Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte
FÜNFTE SEKTION
ENTSCHEIDUNG
Beschwerde Nr. 42773/08
S. gegen Deutschland
Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (Fünfte Sektion), der am 8. Januar 2013 als Ausschuss zusammengetreten ist, der sich aus folgenden Richtern und Richterinnen zusammensetzt:
Ganna Yudkivska, Präsidentin,
Angelika Nußberger,
André Potocki,
und von Stephen Phillips, stellvertretender Kanzler,
aufgrund der vorerwähnten Beschwerde, die am 4. September 2008 erhoben worden ist,
aufgrund der förmlichen Erklärungen über die in der Rechtssache erzielte gütliche Einigung,
hat nach Beratung die folgende Entscheidung erlassen:
SACHVERHALT UND VERFAHREN
1. Die Beschwerdeführerin […] ist eine Aktiengesellschaft österreichischen Rechts mit Sitz in Wien (Österreich). Sie wird vor dem Gerichtshof von Frau W., Rechtsanwältin in Wien, vertreten. Die deutsche Regierung („die Regierung“) wird von einem ihrer Verfahrensbevollmächtigten, Herrn Hans-Jörg Behrens vom Bundesministerium der Justiz, vertreten.
Nachdem die österreichische Regierung von ihrem Recht zur Abgabe einer Stellungnahme unterrichtet worden war, hat diese keine Absicht zur Teilnahme am Verfahren bekundet.
2. Die Umstände des Falles, so wie sie von der Beschwerdeführerin dargelegt worden sind, können wie folgt zusammengefasst werden.
1. Der Hintergrund des Falles
3. Die Beschwerdeführerin ist Verlegerin der österreichischen Tageszeitung […]. Das vorliegende Verfahren betrifft die Veröffentlichung eines Presseartikels in dieser Tageszeitung über X, einen namhaften deutschen Fernsehdarsteller. Von Mai bis November 2003 spielte X die Rolle des Kommissars Y, den Titelhelden einer vom Privatfernsehen bis 2005 im Abendprogramm ausgestrahlten Fernsehkrimiserie. Am 23. September 2004 wurde X auf dem Münchner Oktoberfest wegen Kokainbesitzes festgenommen(siehe zu Einzelheiten die Rechtssache A. ./. Deutschland [GK], Nr. 39954/08, Rdnrn. 9-10, 7. Februar 2012).
4. In ihrer Ausgabe vom 29. September 2004 veröffentlichte die auflagenstarke deutsche Tageszeitung […] einen Artikel über die Festnahme von X unter Angabe seines Vor- und Nachnamens. In diesem Artikel nahm die […]Zeitung auf Äußerungen des Staatsanwalts W. von der Staatsanwaltschaft München Bezug, die dieser gegenüber einer Journalistin von […] gemacht hatte. Am selben Tag berichteten Presseagenturen und andere Zeitungen und Zeitschriften von der Festnahme des X. Staatsanwalt W. bestätigte im Laufe des Tages gegenüber anderen Printmedien und Fernsehsendern die von der Tageszeitung […]berichteten Vorgänge (siehe A. a.a.O., Rdnrn. 13-14).
5. Das Landgericht Hamburg und das Hanseatische Oberlandesgericht Hamburg, die von X angerufen wurden, untersagten jede weitere Veröffentlichung des nahezu gesamten Artikels der […]Zeitung. Die Beschwerden, die das Verlagshaus, welches die […]Zeitung herausgibt, vor dem Bundesgerichtshof und dem Bundesverfassungsgericht eingelegt hat, blieben erfolglos (A., a.a.O., Rdnrn. 18-37 und 45).
6. Mit Urteil vom 7. Februar 2012 stellte der Gerichtshof eine Verletzung des Artikels 10 der Konvention fest (A., a.a.O, Rdnr. 111).
2. Die Umstände in der vorliegenden Sache
7. Am 2. Oktober 2004 verbreitete die Beschwerdeführerin auf ihrer Internetseite einen Artikel, wonach der TV-Kommissar Y alias X beim Münchner Oktoberfest mit Kokain erwischt worden ist, die Staatsanwaltschaft München entsprechende Presseartikel vom 29. September 2004 bestätigt hat und X kurzzeitig festgenommen worden ist, als er die Toilette verließ. Im Artikel hieß es weiter, dass Polizeibeamte einen Rest von 0,23 Gramm Kokain in den Taschen des Schauspielers gefunden hätten und dass vor Abschluss der polizeilichen Ermittlungen noch nicht klar sei, ob es zu einer Anklage wegen des Verhaltens von X komme. Der Artikel erinnerte daran, dass X schon einmal wegen eines Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz festgenommen worden war, als er sich nach einem Urlaub in Brasilien im Jahr 1999 einen Brief mit drei Gramm Kokain an seine Münchener Adresse geschickt hatte.Der Schauspieler war damals zu fünf Monaten Haft auf Bewährung und ca. 5.000 Euro Geldstrafe verurteilt worden.
8. Das von X angerufene Landgericht Hamburg untersagte am 9. Juni 2006 jede weitere Veröffentlichung des streitgegenständlichen Artikels. Das Hanseatische Oberlandesgericht Hamburg wies die Berufung der Beschwerdeführerin am 24. Juli 2007 zurück.
9. Am 31. August 2007 hat die Beschwerdeführerin vor dem Bundesverfassungsgericht Verfassungsbeschwerde erhoben. Sie wies darauf hin, ihr sei bekannt, dass das Bundesverfassungsgericht die Verfassungsbeschwerde eines Verlages gegen ein Urteil des Hanseatischen Oberlandesgerichts Hamburg, mit dem das Gericht die Untersagung der weiteren Veröffentlichung einer Berichterstattung über die Festnahme von X beim Oktoberfest bestätigt hatte, am 13. Juni 2006 nicht zur Entscheidung angenommen hatte (1 BvR 1097/06).Sie war aber der Auffassung, dass das gegen sie verhängte Veröffentlichungsverbot gegen Artikel 10 der Konvention verstoße und sie verpflichtet sei, diesen Rechtsweg vor der anschließenden Anrufung des Gerichtshofes zu erschöpfen.
10. Am 5. März 2008 hat eine mit drei Richtern besetzte Kammer des Bundesverfassungsgerichts die Verfassungsbeschwerde der Beschwerdeführerin nicht zur Entscheidung angenommen (1 BvR 2264/07).
RÜGE
11. Unter Bezugnahme auf Artikel 10 der Konvention rügt die Beschwerdeführerin das gegen sie ergangene Verbot, über die Festnahme von X zu berichten, ohne dessen Namen geheim zu halten.
RECHTLCHE WÜRDIGUNG
12. Am 29. Oktober 2012 sind beim Gerichtshof Erklärungen der Parteien über eine gütliche Einigung eingegangen.Mit diesen Erklärungen hat sich die Regierung verpflichtet, der Beschwerdeführerin den Betrag von 28.000 EUR (achtundzwanzigtausend Euro) zu zahlen, und die Beschwerdeführerin hat auf die Geltendmachung weiterer Forderungen gegen die Bundesrepublik Deutschland im Zusammenhang mit dem ihrer Individualbeschwerde zugrundeliegenden Sachverhalt verzichtet. Mit diesem Betrag seien alle materiellen und immateriellen Schäden sowie Kosten und Auslagen abgegolten. Am 26. November 2012 hat die Beschwerdeführerin den Gerichtshof davon unterrichtet, dass die Regierung ihrer Verpflichtung nachgekommen ist und den Gerichtshof ersucht hat, die Rechtssache im Register zu streichen.
13. Der Gerichtshof nimmt die von den Parteien getroffene gütliche Einigung zur Kenntnis. Er ist der Auffassung, dass diese Einigung auf der Grundlage der Achtung der Menschenrechte getroffen wurde, wie sie in der Konvention und den Protokollen dazu anerkannt sind, und sieht im Übrigen keine Gründe der öffentlichen Ordnung, die eine weitere Prüfung der Beschwerde rechtfertigen (Artikel 37 Absatz 1 in fine der Konvention).
Infolgedessen ist die Rechtssache gemäß Artikel 39 der Konvention im Register zu streichen.
Aus diesen Gründen beschließt der Gerichtshof einstimmig,
die Beschwerde im Register zu streichen;
Stephen Phillips Ganna Yudkivska
Stellvertretender Kanzler Präsidentin
Zuletzt aktualisiert am Januar 3, 2021 von eurogesetze
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