Streitwert – unechter Hilfsantrag – Kündigungsschutzantrag – Folgekündigung

Gericht: LArbG Berlin-Brandenburg 26. Kammer
Entscheidungsdatum: 21.06.2021
Rechtskraft: ja
Aktenzeichen: 26 Ta (Kost) 6066/21
ECLI: ECLI:DE:LAGBEBB:2021:0621.26TA.KOST6066.21.00
Dokumenttyp: Beschluss

Streitwert – unechter Hilfsantrag – Kündigungsschutzantrag – Folgekündigung

Leitsatz

1. Zur kostenrechtlichen Bewertung eines auf eine Folgekündigung bezogenen Kündigungsschutzantrags als (unechter) Hilfsantrag (Fortführung zu LAG Berlin-Brandenburg 15. November 2019 – 26 Ta (Kost) 6086/19, Rn. 9).(Rn.8)

2. Ist eine Kündigung nur „vorsorglich“ für den Fall erklärt worden, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht bereits aufgrund einer vorherigen Kündigung aufgelöst worden ist, steht bereits die Kündigungserklärung unter der – zulässigen – auflösenden Rechtsbedingung (§ 158 Abs. 2 BGB), dass die Beendigung des Arbeitsverhältnisses schon kraft Gesetzes eingetreten ist (vgl. BAG 23. Mai 2013 – 2 AZR 54/12, Rn. 44).(Rn.11)

3. Überschreitet das Gericht den gestellten Antrag entgegen § 308 ZPO in der irrigen Annahme, sich noch in dessen Rahmen zu halten, so ist für den Streitwert nicht die irrtümliche Entscheidung des Gerichts, sondern der Antrag der Partei maßgebend (vgl. LAG Berlin-Brandenburg 27. April 2021 – 17 Ta (Kost) 6033/21; 11. Mai 2021 – 26 Ta (Kost) 6034/21).(Rn.13)

Verfahrensgang …
Tenor

Die Beschwerde der Prozessbevollmächtigten der Klägerin gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Berlin vom 25. Februar 2021 – 24 Ca 1442/18 – wird zurückgewiesen.

Gründe

I.

1. Die Prozessbevollmächtigten der Klägerin begehren im Rahmen der Streitwertbeschwerde nach einem abgeschlossenen Rechtsstreit gegen den Insolvenzverwalter über das Vermögen der A Berlin PLC & Co. Luftverkehrs KG Heraufsetzung des erstinstanzlich angesetzten Streitwerts um ein Bruttoeinkommen für eine Folgekündigung. Die ursprüngliche Kündigung war zum 30. April 2018, die Folgekündigung zum 31. Mai 2018 ausgesprochen worden.

2. In dem zweiten Kündigungsschreiben heißt es:

3. „Die A Berlin PLC & Co. Luftverkehrs KG hat Ihnen gegenüber mit Schreiben vom 27. Januar 2018 zum 30. April 2018 gekündigt. Ich gehe davon aus, dass Ihnen das Kündigungsschreiben zugegangen ist, sodass das Arbeitsverhältnis wirksam zum 30. April 2018 beendet wurde.

4. Unter Aufrechterhaltung der vorgenannten Kündigung kündige ich hiermit höchst vorsorglich ein eventuell zwischen Ihnen und der A Berlin PLC & Co. Luftverkehrs KG noch bestehendes Arbeitsverhältnis mit Wirkung zum 31. Mai 2018, hilfsweise zum nächstmöglichen Termin.“

5. Die Klägerin hat erstinstanzlich zunächst gegen die Kündigung vom 27. Januar 2018 Kündigungsschutzklage erhoben und das Klageziel gegen die zweite Kündigung später mit folgendem Antrag verfolgt:

6.„Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung des Beklagten mit Schreiben vom 26. Februar 2018, der Klagepartei zugegangen am 27.2.2018, nicht aufgelöst worden ist.“

7.Das Arbeitsgericht hat die Klage hinsichtlich beider Kündigungsschutzanträge abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung zurückgewiesen. Eine Nichtzulassungsbeschwerde war insoweit nicht erfolgreich. Das Arbeitsgericht hat eine Berücksichtigung des gegen die zweite Kündigung gerichteten Kündigungsschutzantrags bei der Bemessung des Streitwerts mit der Begründung abgelehnt, es habe sich insoweit um einen Hilfsantrag gehandelt und daher auch der Beschwerde nicht abgeholfen.

II.

8. Die zulässige Beschwerde ist unbegründet. Das Arbeitsgericht hat einen Betrag für den die weitere Kündigung betreffenden Antrag bei der Bemessung des Streitwerts zutreffend außer Ansatz gelassen. Der Kündigungsschutzantrag zu 8) ist als unechter Hilfsantrag zu verstehen. Die klagende Partei wollte sich gegen die Kündigung nur zur Wehr setzen, falls das Arbeitsverhältnis nicht schon durch die Kündigung zum 30. April 2018 beendet worden sein sollte.

9. 1) Stehen mehrere Beendigungstatbestände in Rede und macht die klagende Partei die Unwirksamkeit der einzelnen Maßnahmen mittels Haupt- und unechten Hilfsantrags geltend, besteht zwischen den Anträgen ein prozessuales Abhängigkeitsverhältnis. Ein unechter Hilfsantrag wird gestellt für den Fall des Erfolgs des Hauptantrags. Die Rechtshängigkeit des Hilfsantrags ist demnach auflösend bedingt durch den Misserfolg des Hauptantrags. Sie endet mit Bedingungseintritt rückwirkend, ohne dass es dafür eines besonderen gerichtlichen Ausspruchs bedürfte (vgl. BAG 21. November 2013 – 2 AZR 598/12, Rn. 17; HaKo-KSchR/Gallner 5. Aufl. § 4 KSchG Rn. 64).

10. Eine solchermaßen – auflösend – bedingte Antragstellung entspricht bei mehreren, zu unterschiedlichen Beendigungszeitpunkten erklärten Kündigungen dem (Kosten)Interesse der Kündigungsempfängerin. Sie trägt überdies der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts Rechnung, nach der die Sozialwidrigkeit bzw. Unwirksamkeit einer Kündigung dann nicht festgestellt werden kann, wenn die Auflösung des Arbeitsverhältnisses aufgrund eines anderen – vor oder gleichzeitig mit Ablauf der Kündigungsfrist wirkenden – Beendigungstatbestands zwischen den Parteien unstreitig oder sie rechtskräftig festgestellt ist (vgl. BAG 11. Februar 1981 – 7 AZR 12/79, zu B II 1 der Gründe). Gegen die Zulässigkeit eines entsprechend bedingten Antrags bestehen keine Bedenken.

11. Ist eine Kündigung zudem nur „vorsorglich“ für den Fall erklärt worden, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht bereits aufgrund einer vorherigen Kündigung aufgelöst worden ist, steht zudem bereits die Kündigungserklärung unter der – zulässigen – auflösenden Rechtsbedingung (§ 158 Abs. 2 BGB), dass die Beendigung des Arbeitsverhältnisses schon kraft Gesetzes eingetreten ist (vgl. BAG 23. Mai 2012 – 2 AZR 54/12, Rn. 44). Tritt diese Bedingung ein, liegt schon eine Kündigungserklärung als solche nicht mehr vor. Eine gleichwohl aufrecht erhaltene Kündigungsschutzklage ginge ins Leere und wäre unbegründet. Auch aus diesem Grund ist der gegen eine zu einem späteren Zeitpunkt wirkende Kündigungserklärung gerichtete Antrag als unechter Hilfsantrag zu verstehen, mit dem die klagende Partei sich gegen die „vorsorglich“ erklärte(n) Kündigung(en) ihrerseits nur „vorsorglich“ wehrt (vgl. BAG 21. November 2013 – 2 AZR 598/12, Rn. 20).

12. 2) Danach ist der Antrag zu 8), welcher sich gegen die zum 31. Mai 2018 ausgesprochene Kündigung richtet, hier schon der Sache nach als unechter Hilfsantrag zu verstehen. Dem Schriftsatz, mit dem der Antrag in das Verfahren eingebracht worden ist, war zudem das Kündigungsschreiben beigefügt. Darin war die Kündigung ausdrücklich als „vorsorgliche“ Kündigung bezeichnet worden. Es war also von vornherein klar, dass die weitere Kündigung im Falle einer Abweisung der Klage in Bezug auf die zu einem früheren Zeitpunkt wirkende weitere Kündigung aufgrund der auflösenden Bedingung entfallen würde. Zu einem anderen Ergebnis kann man allenfalls gelangen, wenn eine klagende Partei bei einer solchen Konstellation ausdrücklich erklärt, der Antrag solle bewusst ungeachtet des Umstandes unbedingt gestellt werden, dass dieses Vorgehen dem Kosteninteresse der klagenden Partei im Falle des Unterliegens mit dem Antrag, der gegen die zuerst wirkende Auflösung des Arbeitsverhältnisses gerichtet ist, zuwiderlaufe.

13. 3) Dem steht der Umstand, dass das Arbeitsgericht hier über den Hilfsantrag (entgegen § 308 ZPO) entschieden hat, nicht entgegen.

14. a) Ist zunächst sowohl über Haupt- als auch über Hilfsantrag entschieden worden, weil die Vorinstanz den Hauptantrag für begründet hielt, und weist die Rechtsmittelinstanz letztlich die Klage bereits hinsichtlich des Hauptantrags zurück, wird ein über den Hilfsantrag bereits ergangenes, noch nicht formell rechtskräftiges Urteil wirkungslos (vgl. BAG 12. August 2008 – 9 AZR 620/07, Rn. 15). Auch wenn sich der Angriff nur gegen die – stattgebende – Entscheidung über den Hauptantrag gerichtet hat, tritt in einem solchen Fall bei erfolgreichem – zur Abweisung dieses Antrags führendem – Rechtsmittel die auflösende Bedingung ein. Der erfolgreiche Angriff gegen die Entscheidung über den Hauptantrag reicht damit aus, um das angefochtene Urteil auch hinsichtlich des Hilfsantrags zu Fall zu bringen.

15. b) Aber auch dann, wenn das Arbeitsgericht – wie hier – bereits erstinstanzlich die Klage abgewiesen und zudem – entgegen § 308 ZPO – über den unechten Hilfsantrag entschieden hat, bewirkt das nicht seine Berücksichtigung im Rahmen der Streitwertbemessung. Überschreitet das Gericht den gestellten Antrag in der irrigen Annahme, sich noch in dessen Rahmen zu halten, so ist für den Streitwert nicht die irrtümliche Entscheidung des Gerichts, sondern der Antrag der Partei maßgebend. Wäre für die Streitwertfestsetzung statt der Anträge der Umfang der ergangenen Entscheidung ausschlaggebend, so wären die Parteien uU zur Anfechtung der Entscheidung allein aus kostenrechtlichen Gründen gezwungen (vgl. BGH 27. September 1973 – VII ZR 10/72, zu II 2 a der Gründe; Schneider, MDR 1971, 437, 438; Frank, Anspruchsmehrheiten im Streitwertrecht, 1986, S. 31). Für die Wertberechnung ist gemäß § 40 GKG die Antragstellung und nicht eine – zu Unrecht ergangene – gerichtliche Entscheidung maßgebend. Die klagende Partei muss nicht Gerichtsgebühren für eine Entscheidung tragen, die sie nicht zum Gegenstand des gerichtlichen Verfahrens gemacht hat (vgl. LAG Berlin-Brandenburg 27. April 2021 -17 Ta (Kost) 6033/21; 11. Mai 2021 – 26 Ta (Kost) 6034/21, zu 3 der Gründe).

III.

16. Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlasst, § 68 Abs. 3 Satz 2 GKG. Das Verfahren ist gebührenfrei, § 68 Abs. 3 Satz 1 GKG.

IV.

17. Die Entscheidung ist unanfechtbar.

Zuletzt aktualisiert am Juli 19, 2021 von eurogesetze

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