GLANZER ./. DEUTSCHLAND (Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte) Individualbeschwerde Nr. 58410/17

Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte
FÜNFTE SEKTION
ENTSCHEIDUNG
Individualbeschwerde Nr. 58410/17
G.
gegen Deutschland

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (Fünfte Sektion) hat in seiner Sitzung am 31. Oktober 2017 als Ausschuss mit den Richtern und der Richterin

Erik Møse, Präsident,
Yonko Grozev und
Gabriele Kucsko-Stadlmayer
sowie Anne-Marie Dougin, amtierende Stellvertretende Sektionskanzlerin,

im Hinblick auf die oben genannte Individualbeschwerde, die am 7. August 2017 erhoben wurde,

nach Beratung wie folgt entschieden:

SACHVERHALT

1. Der 19.. geborene Beschwerdeführer, G., ist deutscher Staatsangehöriger und lebt in K.

A. Die Umstände der Rechtssache

2. Der Sachverhalt, so wie er von dem Beschwerdeführer vorgebracht worden ist, lässt sich wie folgt zusammenfassen:

3. Im August/September 2003 litt der Beschwerdeführer an einer eitrigen Sinusitis. Er beantragte bei seinen Krankenversicherern die Kostenübernahme für eine stationäre Behandlung in einer Spezialklinik in der Schweiz. Nach einem Briefwechsel und der Übersendung ergänzender Unterlagen bewilligten die Krankenversicherer die stationäre Behandlung am 5. Dezember 2003.

4. 2006 verklagte der Beschwerdeführer seine Krankenversicherer auf Schadensersatz, wobei er geltend machte, dass diese nicht rechtzeitig ihre Zustimmung erteilt hätten, wodurch sich seine Krankheit verschlimmert habe und er in Lebensgefahr geraten sei und weswegen er unter Langzeitfolgen, einschließlich dauerhafter Invalidität, leide.

5. Am 24. August 2007 wies das Landgericht R. die Klage nach einer mündlichen Verhandlung ab. Der Beschwerdeführer legte Berufung ein. Am 20. Dezember 2007 informierte das Oberlandesgericht N. den Beschwerdeführer darüber, dass es beabsichtige, die Berufung nach § 522 Abs. 2 ZPO (siehe Rdnr. 8) ohne mündliche Verhandlung zurückzuweisen, und räumte ihm eine Frist von zwei Wochen zur weiteren Stellungnahme ein. Am 26. Februar 2008 wies das Oberlandesgericht die Berufung des Beschwerdeführers ohne mündliche Verhandlung zurück. Am 26. Mai 2008 wies es die Anhörungsrüge des Beschwerdeführers zurück.

6. Am 8. Juni 2010 lehnte es das Bundesverfassungsgericht unter Angabe einer kurzen Begründung ab, die Verfassungsbeschwerde des Beschwerdeführers zur Entscheidung anzunehmen (1 BvR 1633/08).

B. Das anschließende Verfahren vor dem Gerichtshof

7. Am 28. Februar 2010 legte der Beschwerdeführer eine Beschwerde beim Gerichtshof ein, die als Individualbeschwerde Nr. 70432/10 erfasst wurde. Am 8. Januar 2013 erklärte ein mit drei Richtern besetzter Ausschuss des Gerichtshofs die Individualbeschwerde unter Anwendung von Artikel 28 Abs. 1 Buchst. a der Konvention und Artikel 53 Abs. 1 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs für unzulässig. Mit Schreiben vom 15. Januar 2013 wurde dem Beschwerdeführer die Entscheidung nach Artikel 53 Abs. 5 der Verfahrensordnung zur Kenntnis gebracht. Am 4. März 2014 lehnte der Ausschuss eine erneute Prüfung der Individualbeschwerde ab und setzte den Beschwerdeführer hiervon mit Schreiben vom 11. März 2014 in Kenntnis.

C. Das einschlägige innerstaatliche Recht und die einschlägige innerstaatliche Praxis

8. § 522 der Zivilprozessordnung (ZPO) in der zur maßgeblichen Zeit geltenden Fassung ist in der Entscheidung des Gerichtshofs in der Rechtssache R. ./. Deutschland dargestellt (Individualbeschwerde Nr. 5398/03, 2. Februar 2006, siehe auch J. ./. Deutschland (Entsch.), Individualbeschwerde Nr. 5643/07, 29. September 2009).

RÜGEN

9. Der Beschwerdeführer rügte den Ausgang des Verfahrens vor den deutschen Gerichten. Er rügte ferner die Entscheidung des Gerichtshofs, seine frühere Individualbeschwerde für unzulässig zu erklären, diese Entscheidung nicht zu begründen und eine erneute Prüfung dieser Entscheidung abzulehnen. Außerdem rügte er hinsichtlich seiner früheren Individualbeschwerde die Unfairness des Verfahrens vor dem Gerichtshof. Diesbezüglich machte er insbesondere geltend, dass der Gerichtshof die zum 27. Oktober 2011 geänderte neue Fassung des § 522 ZPO nicht berücksichtigt habe.

RECHTLICHE WÜRDIGUNG

10. Der Beschwerdeführer hat das Verfahren vor den innerstaatlichen Zivilgerichten und das Verfahren vor dem Gerichtshof gerügt. Er hat sich auf Artikel 6 und Artikel 45 Abs. 1 der Konvention berufen, die, soweit für die vorliegende Rechtssache maßgeblich, wie folgt lauten:

Artikel 6

„Jede Person hat ein Recht darauf, dass über Streitigkeiten in Bezug auf ihre zivilrechtlichen Ansprüche und Verpflichtungen […] von einem […] Gericht in einem fairen Verfahren […] verhandelt wird.“

Artikel 45

„(1) Urteile sowie Entscheidungen, mit denen Beschwerden für zulässig oder für unzulässig erklärt werden, werden begründet. […]“

11. Was die behauptete Unfairness des Verfahrens vor den deutschen Zivilgerichten anbelangt, stellt der Gerichtshof fest, dass dieses Verfahren bereits Gegenstand von Individualbeschwerde Nr. 70432/10 war, die am 8. Januar 2013 von einem mit drei Richtern besetzten Ausschuss des Gerichtshofs für unzulässig erklärt wurde. Der Gerichtshof ist der Auffassung, dass diese Rüge im Wesentlichen mit einer schon vorher vom Gerichtshof geprüften Beschwerde übereinstimmt (vgl. Harkins ./. das Vereinigte Königreich (Entsch.) [GK], Individualbeschwerde Nr. 71537/14, Rdnrn. 41 bis 42, 15. Juni 2017) und daher nach Artikel 35 Abs. 2 Buchst. b und Abs. 4 der Konvention für unzulässig zu erklären ist.

12. Was die behaupteten Verletzungen durch den Gerichtshof in dem Individualbeschwerdeverfahren Nr. 70432/10 anbelangt, weist der Gerichtshof erneut darauf hin, dass selbst bei unterstellter Vereinbarkeit ratione personae mit den Bestimmungen der Konvention (siehe sinngemäß Beygo ./. 46 Mitgliedstaaten des Europarats (Entsch.), Individualbeschwerde Nr. 36099/06, 16. Juni 2009) Unzulässigkeitsentscheidungen eines Ausschusses endgültig sind (Artikel 28 Abs. 2 der Konvention) und daher nicht Gegenstand einer erneuten Individualbeschwerde sein können.

Aus diesen Gründen erklärt der Gerichtshof

die Individualbeschwerde einstimmig für unzulässig.

Ausgefertigt in englischer Sprache und schriftlich zugestellt am 23. November 2017.

Anne-Marie Dougin                                                         Erik Møse
Amtierende Stellvertretende Sektionskanzlerin                 Präsident

Zuletzt aktualisiert am Dezember 5, 2020 von eurogesetze

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert