabe von Aufträgen unter Ausschluss des billigsten Bieters, ohne dass die Differenzen in den Angeboten, die teilweise über 100% lagen, nachgefragt wurden). Beanstandet wurde zudem, dass eine Kontrolle des mit Planungsleistungen beauftragten Ingenieur- und Architektenbüros durch den Antragsgegner nur unzureichend erfolgte (vgl. BA 42, Bl. 137, 218). Im Sanierungskonzept – Abschlussbericht Technischer Bereich – wird ausgeführt, dass es wegen Unregelmäßigkeiten bei den Vergabeverfahren zu hohen Kosten für Erschließungsmaßnahmen (z. B. im Rohrleitungsbau) gekommen sei (BA, 35, Seite 1). Eine Auswertung der abgerechneten Baumaßnahmen des Antragsgegners für die vergangenen Jahre habe ergeben, dass die Kosten für Abwasserdruckleitungen wesentlich höher gewesen seien als nach einer aktuellen Aufstellung der A… zu erwarten gewesen wäre. Weiterhin habe die Auswertung einer Teilmenge (Freispiegelleitungen Steinzeug DN 200 und 250) ergeben, dass die durchschnittlichen Kosten nicht nur über den Orientierungswerten des Ministeriums für Umwelt, Naturschutz und Raumordnung lagen, sondern auch deutlich über sämtlichen Erfahrungswerten aus der Literatur und von Ingenieurbüros (a. a. O., S. 50). Im Abschlussbericht 1995/1996 (BA 43, Bl. 393) heißt es, den Beschäftigten des Antragsgegners fehle es an dem erforderlichen Fachwissen (einschließlich des ingenieurtechnischen Grundlagenwissens im Bereich der Ver- bzw. Entsorgungswirtschaft), der Verbandsvorsteher habe insbesondere 1995 fortlaufend gegen bestehendes Recht verstoßen. Schließlich wird in dem unter dem 3. März 1995 von der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft B… erstellten Gutachten zur Untersuchung der Wirtschaftlichkeit des Antragsgegners u. a. festgestellt, dass keine systematisch geordneten Unterlagen über die Baumaßnahmen vorhanden seien und kein internes Kontrollsystem bestünde; der Verbandsvorsteher habe den Überblick über die ökonomischen Wirkungen seiner Entscheidungen verloren.

27. 2. Die in den oben genannten Berichten getroffene Feststellung, die vom Antragsgegner durchgeführten Vergabeverfahren seien fehlerhaft gewesen, wird nicht durch die mit Schriftsatz vom 24. Oktober 2016 vom Antragsgegner eingereichten Submissionsprotokolle entkräftet. Die eingereichten Submissionsprotokolle umfassen nur einige der Maßnahmen aus den Jahren 1992 bis 1997, so dass sich die Behauptung, aus ihnen ergebe sich bis auf eine Ausnahme die Auswahl des jeweils billigsten Anbieters, nur auf diesen Teil der Maßnahmen beziehen kann. Außerdem wird sie nicht näher erläutert. Soweit es möglich ist, die Submissionsprotokolle bestimmten Aktivierungsprotokollen – und damit bestimmten in die Beitragskalkulation eingegangenen Kosten – zuzuordnen, scheint zwar nach kursorischer Durchsicht in der Regel tatsächlich der billigste Anbieter ausgewählt worden zu sein. Das entkräftet indessen nicht die in den Berichten wiederholt getroffene Feststellung, der Antragsgegner habe Bauleistungen entgegen den Vorgaben der VOB/A nur beschränkt ausgeschrieben (vgl. Sanierungskonzept, Rechtlicher und wirtschaftlicher Teil, S. 60 und 108 (BA 33, Bl. 63, 111); Jahresabschlussprüfung 1993, S. 44 und Anlage 9, S. 11 (BA 42, Bl. 137, 77); Jahresabschlussprüfung 1994, S. 50 (BA 42, Bl. 238R); Jahresabschlussprüfung für die Jahre 1995 und 1996 (BA 42, Bl. 393). Nach § 3 VOB/A in der im maßgeblichen Zeitraum geltenden Fassung musste grundsätzlich eine öffentliche Ausschreibung stattfinden, bei der die Bauleistungen im vorgeschriebenen Verfahren nach öffentlicher Aufforderung einer unbeschränkten Zahl von Unternehmern zur Einreichung von Angeboten vergeben werden. Eine beschränkte Ausschreibung (gegebenenfalls nach Öffentlichem Teilnahmewettbewerb) war nur unter bestimmten Voraussetzungen zulässig, die nach Einschätzung der Prüfberichte nicht vorlagen. Dem Vorwurf der kontinuierlichen Verletzung vergaberechtlicher Vorgaben – auf den der Senat bereits in der Verfügung vom 15. Juni 2017 ausdrücklich hingewiesen hat – ist der Antragsgegner nicht entgegengetreten. Schon deshalb kann auch hinsichtlich der Maßnahmen, die Gegenstand der eingereichten Submissionsprotokolle waren, kein ordnungsgemäßes Vergabeverfahren angenommen werden.

28. II. Die fehlende Indizwirkung ordnungsgemäßer Vergabeverfahren wird nicht dadurch ausgeglichen, dass die Angemessenheit der Kosten aus den Jahren 1992 bis 1997 schon in anderen Verfahren geprüft worden wäre.

29. 1. Unergiebig ist der Vortrag des Antragsgegners, im Zuge der Bewilligung von Fördermitteln sei die Angemessenheit der Kosten geprüft worden. Dies gilt schon deshalb, weil nach seinem eigenen Vorbingen im Schmutzwasserbereich überhaupt nur für zwei der in Rede stehenden Maßnahmen Fördermittel geflossen sind. Soweit es dabei um die Ortserschließung Glienick geht, stammen die Zuwendungsbescheide zudem aus den Jahren 1998/99 und weisen keinen erkennbaren Bezug zu den Maßnahmen aus den Jahren 1992 bis 1997 auf.

30. 2. Der Antragsgegner hat zeitweise geltend gemacht, dass die Angemessenheit der Kosten für die in den Jahren 1992 bis 1997 durchgeführten Maßnahmen im Rahmen des Jahresabschlusses zum 31. Dezember 2008 durch ein Wirtschaftsprüfungsunternehmen geprüft worden sei. Der Prüfvermerk zum Jahresabschluss bestätige, dass die Buchführung und der Anlagespiegel ordnungsgemäß seien. Diesem Prüfvermerk lässt sich aber gerade nicht entnehmen, dass den Beanstandungen in früheren Jahresabschlüssen bzw. der Hauptstudie zum Sanierungskonzept nachträglich abgeholfen wurde. Nach dem genannten Vermerk beschränkte sich die Prüfung auf die Wirksamkeit des rechnungslegungsbezogenen Kontrollsystems sowie der Nachweise für die Angaben in Buchführung, Jahresabschluss und Lagebericht, wobei „überwiegend“ nur eine stichprobenweise Beurteilung stattgefunden hatte. Ungeachtet dessen hat der Antragsgegner mit Schriftsatz vom 29. September 2017 auch ausdrücklich eingeräumt, er habe keine „belastbaren Hinweise“ darauf, „dass die Frage der kostenbezogenen Erforderlichkeit im Hinblick auf die allgemeinen Hinweise in den Berichten zur Prüfung von Jahresabschlüssen auf die Nichteinhaltung von Ausschreibungsvorgaben vertieft außerhalb des anhängigen Normenkontrollverfahrens geprüft worden“ sei. Dementsprechend kann nicht angenommen werden, dass im Rahmen der Beitragskalkulation ein Abschlag für (eventuelle) Kostenüberhöhungen bzw. entsprechende Sonderabschreibungen vorgenommen wurde.

31. III. Die fehlende Indizwirkung ordnungsgemäßer Vergabeverfahren ist nicht deshalb unbeachtlich, weil die Kosten der Maßnahmen aus den Jahren 1992 bis 1997 im Wesentlichen ohnehin keinen Eingang in die Kalkulation gefunden hätten. Zwar hat der Antragsgegner die Kosten für die bis zum 31. Dezember 2008 verwirklichten Maßnahmen dem Anlagenverzeichnis entnommen und zunächst geltend gemacht, die Kosten für die in den Anfangsjahren veranlassten Maßnahmen, die sich als nicht sinnvoll erwiesen hätten, seien bereits wieder „ausgebucht“ gewesen, als die Kalkulation erstellt worden sei (vgl. etwa Schriftsatz vom 7. Mai 2014). Indessen hat der Antragsgegner später auf gerichtliche Anfrage eine mehrfach überarbeitete Übersicht zur Frage vorgelegt, inwieweit Kosten in die Kalkulation eingegangen sind, die für Maßnahmen aus den Jahren 1992 bis 1997 angefallen sind. Für diese Übersicht ist im Laufe des Verfahrens die Bezeichnung „A-3-Tabelle“ gebräuchlich geworden, die auch im Folgenden verwendet wird. In der mit Schriftsatz vom 22. Juni 2020 überreichten jüngsten Fassung der A-3-Tabelle sind 43 Maßnahmen aus den Jahren 1992 bis 1997 aufgeführt. Für 27 dieser Maßnahmen sind Kosten angegeben, die in die Kalkulation eingegangen sein sollen. Allein danach soll von den in der Beitragskalkulation insgesamt angesetzten umlagefähigen Anschaffungs- und Herstellungskosten in Höhe von 92.016.834,21 Euro ein Anteil von rund 54.630.000 Euro (= 106.846.993 DM), also mehr als die Hälfte, auf Maßnahmen entfallen, die der Antragsgegner in den Jahren 1992 bis 1997 durchgeführt hat.

32. IV. Die kostenbezogene Erforderlichkeit der ausweislich der jüngsten Fassung der A-3-Tabelle angesetzten Aufwendungen aus den Jahren 1992 bis 1997 ist vom Antragsgegner während des gerichtlichen Verfahrens nur teilweise plausibilisiert worden.

33. 1. Von der im Laufe des Verfahrens erörterten Option, die Anschaffungs- und Herstellungskosten anhand vergleichbarer Ausschreibungspreise aus den Jahren 1992 bis 1997 zu überprüfen, hat der Antragsgegner letztlich keinen Gebrauch gemacht. Ein entsprechender Abgleich war zwar Gegenstand des von ihm ausgeschriebenen Gutachtenauftrags. Der Antragsgegner hat mit Schriftsatz vom 28. August 2020 indessen mitgeteilt, dass dies nachfolgend nicht realisiert worden sei, weil er die Durchführung eines solchen Abgleichs aufgrund praktischer und rechtlicher Probleme als nicht zielführend angesehen habe. Auch der mit Schriftsatz vom 28. Mai 2014 angestellte Vergleich mit Durchschnittspreisen aus einem nicht näher bezeichneten Nachbarverband ist nicht ausreichend. Zur Vergleichbarkeit der betreffenden Baumaßnahmen mit den zu überprüfenden Maßnahmen des Antragsgegners ist nichts vorgetragen worden. Abgesehen hiervon wäre der Preisvergleich mit nur einem Nachbarverband allenfalls dann aussagekräftig, wenn davon auszugehen wäre, dass dieser das Gebot der kostenbezogenen Erforderlichkeit beachtet hat. Auch hierfür hat der Antragsgegner nichts dargetan.

34. 2. Dem Antragsgegner ist es nicht gelungen, die kostenbezogene Erforderlichkeit der Maßnahmen aus den Jahren 1992 bis 1997 vollständig anhand der Orientierungswerte des MUNR-Katalogs zu plausibilisieren.

35. a) Diese Orientierungswerte sollten es den Aufgabenträgern erleichtern, ihre Anlagen zu günstigeren Preisen herstellen zu lassen (S. 7 des Katalogs). Sie geben – zu einem großen Teil in graphischer Form – anzustrebende Kosten an, und zwar in Abhängigkeit von bestimmten Parametern (Leitungslänge, Verlegungstiefe etc.). Neben der Angabe eines generellen Toleranzbereichs von +/- 10% werden auch Margen für bestimmte weitere Zuschläge angegeben, die den Einfluss des Baugrundes betreffen. Das Ministerium für Ländliche Entwicklung, Umwelt und Landwirtschaft hat auf Nachfrage des Senats bestätigt, dass die Orientierungswerte die Planungskosten bis einschließlich der Leistungsphase V einschließen. Bei den im MUNR-Katalog angegebenen Kosten handelt es sich jeweils um Nettowerte ohne Berücksichtigung der Umsatzsteuer (vgl. S. 34 des Katalogs).

36. b) Der Antragsgegner hat die in der A-3-Tabelle angegebenen kostenträchtigen Maßnahmen – mit Ausnahme der allerdings größenmäßig nicht weiter ins Gewicht fallenden Maßnahme „OE Töpchin“ – durch das Unternehmen a… anhand des MUNR-Kataloges auf ihre Angemessenheit prüfen lassen. Als Anlage zum Schriftsatz vom 29. Mai 2020 hat der Antragsgegner einen erläuternden Bericht des beauftragten Unternehmens (im Folgenden: AG 2) sowie als weiteres Anlagenkonvolut (im Folgenden: AG 1) Ergebnisübersichten zu 26 Maßnahmen und eine zusammenfassende „Ergebnisübersicht Schmutzwassermaßnahmen“ eingereicht.

37. Aus dem Bericht geht hervor, dass zum Zweck der Überprüfung zunächst der Gegenstand der einzelnen Maßnahmen im Detail ermittelt wurde (Lagefeststellung, Leitungslängen etc.; AG 2, S. 1 ff.). Anschließend sind die Orientierungswerte darauf angewendet worden, wozu diese erst einmal „operabel“ gemacht wurden, insbesondere durch Umwandlung graphischer Darstellungen in Funktionen (AG 2, S. 7). Bei dem Abgleich hat das Unternehmen a… zudem dem Umstand Rechnung getragen, dass es sich bei den im MUNR-Katalog angegeben Kosten um Nettowerte (ohne USt.) handelt und in diesen Werten neben den Bauleistungskosten auch bestimmte Planungskosten enthalten sind. Unter Einbeziehung dieser Gesichtspunkte sind in dem Gutachten für die untersuchten Maßnahmen – ausgehend von der A-3-Tabelle – die für einen Abgleich mit den MUNR-Katalog geeigneten Kosten ermittelt worden (im Gutachten als „maßgebliche Kosten“ bezeichnet).

38. Als Vergleichswerte nach dem MUNR-Katalog sind im Gutachten jeweils untere, mittlere und obere Sollkosten angegeben worden. Damit sollten die im MUNR-Katalog vorgesehenen Toleranzen (+/- 10%) und die Zuschläge für den Einfluss des Baugrundes berücksichtigt werden. Für die Ermittlung der oberen Sollkosten wurden jeweils der Maximalwert der Baukosten sowie die maximalen Zuschläge zugrunde gelegt (vgl. AG 2, S. 8). Nach dem ergänzenden schriftsätzlichen Vortrag des Antragsgegners erfolgte dabei der Toleranzzuschlag von 10% pauschal, während die Zuschläge für den örtlichen Baugrund punktuell angesetzt worden seien.

39. c) Gemäß der zusammenfassenden Ergebnisübersicht (AG 1, Bl. 27) sind die von a… untersuchten 26 Maßnahmen mit 93.269.743,66 DM (= 47.688.062,70 Euro) in die Beitragskalkulation eingeflossen. Die Abweichung von dem in der „A3-Tabelle“ genannten Betrag von 54.630.000 Euro beruht nach dem Vortrag des Antragsgegners im Wesentlichen darauf, dass es sich bei dem Betrag von ca. 47,7 Mio. Euro um einen Nettobetrag handelt, während der „A3-Tabelle“ Bruttobeträge (mit USt.) zugrunde liegen. Hiervon konnten nach dem Gutachten 90.181.422,88 DM überprüft werden. Die – wie ausgeführt – nur einen Teil der Planungskosten berücksichtigenden und dem Abgleich mit dem MUNR-Werten dienenden „maßgeblichen Kosten“ beliefen sich nach dem Gutachten auf 87.583.025,59 DM.

40. Im Rahmen der Ergebnisübersicht erfolgte sowohl ein saldierter als auch ein unsaldierter Vergleich der ausgehend von der A-3-Tabelle ermittelten maßgeblichen Kosten mit den MUNR-Vergleichswerten. „Unsaldiert“ bedeutet, dass die bei Einzelmaßnahmen festgestellten Überschreitungen der MUNR-Vergleichswerte summiert worden sind (AG 2, S. 21). Demgegenüber wurden beim saldierten Vergleich Überschreitungen der MUNR-Vergleichswerte und Unterschreitungen der MUNR-Vergleichswerte miteinander verrechnet. Dies erfolgte zunächst innerhalb der 26 untersuchten Maßnahmen und anschließend auch maßnahmeübergreifend.

41. d) Nach dem im Gutachten angestellten Kostenvergleich überschreiten die maßgeblichen Kosten die MUNR-Vergleichswerte fast durchgängig, und zwar auch die höheren oberen Sollkosten der MUNR-Vergleichswerte. Gemäß der Ergebnisübersicht ergibt der Vergleich der oberen Sollkosten (die sich nach dem Gutachten auf 53.421.070,50 DM belaufen) mit den maßgeblichen Kosten (87.583.025,59 DM) eine saldierte Kostenüberschreitung von 34.161.955,09 DM bzw. eine unsaldierte Kostenüberschreitung von 36.906.165,42 DM. Das bedeutet, dass die maßgeblichen Kosten die oberen Sollkosten um 63,95 % (MUNR saldiert) bzw. 72,82 % (MUNR unsaldiert) überschreiten. Der weiteren Betrachtung zugrunde zu legen ist dabei nach Einschätzung des Senats allein das unsaldierte Ergebnis. Die im Gutachten vorgenommene Saldierung käme nur dann in Betracht, wenn der zu hohe Preis an einer Stelle und der zu niedrige Preis an anderer Stelle Teil eines Gesamtpakets gewesen wären. Hierfür ist seitens des Antragsgegners aber nichts dargelegt worden.

42. e) Die Überschreitung der MUNR-Werte ist seitens des Antragsgegners nicht aus dem MUNR-Katalog heraus gerechtfertigt worden. In dem Bericht zum Gutachten wird zwar auf „qualitative Begründungen“ bei den jeweiligen Übersichtstabellen verwiesen (AG 2, S. 24). Solche Begründungen finden sich dort aber nur sehr vereinzelt und knapp. In keinem einzigen Fall werden die Mehrkosten beziffert, die nach Ansicht des Antragsgegners auf – von den Zuschlägen nach dem MUNR-Katalog nicht schon abgedeckten – Besonderheiten der örtlichen Gegebenheiten zurückzuführen sind.

43. Soweit auf die Notwendigkeit von Dükern verwiesen wird (vgl. etwa AG 1, Bl. 12 und 13), erscheint dies schon deshalb nicht nachvollziehbar, weil nach dem Bericht zum Gutachten solche Besonderheiten im Rahmen des angestellten Kostenvergleichs mit den MUNR-Werten gerade berücksichtigt worden sein sollen (vgl. AG 2, S. 7). Ebenfalls nicht nachvollziehbar ist der im Bericht von a… mehrfach gegebene Hinweis, dass im Verbandsgebiet in den 1990er Jahren tendenziell höhere Grundwasserstände anzutreffen gewesen seien, was höhere Kosten verursacht habe, aber im Kostenvergleich nicht habe belastbar berücksichtigt werden können (AG 2, S. 3, 23f.). Die dem MUNR-Katalog zugrunde liegende Datenbasis stammt aus der ersten Hälfte der 1990er Jahre. So wird etwa für den Bereich Abwasserableitung angegeben, dass der Kostenrahmen im Wesentlichen auf seit 1990 in den fünf neuen Bundesländern gewonnene Kostenspiegel sowie auf aktuellen Projektkosten aus diesen Ländern beruhe (S. 34). Sofern die Grundwasserstände in den 1990er Jahren generell höher gewesen sein sollten, muss sich dies also entsprechend in diesen Werten niedergeschlagen haben. Darüber hinaus lässt der MUNR-Katalog (vgl. dort S. 10) Zuschläge bis zu 17% für erhöhtes Grundwasseraufkommen zu und diese Zuschläge sind ausweislich des Vortrags des Antragsgegners bei der Bestimmung der oberen MUNR-Sollkosten – jedenfalls punktuell – auch vorgenommen worden (AG 2, S. 8). Aus diesem Grund ist nicht erkennbar, dass höhere Grundwasserstände noch zusätzlich berücksichtigt werden müssten. Soweit im Schriftsatz des Antragsgegners vom 22. Juni 2020 schließlich noch angeführt wird, belasteter Asphalt aus DDR-Zeiten habe teilweise zu Kostensteigerungen im Verbandsgebiet geführt, ist dies nicht ansatzweise substantiiert worden. Im Übrigen hat sich der Antragsgegner in diesem Schriftsatz darauf beschränkt, zu Kostenüberschreitungen Stellung zu nehmen, die sich im Rahmen des Kostenvergleichs mit den Daten aus der a…-online-Plattform ergaben. Mit den im Gutachten festgestellten Überschreitungen der MUNR-Werte hat er sich nachfolgend überhaupt nicht mehr auseinandergesetzt.

44. f) Ungeachtet dessen ist beim Abgleich der Kosten aus den Jahren 1992 bis 1997 mit den MUNR-Vergleichswerten nicht zu verkennen, dass dem MUNR-Katalog ein sehr ambitionierter Ansatz zugrunde liegt. So heißt es in dessen Einführung (S. 7), dass sich die meisten Kosten am unteren Kostenniveau orientierten und bei höheren Kosten eine Begründung zu fordern sei. Für alle im Katalog enthaltenen Kosten gebe es Beispiele aus der Praxis und Gründe für das niedrige Niveau. Der Katalog verstehe sich als ein Werkzeug für eine Minimierung der Abwasserentsorgungskosten, wobei die Bearbeiter bemüht gewesen seien, ihm eine gewisse Schärfe zu verleihen. Zur Datenherkunft wird ausgeführt (S. 34), die Bearbeiter hätten sich in den überwiegenden Fällen an spezifischen Kosten orientiert, die ein für den Anwender vorteilhaftes Preis-/Leistungsverhältnis aufwiesen. Diese Zitate lassen erkennen, dass mit den im MUNR-Katalog angegebenen Werten ein anzustrebender Zielwert am unteren Kostenniveau beschrieben wird. Es spricht viel dafür, dass auch die im Gutachten gebildeten oberen MUNR-Werte (die die im Katalog vorgesehenen Toleranzen und Zuschläge vollständig zugunsten des Antragsgegners berücksichtigen) noch von dieser Ambitioniertheit des Katalogs geprägt sind. Dementsprechend spricht auch viel dafür, dass die Einhaltung der Katalogwerte zwar ein hinreichendes, aber kein notwendiges Kriterium für die Beitragsfähigkeit der Kosten in dem Sinne ist, dass es bei einer Überschreitung dieser Werte gleichsam automatisch an der kostenbezogenen Erforderlichkeit fehlt. Denn – wie oben ausgeführt – gilt auch im Falle eines Verstoßes gegen das Vergaberecht, dass nur diejenigen Kosten nicht beitragsfähig sind, die erkennbar grob unangemessen waren (vgl. nochmals BVerwG, Urteil vom 30. Januar 2013 – 9 C 11.11 -, juris Rn. 25). Auch ist zu berücksichtigen, dass im Tiefbau erfahrungsgemäß mit Nachträgen zu rechnen ist. Vor diesem Hintergrund werden in dem Bericht der a… Abweichungen von bis zu 30% von den MUNR-Vergleichswerten als gerechtfertigt angesehen (AG 2, S. 24).

45. Nähme man deshalb zugunsten des Antragsgegners einen solchen Aufschlag von 30% auf die oberen MUNR-Vergleichswerte vor (und zwar dort, aber auch nur dort, wo Einzelmaßnahmen teurer waren als nach den MUNR-Werten zu erwarten), dann betrügen die oberen Sollkosten 66.447.574,04 DM. Die (unsaldierte) Kostenüberschreitung würde sich damit von den im Gutachten festgestellten 36.906.165,42 DM auf 21.135.451,55 DM reduzieren. Dies wäre allerdings immer noch eine Kostenüberschreitung von 31,81 %. Bezogen auf den laut „A3-Tabelle“ in die Beitragskalkulation eingestellten Bruttobetrag von 54.630.000 Euro bedeutet dies, dass damit selbst bei einem Aufschlag von 30% lediglich ein Betrag von 41.446.021 Euro als durch den Kostenvergleich mit den MUNR-Werten plausibilisiert angesehen werden könnte (41.446.021 Euro zuzüglich 31,81 % ergibt 54.630.000 Euro). Dass ein noch höherer „Sicherheitszuschlag“ auf die – bereits alle nach dem MUNR-Katalog begründbaren Toleranzen und Zuschläge berücksichtigenden – oberen Sollkosten gerechtfertigt sein könnte, ist vom Antragsgegner nicht dargelegt worden und auch sonst nicht ersichtlich. Im Übrigen ergäbe sich selbst bei einem Aufschlag von 40% auf die oberen MUNR-Sollkosten noch eine Kostenüberschreitungen i. H. v. 16.377.765,19 DM bzw. 23%.

46. 5. Die kostenbezogene Erforderlichkeit der Maßnahmen aus den Jahren 1992 – 1997 ist schließlich auch nicht mittels des angestellten Vergleichs mit eigenen Daten des Unternehmens a… plausibel dargelegt worden.

47. a) Im vom Antragsgegner eingeholten Gutachten erfolgte zusätzlich zum Vergleich mit den MUNR-Werten ein Kostenvergleich mit Daten der sog. „a…-online-Plattform“. Diese sollen vom Unternehmen a… im Rahmen von Benchmarkingprojekten in den Bereichen Kanalbau, Rohrleitungsbau und Asset Management Pumpwerke erhoben worden sein. Basierend auf diesen Daten seien mittels Regressionsanalysen empirische Kostenfunktionen für Schmutzwasserkanäle (Freispiegel), Abwasserdruckleitungen und Pumpwerke ermittelt worden (AG 2, S. 10). Die Vergleichswerte der online-Plattform beziehen sich nur auf die reinen Bauleistungskosten, zur Angemessenheit von Planungskosten treffen sie keine Aussage (AG 2, S.15).

48. b) Nach dem vorgelegten Gutachten ergeben sich auch bei diesem Kostenvergleich für eine Reihe von untersuchten Einzelmaßnahmen Kostenüberschreitungen, die sich insgesamt auf einen Betrag von 6.532.418,42 DM (= 3.339.972,29 Euro) summieren. Bei einer saldierten Betrachtungsweise (Verrechnung von Kostenüber- und -unterschreitungen) kommt das Gutachten demgegenüber zu dem Ergebnis, dass der Antragsgegner im Zeitraum 1992 bis 1997 ca. 59,6 Mio DM billiger gebaut hat als es preislich angemessen gewesen wäre. Hierbei handelt es sich jeweils um Bruttobeträge, die die Mehrwertsteuer einschließen (AG 2, S. 17).

49. c) Dieses Ergebnis verblüfft in mehrfacher Hinsicht. Zunächst haben die im Gutachten angestellten Vergleiche mit dem MUNR-Katalog einerseits und den Daten der a…-online-Plattform andererseits zu geradezu diametral gegensätzlichen Ergebnissen geführt. Besonders augenscheinlich wird dies, wenn man die saldierten Ergebnisse der beiden Kostenvergleiche gegenüberstellt, in denen eine Verrechnung von Kostenüber- und Kostenunterschreitungen stattgefunden hat. Diesbezüglich ergibt sich für die oberen MUNR–Werte (d. h. mit allen den Antragsgegner begünstigenden Toleranzen und Zuschlägen) eine Kostenüberschreitung von (netto) 34.161.955,09 DM, für den Vergleich mit den a…-Daten demgegenüber eine Kostenunterschreitung von (brutto) 59.632.435,97 DM. Bei betrachteten Kosten i. H. v. 90.181.422,88 DM liegen die beiden Vergleiche mithin 93.794.390 DM auseinander, unter Berücksichtigung der Mehrwertsteuer bei den MUNR-Werten beträgt die Differenz sogar rund 100 Mio DM. Bei der unsaldierten Betrachtungsweise (MUNR-obere Werte: ca. 37 Mio DM (netto) zu teuer, a…: ca. 6,5 Mio DM (brutto) Kostenüberschreitung) ist die Spanne zwar geringer, allerdings beruht auch dieses Ergebnis auf dem Umstand, dass nach dem a…-Vergleich – in fast vollständigem Kontrast zum MUNR-Vergleich – in großem Umfang billiger gebaut worden sein soll als angemessen gewesen wäre. Selbst bei Vornahme eines weiteren Aufschlags auf die oberen MUNR-Werte (vgl. oben A.IV.4.f), ließen sich die Ergebnisse der beiden Kostenvergleiche nicht ansatzweise in Übereinstimmung bringen. Weshalb dies der Fall ist, wird weder im vorgelegten Gutachten noch im nachfolgenden schriftsätzlichen Vortrag des Antragsgegners erläutert. Dies wäre aber erforderlich gewesen, zumal der MUNR-Katalog im vorgelegten Gutachten weder hinsichtlich seiner Datengrundlage noch seines methodischen Vorgehens grundsätzlich in Frage gestellt wird.

50. Darüber hinaus verblüfft das Ergebnis des Kostenvergleichs anhand der a…-Daten auch vor dem Hintergrund der zahlreichen Beanstandungen, die sich in Bezug auf die Tätigkeit des Antragsgegners im Zeitraum 1992 bis 1997 insbesondere im Sanierungskonzept und den von der Mittelrheinischen Treuhand erstellten Jahresabschlussberichten finden (vgl. hierzu schon oben A.I.1.). Den insoweit getroffenen Feststellungen zu kontinuierlichen Verstößen gegen das Vergaberecht, zu erheblichen Kostenüberschreitungen bei überprüften Baumaßnahmen und zu schwerwiegenden organisatorischen Defiziten ist der Antragsgegner nicht substantiiert entgegengetreten. Dass er gleichwohl nach dem angestellten Kostenvergleich mit den a…-Daten im maßgeblichen Zeitraum 1992 -1997 erheblich billiger gebaut haben soll als es noch in Ordnung gewesen wäre, ist nicht nachvollziehbar (vgl. oben: saldiert Minderkosten i. H. v. 59.632.436 DM; unsaldiert, aber immer noch auf der Annahme beruhend, dass bei vielen Einzelmaßnahmen besonders günstig gebaut worden sein soll: ca. 6,5 Mio. Euro Überschreitung). Das gilt umso mehr, als bei dem Vergleich mit den a…-Daten nach dem Schriftsatz des Antragsgegners vom 22. Juni 2020 etliche kostentreibende Umstände überhaupt noch nicht berücksichtigt sein sollen.

51. d) Das verblüffende Ergebnis des Kostenvergleichs anhand der a…-Daten ist nicht geeignet, die kostenbezogene Erforderlichkeit der Aufwendungen aus den Jahren 1992 bis 1997 zu plausibilisieren. Die Annahme, der Antragsgegner habe in diesen Jahren trotz der Beanstandungen aus dem im Jahr 1999 erstellten Sanierungskonzept und der Beanstandungen in den von der Mittelrheinischen Treuhand für die Jahre 1992 bis 1997 erstellten Jahresabschlussberichten und trotz einer deutlichen Abweichung von den Orientierungswerten des MUNR-Kataloges in Wahrheit bei vielen Einzelmaßnahmen und per Saldo auch insgesamt billiger gebaut als es eigentlich angemessen gewesen wäre, ist schon vom Ergebnis her alles andere als überzeugend. Diese Annahme wird überdies auch nicht durch eine in jeder Hinsicht transparente und überzeugende Methodik getragen.

52. aa) Schon die Zielsetzung des Kostenvergleichs anhand der a…-Daten wird im Gutachten nicht erläutert. Nach dem hierzu eingereichten Bericht erfolgte dieser zur „Absicherung der Kostenermittlung“ nach dem MUNR-Katalog, und zwar durch einen zusätzlichen Ansatz „zur Abschätzung angemessener Bauleistungskosten“ (AG 2, S. 10). Es wird im Gutachten aber nicht angegeben, was genau und mit welcher Begründung als „angemessen“ angesehen wird. Wie ausgeführt, obliegt der abgabenerhebenden Stelle im Falle eines vergaberechtswidrigen Verfahrens die Darlegung, dass die entstandenen Kosten sach- und marktgerecht gewesen sind. Dementsprechend müssen Argumente vorgetragen werden, die trotz der Nichtbeachtung des Vergaberechts die Schlussfolgerung auf die Angemessenheit der Kosten zulassen. Aus dem Gutachten geht aber nicht ansatzweise hervor, ob und ggf. aus welchen Gründen die zum Vergleich herangezogenen Daten der online-Plattform einen solchen Schluss zulassen.

53. Es fehlen zunächst nähere Angaben dazu, wer die betreffenden Daten erfasst hat. Der Bericht der a… GmbH spricht insoweit nur von „Datengebern“ und davon, dass die Daten im Rahmen von Benchmarkingprojekten erhoben worden seien (AG 2, S. 12 f.). Ferner wird ausgeführt, die Qualität der Primärdaten sei u. a. deshalb als hoch einzuschätzen, weil es einen „mehrstufigen Qualitätssicherungsprozess“ gebe (AG 2, S. 13). Hierzu hat der Antragsgegner auf Nachfrage des Senats mit Schriftsatz vom 28. August 2020 ergänzend ausgeführt, dass dieser Qualitätssicherungsprozess Teil des Projektablaufs beim Benchmarking sei. Es erfolge zunächst eine Kontrolle der Plausibilität der abgefragten Daten, wobei insbesondere fachlogische Zusammenhänge geprüft würden. In einem nächsten Schritt werde geprüft, ob sich die errechneten Kenndaten in den üblichen Wertebereichen bewegten, ob es signifikante Abweichungen zu Vorjahreswerten bzw. zur Vergleichsgruppe gebe und ob Abweichungen nachvollziehbar erklärt werden könnten. Erst wenn diese Prüfung vorgenommen sei, würden die Daten für den Vergleich beim Benchmarking freigegeben. Auch diese ergänzenden Ausführungen lassen nicht erkennen, weshalb die sich aus den Daten der online-Plattform ergebenden Baukosten als markgerecht zu bewerten sind. So bleibt etwa unklar, was unter „üblichen Wertebereichen“ zu verstehen ist, nach welchen Kriterien „Vergleichsgruppen“ gebildet werden und welche Gründe eine Abweichung von deren Werten rechtfertigen können.

54. bb) Soll die (Markt-)Angemessenheit von Bau- und Planungskosten anhand von Vergleichswerten aus anderen Projekten (oder einer entsprechenden Datenbank) belegt werden, so müssen die Vergleichswerte einen entsprechenden örtlichen und zeitlichen Bezug zu den in Rede stehenden Maßnahmen aufweisen. Auch dies lässt sich vorliegend nicht feststellen. Sowohl in dem vorgelegten Gutachten als auch in dem Vortrag des Antragsgegners werden nur sehr spärliche Angaben zur zeitlichen und örtlichen Herkunft der Daten gemacht.

55. Dem Bericht des Unternehmens a… lässt sich insoweit nur entnehmen, dass die Daten für den Kanalbau aus den Jahren 2002 – 2018, für den Rohrleitungsbau aus den Jahren 2017-2018 und für die Pumpwerke aus den Jahren 1961 – 2016 stammen (AG 2, S. 12). Es ist deshalb davon auszugehen, dass die herangezogenen Daten der „a…-online-Plattform“ zu einem erheblichen Teil aus Zeiträumen stammen, die (deutlich) nach dem hier maßgeblichen Untersuchungszeitraum 1992-1997 liegen und deshalb nicht den erforderlichen zeitlichen Bezug zu diesem Zeitraum aufweisen. Zwar sollen die entsprechenden Daten anhand der Preisindizes für Ortskanäle des Statistischen Bundesamtes auf das Bezugsjahr 1996 bereinigt worden sein (AG 2, S. 12). Eine solche „Rückrechnung“ mittels der Preisindizes des Statistischen Bundesamtes mag auch grundsätzlich eine zulässige Vorgehensweise sein. Allerdings ist dies – weil nicht auf aktuelle bzw. zeitnah erhobene Daten zurückgegriffen wird – notwendigerweise mit bestimmten Unsicherheiten und Ungenauigkeiten verbunden. So wird etwa in der 4. Auflage des MUNR-Katalogs 2003 (S. 11) unter Bezugnahme auf einen Aufsatz von Reicherter und Günthert in der Fachzeitschrift „Wasserwirtschaft Wassertechnik“ (wwt 7/98, 20) darauf hingewiesen, dass es zu erheblichen Abweichungen zwischen den Indizes und den tatsächlichen Baupreisen kommen könne. Nach dem genannten Aufsatz lagen die tatsächlichen Kosten für Kanalbaumaßnahmen in den Jahren 1992 bis 1997 bis zu 40% unterhalb der Werte, die sich für diesen Zeitraum bei einer Umrechnung der Werte des Jahres 1989 mittels des einschlägigen Preisindex ergeben hätten. Es liegt nahe, dass die Gefahr solcher signifikanter Abweichungen umso eher besteht, wenn Preise über einen sehr langen Zeitraum mittels eines Preisindex transformiert werden müssen. Dies ist hier der Fall gewesen, denn angesichts des gewählten Bezugsjahres 1996 musste u. U. eine Rückrechnung über mehr als 20 Jahre hinweg erfolgen.

56. Hinzu kommt, dass sich im Bericht der a…GmbH …auch zur regionalen Herkunft der Daten keine Angaben finden. Auf Nachfrage des Senats hat der Antragsgegner zwar mitgeteilt, dass es sich grundsätzlich um Daten aus dem gesamten Bundesgebiet und damit auch aus den neuen Bundesländern handle. Die Angaben auf der Internetseite der a… GmbH sprechen allerdings dafür, dass der Tätigkeitsschwerpunkt dieses Unternehmens in den alten Bundesländern liegt. So werden etwa verschiedene landesweite Benchmarking-Projekte angeführt, an denen a… beteiligt ist oder war. Mit Ausnahme von Sachsen beziehen diese sich allesamt auf die alten Bundesländer und auch das Projekt in Sachsen wurde nur in den Jahren 2010/2011 durchgeführt. Jedenfalls ist weder nachvollziehbar dargelegt noch sonst zu erkennen, dass die Datenbasis aus der a…-online-Plattform auf die maßgeblichen örtlichen Gegebenheiten im Bereich des Antragsgegners zumindest übertragbar ist. Dass sich die Baukosten regional erheblich unterscheiden können, ist allgemein bekannt und zeigt sich u. a. daran, dass vom Baukosteninformationszentrum Deutscher Architektenkammern (BKI) Baukosten-Regionalfaktoren herausgegeben werden. Hierzu heißt es auf der Internetseite des BKI (https://bki.de/regionalfaktoren/bki-baukosten-regionalfaktoren-2021.html, abgerufen am 7. Juni 2021), dass die Baukosten-Niveaus innerhalb Deutschlands um über 40% differieren.

57. Vor diesem Hintergrund liegt es keineswegs auf der Hand, dass man aussagekräftige und verlässliche Ergebnisse erhält, wenn man Werte – zumal aus anderen Regionen – über viele Jahre mittels Preisindizes des Statistischen Bundesamtes zurückrechnet. Da es zur Plausibilisierung der Erforderlichkeit von Kosten auch gehört, dass das hierfür angewandte methodische Vorgehen plausibilisiert wird, hätte die Geeignetheit der genannten Vorgehensweise im Gutachten von a… nachvollziehbar erläutert werden müssen. Dies ist nicht erfolgt.

58. B. Unbeschadet der nur teilweisen Plausibilisierung der Anschaffungs- und Herstellungskosten aus den Jahren 1992 bis 1997 hat der Antragsgegner mit Schriftsatz vom 1. August 2014 zudem angegeben, dass noch (weitere) Fördermittel in Höhe von 348.725,64 Euro abzuziehen seien.

59. Darüber hinaus sind nach der Rechtsprechung des Senats auch die in die Beitragskalkulation eingegangenen Kosten abzusetzen, die bereits über gebührengedeckte Abschreibungen gedeckt gewesen sind. Was bereits über Gebühren finanziert worden ist, darf nicht noch einmal über Beiträge finanziert werden (vgl. Urteile des Senats vom 26. Januar 2011 – OVG 9 B 14.09 -, juris Rn. 33, und vom 14. November 2013 – OVG 9 B 34.12 -, juris Rn. 52). Nach der vom Antragsgegner gleichfalls im gerichtlichen Verfahren vorgelegten – plausiblen – Berechnung war zum Zeitpunkt des Satzungsinkrafttretens ein Betrag von 7.960.579,24 Euro bereits über gebührenfinanzierte Abschreibungen gedeckt. Allerdings ist insoweit zugunsten des Antragsgegners zu berücksichtigen, dass nach den Feststellungen unter oben A. die ansatzfähigen Anschaffungs- und Herstellungskosten etwa 10% niedriger gewesen sind als vom Antragsgegner im Rahmen seiner Berechnung angenommen. Im Hinblick darauf erscheint es angezeigt, den vorgenannten Abzugsbetrag für die gebührenfinanzierten Abschreibungen entsprechend um 10% auf 7.164.521,32 Euro zu reduzieren.

60. C. Damit erweist sich der in § 3 Abs. 10 SBS 2012 festgelegte Beitragssatz als rechtswidrig.

61. Die kostenbezogene Erforderlichkeit der Maßnahmen aus den Jahren 1992 bis 1997 ist vom Antragsgegner allenfalls i. H. v. 41.446.021 Euro plausibilisiert worden (vgl. oben A.IV.4.f). Der für diesen Zeitraum in die Beitragskalkulation eingestellte Aufwand von 54.630.000 Euro ist deshalb zumindest um einen Betrag von 13.183.979 Euro (54.630.000 Euro minus 41.446.021 Euro) zu reduzieren. Damit reduzieren sich zugleich die in der Beitragskalkulation mit 92.016.834,21 Euro angegebenen umlagefähigen Anschaffungs- und Herstellungskosten auf 78.832.855,20 Euro. Weiterhin abzusetzen sind die unter B. genannten (weiteren) Fördermittel und die bereits über Gebühren finanzierten Kostenanteile. Dies ergibt einen umlagefähigen Aufwand von 71.319.608,30 Euro und damit bei einer nutzungsbezogenen Fläche laut Kalkulation von 26.031.217 m² einen Beitragssatz von 2,74 Euro/m², so dass der festgelegte Beitragssatz von 3,00 Euro als überhöht anzusehen ist. Der Vollständigkeit halber sei darauf hingewiesen, dass dies selbst dann noch der Fall wäre, wenn man einen Aufschlag von 40% auf die oberen Sollkosten vornähme (vgl. nochmals oben A.IV.4.f), da sich dann rechnerisch ein Beitragssatz von 2,85 Euro/m² ergäbe.

62. Angesichts der Rechtswidrigkeit des in § 3 Abs. 10 SBS 2012 geregelten Beitragssatzes bedarf es keiner Klärung der Frage, ob der Antragsgegner an den von seiner Verbandsversammlung beschlossenen Deckungsgrad des Beitragssatzes gebunden ist. Auch eines Eingehens auf die weiteren Rügen des Antragstellers bedarf es nicht mehr.

63. D. Dem vom Antragsgegner in der mündlichen Verhandlung gestellten Beweisantrag auf Einholung eines Sachverständigengutachtens zur Klärung der Frage, ob bei bestimmten Baumaßnahmen aus dem Zeitraum 1992 bis 1997 unangemessene Mehrkosten entstanden sind, musste der Senat nicht nachgehen. Soweit die vom Antragsgegner angeführten Baumaßnahmen den – nicht verfahrensgegenständlichen – Trinkwasserbereich betreffen, sind sie für die Entscheidung des Verfahrens von vornherein ohne Belang. Im Übrigen durfte der Sachverständigenbeweisantrag wegen Unerheblichkeit abgelehnt werden (§ 86 Abs. 1 VwGO i. V. m. § 244 Abs. 3 Satz 3 Nr. 2 StPO analog, vgl. etwa BVerwG, Beschluss vom 10. August 2015 – 5 B 48.15 -, juris Rn. 10). Nach den eingangs der Entscheidungsgründe dargelegten Grundsätzen ist die angegriffene Vorschrift schon allein deshalb für unwirksam zu erklären, weil der Antragsgegner bis zur letzten mündlichen Verhandlung keine plausible, den festgesetzten Beitragssatz rechtfertigende Kalkulation vorgelegt hat. Hierfür hatte er ausreichend Zeit. Auf das Ergebnis des beantragten Sachverständigenbeweises kommt es deshalb vorliegend nicht an. Unbeschadet dessen ist für den Senat auch nicht erkennbar, wie ein gerichtlich bestellter Sachverständiger zu besseren Erkenntnissen kommen können sollte als der Antragsgegner mit Hilfe eines von ihm selbst beauftragten Unternehmens.

64. E. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.

65. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO in Verbindung mit § 708 Nr. 11, § 711 der Zivilprozessordnung.

66. Die Revision ist nicht zuzulassen, weil keiner der in § 132 Abs. 2 VwGO genannten Gründe vorliegt.

Zuletzt aktualisiert am Juli 19, 2021 von eurogesetze

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