Gericht: Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg 2. Senat
Entscheidungsdatum: 24.06.2021
Aktenzeichen: 2 A 28.17
ECLI: ECLI:DE:OVGBEBB:2021:0624.2A28.17.00
Dokumenttyp: Urteil
Antragsbefugnis; Plannachbar; befürchtete Abwehransprüche gegen eigenes Baurecht; Wahrung gesunder Arbeitsverhältnisse im eigenen Baufeld; Öffentlichkeitsbeteiligung; fehlerhafter Hinweis; unzulässige Einschränkung; Abwägungsgebot; Ermittlungs-/Bewertungsfehler; gesunde Arbeitsverhältnisse; Abstandsflächenverletzung; Überdeckungsverbot; Belichtung von Arbeitsräumen; Planerhaltung; Beachtlichkeit der Fehler; Rügeerfordernis; fehlerhafter Hinweis
Tenor
Der mit Verordnung der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umwelt vom 21. November 2016, bekannt gemacht im Gesetz- und Verordnungsblatt Berlin Nr. 31 vom 16. Dezember 2016 (S. 872), festgesetzte Bebauungsplan II-201db im Bezirk Mitte, Ortsteile Mitte und Moabit, wird für unwirksam erklärt.
Der Antragsgegner trägt die Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten gegen Sicherheitsleistung in Höhe des jeweils beizutreibenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
1. Der Normenkontrollantrag richtet sich gegen den von der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umwelt mit Rechtsverordnung vom 21. November 2016 festgesetzten Bebauungsplan II-201db im Bezirk Mitte, Ortsteile Mitte und Moabit.
2. Dieser Bebauungsplan betrifft die Umbauung der nördlichen Hälfte des Humboldthafens. Die nordöstliche Uferfläche soll zu einem Kern- und Sondergebiet mit besonderer Nutzungsstruktur und öffentlichen Uferpromenaden entwickelt werden. Als Art der baulichen Nutzung setzt der Plan vor allem ein Kerngebiet nach § 7 BauNVO (MK) fest, das aus vier durch Baugrenzen festgelegten Bauflächen (MK H2, MK H3, MK H4 und MK H5) besteht. Daneben weist er ein Sondergebiet nach § 11 Abs. 2 BauNVO (SO) für „Kultur und Gesundheit“ sowie Verkehrs- und Grünflächen aus. Der Bebauungsplan wurde bereits teilweise realisiert (MK H3 und MK H4).
3. An das Plangebiet grenzt im Westen das Plangebiet des mit Verordnung der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung vom 3. Juli 2006 (GVBl. vom 15. Juli 2006, S. 795) festgesetzten Bebauungsplans II-201a an, der das Gebiet um den Hauptbahnhof umfasst. Dieser Bebauungsplan lässt auf dem nördlichen Bahnhofsvorplatz (Europaplatz) auf einem als Kerngebiet ausgewiesenen Baufeld MK 8 (Grundfläche 27,5 m x 59 m) die Errichtung eines Hochhauses mit einer Höhenbegrenzung (Oberkante) auf 137,0 m über NN zu. Nach der Planbegründung dieses Bebauungsplans erlaubt dies eine Gebäudehöhe von 103 m (Planbegründung S. 48). Weiter setzt er die östliche Straßenbegrenzungslinie der am Europaplatz vorbeiführenden Straße „Friedrich-List-Ufer“ fest, die den streitgegenständlichen Bebauungsplan II-201db im Westen begrenzt (vgl. Planbegründung II-201db, S. 25).
4. Die Antragstellerin ist Eigentümerin des in dem Bebauungsplan II-201a als Baufeld MK 8 ausgewiesenen Grundstücks. Sie plant auf dem Grundstück die Errichtung eines Hochhauses.
5. Der streitgegenständliche Bebauungsplan lässt gegenüber dem Baufeld MK 8 des Bebauungsplans II-201a in dem langgestreckten (ca. 86 m breiten und 12,3 m tiefen) Baufeld MK H2 entlang dem Friedrich-List-Ufer die Errichtung eines siebengeschossigen Gebäudes mit einer Höhenbegrenzung auf eine Oberkante bei 60,30 m über NHN zu. In diesem Kerngebietsteil sind Wohnnutzungen im Sinne des § 7 Abs. 2 Nr. 6 BauNVO ausgeschlossen; eine Ausnahme für Wohnnutzungen im Sinne des § 7 Abs. 3 Nr. 2 BauNVO wird nicht gewährt (vgl. TF 1.1). Der Abstand zwischen beiden Gebäuden beträgt an der engsten Stelle in Höhe der südöstlichen Gebäudeecke des Hochhauses auf dem Baufeld MK 8 etwa 20 m.
6. Dem Bebauungsplan liegt folgendes Aufstellungsverfahren zugrunde:
7. Das Plangebiet ging aus dem Teilungsbeschluss vom 11. April 2008 (ABl. S. 924) hervor, durch den das Aufstellungsverfahren des Bebauungsplans II-201d für das Gebiet des Humboldthafens in einen nördlichen und einen südlichen Bereich (nördlich und südlich des Bahnviadukts) aufgeteilt wurde.
8. Für den streitgegenständlichen Bebauungsplan fanden in den Jahren 2008 und 2014 Behörden- und Trägerbeteiligungen (§ 4 Abs. 1 und 2 BauGB) statt. Nach Auslegungsbekanntmachung vom 21. August 2015 (ABl. Nr. 34 vom 21. August 2015, S. 1793) wurde der vom selben Tag datierende Bebauungsplanentwurf in der Zeit vom 31. August 2015 bis zum 30. September 2015 zur Öffentlichkeitsbeteiligung (§ 3 Abs. 2 BauGB) ausgelegt. Die Bekanntmachung enthielt nach den Hinweisen zum Ort der Auslegung („im Dienstgebäude der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umwelt, Erdgeschoss, Am Köllnischen Park 3, 10179 Berlin“) und zur Möglichkeit, die Unterlagen im Internet unter einer näher bezeichneten Internetseite einzusehen, die Passage:
9. „Während der Auslegungsfrist können Stellungnahmen vor Ort oder online abgegeben werden. Diese sind in die anschließende Abwägung der öffentlichen und privaten Belange gegeneinander und untereinander einzubeziehen. Nicht fristgerecht abgegebene Stellungnahmen können unberücksichtigt bleiben.“
10. Die Antragstellerin beteiligte sich mit Schreiben vom 30. September 2015. Nach ergänzender Beteiligung (§ 4a Abs. 3 Satz 4 BauGB) von Behörden und Trägern öffentlicher Belange sowie einer Grundstückseigentümerin stimmte das Abgeordnetenhaus dem vom Senat von Berlin am 24. November 2015 beschlossenen Bebauungsplan am 10. Dezember 2015 zu. Die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umwelt setzte den Bebauungsplan mit Rechtsverordnung vom 21. November 2016 fest. § 4 der Verordnung enthält folgenden – hier auszugsweise wiedergegebenen – Hinweis auf die Rügeobliegenheit:
11. „(1) Wer die Rechtswirksamkeit dieser Verordnung überprüfen lassen will, muss
1. eine beachtliche Verletzung der Verfahrens- und Formvorschriften, die in § 214 Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 bis 3 des Baugesetzbuchs bezeichnet sind,
[…]
3. nach § 214 Absatz 3 Satz 2 des Baugesetzbuchs beachtliche Mängel des Abwägungsvorgangs,
4. eine Verletzung von Verfahrens- und Formvorschriften, die im Gesetz zur Ausführung des Baugesetzbuchs enthalten sind,
innerhalb eines Jahres seit der Verkündung dieser Verordnung gegenüber der für die verbindliche Bauleitplanung zuständigen Senatsverwaltung schriftlich geltend machen. Der Sachverhalt, der die Verletzung begründen soll, ist darzulegen. Nach Ablauf der in Satz 1 genannten Frist werden die in den Nummer 1 bis 4 genannten Mängel gemäß § 215 Absatz 1 des Baugesetzbuches und gemäß § 32 Absatz 2 des Gesetzes zur Ausführung des Baugesetzbuches unbeachtlich.“
12. Die Rechtsverordnung wurde im Gesetz- und Verordnungsblatt Berlin Nr. 31 vom 16. Dezember 2016 (S. 872) bekannt gemacht.
13. Die Antragstellerin hat den Normenkontrollantrag am 14. November 2017 gestellt und einen an die Antragsgegnerin gerichteten Rügeschriftsatz nach § 215 BauGB vom 15. Dezember 2017 nebst Übersendungsbeleg vom selben Tage vorgelegt.
14. Zur Antragsbegründung trägt sie vor, ihr Grundstück könne derzeit noch nicht bebaut werden, da der Planfeststellungsbeschluss für den S-Bahn-Tunnel, der gegenwärtig im Untergrund errichtet werde, eine Bebauung bis zum Ende dieser Arbeiten untersage. Zur weiteren Begründung macht sie unter anderem geltend, der Bebauungsplan habe die nach der Bauordnung durch die Bebauung auf dem Baufeld MK H2 einzuhaltenden Abstandsflächen verkürzt, ohne die inhaltlichen Anforderungen an eine ausreichende Abwägung dieser Abstandsflächenverkürzung zu erfüllen. Da das Baufeld MK 8 derzeit noch nicht bebaut werden dürfe, sei es wahrscheinlich, dass zunächst das Baufeld MK H2 bebaut werde. Die Genehmigungsbehörde werde dabei davon ausgehen, dass der Bebauungsplan II-201db wirksam sei und keine Abstandsflächen anfallen. Der Eigentümer des auf dem Baufeld MK H2 errichteten Gebäudes könnte sich dann gegenüber einer später erteilten Baugenehmigung zur Bebauung des Baufeldes MK 8 im Plangebiet II-201a darauf berufen, dass die Abstandsflächen seines Gebäudes, die auf die Straße oder auf das Baufeld MK 8 fielen, von Bebauung frei bleiben müssten, da die Abstandsflächenverringerung mangels fehlerfreier Abwägung keine Wirkung entfalten könne. Dadurch könne das Baurecht der Antragstellerin für das Baufeld MK 8 gefährdet sein. Mit der unzureichenden Abwägung der Abstandsflächenverkürzung habe der Antragsgegner zugleich die privaten Belange der Antragstellerin nach § 1 Abs. 7 BauGB verletzt. Sie könne zum einen geltend machen, dass die originären Abstandsflächen durch das Baufeld MK H2 nicht eingehalten werden und ihre eigenen Belange der gesunden Arbeitsverhältnisse deshalb beeinträchtigt seien, und zum anderen, dass unabhängig vom Abstandsflächenrecht die Belange der gesunden Arbeitsverhältnisse, insbesondere der ausreichenden Besonnung und Belichtung nicht näher ermittelt und abgewogen worden seien.
15. Die Auslegungsbekanntmachung sei fehlerhaft gewesen, da sie mit der einschränkenden Angabe, Stellungnahmen könnten „vor Ort oder online“ abgegeben werden, den Eindruck erweckt habe, dass nach § 3 Abs. 2 Satz 2 BauGB ohne Zweifel zulässige schriftliche Stellungnahmen, die durch Post oder Telefax übermittelt werden, unzulässig seien.
16. Der Plangeber habe gegen § 2 Abs. 3 BauGB verstoßen, indem er die Belange der gesunden Wohn- und Arbeitsverhältnisse nicht ausreichend ermittelt und fehlerhaft bewertet habe. Die Ermittlung dieser Belange im Rahmen der Würdigung der Abstandsflächenverkürzungen unter Zugrundelegung der Besonnungsstudie vom 11. Juli 2014 sei unzureichend.
17. Die Antragstellerin beantragt,
18. den Bebauungsplan II-201db für das Gelände zwischen Invalidenstraße, Sandkrugbrücke, Alexanderufer, Stadtbahnviadukt und Friedrich-List-Ufer sowie einem Abschnitt des Alexanderufers im Bezirk Mitte, Ortsteil Mitte und Moabit, des Landes Berlin, Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umwelt, heute Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Wohnen, vom 21. November 2016, verkündet im Gesetz- und Verordnungsblatt für Berlin Nr. 31 vom 16. Dezember 2016, für unwirksam zu erklären.
19. Der Antragsgegner beantragt,
20. den Normenkontrollantrag zurückzuweisen.
21. Die Antragstellerin sei durch den Bebauungsplan nicht abwägungserheblich betroffen. Da ihr Grundstück außerhalb des räumlichen Geltungsbereichs des Bebauungsplans liege, richte sich die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit ihres Vorhabens nach den Festsetzungen des Bebauungsplanes II-201a, nicht hingegen denen des streitgegenständlichen Planes. Die Bebaubarkeit des Baufeldes MK 8 werde durch diesen Plan auch nicht mittelbar infolge etwaiger Rechtsmittelrisiken durch den Eigentümer des benachbarten Baufeldes MK H2 mehr als nur geringfügig beeinträchtigt. Zwar überschritten die vor dem Baufeld MK 8 liegenden östlichen Abstandsflächen die bauordnungsrechtlich nach § 6 Abs. 5 BauO Bln zulässige Tiefe deutlich; sie lägen teilweise innerhalb des Baufeldes MK H2 und reichten sogar zur Hafenseite darüber hinaus. Der Eigentümer des Baufeldes MK H2 könne sich jedoch wegen § 6 Abs. 5 Satz 4 BauO Bln gegen eine der Antragstellerin erteilte Baugenehmigung nur dann erfolgreich auf die landesrechtlichen Abstandsflächen berufen, wenn der Bebauungsplan II-201a wegen eines nach §§ 214, 215 BauGB beachtlichen Fehlers ganz oder teilweise unwirksam wäre; die Antragstellerin wäre dann nicht antragsbefugt. Dasselbe gelte, wenn der Bebauungsplan II-201a nicht an einem beachtlichen Abwägungsmangel litte. Dann könnte der Eigentümer des Baufeldes MK H2 sich nicht auf eine Verletzung der Abstandsflächenvorschriften durch die Baugenehmigung für das Hochhaus im Baufeld MK 8 berufen. Der Antragstellerin fehle zudem das Rechtsschutzinteresse, da die in dem Bebauungsplan um den Humboldthafen festgesetzte Bebauung auch gemäß § 34 BauGB genehmigt werden müsste.
22. Die Bekanntmachung der öffentlichen Auslegung des Bebauungsplanentwurfs sei ordnungsgemäß gewesen. Die Formulierung, dass Stellungnahmen vor Ort oder online abgegeben werden könnten, suggeriere nicht, dass schriftliche Stellungnahmen nicht auf dem Postweg oder durch Telefax übermittelt werden könnten.
23. Dem Vorwurf, dass die abwägungserheblichen Belange nicht ausreichend ermittelt worden seien, sei entgegenzuhalten, dass die Planbegründung eine umfangreiche Darstellung und Abwägung der Abstandsflächenverkürzungen enthalte. Zur Beurteilung der Verschattung von Gebäudefassaden gebe es keine rechtlich verbindlichen Beurteilungskriterien. Der Plangeber habe sich daher zusätzlich an der Entscheidung des OVG Berlin vom 27. Oktober 2004 orientiert, in der es – abweichend von der Normempfehlung der DIN 5034-1 – als maßgeblich erachtet worden sei, dass am Tag der Tag- und Nachtgleiche eine Besonnungsdauer von zwei Stunden eingehalten wird, und zwar nicht nur bei Wohnungen, sondern auch bei anderen Aufenthaltsräumen außerhalb der Nutzungen nach § 48 Abs. 3 BauO Bln. Dieses Kriterium sei nur im nördlichen Gebäudeteil des Kerngebietsteils H2, auf dem die Abstandsflächen des Hochhauses MK 8 lägen, nicht erfüllt. Ausgleichend habe sich hier aber die Besonnung der Süd- und Ostfassade des Kerngebiets ausgewirkt. In die Abwägung sei außerdem eingestellt worden, dass es sich durch die Lage an Wasserflächen und großzügigen Verkehrsflächen sowie dem solitär bebauten Gelände um eine aufgelockerte und geradezu privilegierte Ausgangssituation handele, die sich grundlegend von einer innenstadttypischen geschlossenen Blockstruktur unterscheide.
24. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Streitakte und die Aufstellungsvorgänge, die vorgelegen haben und Gegenstand der Beratung und Entscheidung gewesen sind, Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
25. Der Senat konnte ohne mündliche Verhandlung über die Sache entscheiden, da die Beteiligten sich gemäß § 101 Abs. 2 VwGO mit einer schriftlichen Entscheidung einverstanden erklärt haben.
26. Der Normenkontrollantrag hat Erfolg.
27. A. Der Antrag ist zulässig.
28. 1. Die einjährige Antragsfrist des § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO ist gewahrt. Die Antragstellerin hat den Normenkontrollantrag binnen eines Jahres nach der Bekanntmachung des Bebauungsplans am 16. Dezember 2016 am 14. November 2017 gestellt.
29. 2. Die Antragstellerin ist entgegen der Ansicht des Antragsgegners gemäß § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO antragsbefugt.
30. Danach kann jede natürliche oder juristische Person einen Normenkontrollantrag stellen, die geltend macht, durch die Rechtsvorschrift oder deren Anwendung in ihren Rechten verletzt zu sein oder in absehbarer Zeit verletzt zu werden. Wer – wie die Antragstellerin – von den Festsetzungen eines Bebauungsplans nicht unmittelbar als Eigentümer eines im Plangebiet belegenen Grundstücks, sondern als Plannachbar betroffen ist, kann die Möglichkeit der Verletzung des subjektiven Rechts auf gerechte Abwägung der eigenen Belange aus § 1 Abs. 7 BauGB geltend machen, wenn er durch die Festsetzungen abwägungserheblich in privaten Belangen betroffen wird (vgl. u.a. BVerwG, Beschluss vom 9. Januar 2018 – 4 BN 33.17 -, juris Rn. 4 f.; Beschluss des Senats vom 29. November 2018 – OVG 2 A 19.15 -, juris Rn. 22 m.w.N.). Die Antragsbefugnis ist nicht gegeben, wenn eine Rechtsverletzung offensichtlich und eindeutig nach jeder Betrachtungsweise ausscheidet. Die Prüfung, ob das der Fall ist, ist nicht unter Auswertung des gesamten Prozessstoffes vorzunehmen und darf nicht in einem Umfang und in einer Intensität erfolgen, die einer Prüfung der Begründetheit des Antrags gleichkommt (vgl. BVerwG, Beschluss vom 29. Juli 2013 – 4 BN 13.13 -, juris Rn. 4).
31. a) Die Antragstellerin ist durch den Bebauungsplan in einem eigenen abwägungserheblichen Belang betroffen, weil der Antragsgegner die Nutzungskonflikte ermitteln und bewerten musste, die sich aus einer Verschattung des im Baufeld MK H2 zugelassenen Gebäudes durch das nach dem benachbarten Bebauungsplan II-201a zulässige Hochhaus (Baufeld MK 8) ergeben können. Sie macht zu Recht geltend, dass die im Übrigen vom Plangeber selbst als abwägungserheblich erkannte Verschattung des Baufeldes MK H2 durch das von ihr geplante Hochhaus und die deshalb mögliche Beeinträchtigung der Anforderungen an gesunde Wohn- und Arbeitsverhältnisse in dem im Baufeld MK H2 zugelassenen Gebäude sie zugleich in eigenen abwägungserheblichen Belangen betreffe, da sie bei unzureichender Berücksichtigung dieser Anforderungen im Bebauungsplan mit Abwehransprüchen gegen die von ihr beabsichtigte Hochhausbebauung rechnen müsse. Sie darf geltend machen, dass Konflikte aus einer Abstandsflächenüberdeckung zu vermeiden sind und die Realisierung ihres eigenen älteren Baurechts ungefährdet bleiben müsse.
32. Der grundsätzlich zu beachtende städtebauliche Belang der Wahrung der allgemeinen Anforderungen an gesunde Wohn- und Arbeitsverhältnisse (§ 1 Abs. 6 Nr. 1 BauGB) auf dem Baufeld MK H2 ist allerdings nur insoweit betroffen, als es um gesunde Arbeitsverhältnisse geht. Die Anforderungen an gesunde Wohnverhältnisse sind wegen des Ausschlusses einer Wohnnutzung (TF 1) in diesem Kerngebietsteil nicht einschlägig.
33. Der Belang gesunder Arbeitsverhältnisse ist bei dem auf dem Baufeld MK H2 zugelassenen Gebäude mehr als geringfügig und damit abwägungserheblich betroffen, da die abstandsflächenrechtlich gebotenen Mindestabstände unterschritten werden. Dies löst eine Ermittlungs- und Bewertungspflicht nach § 2 Abs. 3 BauGB (Aufbereitung des Abwägungsmaterials) aus.
34. Ausweislich des Abstandsflächendiagramms vom 8. Juli 2014 ist nicht nur der Gebäudeabstand zwischen dem auf dem Baufeld MK 8 des benachbarten Bebauungsplans zugelassenen Hochhaus und dem Gebäude auf dem Baufeld MK H2 so gering, dass sich die nach den bauordnungsrechtlichen Abstandsflächenvorschriften (§ 6 BauO Bln) erforderlichen Abstandsflächen beider Gebäude überdecken, sondern eine Abstandsfläche des Hochhauses fällt sogar auf das Baufeld MK H2. Bereits die mit der Überdeckung der Abstandsflächen einhergehende Unterschreitung der abstandsflächenrechtlich erforderlichen Gebäudeabstände der Bauordnung Berlin indiziert nach der Rechtsprechung des Senats grundsätzlich, dass die allgemeinen Anforderungen an gesunde Wohn- und Arbeitsverhältnisse nicht gewahrt sind, wenn nicht ein Ausnahmefall vorliegt, der durch besondere örtliche Verhältnisse oder eine besondere planerische oder bauliche Situation gekennzeichnet ist (st. Rspr. des Senats, vgl. u.a. Urteil vom 4. April 2017 – OVG 2 B 4.16 -, juris Rn. 34; Beschluss vom 11. Juli 2018 – OVG 2 S 50.17 -, juris Rn. 31). Ob hier ein solcher Ausnahmefall vorliegt, erfordert regelmäßig eine nähere Untersuchung und Bewertung des Einzelfalles und übersteigt nach dem oben dargestellten Maßstab den Umfang einer Zulässigkeitsprüfung.
35. Angesichts dessen kann offen bleiben, ob der Bebauungsplan – wie die Antragstellerin meint – schon allein mit den Baukörperfestsetzungen auf dem Baufeld MK H2 eine „Abstandsflächenverkürzung“ enthält, d.h. im Sinne des § 6 Abs. 5 Satz 4 BauO Bln oder § 6 Abs. 8 BauO Bln a.F. geringere Abstandsflächen ergibt, da jedenfalls wegen der sich bis auf das Baufeld H2 erstreckenden Abstandsflächen des Hochhauses ein Verstoß gegen das abstandsflächenrechtliche Überbauungsverbot (§ 6 Abs. 1 Satz 1 BauO Bln) und ein Verstoß gegen das Überdeckungsverbot (§ 6 Abs. 3 Satz 1 BauO Bln) vorliegt. Ebenso wenig bedarf es an dieser Stelle einer Entscheidung, ob es nach § 6 Abs. 2 Satz 2 BauO Bln als Grenzlinie für das Erstreckungsverbot auf die Mitte der Straße Paul-List-Ufer oder auf die Mitte der aus dem Paul-List-Ufer und dem Europaplatz gebildeten „zusammengesetzten“ Verkehrsfläche ankommt.
36. Der abwägungserheblich betroffene Belang gesunder Arbeitsverhältnisse in dem Gebäude auf dem Baufeld MK H2 stellt zwar lediglich einen öffentlichen Belang und einen privaten Belang des Eigentümers des Grundstücks dar, auf dem das Baufeld MK H2 liegt. Die Antragstellerin macht jedoch zu Recht geltend, dass sie im Falle einer Beeinträchtigung der Anforderungen an gesunde Wohn- und Arbeitsverhältnisse auf dem Baufeld MK H2 mit Abwehransprüchen des dortigen Grundstückseigentümers gegen den von ihr geplanten Hochhausbau rechnen müsse, insbesondere, wenn – was hier offenbar in Betracht kommt – das dortige Grundstück eher bebaut werden kann als ihr eigenes.
37. aa) Der befürchtete Abwehranspruch könnte im Falle der vom Antragsgegner bei der Aufstellung des streitgegenständlichen Bebauungsplans nicht in Zweifel gezogenen Wirksamkeit des Bebauungsplans II-201a auf der Grundlage des bauplanungsrechtlichen Rücksichtnahmegebots begründet sein. Jedenfalls ist er nicht mit der für die Verneinung der Antragsbefugnis erforderlichen Offensichtlichkeit ausgeschlossen. Zwar ist das Baurecht der Antragstellerin im Grundsatz durch die Festsetzungen des Bebauungsplans II-201a gesichert. Ihr Vorhaben könnte jedoch nach § 15 Abs. 1 Satz 2 BauNVO unzulässig sein, wenn von ihm unzumutbare Beeinträchtigungen ausgingen. Dass mit dem Bebauungsplan II-201a bereits eine abschließende Abwägung mit der Folge einer Duldungspflicht des jetzt auf dem Baufeld MK H2 geplanten Gebäudes erfolgt und so für eine Konfliktbewältigung über das Rücksichtnahmegebot kein Raum mehr wäre (vgl. dazu BVerwG, Urteil vom 12. September 2013 – 4 C 8.12 -, juris Rn. 20), lässt sich nicht ohne vertiefte Prüfung feststellen. Die Planbegründung lässt jedenfalls nicht erkennen, dass schon damals die Verschattung des jetzt auf dem Baufeld MK H2 geplanten Gebäudes gewürdigt worden wäre. Ebenso wenig liegt auf der Hand, dass dem Grundstückseigentümer des Baufeldes MK H2 wegen einer eigenen Abstandsflächenverletzung eine Berufung auf das Rücksichtnahmegebot unter dem Gesichtspunkt von Treu und Glauben versagt wäre (vgl. Urteil des Senats vom 4. April 2017 – OVG 2 B 4.16 –, juris Rn. 27 ff., zur wechselseitigen Abstandsflächenunterschreitung). Selbst wenn das Bauvorhaben auf dem Baufeld MK H2 seinerseits die Vorgaben des Abstandsflächenrechts nicht einhielte, wären die davon ausgehenden Beeinträchtigungen bei der gebotenen wertenden Betrachtung ersichtlich nicht gleichwertig mit den Beeinträchtigungen, die sich aus den abweichend vom Abstandsflächenrecht im Bebauungsplan II-201a getroffenen Festsetzungen für das Hochhaus auf dem Baufeld MK 8 ergeben.
38. bb) Dass der Bebauungsplans II-201a unwirksam wäre mit der Folge, dass das geltend gemachte Baurecht der Antragstellerin nach § 34 BauGB zu beurteilen wäre, ist jedenfalls nicht offensichtlich.
39. b) Darüber hinaus ist die Antragstellerin durch den streitgegenständlichen Bebauungsplan auch unmittelbar abwägungserheblich betroffen. Sie rügt einen Ermittlungs-, Bewertungs- und Abwägungsfehler. Das von ihr geltend gemachte Interesse an der Wahrung gesunder Arbeitsverhältnisse im Baufeld MK 8 lässt sich im Rahmen der Überprüfung der Antragsbefugnis nicht als lediglich geringfügig oder von vornherein nicht schutzwürdig ansehen.
40. Die Antragstellerin beruft sich hinreichend substantiiert darauf, dass wegen der Lage des Baufeldes MK H2 die Belichtung und Besonnung der Ost- sowie möglicherweise der Südfassade des Hochhauses auf dem Baufeld MK 8 am Morgen und bis zur Nachmittagszeit reduziert werde und dass die vom Antragsgegner zugrunde gelegte Studie des Ingenieurbüros P vom 11. Juli 2014 eine Beeinträchtigung der Ostfassade im Baufeld MK 8 nachweise.
41. aa) Eine unmittelbare abwägungserhebliche Betroffenheit der Antragstellerin ergibt sich bereits aus dem Ergebnis der P-Studie. Die im Auftrag des Antragsgegners erstellte Besonnungs- und Verschattungsstudie stellt ausweislich der Anlage 7 einen kleinen Bereich im unteren Geschoss des Hochhauses MK 8 dar, in dem das vom Antragsgegner unter anderem erwogene Kriterium einer mindestens zweistündigen Besonnung am Tag der Tag- und Nachtgleiche nicht erfüllt ist.
42. bb) Eine abwägungserhebliche Betroffenheit der Antragstellerin ist ferner wegen des geringen Gebäudeabstands anzunehmen, den das von der Antragstellerin vorgelegte, den Aufstellungsvorgängen entnommene Abstandsflächendiagramm vom 8. Juli 2014 belegt.
43. Dabei bedarf erneut keiner Entscheidung, ob es nach § 6 Abs. 2 Satz 2 BauO Bln als Grenzlinie für das Erstreckungsverbot auf die Mitte der Straße Paul-List-Ufer oder auf die Mitte der aus dem Paul-List-Ufer und dem Europaplatz gebildeten „zusammengesetzten“ Verkehrsfläche ankommt. Denn eine Beeinträchtigung abstandsflächenrechtlich geschützter Belange kann als Indiz für die Abwägungserheblichkeit grundsätzlich nur ausgeschlossen werden, wenn bei zwei einander gegenüberstehenden Gebäuden beide die notwendigen Abstandsflächen wahren (vgl. Urteil d. Senats vom 18. Dezember 2007 – OVG 2 A 3.07 -, juris Rn. 92; Beschluss des Senats vom 18. September 2013 – OVG 2 S 60.13 -, juris Rn. 28). Der Gebäudeabstand muss 2 x 0,4 H betragen, um im Regelfall annehmen zu können, die Anforderungen an gesunde Wohn- und Arbeitsverhältnisse seien in Bezug auf die Belange des Abstandsflächenrechts gewahrt. Ausweislich der im Abstandsflächendiagramm zu erkennenden Überschneidung halten beide Gebäude die Abstandsflächenvorschriften nicht ein. Der Gebäudeabstand von 2 x 0,4 H wird eindeutig unterschritten.
44. 3. Der Antragstellerin fehlt nicht das erforderliche Rechtsschutzbedürfnis, das nur zu verneinen ist, wenn ein Antragsteller dadurch, dass die Norm entsprechend seinem Antrag für unwirksam erklärt wird, seine Rechtsstellung offensichtlich nicht verbessern kann (vgl. u.a. Urteil des Senats vom 9. September 2016 – OVG 2 A 23.15 -, juris Rn. 39 m.w.N.).
45. Bei unterstellter Unwirksamkeit des streitgegenständlichen Bebauungsplans dürfte die Bebaubarkeit des Baufeldes MK H2 nicht ohne weiteres nach § 34 BauGB gesichert sein. Dass sich die geplante Überbauung des Uferstreifens in die nähere Umgebung einfügt, ist nämlich nicht ohne weiteres ersichtlich. Dagegen spricht, dass die unmittelbare Umgebung selbst unter Berücksichtigung der inzwischen erfolgten Bebauung der Baufelder MK H3 und MK H4 weiterhin durch Freiflächen gekennzeichnet ist und insbesondere der unmittelbare Uferbereich des nördlichen Hafenbeckens keine Bebauung aufweist, in der ein Vorbild gesehen werden könnte.
46. B. Der Antrag ist begründet.
47. Der Bebauungsplan weist einen beachtlichen formellen (I.) sowie in jedem Fall einen beachtlichen materiellen (II.) Fehler auf.
48. I. Der formelle Mangel betrifft das Verfahren der Öffentlichkeitsbeteiligung (§ 3 Abs. 2 BauGB). Bei der Auslegungsbekanntmachung vom 21. August 2015 ist der Hinweis, „dass Stellungnahmen während der Auslegungsfrist abgegeben werden können“ (§ 3 Abs. 2 Satz 2 BauGB) nicht ordnungsgemäß erteilt worden.
49. 1. Die Bekanntmachung der Auslegung des Bebauungsplanentwurfs im Amtsblatt von Berlin Nr. 34 vom 21. August 2015, S. 1793, enthielt nach den Hinweisen zum Ort der Auslegung („im Dienstgebäude der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umwelt, Erdgeschoss, Am Köllnischen Park 3, 10179 Berlin“) und zur Möglichkeit, die Unterlagen im Internet unter einer näher bezeichneten Internetseite einzusehen, die Passage:
50. „Während der Auslegungsfrist können Stellungnahmen vor Ort oder online abgegeben werden. Diese sind in die anschließende Abwägung der öffentlichen und privaten Belange gegeneinander und untereinander einzubeziehen. Nicht fristgerecht abgegebene Stellungnahmen können unberücksichtigt bleiben.“
51. Hierin liegt eine unzulässige Einschränkung des gesetzlich gebotenen Hinweises. Der Zusatz „vor Ort oder online“ war geeignet, einen rechtserheblichen Irrtum über die Voraussetzungen einer Stellungnahme hervorzurufen und an der Planung interessierte Bürger von einer Stellungnahme abzuhalten (vgl. BVerwG, Beschluss vom 10. Juni 2020 – 4 BN 55.19 -, juris Rn. 5; Beschluss vom 27. Mai 2013 – 4 BN 28.13 -, juris Rn. 7; Urteil vom 27. Oktober 2010 – 4 CN 4.09 -, juris Rn. 15). Der Zusatz „vor Ort“ konnte den Eindruck erwecken, Stellungnahmen, mündlich wie auch schriftlich, müssten persönlich bei der angegebenen Adresse abgegeben werden. Eine Übersendung auf dem Postweg oder per Telefax sei nicht möglich. Verstärkt wurde dieser Eindruck durch den weiteren Zusatz „oder online“, da er nahelegt, dass alternativ zur persönlichen Abgabe einer Stellungnahme allein die Einreichung auf elektronischem Wege in Betracht komme. Entgegen der Ansicht des Antragsgegners räumt der Ausdruck „abgeben“ nicht die Möglichkeit eines rechtserheblichen Irrtums aus. Zwar mag er isoliert betrachtet auch die Abgabe einer schriftlichen Stellungnahme auf dem Postweg abdecken, für die Auslegung des Hinweistextes aus dem maßgeblichen Empfängerhorizont kommt es jedoch auf den gesamten Kontext an. Ebenso wenig musste sich die Schlussfolgerung aufdrängen, dass angesichts der Zulassung von online-Stellungnahmen auch schriftliche Stellungnahmen auf dem Postweg zugelassen werden sollten. Der Hinweis des Antragsgegners, ein mündiger Bürger würde sich im Zweifel bei der Senatsverwaltung erkundigen, wie die Angaben gemeint seien, überzeugt gleichfalls nicht. Dass in jedem Fall eine solche Erkundigung erfolgt, wäre nur gewährleistet, wenn sich die Notwendigkeit einer Nachfrage hätte aufdrängen müssen. Dies ist jedoch nicht der Fall (vgl. z. Vorstehenden: Urteil d. Senats vom 16. April 2021 – OVG 2 A 7.18 -, juris Rn. 39).
52. 2. Der festgestellte Fehler ist nach § 214 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BauGB beachtlich und nicht nachträglich gemäß § 215 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BauGB unbeachtlich geworden.
53. Nach der zuletzt genannten Bestimmung werden beachtliche Verletzungen der in § 214 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 – 3 BauGB bezeichneten Verfahrens- und Formvorschriften zwar unbeachtlich, wenn sie nicht innerhalb eines Jahres seit Bekanntmachung der Satzung schriftlich gegenüber der Gemeinde unter Darlegung des die Verletzung begründenden Sachverhalts geltend gemacht worden sind.
54. Die Antragstellerin hat jedoch mit dem an den Antragsgegner gerichteten und dort rechtzeitig eingegangenen Schriftsatz vom 15. Dezember 2017 Rügen gemäß § 215 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und Nr. 3 BauGB erhoben und unter anderem hinreichend substantiiert geltend gemacht, der Antragsgegner habe mit dem Hinweis in der Bekanntmachung der öffentlichen Auslegung des Bebauungsplans, Stellungnahmen könnten vor Ort oder online abgegeben werden, seine Hinweispflicht nach § 3 Abs. 2 Satz 2 BauGB verletzt.
55. Unabhängig hiervon treten die Rechtsfolgen des § 215 Abs. 1 BauGB ohnehin nicht ein, da es hier an einem ordnungsgemäßen Hinweis auf den Eintritt dieser Rechtsfolgen fehlt (vgl. BVerwG, Urteil vom 14. Juni 2012 – 4 CN 5/10 -, juris Rn. 15 f). Die Formulierung „wer die Rechtswirksamkeit dieser Verordnung überprüfen lassen will, muss eine … Verletzung … schriftlich geltend machen“, eröffnet Interpretationsmöglichkeiten, die Personen, die mit den getroffenen Regelungen nicht einverstanden sind, von der Erhebung von Rügen abhalten können. Die Formulierung kann durch die Verknüpfung von Rüge und Überprüfung der Rechtswirksamkeit der Verordnung dahin verstanden werden, dass derjenige, der ein gerichtliches Normenkontrollverfahren einleiten will, Mängel zuvor selbst fristgemäß gerügt haben müsse. Eine Rüge wirkt jedoch „inter omnes“, das heißt allgemein und absolut für jedermann, also nicht nur zugunsten desjenigen, der den Mangel ordnungsgemäß geltend gemacht hat (vgl. BVerwG, Beschluss vom 2. Januar 2001 – 4 BN 13.00 -, juris Rn. 5; Beschluss vom 18. Juni 1982 – 4 N 6.79 -, juris Rn. 6). Angesichts dessen könnte ein potentieller Rügeführer, der von vornherein weiß, dass er eine Normenkontrolle wegen des damit verbundenen Prozess- und Kostenrisikos nicht erheben wird, von einer Rügeerhebung wegen der durch den Hinweis suggerierten Verknüpfung von Rüge und Normenkontrolle durch ein und dieselbe Person in der Erwartung abgehalten werden, seine Rüge werde ohnehin irrelevant sein. Ebenso könnte ein potentieller Rügeführer, der nicht die „Rechtswirksamkeit dieser Verordnung“ als solches zur Überprüfung stellen möchte, der jedoch ein mit der Verordnung nicht vereinbares Bauvorhaben durchführen möchte, von der fristgerechten Rügeerhebung in der Erwartung abgehalten werden, Mängel der Verordnung im Rahmen eines auf ein konkretes Bauvorhaben bezogenen Verfahrens und einer hierbei vorzunehmenden Inzidentkontrolle unabhängig von einer fristgemäßen Rüge noch geltend machen zu können (vgl. Urteil des Senats vom 26. März 2021 – OVG 2 A 13.19 -, juris Rn. 41; Urteil vom 16. April 2021 – OVG 2 A 7.18 -, juris Rn. 52).
56. 3. Der Bebauungsplan ist bereits aus diesem Grund insgesamt für unwirksam zu erklären, da der Fehler bei der Öffentlichkeitsbeteiligung den gesamten Bebauungsplan betrifft.
57. II. Unabhängig von dem unter I. festgestellten formellen Fehler leidet der Bebauungsplan in jedem Fall an einem weiteren materiellen Fehler. Es liegt eine beachtliche Verletzung des Gebots der Ermittlung und Bewertung der für die Abwägung bedeutsamen Belange (§ 2 Abs. 3 BauGB) und damit auch ein Fehler im Abwägungsvorgang vor.
58. Nach § 1 Abs. 7 BauGB sind bei der Aufstellung der Bauleitpläne die öffentlichen und privaten Belange gegeneinander und untereinander gerecht abzuwägen. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist das Gebot gerechter Abwägung verletzt, wenn eine (sachgerechte) Abwägung überhaupt nicht stattfindet. Es ist verletzt, wenn in die Abwägung an Belangen nicht eingestellt wird, was nach Lage der Dinge in sie eingestellt werden muss. Es ist ferner verletzt, wenn die Bedeutung der betroffenen Belange verkannt oder wenn der Ausgleich zwischen den von der Planung berührten Belangen in einer Weise vorgenommen wird, die zur objektiven Gewichtigkeit einzelner Belange außer Verhältnis steht. Innerhalb des so gezogenen Rahmens wird das Abwägungsgebot jedoch nicht verletzt, wenn sich die zur Planung berufene Gemeinde in der Kollision zwischen verschiedenen Belangen für die Bevorzugung des einen und damit notwendig für die Zurückstellung des anderen entscheidet (st. Rspr., vgl. u.a. BVerwG, Urteil vom 12. Dezember 1969 – IV C 105.66 -, BVerwGE 34, 301 <309>).
59. Soweit die Ermittlung und Bewertung der Belange, die für die Abwägung von Bedeutung sind, in § 2 Abs. 3 BauGB auch als verfahrensbezogene Pflicht ausgestaltet worden ist, ergeben sich hieraus keine inhaltlichen Änderungen gegenüber den in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zum Abwägungsgebot entwickelten Anforderungen (vgl. BVerwG, Urteil vom 9. April 2008 – 4 CN 1.07 -, juris Rn. 18). Danach setzt die Berücksichtigung aller bedeutsamen Belange in der Abwägung zunächst deren ordnungsgemäße Ermittlung und zutreffende Bewertung voraus (vgl. BVerwG, Urteil vom 9. April 2008 – 4 CN 1.07 -, a.a.O.). Die Bewertung nach dieser Vorschrift bedeutet vor dem Hintergrund einer noch vorzunehmenden Abwägungsentscheidung die Feststellung des jeweiligen Inhalts und Gewichts der abwägungserheblichen Belange. Im Einzelnen geht es um deren Wertigkeit bzw. Qualität in der gegebenen städtebaulichen Situation, um Art und Ausmaß der voraussichtlichen Auswirkungen der Planung sowie um mögliche Maßnahmen zur Vermeidung, Verringerung und zum Ausgleich, die die Betroffenheit abschwächen oder kompensieren können (vgl. Gierke/Schmidt-Eichstaedt, Die Abwägung in der Bauleitplanung, 2019, Rn. 284). Daher sind Art und Ausmaß, in dem die Belange durch die Bauleitplanung berührt sind, sowie das Gewicht des jeweiligen Belangs im Verhältnis zu seiner Betroffenheit zu ermitteln und zu bewerten (vgl. OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 12. Januar 2012 – 1 C 10546/11 -, juris Rn. 38).
60. 1. Gemessen an diesen Grundsätzen fehlt es an einer hinreichenden Ermittlung und Bewertung, ob auf dem Baufeld MK H2 gesunde Arbeitsverhältnisse gewährt werden können.
61. a) Der Antragsgegner hat zwar mittels eines von einem öffentlich bestellten Vermessungsingenieur erstellten Abstandsflächendiagramms festgestellt, dass die Abstandsflächen des auf dem Europaplatz zulässigen Hochhauses (Kerngebiet MK 8 im angrenzenden festgesetzten Bebauungsplan II-201a) mit seinen südöstlichen (Breitseite) und nordöstlichen (Schmalseite) Außenwänden die Straßenmitte in einer Tiefe von 40,5 m überschreiten, die nordöstliche Abstandsfläche der Schmalseite des Hochhauses mit einer bis zu 27 m tiefen Fläche auf dem nördlichen Teil des Baufeldes MK H2 liegt und das Hochhaus die westliche Fassade der Bebauung des Baufeldes MK H2 verschattet (Planbegründung S. 90). Zur Überprüfung der Auswirkungen der Planung auf die Besonnung der Gebäude ist der Antragsgegner davon ausgegangen, dass eine direkte Besonnung von Nordfassaden in den hiesigen Breitengraden generell nicht stattfinde, sodass sich eine Untersuchung der Nordseiten erübrige. Ferner seien im Kerngebietsteil MK H2 keine Wohnungen zulässig, sodass sie nicht nach der DIN 5034-1 in der Fassung vom Juli 2011 betrachtet werden müssten (Planbegründung S. 91). Mangels rechtlich verbindlicher Beurteilungskriterien zur Beurteilung der Verschattung von Gebäudefassaden hat sich der Antragsgegner zusätzlich an der Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts Berlin vom 27. Oktober 2004 (- OVG 2 S 43.04 -, juris) orientiert, in der als maßgeblich erachtet worden ist, dass am Tag der Tag- und Nachtgleiche eine Besonnungsdauer von zwei Stunden eingehalten wird, und zwar nicht nur für Wohnungen, sondern auch für andere Aufenthaltsräume außerhalb der Nutzungen nach § 48 Abs. 3 BauO Bln a.F.. Ein städtebaulicher Missstand sei demnach regelmäßig nicht gegeben, solange zur Tag- und Nachtgleiche eine direkte Besonnung von mindestens zwei Stunden sichergestellt sei. Nach der erstellten „Studie zu den Auswirkungen der Planung auf die Besonnung/Verschattung“ vom 11. Juli 2014 ist die zweistündige Mindestbesonnung bis auf die Nordfassaden und sehr geringe Flächenanteile im Erdgeschoss an allen Fassaden festgestellt worden. Die konkrete Betrachtung des nördlichen Gebäudeteils des Plangebiets MK H2, auf dem die Abstandsflächen des Hochhauses MK 8 liegen, ergab, dass ein Bereich mit weniger als zwei Stunden Besonnung ermittelt wurde, bei dem es sich um einen wenige Meter breiten Streifen über die gesamte Gebäudehöhe handelt (Planbegründung S. 92). In der folgenden abwägenden Gesamtbetrachtung misst der Antragsgegner das Ergebnis der Studie an den einzelnen Schutzgütern der Abstandsflächenvorschriften (Planbegründung S. 92 – 94) und kommt zu dem Ergebnis, dass die mit den Abstandsflächen intendierten Ziele durch den Bebauungsplan nicht verletzt werden, sondern die allgemeinen Anforderungen an gesunde Wohn- und Arbeitsverhältnisse gewahrt seien (Planbegründung S. 95).
62. b) Dies genügt jedoch nicht den Anforderungen an eine hinreichende Ermittlung abwägungserheblicher Belange.
63. aa) Dabei ist zunächst darauf hinzuweisen, dass sich der Antragsgegner entgegen der Ansicht der Antragstellerin nicht nur an dem Kriterium einer mindestens zweistündigen Besonnung orientiert, sondern eine Gesamtbetrachtung unter Einbeziehung anderer – weiter unten noch zu betrachtender – Umstände vorgenommen hat. Dennoch ist festzustellen, dass die Herleitung und Tragfähigkeit des vom Antragsgegner unter anderem zugrunde gelegten Kriteriums einer direkten Besonnung von mindestens zwei Stunden während der Tag- und Nachtgleiche aus dem Beschluss des Oberverwaltungsgerichts Berlin vom 27. Oktober 2004 (- OVG 2 S 43.04 -, juris Rn. 25) unklar sind. Abgesehen davon, dass die hier zu betrachtenden Festsetzungen keine Wohnungen betreffen, entspricht das Kriterium weder den in der maßgeblichen DIN 5034-1 für Wohnungen als erforderlich angesehenen Besonnungszeiten (Ziff. 4.4), noch steht es – soweit erkennbar – in einer nachvollziehbaren Korrelation zu dem von der DIN sowie den landesrechtlichen Abstandsflächenregelungen vorausgesetzten Helligkeitsniveau durch Tageslicht (Tageslichtquotient). Zudem kann die in der Planbegründung als Auffassung des Gerichts bezeichnete These: „Ein städtebaulicher Missstand ist demnach regelmäßig nicht gegeben, so lange zur Tag- und Nachtgleiche eine direkte Besonnung von mindestens 2 Stunden sichergestellt ist.“ (vgl. Planbegründung S. 92, S. 93) der Entscheidung in dieser Allgemeinheit nicht entnommen werden. Vielmehr stützt sich das Gericht auf eine Gesamtbetrachtung, die zusätzlich zu dem genannten Kriterium andere Umstände in Rechnung stellt. Außerdem lässt sich der Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts Berlin nicht entnehmen, worauf sich die Annahme, bei einer direkten Besonnung von mindestens zwei Stunden während der Tag- und Nachtgleiche sei ein städtebaulicher Missstand nicht gegeben, stützen lassen sollte. Das Gericht zitiert zwar die Vorschriften des § 136 Abs. 2 und Abs. 3 Nr. 1 BauGB, in denen es um den städtebaulichen Missstand, die allgemeinen Anforderungen an gesunde Wohn- und Arbeitsverhältnisse und u.a. um Belichtung und Besonnung von Wohnungen und Arbeitsstätten geht. Die in einem Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes nach summarischer Prüfung ergangene Entscheidung lässt aber nicht erkennen, dass dem genannten Kriterium fachliche Erkenntnisse zugrunde lagen, in jedem Fall entspricht es nicht der späteren Rechtsprechung des Senats.
64. bb) Rechtlich ist demgegenüber von folgenden Grundsätzen auszugehen:
65. Die allgemeinen Anforderungen an gesunde Wohn- und Arbeitsverhältnisse (vgl. § 1 Abs. 6 Nr. 1 BauGB, § 34 Abs. 1 Satz 2 BauGB, § 136 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1, Abs. 3 Nr. 1 Buchst. a BauGB, § 17 Abs. 2 BauNVO) werden in Bezug auf die Gewährleistung einer hinreichenden Beleuchtung von Aufenthaltsräumen mit Tageslicht durch die Abstandsflächenvorschriften der Bauordnung (§ 6 BauO Bln) sowie deren Bestimmungen über die Belichtung von Aufenthaltsräumen und deren Fenstergröße (§ 47 Abs. 2 BauO Bln) konkretisiert (vgl. Beschluss des Senats vom 18. September 2013 – OVG 2 S 60.13 -, juris Rn. 27). Dies gilt zum einen in dem Sinne, dass bei Einhaltung der abstandsflächenrechtlichen Vorschriften grundsätzlich von der Wahrung der allgemeinen Anforderungen an gesunde Wohn- und Arbeitsverhältnisse auszugehen ist (vgl. OVG Hamburg, Beschluss vom 6. November 2019 – 2 Bs 218/19 -, juris Rn. 38 ff.; OVG Niedersachsen, Urteil vom 26. Juli 2017 – 1 KN 171/16 -, juris Rn. 78 ff.; BayVGH, Beschluss vom 3. Juni 2016 – 1 CS 16.747 -, juris Rn. 7; OVG Nordrh.-Westf., Urteil vom 6. Juli 2012 – 2 D 27/11.NE -, juris Rn. 63 f.). Zum anderen stellen die Regelungen zum Abstandsflächenrecht auch in dem Sinne eine gesetzliche Konkretisierung der allgemeinen Anforderungen an gesunde Wohn- und Arbeitsverhältnisse dar, dass eine Unterschreitung der abstandsflächenrechtlich geforderten Gebäudeabstände der Berliner Bauordnung grundsätzlich indiziert, dass die allgemeinen Anforderungen an gesunde Wohn- und Arbeitsverhältnisse nicht mehr gewahrt sind (vgl. Beschluss des Senats vom 18. September 2013 – OVG 2 S 60.13 -, juris Rn. 27). Diese Indizwirkung greift nicht nur in Fällen, in denen gegen abstandsflächenrechtliche Vorschriften der Landesbauordnung verstoßen worden ist, sondern ebenso, wenn das Bauplanungsrecht geringere Abstandsflächen zulässt (§ 6 Abs. 8 BauO Bln a.F., § 6 Abs. 5 Satz 4 BauOBln; vgl. Beschluss des Senats vom 18. September 2013, a.a.O., Rn. 28). Ausgenommen sind Fälle, die durch besondere örtliche Verhältnisse oder eine besondere planerische oder bauliche Situation gekennzeichnet sind (vgl. Urteil d. Senats vom 18. Dezember 2007 – OVG 2 A 3.07 -, juris Rn. 95; Urteil vom 30. September 2010 – OVG 2 A 22.08 -, juris Rn. 56).
66. Ziel der Regelung der Abstandsflächentiefe ist nach der Gesetzesbegründung der Berliner Bauordnung eine Ausleuchtung der Aufenthaltsräume mit Tageslicht im fensternahen Bereich (bis etwa 2,5 m Tiefe), die Lesen und Schreiben bei bedecktem Himmel gestattet (vgl. AbgH-Drs. 15/3926, S. 68 f.; ebenso Musterbauordnung [MBO] – Begründung der Fassung November 2002 –, S. 18; vgl. Beschluss des Senats vom 18. September 2013 – OVG 2 S 60.13 -, juris Rn. 27). Die Gesetzesbegründung geht davon aus, dass sich der mit der auf grundsätzlich 0,4 H reduzierten Abstandsflächentiefe festgelegte neue Mindeststandard mit den Anforderungen der DIN 5034-1 – Tageslicht in Innenräumen – „in Einklang bringen“ lasse, da bezüglich der tabellarischen Werte der DIN von Qualitätsstandards ausgegangen werden könne, die von bauordnungsrechtlichen Mindeststandards zu unterscheiden seien. Dies bedeute, dass die der Tabelle zu entnehmenden Fensterbreiten aus bauordnungsrechtlicher Sicht unterschritten werden dürften (vgl. AbgH-Drs. 15/3926 S. 94 zu § 48 Abs. 2 BauO Bln a.F.; vgl. Beschluss des Senats vom 18. September 2013, a.a.O., Rn. 28). Die DIN 5034-1 regelt Anforderungen an die Helligkeit (Ziff. 4.3.1), und zwar für Wohnräume (Ziff. 4.3.1.1). Für Arbeitsräume gelten mindestens die gleichen Anforderungen, wenn sie in ihren Abmessungen Wohnräumen entsprechen (Ziff. 4.3.1.2). Daneben formuliert die DIN 5034-1 Anforderungen an eine mögliche Besonnung, wobei aber nur für Wohnräume quantitative Vorgaben gemacht werden.
67. Werden in einem Bebauungsplan nach § 6 Abs. 8 BauO Bln a.F. (§ 6 Abs. 5 Satz 4 BauO Bln) Festsetzungen getroffen, aus denen sich geringere Abstandsflächen ergeben, müssen die Auswirkungen derartiger Festsetzungen auf die betroffenen Schutzgüter in der Abwägung hinreichend berücksichtigt werden (vgl. Urteil des Senats vom 18. Dezember 2007 – OVG 2 A 3.07 -, juris Rn. 98). Eine Abweichung von den ausschließlich auf einen bauordnungsrechtlich zu sichernden Mindeststandard beschränkten Abstandsflächen erfordert eine besondere städtebauliche Rechtfertigung. Dabei müssen die Wirkungen auf die Schutzgüter des Abstandsflächenrechts besonders gewichtet und in die Abwägung aufgenommen werden (vgl. Urteil des Senats vom 30. September 2010 – OVG 2 A 22.08 -, juris Rn. 58, unter Bezugnahme auf die Gesetzesbegründung zu § 6 BauO Bln). Danach darf ein Plangeber geringere Abstände festsetzen. Macht er von dieser Möglichkeit Gebrauch, muss er jedoch selbst ermitteln und bewerten, ob hinreichende Belichtungsanforderungen erfüllt sind. Er muss sich anhand nachvollziehbarer Kriterien vergewissern, ob trotz Unterschreitung der bauordnungsrechtlich geforderten Abstandsflächen noch eine hinreichende Beleuchtung gewährleistet ist. So ist z.B. denkbar, dass ein zu geringer Gebäudeabstand durch eine Öffnung der zwischen den Gebäuden liegenden Freifläche, z.B. nach Süden oder Westen, und eine sich daraus ergebende bessere Ausleuchtung der Innenräume, die Errichtung eines Solitärs, eine das bauordnungsrechtliche Mindestmaß überschreitende Fenstergröße oder eine die Beleuchtungssituation berücksichtigende Grundrissgestaltung kompensiert wird (vgl. Beschluss des Senats vom 18. September 2013 – OVG 2 S 60.13 -, juris Rn. 29). Denn ebenso wie die DIN 5034-1 (vgl. Teil 4 Ziff. 3.9) unterstellt das allein auf die Höhe und den Abstand der gegenüberliegenden Gebäude abstellende Abstandsflächenrecht modellhaft eine Situation einer dem verschatteten Fenster gegenüberliegenden parallelen Verbauung, die gleichmäßig hoch und seitlich nicht begrenzt ist.
68. Der Plangeber muss nach alledem im Blick haben, ob er das bauordnungsrechtlich für den Regelfall vorausgesetzte Niveau an Belichtung mit Tageslicht einhält oder sich nur so weit davon entfernt, dass mittels baulicher Maßnahmen noch das notwendige Mindestmaß an Tageslicht in Innenräumen eingehalten werden kann. Dabei ist zu berücksichtigen, dass über die Größe von Fenstern und die Anordnung von Räumen nicht im Bebauungsplan, sondern erst im Rahmen der Projektplanung und ggf. der Baugenehmigung entschieden werden kann. Der Plangeber kann sich deshalb auf eine prognostische Einschätzung beschränken, ob Bebauung machbar ist, die ungesunde Wohn- oder Arbeitsverhältnisse vermeidet. Es genügt, wenn die realistische Möglichkeit besteht, durch bauliche Maßnahmen (s.o.) die für gesunde Wohn- und Arbeitsverhältnisse notwendige Belichtung mit Tageslicht herzustellen. Erst der Bauherr und ggf. die Bauaufsichtsbehörde (im Genehmigungsverfahren oder im Rahmen der repressiven Bauaufsicht) müssen dann sicherstellen, dass die Aufenthaltsräume die Anforderungen an eine ausreichende Belichtung mit Tageslicht erfüllen (vgl. § 47 Abs. 1 BauO Bln).
69. cc) Gemessen an diesen Grundsätzen genügen die Feststellungen und Erwägungen des Antragsgegners nicht den dargestellten planungsrechtlichen Anforderungen an das Abwägungsgebot.
70. Abgesehen davon, dass das vom Antragsgegner zugrunde gelegte Kriterium einer direkten Besonnung von mindestens zwei Stunden während der Tag- und Nachtgleiche aus den oben dargestellten Gründen nicht tragfähig ist, hätte bereits die Tatsache, dass ein neun Meter breiter und über alle Etagen reichender Streifen im nördlichen Bereich der Westfassade des Baufeldes MK H2 das vom Antragsgegner selbst gewählte 2-Stunden-Kriterium nicht erfüllt, weil er eine Besonnungsdauer von lediglich ca. 1,75 Stunden aufweist, Anlass geben müssen zu prüfen, ob in den dahinterliegenden Räumen eine ausreichende Belichtung mit Tageslicht gewährleistet ist. Die Notwendigkeit weiterer Ermittlungen hätte sich dem Antragsgegner aufdrängen müssen.
71. Zudem wird bei der Bewertung der örtlichen Verhältnisse zu stark die Besonnung der Aufenthaltsräume betrachtet. Denn die DIN 5034-1 stellt bei Arbeitsräumen auf Helligkeit und nicht auf Besonnung ab.
72. Auch die vom Antragsgegner angestellten weiteren Erwägungen begründen nicht nachvollziehbar, dass in dem Gebäude im Baufeld MK H2 – ggf. mittels baulicher Maßnahmen – ein ausreichendes Helligkeitsniveau durch Tageslicht hergestellt werden kann.
73. Zwar berücksichtigt er, dass es sich durch die Lage an Wasserflächen und großzügigen Verkehrsflächen sowie dem solitär bebauten Gelände der Charité um eine aufgelockerte und geradezu privilegierte Ausgangssituation handelt, die sich grundlegend von einer innenstadttypischen geschlossenen Blockstruktur unterscheidet (Planbegründung S. 92). Wenn auch für einen vertikalen Streifen an der Westfassade des Kerngebietsteils eine etwas geringere als zweistündige Besonnung festgestellt worden sei, seien die Voraussetzungen für eine gute Belichtung trotzdem ausgesprochen gut, weil sich der öffentliche Raum zur Invalidenstraße hin aufweite und die potentielle gegenüberliegende Hochhauswand auf dem Europaplatz etwa 30 m Abstand vom Kerngebietsteil MK H2 haben würde (Planbegründung S. 93). Auch sei bezüglich der Einhaltung der sozialen Abstände die punktuelle Nähe der Hafenumbauung zum Hochhaus in Kauf genommen worden, weil dem Gebäude H2 eine Wasserseite mit freiem Blick auf das Hafenbecken vorgelagert sei (Planbegründung S. 96, S. 97).
74. Diese Erwägungen weisen zwar auf Umstände hin, die eine Wahrung der allgemeinen Anforderungen an gesunde Arbeitsverhältnisse tendenziell möglich erscheinen lassen. Die Ausführungen in der Planbegründung gestatten jedoch keine quantitative Einschätzung, wie stark die Beeinträchtigungen durch die von dem Hochhaus auf dem Baufeld MK 8 ausgehende Verschattung des Gebäudes auf dem Baufeld MK H2 sein werden bzw. welches Helligkeitsniveau dort voraussichtlich erreichbar ist. Dies ist letztlich nicht nur für den neun Meter breiten Streifen einer Besonnung von weniger als zwei Stunden unklar, sondern auch für die Bereiche, in denen eine längere Sonneneinstrahlung erreicht wird. Die Dauer der Besonnung zur Tag- und Nachgleiche überschreitet auf der Westfassade zwar auf dem überwiegenden Flächenanteil die Dauer von vier Stunden, liegt in erheblichen Teilen aber auch darunter (vgl. Anlage 6 zur Besonnungsstudie).
75. Der zuletzt vorgelegte Bericht des Ingenieurbüros P vom 9. März 2020 erlaubt ebenfalls keine ausreichende Beurteilung. Naturgemäß gestattet eine Verschattungssimulation allein eine Aussage über die Besonnungsdauer. Der Bericht enthält dazu in Bezug auf die Westfassade des Baufeldes MK H2 zwar etwas präzisere Angaben (S. 2: ca. 9 m breiter Streifen; dort Besonnungsdauer von ca. 1,75 Stunden). Allein aus den festgestellten Besonnungszeiten kann aber nicht abgeleitet werden kann, mit welchem Tageslichtquotienten voraussichtlich zu rechnen ist. Der Bericht trifft dazu folgende Aussage (S. 3): „Pauschale Aussagen hinsichtlich einer ausreichenden Helligkeit hinsichtlich gesunder Wohn- bzw. Arbeitsverhältnisse lassen sich hieraus nicht ableiten. Aufgrund von Erfahrungswerten ist jedoch davon auszugehen, dass generell gesunde Arbeits- bzw. Wohnverhältnisse im MK H2 möglich sind. Abhängig ist dies auch von weiteren Randbedingungen wie beispielsweise Grundrissgestaltung, Fenstergrößen/-spezifikationen und Oberflächengestaltungen.“ Die Berufung auf Erfahrungswerte wird dabei in keiner Weise substanziiert. Unklar bleibt ferner, welches Anforderungsniveau zugrunde gelegt wird, wenn behauptet wird, gesunde Arbeits- und Wohnverhältnisse ließen sich herstellen. Soweit in dem genannten Bericht auf eine lediglich knappe Unterschreitung des nach Ansicht des Ingenieurbüros maßgeblichen 2-Stunden-Kriteriums sowie den Umstand abgestellt wird, dass es sich bei dem betroffenen neun Meter breiten und über alle Etagen reichenden Streifen im nördlichen Bereich der Westfassade des Baufeldes MK H2 um eine im Vergleich zur Gesamtfassade lediglich marginal große Fläche handele, reicht diese Bewertung nicht aus. Sie ist insbesondere nicht geeignet, konkrete Ermittlungen zu Art und Umfang etwaiger Beeinträchtigungen und möglicher Kompensationen entbehrlich zu machen.
76. 2. Der festgestellte Fehler ist nach § 214 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BauGB beachtlich und nicht nachträglich gemäß § 215 Absatz 1 Satz 1 Nr. 1 BauGB unbeachtlich geworden.
77. a) Die Antragstellerin hat mit dem an den Antragsgegner gerichteten und dort rechtzeitig eingegangenen Schriftsatz vom 15. Dezember 2017 Rügen gemäß § 215 Absatz 1 Satz 1 Nr. 1 und Nr. 3 BauGB erhoben und hinreichend substantiiert geltend gemacht, es fehle an einer Ermittlung gesunder Arbeitsverhältnisse unter anderem in dem Gebäude MK H2. Unabhängig hiervon treten die Rechtsfolgen des § 215 Abs. 1 BauGB ohnehin nicht ein, da es aus den oben unter 1. dargestellten Gründen an einem ordnungsgemäßen Hinweis auf den Eintritt dieser Rechtsfolgen fehlt.
78. b) Eine Verletzung der Pflicht, die für die Abwägung bedeutsamen Belange zu ermitteln und zu bewerten (§ 2 Abs. 3 BauGB) ist nach § 214 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BauGB beachtlich, wenn die Belange, die der Gemeinde bekannt waren oder hätten bekannt sein müssen, in wesentlichen Punkten nicht zutreffend ermittelt und bewertet worden sind und wenn der Mangel offensichtlich und auf das Ergebnis des Verfahrens von Einfluss gewesen ist.
79. Diese Voraussetzungen liegen vor. Der Ermittlungs- und Bewertungsfehler betrifft in der konkreten Planungssituation abwägungserhebliche und damit im Sinne des § 214 Abs. 1 Nr. 1 BauGB wesentliche Punkte (vgl. BVerwG, Urteil vom 9. April 2008 – 4 CN 1.07 -, juris Rn. 21 f.), denn die Frage, ob auf dem Baufeld MK H2 gesunde Arbeitsverhältnisse gewährleistet sind, war angesichts der deutlichen Abstandsflächenunterschreitungen von zentraler Bedeutung für die Abwägung. Der Fehler ist offensichtlich, da er sich aus der Planbegründung und damit aus zur äußeren Seite des Abwägungsvorgangs gehörenden, objektiv feststellbaren Umständen deutlich ergibt (vgl. BVerwG, Urteil vom 21. August 1981 – 4 C 57.80 -, juris Rn. 24). Die in der Planbegründung ausgeführten Erwägungen zum Schutzgut Mensch (Wohnqualität und Arbeitsumfeld, Planbegründung S. 56), im Rahmen der Begründungen zu den Festsetzungen (Planbegründung S. 89 ff.) sowie zur Abwägung der öffentlichen und privaten Belange (Planbegründung S. 125) lassen deutlich erkennen, dass die mit den Schutzgütern des Abstandsflächenrechts einhergehenden vorrangig privaten Belange ohne zureichende Feststellung ihrer Bedeutung und des Ausmaßes ihrer Betroffenheit in die Abwägung eingestellt wurden.
80. Das Ermittlungs- und Bewertungsdefizit war von Einfluss auf das Abwägungsergebnis. Hierfür muss nach den Umständen des Falles die konkrete Möglichkeit bestehen, dass die Planung ohne den Verfahrensmangel anders ausgefallen wäre (vgl. BVerwG, Urteil vom 21. August 1981, a.a.O., Rn. 27). Dies liegt angesichts dessen, dass die Verschattung durch das Hochhaus bei genauerer Untersuchung durchaus beträchtlich sein könnte, nahe. Insofern besteht die konkrete Möglichkeit abweichender planerischer Festsetzungen, zumal der Antragsgegner bereits während des Planungsverfahrens zumindest ansatzweise kompensatorische Erwägungen angestellt hatte.
81. 3. Auch dieser Fehler führt unabhängig von dem unter I. festgestellten zur Gesamtunwirksamkeit des Bebauungsplans. Die Hafenumbauung vermittelt den Eindruck eines geschlossenen Konzepts (vgl. Planbegründung S. 71 ff.). Würde das Baufeld MK H2 entfallen, entstünde ein deutliches Ungleichgewicht (vgl. Planbegründung S. 11 ff.). Es fehlen jegliche Anhaltspunkte dafür, dass der Antragsgegner das Baufeld MK H2 hätte ersatzlos wegfallen lassen. Wahrscheinlicher erscheint die Möglichkeit, dass er das Baufeld nach Süden verschoben hätte, wenn er einen Abstandsflächenkonflikt zum Hochhaus MK 8 ermittelt hätte.
82. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO in Verbindung mit § 709 Satz 1 und 2 ZPO.
83. Die Revision ist nicht zuzulassen, weil keiner der in § 132 Abs. 2 VwGO genannten Gründe vorliegt.
Zuletzt aktualisiert am Juli 19, 2021 von eurogesetze
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