TOMEO gegen Deutschland (Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte) Individualbeschwerde Nr. 27081/09

Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte
FÜNFTE SEKTION
ENTSCHEIDUNG
Individualbeschwerde Nr. 27081/09
T. ./: Deutschland

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (Fünfte Sektion) hat in seiner Sitzung am 19. März 2013 als Ausschuss mit den Richterinnen und dem Richter

Boštjan M. Zupančič, Präsident,
Angelika Nußberger,
Helena Jäderblom,
sowie Stephen Phillips, stellvertretender Sektionskanzler,

im Hinblick auf die oben genannte Individualbeschwerde, die am 18. Mai 2009 erhoben wurde,

mit Blick auf die am 17. Oktober 2012 von der beschwerdegegnerischen Regierung vorgelegte Erklärung, mit der sie den Gerichtshof ersucht, die Beschwerde im Register zu streichen, und die Erwiderung des Beschwerdeführers auf diese Erklärung,

nach Beratung wie folgt entschieden:

SACHVERHALT UND VERFAHREN

Der 19.. geborene Beschwerdeführer, T., ist deutscher Staatsangehöriger und war bis zur Anordnung seiner Freilassung am 14. Dezember 2011 in der Justizvollzugsanstalt B. untergebracht. Vor dem Gerichtshof wurde er von Herrn S., Rechtsanwalt in O., vertreten.

Die deutsche Regierung („die Regierung“) wurde durch einen ihrer Verfahrens-bevollmächtigten, Herrn Ministerialrat H.-J. Behrens vom Bundesministerium der Justiz, vertreten.

Die Beschwerde war der Regierung zugestellt worden.

A. Die Umstände der Rechtssache

Der von den Parteien vorgebrachte Sachverhalt lässt sich wie folgt zusammenfassen.

1. Die Anordnung der Sicherungsverwahrung des Beschwerdeführers und deren Vollzug

Am 20. März 1990 verurteilte das Landgericht Rottweil den Beschwerdeführer wegen sexueller Nötigung in vier Fällen, begangen im Juli 1989 gegen einen geistig behinderten 20 Jahre alten Mann und einen 22-jährigen Mann. Es verurteilte ihn zu einer Freiheitsstrafe von sechs Jahren und sechs Monaten und ordnete seine Sicherungsverwahrung nach § 66 StGB an (siehe „Das einschlägige innerstaatliche Recht“, unten).

Ab dem 12. September 1996 befand sich der Beschwerdeführer nach vollständiger Verbüßung seiner Freiheitsstrafe erstmals in der Sicherungsverwahrung, die zunächst in der Justizvollzugsanstalt F. vollstreckt wurde. Am 12. September 2006 waren zehn Jahre Sicherungsverwahrung abgelaufen.

Am 19. Dezember 2006 ordnete das Landgericht Freiburg die Fortdauer der Sicherungsverwahrung des Beschwerdeführers an.

2. Das in Rede stehende Verfahren

a) Der Beschluss des Landgerichts Freiburg

Am 5. Januar 2009 ordnete das Landgericht Freiburg erneut die Fortdauer der mit Urteil des Landgerichts Rottweil verhängten und in der Justizvollzugsanstalt F. vollzogenen Sicherungsverwahrung des Beschwerdeführers an. Unter Berufung auf § 67d Abs. 3 StGB (siehe „Einschlägiges innerstaatliches Recht“, unten) stellte das Gericht fest, dass weiterhin die Gefahr bestehe, dass der Beschwerdeführer, wenn er freigelassen würde, infolge seines Hanges erhebliche Sexualstraftaten begehen werde, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt würden.

Das Landgericht hatte bei dem psychiatrischen Sachverständigen R. ein kriminalprognostisches Gutachten über den Beschwerdeführer eingeholt. In seinem Gutachten vom 27. September 2008 war der Sachverständige zu der Einschätzung gelangt, dass der Beschwerdeführer an einer narzisstischen und dissozialen Persönlichkeitsstörung leide, die für die früheren schweren Sexualstraftaten ursächlich gewesen sei. Das Landgericht machte sich die Feststellungen des Sachverständigen zu eigen und schätzte die Gefahr, dass der Beschwerdeführer weitere erhebliche Sexualstraftaten begehen werde, die denen entsprechen, derer er für schuldig befunden worden war, auf über 50 % ein. Unter diesen Umständen sei die Fortdauer der Sicherungsverwahrung des Beschwerdeführers über die Zehnjahresfrist hinaus auch verhältnismäßig.

b) Der Beschluss des Oberlandesgerichts Karlsruhe

Am 6. Februar 2009 verwarf das Oberlandesgericht Karlsruhe, unter Bestätigung der vom Landgericht vorgebrachten Gründe, die Beschwerde des Beschwerdeführers.

c) Der Beschluss des Bundesverfassungsgerichts

Am 8. April 2009 lehnte es das Bundesverfassungsgericht ab, dem Beschwerdeführer Prozesskostenhilfe zu bewilligen und ihm einen Anwalt beizuordnen; es nahm die Verfassungsbeschwerde des Beschwerdeführers gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts vom 18. Februar 2009 nicht zur Entscheidung an (Az. 2 BvR 454/09).

3. Weitere Entwicklungen

Am 14. Dezember 2011 erklärte das Oberlandesgericht Karlsruhe die Sicherungsverwahrung des Beschwerdeführers für erledigt. Der Beschwerdeführer wurde freigelassen.

B. Das einschlägige innerstaatliche Recht

Ein umfassender Überblick über die Bestimmungen des Strafgesetzbuchs und der Strafprozessordnung zur Unterscheidung zwischen Strafen und Maßregeln der Besserung und Sicherung, insbesondere der Sicherungsverwahrung, sowie zum Erlass, zur Überprüfung und zum praktischen Vollzug von Anordnungen der Sicherungsverwahrung ist im Urteil des Gerichtshofs in der Rechtssache M../.Deutschland (Individualbeschwerde Nr. 19359/04, Rdnrn. 45-78, EGMR 2009) enthalten. Die in der vorliegenden Rechtssache wichtigsten Bestimmungen lauten wie folgt:

1. Die Anordnung der Sicherungsverwahrung durch das erkennende Gericht

Das erkennende Gericht kann im Zeitpunkt der Verurteilung des Straftäters unter bestimmten Umständen neben der Freiheitsstrafe die Sicherungsverwahrung, eine sogenannte Maßregel der Besserung und Sicherung, anordnen, wenn sich herausgestellt hat, dass der Täter für die Allgemeinheit gefährlich ist (§ 66 StGB).

2. Gerichtliche Überprüfung und Dauer der Sicherungsverwahrung

Nach § 67d Abs. 1 StGB in der vor dem 31. Januar 1998 geltenden Fassung durfte die Dauer der ersten Unterbringung in der Sicherungsverwahrung nicht über zehn Jahre hinausgehen. War die Höchstfrist abgelaufen, war der Untergebrachte zu entlassen (§ 67d Abs. 3).

§ 67d StGB wurde durch das Gesetz zur Bekämpfung von Sexualdelikten und anderen gefährlichen Straftaten vom 26. Januar 1998, das am 31. Januar 1998 in Kraft trat, geändert. § 67d Abs. 3, in der geänderten zur maßgeblichen Zeit geltenden Fassung, sieht vor, dass das Gericht, wenn zehn Jahre der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung vollzogen worden sind, die Maßregel (nur dann) für erledigt erklärt, wenn nicht die Gefahr besteht, dass der Untergebrachte infolge seines Hanges erhebliche Straftaten begehen wird, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden. Die frühere Höchstdauer der erstmaligen Unterbringung in der Sicherungsverwahrung wurde aufgehoben. Nach Artikel 1a Abs. 3 des Einführungsgesetzes zum Strafgesetzbuch (EGStGB) war die geänderte Fassung von § 67d Abs. 3 StGB zeitlich uneingeschränkt anzuwenden.

RÜGEN

Der Beschwerdeführer rügte nach Artikel 3 der Konvention, dass seine seit über zwölf Jahren andauernde Unterbringung in der Sicherungsverwahrung unter Verletzung von § 67d Abs. 3 StGB und die Art ihrer Vollstreckung (insbesondere die Versagung einer angemessenen therapeutischen Behandlung und die Verhängung zahlreicher Disziplinarmaßnahmen) unverhältnismäßig und rechtswidrig gewesen seien und Folter oder einer unmenschlichen Behandlung gleichkämen.

Unter Berufung auf Artikel 1, 2 und 6 der Konvention beanstandete der Beschwerdeführer ferner, dass sein Recht auf ein faires Verfahren und das Verbot der doppelten Bestrafung verletzt worden seien. Insbesondere sei er aufgrund unzureichender Sachverständigengutachten als für die Allgemeinheit gefährlich eingestuft worden.

RECHTLICHE WÜRDIGUNG

A. Die auf die Fortdauer der Sicherungsverwahrung gerichtete Rüge des Beschwerdeführers

Der Beschwerdeführer rügte nach Artikel 3 der Konvention insbesondere, dass seine seit über zwölf Jahren andauernde Unterbringung in der Sicherungsverwahrung unter Verletzung von § 67d Abs. 3 StGB rechtswidrig gewesen sei.

Der Gerichtshof ist der Auffassung, dass dieser Teil der Rüge nach Artikel 5 Abs. 1 der Konvention zu prüfen ist, der, soweit maßgeblich, lautet:

„1. Jede Person hat das Recht auf Freiheit und Sicherheit. Die Freiheit darf nur in den folgenden Fällen und nur auf die gesetzlich vorgeschriebene Weise entzogen werden:

a) rechtmäßige Freiheitsentziehung nach Verurteilung durch ein zuständiges Gericht;…“

e)rechtmäßige Freiheitsentziehung mit dem Ziel, die Verbreitung ansteckender Krankheiten zu verhindern, sowie bei psychisch Kranken, Alkohol- oder Rauschgiftsüchtigen und Landstreichern; […]“

1. Die Stellungnahmen der Parteien

Nach gescheiterten Verhandlungen über eine gütliche Einigung nach Artikel 39 der Konvention unterrichtete die Regierung den Gerichtshof mit Schreiben vom 17. Oktober 2012 von ihrem Vorschlag, eine einseitige Erklärung zur Erledigung der in der Beschwerde aufgeworfenen Frage abzugeben. Ferner beantragte sie, die Beschwerde gemäß Artikel 37 der Konvention im Register zu streichen.

Die Erklärung lautete wie folgt:

„1. Die vom Gerichtshof vorgeschlagene gütliche Einigung ist gescheitert, da sie vom Beschwerdeführer abgelehnt wurde.

2. Die Bundesregierung möchte – durch eine einseitige Erklärung – anerkennen, dass es den Beschwerdeführer in seinen Rechten aus Artikel 5 der Konvention verletzt hat, dass er über den 12. September 2006 hinaus und somit länger als zehn Jahre in der Sicherungsverwahrung untergebracht war.

3. Die Bundesregierung ist bereit, eine Entschädigung in Höhe von 23.000 Euroan den Beschwerdeführer zu leisten, wenn der Gerichtshof das Individualbeschwerdeverfahren unter der Bedingung der Zahlung dieses Betrages gemäß Artikel 37 Abs. 1 Buchstabe c der Konvention aus dem Register streicht. Damit würden sämtliche Ansprüche des Beschwerdeführers wegen konventionswidriger Unterbringung in der Sicherungsverwahrung, Kosten und Auslagen als abgegolten gelten.

Der Betrag ist zahlbar innerhalb von drei Monaten nach Endgültigkeit der Entscheidung des Gerichtshofs über die Streichung der Rechtssache aus seinem Register.“

Die Regierung wies auch darauf hin, dass die Rechtsprechung des Gerichtshofs zu Artikel 5 der Konvention in der Rechtssache M. ./. Deutschland.(a. a. O.), die in weiteren Parallelfällen bestätigt wurde, insbesondere durch das Leiturteil des Bundesverfassungsgerichts vom 4. Mai 2011 (Az. 2 BvR 2365/09 u. a.) mittlerweile umgesetzt worden ist. Entsprechend dem in diesem Urteil enthaltenen Auftrag wurde dem Bundestag darüber hinaus ein neuer Gesetzentwurf zur Neuordnung der Sicherungsverwahrung in ganz Deutschland vorgelegt.

Mit Schreiben vom 23. November 2012 teilte der Beschwerdeführer mit, dass er den Bedingungen der einseitigen Erklärung nicht zustimme, weil die von der Regierung vorgeschlagene Entschädigung unzureichend sei. Er verlangte eine Entschädigung für immateriellen Schaden in Höhe von 85.500 Euro.

2. Würdigung durch den Gerichtshof

Der Gerichtshof stellt eingangs fest, dass sich die Parteien im vorliegenden Fall nicht auf eine gütliche Einigung verständigen konnten. Er erinnert daran, dass Verfahren zur Erzielung einer gütlichen Einigung nach Artikel 39 Abs. 2 der Konvention vertraulich sind und Artikel 62 Abs. 2 der Verfahrensordnung darüber hinaus bestimmt, dass im Rahmen dieser Verhandlungen geäußerte schriftliche oder mündliche Mitteilungen, Angebote oder Eingeständnisse im streitigen Verfahren nicht erwähnt oder geltend gemacht werden dürfen. Die Regierung hat die Erklärung vom 17. Oktober 2012 jedoch nicht im Rahmen eines Verfahrens zur Erzielung einer gütlichen Einigung abgegeben (vgl. Artikel 62A Abs. 1 Buchstabe c der Verfahrensordnung des Gerichtshofs und z. B. RechtssachenAkman ./. Türkei (Streichung), Individualbeschwerde Nr. 37453/97, Rdnr.26, EGMR 2001‑VI; G. ./. Deutschland (Entsch.), Individualbeschwerde Nr. 34909/04, 13 Mai 2008).

Der Gerichtshof erinnert daran, dass er nach Artikel 37 der Konvention jederzeit während des Verfahrens entscheiden kann, eine Beschwerde in seinem Register zu streichen, wenn die Umstände Grund zu einer der in Absatz 1 Buchstabe a, b oder c genannten Annahmen geben. Insbesondere kann der Gerichtshof nach Artikel 37 Abs. 1 Buchstabe c eine Rechtssache in seinem Register streichen, wenn „eine weitere Prüfung der Beschwerde aus anderen vom Gerichtshof festgestellten Gründen nicht gerechtfertigt ist.“

Er erinnert ferner daran, dass er unter bestimmten Umständen eine Beschwerde nach Artikel 37 Abs. 1 Buchstabe c auch dann aufgrund einer einseitigen Erklärung einer beschwerdegegnerischen Regierung streichen kann, wenn der Beschwerdeführer die weitere Prüfung der Rechtssache wünscht (siehe Artikel 62A Abs. 3 der Verfahrensordnung und Rechtssachen Tahsin Acar ./. Türkei (vorab zu entscheidende Frage) [GK],Individualbeschwerde Nr. 26307/95, Rdnr. 75, EGMR 2003-VI; Sulwińska ./. Polen (Entsch.), Individualbeschwerde Nr. 28953/03, 18. September 2007).

Zu diesem Zweck prüft der Gerichtshof die Erklärung sorgfältig im Lichte der Grundsätze, die sich aus seiner Rechtsprechung ergeben, insbesondere das Urteil in der Rechtssache Tahsin Acar (Tahsin Acar,a. a. O. Rdnrn. 75-77; siehe auch Spółka z.o.o. Waza ./. Polen (Entsch.) Individualbeschwerde Nr. 11602/02, 26. Juni 2007), und die in Artikel 62A kodifiziert sind.

Der Gerichtshof hat in einer Vielzahl von gegen Deutschland vorgebrachten Fällen die Art und den Umfang der Verpflichtungen bestimmt, die sich für den beschwerdegegnerischen Staat aus Artikel 5 Abs. 1 der Konvention hinsichtlich der fortdauernden Sicherungsverwahrung eines Beschwerdeführers über die Zehnjahresfrist hinaus in den Fällen ergeben, in denen diese die Höchstdauer einer solchen Freiheitsentziehung nach den zur Zeit der Tat und der Verurteilung geltenden Rechtsvorschriften darstellte (siehe insbesondere M. ./. Deutschland, a. a. O., Rdnrn. 79, 92-105; und K. ./. Deutschland, Individualbeschwerde Nr. 17792/07, Rdnrn. 37, 47-59, 13. Januar 2011; S. ./. Deutschland, Individualbeschwerden Nrn. 27360/04 und 42225/07, Rdnrn. 45, 52-58, 13. Januar 2011; M. ./. Deutschland , Individualbeschwerde Nr. 20008/07, Rdnrn. 32, 38-46, 13. Januar 2011; J. ./. Deutschland , Individualbeschwerde Nr. 30060/04, Rdnrn. 26, 32-39, 14. April 2011; O.H. ./. Deutschland , Individualbeschwerde Nr. 4646/08, Rdnrn. 56, 80-95, 24. November 2011; und K. ./. Deutschland , Individualbeschwerde Nr. 21906/09, Rdnrn. 46, 73-88, 19. Januar 2012).

Mit Blick auf die Art des in der einseitigen Erklärung der Regierung enthaltenen Eingeständnisses nimmt der Gerichtshof zur Kenntnis, dass die Regierung klar anerkannt hat, dass die Sicherungsverwahrung des Beschwerdeführers in dem in vorliegender Individualbeschwerde in Rede stehenden Zeitraum gegen Artikel 5 der Konvention verstoßen hat (siehe Artikel 62A Abs. 1 Buchstabe b der Verfahrensordnung).

Im Hinblick auf die Frage, ob der beschwerdegegnerische Staat sich verpflichtet hat, angemessene Wiedergutmachung zu leisten und gegebenenfalls notwendige Abhilfemaßnahmen zu treffen (Artikel 62A Abs. 1 Buchstabe b der Verfahrensordnung; siehe auch Tahsin Acar,a. a. O., Rdnr. 76), ist der Gerichtshof darüber hinaus zum einen der Auffassung, dass die Entschädigungssumme, die die Regierung vorgeschlagen hat, um dem Beschwerdeführer Wiedergutmachung zu leisten, den Beträgen entspricht, die in vergleichbaren Fällen zugesprochen worden sind (siehe oben). Der Gerichtshof legt die Erklärung der Regierung dahingehend aus, dass die vorgeschlagene Entschädigungssumme binnen drei Monaten nach Zustellung der gemäß Artikel 37 Abs. 1 der Konvention ergangenen Entscheidung des Gerichtshofs zu zahlen ist und dass, sollte nicht innerhalb dieses Zeitraums gezahlt werden, für den genannten Betrag einfache Zinsen in Höhe eines Zinssatzes anfallen, der dem Spitzenrefinanzierungssatz der Europäischen Zentralbank zuzüglich drei Prozentpunkten entspricht.

Zum anderen stellt der Gerichtshof fest, dass das Bundesverfassungsgericht im Anschluss an das Urteil des Gerichtshofs in der Rechtssache M. ./. Deutschland vom 17. Dezember 2009 (a. a. O.), das nach den hier in Rede stehenden Entscheidungen der nationalen Gerichte erging, in einem Leiturteil vom 4. Mai 2011 entschieden hat, dass alle Vorschriften über die nachträgliche Verlängerung der Sicherungsverwahrung mit dem Grundgesetz unvereinbar seien. Das Bundesverfassungsgericht wies die Strafvollstreckungsgerichte überdies an, die Freiheitsentziehung der Betroffenen, deren Sicherungsverwahrung nachträglich verlängert worden war, unverzüglich zu überprüfen. Mit seinem Urteil hat das Bundesverfassungsgericht die Feststellungen des Gerichtshofs in seinem vorgenannten Urteil M. ./. Deutschland über die deutsche Sicherungsverwahrung in die innerstaatliche Rechtsordnung umgesetzt (siehe O.H. ./. Deutschland, a. a. O., Rdnrn. 68, 117‑119; und K., a. a. O., Rdnrn. 59, 101-103). Der Gerichtshof möchte hinzufügen, dass der Beschwerdeführer nicht mehr in konventionswidriger Sicherungsverwahrung untergebracht ist, weil diese am 14. Dezember 2011 für erledigt erklärt worden ist.

Dementsprechend ist der Gerichtshof der Ansicht, dass eine weitere Prüfung dieses Teils der Beschwerde nicht länger gerechtfertigt ist (Artikel 37 Abs. 1 Buchstabe c).

Darüber hinaus ist der Gerichtshof im Lichte der vorstehenden Erwägungen und insbesondere in Anbetracht des Umstands, dass er Art und Umfang der Verpflichtungen, die sich aus Artikel 5 für den beschwerdegegnerischen Staat ergeben, in einer Vielzahl früherer vergleichbarer Fälle klargestellt hat, überzeugt, dass die Achtung der Menschenrechte, wie sie in der Konvention und den Protokollen dazu definiert sind, keine weitere Prüfung dieses Teils der Beschwerde erfordert (Artikel 37 Abs. 1in fine).

Überdies ist mit der Entscheidung des Gerichtshofs dieser Teil der Beschwerde nur insoweit endgültig erledigt, als der Beschwerdeführer infolge des hier in Rede stehenden innerstaatlichen Gerichtsverfahrens über die frühere Zehnjahresfrist hinaus in der Sicherungsverwahrung untergebracht war.

Schließlich weist der Gerichtshof erneut darauf hin, dass das Ministerkomitee nach Artikel 46 Abs. 2 und Artikel 39 Abs. 4 der Konvention nur zuständig ist, die Durchführung seiner endgültigen Urteile und der gütlichen Einigungen zu überwachen. Sollte der beschwerdegegnerische Staat sich jedoch nicht an den Wortlaut seiner einseitigen Erklärung halten, könnte die Wiedereintragung der Beschwerde im Register nach Artikel 37 Absatz 2 der Konvention angeordnet werden (siehe, z. B. Josipović ./. Serbien (Entsch.), Individualbeschwerde Nr. 18369/07, 4. März 2008).

In Anbetracht der vorstehenden Ausführungen ist es angezeigt, diesen Teil der Beschwerde im Register zu streichen.

B. Die übrigen Rügen des Beschwerdeführers

Unter Berufung auf Artikel 3 der Konvention trug der Beschwerdeführer ferner vor, dass seine seit über zwölf Jahren andauernde Unterbringung in der Sicherungsverwahrung und die Art ihrer Vollstreckung (insbesondere die Versagung einer angemessenen therapeutischen Behandlung und die Verhängung zahlreicher Disziplinarmaßnahmen) unverhältnismäßig gewesen seien und Folter oder einer unmenschlichen Behandlung gleichkämen.

Darüber hinaus rügte der Beschwerdeführer nach Artikel 1, 2 und 6 der Konvention, dass sein Recht auf ein faires Verfahren und das Verbot der doppelten Bestrafung verletzt worden seien. Insbesondere sei er aufgrund unzureichender Sachverständigengutachten als für die Allgemeinheit gefährlich eingestuft worden.

Der Gerichtshof hat die übrigen von dem Beschwerdeführer vorgebrachten Rügen geprüft. Unter Berücksichtigung aller ihm zur Verfügung stehenden Unterlagen stellt der Gerichtshof jedoch fest, dass diese Rügen selbst unter der Annahme, dass sie ratione personae mit den Bestimmungen der Konvention vereinbar sind und der innerstaatliche Rechtsweg in jeder Hinsicht ausgeschöpft worden ist, keine Anzeichen für eine Verletzung der in der Konvention oder den Protokollen dazu bezeichneten Rechte und Freiheiten erkennen lassen.

Daraus folgt, dass die Individualbeschwerde im Übrigen nach Artikel 35 Abs. 3 Buchstabe a und Absatz 4 der Konvention als offensichtlich unbegründet zurückzuweisen ist.

Aus diesen Gründen entscheidet der Gerichtshof einstimmig:

Er nimmt den Wortlaut der Erklärung der beschwerdegegnerischen Regierung in Bezug auf die nach Artikel 5 Abs. 1 der Konvention zu prüfende Rüge des Beschwerdeführers wegen der Fortdauer seiner Sicherungsverwahrung über einen Zeitraum von zehn Jahren hinaus, die in dem in Rede stehende Verfahren angeordnet worden war, sowie die Modalitäten für die Erfüllung der in darin enthaltenen Verpflichtungen zur Kenntnis;

er beschließt,die Individualbeschwerde gemäß Artikel 37 Abs. 1 Buchstabe c der Konvention in seinem Register zu streichen, soweit sie die vorstehend genannte Rüge zum Gegenstand hat,

und erklärt die Individualbeschwerde im Übrigen für unzulässig.

Stephen Phillips                                      Ganna Yudkivska
Stellvertretender Kanzler                            Präsidentin

Zuletzt aktualisiert am Januar 3, 2021 von eurogesetze

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