Allgemeine Politik-Empfehlung Nr. 9 von ECRI : Bekämpfung des Antisemitismus. Verabschiedet am 25. Juni 2004. Straßburg, den 9. September 2004

Europäische Kommission gegen Rassismus und Intoleranz

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Allgemeine Politik-Empfehlung Nr. 9 von ECRI : Bekämpfung des Antisemitismus

Verabschiedet am 25. Juni 2004
Straßburg, den 9. September 2004

Die Europäische Kommission gegen Rassismus und Intoleranz:

Unter Hinweis auf Artikel 14 zur Europäischen Menschenrechtskonvention;

Unter Hinweis auf das Protokoll Nr. 12 zur Europäischen Menschenrechtskonvention, das ein allgemeines Diskriminierungsverbot enthält;

Unter Hinweis auf die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte und in Erinnerung daran, dass der Gerichtshof entschieden hat, dass die Negierung von unter dem nationalsozialistischen Regime begangenen Verbrechen gegen die Menschlichkeit eine der schwersten Formen von Rassendiffamierung und Aufhetzung zu Hass gegen die Juden sei und dass die Leugnung solcher Verbrechen gegen die Menschlichkeit und die Rechtfertigung einer Nazi-freundlichen Politik nicht unter den Schutz von Artikel 10 der Europäischen Menschenrechtskonvention fallen darf;

Unter Hinweis auf das Zusatzprotokoll zum Übereinkommen über Computerkriminalität betreffend die Strafbarkeit von rassistischen oder fremdenfeindlichen Taten, die mit Hilfe von Computersystemen verübt werden;

Unter Verweis auf die allgemeine Politik-Empfehlung Nr. 1 von ECRI über die Bekämpfung von Rassismus, Fremdenhass, Antisemitismus und Intoleranz und die allgemeine Politik-Empfehlung Nr. 2 von ECRI über Fachorgane zur Bekämpfung von Rassismus, Fremdenhass, Antisemitismus und Intoleranz auf nationaler Ebene;

Unter Hinweis auch auf die allgemeine Politik-Empfehlung Nr. 7 von ECRI über nationale Gesetzgebung zur Bekämpfung von Rassismus und Rassendiskriminierung, die die wichtigsten Elemente der geeigneten Rechtsinstrumente zur effektiven Bekämpfung von Rassismus und Rassendiskriminierung enthält;

Unter Berücksichtigung der Absichtserklärung über „Antisemitismus in Europa heute”, die die Teilnehmer der vom Generalsekretär des Europarats einberufenen Konsultation über Antisemitismus in Europa heute“ am 27. März 2000 in Straßburg verabschiedeten;;

Unter Verweis auf die Empfehlung (2001) 15 des Ministerkomitees an die Mitgliedstaaten über den Geschichtsunterricht im Europa des einundzwanzigsten Jahrhunderts, die von den Bildungsministern bei einem Ministerseminar im Oktober 2002 in Straßburg bestätigt wurde;

Unter Verweis auf die in der Charta der europäischen politischen Parteien für eine nicht-rassistische Gesellschaft enthaltenen Prinzipien;

Unter Berücksichtigung der Schlussfolgerungen der OSZE-Konferenzen über Antisemitismus, die am 19. und 20. Juni 2003 in Wien und am 28. und 29. April 2004 in Berlin stattfanden;

Unter Berücksichtigung der Arbeit der Europäischen Union zur Bekämpfung von Rassismus und Diskriminierung und der Schlussfolgerungen des Seminars „Europa gegen Antisemitismus, für eine Union in Vielfalt”, das am 19. Februar 2004 in Brüssel organisiert wurde;

Unter Hinweis darauf, dass das Erbe der europäischen Geschichte uns dazu verpflichtet, der Vergangenheit dadurch zu gedenken, dass wir wachsam bleiben und aktiv jede Erscheinungsform von Rassismus, Fremdenhass, Antisemitismus und Intoleranz bekämpfen;

Im Gedenken an die Opfer der systematischen Verfolgung und Vernichtung von Juden in der Shoah sowie der anderen Opfer von Rassenverfolgung und Vernichtung während des Zweiten Weltkrieges;

Im Gedenken an die jüdischen Opfer der Morde und systematischen Verfolgung unter den totalitären Regimen nach dem Zweiten Weltkrieg sowie der anderen Opfer dieser Politik;

Unter Hinweis darauf, dass der Europarat gegründet wurde, um gemeinsame und gerechte Werte zu verteidigen und zu fördern – insbesondere den Schutz und die Förderung der Menschenrechte – auf denen Europa nach den Schrecken des Zweiten Weltkrieges aufgebaut wurde;

Unter Hinweis darauf, dass die Bekämpfung von Rassismus, Fremdenhass, Antisemitismus und Intoleranz in dem Schutz und der Förderung der Menschenrechte verankert ist;

In der tiefen Überzeugung, dass die Bekämpfung von Antisemitismus zwar Aktionen erfordert, die seine besonderen Formen berücksichtigen, aber auch wesentlicher Bestandteil der Bekämpfung des Rassismus ist;

Unter Verweis darauf, dass der Antisemitismus jahrhundertlang in Europa andauerte;

Unter Hinweis auf den derzeitigen Anstieg des Antisemitismus in vielen europäischen Ländern und darauf, dass dieser Anstieg sich auch in neuen Erscheinungsformen zeigt;

Stellt fest, dass diese Erscheinungsformen oft mit zeitgenössischen internationalen Geschehnissen wie der Lage im Nahen Osten einhergehen;

Unterstreicht, dass es sich nicht ausschließlich um Taten von Randgruppen oder radikalen Gruppen handelt, sondern oft um allgemeine gesellschaftliche Phänomene, auch in Schulen, die immer häufiger als alltägliche Vorkommnisse wahrgenommen werden;

Stellt den häufigen Einsatz von Symbolen aus der Nazi-Zeit sowie Anspielungen auf die Shoah bei den heutigen Erscheinungsformen des Antisemitismus fest;

Hebt hervor, dass diese auf Erscheinungsformen in verschiedenen sozialen Gruppen und verschiedenen Gesellschaftsschichten zurückgehen;

Unter Hinweis darauf, dass die Opfer von Rassismus und Ausgrenzung in einigen europäischen Gesellschaften selbst manchmal zu Tätern von antisemitischen Handlungen werden;

Stellt fest, dass in einigen Ländern Antisemitismus auch in seinen neuen Formen weiterhin offen oder verdeckt von einigen politischen Parteien und Führern gefördert wird. Hierzu gehören nicht nur die extremistischen Parteien, sondern auch einige große Parteien;

In der Überzeugung, dass eine angemessene Antwort auf diese Phänomene nur durch konzertierte Bemühungen aller Akteure der europäischen Gesellschaft, einschließlich der Vertreter verschiedener Gemeinschaften, der religiösen Führer, der Organisationen der Zivilgesellschaft und anderer Schlüsselinstitutionen gefunden werden kann;

Unter Hinweis darauf, dass zur Bekämpfung von Antisemitismus auch die vollständige Umsetzung der Rechtsbestimmungen gegen Rassismus und Rassendiskriminierung gegenüber allen Tätern und zugunsten aller Opfer gehören sollte, unter besonderer Berücksichtigung der Bestimmungen gegen die Aufhetzung zu rassistisch motivierter Gewalt, Hass und Diskriminierung;

In der Überzeugung, dass diese Bemühungen außerdem die Förderung des Dialogs und der Kooperation zwischen den verschiedenen Teilen der Gesellschaft auf kommunaler und nationaler Ebene erfassen sollten, einschließlich des Dialogs und der Kooperation zwischen den verschiedenen kulturellen, ethnischen und religiösen Gemeinschaften;

Unter besonderer Berücksichtung der Rolle der Bildung bei der Förderung der Toleranz und der Achtung der Menschenrechte und damit gegen Antisemitismus;

Empfiehlt den Regierungen der Mitgliedstaaten:

– der Bekämpfung von Antisemitismus große Priorität einzuräumen und alle notwendigen Maßnahmen zu ergreifen, um alle seine Erscheinungsformen zu bekämpfen, unabhängig von ihrem Ursprung;

– sicherzustellen, dass Aktionen zur Bekämpfung von Antisemitismus in die Aktionen zur Bekämpfung von Rassismus aufgenommen werden;

– sicherzustellen, dass Antisemitismus auf allen Verwaltungsebenen bekämpft wird (national, regional, lokal) und viele Akteure aus verschiedenen Schichten der Gesellschaft (Politik, Recht, Wirtschaft, Soziales, Religion, Bildung) an diesen Bemühungen beteiligt werden;

– Gesetze zur Bekämpfung von Antisemitismus zu erlassen, unter Berücksichtigung der Vorschläge von ECRI in ihrer allgemeinen politischen Empfehlung Nr. 7 über nationale Gesetzgebung zur Bekämpfung von Rassismus und Rassendiskriminierung;

– sicherzustellen, dass das Gesetz bei allen Straftaten vorsieht, dass ein rassistischer Beweggrund ein strafverschärfender Umstand ist und hierzu auch antisemitische Beweggründe gehören;

– sicherzustellen, dass das Strafrecht bei der Bekämpfung von Rassismus auch Antisemitismus einschließt und die folgenden antisemitischen Taten, wenn sie vorsätzlich verübt werden, unter Strafe stellt;

a. öffentlicher Aufruf zu Gewalt, Hass oder Diskriminierung gegen eine Person oder eine Personengruppe aufgrund ihrer jüdischen Identität oder Herkunft;

b. öffentliche Beleidigung und Diffamierung einer Person oder Personengruppe aufgrund ihrer tatsächlichen oder angenommenen jüdischen Identität oder Herkunft;

c. Drohungen gegen eine Person oder Personengruppe aufgrund ihrer tatsächlichen oder angenommenen jüdischen Identität oder Herkunft;

d. die öffentliche antisemitisch geprägte Äußerung einer Ideologie, die eine Personengruppe aufgrund ihrer jüdischen Identität oder Herkunft verachtet oder verunglimpft;

e. das öffentliche Leugnen, Trivialisierung, Rechtfertigung oder Beschönigen der Shoah;

f. das öffentliche Bestreiten, Trivialisieren, Rechtfertigen oder Beschönigen von Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit oder Kriegsverbrechen, die an Personen aufgrund ihrer jüdischen Identität oder Herkunft verübt wurden;, us antisemitischen Gründen;

g. die öffentliche Verbreitung oder die Vervielfältigung, Herstellung oder Lagerung von antisemitischem Schrift-, Bild- oder anderem Material, das zur öffentlichen Verbreitung gedacht ist und Äußerungen enthält, die unter die Punkte a), b), c), d), e), f) fallen;

h. Schändung und Entweihung von jüdischem Eigentum und Denkmälern aus antisemitischen Gründen;

– Gründung; oder Führung einer Gruppe, die für Antisemitismus eintritt; Unterstützung einer solchen Gruppe (wie Finanzierung der Gruppe, Abdeckung anderer materieller Bedürfnisse, Herstellung oder Annahme von Dokumenten); Beteiligung in ihren Aktivitäten in der Absicht, zu den unter den Punkten a), b), c), d), e), f), g), h) aufgeführten Straftaten beizutragen;

– sicherzustellen, dass die Strafgesetzgebung antisemitische Verbrechen, die über das Internet, Satellitenfernsehen oder andere moderne Informations- und Kommunikationsmedien begangen werden, erfasst;

– sicherzustellen, dass das Gesetz bindend die Streichung der staatlichen Finanzierung von Organisationen vorsieht, die für Antisemitismus eintreten, einschließlich politischer Parteien;

– sicherzustellen, dass das Gesetz die Möglichkeit vorsieht, Organisationen aufzulösen, die Antisemitismus fördern;

– geeignete Maßnahmen zu ergreifen, um sicherzustellen, dass die Gesetzgebung zur Verhütung und Bestrafung von Antisemitismus effektiv umgesetzt wird;

– gezielte Weiterbildungen für Personen anzubieten, die auf allen Ebenen der Strafverfolgung tätig sind – Polizei, Staatsanwälte, Richter – um ihr Wissen über antisemitische Verbrechen und die effektive Strafverfolgung solcher Taten zu erweitern;

– die Opfer von Antisemitismus zu ermutigen, ihre Beschwerden vorzubringen und außerdem ein effektives System der Datenerhebung einzurichten, um die weitere Behandlung solcher Beschwerden gründlich zu beobachten;

– ein unabhängiges Fachorgan nach den in der allgemeinen politischen Empfehlung Nr. 2 von ECRI festgelegten Richtlinien über Fachorgane zur Bekämpfung von Rassismus, Fremdenhass, Antisemitismus und Intoleranz auf nationaler Ebene einzurichten, zu unterstützen und sicherzustellen, dass hierbei alle Formen des Antisemitismus abgedeckt werden;

– anti-rassistische Erziehung in den Lehrplan der Schulen auf allen Ebenen in einem integrierten Ansatz aufzunehmen einschließlich Inhalten, die die Schüler für Antisemitismus, seine Erscheinungsformen durch die Jahrhunderte und die Bedeutung der Bekämpfung der verschiedenen Formen sensibilisieren und sicherzustellen, dass die Lehrer über die notwendige Schulung verfügen;

– das Wissen über jüdische Geschichte und über den positiven Beitrag von Juden, jüdischen Gemeinschaften und Kulturen zu den europäischen Gesellschaften zu fördern;

– das Wissen über die Shoah und die Entwicklungen, die dazu führten, in den Schulen zu fördern und sicherzustellen, dass die Lehrer entsprechend geschult sind, um dieses Thema so aufzubereiten, dass den Kindern auch die gegenwärtigen Gefahren und die Möglichkeiten, solche Ereignisse zu verhindern, nahe gebracht werden;

– Wissen und Forschung über die Tötung und systematische Verfolgung von Juden und anderen Personen unter den totalitären Regimen nach dem Zweiten Weltkrieg zu fördern;

– wo antisemitische Taten an Schulen begangen werden, sicherzustellen, dass die Schulleiter, Lehrer und andere Bedienstete durch gezielte Schulung und Schulungsmaterialien entsprechend vorbereitet werden, mit diesen Problemen fertig zu werden;

– Diskussionen in den Medienberufen über ihre Rolle bei der Bekämpfung von Antisemitismus anzuregen, insbesondere über die Verantwortung der Medienfachleute, über internationale Ereignisse so berichten, dass keine Vorurteile aufrecht erhalten werden;

– die positive Rolle der Medien bei der Förderung der gegenseitigen Achtung und der Bekämpfung von antisemitischen Stereotypen und Vorurteilen zu unterstützen;

– Forschungsprojekte und unabhängige Beobachtung von antisemitischen Erscheinungsformen zu unterstützen und zu fördern;

– die Aktivitäten der Nichtregierungsorganisationen zu unterstützen, die eine wichtige Rolle bei der Bekämpfung von Antisemitismus spielen, die positive Bewertung der Vielfalt, den Dialog und gemeinsame anti-rassistische Aktionen zwischen unterschiedlichen kulturellen, ethnischen und religiösen Gemeinschaften zu fördern;

– die entsprechenden Maßnahmen zu ergreifen, damit die Religionsfreiheit voll und ganz garantiert wird und damit die öffentlichen Institutionen in ihrer täglichen Arbeit dafür sorgen, dass auch kulturelle und andere Erfordernisse berücksichtigt werden;

– den Dialog zwischen den verschiedenen religiösen Gemeinschaften auf lokaler und nationaler Ebene zu unterstützen, um rassistische Stereotype und Vorurteile zu bekämpfen, darunter die Finanzierung und Einrichtung von institutionellen Foren für den interreligiösen Dialog;

– sicherzustellen, dass die religiösen Führer auf allen Ebenen dem Antisemitismus keine neue Nahrung geben und die religiösen Führer aufzufordern, an der Basis Verantwortung für ihre Lehren zu übernehmen;

– politische Akteure und Meinungsführer aufzufordern, sich öffentlich und unmissverständlich gegen Antisemitismus auszusprechen, sich regelmäßig gegen seine verschiedenen Erscheinungsformen zu wenden, einschließlich aller zeitgenössischen Formen und klar zu sagen, dass Antisemitismus nicht toleriert wird.

Zuletzt aktualisiert am September 19, 2021 von eurogesetze

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