RECHTSSACHE FRÖHLICH ./. DEUTSCHLAND (Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte) Individualbeschwerde Nr. 16112/15

Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte
FÜNFTE SEKTION
RECHTSSACHE F. ./. DEUTSCHLAND
(Individualbeschwerde Nr. 16112/15)
URTEIL
STRASSBURG
26. Juli 2018
Endgültig
26. Oktober 2018

Dieses Urteil ist nach Maßgabe des Artikels 44 Abs. 2 der Konvention endgültig. Es wird gegebenenfalls noch redaktionell überarbeitet.

In der Rechtssache F. ./. Deutschland

verkündet der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (Fünfte Sektion) als Kammer mit den Richterinnen und Richtern

Erik Møse, Präsident,
Angelika Nußberger,
Yonko Grozev,
Síofra O’Leary,
Mārtiņš Mits,
Lәtif Hüseynov und
Lado Chanturia
sowie Claudia Westerdiek, Sektionskanzlerin,

nach nicht öffentlicher Beratung am 3. Juli 2018

das folgende, an diesem Tag gefällte Urteil:

VERFAHREN

1. Der Rechtssache lag eine Individualbeschwerde (Nr. 16112/15) gegen die Bundesrepublik Deutschland zugrunde, die ein deutscher Staatsangehöriger, F. („der Beschwerdeführer“), am 30. März 2015 nach Artikel 34 der Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten („die Konvention“) beim Gerichtshof eingereicht hatte.

2. Der Beschwerdeführer wurde von Herrn R., Rechtsanwalt in B., vertreten. Die deutsche Regierung („die Regierung“) wurde durch eine ihrer Verfahrensbevollmächtigten, Frau K. Behr vom Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz, vertreten.

3. Der Beschwerdeführer machte insbesondere geltend, dass er durch die Entscheidung der innerstaatlichen Gerichte, ihm Auskünfte über das Mädchen Y. – dessen leiblicher Vater er zu sein behauptet – zu versagen, in seinen Rechten nach Artikel 8 der Konvention verletzt worden sei.

4. Am 22. Dezember 2015 wurde die Beschwerde der Regierung zugeleitet.

SACHVERHALT

I. DIE UMSTÄNDE DER RECHTSSACHE

5. Der Beschwerdeführer wurde 19.. geboren und lebt in K.

A. Der Hintergrund der Rechtssache

6. Im Jahre 2004 ging der Beschwerdeführer mit X eine Beziehung ein, einer verheirateten Frau, die weiterhin mit ihrem Ehemann, mit dem sie sechs Kinder hatte, zusammenlebte. Anfang 2006 wurde X schwanger und teilte dies dem Beschwerdeführer mit. 2006 brachte sie eine Tochter zur Welt. Wenig später endete die Beziehung mit dem Beschwerdeführer.

7. X und ihr Ehemann, der rechtliche Vater des Mädchens, wiesen die nachfolgenden Bemühungen des Beschwerdeführers um Umgang mit dem Kind zurück. Sie bestritten, dass der Beschwerdeführer der biologische Vater sei, weigerten sich aber, einem Vaterschaftstest zuzustimmen.

8. Der Beschwerdeführer strengte mehrere Verfahren an, um seine Vaterschaft rechtlich festgestellt zu sehen, einen Test zur Feststellung der biologischen Vaterschaft durchführen zu lassen und das gemeinsame Sorgerecht zu erlangen. Seine Anträge blieben erfolglos.

B. Das in Rede stehende Verfahren

1. Das Verfahren vor dem Familiengericht

9. Am 21. Dezember 2010 beantragte der Beschwerdeführer beim Familiengericht regelmäßigen Umgang mit dem Kind; er berief sich dabei auf das Urteil des Gerichtshofs in der Rechtssache A. ./. Deutschland (Individualbeschwerde Nr. 20578/07, 21. Dezember 2010), das am selben Tag ergangen war. Er behauptete, der biologische Vater des Kindes zu sein und bot an, dies mittels eines Sachverständigengutachtens zu beweisen. Außerdem erklärte er an Eides statt, während der Empfängniszeit Geschlechtsverkehr mit X gehabt zu haben.

10. Am 9. Mai 2011 wies das Familiengericht den Antrag des Beschwerdeführers zurück. Es befand, dass die Vaterschaft des Beschwerdeführers nicht festgestellt worden sei und ihm deshalb kein Umgangsrecht eingeräumt werden könne.

2. Das Verfahren vor dem Oberlandesgericht

a) Das Beschwerdeverfahren

11. Am 14. Juni 2011 legte der Beschwerdeführer Beschwerde ein. Am 16. November 2011 ergänzte er seine Beschwerde, wobei er sich hauptsächlich auf das Urteil des Gerichtshofs in der Rechtssache S. ./. Deutschland (Individualbeschwerde Nr. 17080/07, 15. September 2011) berief, und beantragte, ihm mindestens einmal im Monat Umgang mit dem Kind einzuräumen, wobei dieser Umgang zunächst begleitet werden könne.

12. Am 1. Dezember 2011 hörte das Oberlandesgericht den Beschwerdeführer und den rechtlichen Vater des Kindes an. Letzterer erklärte, dass er von der Beziehung zwischen seiner Frau und dem Beschwerdeführer wisse und ebenfalls annehme, dass es zu sexuellen Kontakten gekommen sei. Im Oktober 2005 habe die Mutter ihm und den Kindern erzählt, dass die Beziehung mit dem Beschwerdeführer beendet sei, wobei er nicht ausschließen könne, und es sogar für wahrscheinlich halte, dass sie die Beziehung ohne sein Wissen fortgeführt habe. Er habe von der Schwangerschaft seiner Frau im Februar 2006 erfahren und sei davon ausgegangen, dass er der Vater sei. Im Dezember 2006 habe der Beschwerdeführer ihm in einem Telefonat erzählt, dass er der Vater sei. In diesem Moment sei die Mutter darüber erleichtert gewesen, dass die Zeit des Versteckens vorbei sei. Dieser Moment sei für sie als Paar ein Durchbruch gewesen und ihre Beziehung habe sich danach verbessert. Das Kind sei ein Wunschkind von ihnen beiden gewesen. Selbst wenn der Beschwerdeführer der Vater wäre, würde er einem Umgang nicht zustimmen, denn der Beschwerdeführer habe ihnen viel Leid gebracht und müsse nun die Folgen seines Verhaltens tragen. Das Verfahren, das der Beschwerdeführer angestrengt habe, stelle für das Paar eine Belastung dar, berühre sein Verhältnis zu seiner Frau aber nicht negativ, sondern schweiße sie eher zusammen. Die ganze Familie, mit Ausnahme des Kindes, wisse, dass der Beschwerdeführer glaube, der Vater des Kindes zu sein.

13. Am 9. Februar 2012 hörte das Oberlandesgericht die Kindesmutter an. Am Ende der Anhörung wies es die Beteiligten darauf hin, dass es einen Umgang des Beschwerdeführers derzeit nicht für kindeswohlförderlich halte, und regte an, dieser möge sein Rechtsmittel zurücknehmen.

14. Am 21. Juni 2012 legte die Verfahrenspflegerin des Kindes, eine Psychologin, eine detaillierte schriftliche Stellungnahme vor, in der sie zu dem Schluss gelangte, dass ein Umgang mit dem Beschwerdeführer dem Wohl des Kindes in diesem Alter abträglich wäre.

15. Am 17. August 2012 stellte der Beschwerdeführer beim Oberlandesgericht die Anträge, ein Sachverständigengutachten zu der Frage einzuholen, ob ein Umgang des Beschwerdeführers dem Kind schade oder dem Kindeswohl zumindest diene, ferner eine mündliche Anhörung durchzuführen, bei der die Verfahrenspflegerin ihre schriftliche Stellungnahme erläutern solle, sowie einen Vaterschaftstest durchführen zu lassen und das Kind anzuhören.

16. Am 28. September 2012 teilte das Oberlandesgericht den Parteien mit, dass es eine Anhörung des Kindes für erforderlich halte. Die Verfahrenspflegerin des Kindes sprach sich dagegen aus. Sie brachte u. a. vor, dass das Kind keine Kenntnis von den Behauptungen des Beschwerdeführers habe, dass letzterer mangels Rechtsgrundlage die Vaterschaft nicht beweisen könne und dass die rechtlichen Eltern des Kindes keinerlei Beweis für ihre Behauptung vorgelegt hätten, der Ehemann der Mutter sei auch der leibliche Vater des Kindes.

17. Am 29. Oktober 2012 hörte das Oberlandesgericht das sechsjährige Kind an, wobei nur die Verfahrenspflegerin anwesend war. Gemäß dem Anhörungsprotokoll war dem Kind – dem die wirklichen Gründe dafür aber nicht bekannt waren – bewusst, dass seine Eltern mit dem Beschwerdeführer im Streit lagen und dass der Beschwerdeführer es besuchen wollte oder wollte, dass es ihn besuche, womit seine Eltern aber nicht einverstanden waren; das Kind selbst war auch damit nicht einverstanden.

18. Am 29. November 2012 brachte die Verfahrenspflegerin vor, die Anhörung des Kindes bestätige ihre schriftliche Stellungnahme vom Juni 2012.

19. Am 21. November 2012 nahm der Beschwerdeführer zur Anhörung des Kindes Stellung, legte ein privates Sachverständigengutachten vor und ersuchte das Oberlandesgericht, ein Sachverständigengutachten zu den Umgangsrechten einzuholen und einen anderen Verfahrenspfleger zu bestellen. Darüber hinaus bat er das Oberlandesgericht, das Kind bei einer erneuten Anhörung über seinen Antrag zu unterrichten. Er fügte hinzu, dass ihm im Falle der Abweisung seiner Beschwerde alle sechs Monate ein schriftlicher Bericht über die Entwicklung des Kindes sowie zwei aktuelle Fotos übermittelt werden sollten.

b) Der Beschluss des Oberlandesgerichts

20. Am 13. Dezember 2012 wies das Oberlandesgericht die Anträge des Beschwerdeführers zurück. Es stellte eingangs fest, dass der Beschwerdeführer sich nicht auf § 1684 Abs. 1 BGB berufen könne, da er nicht der rechtliche Vater des Kindes sei. Er könne sich auch nicht auf § 1685 Abs. 2 BGB berufen, da er noch nie tatsächliche Verantwortung für das Kind getragen habe. Das Oberlandesgericht behandelte dann die Frage, ob § 1685 Abs. 2 BGB im Lichte der Entscheidungen des Gerichtshofs in den Rechtssachen A. und S. (a.a.O.) dahin ausgelegt werden könne, dass ein Vater, der beweisen könne, sich ernsthaft darum bemüht zu haben, tatsächliche Verantwortung zu übernehmen, dabei aber am Widerstand der Mutter oder der rechtlichen Eltern gescheitert sei, als jemand zu betrachten sei, der im Sinne dieser Bestimmung tatsächliche Verantwortung übernommen habe.

21. Diese Frage könne jedoch offen bleiben, da der Umgang in jedem Fall dem Wohl des Kindes dienen müsse. Diesbezüglich stellte das Gericht fest, dass bereits die Beantwortung der Vorfrage, ob der Beschwerdeführer der leibliche Vater sei, dem Wohl des Kindes widerspreche. Das Kind lebe in einem gut organisierten und emotional stabilen Familienverband, bestehend aus einem Vater, einer Mutter und weiteren Kindern. Das Oberlandesgericht hob hervor, davon überzeugt zu sein, dass dieser Familienverband zerstört würde, wenn die Vaterschaft des Beschwerdeführers festgestellt würde und Umgangskontakte angeordnet würden. Die Anhörung des Kindes und seiner rechtlichen Eltern habe gezeigt, dass es in der Vorstellungswelt des Kindes nur einen Vater, den Ehemann der Mutter, gebe. Es hätten sich keine Anhaltspunkte dafür ergeben, dass letzterer seine Rolle als Vater dem Kind gegenüber nicht oder in anderer Weise als gegenüber seinen weiteren Kindern wahrnehme. Das Kind sei in die Familie gut eingebunden und fühle sich dort gut beschützt und aufgehoben. Diese Einschätzung stehe im Einklang mit den Feststellungen der Verfahrenspflegerin des Kindes.

22. Das Oberlandesgericht befürchtete, dass eine Klärung der Vaterschaftsfrage das Risiko berge, dass der Familienverband zerbrechen würde, was sich in erheblicher Weise negativ auf das Kind auswirken würde, weil es seine wesentlichen Bezugspersonen verlieren würde. Das Oberlandesgericht hielt es, wie es nach der Anhörung bereits hatte erkennen lassen, für wahrscheinlicher, dass der Beschwerdeführer der leibliche Vater des Kindes sei. Diese Frage könne letztlich nur durch einen Vaterschaftstest geklärt werden, den die rechtlichen Eltern des Kindes jedoch ablehnten. Die Mutter behaupte, ihr Ehemann sei der biologische Vater ihrer Tochter, und beide stellten sich dem Beschwerdeführer mit Nachdruck entgegen. Nach Auffassung des Oberlandesgerichts ging aus der Anhörung hervor, dass der rechtliche Vater den Angaben seiner Ehefrau grundsätzlich vertraue, aber gleichzeitig Zweifel an seiner Vaterschaft habe, obwohl er diese nicht explizit geäußert habe. Trotz dieser Zweifel und trotz der langen gerichtlichen Verfahren stelle er die Angaben seiner Frau nicht in Frage. Das Oberlandesgericht gewann den Eindruck, dass sich die Eheleute gegen den Antragsteller gleichsam wie in einer Wagenburg verschanzten, was die Erklärung des rechtlichen Vaters, die Verfahren berührten sein Verhältnis zu seiner Frau nicht negativ, sondern stärkten es vielmehr, gezeigt habe. Das Oberlandesgericht gelangte zu dem Schluss, dass der rechtliche Vater mit dieser Ungewissheit leben könne und seine Haltung sich nicht negativ auf das Kind auswirke. Würde jedoch festgestellt, dass der Beschwerdeführer der biologische Vater sei, würde der rechtliche Vater erkennen, dass sein seit langem bestehendes Vertrauen in seine Frau nicht begründet sei. Es sei nicht möglich, die Reaktion des rechtlichen Vaters vorherzusehen, jedoch könne nicht von der Hand gewiesen werden, dass mit Blick auf die Schwierigkeiten des Paares in der Vergangenheit die offenkundige Gefahr bestehe, dass die Ehe der Eheleute zerbrechen würde. Die Trennung des Ehepaares wäre gleichbedeutend mit einer Auflösung des Familienverbands des Kindes und dem Verlust seines Beziehungsgefüges, was dem Wohl des Kindes widersprechen würde.

23. Das Oberlandesgericht wies darauf hin, sich darüber bewusst zu sein, dass es mit Blick auf die Bedeutung des Kindeswohls noch lange dauern könnte, bis die Vorfrage der Vaterschaft geklärt werden könne, und Jahre vergehen könnten, bevor ein Umgangsrecht zugesprochen werden könnte. Dies könnte sich ändern, wenn das Kind anfange, Fragen zu stellen, jedoch entspreche es derzeit nicht seinem Wohl, mit der Vaterschaftsfrage konfrontiert zu werden. Es sei daher nicht angezeigt, dem Kind von den Behauptungen des Beschwerdeführers zu erzählen oder die Verfahrenspflegerin des Kindes zu ersetzen.

24. Das Oberlandesgericht stellte weiter fest, dass ein Umgang mit dem Beschwerdeführer selbst unter der Annahme, der Beschwerdeführer sei der leibliche Vater des Kindes, nicht dem Kindeswohl dienen würde. Wegen der hochemotionalen Konflikte zwischen den rechtlichen Eltern und weil der Beschwerdeführer nicht ausgeschlossen habe, dass er dem Kind, wenn er es sähe, erzählen könnte, dass er sein leiblicher Vater sei, würde ein Umgang das Wohl des Kindes gefährden. Daher sei es nicht angezeigt, ein Sachverständigengutachten dazu einzuholen, ob und wie das Kind damit umgehen könne, zwei Väter zu haben, oder ob es grundsätzlich ratsam sei, Kindern möglichst frühzeitig einen Umgang mit dem leiblichen Vater zu ermöglichen. Diese Fragen seien im Lichte des extrem angespannten Verhältnisses zwischen dem Beschwerdeführer und den rechtlichen Eltern des Kindes und im Hinblick auf die im Falle einer Umgangsgewährung zu erwartenden Auswirkungen auf das Kind zu beurteilen. Das Oberlandesgericht fügte hinzu, dass es nach Anhörung der Beteiligten und auf der Grundlage der schriftlichen Stellungnahme der Verfahrenspflegerin des Kindes, einer ihm aus anderen Verfahren als erfahren bekannten Psychologin, über diese Fragen selbst entscheiden könne.

25. Hinsichtlich des Auskunftsantrags des Beschwerdeführers äußerte sich das Oberlandesgericht wie folgt:

„Der mit Schriftsatz seiner Verfahrensbevollmächtigten vom 21.11.2012 hilfsweise verfolgte Auskunftsantrag besteht nicht. Ein Anspruch folgt nicht aus § 1686 S. 1 BGB, da der Antragstellernicht – wie von der Vorschrift vorausgesetzt – der rechtliche Vater des Kindes […] ist. Ob die Vorschrift im Hinblick auf die genannten Entscheidungen des EGMR […] dahin ausgelegt werden kann, dass ein Auskunftsrecht auch für den (allein) leiblichen Vater besteht, kann dahinstehen. Denn dazu müsste als Vorfrage geklärt werden, ob der Antragsteller überhaupt der leibliche Vater des Kindes ist. Dass deren eindeutige Klärung durch ein Abstammungsgutachten dem Wohl des Kindes […] widerspricht, wurde bereits dargelegt.“

26. Am 11. Februar 2013 wies das Oberlandesgericht die Anhörungsrüge des Beschwerdeführers zurück.

3. Das Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht

27. Zuvor, am 28. Januar 2013, hatte der Beschwerdeführer Verfassungsbeschwerde zum Bundesverfassungsgericht erhoben (1 BvR 844/13).

28. Am 18. Juli 2013 teilte das Bundesverfassungsgericht dem Beschwerdeführer mit, dass am 13. Juli 2013 das Gesetz zur Stärkung der Rechte des leiblichen, nicht rechtlichen Vaters in Kraft getreten sei, das nunmehr die Möglichkeit vorsehe, leiblichen Vätern gemäß § 1686a BGB auch dann ein Umgangs- und Auskunftsrecht zu gewähren, wenn keine sozial-familiäre Beziehung zu dem Kind vorliege (siehe Rdnr. 32). Es fügte hinzu, dass in einem gerichtlichen Verfahren zur Durchsetzung dieser Rechte als Vorfrage auch die Klärung der Vaterschaft gemäß § 167a Abs. 2 notwendig sein könne (siehe Rdnr. 33). Es erkundigte sich bei dem Beschwerdeführer, ob er die Verfassungsbeschwerde unter diesen Umständen zurücknehmen wolle.

29. Am 13. August 2013 teilte der Beschwerdeführer mit, er werde seine Verfassungsbeschwerde aufrecht erhalten, weil er auch nach dem neuen Recht keine günstigere Entscheidung hätte erlangen können. Er wies darauf hin, dass das Oberlandesgericht seinen Umgangsantrag zurückgewiesen habe, weil der Umgang selbst unter der Annahme, er sei der leibliche Vater des Kindes, nicht dem Wohle des Kindes diene. Das Oberlandesgericht habe seine Entscheidung daher bereits im Lichte des neuen § 1686a BGB getroffen. Der Beschwerdeführer fügte hinzu, dass dieselbe Begründung auch für seinen Auskunftsantrag gelte. Da das Oberlandesgericht der Auffassung sei, dass die Feststellung der Vaterschaft den Familienverband gefährden würde, würde es mit der Begründung, den rechtlichen Eltern könne gemäß § 167a Abs. 2 des Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit (FamFG) keine Untersuchung zugemutet werden, von der Anordnung einer Untersuchungsmaßnahme absehen.

30. Am 21. September 2014 lehnte es das Bundesverfassungsgericht ohne Angabe von Gründen ab, die Verfassungsbeschwerde des Beschwerdeführers zur Entscheidung anzunehmen.

II. EINSCHLÄGIGES INNERSTAATLICHES RECHT UND EINSCHLÄGIGE INNERSTAATLICHE PRAXIS

31. Das zur maßgeblichen Zeit geltende innerstaatliche Recht ist in der Rechtssache S. ./. Deutschland (a.a.O., Rdnrn. 29 bis 37) zusammengefasst.

32. Die einschlägigen Passagen von § 1686a BGB, wie seit 13. Juli 2013 in Kraft, lauten wie folgt:

„(1) Solange die Vaterschaft eines anderen Mannes besteht, hat der leibliche Vater, der ernsthaftes Interesse an dem Kind gezeigt hat,

1. ein Recht auf Umgang mit dem Kind, wenn der Umgang dem Kindeswohl dient, und

2. ein Recht auf Auskunft von jedem Elternteil über die persönlichen Verhältnisse des Kindes, soweit er ein berechtigtes Interesse hat und dies dem Wohl des Kindes nicht widerspricht.

…“

33. Die einschlägigen Passagen von § 167a FamFG, in der Fassung vom 4. Juli 2013 (in Kraft seit 13. Juli 2013), lauten wie folgt:

„(1) Anträge auf Erteilung des Umgangs- oder Auskunftsrechts nach § 1686a des Bürgerlichen Gesetzbuchs sind nur zulässig, wenn der Antragsteller an Eides statt versichert, der Mutter des Kindes während der Empfängniszeit beigewohnt zu haben.

(2) Soweit es in einem Verfahren, das das Umgangs- oder Auskunftsrecht nach § 1686a des Bürgerlichen Gesetzbuchs betrifft, zur Klärung der leiblichen Vaterschaft erforderlich ist, hat jede Person Untersuchungen, insbesondere die Entnahme von Blutproben, zu dulden, es sei denn, dass ihr die Untersuchung nicht zugemutet werden kann.

…“

34. In einer Entscheidung vom 19. November 2014 (1 BvR 2843/14) stellte das Bundesverfassungsgericht fest, dass die Anordnung eines Vaterschaftstests einen Eingriff in das Familienleben der bestehenden Familie darstelle. Die Gewährung eines Umgangs- oder Auskunftsrechts gemäß § 1686a BGB setze neben der leiblichen Vaterschaft voraus, dass der Antragsteller ein ernsthaftes Interesse an dem Kind gezeigt habe, dass der Umgang dem Kindeswohl diene oder die Auskunft dem Wohl des Kindes nicht widerspreche und dass der Beschwerdeführer ein berechtigtes Interesse an der Auskunft habe. § 1686a lege jedoch nicht fest, in welcher Reihenfolge das Gericht die Voraussetzungen zu klären habe. Gleichzeitig müsse die Reihenfolge der Klärung berücksichtigen, dass ein Eingriff in die Grundrechte einer Person nur dann zulässig sei, wenn er notwendig sei. Unter Bezugnahme auf seine Entscheidung vom 17. Dezember 2013 (1 BvL 6/10) betonte das Bundesverfassungsgericht, dass das zuständige Gericht zur Vermeidung eines unnötigen Eingriffs in das Recht auf Familienleben der bestehenden Familie einen Vaterschaftstests möglicherweise erst dann anordnen werde, wenn die sonstigen Voraussetzungen der Bestimmungen erfüllt seien. Wenn jedoch die Klärung der übrigen Voraussetzungen dieser Bestimmung für die Betroffenen sehr belastend sei, werde das Gericht möglicherweise zunächst einen Vaterschaftstest anordnen. Bei der Beurteilung der Schwere der Beeinträchtigung des Familienlebens sei die Frage, ob die Vaterschaft zwischen den Parteien streitig sei, von besonderer Bedeutung.

35. Am 5. Oktober 2016 befand der Bundesgerichtshof (XII ZB 280/15) im Hinblick auf das Umgangsrecht des leiblichen Vaters gemäß § 1686a Abs. 1 BGB, dass allein der Umstand, dass die rechtlichen Eltern dem biologischen Vater ablehnend gegenüberstünden und den Umgang ablehnten, nicht genüge, um dem biologischen Vater Umgangsrechte zu verweigern. Im Lichte von Artikel 8 der Konvention dürfe der biologische Vater nicht generell als “Störenfried der behüteten rechtlichen Familie” angesehen und damit die Vermutung etabliert werden, dass der Umgang allein deswegen dem Kindeswohl abträglich sei, weil er das Beziehungsgefüge zwischen den Familienmitgliedern beeinträchtige. Wenn die ablehnende Haltung der rechtlichen Eltern, die das Kindeswohl beeinträchtigen könnte, der einzige Grund für die Versagung des Umgangs sei, sei eine strenge und umfassende Prüfung erforderlich.

RECHTLICHE WÜRDIGUNG

I. RÜGE WEGEN DER VERSAGUNG VON UMGANGSRECHTEN

36. Der Beschwerdeführer rügte, dass die Entscheidung der innerstaatlichen Gerichte, ihm den Umgang mit dem Kind zu versagen, sein Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens nach Artikel 8 der Konvention verletze. Er brachte ferner vor, dass die innerstaatlichen Gerichte die maßgeblichen Tatsachen bezüglich seiner Beziehung zu seiner Tochter, insbesondere die Vaterschaft, nicht ausreichend untersucht und somit Artikel 8 i.V.m. Artikel 6 der Konvention verletzt hätten.

37. Der Gerichtshof ist der Auffassung, dass die Rüge allein nach Artikel 8 zu prüfen ist, der, soweit maßgeblich, wie folgt lautet:

„1. Jede Person hat das Recht auf Achtung ihres Privat- und Familienlebens …

2. Eine Behörde darf in die Ausübung dieses Rechts nur eingreifen, soweit der Eingriff gesetzlich vorgesehen und in einer demokratischen Gesellschaft notwendig ist für … zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer.“

38. Der Beschwerdeführer brachte vor, dass das Oberlandesgericht grundsätzlich der sozialen Familie Vorrang einräume, ohne die betroffenen unterschiedlichen Interessen zu berücksichtigen und ohne eine ergebnisoffene Abwägung dieser Interessen vorzunehmen. Er rügte, dass das Oberlandesgericht keinen begleiteten Umgang in Betracht gezogen und kein Sachverständigengutachten zu der Frage eingeholt habe, ob ein Umgang dem Kindeswohl dienen würde.

39. Der Gerichtshof ist der Auffassung, dass die Weigerung des Oberlandesgerichts, dem Beschwerdeführer Umgang zu gewähren, einen Eingriff zumindest in sein Recht auf Privatleben darstellte (A., Rdnr. 58; S., Rdnr. 90, a.a.O.). Er stellt darüber hinaus fest, dass es für die Entscheidung des Oberlandesgerichts eine gesetzliche Grundlage im innerstaatlichen Recht gab und die Entscheidung den Schutz der Rechte und Freiheiten des Kindes zum Ziel hatte.

40. Hinsichtlich der Frage, ob der Eingriff „in einer demokratischen Gesellschaft notwendig“ war, verweist der Gerichtshof auf die in seiner Rechtsprechung festgelegten Grundsätze. Er weist insbesondere erneut darauf hin, dass Artikel 8 dahin ausgelegt werden kann, dass er den Mitgliedstaaten die Verpflichtung auferlegt, zu prüfen, ob es dem Kindeswohl dient, dem biologischen Vater den Aufbau einer Beziehung zu seinem Kind zu ermöglichen, insbesondere durch die Gewährung eines Umgangsrechts (A., a.a.O., Rdnrn. 67 bis 73; S., a.a.O., Rdnrn. 95 bis 105; und A. ./. Deutschland, Individualbeschwerde Nr. 45071/09, Rdnr. 74, 22. März 2012). Dies kann gegebenenfalls bedeuten, dass in einem Umgangsverfahren die leibliche – im Gegensatz zur rechtlichen – Vaterschaft festzustellen ist, wenn unter den besonderen Umständen der Rechtssache davon ausgegangen wird, dass ein Umgang zwischen dem mutmaßlichen leiblichen Vater – angenommen, dass er tatsächlich der leibliche Vater des Kindes ist – und dem Kind dem Kindeswohl dienen würde (siehe S., a.a.O., Rdnr. 103; und K. ./. Deutschland, Individualbeschwerde Nr. 23338/09, Rdnr. 76, 22. März 2012).

41. Der Gerichtshof weist auch erneut darauf hin, dass der Beurteilungsspielraum der Mitgliedstaaten hinsichtlich der Festlegung der Rechtsstellung eines Kindes groß, hinsichtlich der Umgangsfragen und Auskunftsrechte jedoch begrenzt ist (A.I. ./. Polen, Individualbeschwerde Nr. 28609/08, Rdnr. 68, 18. Februar 2014; L.D. und P.K. ./. Bulgarien, Individualbeschwerden Nrn. 7949/11 und 45522/13, Rdnr. 59, 8. Dezember 2016). Jedoch wird der Beurteilungsspielraum in der Regel groß sein, wenn der Staat einen Ausgleich zwischen widerstreitenden öffentlichen und privaten Interessen oder Konventionsrechten herbeiführen muss (S.H. u. a. ./. Österreich [GK], Individualbeschwerde Nr. 57813/00, Rdnr. 94, 3. November 2011; Mandet ./. Frankreich, Individualbeschwerde Nr. 30955/12, Rdnr. 52, 14. Januar 2016, mit weiteren Nachweisen).

42. Der Gerichtshof stellt zunächst fest, dass das Oberlandesgericht die Auffassung vertrat, dass der Beschwerdeführer nach dem zur damaligen Zeit geltenden deutschen Zivilrecht kein Umgangsrecht beanspruchen könne, weil er weder der rechtliche Vater des Kindes sei noch tatsächliche Verantwortung für das Kind getragen habe. Der Gerichtshof stellt weiter fest, dass das Oberlandesgericht hinsichtlich der Möglichkeit, Umgangsrechte, in Anbetracht der Urteile des Gerichtshofs in den Rechtssachen A. und S., auf die mutmaßliche biologische Vaterschaft des Beschwerdeführers zu stützen, befand, dass die Feststellung der biologischen Vaterschaft gegen den Willen der rechtlichen Eltern dem Kindeswohl abträglich sei, dass diese Frage jedoch offen gelassen werden könne, da ein Umgang mit dem Beschwerdeführer in jedem Fall das Kindeswohl gefährden würde, weil zwischen den rechtlichen Eltern und dem Beschwerdeführer tief liegende Konflikte bestünden und der Beschwerdeführer nicht ausgeschlossen habe, dem Kind zu erzählen, dass er sein leiblicher Vater sei. Das Oberlandesgericht führte also zutreffende Gründe für seine Entscheidung an.

43. Hinsichtlich der Entscheidungsfindung stellt der Gerichtshof erstens fest, dass der Beschwerdeführer persönlich unmittelbar an dem Verfahren beteiligt und anwaltlich vertreten war. Zweitens stellt er fest, dass das Oberlandesgericht nicht nur den Beschwerdeführer, sondern auch das Kind und die rechtlichen Eltern des Kindes anhörte. Darüber hinaus berücksichtigte das Oberlandesgericht bei seiner das Umgangsrecht versagenden Entscheidung die gesamte familiäre Situation und berief sich auf eine umfangreiche schriftliche Stellungnahme der Verfahrenspflegerin des Kindes, einer erfahrenen Psychologin. Es gibt daher keine Anhaltspunkte dafür, dass die Richter des Oberlandesgerichts ihre Feststellungen auf typisierte Argumente zugunsten sozialer Familien stützten. Darüber hinaus trifft zwar zu, dass das Oberlandesgericht den Antrag des Beschwerdeführers auf Feststellung der Vaterschaft ablehnte, jedoch hält der Gerichtshof es auch für zutreffend, dass ein Gericht die Anordnung eines Vaterschaftstests in Fällen ablehnen durfte, in denen die übrigen Umgangsvoraussetzungen nicht erfüllt waren (vgl. S., a.a.O., Rdnr. 103; siehe auch Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, Rdnr. 34). Der Gerichtshof ist daher überzeugt, dass die prozessuale Herangehensweise des Oberlandesgerichts in dieser Hinsicht angemessen war.

44. Im Hinblick auf die vorstehenden Ausführungen ist der Gerichtshof überzeugt, dass die innerstaatlichen Gerichte für ihre Entscheidung, dem Beschwerdeführer Umgangsrechte zu versagen, hinreichende Gründe angeführt haben, und dem Beschwerdeführer den erforderlichen Schutz seiner Interessen zuteilwerden ließen.

45. Die Rüge des Beschwerdeführers ist deshalb offensichtlich unbegründet und nach Artikel 35 Abs. 3 Buchstabe a und Abs. 4 der Konvention zurückzuweisen.

II. RÜGE BEZÜGLICH DER VERWEIGERUNG VON AUSKÜNFTEN ÜBER DAS KIND

46. Der Beschwerdeführer rügte, dass er durch die Entscheidung der innerstaatlichen Gerichte, ihm Auskünfte über die persönlichen Verhältnisse des Kindes zu versagen, in seinem Recht auf Achtung seines Privat- und Familienlebens verletzt worden sei. Er brachte ferner vor, dass die innerstaatlichen Gerichte die maßgeblichen Tatsachen bezüglich seiner Beziehung zu seiner Tochter, insbesondere die Vaterschaft, nicht ausreichend untersucht und somit Artikel 8 i.V.m. Artikel 6 der Konvention verletzt hätten. Der Gerichtshof ist der Ansicht, dass die Rüge allein nach Artikel 8 der Konvention zu prüfen ist.

47. Die Regierung trat diesem Vorbringen entgegen.

A. Zulässigkeit

48. Der Gerichtshof stellt fest, dass diese Rüge nicht im Sinne von Artikel 35 Abs. 3 Buchstabe a der Konvention offensichtlich unbegründet ist. Sie ist auch nicht aus anderen Gründen unzulässig. Folglich ist sie für zulässig zu erklären.

B. Begründetheit

1. Die Stellungnahmen der Parteien

a) Der Beschwerdeführer

49. Der Beschwerdeführer war der Ansicht, dass es für die Entscheidung, mit der ihm Auskünfte über das Kind Y. verweigert worden seien, keine Rechtsgrundlage gebe, denn § 1686 BGB sei nur auf die Eltern des Kindes anwendbar. Außerdem verfolge die Entscheidung weder ein legitimes Ziel, noch sei sie in einer demokratischen Gesellschaft notwendig. Das Oberlandesgericht habe lediglich festgestellt, dass die gerichtliche Feststellung der Vaterschaft, zusammen mit der Gewährung von Umgangsrechten, den Familienverband gefährden würde, aber nicht festgestellt, dass das Recht, Auskünfte über das Kind zu erhalten, dem Kindeswohl widerspreche. Darüber hinaus hätte das Oberlandesgericht die Beweiserhebung über die Vaterschaft des Beschwerdeführers auch auf informelle Weise durchführen können.

50. Der Beschwerdeführer betonte, dass das Oberlandesgericht seine Vaterschaft für wahrscheinlich und die gegenteiligen Behauptungen der Kindesmutter für nicht überzeugend halte. Er habe während der Empfängniszeit mit der Mutter Geschlechtsverkehr gehabt, seine Vaterschaft öffentlich bekannt gemacht, die Mutter 2006 im Krankenhaus besucht, bis Februar oder März 2007 mit der Mutter in Kontakt gestanden und erhebliche Beweismittel zur Bestätigung seiner Vaterschaft vorgelegt.

51. Die Annahme des Oberlandesgerichts, der Familienverband würde zerbrechen, sei daher reine Spekulation und beruhe nicht auf tragfähigen Beweisen. Diesbezüglich stellte der Beschwerdeführer fest, dass der Ehemann der Mutter nie erklärt habe, warum er ungeachtet der vorgelegten Beweise angebe, der Vater des Kindes zu sein. Er habe auch nie erklärt, dass er die Mutter im Falle einer Feststellung der Vaterschaft verlassen würde. Die Behauptung der rechtlichen Eltern, der Ehemann von X vertraue den Angaben der Mutter hinsichtlich seiner Vaterschaft, sei prozesstaktisch bedingt, um Umgangs- und Auskunftsansprüche zu verhindern.

52. Der Beschwerdeführer rügte abschließend, dass das Oberlandesgericht, entgegen dem Vorbringen der Regierung, seine die Auskunftsansprüche versagende Entscheidung nicht auf die schriftliche Stellungnahme der Verfahrenspflegerin des Kindes gestützt habe. In jedem Fall habe ein Verfahrenspfleger nicht dieselbe Funktion wie ein gerichtlich bestellter Sachverständiger.

b) Die Regierung

53. Die Regierung räumte ein, dass die angegriffene Entscheidung in das Recht des Beschwerdeführers auf Achtung seines Privatlebens und möglicherweise auch seines Familienlebens eingegriffen habe. Sie stützte sich auf § 1686 in der zur maßgeblichen Zeit geltenden Fassung. Gleichzeitig habe das Oberlandesgericht diese Vorschrift in Anbetracht der Urteile des Gerichtshofs in den Rechtssachen S. und A. (a.a.O.) dahin ausgelegt, dass sie auch auf Fälle anwendbar sei, in denen der leibliche Vater Auskünfte über sein Kind wünsche. Die Entscheidung des Oberlandesgerichts habe das Ziel verfolgt, das Kindeswohl und die Rechte der rechtlichen Eltern und ihrer Kinder schützen, und sei in einer demokratischen Gesellschaft notwendig gewesen.

54. Die Regierung betonte, dass ein Recht auf Auskunftserteilung über die Entwicklung des Kindes gegen den Willen der rechtlichen Eltern nur dann gewährt werden könne, wenn der Antragsteller eine enge rechtliche oder biologische Beziehung zu dem Kind habe. In dem vorliegenden Fall sei – anders als in der Rechtssache S., in der die deutschen Gerichte ihre Entscheidung unter der Annahme getroffen hätten, der Beschwerdeführer sei der leibliche Vater – nicht festgestellt worden, dass der Beschwerdeführer der leibliche Vater von Y. sei. Daher sei dem Recht des Kindes auf Schutz seines Privatlebens in diesem Fall Vorrang einzuräumen. Der Beschwerdeführer habe keinen Anspruch auf Beweis der Vaterschaft, weil dies dem Kindeswohl widersprechen würde.

55. Die Regierung vertrat die Auffassung, dass die Feststellung der Vaterschaft nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs nicht immer Vorrang vor den Interessen der übrigen Beteiligten habe (Jäggi ./. Schweiz, Individualbeschwerde Nr. 58757/00, Rdnr. 38, 13. Juli 2006), und die innerstaatlichen Behörden der Privatsphäre und den familiären Interessen einer rechtlichen (Adoptiv-)Familie größeres Geweicht beimessen könnten (I.S. ./. Deutschland, Individualbeschwerde Nr. 31021/08, Rdnr. 86, 5. Juni 2014). Bei der Abwägung der verschiedenen betroffenen Interessen sei das Kindeswohl entscheidend (K., a.a.O., Rdnr. 64, K. und T. ./. Finland [GK], Individualbeschwerde Nr. 25702/94, Rdnr. 135, 12. Juli 2001). Das Oberlandesgericht habe seine Feststellungen nicht auf typisierte Argumente zugunsten sozialer Familien, sondern auf eine gründliche und genaue Analyse der familiären Situation, insbesondere der Rolle des Kindes im Familienverband und der Rolle, die der Ehemann der Mutter gegenüber dem Kind einnehme, gestützt. Das Gericht sei zu seiner Entscheidung gelangt, nachdem es alle Beteiligten angehört habe, und habe sich auf die Stellungnahme der Verfahrenspflegerin, einer erfahrenen Psychologin, gestützt. Daher gebe es keine Anhaltspunkte dafür, dass der Entscheidungsprozess nicht fair gewesen sei.

56. Die Regierung vertrat schließlich die Auffassung, dass das Oberlandesgericht auch unter der ab 13. Juli 2013 geltenden Rechtslage zu der gleichen Entscheidung gelangt wäre. Nach § 167a Abs. 2 FamFG liege es im Ermessen des Gerichts, ob die biologische Vaterschaft oder die Frage des Kindeswohls zuerst geprüft werde. Die Vaterschaftsfeststellung könne abgelehnt werden, wenn sie der zu untersuchenden Person nicht zugemutet werden könne. Diesbezüglich betonte die Regierung, dass die Unzumutbarkeit sowohl im Hinblick auf die Art der Untersuchung als auch auf die Folgen der Untersuchung für die untersuchte Person und ihre Angehörigen zu beurteilen sei.

2. Würdigung durch den Gerichtshof

57. Der Gerichtshof merkt einleitend an, dass zwischen den Parteien unstreitig ist, dass die angegriffene Entscheidung einen Eingriff in das Recht des Beschwerdeführers auf Achtung seines Privatlebens darstellte. Unter Berücksichtigung seiner Rechtsprechung in Fällen, in denen er zu entscheiden hatte, ob ein beabsichtigtes Familienleben unter Artikel 8 fiel (vgl. S., a.a.O., Rdnrn. 79 bis 90), kommt er zu dem Schluss, dass die Entscheidung des Oberlandesgerichts, dem Beschwerdeführer Auskünfte über Y. zu verweigern, in Anbetracht der besonderen Umstände der Rechtssache in sein Recht auf Achtung seines Privatlebens eingriff (ebda. Rdnr. 90).

58. Dieser Eingriff verstößt gegen Artikel 8, es sei denn, er ist „gesetzlich vorgesehen“, verfolgt ein oder mehrere Ziele, die nach Absatz 2 dieser Bestimmung legitim sind, und kann als „in einer demokratischen Gesellschaft notwendig“ angesehen werden.

59. Das Oberlandesgericht stützte seine Entscheidung, dem Beschwerdeführer Auskünfte über Y. zu verweigern, auf § 1686 BGB und ließ die Frage offen, ob eine andere Schlussfolgerung gezogen werden könne, wenn diese Bestimmung im Lichte der Rechtsprechung des Gerichtshofs ausgelegt werde. Die Entscheidung verfolgte das Ziel, das Wohl des Kindes und die Rechte seiner rechtlichen Eltern zu schützen. Sie erging daher zum Schutz ihrer „Rechte und Freiheiten“ und verfolgte somit ein legitimes Ziel im Sinne von Artikel 8 Abs. 2.

60. Hinsichtlich der Frage, ob der Eingriff „in einer demokratischen Gesellschaft notwendig“ war, verweist der Gerichtshof auf die in seiner erwähnten Rechtsprechung (siehe Rdnrn. 40 bis 41) festgelegten Grundsätze. Der Gerichtshof möchte insbesondere erneut darauf hinweisen, dass die nationalen Behörden insoweit im Vorteil sind, als sie unmittelbaren Kontakt zu allen Beteiligten haben, und dass seine Aufgabe nicht darin besteht, an Stelle der nationalen Behörden deren Aufgaben in Fragen wahrzunehmen, die das Umgangsrecht oder Auskünfte über die persönliche Entwicklung des Kindes betreffen, sondern darin, im Lichte der Konvention die Entscheidungen zu überprüfen, die diese Behörden in Ausübung ihres Ermessens getroffen haben (A., a.a.O., Rdnr. 66, S., a.a.O., Rdnr. 94). Darüber hinaus sind auch die bestehenden Familienbande zwischen den Ehepartnern und den Kindern, für die sie tatsächlich sorgen, nach der Konvention schutzwürdig (vgl. A., a.a.O., Rdnr. 70; I.S. ./. Deutschland, a.a.O., Rdnr. 86; Krisztián Barnabás Tóth ./. Ungarn, Individualbeschwerde Nr. 48494/06, Rdnr. 35, 12. Februar 2013; Mandet, a.a.O., Rdnr. 56).

61. Der Gerichtshof stellt fest dass, das deutsche Familienrecht zum Zeitpunkt der Entscheidung des Oberlandesgerichts keine Möglichkeit vorsah, gerichtlich zu prüfen, ob eine Beziehung in Form eines Umgangs zwischen dem – mutmaßlichen – leiblichen Vater und seinem Kind oder in Form einer Erteilung von Auskünften über das Kind dem Kindeswohl dienlich wäre, wenn ein anderer Mann der rechtliche Vater des Kindes sei und der biologische Vater noch keine Verantwortung für das Kind getragen habe (vgl. S., a.a.O., Rdnr. 92).

62. Das Oberlandesgericht stützte die Verweigerung von Auskunftsrechten jedoch nicht auf eine fehlende Grundlage im innerstaatlichen Recht, sondern darauf, dass bereits die Klärung der Vorfrage, nämlich der Vaterschaft, dem Wohl des Kindes, das von den Behauptungen des Beschwerdeführers nichts wisse, widersprechen würde. Sollte die biologische Vaterschaft des Beschwerdeführers festgestellt werden, sei nicht auszuschließen, dass dies den bestehenden Familienverband zerstören würde, da der Ehemann der Mutter das Vertrauen in seine Ehefrau verlieren könnte.

63. Der Gerichtshof stellt fest, dass das Oberlandesgericht es für wahrscheinlicher hielt, dass der Beschwerdeführer, und nicht der Ehemann der Mutter, der leibliche Vater des Kindes sei. Nach Auffassung des Oberlandesgerichts habe letzterer womöglich Zweifel hinsichtlich seiner biologischen Vaterschaft, sei aber zu dem Schluss gelangt, mit dieser Ungewissheit leben zu können, und seine Haltung habe sich nicht negativ auf das Kind ausgewirkt. Das Oberlandesgericht war davon überzeugt, dass eine Feststellung der biologischen Vaterschaft des Beschwerdeführers gegen den Willen der Eheleute die Gefahr berge, dass ihre Ehe zerbrechen werde, wodurch das Wohl des Kindes, das seinen Familienverband und sein Beziehungsgefüge verlieren würde, gefährdet werde. Zu diesem Schluss gelangte das Oberlandesgericht, nachdem es die Einbindung des Kindes in die Familie, in der sich das Kind gut beschützt und aufgehoben fühle, und die Vaterrolle des Ehemannes der Mutter gründlich analysiert und dabei auch die zurückliegenden, mit dem Beschwerdeführer in Zusammenhang stehenden Schwierigkeiten und Krisen der Eheleute berücksichtigt hatte.

64. Der Gerichtshof stellt ferner fest, dass das Oberlandesgericht sich der Bedeutung bewusst gewesen sei, welche die Vaterschaftsfrage künftig, wenn das Kind beginne, Fragen nach seiner Herkunft zu stellen, für das Kind haben werde, war jedoch der Auffassung, dass es dem Wohl des sechsjährigen Kindes nicht entspreche, mit der Vaterschaftsfrage konfrontiert zu werden.

65. Hinsichtlich der Entscheidungsfindung nimmt der Gerichtshof auf seine vorstehenden Erwägungen Bezug (siehe Rdnr. 43). Er weist insbesondere darauf hin, dass das Oberlandesgericht sich entgegen der Stellungnahme der Verfahrenspflegerin dafür entschied, das Kind anzuhören. Darüber hinaus konnte das Oberlandesgericht, auch wenn sich letztere in ihrer schriftlichen Stellungnahme nur mit der Vereinbarkeit eines Umgangsrechts mit dem Kindeswohl befasst hatte, der Stellungnahme auch relevante allgemeine Informationen über die Familie entnehmen, in der das Kind aufwuchs.

66. Der Gerichtshof ist deshalb der Auffassung, dass die Entscheidung des Oberlandesgerichts zum Wohle des Kindes getroffen wurde, und ist davon überzeugt, dass das Oberlandesgericht zutreffende und ausreichende Gründe nicht nur für die Verweigerung von Umgangsrechten (siehe Rdnrn. 42 bis 45), sondern auch dafür angeführt hat, es abzulehnen, den Eltern des Kindes aufzugeben, dem Beschwerdeführer Auskünfte über das Kind zu erteilen. In diesem Zusammenhang trifft zu, dass das Oberlandesgericht sich nicht eigens mit dem Recht auf Auskunftserteilung befasst hat. Insbesondere hat es der Frage, ob die Verpflichtung, dem Beschwerdeführer Auskünfte über das Kind zu erteilen, sich erheblich auf das Recht der Eheleute auf Achtung ihres Familienlebens auswirken würde, kein Gewicht beigemessen. Jedoch kann der Gerichtshof die Argumentation des Oberlandesgerichts, die sich darauf stützte, dass die Feststellung der Vaterschaft, die notwendige Voraussetzung für die Gewährung von Auskunftsrechten sei, negative Folgen für das Kind haben würde (siehe Rdnr. 25), unter den konkreten Umständen der vorliegenden Rechtssache akzeptieren.

67. Im Hinblick auf diese Erwägungen und unter Berücksichtigung der Subsidiaritätsregel des Gerichtshofs sowie des Beurteilungsspielraums des Staates ist der Gerichtshof überzeugt, dass die innerstaatlichen Gerichte für ihre Entscheidung, dem Beschwerdeführer Auskunftsrechte zu versagen, hinreichende Gründe anführten und dem Beschwerdeführer den erforderlichen Schutz seiner Interessen zuteilwerden ließen.

68. Folglich ist Artikel 8 der Konvention nicht verletzt worden.

AUS DIESEN GRÜNDEN ENTSCHEIDET DER GERICHTSHOF EINSTIMMIG:

1. Die Rüge bezüglich des Rechts auf Auskunftserteilung wird für zulässig und die Individualbeschwerde im Übrigen für unzulässig erklärt;

2. Artikel 8 der Konvention ist nicht verletzt worden.

Ausgefertigt in Englisch und schriftlich zugestellt am 26. Juli 2018 nach Artikel 77 Abs. 2 und 3 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs.

Claudia Westerdiek                                 Erik Møse
Kanzlerin                                                Präsident

Zuletzt aktualisiert am Dezember 5, 2020 von eurogesetze

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