Allgemeine Politik-Empfehlung Nr. 4 von ECRI: Nationale Erhebungen über die Erfahrung und Wahrnehmung von Diskriminierung und Rassismus aus Sicht der potenziellen Opfer. verabschiedet am 6. März 1998

Europäische Kommission gegen Rassismus und Intoleranz

Allgemeine Politik-Empfehlung Nr. 4 von ECRI: Nationale Erhebungen über die Erfahrung und Wahrnehmung von Diskriminierung und Rassismus aus Sicht der potenziellen Opfer

verabschiedet am 6. März 1998

Straßburg, 1998

Die Europäische Kommission gegen Rassismus und Intoleranz:

unter Hinweis auf die Erklärung der Staats- und Regierungschefs der Mitgliedstaaten des Europarates bei ihrem Gipfel am 8. und 9. Oktober 1993 in Wien;

unter Hinweis darauf, dass das Ministerkomitee in dem Aktionsplan zur Bekämpfung von Rassismus, Fremdenhass, Antisemitismus und Intoleranz, der Teil dieser Erklärung ist, aufgefordert wurde, die Europäische Kommission gegen Rassismus und Intoleranz unter anderem mit einem Mandat zur Formulierung allgemeiner politischer Empfehlungen an die Mitgliedstaaten einzusetzen;

unter Hinweis auf die Schlusserklärung und den Aktionsplan, den die Staats- und Regierungschefs der Mitgliedstaaten des Europarates bei ihrem zweiten Gipfel am 10. und 11. Oktober 1997 in Straßburg verabschiedeten;

unter Hervorhebung, dass in dieser Schlusserklärung das Ziel der Mitgliedstaaten des Europarates bekräftigt wurde, eine freiere, tolerantere und gerechtere europäische Gesellschaft aufzubauen und eine verstärkte Bekämpfung von Rassismus, Fremdenhass, Antisemitismus und Intoleranz gefordert wird;

unter Hinweis darauf, dass in der allgemeinen politischen Empfehlung Nr.1 ECRI die Staaten aufforderte, in Einklang mit den europäischen Gesetzen, Verordnungen und Empfehlungen über Datenschutz und Schutz der Privatsphäre, falls angemessen, Daten zu erheben, die zur Einschätzung und Bewertung der Lage und der Erfahrungen

von Gruppen beitragen, die besonders Rassismus, Fremdenhass, Antisemitismus und Intoleranz ausgesetzt sind;

unter Hervorhebung, dass statistische Daten über rassistische und diskriminierende Handlungen und über die Situation der Minderheitengruppen in allen Bereichen des Lebens unerlässlich für die Identifizierung der Probleme und die Formulierung der Politik sind;

in der Überzeugung, dass solche statistische Daten durch Daten über Einstellungen, Meinungen und Wahrnehmungen zu ergänzen sind;

in der Erwägung, dass zusätzlich zu den Erhebungen in der breiten Öffentlichkeit, gezielte Erhebungen, die die Erfahrungen und Wahrnehmungen potenzieller Opfer von Rassismus und Diskriminierung sammeln, eine innovative und wertvolle Informationsquelle darstellen;

in der Erwägung, dass die Ergebnisse solcher Erhebungen in vielerlei Art und Weise dazu dienen können, die Probleme aufzuzeigen und die Situation zu verbessern;

in der Erwägung, dass die Anerkennung des Wertes der Erfahrungen und Wahrnehmungen potenzieller Opfer eine wichtige Botschaft sowohl an die gesamte Bevölkerung als auch an die betroffenen Gruppen selbst ist;

begrüßend, dass solche Erhebungen bereits in einer Reihe von Mitglied-staaten durchgeführt werden;

feststellend, dass solche Erhebungen in Europa sowohl auf nationaler als auch auf europäischer Ebene ein detaillierteres Bild der Lage in bezug auf Rassismus und Diskriminierung vermitteln würden:

empfiehlt den Regierungen der Mitgliedstaaten, Maßnahmen zu ergreifen, um sicherzustellen, dass nationale Erhebungen über die Erfahrung und die Wahrnehmung von Rassismus und Diskriminierung aus Sicht der potenziellen Opfer durchgeführt werden, die sich auf die Leitlinien im Anhang der Empfehlung stützen.

Anhang zur allgemeinen politischen Empfehlung Nr. 4 von ECRI

Leitlinien für die Organisation von Erhebungen

über die Erfahrung und die Wahrnehmung von Rassismus

und Diskriminierung aus Sicht der potenziellen Opfer

I. Allgemeine Ziele solcher Erhebungen

1. Ziel der in dieser Empfehlung beschriebenen Erhebungen ist es, sich ein Bild der Probleme des Rassismus und Intoleranz aus Sicht der tatsächlichen und potenziellen Opfer zu machen. Dieser innovative Ansatz beinhaltet eine Erhebung bei den Mitgliedern verschiedener Gruppen, die rassistischen, fremdenfeindlichen, antisemitischen und intoleranten Handlungen ausgesetzt sind. In den Erhebungen wird nach ihren Erfahrungen mit Rassismus und Diskriminierung gefragt und danach, wie sie verschiedene Aspekte der Gesellschaft erleben. Die erhobenen Daten betreffen daher die Wahrnehmungen und Erfahrungen der Mitglieder der betroffenen Gruppen. Sie können die Fülle der Daten über rassistische Zwischenfälle und das Ausmaß der Diskriminierung in verschiedenen Bereichen, sowie Daten über Meinungen und Einstellungen der Mehrheitsbevölkerung gegenüber Minderheitengruppen sowie Rassismus und Intoleranz ergänzen.

II. Praktische Durchführung der Erhebungen

2. Die Erstellung und Durchführung solcher Erhebungen kann den Forschern oder Instituten, die bereits über eine gewisse Erfahrung im Bereich Rassismus und Intoleranz verfügen, übertragen werden. Die praktische Arbeit kann von Meinungsforschungsinstituten durchgeführt werden.

3. Die Auswahl der „Kategorien“ von Minderheitengruppen in der Erhebung hängt von den Umständen in dem jeweiligen Land ab. So können z.B. Einwanderergruppen, nationale Minderheiten und/oder andere betroffene Gruppen eingeschlossen werden.

4. Bei der Auswahl der Gruppen, die als „Kategorien“ aufgenommen werden, können Faktoren wie Größe der Zielbevölkerung und Informationen über die Diskriminierung der jeweiligen Gruppe (z.B. Beschäftigungsstatistik, Informationen über Beschwerden wegen Diskriminierung) berücksichtigt werden.

5. Es erscheint angebracht zu sein, „Kontroll“- oder „Kontrast“-Gruppen zum Vergleich heranzuziehen: So könnte z.B. eine Minderheitengruppe, die normalerweise keine großen Probleme mit Diskriminierung und Rassismus zu haben scheint, in die Erhebung aufgenommen werden.

6. Eine gute Bevölkerungsstatistik einschließlich Informationen über Variablen wie Geburtsort, ethnischer Ursprung, Religion, Muttersprache, Staatsbürgschaft usw. erleichtern die Organisation solcher Erhebungen. Wenn diese Daten nicht zur Verfügung stehen, sind alternative Mittel zur Identifizierung und Befragung der betroffenen Personen zu finden.

7. Es ist zu berücksichtigen, dass einige Gruppen, die besonders durch Rassismus und Diskriminierung gefährdet sind, z.B. illegale Einwanderer, in solchen Erhebungen nur sehr schwer zu erfassen sind.

III. Entwurf der Erhebung

8. Abgesehen von den Fragen über den sozio-ökonomischen Hintergrund und andere Fakten lassen sich die Fragen in der Erhebung in folgende Kategorien unterteilen:

– Fragen über konkrete Situationen, wie Kontakte zu verschiedenen Behörden (z.B. Polizei, Gesundheitsdienst, Sozialdienst, Bildungsinstitutionen) sowie anderen Institutionen (z.B. Banken, Wohnungsämtern) und Einrichtungen (z.B. Arbeitgeber, Restaurants, Freizeiteinrichtungen, Geschäfte). Die Fragen können beispielsweise lauten: Wie oft wurden die Befragten in einem bestimmten Zeitraum (z.B. letztes Jahr oder in den letzten fünf Jahren) Opfer ungerechter Behandlung aufgrund ihrer Zugehörigkeit zu einer Minderheitengruppe und wie sah diese ungerechte Behandlung aus.

– Fragen nach der Möglichkeit, die die Betroffenen sehen, sich gleichberechtigt an der Gesellschaft zu beteiligen, der Kenntnis spezifischer Maßnahmen zur Verbesserung der Lage der Minderheitengruppen und inwieweit solche Möglichkeiten genutzt wurden (z.B. schulische Erfolge, Berufsausbildung und Beschäftigungsmöglichkeiten)

– Fragen nach der Wahrnehmung und Einstellung: Hier können folgende Themen angesprochen werden: Vertrauen in die Institutionen, Einstellung gegenüber Zuwanderungs- und Minderheitenpolitik, Einschätzung des Landes als rassistisches oder fremdenfeindliches Land, Probleme in Zusammenhang mit Religion, Einstellung gegenüber anderen Gruppen, Schwierigkeiten Kontakte mit der Mehrheitsbevölkerung zu knüpfen, Identifizierung mit dem Gastland und dem Ursprungsland, Bleibe- oder Rückkehrpläne, der Ort, an dem der Befragte sich am ehesten „zu Hause“ fühlt, usw. Durch die Einbeziehung dieser Themen kann ein interessanter Zusammenhang zwischen der erfahrenen Diskriminierung und den verschiedenen Einstellungen und Wahrnehmungen aufgezeigt werden.

9. Es ist festzustellen, dass solche Fragen hauptsächlich Daten über subjektive Erfahrungen der Diskriminierung liefern. Auf alle Fälle ist es extrem schwierig, die Diskriminierung objektiv und „in vivo“ zu untersuchen, da sie überall stattfinden kann. Berichte über subjektiv erfahrene Diskriminierung sind verläßliche Indikatoren, insbesondere wenn sie vor dem Hintergrund anderer Informationen wie Arbeitslosenstatistik, Polizeiberichte, vorgebrachten Beschwerden usw. beurteilt werden.

IV. Follow-up der Erhebungen

10. Nach einer gewissen Zeit können Folgeerhebungen durchgeführt werden, um die veränderten Formen der Diskriminierung und des Rassismus zu beurteilen oder andere Gruppen einzuschließen.

11. Die Ergebnisse der Erhebung können unterschiedlich verwendet werden, z.B. zur Hervorhebung von Bereichen, in denen großer Handlungsbedarf besteht; zur Auswertung und Ausarbeitung einer Politik, in der die Erfahrungen und Anliegen der betroffenen Gruppen berücksichtigt werden; zur Sensibilisierung der Öffentlichkeit, damit sie die Probleme der Diskriminierung aus Sicht der Opfer besser versteht; zur Sensibilisierung derjenigen, die in diesen Bereichen tätig sind, dafür wie ihre Institutionen und Praktiken von den Minderheitengruppen empfunden werden (z.B. Polizei, Arbeitgeber, Dienstleistungsanbieter usw.).

Zuletzt aktualisiert am September 19, 2021 von eurogesetze

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