Gericht: VG Berlin 12. Kammer
Entscheidungsdatum: 22.06.2021
Aktenzeichen: 12 K 112/21 A
ECLI: ECLI:DE:VGBE:2021:0622.12K112.21A.00
Dokumenttyp: Urteil
Orientierungssatz
wie
VG Berlin, Urteil vom 10. Juni 2021 – 23 K 263/21 A;
OVG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 12. April 2021 – 14 A 818/19.A;
VG Trier, Urteil vom 4. Mai 2021 – 1 K 1102/21.TR;
VG Bremen, Urteil vom 27. Mai 2021 – 5 K 622/21;
Schl.-Holst. VG, Urteil vom 8. Juni 2021 – 13 A 239/21;
VG Wiesbaden, Urteil vom 30. April 2021 – 6 K 470/19.Wi.A;
VG Regensburg, Urteil vom 18. Mai 2021 – RN 11 K 21.30505
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar.
Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Tatbestand
1. Der Kläger begehrt die Durchführung eines weiteren Asylverfahrens.
2. Der im Januar 1997 geborene Kläger ist syrischer Staatsangehöriger, arabischer Volks- und sunnitischer Glaubenszugehörigkeit. Eigenen Angaben zufolge verließ er Syrien im Mai 2015 und reiste im Oktober 2015 nach Deutschland ein. Am 6. Januar 2016 stellte er einen Asylantrag. Bei seiner Anhörung durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt) im November 2016 gab er im Wesentlichen an: Er stamme aus einem kleinen Dorf im Gebiet Deir ez-Zor. Er sei über die türkische Grenze geflüchtet und habe sich ungefähr vier Monate in der Türkei aufgehalten. In Syrien habe er keinen Wehrdienst geleistet, da er noch Schüler gewesen sei. Er habe sich in Syrien nicht politisch engagiert. Er habe keine Probleme mit der Polizei oder anderen staatlichen Einrichtungen gehabt. Er sei vor dem IS geflohen, da man an deren Seite kämpfen müsse oder getötet werde. Er könne nicht nach Damaskus umziehen, denn dann müsste er für das syrische Regime kämpfen.
3. Mit Bescheid vom 8. August 2017 erkannte das Bundesamt dem Kläger den subsidiären Schutzstatus zu und lehnte den Asylantrag im Übrigen ab. Den Angaben des Klägers sei nicht zu entnehmen, dass er staatlichen oder nichtstaatlichen Verfolgungsmaßnahmen in Anknüpfung an flüchtlingsrelevante Umstände konkret ausgesetzt gewesen sei. Die Wehrdienstpflicht stelle keine politische Verfolgung dar. Nach der Rechtsprechung seien die zwangsweise Heranziehung zum Wehrdienst und die damit verbundenen Sanktionen nicht schlechthin eine politische Verfolgung, sondern nur, wenn sie zielgerichtet gegenüber bestimmten Personen eingesetzt würden, die dadurch wegen ihrer Religion, ihrer politischen Überzeugung oder eines sonstigen asylerheblichen Merkmals getroffen werden sollten. Es sei nicht ersichtlich, dass Wehrdienstentziehung als Ausdruck politischer Gegnerschaft gewertet werde. Im Übrigen ergebe sich aus den Angaben des Klägers nicht, ob er bereits einberufen worden sei.
4. Der Kläger hatte bereits am 24. Juli 2017 eine Untätigkeitsklage beim Verwaltungsgericht Berlin – VG 18 K 654.17 A – erhoben. Nach Erlass des Bescheides des Bundesamtes erklärten der Kläger und die Beklagte den Rechtsstreit übereinstimmend in der Hauptsache für erledigt.
5. Der Kläger stellte am 3. Dezember 2020 beim Bundesamt einen Asylfolgeantrag. Zur Begründung trug er im Wesentlichen vor: Die den ursprünglichen Ablehnungsbescheid zugrunde liegende Sach- und Rechtslage habe sich nachträglich entscheidungserheblich zu seinen Gunsten verändert. Die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (Urteil vom 19. November 2020 – C-238/19 – juris) stelle eine geänderte Rechtslage dar. Zur Annahme einer Rechtslagenänderung genüge die Herausbildung einer bestimmten Rechtsauffassung dann, wenn sie sich europagerichtlich herausgebildet habe.
6. Mit Bescheid vom 8. April 2021 lehnte das Bundesamt den Antrag als unzulässig ab. Zur Begründung führte es im Wesentlichen aus: Die Voraussetzungen für die Durchführung eines weiteren Asylverfahrens lägen nicht vor. Ein solches weiteres Verfahren sei nur dann durchzuführen, wenn Wiederaufgreifensgründe vorlägen. Hierfür müsse sich entweder die Sach- oder Rechtslage zugunsten des Klägers geändert haben oder neue Beweismittel vorliegen, die eine für ihn günstigere Entscheidung herbeigeführt haben würden oder Wiederaufnahmegründe nach § 580 der Zivilprozessordnung bestehen. Eine Änderung der Sachlage liege nicht vor. Der Kläger habe diesbezüglich nichts vorgetragen. Bereits in seinem Erstverfahren habe er geltend gemacht, für keine der Kriegsparteien kämpfen zu wollen und daher sein Heimatland verlassen zu haben. Die Sach- und Rechtslage habe sich aufgrund des Urteils des Europäischen Gerichtshofs vom 19. November 2020 nicht zu seinen Gunsten geändert. Denn eine Änderung der Rechtslage setze eine Änderung des materiellen Rechts nach Erlass des ursprünglichen Verwaltungsakts voraus. Höchstrichterliche Entscheidungen sowie die Klärung gemeinschaftsrechtlicher Fragen durch den Europäischen Gerichtshof stellten keine Änderung der Sach- oder Rechtslage dar. Vorabentscheidungen des Europäischen Gerichtshofes seien lediglich deklaratorischer Natur. Die vom Kläger angeführte Entscheidung betreffe lediglich die Auslegung der Richtlinie 2011/95/EU. Auch vermittle dieses Urteil keine neue Erkenntnis.
7. Mit der am 16. April 2021 bei Gericht eingegangenen Klage wendet sich der Kläger gegen den ablehnenden Bescheid. Zur Begründung trägt er im Wesentlichen vor: Es läge ein neues Beweismittel in Form einer Nachricht des syrischen Generals Elias Bitar vor, die im Internet abrufbar sei. Nach sinngemäßer Übersetzung ergebe sich daraus unter anderem, dass für jeden Wehrdienstverpflichteten, der mit der Zahlung für die Befreiung vom Militärdienst im Verzuge sei, ein Vorladungsschreiben erfolge oder eine Akte für das Militärgericht und das Finanzministerium angelegt werde, damit das Vermögen eingefroren werden könne; gleichzeitig würden die Namen an die Polizeibehörde übermittelt, damit diese die Betreffenden zur Fahndung ausschreiben können. Mit dieser Quelle korrespondiere ein inzwischen veröffentlichtes Gesetz der syrischen Republik sowie eine Mitteilung von Human Rights Watch über die Mitteilung des Generals al-Bitar zu den Maßnahmen für diejenigen, die die Zahlung für die Befreiung des Militärdienstes nicht geleistet hätten. In Anwendung der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs hätte der Asylfolgeantrag des Klägers nicht als unzulässig abgelehnt werden dürfen. Da sich die Entscheidung des Gerichtshofs vom 19. November 2020 zugunsten des Klägers auswirken könne, müsse der Grundsatz der Rechtssicherheit im Hinblick auf die bestandskräftige Asylentscheidung hinter dem Interesse an einer erneuten Überprüfung des Asylbegehrens zurücktreten. Eine neue Sachlage ergebe sich auch aus dem Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 4. Dezember 2020. Im Übrigen stelle die Ablehnung des Asylfolgeantrages eine Ungleichbehandlung im Vergleich zu denjenigen syrischen Asylbewerbern dar, deren Asylerstverfahren noch nicht beendet sei und die nun möglicherweise als Flüchtling anerkannt würden.
8. Der Kläger beantragt,
9. den Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 8. April 2021 aufzuheben.
10. Die Beklagte beantragt,
11. die Klage abzuweisen.
12. Zur Begründung bezieht sie sich auf den angefochtenen Bescheid und führt ergänzend aus: Ein Wiederaufgreifensgrund liege nicht vor. Der Gerichtshof gebe in der von dem Kläger angeführten Entscheidung lediglich Hinweise zur richtlinienkonformen Anwendung der nationalen Rechtsgrundlage. Diese Entscheidung führe nicht zur Unionsrechtswidrigkeit oder Unanwendbarkeit der maßgeblichen deutschen Umsetzungsnorm. Die Entscheidung vermöge auch keine neue Erkenntnis zu vermitteln. Das vom Kläger angegebene Video mit der auszugsweisen Übersetzung sei nicht geeignet zu belegen, dass die Beklagte zum Zeitpunkt der Asylentscheidung von falschen Voraussetzungen ausgegangen sei.
Entscheidungsgründe
13. A. Die zulässige Klage ist unbegründet.
14. I. Die Anfechtungsklage gegen den die Durchführung eines weiteren Asylverfahrens ablehnenden Bescheid des Bundesamtes vom 8. April 2021 ist statthaft. Eine Unzulässigkeitsentscheidung nach § 29 Abs. 1 Nr. 5 des Asylgesetzes – AsylG – stellt einen Verwaltungsakt dar, der die Rechtsstellung des Klägers verschlechtert, weil damit ohne inhaltliche Prüfung festgestellt wird, dass kein weiteres Asylverfahren durchzuführen ist. Der Asylsuchende muss die Aufhebung dieses Bescheides erreichen, wenn er eine Entscheidung über seinen Asylantrag erhalten will. Im Falle der Aufhebung ist das Bundesamt zur Durchführung eines Asylverfahrens verpflichtet. Eine Verpflichtung der Gerichte zum „Durchentscheiden“ besteht nicht (BVerwG, Urteil vom 14. Dezember 2016 – 1 C 4.16 – juris Rn.16 ff.).
15. II. Die Klage ist unbegründet, da der angefochtene Bescheid des Bundesamtes rechtmäßig ist und den Kläger nicht in seinen Rechten verletzt (vgl. § 113 Abs. 1 Satz 1 der Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO). Die Beklagte hat den Folgeantrag des Klägers zu Recht als unzulässig abgelehnt. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Durchführung eines weiteren Asylverfahrens.
16. Der Folgeantrag ist unzulässig, da ein weiteres Asylverfahren nicht durchzuführen ist (vgl. § 29 Abs. 1 Nr. 5 AsylG). Denn ein solches ist gemäß § 71 Abs. 1 Satz 1 AsylG nach unanfechtbarer Ablehnung eines früheren Asylantrags nur durchzuführen, wenn die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 des Verwaltungsverfahrensgesetzes
– VwVfG – vorliegen. Danach ist erforderlich, dass sich die dem (ursprünglichen) Verwaltungsakt zugrunde liegende Sach- oder Rechtslage nachträglich – hier nach Abschluss des früheren Asylverfahrens – zugunsten des Betroffenen geändert hat (§ 51 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG), neue Beweismittel vorliegen, die eine für den Betroffenen günstigere Entscheidung herbeigeführt haben würden (§ 51 Abs. 1 Nr. 2 VwVfG)
oder Wiederaufnahmegründe entsprechend § 580 der Zivilprozessordnung gegeben sind (§ 51 Abs. 1 Nr. 3 VwVfG). Der Antrag ist sodann gemäß § 51 Abs. 2 VwVfG nur zulässig, wenn der Betroffene ohne grobes Verschulden außerstande war, den Grund für das Wiederaufgreifen in dem früheren Verfahren geltend zu machen. Nach § 51 Abs. 3 VwVfG muss der Antrag binnen drei Monaten nach Kenntnis des Grundes für das Wiederaufgreifen gestellt werden.
17. Ein weiteres Asylverfahren ist nicht durchzuführen, weil kein Wiederaufgreifensgrund im Sinne des § 51 Abs. 1 VwVfG vorliegt.
18. 1. Eine nachträglich zugunsten des Klägers eingetretene Änderung der dem ursprünglichen Verwaltungsakt zugrunde liegenden Sachlage (§ 51 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG) ist nicht gegeben. Eine solche ist in Asylverfahren zu bejahen, wenn sich entweder die allgemeinen politischen Verhältnisse oder Lebensbedingungen im Heimatstaat oder aber die das persönliche Schicksal des Asylbewerbers bestimmenden Umstände so verändert haben, dass eine für den Asylbewerber günstigere Entscheidung möglich erscheint. Eine Änderung ist erst dann anzunehmen, wenn eine qualitativ neue Bewertung angezeigt und möglich erscheint (Bergmann in Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 13. Aufl. 2020, AsylG § 71 Rn. 24).
19. a) Eine Änderung der Sachlage ergibt sich nicht aus einem neuen schlüssigen Vortrag des Klägers. Zur Begründung seiner Ansicht, dass er als Flüchtling anzuerkennen sei, beruft sich der Kläger wie auch in seinem ursprünglichen Asylverfahren weiterhin darauf, dass er sich dem Wehrdienst, den er in Syrien noch nicht abgeleistet habe, entzogen habe. Ein neuer Vortrag liegt insoweit nicht vor.
20. b) Eine Änderung der Sachlage im Hinblick auf die asylrechtlich relevanten Umstände in Syrien folgt nicht aus neuen Erkenntnismitteln, die eine Neubewertung des Sachverhalts erfordern und sich für das Asylbegehren des Klägers zu seinen Gunsten auswirken könnten (so auch VG Stuttgart, Urteil vom 4. März 2021 – A 7 K 244/19 – juris Rn. 24; VG Trier, Urteil vom 4. Mai 2021 – 1 K 1102/21.TR – juris Rn. 21; vgl. auch VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 22. Dezember 2020 – A 4 S 4001/20 – juris Rn. 16). Der Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 4. Dezember 2020 stellt kein solches neues Erkenntnismittel dar, welches erhebliche Änderungen der Lage in Syrien insbesondere im Hinblick auf Wehrdienstentziehung darstellt, die eine Neubewertung des Sachverhalts erforderte und sich im Hinblick auf das Asylbegehren zugunsten des Klägers auswirken könnte. Die Feststellung im aktuellen Lagebericht, dass geflüchtete Syrer, die sich dem Wehrdienst entzogen haben, nach Rückkehr mit Zwangsrekrutierung sowie Inhaftierung oder dauerhaftem „Verschwinden“ rechnen müssen (Lagebericht vom 4. Dezember 2020, S. 14 und 30), fand sich bereits im Bericht des Auswärtigen Amtes über die Lage in der Arabischen Republik Syrien vom 13. November 2018 (Seiten 12, 23), der der erste Lagebericht seit Beginn des bewaffneten Konflikts in Syrien war. Falls hierin überhaupt eine neue Erkenntnis liegen sollte, kann sich der Kläger darauf nicht mehr berufen, da er sie nicht binnen der Dreimonatsfrist (§ 71 Abs. 1 S. 1 AsylG i.V.m. § 51 Abs. 3 VwVfG) geltend gemacht hat (vgl. hierzu OVG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 12. April 2021 – 14 A 818/19.A – juris Rn. 23 ff. mit weiteren Nachw.). Auch andere Erkenntnismittel berichteten Ähnliches (z.B. Herkunftslandinformation des UNHCR vom Februar 2017). Auch die vom Kläger in das Verfahren eingeführte Videobotschaft des syrischen Generals Elias al-Bitar belegt keine Änderung der Sachlage. Es ist bereits fraglich, ob die Ankündigung des Generals den im Jahr 1997 geborenen Kläger betrifft. Denn ausweislich der von der Kammer in das Verfahren eingeführten Auskunft von Human Rights Watch vom 9. Februar 2021 („Syrian Military evaders face unlawful seizure of property“) richtet sich die Ankündigung an diejenigen, die den Militärdienst nicht geleistet haben und es versäumt haben, die Zahlung für den Freikauf innerhalb der Frist von 3 Monaten nach Vollendung des 43. Lebensjahrs zu leisten. Da der Kläger von der genannten Altersgrenze noch weit entfernt ist, dürfte er nicht von den Aussagen des Generals betroffen sein. Im Übrigen ist nicht ersichtlich und vom Kläger nicht substantiiert vorgetragen, dass eine vermeintliche Änderung der Sachlage durch die Äußerungen des Generals eine günstigere Entscheidung im Asylfolgeverfahren ermöglicht (vgl. Stelkens/Bonk/Sachs/Sachs, 9. Aufl. 2018, VwVfG § 51 Rn. 92). Denn dass der Kläger als Wehrdienstpflichtiger, der sich der Ableistung des Wehrdienstes entzogen hat, damit rechnen muss, staatlicherseits erfasst und auf Fahndungslisten gesetzt zu werden, stellt keine Änderung der Sachlage dar, da es sich um Umstände handelt, die bereits im Zeitpunkt seines asylrechtlichen Erstverfahrens vorgelegen haben (vgl. VG Trier, Urteil vom 4. Mai 2021 – 1 K 1102/21.TR – juris Rn. 21; VG Bremen, Urteil vom 27. Mai 2021 – 5 K 622/21 – juris Rn. 38). So war den im Jahr 2017 zur Verfügung stehenden Erkenntnismitteln zu entnehmen, dass Wehrdienstverweigerern jedenfalls zum Teil Bestrafung bei Rückkehr drohte, wobei die Umsetzung der gesetzlich vorgesehenen Strafe willkürlich erfolgte (vgl. Finnish Immigration Service, Syria: Military Service, National Defense Forces, Armed Groups Supporting Syrian Regime and Armed Opposition, 23. August 2016, S. 12 f.; Auswärtiges Amt, Auskunft an das Verwaltungsgericht Düsseldorf vom 2. Januar 2017 zum Verfahren 5 K 7480/16.A; Schweizerische Flüchtlingshilfe, Syrien: Zwangsrekrutierung, Wehrdienstentzug, Desertion, 23. März 2017, S. 8 ff). Die Aussage des Generals im Hinblick auf das Führen von Namenslisten in Bezug auf Wehrdienstentziehung ist keine neue Erkenntnis und stimmt mit den bereits im Zeitpunkt des ersten Asylverfahrens des Klägers vorhandenen Erkenntnismitteln überein (vgl. Herkunftslandinformation des UNHCR vom Februar 2017, S. 22 ff.)
21. c) Auch das Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union (Europäischer Gerichtshof) vom 19. November 2020 – C-238/19 – juris stellt keine nachträgliche Änderung der Sachlage zugunsten des Klägers dar, denn es handelt sich nicht um eine entscheidungserhebliche Tatsache, die zu einer Änderung des Sachverhalts führen könnte. Der Europäische Gerichtshof hat zwar im Hinblick auf eine einen syrischen Asylbewerber betreffenden Vorlagefrage festgestellt, dass eine starke Vermutung dafür spricht, dass die Verfolgungshandlung der Strafverfolgung oder Bestrafung wegen der Verweigerung des Militärdienstes in Art. 9 Abs. 2 Buchst. e der Richtlinie 2011/95/ EU zu einem der fünf in Art. 10 der Richtlinie genannten Gründe in Zusammenhang steht (EuGH, Urteil vom 19. November 2020 – C-238/19 – juris Rn. 57). Der Gerichtshof hat damit aber keine (neue) Feststellung zur Sachlage in Syrien getroffen (so auch VG Wiesbaden, Urteil vom 30. April 2021 – 6 K470/19.WI. A – juris Rn. 28; VG Bremen, Urteil vom 27. Mai 2021 – 5 K 622/21 – juris Rn. 39). Diese Entscheidung betrifft lediglich die Auslegung unionsrechtlicher Normen (OVG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 12. April 2021 – 14 A 818/19. A – juris Rn. 44 ff.). Gemäß Art. 267 AEUV entscheidet der Europäische Gerichtshof im Wege der Vorabentscheidung über die Auslegung der Verträge sowie über die Gültigkeit und die Auslegung der Handlungen der Organe, Einrichtungen oder sonstiger Stellen der Union. Dabei entspricht es weder dem Sinn und Zweck des Verfahrens noch den Möglichkeiten des Gerichtshofs, im Rahmen der Vorabentscheidung eine Tatsachenbewertung vorzunehmen (vgl. VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 22. Dezember 2020 – A 4 S 4001/20 – juris, Rn. 8; VG Stuttgart, Urteil vom 4. März 2021 – A 7 K 244/19 – juris Rn. 25).
22. 2. Es liegt auch keine nachträgliche Änderung der Rechtslage zugunsten des Klägers vor. Eine solche Änderung im Sinne des § 51 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG kann durch eine – hier nicht vorliegende – Gesetzesänderung eintreten. Eine Änderung der Rechtsprechung, auf die sich der Kläger beruft, steht im Allgemeinen jedoch – auch im Hinblick auf den Europäischen Gerichtshof – einer Rechtsänderung nicht gleich (Bergmann in Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 13. Aufl. 2020, AsylG § 71 Rn 25; Kopp/Ramsauer, Verwaltungsverfahrensgesetz, 20. Aufl. 2019, § 51 Rn. 30). Denn die gerichtliche Entscheidungsfindung beschränkt sich grundsätzlich auf die rechtliche Würdigung des Sachverhalts am Maßstab der vorgegebenen Rechtsordnung und ist weder geeignet noch darauf angelegt, die Rechtslage konstitutiv zu verändern (vgl. BVerwG, Beschluss vom 12. November 2020 – 2 B 1.20 – juris Rn. 8). Ausnahmsweise kann eine Rechtsprechungsänderung eine relevante Änderung der Rechtslage darstellen, wenn eine mit Bindungswirkung des § 31 des Bundesverfassungsgerichtsgesetzes – BVerfGG – ausgestattete relevante Entscheidung ergeht (BeckOK AuslR/Dickten, 29. Ed. 1. April 2021, AsylG § 71 Rn. 19; vgl. VG Trier, Urteil vom 4. Mai 2021 – 1 K 1102/21.TR – juris Rn. 27).
23. a) Der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs vom 19. November 2020 – C-238/19 – kommt keine Bindungswirkung zu. Die nachträgliche Klärung einer gemeinschaftsrechtlichen Frage durch den Gerichtshof und eine hierauf beruhende Änderung der (höchstrichterlichen) nationalen Rechtsprechung führen nicht zu einer Änderung der Rechtslage (BVerwG, Urteil vom 22. Oktober 2009 – 1 C 26.08 – juris Rn.16). Auslegungsurteile des Europäischen Gerichtshofs entfalten für andere Gerichte und Behörden eine nur eingeschränkte (erga omnes) Bindungswirkung (Grabitz/Hilf/Nettesheim/Karpenstein, 72. EL Februar 2021, AEUV Art. 267 Rn. 104). Sie erläutern lediglich, in welchem Sinn und mit welcher Tragweite eine Unionsvorschrift seit ihrem Inkrafttreten zu verstehen und anzuwenden ist oder gewesen wäre (vgl. VG Trier, Urteil vom 4. Mai 2021 – 1 K 1102/21.TR – juris Rn. 31 m.w.Nachw.). Die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs in Vorabentscheidungsverfahren ist demnach nicht konstitutiver, sondern rein deklaratorischer Natur (BVerwG, Urteil vom 22. Oktober 2009, a.a.O. Rn. 16).
24. b) Eine andere Einschätzung ergibt sich auch nicht aus dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom 14. Mai 2020 – C-924/19, C 925/19 – juris, auf welches sich der Kläger beruft. In dieser Entscheidung hat der Gerichtshof festgestellt, dass die Existenz eines Urteils des Europäischen Gerichtshofs, mit dem die Unvereinbarkeit einer nationalen Regelung mit dem Unionsrecht festgestellt wird, eine neue Erkenntnis im Sinne von Art. 33 Abs. 2 Buchst. d der Richtlinie 2013/32/EU darstellt mit der Folge, dass der Folgeantrag nicht auf der Grundlage dieser Bestimmung als unzulässig abgelehnt werden könne (Rn. 194 des Urteils). Erforderlich ist allerdings, dass die Unionsrechtswidrigkeit der asylrechtlichen Erstentscheidung sich aus einem Urteil des Gerichtshofs ergebe oder von einem nationalen Gericht inzident festgestellt worden sei (Rn. 198). Hier beruht jedoch die Entscheidung der Beklagten über die Ablehnung der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft im Asylerstverfahren weder auf einer unionsrechtswidrigen Vorschrift noch hat der Europäische Gerichtshof in seinem Urteil vom 19. November 2020 – C-238/19 – die Unvereinbarkeit einer nationalen Regelung mit vorrangigem Unionsrecht festgestellt (so auch OVG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 12. April 2021 – 14 A 818/19. A – juris Rn. 67; VG Wiesbaden, Urteil vom 30. April 2021 – 6 K 470/19.WI. A – juris Rn. 29; VG Trier, Urteil vom 4. Mai 2021 – 1 K 1102/21.TR – juris Rn. 35; VG Regensburg, Gerichtsbescheid vom 18. Mai 2021 – RN 11 K 21. 30505 – juris Rn. 38; VG Bremen, Urteil vom 27. Mai 2001 – 5 K 622/21 – juris 34). Der Europäische Gerichtshof legt lediglich die Vorschrift des Art. 9 Abs. 2 Buchst. e der Richtlinie 2011/95 aus. Hierbei führt er aus, dass die Verweigerung des Militärdienstes auch festgestellt werden könne, wenn der Betroffene diese nicht in einem bestimmten Verfahren formalisiert hat (Rn. 29), dass die Wahrscheinlichkeit sehr hoch erscheint, dass ein Wehrpflichtiger unabhängig von seinem Einsatzgebiet dazu veranlasst werde, unmittelbar oder mittelbar an der Begehung von Kriegsverbrechen teilzunehmen (Rn. 37), dass zwischen den in Art. 10 der Richtlinie 2011/95 genannten Gründen und den in Art. 9 Abs. 1 dieser Richtlinie als Verfolgung eingestuften Handlungen eine Verknüpfung bestehen müsse (Rn. 41, 44), wobei es nicht Sache des Asylbewerbers sei, den Beweis für die Verknüpfung zwischen den Verfolgungsgründen und der Strafverfolgung und Bestrafung zu erbringen (Rn. 54), wobei hervorzuheben sei, dass eine starke Vermutung dafür spreche, dass die Strafverfolgung oder Bestrafung wegen Verweigerung des Militärdienstes, der Kriegsverbrechen umfasse, mit einem der fünf in Art. 10 der Richtlinie genannten Gründe in Zusammenhang stehe (Rn. 57). Es sei Sache der zuständigen nationalen Behörden, in Anbetracht sämtlicher in Rede stehender Umstände die Plausibilität dieser Verknüpfung zu prüfen (Rn. 61).
25. Aber auch bei der Annahme, der Gerichtshof habe in seinem Urteil vom 19. November 2020 – C-238/19 – festgestellt, dass eine bestimmte Auslegung und Anwendung von § 3a Abs. 2 Nr. 5 AsylG unionrechtswidrig sei, hätte die Klage gegen die Unzulässigkeitsentscheidung der Beklagten keinen Erfolg. Denn der Europäische Gerichtshof führt in seinem Urteil vom 14. Mai 2020 – C-924/19 u.a. – (juris Rn. 185) aus, dass dem Grundsatz der Rechtskraft große Bedeutung zukommt. Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs ist die Behörde nur dann verpflichtet, ihre Entscheidung zu überprüfen und eventuell zurückzunehmen, wenn vier Voraussetzungen vorliegen: Die Behörde muss nach nationalem Recht befugt sein, die Entscheidung zurückzunehmen (1); die Entscheidung muss infolge eines Urteils eines in letzter Instanz entscheidenden nationalen Gerichts bestandskräftig geworden sein (2); das Urteil muss, wie eine nach seinem Erlass ergangene Entscheidung des Gerichtshofs zeigt, auf einer unrichtigen Auslegung des Unionsrechts beruhen, die erfolgt ist, ohne dass der Gerichtshof um Vorabentscheidung ersucht wurde, obwohl der Tatbestand des Art. 267 Abs. 3 AEUV erfüllt war (3); der Betroffene muss sich, unmittelbar nachdem er Kenntnis von der Entscheidung des Gerichtshofs erlangt hat, an die Verwaltungsbehörde gewandt haben (4) (EuGH, Urteil vom 14. März 2020 – C-924/19 u.a. – juris Rn. 187).
26. Es fehlt hier bereits an der zweiten Voraussetzung, denn der Kläger hat den Bescheid des Bundesamtes vom 8. August 2017, mit dem im Asylerstverfahren seine Anerkennung als Flüchtling abgelehnt worden ist, nicht mit einer Klage angegriffen, sodass der Bescheid nicht infolge eines Urteils eines (in letzter Instanz entscheidenden) nationalen Gerichts bestandskräftig geworden ist. Das Erheben einer Untätigkeitsklage stellt keine Klage gegen den ablehnenden Bescheid dar. Vielmehr hat der Kläger nach Erlass des Bescheides davon Abstand genommen, den Bescheid mittels Klage anzufechten. Darüber hinaus fehlt es an der dritten Voraussetzung, da kein Urteil vorliegt, welches auf einer unrichtigen Auslegung des Unionsrechts beruht und der Gerichtshof nicht um Vorabentscheidung ersucht worden ist. Es fehlt hier, wie soeben dargelegt, an einem Urteil eines nationalen Gerichts. Im Übrigen betrifft die Vorlagepflicht nach Art. 267 Abs. 3 AEUV nur ein Gericht, dessen Entscheidungen nicht mit Rechtsmitteln des innerstaatlichen Rechts angefochten werden können, somit der letzten Instanz des nationalen Verwaltungsrechtswegs. Diesen hat der Kläger nicht erreicht (vgl. VG Berlin, Urteil vom 10. Juni 2021 – 23 K 263/21 A –).
27. c) Durch das Urteil des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg vom 29. Januar 2021 – OVG 3 B 109.18 – (juris) ist ebenfalls keine nachträgliche Änderung der Rechtslage eingetreten (vgl. VG Berlin, Urteil vom 10. Juni 2021 – 23 K 263/21 A –). Denn die Änderung der Rechtsprechung stellt keine Änderung der Rechtslage dar (s.o. II. 2.; vgl. OVG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 12. April 2021 – 14 A 818/19.A – juris Rn. 72 ff.). Die gesetzliche Regelung des § 71 Abs. 1 Satz 1 AsylG i.V.m. § 51 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG gibt nicht der materiellen Richtigkeit der Entscheidung nach heutigen Maßstäben den ausschließlichen Vorrang, sondern wägt zwischen der Beständigkeit einer getroffenen Entscheidung und dem legitimen Interesse an einer geänderten Entscheidung ab; letzteres soll nach der gesetzlichen Konzeption nur dann zum Zuge kommen, wenn sich die maßgeblichen Tatsachen oder Rechtsnormen geändert haben (OVG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 12. April 2021 – 14 A 818/19.A – juris Rn. 55; VG Bremen, Urteil vom 27 Mai 2021 – 5 K 622/21 – juris Rn. 32). Auch zeigen neuere Entscheidungen von Oberverwaltungsgerichten anderer Länder, die syrischen Staatsangehörigen, die sich dem Wehrdienst entzogen haben, die Flüchtlingseigenschaft nicht zuerkannt haben (VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 22. Dezember 2020 – A 4 S 4001/20 – juris; OVG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 22. März 2021 – 14 A 3439/18.A – juris; Niedersächsisches OVG, Urteil vom 22. April 2021 – 2 LB 408/20 und 2 LB 147/18 – juris), dass von einer Änderung der Rechtslage nicht gesprochen werden kann.
28. 3. Der Kläger hat keine neuen Beweismittel im Sinne von § 51 Abs. 1 Nr. 2 VwVfG vorgelegt, die eine für ihn günstigere Entscheidung herbeigeführt haben würden. Die von ihm angeführte Videonachricht des syrischen Generals Elias al-Bitar ist – wie bereits unter hierzu s.o. II. 1. b) ausgeführt – nicht geeignet, eine für den Kläger günstigere Entscheidung über seinen Asylantrag herbeizuführen.
29. 4. Ein Wiederaufgreifensgrund nach § 51 Abs. 1 Nr. 3 VwVfG i.V.m. § 580 der Zivilprozessordnung – ZPO – ist weder vom Kläger dargelegt noch sonst ersichtlich.
30. 5. Die Ablehnung des Asylfolgeantrages als unzulässig verstößt entgegen der Ansicht des Klägers nicht gegen den in Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes verankerten allgemeinen Gleichbehandlungsgrundsatz. Dass noch anhängigen Klagen von syrischen Bürgerkriegsflüchtlingen auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft möglicherweise im Hinblick auf die genannte Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs vom 19. November 2020 stattgegeben wird, stellt keine Ungleichbehandlung des Klägers dar. Denn die Fallgestaltung, dass noch keine bestandskräftige Entscheidung über den Asylerstantrag vorliegt und die Fallgestaltung, die auf den Kläger zutrifft, dass der Antrag auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft bestandskräftig abgelehnt worden ist, sind rechtlich nicht vergleichbar. Daher dürfen diese beiden Fallgestaltungen beanstandungsfrei unterschiedlich behandelt werden (vgl. VG Berlin, Urteil vom 10. Juni 2021 – 23 K 263/21 A –). Die Frage, ob trotz bestandskräftiger Entscheidung das Asylverfahren wiederaufzugreifen ist, ist abschließend in § 71 Abs. 1 AsylG i.V.m. § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG geregelt. Der Gesetzgeber hat darin den Konflikt zwischen Rechtssicherheit und Einzelfallgerechtigkeit abschließend geregelt (vgl. Kopp/Ramsauer, Verwaltungsverfahrensgesetz, 20. Aufl. 2019, § 51 Rn. 2)
31. B. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. den §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.
Zuletzt aktualisiert am Juli 19, 2021 von eurogesetze
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