ECRI-Bericht über Deutschland Sechste Prüfungsrunde. Veröffentlicht am 17. März 2020. Europäische Kommission gegen Rassismus und Intoleranz

Europäische Kommission gegen Rassismus und Intoleranz
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CRI(2020)2

ECRI-Bericht über Deutschland

Sechste Prüfungsrunde
Verabschiedet am 10. Dezember 2019
Veröffentlicht am 17. März 2020

ECRI Secretariat
Directorate General II – Democracy
Council of Europe

Vorwort

Die Europäische Kommission gegen Rassismus und Intoleranz (ECRI) wurde vom Europarat ins Leben gerufen. Sie ist ein unabhängiges Gremium, das über die Einhaltung der Menschenrechte wacht, wenn es um die Bekämpfung von Rassismus, Diskriminierung (aufgrund von „Rasse“, ethnischer/nationaler Herkunft, Hautfarbe, Staatsangehörigkeit, Religion, Sprache, sexueller Orientierung und Geschlechtsidentität), Fremdenfeindlichkeit, Antisemitismus und Intoleranz geht. Die Mitglieder der Kommission sind unabhängig und unparteiisch. Sie werden aufgrund ihrer moralischen Autorität und ihres anerkannten Sachverstands in Fragen von Rassismus, Fremdenfeindlichkeit, Antisemitismus und Intoleranz ernannt.

Im Rahmen ihres satzungsmäßigen Auftrags erstellt ECRI für jedes Land Länderberichte, in denen die Situation in Bezug auf Rassismus und Intoleranz in jedem Mitgliedstaat des Europarates analysiert und Vorschläge zur Lösung der aufgezeigten Probleme unterbreitet werden.

Bei diesen Länderberichten werden alle Mitgliedsstaaten des Europarats gleich behandelt. Die Arbeit findet in Fünfjahreszyklen statt. Die Berichte der ersten Runde wurden Ende 1998 abgeschlossen, jene der zweiten Runde Ende 2002, jene der dritten Runde Ende 2007, jene der vierten Runde Anfang 2014 und jene der fünften Runde Ende 2019. Die Arbeit an den Berichten der sechsten Runde begann Ende 2018.

Die Arbeitsmethode besteht in der Durchsicht schriftlicher Unterlagen, einem Kontaktbesuch in dem betreffenden Land und einem anschließenden vertraulichen Gespräch mit den Staatsbehörden.

Die ECRI-Berichte sind nicht das Ergebnis von Auskunftsersuchen oder Zeugenbefragungen. Ihre Feststellungen beruhen auf einer Vielzahl von Informationen aus den verschiedensten Quellen. Zahlreiche nationale und internationale schriftliche Quellen werden gesichtet. Die Besuche vor Ort ermöglichen direkte Gespräche mit den betroffenen (staatlichen und nichtstaatlichen) Stellen, um ein genaueres Bild zu bekommen. Die Praxis vertraulicher Gespräche mit den Staatsbehörden gestattet es diesen, notfalls Bemerkungen zum Berichtsentwurf einzureichen, um etwaige Irrtümer tatsächlicher Art im Bericht zu berichtigen. Zum Abschluss der Gespräche steht es den Staatsbehörden frei zu verlangen, dass ihr Standpunkt dem Schlussbericht von ECRI als Anhang beigeheftet wird.

Die sechste Runde der Länderberichte konzentriert sich auf drei Themen, die alle Mitgliedstaaten betreffen: (1) Effektive Gleichstellung und Zugang zu Rechten, (2) Hassrede und hassmotivierte Gewalt und (3) Integration und Inklusion sowie eine Reihe von Unterthemen, die mit einem dieser drei Themen verbunden sind.

Im Rahmen der sechsten Prüfungsrunde wird erneut eine vorrangige Umsetzung für zwei konkrete Empfehlungen gefordert, die in dem Bericht gemacht wurden. Spätestens zwei Jahre nach Veröffentlichung dieses Berichts wird ECRI in Bezug auf diese zwei Empfehlungen ein Verfahren zur Zwischenprüfung durchführen.

Der folgende Bericht wurde von ECRI in voller Eigenverantwortung erstellt. Er erstreckt sich auf die Situation, wie sie am 19. Juni 2019 bestand. Alle Entwicklungen nach diesem Zeitpunkt werden von der folgenden Analyse weder abgedeckt noch bei den Schlussfolgerungen und Vorschlägen von ECRI in Betracht gezogen.

ZUSAMMENFASSUNG

Seit der Verabschiedung des fünften ECRI-Berichts über Deutschland am 05. Dezember 2013 wurden in einigen Bereichen Fortschritte erzielt und gute Praktiken entwickelt.

Das Deutsche Institut für Menschenrechte hat eine gesetzliche Grundlage erhalten, und weitere Bundesländer haben Stellen eingerichtet, die sich für die Förderung der Gleichheit einsetzen. Im Land Berlin gibt es Pläne, eine unabhängige Gleichheitsstelle einzurichten.

Die Bildungsminister der Bundesländer haben eine Reihe von Empfehlungen für einen inklusiven Schulunterricht erarbeitet, und die Bundesländer führen umfangreiche Projekte durch, um Rassismus, Homophobie und Transphobie an den Schulen vorzubeugen und zu bekämpfen.

Einige zentrale Grundrechte irregulär anwesender Migranten werden durch sogenannte Schutzbarrieren geschützt, die vorsehen, dass Schulen, Lehrkräfte und Ärzte diese Migranten nicht zum Zwecke der Einwanderungskontrolle melden müssen.

Umfragen belegen in der Allgemeinbevölkerung einen hohen Grad an Offenheit und Verständnis für Homosexuelle. 2017 wurde die gleichgeschlechtliche Ehe und 2018 eine dritte Geschlechtskategorie „divers“ eingeführt. Die Behörden arbeiten an neuen Vorschriften zur Änderung des Geschlechtseintrags für Transgender-Personen und zu medizinischen Maßnahmen zur „Normalisierung“ des Geschlechts von intergeschlechtlichen Kindern.

Deutschland hat 2015 eine außergewöhnlich große Anzahl von Asylsuchenden willkommen geheißen. Die Kanzlerin und mehrere Minister verurteilten öffentlich Hassrede und riefen die sozialen Netzwerke auf, ihre Richtlinien zum Entfernen von Hassrede durchzusetzen. Auch Manager verurteilten öffentlich Hassreden.

2018 trat das Netzwerkdurchsetzungsgesetz in Kraft; es verpflichtet Anbieter großer sozialer Netzwerke, Hassrede in eindeutigen Fällen innerhalb von 24 Stunden zu entfernen. Die schwerwiegendsten und unverblümtesten Formen von Hassrede sind aus den großen sozialen Netzwerken verschwunden.

Die Polizeidienste mehrerer Bundesländer arbeiten intensiv mit der Zivilgesellschaft daran, die Aufdeckung und das Protokollieren von Hasskriminalität zu verbessern. Die Polizei hat ihre Statistik zur Hasskriminalität verbessert, und die Justiz begann 2019 bundesweit mit der Erfassung von Daten zu Hassdelikten.

Das Parlament hat gesetzliche Bestimmungen eingeführt, die die Einstellung der öffentlichen Finanzierung rassistischer Parteien möglich machen; eine weitere Gesetzesänderung sieht vor, dass rassistische, fremdenfeindliche oder sonstige menschenverachtende Motive eines Straftäters nun Strafverschärfungsgründe darstellen.

Die Behörden haben viele Ressourcen in die frühzeitige Integration der großen Anzahl von Neuankömmlingen in Deutschland investiert. Sie haben des Weiteren damit begonnen, ihren Nationalen Aktionsplan Integration (NAP-I) mit einem ganzheitlichen Ansatz zu überarbeiten, der die vollständige Inklusion in die Gesellschaft zum Ziel hat.

Die Zahl der Kinder mit Migrationshintergrund, die Vorschuleinrichtungen besuchen, ist gestiegen, und diese Kinder können eine zusätzliche sprachliche Förderung erhalten. Ein größerer Anteil dieser Kinder besucht das Gymnasium und im Anschluss Universitäten oder Fachhochschulen. Mehr Menschen mit Migrationshintergrund arbeiten in der öffentlichen Verwaltung, und eine signifikante Anzahl von Flüchtlingen, die 2015 ankamen, hat einen Arbeitsplatz.

Mediatoren für Sinti und Roma tragen zur Verbesserung der schulischen Ergebnisse von Sinti- und Roma-Kindern bei und knüpfen Kontakte zu neu ankommenden Roma-Gruppen.

ECRI begrüßt diese positiven Entwicklungen in Deutschland. Ungeachtet der erzielten Fortschritte gibt es einige Themen, die Anlass zur Sorge bereiten.

Das Mandat der Antidiskriminierungsstelle des Bundes (ADS) ist zu eng gefasst: ihr fehlen grundlegende Kompetenzen für die Unterstützung von Opfern und die Durchsetzung von Rechten dieser Opfer; außerdem ist die ADS nicht vollständig unabhängig und unterfinanziert. In den Bundesländern gibt keine unabhängigen Gleichheitsstellen.

Die Standards für den Schulunterricht zu Menschenrechten werden nicht ausreichend umgesetzt, und Lehrkräfte fühlen sich nicht hinreichend auf das Unterrichten in einem von Diversität geprägten Umfeld vorbereitet.

Der Entwurf eines Gesetzes zur Neuregelung der Änderung des Geschlechtseintrags schränkt das Selbstbestimmungsrecht von Transgender-Personen stark ein. Intergeschlechtliche Babys und Kleinkinder können nach wie vor medizinisch unnötigen und verschiebbaren Operationen und Therapien unterzogen werden.

Es gibt einen hohen Grad an Islamophobie und der öffentliche Diskurs ist zunehmend fremdenfeindlicher geworden. Rassismus ist in zwei Unterorganisationen einer neuen Partei besonders offensichtlich, und die ständige islamophobe und fremdenfeindliche Rhetorik der extremen Rechten hat sich auf den allgemeinen politischen Diskurs niedergeschlagen.

Die Polizei kooperiert nicht in ausreichendem Maße mit der Zivilgesellschaft, um Hassdelikte aufzudecken und zu registrieren; dies führt dazu, dass viele solche Straftaten nicht erfasst werden. Beweise für Hassreden im Internet werden nicht systematisch an die Polizei und die Staatsanwaltschaften weitergeleitet.

Die Zahl der Rechtsextremisten, die gewaltbereit sind, steigt. Rechtsextreme und islamistische Terroristen haben eine Reihe von rassistischen Angriffen verübt. Asylsuchende, die Opfer von Hassdelikten wurden, werden abgeschoben, bevor sie in Strafverfahren aussagen können.

Der Nationale Aktionsplan Integration enthält keine Indikatoren für das Messen von Fortschritten und der der Prozess für seine Überarbeitung kommt nur langsam voran. Lediglich 20 % der Kinder unter drei Jahre mit Migrationshintergrund besuchen Kindertagesstätten. Im Hinblick auf ihre Lesekompetenz weisen Kinder mit Migrationshintergrund in der Grundschule einen Rückstand auf, der sich bis zur 9. Klasse noch vergrößert; sie verlassen die Schule mehr als doppelt so häufig ohne Abschluss.

Die Ergebnisse der Sprachtests bei Menschen mit Migrationshintergrund verschlechtern sich und ihre Arbeitslosenquote ist immer noch mehr als zweimal höher als bei der restlichen Bevölkerung. Deutsche Sinti und Roma benötigen Hilfe im Bereich der Bildung, und eingewanderte Roma werden häufig Opfer von Ausgrenzung und Ausbeutung auf dem Arbeits- und Wohnungsmarkt.

Auch wenn es starke Indizien für ein ausgeprägtes Racial Profiling gibt, sind sich viele Polizeidienststellen und -vertreter dessen nicht bewusst oder leugnen dessen Existenz.

In diesem Bericht fordert ECRI die Behörden auf, in verschiedenen Bereichen weitere Maßnahmen zu ergreifen und spricht unter anderem die nachstehenden Empfehlungen aus.

Die deutschen Behörden sollten die gesetzlichen Bestimmungen über die Kompetenzen und Befugnisse der ADS und über ihre Unabhängigkeit und Effektivität in Einklang mit den Standards der ECRI bringen. Sie sollten des Weiteren landesweit ein stimmiges System von Organisationen aufbauen, das Opfern von Diskriminierung effektive Unterstützung einschließlich rechtlichen Beistands gewährt, und alle Bundesländer sollten mit der Einrichtung unabhängiger Gleichheitsstellen beginnen.*

Die Bundesländer sollten in ihre Schulgesetze und die verpflichtenden Teile ihrer Lehrpläne Menschenrechte und Gleichbehandlung aufnehmen und die Lehrerausbildung stärker auf das inklusive Unterrichten in multikulturellen Klassen ausrichten.

Sie sollten niederschwellige Beratungs- und Hilfsangebote für irregulär anwesende Migranten finanzieren und vorsehen, dass auch die Stellen, die für die Erstattung von Arztkosten zuständig sind, nicht verpflichtet sind, diese Migranten den Ausländerbehörden zu melden.

Deutschland sollte rasch eine gesetzliche Regelung verabschieden, die unnötige Operationen und Therapien von intergeschlechtlichen Kindern verbietet, und Beratungs- und Hilfsdienste für intergeschlechtliche Kinder und deren Eltern einrichten.

Die Behörden sollten das Melden von Hassrede auf sozialen Netzwerken standardisieren und sicherstellen, dass Beweise für solche Hassreden systematisch an die Polizei weitergeleitet werden. Die Polizei sollte zusammen mit der Zivilgesellschaft Indizien für das Vorliegen von Hassdelikten auswerten, Studien zur Ermittlung von Hassdelikten initiieren und Berichte zur Hasskriminalität veröffentlichen.

Die Polizei und Nachrichtendienste sollten Maßnahmen ergreifen, die Radikalisierung verhindern und Extremisten beim Ausstieg aus rassistischen, homo- und transphoben Gruppen unterstützen. Die Aus- und Fortbildung von Polizeibeamten, Staatsanwälten und Richtern zum Thema Hasskriminalität sollte intensiviert werden, und Opfer, deren Asylanträge abgelehnt wurden, sollten nicht abgeschoben werden, bevor sie vor Gericht ausgesagt haben.

Die Behörden sollten die Aktualisierung des NAP-I beschleunigen und Integrationsindikatoren festlegen und in den NAP-I einfügen; außerdem sollten sie in diesen Plan das Ziel und Maßnahmen dafür aufnehmen, die Zahl der Kinder mit Migrationshintergrund zu erhöhen, die Vorschuleinrichtungen besuchen. Die Charta der Vielfalt sollte dazu animiert werden, einen Index für die regelmäßige Evaluierung der Aktivitäten zu entwickeln, die ihrer Mitglieder zur Förderung der Diversität durchführen.

Die Behörden sollten Roma-Mediatoren an allen Orten finanzieren, an denen deutsche Sinti und Roma oder neu angekommene Roma leben.

Die Polizei des Bundes und der Länder sollten eine Studie zum Racial Profiling in Auftrag geben und sich an dieser mit dem Ziel beteiligen, diese Form des institutionalisierten Rassismus zu beenden.*

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* Diese Empfehlung wird spätestens in zwei Jahren nach Veröffentlichung dieses Berichts Gegenstand eines Verfahrens zur zwischenzeitlichen Weiterverfolgung durch ECRI sein.

 

ERGEBNISSE UND EMPFEHLUNGEN

I. EFFEKTIVE GLEICHHEIT UND ZUGANG ZU RECHTEN

A. Gleichheitsstellen [1]

1. Im Hinblick auf die Existenz, das Mandat, die Unabhängigkeit und die Wirksamkeit der deutschen Gleichheitsstellen bedauert ECRI, dass weiterhin eine Reihe von Mängeln besteht. Die Deutsche Antidiskriminierungsstelle (ADS) wurde 2006 durch das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) als selbständige Stelle mit eigener Rechtspersönlichkeit gegründet (siehe Ziffer 1 und 2 der Allgemeinen politischen Empfehlung von ECRI Nr. 2 über Gleichheitsstellen zur Bekämpfung von Rassismus und Intoleranz auf nationaler Ebene). Das Mandat der ADS ist auf den Anwendungsbereich des AGG beschränkt und deckt nicht explizit Hassrede, die Diskriminierungsgründe Hautfarbe, Sprache, Staatsangehörigkeit und Geschlechtsidentität und intersektionelle Diskriminierung ab, wie in Ziffer 4 a und b der GPR Nr. 2 empfohlen. Darüber hinaus fallen nicht alle Bereiche sowohl des öffentlichen als auch des privaten Sektors unter das Mandat der ADS (§ 4c der GPR Nr. 2).

2. Im Hinblick auf die Förder- und Präventionsaufgabe von Gleichheitsstellen fehlt der ADS die Zuständigkeit, am Gesetzgebungsverfahren beteiligt zu werden (§ 13j der GPR Nr. 2). Es fehlt ihr auch an wesentlichen Zuständigkeiten in den Bereichen Unterstützung und Klagebefugnis: während die ADS die Zuständigkeit hat, Personen, die Rassismus und Intoleranz ausgesetzt sind, mit Informationen weiterzuhelfen, sie an andere Organisationen weiterzuleiten und durch Mediation zu unterstützen, kann sie sie nicht, wie in Ziffer 14a, c, d und e der Allgemeinen politischen Empfehlung Nr. 2 empfohlen, rechtlich unterstützen, sie vor Institutionen, Entscheidungsinstanzen und vorGericht vertreten, Fälle eigenständig einbringen oder als Amicus Curiae, Drittpartei oder Sachverständige vertreten. Auch die Mitglieder des Antidiskriminierungsnetzwerks der ADS kann diese Unterstützung in Deutschland nicht leisten. Wie im letzten ECRI-Bericht über Deutschland hervorgehoben, fehlt der ADS auch die Befugnis, Personen zu befragen und eine gerichtliche Verfügung zu beantragen oder Verwaltungsstrafen zu verhängen, wenn eine Person oder Institution die Entscheidung in Bezug auf ihre Ermittlungsbefugnisse nicht befolgt (Ziffer 21 c und d der Allgemeinen politischen Empfehlung Nr. 2).

3. Des Weiteren stellt ECRI im Hinblick auf die Unabhängigkeit der ADS mit Bedauern bestimmte Mängel fest. Der Leiter der ADS wird vom Bundesministerium für Familie ernannt, auf Grundlage eines Vorschlags der Bundesregierung (§ 26.1 AGG), während, gemäß Ziffer 23 der Allgemeinen politischen Empfehlung Nr. 2, die Exekutive in keiner der Phasen des Auswahlverfahrens eine Entscheidungsbefugnis haben sollte. Darüber hinaus ist die Amtszeit des Leiters mit der Legislaturperiode des Parlamentes verknüpft, und die Zivilgesellschaft weist darauf hin, dass die kürzlich frei gewordene Stelle nicht flächendeckend und in transparenter Weise veröffentlicht wurde. In der Praxis führte dies zum zweiten Mal im relativ kurzen Bestehen der ADS zu einer Beschwerde eines nicht erfolgreichen Bewerbers beim Verwaltungsgericht; in Folge ist die Position seit vielen Monaten unbesetzt. Des Weiteren sieht das Gesetz lediglich vor, alle vier Jahre einen gemeinsamen Bericht der ADS zusammen mit anderen Institutionen zu erstellen, der dann im Parlament debattiert wird. Im Vergleich dazu sollten Gleichheitsstellen laut Ziffer 30 und 35 der Allgemeinen politischen Empfehlung Nr. 2 jährliche Berichte herausgeben, die vom Parlament und der Regierung diskutiert werden, aber nicht von deren Genehmigung oder Zustimmung durch eine andere externe Partei abhängig sind.

4. Das Deutsche Institut für Menschenrechte (DIMR) hat ebenfalls einen Gleichheitsauftrag, der den öffentlichen Bereich abdeckt. Obwohl das DIMR, das ursprünglich als Verein gegründet wurde, 2015 einen Rechtsstatus erhielt, um die Grundvoraussetzungen für die Unabhängigkeit zu erfüllen, verfügt es nicht über die Befugnis, Beschwerden entgegenzunehmen und es fehlt ihr an weiterer grundlegender Unterstützung und Befugnissen bei Rechtsstreitigkeiten (siehe Ziffer 14 Allgemeine Politikempfehlung Nr. 2). Es kann z. B. keine Fälle von Racial Profiling vor Gericht bringen (siehe auch Ziff. 104ff. unten).

5. ECRI weiß, dass laut Artikel 30, 83 f. und 92 des Grundgesetzes – der deutschen Verfassung – grundsätzlich die Bundesländer die Gesetzgebungsbefugnis haben, Rechtsprechungsorgane und (unabhängige) Verwaltungsorgane, wie z. B. Gleichheitsstellen, einzurichten. In diesem Kontext stellt ECRI erfreut fest, dass gemäß ihrer Empfehlung, in allen Bundesländern Gleichheitsstellen einzurichten (Ziffer 22 ihres fünften Berichts über Deutschland), weitere Bundesländer Stellen gegründet oder bestimmt haben, die für die Förderung der Gleichheit und die Bekämpfung von Rassismus und Intoleranz zuständig sind. Bei der Jahresversammlung 2019 dieser Stellen waren 11 der 16 Bundesländer vertreten. ECRI bedauert jedoch, dass diese Antidiskriminierungseinheiten innerhalb der Verwaltungen der Bundesländer eingerichtet wurden und nicht unabhängig sind. Obwohl ECRI die wichtige Rolle anerkennt, die diese staatlichen Ministerien für die Förderung der Gleichheit und die Bekämpfung von Rassismus und Intoleranz haben, betont sie die dringende Notwendigkeit, dass auch die Bundesländer unabhängige Gleichheitsstellen einrichten. Diesbezüglich begrüßt ECRI die Initiative des Bundeslandes Berlin, ein eigenes Antidiskriminierungsgesetz zu verabschieden,[2] das den öffentlichen Bereich des Bundeslandes abdeckt und das Amt einer unabhängigen Ombudsperson als Gleichheitsstelle mit dem Mandat einrichtet, die bei Fällen von Diskriminierung, die in Zusammenhang mit öffentlichen Stellen des Bundeslandes entstehen, vermittelt und im Fall einer erfolglosen Vermittlung die zuständige Stelle ersucht, die Situation zu klären.[3]

6. In den Jahren seit ihrer Gründung und durch Forschung und Aufklärungskampagnen hat die ADS mit ihren begrenzten Mitteln einen wertvollen Beitrag zur Verhütung und Bekämpfung von Diskriminierung und Intoleranz geleistet. Im Hinblick auf das DIMR haben die Mitglieder des Parlamentarischen Ausschusses für Menschenrechte und humanitäre Hilfe ECRI informiert, dass ihr Jahresbericht wesentlich dazu beiträgt, die Öffentlichkeit über das Thema Diskriminierung besser zu informieren.

7. In Anbetracht der steigenden Vielfalt der deutschen Gesellschaft (siehe Ziffer 72 unten) ist ECRI der Ansicht, dass die Behörden mehr in ihre Gleichheitsstrukturen investieren sollten. Nach Meinung von ECRI ist die ADS mit einem Budget von 4,4 Mio. Euro und 27 Stellen erheblich unterbesetzt und unterfinanziert. Die Finanzierung und das Personal der ADS sollten auf Grundlage objektiver Indikatoren berechnet werden (vgl. Ziffer 101 des Begründungstextes zur Allgemeinen politischen Empfehlung Nr. 2) und es sollte insbesondere die steigende Vielfalt der deutschen Gesellschaft berücksichtigt werden.[4]

8. ECRI ist bewusst, dass es erhebliche Widerstände im Hinblick auf die Stärkung der Gleichheitsstellen und Antidiskriminierungsgesetze gibt, die auch dazu geführt haben, dass Deutschland neue Gleichheitsinitiativen auf EU-Ebene blockiert hat. Sie bedauert insbesondere, dass die Bundesvereinigung der deutschen Arbeitgeberverbände lediglich die Kosten berechnet hat, die die Einführung eines Antidiskriminierungsgesetzes nach sich gezogen hat,[5] sie aber deren positiven Auswirkungen völlig außer Acht gelassen hat. Eine gleichere Behandlung und weniger Diskriminierung führen nicht nur zu gesellschaftlichen Fortschritten, sondern auch zu wirtschaftlichem Wachstum, wenn Menschen mit vielfältiger Herkunft ihre schulischen Ergebnisse in einem diskriminierungsfreien Bildungssystem verbessern, bessere Abschlüsse erzielen, im Rahmen diskriminierungsfreier Bewerbungssysteme eingestellt werden und sich in einem diskriminierungsfreien Arbeitsumfeld weiterentwickeln und zu diesem beitragen.[6] ECRI ruft aus diesem Grund die Stellen auf, zusammen mit den Sozialpartnern diese positiven Auswirkungen auf stabilere Gleichbehandlungsstrukturen zu evaluieren, um den Boden zur Stärkung der ADS und der bestehenden Antidiskriminierungsnetzwerke beizutragen, was diese in die Lage versetzt, effektive Unterstützung zu leisten, u. a. Rechtsbeistand für Diskriminierungsopfer, Gründung unabhängiger Gleichheitsstellen in den Bundesländern und Bereitstellung von Opferhilfe und Befugnisse im Hinblick auf Rechtsstreitigkeiten, um ihnen zu helfen, die Rechte von Menschen durchzusetzen, die Rassismus und Intoleranz ausgesetzt sind.

9. Bei der Überarbeitung der Bestimmungen des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes der ADS sollten die Behörden auch die Antidiskriminierungsgesetze des Bundes im Sinne der Allgemeinen politischen Empfehlung Nr. 7 der ECRI, der konkreten Empfehlungen in Ziffer 11 bis 17 des Fünften Berichts der ECRI über Deutschland und der von der ADS durchgeführten Evaluation des AGG stärken. Bei der Gründung unabhängiger Gleichheitsstellen sollten die Bundesländer auch Antidiskriminierungsgesetze erlassen, die die Teile des öffentlichen Sektors abdecken, die unter ihre Gesetzgebungsbefugnis fallen, insbesondere Bildung und Polizeiarbeit.

10. ECRI empfiehlt den deutschen Behörden, die gesetzlichen Bestimmungen über die Kompetenzen und Befugnissen der Antidiskriminierungsstelle des Bundes und über ihre Unabhängigkeit und Effektivität in Einklang mit der Allgemeinen Politikempfehlung Nr. 2 der ECRI zu Gleichheitsstellen zu bringen. Insbesondere sollten sie (i) deren Mandat auf Hassrede, die Diskriminierungsgründe Hautfarbe, Sprache, Staatsangehörigkeit und Geschlechtsidentität sowie intersektionelle Diskriminierung ausweiten; (ii) sicherstellen, dass ihr Mandat alle Bereiche des öffentlichen und privaten Sektors abdeckt, die in die Zuständigkeit des Bundes fallen; (iii) sie mit den Kompetenzen ausstatten, im Gesetzgebungsprozess mitzuwirken, Menschen, die Rassismus und Diskriminierung ausgesetzt sind, Rechtsbeistand zu leisten, sie vor Institutionen, Entscheidungsorganen und Gerichten zu vertreten, im eigenen Namen Verfahren einzuleiten und in solchen Verfahren als amicus curiae, Drittpartei oder Sachverständige aufzutreten; (iv) ihr die Befugnis übertragen, Zeugen zu hören; (v) das Ernennungsverfahren für ihren Leiter/ihre Leiterin reformieren; (vi) festlegen, dass sie Jahresberichte verfasst, die im Parlament und der Regierung erörtert werden; und (vii) sie mit ausreichenden personellen und finanziellen Ressourcen ausstatten.

11. ECRI empfiehlt den Behörden, ein stimmiges System von Organisationen zu schaffen, das Diskriminierungsopfern landesweit eine wirksame Unterstützung einschließlich rechtlichen Beistands gewährt. Zu diesem Zweck sollten die deutschen Bundesländer entsprechend ECRI‘s Allgemeinen Politikempfehlung Nr. 2 damit beginnen, unabhängige Gleichheitsstellen einzurichten.

B. Inklusiver Schulunterricht

12. Dieser Abschnitt befasst sich mit der Bildungspolitik, die durch eine inklusive Bildung für alle Kinder Ausgrenzung und Marginalisierung verhindert und zum Ziel hat, eine inklusive und tolerante Gesellschaft zu schaffen (Abschnitte II und III der GPR Nr. 10).

13. In Deutschland liegen die Gesetzgebungs- und Verwaltungsbefugnis für Bildung bei den Bundesländern, die die Ständige Kultusministerkonferenz (KMK) eingerichtet haben, um nicht bindende Empfehlungen zu erarbeiten. ECRI stellt erfreut fest, dass die KMK 2013 eine überarbeitete Empfehlung „Interkulturelle Bildung in der Schule”[7] und 2015 eine Empfehlung „Lehrerbildung für eine Schule der Vielfalt” sowie eine gemeinsame Erklärung „Darstellung kultureller Vielfalt, Integration und Migration in Bildungsmedien” vorgelegt hat. 2018 hat sie ihre „Empfehlungen zur Menschenrechtserziehung in der Schule” vollständig überarbeitet. Die KMK arbeitet gegenwärtig an einem Dokument zur Geschichte, Kultur und Lebensweise der Sinti und Roma.[8] Laut ihren Standards ist die Menschenrechtserziehung eines der lehrplanübergreifenden Themen der Sekundarstufe für Kinder im Alter von 10-19 Jahren.[9]

14. ECRI wurde jedoch davon unterrichtet, dass diese Standards nicht ausreichend in den Bundesländern umgesetzt werden. Laut einer Studie des DIMR erwähnen lediglich drei der Schulgesetze der 16 Bundesländer Kenntnisse über Menschenrechte als Teil ihrer allgemeinen Bildungsziele. Während ihres Besuchs in Deutschland wurde ECRI informiert, dass auch in der Praxis nur unzureichend Menschenrechte, Gleichheit und Werte im Unterricht behandelt werden. Laut DIMR enthalten einige Schulbücher und Unterrichtsmaterialien Stereotypen und abwertende Darstellungen im Hinblick auf Herkunft, Religion oder Geschlecht, und in vielen Schulbüchern fehlt eine Darstellung von Vielfalt als alltägliche Norm.[10]

15. ECRI ist des Weiteren besorgt über die Ergebnisse einer Studie aus dem Jahr 2017, laut der 18 % der Menschen, die aus Staaten südlich der Sahara stammen, und 15 % der Menschen, die aus der Türkei stammen, sich in deutschen Bildungseinrichtungen als Schüler oder Elternteil diskriminiert fühlen.[11] Rund 16 % aller deutschen 15-Jährigen, die befragt wurden, erklärten, „mindestens einige Male pro Monat“ an der Schule Opfer von Mobbing zu werden;[12] antisemitisches Mobbing betraf insbesondere Schulen in Berlin.[13] Die Lehrkräfte sind nicht ausreichend auf das Unterrichten in einem vielfältigen Umfeld vorbereitet, da weder Menschenrechte, noch das Unterrichten in vielfältigen Klassen oder der Umgang mit Diskriminierung und Mobbing obligatorischer Bestandteil des Studiums auf Lehreramt, des Referendariats oder der Fortbildung in den Bundesländern sind.[14]

16. ECRI begrüßt die Tatsache, dass der Bund und die Bundesländer verschiedene gute Praktiken entwickelt haben, um diese Mängel zu beheben. Unter anderem gibt es ein Netzwerk aus mehr als 1.000 Lehrkräften mit Migrationshintergrund im Bundesland Nordrhein-Westfalen (NRW), das sich für die Förderung von Vielfalt und Inklusion im Bildungssystem einsetzt. Berlin hat vor Kurzem das Amt einer Antidiskriminierungsbeauftragten der Berliner Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Familie eingerichtet, die sich im ersten vollständigen Schuljahr im Rahmen ihrer Tätigkeit mit mehr als einhundert Beschwerden über Rassendiskriminierung an Schulen befasste, von denen viele Lehrkräfte involvierten.[15] 170 Experten für die Bekämpfung von Mobbing wurden bundesweit an ausgewählte Schulen geschickt, um Antisemitismus entgegenzuwirken.[16] Das mit 115,5 Mio. Euro finanzierte Programm „Demokratie leben!” des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Jugend und Frauen unterstützt Initiativen, die u. a. die Themen Vielfalt und gewaltfreie und respektvolle Koexistenz an Schulen abdecken.[17] Eines der Projekte, „Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage“, ruft Kinder auf, Diskriminierung zu bekämpfen und zu einer gewaltfreien, demokratischen Gesellschaft beizutragen.[18] Aktionspläne zur sexuellen Vielfalt und zu Geschlechterstereotypen und das Projekt „Schule der Vielfalt – Schule ohne Homophobie“ befasst sich mit LGBTI-Themen in der Bildung. Insbesondere in Bezug auf das Bundesprogramm „Demokratie leben!” wiesen einige Gesprächspartner auf die Notwendigkeit für Nachhaltigkeit und eine Form von Institutionalisierung der entwickelten guten Praktiken und für die Verbreitung in Schulen und anderen Teilen der öffentlichen Verwaltung hin.

17. In Anbetracht der großen Vielfalt in deutschen Klassenräumen ist ECRI der Meinung, alle Bundesländer sollten Menschenrechte und Gleichbehandlung in ihre Bildungsgesetze und aufnehmen und zu Pflichtteilen ihrer Lehrpläne machen. Sie sollten darüber hinaus gute Praktiken, die in Projekten entwickelt wurden, auf Schulen übertragen und an diesen verbreiten. Des Weiteren sollten die Lehrkräfte besser ausgebildet werden, damit sie einen qualitativ guten und inklusiven Unterricht in vielfältigen Klassen bieten, in Fälle von Mobbing und Diskriminierung eingreifen und auf diesem Wege Bedingungen schaffen können, unter denen die Schüler jeglicher Herkunft in einem geschützten Raum aufwachsen, ihr volles Potenzial entwickeln und die bestmöglichen schulischen Ergebnisse erreichen können.

18. ECRI empfiehlt den Behörden aller deutschen Bundesländer, Menschenrechte und Gleichbehandlung in ihre Schulgesetze aufzunehmen und in ihren Lehrplänen den Unterricht zu diesen Themen verpflichtend zu machen. Außerdem sollten sie gute Praktiken, die in Projekten entwickelt wurden, an anderen Schulen einführen und Lehrer in der Aus- und Fortbildung verstärkt darauf vorbereiten, in von Diversität geprägten Klassen in inklusiver Weise zu unterrichten und in Fällen von Mobbing und Diskriminierung einzugreifen.

C. Irregulär anwesende Migranten

19. ECRI empfiehlt in ihrer GPR Nr. 16[19], klare Schutzbarrieren einzurichten, um grundlegende Menschenrechte von irregulär anwesenden Migranten in den Bereichen Bildung, medizinische Versorgung, Wohnen, soziale Absicherung und Unterstützung, Arbeitsschutz und Justiz zu schützen. Diese Schutzbarrieren sollten getrennt von der Tätigkeit staatlicher Behörden bestehen, die für Einwanderungskontrolle und Vollzug zuständig sind, um sicherzustellen, dass irregulär anwesende Migranten nicht aus Angst vor Abschiebung davor zurückschrecken, sich an staatliche Behörden zu wenden.[20]

20. Obwohl deutsche Behörden generell verpflichtet sind, die Ausländerbehörde über Verdachtsmomente hinsichtlich illegaler Migranten zu informieren (§ 87.2 Aufenthaltsgesetz (AufenthG)),[21] nimmt ECRI erfreut zur Kenntnis, dass 2011 eine Schutzbarriere im Hinblick auf den Bildungsbereich eingeführt wurde: seither sind Bildungseinrichtungen wie Schulen, Kindergärten und Krippen von der allgemeinen Meldepflicht ausgenommen (§ 87.1 und 87.2 RA). Bereits vor diesem Datum hatten mehrere kommunale und regionale Behörden vergleichbare Schutzbarrieren eingerichtet.[22] Darüber hinaus können jugendliche oder heranwachsende Ausländer und deren Eltern eine vorübergehende Aufenthaltserlaubnis erhalten, vor allem wenn der Heranwachsende sich ohne Unterbrechung seit vier Jahren in Deutschland aufhält und er/sie erfolgreich für vier Jahre eine deutsche Schule besucht hat (§§ 25a.1, 25a.2 und 26.1 AufenthG).[23] Bis Ende Dezember 2018 wurde 4.842 Personen eine vorübergehende Aufenthaltserlaubnis unter § 25a.1 AufenthG gewährt.[24]

21. Im Hinblick auf die medizinische Versorgung haben die Behörden ECRI informiert, dass illegale Migranten Asyl beantragen können und dass sie dann umgehend Zugang zu medizinischen Behandlungen laut §§ 1.1.1 und 1.1.4 bis 1.1.6 Asylbewerberleistungsgesetz (AufenthG) haben. Darüber hinaus ist es Ärzten laut § 88.2 AufenthG generell nicht gestattet, Daten über irregulär anwesende Migranten weiterzuleiten. Es gibt jedoch keine vergleichbaren Bestimmungen und somit keine Schutzbarrieren im Hinblick auf die Dienste, die für die Erstattung medizinischer Behandlungskosten zuständig sind. Aufgrund der sich daraus ergebenden Gefahr, von diesen Diensten gemeldet und abgeschoben zu werden, wagen es irregulär anwesende Migranten, einschließlich Schwangeren und Menschen, die eine Notbehandlung benötigen, häufig nicht, Ärzte oder Krankenhäuser aufzusuchen.[25] ECRI freut sich über die gute Praxis einiger kommunaler Verwaltungen, die diesen Menschen medizinische Dienste auf eine Weise anbieten, die keine Abschiebung nach sich zieht. Des Weiteren hat eine Reihe von Ärzten ein Netzwerk aus 36 Medibüros gegründet, das irregulär anwesenden Migranten medizinische Hilfe anbietet.[26] ECRI ist der Ansicht, die Behörden sollten sicherstellen, dass das unverzichtbare Menschenrecht auf Zugang zu einer medizinischen Grundversorgung für irregulär anwesende Migranten geschützt ist und dass sie bundesweit Zugang zu dieser medizinischen Versorgung haben, ohne Gefahr zu laufen, der Ausländerbehörde gemeldet zu werden.

22. Im Bereich Beschäftigung stellt ECRI mit Sorge Meldungen über Ausbeutung von irregulär anwesenden Migranten fest, insbesondere die Nichtbeachtung des Mindestlohns oder unbezahlte Überstunden.[27] Gleichzeitig findet ECRI es positiv, dass die Arbeitsgerichte die Frage des örtlichen Wohnsitzes nicht prüft, wenn irregulär anwesende Migranten Zivilklagen gegen ihre Arbeitgeber wegen Lohnzahlungen einreichen (vgl. Ziffer 30 GPR 16). Organisationen der Zivilgesellschaft, u. a. das Respekt-Netzwerk in Berlin, verteidigt die Arbeits- und Menschenrechte von Migrantinnen für bezahlte Hausarbeit, ungeachtet ihres Aufenthaltsstatus (vgl. § 35 GPR 16), und die Bereitstellung eines Rechtsbeistands und einer Vertretung irregulär anwesender Migranten bei Verfahren vor dem Arbeitsgericht durch die Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft (Verdi) sind ebenfalls vielversprechende Ansätze.[28]

23. Organisationen der Zivilgesellschaft haben ECRI mitgeteilt, dass bis zu einem Drittel der Migranten ohne Rechtsstatus, die sie kontaktierten, tatsächlich Anspruch auf eine Form einer Aufenthaltserlaubnis hätten, sich aber ihrer Rechte entweder nicht bewusst oder nicht in der Lage sind, diese einzufordern. ECRI vertritt daher die Meinung, die Behörden sollten bundesweit niederschwellige Beratungs- und Hilfsdienste unterstützen und finanzieren, bei denen Migranten ohne Aufenthaltserlaubnis ihre Optionen prüfen können, ihre Situation zu legalisieren und Hilfe zu bekommen, ihre Aufenthaltsrechte wahrzunehmen, ohne systematisch der Ausländerbehörde gemeldet zu werden.[29]

24. ECRI empfiehlt den Behörden, (i) die bestehende Schutzbarriere gegen das Melden irregulär anwesender Migranten, die eine medizinische Notfallbehandlung oder eine andere medizinische Versorgung in Anspruch nehmen, auf die Stellen auszuweiten, die für die Erstattung der Behandlungskosten zuständig sind; (ii) bundesweit niederschwellige Beratungs- und Hilfsdienste zu finanzieren, bei denen Migranten ohne Aufenthaltstitel die Optionen für eine Legalisierung ihrer Situation prüfen und Hilfe bei der Geltendmachung von Aufenthaltsrechten erhalten können; und (iii) Maßnahmen zu ergreifen, um Wissen über den rechtlichen Rahmen für irregulär anwesende Migranten zu verbreiten, wie z. B. das Bestehen von Schutzbarrieren in den Bereichen medizinische Versorgung und Schulbildung.

D. Gleichheit von LGBTI-Personen

25. In einer persönlichen Umfrage aus dem Jahr 2016 gaben 1,5 % der Befragten jeden Geschlechts an, vorrangig oder ausschließlich homosexuell und 1 % bisexuell zu sein.[30] 2017 ergab eine nur mit Frauen durchgeführte Umfrage, dass sich 5 % der deutschen Frauen als lesbisch oder bisexuell bezeichnen.[31] Dies führt zu der Schätzung von mindestens zwei Millionen homosexuellen und bisexuellen Menschen in Deutschland. Laut dem letzten Mikrozensus des Statistischen Bundesamtes gab es 130.000 gleichgeschlechtliche Paare, von denen 37.000 verheiratet waren und weitere 38.000 eine eingetragene gleichgeschlechtliche Partnerschaft aufwiesen.[32] Laut den Behörden identifizieren sich ca. 1 bis 4 % der Bevölkerung nicht oder nur teilweise mit ihrem eingetragenen Geschlecht; ca. 4.000 Transgender-Personen (5 von 100.000 Einwohnern) haben sich einer medizinischen Behandlung unterzogen. Abhängig davon, wie viele Formen von Intersexualität berücksichtigt werden, liegt die Zahl der intergeschlechtlichen Personen zwischen 0,02 % und 1,7 % der Bevölkerung.

26. In einer 2017 veröffentlichten Umfrage stimmten 83 % der Befragten zu bzw. stimmten nachdrücklich zu, dass gleichgeschlechtlichen Paaren gestattet sein sollte, so zu heiraten wie heterosexuelle Paare, 76 % gaben an, dass sie die gleichen Adoptionsrechte haben sollten, 67 % gaben an, dass sie die gleiche Unterstützung bei einer In vitro-Fertilisation erhalten sollten, und 86 % gaben an, dass Verurteilungen nach ehemaligen Bestimmungen zur Homosexualität aufgehoben werden sollten. Gleichzeitig stimmten 81 % zu, dass homosexuelle und bisexuelle Menschen in Deutschland immer noch diskriminiert und unfair behandelt werden.[33]

27. ECRI stellt zufrieden fest, dass die Verfassungen mehrerer Bundesländer ein explizites Diskriminierungsverbot aufgrund von „sexueller Identität” enthalten, und dass Artikel 46 des deutschen Strafgesetzbuchs (StGB) homo- und transphobe Motive von Hassdelikten abdeckt[34] und sie als strafverschärfende Umstände würdigt. Wie in ihrem vorausgegangenen Bericht ruft ECRI die Behörden auf, die Liste der Diskriminierungsgründe zu erweitern und die sexuelle Orientierung und Geschlechtsidentität explizit in Artikel 3 des Grundgesetzes, i.e. die deutsche Verfassung, aufzunehmen.

28. ECRI stellt mit Zufriedenheit fest, dass am 1. Oktober 2017 in Deutschland die gleichgeschlechtliche Ehe eingeführt wurde[35] und dass die Behörden gegenwärtig das Abstammungsrecht überarbeiten, um die Diskriminierung lesbischer Paare zu beenden, die aktuell eine Adoption als zweites Elternteil beantragen müssen, um das volle Sorgerecht für ein Kind zu erhalten; ECRI ruft die Behörden auf, diese Überarbeitung so rasch wie möglich abzuschließen.

29. ECRI hat bereits in ihrem fünften Bericht festgestellt (Ziffer 103), dass das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) mehrere Kernbestimmungen des Transsexuellengesetzes für verfassungswidrig erklärt hat. ECRI begrüßt den neuen Gesetzesentwurf zur Neuregelung der Änderung des Geschlechtseintrags, der am 9. Mai 2019 öffentlich wurde und der vorschlägt, die Gerichte sollten weiterhin für die Anerkennung der Geschlechtsidentität und die Änderung von Vornamen zuständig sein. Organisationen der Zivilgesellschaft kritisieren die Tatsache, dass die Antragsteller eine Bescheinigung eines „qualifizierten Beraters” vorlegen müssen, der erklärt und begründet, dass sich die Person ernsthaft und dauerhaft dem anderen Geschlecht oder keinem Geschlecht zugehörig fühlt. Die Behörden haben ECRI informiert, dass diese Anforderung zum Ziel hat, einen Missbrauch des Verfahrens für die Anerkennung der Geschlechtsidentität zu verhindern. ECRI ruft die Behörden auf, sich von anderen Staaten inspirieren zu lassen, die dem Recht auf Selbstbestimmung von Transgender-Personen mehr Raum geben. Eine gute Lösung könnte sein, den Betroffenen grundsätzlich ohne Vorlage einer Bescheinigung das Recht auf Anerkennung der Geschlechtsidentität und Änderung des Vornamens zu geben und für die Entscheidung des Antrags zuständige Behörde vorzusehen, eine Bescheinigung nur dann zu fordern, wenn es Anzeichen für einen möglichen Missbrauchs des Rechts gibt.[36]

30. ECRI stellt des Weiteren erfreut fest, dass der Bund und 15 der 16 Bundesländer die Empfehlung umgesetzt haben, die in Ziffer 110 des fünften Berichts der ECRI enthalten ist, und die besagt, einen Aktionsplan oder ein umfassendes Programm für die Förderung von Toleranz für LGBT-Personen und für die Bekämpfung von Homo-/Transphobie anzunehmen. Gemäß der Empfehlung in Ziffer 112 des fünften Berichts der ECRI haben sie auch einige konkrete Transgender-Themen in ihre Aktionspläne aufgenommen.[37]

31. In dieser Prüfungsrunde deckt ECRI auch die Situation von intergeschlechtlichen Menschen ab, die mit Abweichungen der Geschlechtschromosomen, Hormonspiegeln oder Geschlechtsmerkmalen geboren werden, die im Hinblick auf die sexuelle oder reproduktive Anatomie nicht den gängigen Kategorien von „männlich” oder „weiblich” entsprechen. Im Oktober 2017 entschied das Bundesverfassungsgericht, die bestehende Regelung für die Anmeldung intergeschlechtlicher Menschen sei verfassungswidrig und legte eine Frist für die Annahme einer neuen Regelung fest.[38] ECRI stellt erfreut fest, dass Deutschland im Dezember 2018 eine dritte Geschlechtskategorie „divers” eingeführt hat[39] und betrachtet dies als gute Praxis. Gleichzeitig bedauert sie die allgemeine Anforderung, eine medizinische Bescheinigung vorzulegen, die bestätigt, dass eine Variante der Geschlechtsentwicklung vorliegt. ECRI ruft die Behörden erneut auf, ein Minimum an Restriktionen in Bezug auf das Selbstbestimmungsrecht von intergeschlechtlichen Menschen festzulegen.[40]

32. ECRI findet es beunruhigend, dass intergeschlechtliche Babys und Kleinkinder in Deutschland Berichten zufolge immer noch medizinisch unnötigen und aufschiebbaren Operationen und Therapien mit dem Ziel unterzogen werden, ihre physische Erscheinung und Funktion mit einem binären Geschlechtsverständnis in Einklang zu bringen. Diese Eingriffe sind in der Regel irreversibel und können schwere langfristige physische und psychische Leiden verursachen.[41] ECRI ist des Weiteren besorgt, dass Beratungszentren für intersexuelle Menschen und deren Familien nur an wenigen Orten existieren.[42] Außerdem bedauert sie die Feststellung, dass intergeschlechtliche Menschen Probleme beim Zugang zu medizinischer Versorgung haben. Aufgrund des binären Krankenversicherungssystems ist es schwierig, eine Erstattung für eine Prostatabehandlung einer intergeschlechtlichen Person zu erhalten, die als weiblich eingetragen ist, oder für eine Brustkrebsuntersuchung bei einer intergeschlechtlichen Person, die als männlich eingetragen ist.

33. Nach Meinung der ECRI ist es unerlässlich, gesetzgeberische und verfahrenstechnische Maßnahmen zum Schutz intergeschlechtlicher Babys und Kinder vor verfrühten Operationen zu ergreifen.[43] Aus diesem Grund stellt sie mit Zufriedenheit fest, dass die Behörden einen Gesetzesentwurf zur Regelung medizinischer Maßnahmen zur „Normalisierung“ des Geschlechts erarbeiten und dass eine Gruppe von Sachverständigen, u. a. Ärzte, Psychologen, intergeschlechtliche Menschen, Verbände und Rechtsprofessoren, zu diesem Entwurf beigetragen hat.[44] ECRI ist des Weiteren der Ansicht, dass es dringend erforderlich ist, weiter Aufklärung über die Existenz von intergeschlechtlichen Menschen und deren konkrete Situation und Bedürfnisse zu betreiben. Dies wird dazu beitragen, den erforderlichen Raum für sie in der Gesellschaft zu schaffen, in dem sie ohne Druck, sich unnötigen Operationen oder anderen medizinischen Behandlungen zu unterziehen, nur um den binären Geschlechtsvorstellungen zu entsprechen, aufwachsen können. Aus diesem Grund ruft sie die Behörden aller Bundesländer auf, Beratungsstellen mit niederschwelligem Zugang und Internetseiten für intergeschlechtliche Menschen einzurichten, die eine Beratung und Unterstützung der Eltern von intergeschlechtlich geborenen Babys zum Schwerpunkt haben, die fundamentale und irreversible Entscheidungen im Hinblick auf die Körper und das Leben ihrer Kinder treffen müssen. ECRI ruft die Behörden außerdem auf, die erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen, um für intergeschlechtliche Menschen einen effektiven Zugang zu einer medizinischen Versorgung sicherzustellen.

34. ECRI empfiehlt Deutschland, zeitnah eine gesetzliche Regelung zu verabschieden, die unnötige Operationen und Therapien bei intergeschlechtlichen Kindern verbietet. Des Weiteren empfiehlt sie allen Bundesländern, Stellen mit niederschwelligem Zugang einzurichten, die intergeschlechtlichen Menschen und deren Eltern Beratung und Unterstützung anbieten.

II. HASSREDE UND HASSMOTIVIERTE GEWALT

A. Hassrede [45]

Daten

35. ECRI begrüßt, dass die deutschen Polizeibehörden mehrere neue Kategorien in ihre Statistik zur Hasskriminalität aufgenommen haben.[46] Sie nennen jedoch lediglich „Hasskommentare im Internet“, es gibt jedoch in anderen Bereichen keine Kategorie, die Fälle von Hassrede enthält. Von den insgesamt 7.913 Fällen von Hasskriminalität im Jahr 2017[47] (2016: 10.751) wurden 2.270 als Hasskommentare im Internet registriert. Die Justiz sammelt seit 1992 Daten zu fremdenfeindlichen und rechtsextremistischen Straftaten. Ab dem 1. Januar 2019 sammelt sie bundesweit Daten zur Hasskriminalität, aber ECRI hat von den Behörden keine Informationen erhalten, ob diese Statistiken mit jenen der Polizei verbunden werden und eine Verfolgung der Fälle von den ersten Ermittlungen bis zur Verurteilung ermöglichen.

36. Eine weitere wichtige Datenquelle zu Hassreden sind die Reihen der sechsmonatigen Transparenzberichte, die Soziale Netzwerk-Unternehmen unter dem Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG) seit dem ersten Halbjahr 2018 veröffentlichen. Google erklärte, es habe im ersten Halbjahr 2019 Anträge auf Entfernung von 304.425 Inhalten für You-Tube erhalten (250.957 im zweiten Halbjahr 2017 und 214.827 im ersten Halbjahr 2018), von denen 95.950 Hassrede oder politischen Extremismus betrafen. Unter den 71.168 entfernten Inhalten gab es 23.567 Fälle von Hassrede oder politischem Extremismus. 88 % von diesen wurden innerhalb von 24 Stunden entfernt oder blockiert.[48] Facebook erhielt im ersten Halbjahr 2019 Löschungsanträge für 1.050 Inhalte (1.048 im zweiten und 1.704 im ersten Halbjahr 2018), die zur Löschung von 349 (369 und 362) Kommentaren führte, was 33 % (35 % und 21 %) aller Anträge entspricht.[49] Weitere Analysen dieser Zahlen finden Sie nachstehend unter Ziffer53.

37. 2018 erhielt der Deutsche Presserat 112 Beschwerden, die § 12 des Pressekodex betrafen,[50] der Diskriminierung verbietet (2017: 164, 2016: 162). In einer neueren weltweiten Forschungsarbeit gehörte Deutschland zu den Staaten, die den höchsten Grad an sozialer Feindseligkeit aufwiesen, und belegte auf einer Skala für soziale Feindseligkeit den 3. Platz unter den 47 Mitgliedstaaten des Europarats, und sein Feindseligkeits-Score ist in den letzten Jahren gestiegen. Laut dieser Forschung sind Muslime die am häufigsten betroffene religiöse Gruppe in Deutschland.[51] Dieser hohe Grad an Islamophobie wird durch eine weitere neuere Umfrage gestützt, bei der die Hälfte aller befragten Muslime aus Afrika südlich der Sahara (48 %) sagten, sie hätten in den letzten 12 Monaten mindestens einmal Belästigung aufgrund ihrer ethnischen Herkunft oder ihres Migrationshintergrunds erlebt.[52]

Öffentlicher Diskurs

38. ECRI stellt mit Bedauern fest, dass der deutsche öffentliche Diskurs in den letzten Jahren immer fremdenfeindlicher geworden ist und dass es immer häufiger Hassreden gibt. Im Oktober 2014 begann die nationalistische, anti-Islam-Bewegung PEGIDA ihre wöchentlichen Demonstrationen in Dresden, an denen bis zu 25.000 Menschen teilnahmen. Im selben Jahr verwendete die Nationaldemokrantische Partei Deutschlands (NPD) Wahlplakate mit rassistischen Slogans.[53] Netzwerke internationaler und innerstaatlicher rechtsextremistischer Aktivisten und einige ausländische Medien nutzen soziale Netzwerke, um einseitige Inhalte zu Themen wie Migration, Außenpolitik und den Krieg in Syrien zu verbreiten und um für Antimigrationsthemen zu werben, um Wähler und Medien zu beeinflussen und das Vertrauen in die Institutionen zu untergraben. Studien zeigen, dass diese kleinen Gruppen einen erheblichen Einfluss auf die Diskussion im Internet und letztendlich auf die öffentliche Debatte, die traditionellen Medien und im Bund und in den Bundesländern erlangt haben.[54] 2015 forderten der Bundesjustizminister und die deutsche Kanzlerin Facebook öffentlich auf, wirksamere Maßnahmen gegen Hassrede zu ergreifen.[55]

39. Vor diesem Hintergrund hebt ECRI besonders positiv hervor, dass viele Deutsche auf Initiative der Bundeskanzlerin die außerordentlich große Anzahl von ca. 890.000 Asylsuchenden herzlich begrüßte, die im Herbst 2015 eintrafen. Diese „Willkommenskultur” mobilisierte Hunderttausende von Menschen, die dabei halfen, die Neuankömmlinge, von denen viele Flüchtlinge aus Syrien waren, unterzubringen und ihnen beizustehen. Muslimische Gemeinschaften spielten in diesem Zusammenhang eine wichtige Rolle.

40. Andere Teile der Bevölkerung[56] zeigten sich jedoch wegen der Einwanderungswelle besorgt. Feindselige und fremdenfeindliche Einstellungen stiegen und die öffentliche Debatte verschlechterte sich. Die politische Partei „Alternative für Deutschland“ (AfD), die 2013 gegründet wurde, sprach sich vehement gegen Migration aus. Die AfD-Politikerin Beatrix von Storch sprach sich z. B. über Facebook dafür aus, Grenzschützer könnten Waffen gegen Migranten einsetzen, die an der Grenze einträfen und der Aufforderung, stehenzubleiben, nicht nachkämen. Themen, wie z. B. die Ermittlungen hinsichtlich einer großen Zahl von Anzeigen wegen sexueller Belästigung und Diebstahls nach den Neujahrsfeierlichkeiten 2015/2016 in Köln und der Verdacht, es hätten sich viele Asylsuchende unter den Verdächtigen befunden, entzündeten eine riesige öffentliche Debatte, wirkten sich auf das allgemeine Sicherheitsgefühl aus und trugen zur steigenden islamophoben und fremdenfeindlichen Haltung und zu Hassreden bei.[57] Die wiederholte Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit und der Medien bei anderen Straftaten, die mutmaßlich von Asylsuchenden begangen wurden, der Angriff eines islamistischen Terroristen auf den Berliner Weihnachtsmarkt am 19. Dezember 2016 und ähnliche Angriffe in Nachbarstaaten verstärkten noch diese Ängste, Fremdenfeindlichkeit und diesen Rassismus. Die AfD bekam bei den Bundestagswahlen 2017 12,6 % der Stimmen und z. B. 15,1 % bei den Wahlen in Baden-Württemberg, 20,8 % in Mecklenburg-Vorpommern und 24,3 % in Sachsen-Anhalt.

41. Als über den Antrag für ein Verbot und die Auflösung der NPD entschieden wurde, erklärte das BVerfG im Januar 2017, diese sei im Charakter dem Nationalsozialismus vergleichbar, wenn man ihr Verständnis der „nationalen Gemeinschaft”, ihre allgemeine antisemitische Haltung und ihre Verachtung für die bestehende demokratische Ordnung betrachte. Das Gericht lehnte jedoch den Verbotsantrag ab, da es keine Beweise erkennen konnte, dass es der NPD gelingen könnte, das Verfassungssystem abzuschaffen.[58] Weitere diesbezügliche Maßnahmen werden in Ziffer 56 behandelt.

42. Es wurde auch unter den Mitgliedern der AfD eine signifikante Anzahl von Neonazis identifiziert. Mehrere von ihnen wurden aus der Partei ausgeschlossen, nachdem sie den Hitler-Gruß gezeigt oder auf andere Weise ihre Befürwortung oder Sympathie für die Naziideologie gezeigt hatten. Im Januar 2018 wurden rassistische und fremdenfeindliche Kommentare von den Accounts von drei MPs der AfD in sozialen Medien gelöscht.[59] Im Januar 2019 erklärte das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV), es gebe auf Grundlage eines umfangreichen Berichts ausreichend Beweise, dass es in den zwei Unterorganisationen der AfD „Der Flügel” und der Jugendorganisation „Junge Alternative” verfassungswidrige Tendenzen gebe. Laut Bericht sei die größte Gefahr, die von der AfD ausginge, ihr Rassismus, der auf einem „biologisch-rassistischen oder ethnisch-kulturellen Verständnis des Menschen“ basiere; dieser Rassismus konzentriere sich insbesondere und offensichtlich in den bereits erwähnten Unterorganisationen Der Flügel und Junge Alternative; einige Mitglieder des „Flügel“ hätten Verbindungen zu extremistischen Organisationen.[60] Laut Recherche einer bekannten Zeitung sind mindestens 27 Mitarbeiter der MPs der AfD in der Vergangenheit Anhänger radikaler oder rechtsextremer Organisationen gewesen.[61]

43. Der konstante islamophobe und fremdenfeindliche Diskurs, der von der extremen Rechten ausgeht, wirkte sich ebenfalls auf den allgemeinen politischen Diskurs aus. Während des Wahlkampfes in Bayern erklärte der Bundesinnenminister öffentlich im März 2018 in Deutschlands größter Boulevardzeitung, der „Islam gehört nicht zu Deutschland”.[62] In einer Pressekonferenz am 10. Juli 2018 sagte er, es seien an seinem 69. Geburtstag 69 Afghanen abgeschoben worden.[63] Nach Meinung der ECRI fördert diese implizite Darstellung der Abschiebung von 69 Migranten als Geburtstagsgeschenk und die Verwendung ihres Schicksals als Gefallen für den Minister die Verunglimpfung der Betroffenen aufgrund ihrer ethnischen Herkunft. Im August 2018 entbrannte eine heftige öffentliche Debatte an der Frage, ob Ereignisse in Chemnitz als Hetze von Migranten und Pogrome durch einen Mob bezeichnet werden könnten, nachdem rassistische und fremdenfeindliche Slogans während der Ereignisse nach einem Mord gerufen worden waren, der mutmaßlich von einem Asylbewerber begangen worden war (siehe auch Ziffer65). Während der Präsident des BfV für das Herunterspielen der Ereignisse entlassen wurde, erklärte der Innenminister im Zusammenhang mit den Unruhen, „Migration ist die Mutter aller politischen Probleme”[64]. ECRI hat mit Zufriedenheit festgestellt, dass er zu einem späteren Zeitpunkt seine Rhetorik herunterfuhr, als er eine Islamkonferenz im November 2018 organisierte.[65]

Reaktionen auf Hassrede

44. Wie in ihrer GPR Nr. 15 über die Bekämpfung von Hassrede skizziert, ist ECRI der Meinung, es seien in mehreren Bereichen Maßnahmen erforderlich, um Hassrede wirksam zu verhindern und zu bekämpfen. Diese sind u.a. Aufklärungskampagnen, Prävention und Gegendarstellungen, Unterstützung der Opfer, Selbstregulierung, der Einsatz gesetzlicher Befugnisse und, als letztes Mittel, strafrechtliche Ermittlungen und Bestrafung.

45. In Bezug auf Aufklärung und Prävention erkennt ECRI als positiv die vielen Initiativen an, die entwickelt wurden. Der Nationale Aktionsplan gegen Rassismus (NAP) enthält einen Abschnitt zu Hassrede und die Koalitionsverträge der Regierungen der Bundesländer Hessen und Thüringen sehen die Ausarbeitung von Aktionsplänen gegen Hassrede bzw. Antiziganismus vor. Die oben erwähnten Initiativen zur Stärkung der Menschenrechtsbildung ebnen den Weg für einen systematischen Beitrag der regulären Bildungseinrichtungen zur Aufklärung junger Menschen über die Bedeutung der Gleichbehandlung und die Gefahren von Hassrede. Im Rahmen des Projekts „Demokratie leben!” des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend und ähnlicher Projekte der Bundesländer wurden viele Beispiele guter Praxis zur Verhinderung und Bekämpfung von Hassrede entwickelt. Sie schließen Online-Kampagnen zur Bekämpfung von Hassrede im Internet durch Hashtags wie #ichbinhier oder #wirsindmehr ein; in diesem Zusammenhang verweist ECRI wiederum auf die Empfehlung in Ziffer18. Die Bundeskanzlerin und die Minister haben mehrmals Hassrede verurteilt, Expertengruppen zur Bekämpfung von Antisemitismus und Antiziganismus eingerichtet und sie fördern eine positive Vision der vollständigen Integration und Vielfalt in der Gesellschaft.[66] Prominente Manager wie z. B. die Vorstandsvorsitzenden von Siemens, Daimler und EON haben sich nach den Ereignissen in Chemnitz[67] gegen Rassismus und Hassrede ausgesprochen, und es wurde nach solchen Fällen von Hassrede und Hasskriminalität eine große Zahl von Gegendemonstrationen und Konzerten organisiert. Nach einem Angriff auf eine Person im April 2018 in Berlin, die eine Kippa trug, wurden in einem Akt der Solidarität 10.000 Kippas ausgehändigt und es fanden aus diesem Anlass und in anderen Städten „Kippa-Märsche“ statt.[68]

46. ECRI bedauert jedoch, dass der NAP keine konkreten Ziele, Maßnahmen, Zeitvorgaben, Budgets, Indikatoren mit Ausgangs- und Zielvorgaben und keine Befugnisse und keine Mitarbeiter nennt, die für das Erreichen der einzelnen Ziele und die Umsetzung der einzelnen Maßnahmen zuständig sind. Wie ECRI bereits in ihrem fünften Bericht unterstrichen hat, wirken sich diese Mängel im Entwurf der Aktionspläne negativ auf ihre Umsetzung, Wirkung und das Monitoring aus. ECRI verweist des Weiteren auf die Empfehlung, die in Ziffer 18 dieses Berichts zur Stärkung der Menschenrechtsbildung in Schulen ausgesprochen wurde.

47. Im Hinblick auf den zweiten Strang an Aktionen, die in der GPR Nr. 15 aufgeführt sind, i.e. Unterstützung der Opfer von Hassrede, ist ECRI der Meinung, wie bereits in Ziffer 5 ff. dieses Berichts erläutert, dass ein ausreichend robustes und dichtes Netzwerk an Beratungsdiensten für Opfer fehlt. Gleichheitsstellen sollten ein klares Mandat, die erforderlichen Zuständigkeiten und Mittel erhalten, um Opfern von Hassrede zu helfen (siehe die Empfehlung in Ziffer 10 oben).

48. ECRI erkennt die positive Tatsache an, dass der Bundestag und die Landtage der Bundesländer über Verhaltenskodizes verfügen, die in Fällen von Hassrede Sanktionen vorsehen. In Baden-Württemberg wurden zwei Mitglieder der AfD von einer Sitzung ausgeschlossen, u.a. wegen rassistischer Aussagen. Außerdem wurde der Ausschluss von den folgenden drei Sitzungen als zusätzliche Sanktion angekündigt, sollte der anfänglichen Anordnung nicht Folge geleistet werden.[69]

49. Im März 2017 änderte der Deutsche Presserat nach einer öffentlichen Debatte zur Medienberichterstattung von Ereignissen, die mutmaßlich von Ausländern begangene Straftaten und insbesondere den Angriff auf Frauen an Silvester 2015/2016 betrafen, Ziffer 12 des Pressekodex und veröffentliche Richtlinien für dessen Interpretation[70]. Richtlinie 12.1 des Pressekodex erklärt nun, dass die Zugehörigkeit von Verdächtigten zu ethnischen, religiösen oder anderen Minderheiten normalerweise nicht genannt werden sollte, es sei denn, es bestehe ein begründetes öffentliches Interesse. ECRI erinnert daran, dass diese Informationen von der Polizei nur dann offengelegt werden sollten, wenn dies unerlässlich ist und einem legitimen Zweck dient.[71]

50. Im Hinblick auf Hassrede im Internet hält ECRI es für positiv, dass der Bundesjustizminister und in Folge auch die Bundeskanzlerin die Betreiber sozialer Netzwerke aufgefordert haben, ihre bestehenden Selbstregulierungsrichtlinien umzusetzen und Hasskommentare rasch und umfassend von ihren Netzwerken zu löschen. Dieser Druck allein reicht jedoch nicht aus, um die fraglichen Unternehmen zu motivieren, ihre Selbstregulierungsrichtlinien und das strafrechtliche Verbot von Hassrede durchzusetzen.[72] ECRI begrüßt aus diesem Grund die weitere Initiative der Bundesregierung, auf diesen Mangel einer wirksamen Selbstregulierung mit der Verabschiedung des Netzwerkdurchsetzungsgesetztes (NetzDG) zu reagieren, das am 1. Oktober 2017 in Kraft trat. Dieses Gesetz fordert seit dem 1. Januar 2018 von den Betreibern sozialer Netzwerke mit zwei oder mehr Millionen Nutzern in Deutschland, illegale Inhalte, u.a. Hasskommentare, bei eindeutigen Fällen innerhalb von 24 Stunden nach Benachrichtigung durch einen Nutzer zu entfernen. Das Bundesamt für Justiz kann bei einem Verstoß gegen diese Verpflichtung ein Bußgeld in Höhe von bis zu 50 Mio. Euro verhängen.

51. ECRI ist die große öffentliche Debatte bekannt, die mit der Verabschiedung dieses Gesetzes verbunden war, das in die Meinungsfreiheit eingreift. Ihrer Meinung nach können die vom NetzDG festgelegten Restriktionen als notwendig für eine demokratische Gesellschaft im Sinne von Artikel 10.2 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) betrachtet werden, insbesondere zum Schutz des Ansehens und der Rechte auf Privatleben und der Ehre von Personen, die Hassrede ausgesetzt werden (Artikel 8 EMRK) und zur Verhinderung von Unruhen und Straftaten.[73]

52. Während des Besuchs in Deutschland wurde ECRI über die positiven Auswirkungen des NetzDG informiert: die großen Betreiber sozialer Netzwerke haben erhebliche Mittel investiert, um das Gesetz effizient anzuwenden.[74] Viele Interessenvertreter haben bestätigt, dass die schwersten und offenkundigsten Formen von Hassrede von den großen Plattformen verschwunden sind und somit nicht mehr die hohe Anzahl von deren Nutzern erreichen. ECRI begrüßt des Weiteren die Initiative einiger Betreiber von sozialen Netzwerken, die die Einrichtung eines Selbstregulierungsorgans fordert, das befugt ist, über schwierige Fälle zu entscheiden. In Anbetracht des hohen Werts der freien Meinungsäußerung ist ECRI der Ansicht, dass die Behörden einen wirksamen Zugang zu gerichtlichen Kontrollen in den Fällen sicherstellen sollten, in denen Inhalte gelöscht wurden. Diesbezüglich vermerkt ECRI auch als positive Entwicklung die wachsende Rechtsprechung in Bezug auf die Anwendung des NetzDG. ECRI stellt abschließend fest, dass sie während der extensiven Gespräche, die sie bei ihrem Besuch in Deutschland geführt hat, keine Beweise für das ernstzunehmende Problem des „Overblocking” von Inhalten durch das NetzDG erhalten hat.[75] ECRI wird diese Frage weiter eingehend prüfen.

53. ECRI bedauert, dass laut Zivilgesellschaft der Zugang zu Meldemechanismen auf den Seiten der sozialen Netzwerke nicht leicht zu finden und die Verfahren aufwändig sind; dies könnte die relativ geringe Menge an gemeldeten Inhalten auf einigen Internetseiten erklären. Diesbezüglich stellt ECRI mit Interesse fest, dass gegen Facebook ein Bußgeld in Höhe von 2 Mio. Euro verhängt wurde, u.a. weil sein NetzDG-Meldeformular zu schwierig zu finden war.[76] ECRI bedauert außerdem, dass es keinen Mechanismus gibt, der sicherstellen würde, über den die sozialen Netzwerke systematisch strafrechtlich relevante Inhalte und die damit verbundenen Beweise an die Polizei und die Staatsanwaltschaft weiterleiteten können. Somit kann sich die allgemeine präventive Wirkung der Strafverfolgung und Verurteilung von Hassrede nicht vollständig entfalten und in Folge zur Eliminierung von Hassrede im Internet beitragen. Darüber hinaus tauchen neue Herausforderungen auf, da Personen und Gruppen, die Hassrede verbreiten, zu kleineren Betreibern, zu Servern, die sich in Staaten befinden, die keine Gesetze gegen Hassrede haben, und zu geschlossenen WhatsApp-Gruppen wechseln; auf diese Weise verstoßen sie weiter gegen deutsche Strafrechtsbestimmungen in Bezug auf Hassrede.[77]

54. ECRI empfiehlt den deutschen Behörden, die Meldemechanismen und die Vorschriften über das Melden von Hassrede in den sozialen Medien zu standardisieren, sicherzustellen, dass Beweise für Hassrede im Internet gesichert und an die Strafverfolgungsbehörden weitergeleitet werden, und für die Polizei und die Staatsanwaltschaften Möglichkeiten zu entwickeln, mit denen im Internet die Verbreitung von Hassrede auf neuen Kanälen unterbunden werden kann.

55. ECRI stellt erfreut fest, dass der neue Nationale Aktionsplan Integration (NAP-I, siehe unten Ziffer 76) ein Kapitel über Medien enthalten wird. ECRI ruft alle Interessenvertreter auf, die an der Überarbeitung des NAP-I beteiligt sind, Maßnahmen zu entwickeln, die die Ausbreitung von Hassrede eindämmen und Botschaften vermeiden, die unbeabsichtigt Rassismus und Fremdenfeindlichkeit auslösen.

56. Obwohl ECRI erkennt, dass es nur wenige zivilrechtliche Fälle von Hassrede gibt, befürwortet sie die Umsetzung ihrer Empfehlung durch Deutschland, eine gesetzliche Pflicht zu verankern, die staatliche Finanzierung von politischen Parteien und anderen Organisationen einzustellen, die Rassismus befürworten (Ziffer 19 im fünften ECRI-Bericht); der neue Artikel 21.3 des Grundgesetzes über den Ausschluss verfassungswidriger Parteien von der staatlichen Finanzierung gestattet dies de facto. Ein Antrag, die staatliche Finanzierung der NPD auszusetzen, ist beim deutschen BVerfG anhängig. In Anbetracht der Ergebnisse des Berichts des BfV über die AfD und ihre Unterorganisationen (siehe Ziffer 42 oben) ist ECRI der Ansicht, dass ein ähnliches Verfahren gegen diese Partei geprüft werden sollte.

57. Im nachfolgenden Abschnitt über rassistische, homo- und transphobe Gewalt werden die Anzeige, Ermittlungen, Strafverfolgung und Bestrafung von Hassrede behandelt.

B. Hassmotivierte Gewalt

58. Für die letzten fünf Jahre zeigen die Statistiken der Zivilgesellschaft höhere Zahlen von potenzieller Hasskriminalität als die offiziellen Statistiken. Im Jahr 2018 haben die Opferberatungsstellen der fünf neuen Bundesländer und von Berlin 1.212 Angriffe registriert, die durch rechtsextremen, rassistischen oder antisemitischen Hass motiviert waren (2017: 1.123), wohingegen die Polizei für alle 16 Bundesländer lediglich 871 (2017: 821) Fälle von Hasskriminalität registrierten, die von rechten (rechtsextremen) Tätern begangen wurden.[78] Eine neuere Studie zeigt sogar noch eine größere Untererfassung: 8 % aller muslimischen Befragten aus Staaten südlich der Sahara gaben z. B. an, dass sie in den vergangenen 12 Monaten körperliche Gewalt erlebt hatten.[79] Die Unterschiede in den Statistiken bestehen auch im Hinblick auf die Anzahl der Opfer, die von Personen mit einer rassistischen oder rechtsextremen Gesinnung getötet wurden.[80]

59. In Anbetracht dieser Unterschiede betrachtet es ECRI als gute Praxis, dass mehrere Bundesländer in Zusammenarbeit mit akademischen Einrichtungen Mordfälle neu beurteilen, die bis in das Jahr 1990 zurückreichen und die die Zivilgesellschaft und die Medien als Hassdelikte betrachten; diese neue Beurteilung führte zu einer wesentlichen Überarbeitung der offiziellen Statistiken.[81] Darüber hinaus hat die NRO Opferberatungsstelle in Brandenburg ECRI informiert, dass sich aus der intensiven gemeinsamen Analyse dieser Fälle eine nachhaltige Zusammenarbeit ergeben hat; seither übermittelt die Polizei wöchentlich Daten an die NRO und untersucht, ob weitere Fälle als Hassdelikte beurteilt und untersucht werden müssen. Die Einrichtung spezieller Polizeieinheiten und Staatsanwälte für Hasskriminalität hat ebenfalls zu einer verbesserten Meldung und Protokollierung von Hassdelikten geführt.[82]

60. ECRI vermerkt des Weiteren als positiv die Tatsache, dass die Polizei und die Justiz auf die Empfehlungen des zweiten NSU-Untersuchungsausschusses des Bundestags (siehe Ziffer 50 ff. des fünften Berichts von ECRI) reagiert und die Definition von Hassdelikten ausgeweitet haben, indem sie Polizeibeamte verpflichtet haben, die Vorlage von Beweisen für eine hassmotivierte Tat anzugeben, und neue Unterkategorien in der Statistik zur Hasskriminalität geschaffen haben.

61. Obwohl diese Änderungen zur Registrierung und Untersuchung einer wesentlich höheren Anzahl von hassmotivierten Straftaten geführt haben, werden viele dieser Fälle immer noch nicht bei der Polizei angezeigt. Zu den Gründen für diese Untererfassung gehören der irreführende Name „Statistik zu politisch motivierten Straftaten”, in der Hassdelikte erfasst werden, die Definition von Hassdelikte,[83] die immer noch enger gefasst ist als von ECRI in Ziffer 14 ihrer GPR Nr. 11[84] empfohlen, i.e. jeder Zwischenfall, der vom Opfer oder einer anderen Person als rassistisch empfunden wird, eine fehlende kontinuierliche Zusammenarbeit mit der Zivilgesellschaft und das daraus resultierende fehlende Vertrauen in die Polizei und das Fehlen einer Schulung von Polizeikräften, Staatsanwälten und Richtern.[85]

62. ECRI empfiehlt, dass die Polizeidienste des Bundes und aller 16 Bundesländer zusammen mit zivilgesellschaftlichen Organisationen und wissenschaftlichen Einrichtungen systematisch Indizien für zurückliegende und neue Hassdelikte einschließlich strafbarer Hassrede analysieren, um Fälle von Hasskriminalität möglichst vollständig zu identifizieren und zu erfassen. Zu diesem Zwecke sollten sie in allen Bundesländern bei der Polizei und den Staatsanwaltschaften Stellen benennen, die sich auf die Ermittlung von Hassdelikten spezialisieren und mit zivilgesellschaftlichen Organisationen einen regelmäßigen Austausch zu Fällen von Hasskriminalität aufbauen.

63. ECRI empfiehlt des Weiteren, dass die Polizeidienste des Bundes und aller 16 Bundesländer Studien über die Ermittlung von Hassdelikten einschließlich strafbarer Hassrede in Auftrag geben, ihre Statistiken mit jenen der Justiz verknüpfen und detaillierte Berichte herausgeben, die ihre Statistiken und Aktivitäten zur Prävention und Ermittlung von Hassdelikten analysieren. Diese Berichte sollten die schwersten Fälle von Hasskriminalität untersuchen, mehr aufgeschlüsselte Daten enthalten (z. B. für die verschiedenen Vorschriften des Strafgesetzbuches zur Hasskriminalität, für die 16 Bundesländer, für Täter- und Opferkategorien) und Maßnahmen für ein besseres Erkennen, Erfassen und Ermitteln von Fällen der Hasskriminalität aufzeigen.

64. ECRI stellt mit Bedauern fest, dass sich nach der oben erwähnten Ankunft der hohen Zahl von Asylsuchenden in der zweiten Hälfte von 2015 eine Welle von Angriffen auf Asylbewerber ereignet hat. Im Januar 2016 wurden 326 Fälle von Hasskriminalität gegen diese Opfer registriert und im Mai 2016 wurde mit 67 Gewalttaten der Höhepunkt erreicht.[86] Laut den Behörden war ein Drittel der Täter der Polizei zuvor nicht strafrechtlich bekannt.

65. Laut Verfassungsschutzbericht steigt die Zahl der Rechtsextremisten, die gewaltbereit sind, weiter an und wurde Ende 2017 auf 12.700 geschätzt.[87] Bei den Angriffen auf Asylbewerberheime stechen fünf Bombenangriffe hervor, die von einer Gruppe von rechten Terroristen aus Freital in Sachsen begangen wurden. Acht der Täter wurden wegen versuchten Mordes, Bildung einer terroristischen Organisation und anderer Straftaten zu Freiheitsstrafen von 4 bis 10 Jahren verurteilt; die Berufungen wurden am 16. Mai 2019 abgelehnt.[88] An den Unruhen, die in Chemnitz nach einem Mord ausbrachen, der mutmaßlich von einem Asylbewerber begangen wurde, waren ebenfalls rechtsextreme und Neonazi-Gruppen beteiligt. 2019 erhielt eine Rechtsanwältin, die ein Opfer der rassistischen Terrororganisation Nationalsozialistischer Untergrund (NSU) vertrat, wiederholt Morddrohungen, die von einer Gruppe namens „NSU 2.0” unterzeichnet waren.[89] Das einzige überlebende Mitglied des NSU (vgl. Ziffer 50 ff. im fünften ECRI-Bericht) wurde am 11. Juli 2018 wegen Mordes in 10 Fällen, des versuchten Mordes in 32 Fällen, schwerer Brandstiftung und Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung zu lebenslanger Haft verurteilt.[90]

66. Bei den Terrorangriffen mit islamistischem Hintergrund führte der am 19. Dezember 2016 auf den Berliner Weihnachtsmarkt verübte Angriff zur höchsten Opferzahl. Der Täter, der 11 Menschen tötete und ca. 100 verletzte, als er einen Lkw in eine Menschenmenge steuerte, nahm ein Video auf, in dem er dem IS treue Gefolgschaft gelobte und Anhänger aufrief, Rache an den „Kreuzrittern” zu nehmen, die Muslime bombardieren.[91]

67. ECRI nimmt als positiv zur Kenntnis, dass die Polizei und Nachrichtendienste des Bundes und der Bundesländer ein Gemeinsames Terrorismusabwehrzentrum als Plattform für wöchentliche Treffen zur Bekämpfung von Extremismus eingerichtet haben.[92] Die Behörden lösen darüber hinaus weiter rassistische Organisationen auf. Während des Besuchs in Deutschland wurde ECRI davon in Kenntnis gesetzt, dass die Prävention von Extremismus vorrangig im Rahmen von Projekten erfolgt, die vom Bund und den Bundesländern finanziert werden. In Anbetracht der wiederholten Fälle, in denen rechtsextreme, Neonazi- und islamistische Gruppen an tödlichen Serien von rassistischen Hassdelikten beteiligt waren, ist ECRI der Meinung, die Polizei und die Nachrichtendienste sollten ihre Tätigkeit in den Bereichen Prävention von Radikalisierung verstärken, indem sie auf Mitglieder rassistischer und homo-/transphober Organisationen zugehen und diese überzeugen, diese Organisationen zu verlassen[93], deren Aktivitäten und Straftaten untersuchen und diese Organisationen auflösen. Es ist ein rigides Vorgehen insbesondere in den fünf östlichen Bundesländern[94] erforderlich, um die Tendenz, u.a. durch die Intensivierung der Menschenrechtsbildung an den Schulen (siehe Ziffer 12 ff. oben), von steigender Fremdenfeindlichkeit, Rassismus, Homo-/Transphobie und Radikalisierung in Teilen der Bevölkerung umzukehren. In diesem Zusammenhang zeigt sich ECRI erschüttert über die Einstellungen von Nachbarn im Fall des brennenden Hauses in Plauen (Sachsen), das von Roma bewohnt wurde, die schrien „Lasst sie brennen“, den Hitlergruß zeigten und die Polizei- und Feuerwehrkräfte angriffen und versuchten, diese davon abzuhalten, die 42 Bewohner zu retten, von denen 22 verletzt wurden und einige schwere Verbrennungen davon trugen.[95]

68. ECRI empfiehlt der Polizei und den Nachrichtendiensten des Bundes und der 16 Bundesländer, Strategien und Maßnahmen zu entwickeln und umzusetzen, um Radikalisierung zu verhindern und Mitglieder rassistischer, homophober, transphober und Neonazi-Gruppen gezielt anzusprechen und davon zu überzeugen, die jeweilige Organisation dauerhaft zu verlassen.

69. Im Hinblick auf die Ermittlungen in Fällen von Hasskriminalität begrüßt ECRI die Umsetzung einer der Empfehlungen ihrer fünften Prüfungsrunde 2015 in Form einer Änderung von §46 StGB, der nun vorsieht, dass jedes rassistische, fremdenfeindliche oder andere Motiv eines Täters, das auf Menschenverachtung beruht, als strafverschärfend gilt.[96] In Folge wurden auch die Richtlinien der Polizei und der Staatsanwaltschaft geändert[97], und ein Schulungsprogramm für Richter und Staatsanwälte wurden vom Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz und vom DIMR initiiert.[98]

70. Gleichzeitig erhielt ECRI Berichte über laufende Mängel bei Ermittlungen und bei der Verurteilung von Hassdelikten, insbesondere während des Besuchs ihrer Delegation in Sachsen. Ermittlungen machen manchmal nur langsame Fortschritte, erfahrene Polizeibeamte werden von Ermittlungen bei Hassdelikten abgezogen, Asylbewerber, die Opfer von Hassdelikten werden, werden abgeschoben, bevor sie in Strafverfahren aussagen können, die Motive der Täter werden nicht ausreichend untersucht oder ernst genommen und Richter wenden nicht immer Bestimmungen zu Hassdelikten an, insbesondere den neuen §46 StGB.

71. ECRI empfiehlt dem Bund und den Bundesländern, die Aus- und Fortbildung von Polizeibeamten, Staatsanwälten und Richtern im Erkennen, Ermitteln und Aburteilen von Hassdelikten einschließlich strafbarer Hassrede zu intensivieren, und verbindliche Regeln einzuführen, die sicherstellen, dass Opfer von Hassdelikten, deren Anträge auf Asyl abgelehnt wurden, nicht vor der endgültigen Entscheidung der Strafverfahren abgeschoben werden.

III. INTEGRATION UND INKLUSION

A. Migranten

72. 2017 wiesen ca. 23,56 % der deutschen Bevölkerung einen Migrationshintergrund auf.[99] In einigen Bundesländern liegt dieses Verhältnis bei nahezu einem Drittel und in einigen Ballungsgebieten beträgt sie mehr als die Hälfte. Die größten Gruppen stammen aus der Türkei (2.774.000), Polen (2.100.000), Russland (1.381.000), Kasachstan (1.237.000), Italien (859.000), Rumänien (859.000) und Syrien (706.000).[100] Die Hälfte von ihnen besitzt die deutsche Staatsbürgerschaft.[101] Im Sommer und Herbst 2015 kam eine große Anzahl von Asylbewerbern nach Deutschland, die bis Ende 2018 auf insgesamt 1.780.000 Menschen stieg, die Schutz benötigten.[102]

73. Wie im fünften Prüfungsbericht über Deutschland von ECRI beschrieben, teilen sich Bund und Länder die Zuständigkeiten bei der Integrationspolitik.[103] ECRI begrüßt die Tatsache, dass der Bund klar eine frühe Integrationsstrategie für Neuankömmlinge verfolgt, seit das Gesetz zur Beschleunigung von Asylverfahren am 24. August 2015 in Kraft trat. Asylbewerber mit guten Aussichten, einen Status zu erhalten, haben bereits vor der Erteilung eines Schutzstatus Zugang zu Integrationskursen und anderen arbeitsmarktbezogenen Maßnahmen. Personen, die Anspruch auf Asyl haben, anerkannte Flüchtlinge und subsidiär Schutzberechtigte haben ebenfalls Anspruch auf Teilnahme an einem Integrationskurs. Asylbewerber mit einer unklaren Perspektive haben Zugang zu Kursen, die eine erste Orientierung bieten, u.a. Grundkurse in Deutsch, und ihnen kann ebenfalls ein Zugang zu arbeitsmarktbezogenen Hilfsmaßnahmen gewährt werden.[104] Das wichtigste Integrationsinstrument ist der Integrationskurs, der Deutschunterricht (600 oder mehr Stunden) und Bürgerrechtskunde (100 Stunden) umfasst. Die Teilnahme kann verpflichtend sein und die Kurse müssen spätestens sechs Wochen nach der Registrierung der betroffenen Person beginnen.[105]

74. ECRI lobt die hervorragende Geste Deutschlands, seine Grenzen für die vielen Asylbewerber und Migranten zu öffnen, die in der zweiten Hälfte 2015 durch Europa zogen. Viele Menschen und NRO trugen zur Begrüßung und zu ihrer Aufnahme bei; die hohe Anzahl an Neuankömmlingen führte zu 890.000 Asylanträgen (siehe auch Ziffer 39oben).[106] Deutschland begann, massiv in seine Integration zu investieren, und 2018 gaben der Bund und die Bundesländer ca. 15,1 Mrd. Euro für die Aufnahme und Integration der Asylbewerber und Flüchtlinge aus.[107]

75. Die Behörden haben ECRI informiert, dass sie im Begriff sind, den zweiten Nationalen Aktionsplan Integration (NAP-I) aus dem Jahr 2012 zu überarbeiten und dass die Empfehlungen, die ECRI in ihrem fünften Bericht gemacht hat, gebührend berücksichtigt werden. Der aktualisierte NAP-I deckt alle Migrantengruppen ab, einschließlich Flüchtlinge, EU-Migranten, qualifizierte Arbeitskräfte und jene, die bereits seit langer Zeit im Land leben. Er konzentriert sich auf fünf Phasen der Immigration und Koexistenz: die Phase vor der Migration, die Anfangsphase, die Integrationsphase, das Zusammenwachsen und Kohäsion. Unter Mitwirkung der Bundesländer, Gemeinden, nichtstaatlichen Akteure und Migrantenorganisationen werden Tätigkeitsbereiche und konkrete Maßnahmen erarbeitet. ECRI begrüßt diesen ganzheitlichen Ansatz, der den gesamten Prozess der vollständigen Integration abdeckt, der bereits vor Ankunft in Deutschland beginnen kann und über die verschiedenen Phasen bis zur vollständigen Inklusion in die Gesellschaft verläuft. ECRI nimmt außerdem erfreut zur Kenntnis, dass der Plan mehrere neue Themen aufnimmt, u.a. Antidiskriminierung.

76. Obwohl die Überarbeitung des NAP-I im Juni 2018 begann, bedauert ECRI die Feststellung, dass bisher keine signifikanten Fortschritte gemacht wurden und ruft die Behörden aus, den Prozess zu beschleunigen.[108] Wie im vorausgegangenen Bericht und in Ziffer 46 oben ausgeführt, unterstreicht ECRI, dass effiziente Aktionspläne konkrete Zielsetzungen, Maßnahmen, Indikatoren für das Messen von Fortschritten, Ausgangspunkte und zu erreichende Vorgaben, Zeitpläne und Budgets enthalten müssen und dass sie eindeutig Personen und Behörden nennen sollten, die für das Erreichen der einzelnen Zielsetzungen und die Umsetzung der Maßnahmen zuständig sind. In diesem Zusammenhang stellt ECRI erfreut fest, dass der Bund und die Bundesländer weiter ihr System der Integrationsindikatoren verfeinern, das bereits heute die Überwachung der Fortschritte, Vergleiche und positive Trends in den einzelnen Bundesländern und die Suche für die Erfolgsfaktoren und guten Praktiken ermöglicht, die sich hinter diesen Trends verbergen.[109] ECRI ruft die Behörden eindringlich auf, diese Indikatoren bei der Überarbeitung des NAP-I zu berücksichtigen.

77. ECRI empfiehlt den Behörden, die Überarbeitung des Nationalen Aktionsplans Integration zu beschleunigen, zentrale Integrationsindikatoren für dessen Zielsetzungen und Maßnahmen zu definieren und diese in ihn einzufügen. Des Weiteren sollten sie in dem Plan für alle Ziele und Maßnahmen Ausgangswerte und messbaren Zielwerte, Zeitpläne und Budgets festlegen, Personen und/oder Behörden benennen, die für das Erreichen jeder Zielsetzung und das Umsetzen jeder Maßnahmen verantwortlich sind, und einen Mechanismus für eine regelmäßige Evaluierung schaffen.

78. Vier Bundesländer – Berlin 2010, Nordrhein-Westfalen 2012, Baden-Württemberg 2015 und Bayern 2016 – haben eigene Integrationsgesetze verabschiedet, und alle 16 Bundesländer und viele Gemeinden haben Integrationskonzepte oder Richtlinien entwickelt.[110]

79. Bei der Beurteilung der deutschen Integrationspolitik hat die UNESCO vor kurzem die Investitionen von zusätzlich 800 Mio. Euro in den Sprachunterricht in Vorschulen und das System zur Anerkennung ausländischer Abschlüsse hervorgehoben, die sie als beste Praxis bezeichnet. Gleichzeitig ist sie der Meinung, es bestehe Bedarf für Verbesserungen im Hinblick auf Gleichheit und dass viele Flüchtlinge mangelnde Sprachkenntnisse haben und ihnen anderweitige Qualifikationen fehlen, um auf dem Arbeitsmarkt Fuß fassen zu können.[111] Bei der Beurteilung 2015 unter dem Migrant Integration Policy Index (MIPEX), der 167 Indikatoren anwendet, erreichte Deutschland einen Platz unter den obersten 10 von 38 untersuchten Staaten. Die deutschen Behörden weisen darauf hin, dass einige Integrationsindikatoren in jüngster Zeit weniger positive Trends erkennen lassen, da eine große Anzahl von Neuankömmlingen sich erst am Anfang ihres Integrationsprozesses befinden.[112]

80. Im Hinblick auf Bildung zeigte sich ECRI in seinem vorausgegangenen Bericht besorgt über die Anmeldezahlen von Kindern mit Migrationshintergrund in Kindertagesstätten und Vorschuleinrichtungen, die weit unter dem Durchschnitt liegen. Dieses Thema ist von größter Bedeutung, da die Anzahl der Kinder mit Migrationshintergrund weiter steigt und an vielen Orten über 50 % der jährlich geborenen Kinder ausmacht. ECRI betont, dass die Vorschulbildung besonders wichtig für die Inklusion von Kindern ist, die die zukünftige Unterrichtssprache zu Hause nicht sprechen und deren Eltern nicht das nationale Bildungssystem durchlaufen haben. Wenn sie nicht Gelegenheit erhalten, Deutsch im Kindergarten oder in der Vorschule zu lernen, beginnen sie ihre Schulausbildung bereits mit einer entscheidenden Benachteiligung. Obwohl ECRI die Tatsache begrüßt, dass alle Kinder älter als 12 Monate seit dem 1. August 2013 Anspruch auf einen Kita-Platz haben, wurde sie bei ihrem Besuch informiert, dass es aufgrund des unzureichenden Platzangebots besonders in größeren Städten immer noch schwierig für Menschen mit Migrationshintergrund ist, Plätze für ihre Kinder zu finden. Obwohl sich die Anmeldezahlen an Vorschulen im Zeitraum 2009-2017 für Kinder mit Migrationshintergrund jünger als drei Jahre nahezu verdoppelt haben[113], zeigt sich ECRI besorgt über die Tatsache, dass sie nur auf 20 % gestiegen sind und nur die Hälfte der Zahlen für Kinder ohne Migrationshintergrund ausmachen (40 %). Bei Kindern im Alter von 3 bis 6 Jahren stiegen die Anmeldungen auf 84 %, lagen aber immer noch 14 % unter dem Anteil der Kinder ohne Migrationshintergrund. Es soll hier hervorgehoben werden, dass diese Unterschiede in einigen Bundesändern viel niedriger sind.[114]

81. ECRI empfiehlt den Behörden des Bundes, der Bundesländer und der Gemeinden nachdrücklich, in den Nationalen Aktionsplan Integration das Ziel und Maßnahmen für die signifikante Erhöhung der Zahl der Kinder mit Migrationshintergrund aufzunehmen, die Vorschuleinrichtungen besuchen.

82. ECRI stellt mit Zufriedenheit fest, dass die Mehrzahl der Bundesländer Eignungstests für Kinder in Vorschulen eingeführt haben, die 12 bis 24 Monate vor deren Übergang zur Grundschule stattfinden, um die Kinder mit Bedarf für eine zusätzliche Sprachförderung zu identifizieren. Die gängigste Praxis, um die Deutschkenntnisse von Kindern zu verbessern, ist der kindgerechte Ansatz Alltagsintegrierte Sprachliche Bildung, der durch das Bundesprogramm „Frühe Chancen: Schwerpunkt-Kitas Sprache & Integration”, und umgesetzt und mit Nachfolgeprogramm „Sprach-Kitas: Weil Sprache der Schlüssel zur Welt ist”.[115]

83. Im Hinblick auf die Primar- und Sekundarschule bedauert ECRI feststellen zu müssen, dass Kinder mit Migrationshintergrund nach dem 4. Schuljahr in der Lesekompetenz hinterher hinken: 18,3 % von ihnen erreichten nicht die Mindeststandards im Vergleich zu 7,9 % bei anderen Kindern. Noch besorgter zeigt sich ECRI, dass dieser Unterschied bis zum 9. Schuljahr auf 32,8 % der Kinder mit Migrationshintergrund steigt, die die Mindeststandards nicht erreichen, im Vergleich zu 15,2 % bei anderen Kindern. ECRI ruft die Bundesländer eindringlich auf, von anderen zu lernen, die diesbezüglich überdurchschnittliche Ergebnisse erzielen[116] und ihre Maßnahmen zur Reduzierung dieser Lücke weiter zu intensivieren, insbesondere in der Sekundarstufe.

84. ECRI wurde informiert, dass die Bundesländer unterschiedliche Programme für Kinder entwickelt haben, die erst kürzlich nach Deutschland gekommen sind. Während einige Bundesländer besondere „Begrüßungsklassen” eingerichtet haben, in denen Neuankömmlinge getrennt unterrichtet werden, haben andere Programme entwickelt, in denen Neuankömmlinge frühzeitig in die regulären Klassen integriert werden: nach einem Schwerpunkt auf Spracherwerb nehmen sie an Fächern wie Musik und Sport teil und sie werden vollständig in die reguläre Klasse integriert und erhalten zusätzliche Hilfe. Diesbezüglich verweist ECRI auf eine Studie aus dem Jahr 2016, die zu dem Schluss kommt, dass Begrüßungsklassen leicht zu einer Segregationspraxis werden können, wohingegen sich Migrantenkinder in Schulen mit integrativem Programm leichter anpassen und Kontakte knüpfen.[117] Dies entspricht der Empfehlung von ECRI in Ziffer I.3c und d ihrer GPR Nr. 10, die besagt, dass separate Klassen zu vermeiden und zeitlich strikt beschränkt sein müssen.

85. Im Hinblick auf den Wechsel zur Sekundarstufe nimmt ECRI erfreut zur Kenntnis, dass weitere Bundesländer beschlossen haben, die Empfehlungen, die in den Grundschulen für die drei weiterführenden Schulen ausgesprochen werden (Gymnasium, Realschule und Hauptschule), nicht mehr als bindend zu betrachten. In den meisten Bundesländern wurde die unterste Stufe, die Hauptschule, abgeschafft und durch andere Schularten ersetzt, u.a. Gesamtschulen, und die Kinder können leichter zwischen den einzelnen Schularten wechseln. Diese Änderungen haben zu einer Erhöhung des Anteils ausländischer Kinder in Gymnasien nach sich gezogen.[118] Wird der sozioökonomische Hintergrund berücksichtigt, ist der Anteil der Kinder mit und ohne Migrationshintergrund, die die verschiedenen Schularten besuchen, nahezu gleich. ECRI nimmt erfreut zur Kenntnis, dass der Anteil der Kinder mit den erforderlichen Qualifikationen, die sich für die höhere Bildung anmelden, in etwa bei jenen mit und ohne Migrationshintergrund gleich ist.[119]

86. Dessen ungeachtet weisen ausländische Kinder immer noch eine zweimal so hohe Wahrscheinlichkeit auf, die Schule ohne einen Abschluss der Sekundarstufe I zu verlassen (7,3 % im Vergleich zu 3,6 %) und sie erreichen mit einer dreimal so hohen Wahrscheinlichkeit keine Qualifikation für ein Hochschulstudium.[120] ECRI fordert den Einsatz dieser wichtigen Integrationsindikatoren bei der Überarbeitung des NAP-I und die Aufnahme einer Zielsetzung und von Maßnahmen, die Ergebnisse in diesem Bereich zu verbessern.

87. Im Hinblick auf die Integration in den Arbeitsmarkt nimmt ECRI erfreut zur Kenntnis, dass eine relativ hohe Anzahl von Menschen mit Migrationshintergrund in den letzten Jahren in der Lage war, einen Arbeitsplatz zu finden.[121] Obwohl ihre Arbeitslosenrate stärker fiel als bei der restlichen Bevölkerung, lag sie immer noch zweimal so hoch wie im Jahr 2017 (6,6 % vs. 3,1 %). Die Arbeitslosenrate (65,1 %) liegt ebenfalls hinter der der restlichen Bevölkerung (78,4 %), und Frauen mit Migrationshintergrund lagen 12,5 Prozentpunkte hinter den Männern dieser Gruppe.[122] Da Menschen mit Migrationshintergrund häufig eine geringere Bildung aufweisen, ihre ausländischen Zeugnisse nicht anerkannt werden, häufig nur einem „Minijob” nachgehen und im Monat nicht mehr als 450 Euro verdienen (11,4 % vs. 8 %) und häufiger Arbeiter sind (30,1 % vs. 15,7 %)[123], weisen sie ein höheres Armutsrisiko auf als der Rest der Bevölkerung.[124]

88. Im Hinblick auf die Beschäftigung von Asylbewerbern und Flüchtlingen nimmt ECRI positiv die Maßnahmen zur Kenntnis, die Arbeitsämter und Jobcenter kürzlich für deren Integration in den Arbeitsmarkt ergriffen haben.[125] Die Anzahl der berufsbildenden Kurse wächst weiter und eine Ausbildung wird insbesondere in Berufen aus den Bereichen Gesundheit, Handel, Gewerbe und Technik angeboten. In diesem Zusammenhang betrachtet ECRI das Programm „Willkommenslotsen“ des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie als gute Praxis. Im Rahmen dieses Programms unterstützen ca. 130 „Willkommenslotsen” Unternehmen bei der Besetzung von leeren Stellen und Ausbildungsplätzen mit Flüchtlingen und helfen ihnen während des Integrationsprozesses. Die ergriffenen Maßnahmen haben zu ermutigenden Ergebnissen geführt: während Studien nahelegen, dass es in der Vergangenheit durchschnittlich zehn Jahre dauerte, um 60 % der Flüchtlinge im Arbeitsmarkt zu integrieren,[126] hatte bereits ein Drittel der Migranten aus den acht Herkunftsstaaten, aus denen die meisten Asylbewerber kamen, im April 2019 eine Beschäftigung gefunden.[127] Flüchtlinge und Asylbewerber, zusammen mit Migranten aus vielen EU-Staaten, tragen auf diese Weise zur Behebung des Fachkräftemangels in Deutschland bei, insbesondere in den Bereichen Gesundheit und Pflege.

89. Neuste Zahlen zu Sprachtests für Migranten zeigen jedoch, dass die Erfolgsquote für Stufe B1 weiter abnimmt. Während 2015 69,9 % aller Teilnehmer die Stufe B1 bestanden, sank diese Rate in den ersten neun Monaten 2018 auf 52,3 %.[128] Fehlende Qualifikationen der neu eingestellten Lehrkräfte und eine höhere sprachliche Distanz der neu angekommenen Flüchtlinge werden als Gründe angegeben. Da der Spracherwerb allgemein für die Integration unerlässlich ist, ist ECRI der Ansicht, dass die zuständigen Behörden sorgfältig die Gründe für diese Abnahme untersuchen und zusätzliche Maßnahmen zur Verbesserung der Qualität und der Erfolgsrate ihrer Spracherwerbsprogramme entwickeln sollten.

90. Studien weisen auf die Tatsache hin, dass Diskriminierung einer der Faktoren für die bestehende Benachteiligung von Menschen mit Migrationshintergrund auf dem Arbeitsmarkt ist. Muslime und Dunkelhäutige erleben eine stärkere Diskriminierung als andere, und der Grad der Diskriminierung variiert bei den einzelnen Berufen.[129] Weitere Faktoren, die zu den fraglichen Lücken führen, sind die soziale Situation und der Bildungsgrad der Menschen mit Migrationshintergrund und von deren Eltern, die Sprachkenntnisse und die Qualität der sozialen Netzwerke, die ihnen bei der Arbeitssuche helfen.[130] Zur Behebung dieser gebündelten Gründe ruft ECRI die Behörden auf, den positiven Ansatz zur Motivierung von Arbeitgebern, Vielfalt zu akzeptieren[131], fortzuführen und gleichzeitig einen strikteren Ansatz zu verfolgen, wenn Maßnahmen zur Eindämmung von Diskriminierung ergriffen werden.

91. Im Hinblick auf den positiven Ansatz nimmt ECRI erfreut zur Kenntnis, dass der Prozentsatz der Menschen mit Migrationshintergrund, der in der öffentlichen Verwaltung arbeitet, weiterhin steigt und 14,8 % in der Bundesverwaltung und 10,7 % in der allgemeinen öffentlichen Verwaltung erreicht hat.[132] Diesbezüglich unterstreicht ECRI die gute Praxis der Berliner Polizei, bei der dieser Prozentsatz 2018 32,4 % betrug, und sie ruft die Behörden auf, generell die Zahl ihrer Mitarbeiter mit Migrationshintergrund zu erhöhen. ECRI begrüßt auch die Aktivitäten der Charta der Vielfalt[133], die von 3.000 Unternehmen und Institutionen mit mehr als 11 Mio. Angestellten im privaten und öffentlichen Sektor, einschließlich 15 Bundesländern, unterzeichnet wurde. Bei der Frage nach dem Einfluss der Charta der Vielfalt wurde ECRI informiert, dass die Charta auf Eigeninitiative aufbaut. Während einige Mitglieder die Charta zwar unterzeichnet haben, aber nicht sehr aktiv sind, haben andere umfangreiche Aktionspläne entwickelt und umgesetzt. ECRI ist der Ansicht, dass der Einfluss dieser exzellenten Initiative, die auf Eigenmotivation von Organisationen aufbaut, Vielfalt zu fördern, weiter verstärkt werden könnte und sollte.

92. ECRI empfiehlt den Behörden, die Charta der Vielfalt und deren Mitglieder dazu zu animieren, einen Index oder Indikatoren für die Evaluierung der Auswirkungen der Maßnahmen zu entwickeln, die die Mitgliedsorganisationen durchfühen. Auf Grundlage dieses Index sollte ein System für eine regelmäßige Evaluierung etabliert werden, um gute Praxisbeispiele zu identifizieren und die Voraussetzungen für ein Peer-Learning unter den Mitgliedsorganisationen der Charta zu schaffen.

93. Da Diskriminierung einer der Haupthürden für eine vollständige Integration ist, nimmt ECRI erfreut den Plan zur Kenntnis, in den überarbeiteten NAP-I einen Abschnitt über Antidiskriminierung aufzunehmen. Gleichzeitig ruft sie die Behörden auf, Indikatoren für Diskriminierung in ihr System der Integrationsindikatoren aufzunehmen und verweist auf ihre Empfehlung in Ziffer 11, um ein stimmiges System zu etablieren, das Opfern von Diskriminierung effektive Hilfe bietet. Familienzusammenführung, Zugang zu einer Aufenthaltserlaubnis, das Wahlrecht für Kommunal- und Regionalwahlen und die Einbürgerung sind zusätzliche Meilensteine auf dem Weg zu einer vollständigen Integration. ECRI ruft die Behörden auf, diese Themen in ihrem überarbeiteten NAP-I zu berücksichtigen.

94. ECRI versteht, dass das so genannte „Neutralitätsgebot” in acht Bundesländern besagt, dass Lehrkräfte in staatlichen Schulen und Richter keine religiösen Symbole tragen dürfen. De facto führt dies dazu, dass muslimische Frauen, die Kopftuch tragen, nicht in diesen Berufen tätig sein können, und einige Privatschulen weigern sich ebenfalls, Lehrerinnern mit Kopftuch einzustellen. Obwohl Organisationen der Zivilgesellschaft dies als eine Form der indirekten Diskriminierung muslimischer Frauen betrachten, gewährt der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) den Staaten einen erheblichen Ermessensspielraum im Bereich der religiösen Bekleidung und hat festgestellt, vergleichbare Einschränkungen seien gerechtfertigt, obwohl er die signifikanten negativen Auswirkungen dieser Verbote erkenne.[134] Das BVerfG entschied 2015, ein flächendeckendes gesetzliches Verbot des religiösen Ausdrucks in Form des äußeren Erscheinungsbildes eines Pädagogen, das ausschließlich auf einer abstrakten Gefährdung des Schulfriedens oder der staatlichen Neutralität basiere, sei verfassungswidrig.[135] ECRI fordert die deutschen Behörden auf, sich von den Bundesländern inspirieren zu lassen, die nicht über ein solches Neutralitätsgebot verfügen, und zu prüfen, ob strikte Verbote religiöser Symbole und Kleidung abgeschafft oder flexibler gehandhabt werden könnten, um eine Ausgewogenheit mit der Religionsfreiheit der Personen zu erreichen, die von solchen Verboten betroffen sind.

B. Sinti und Roma

95. Es gibt in Deutschland keine offizielle Statistik zur Anzahl der Sinti und Roma, deren Zahl auf 70.000 bis 105.000 Personen geschätzt wird.[136] ECRI stellt besorgt fest, dass die neuste qualitative Studie über die Situation der Sinti und Roma in Deutschland aus dem Jahr 2011 stammt. Laut dieser Studie litten 81,2 % der befragten Sinti und Roma unter offener oder versteckter Diskriminierung, während sich 54 % von Behörden eingeschüchtert, schlecht behandelt oder diskriminiert fühlten.[137] Andere Studien zeigen, dass der Grad an Vorurteilen und Stereotypen über Sinti und Roma hoch ist und dass 40 % der Bevölkerung eine negative Meinung zu ihnen haben.[138]

96. Im EU-Rahmen für Roma haben die deutschen Behörden weder eine Strategie noch einen Aktionsplan für Sinti und Roma entwickelt, sondern entschieden sich für die Vorlage einer Reihe politischer Maßnahmen, die auf der allgemeinen sozialen Integrationspolitik des Landes aufbauen.[139] Nur das Bundesland Berlin verfügt über eine umfassende Strategie für Roma, die allgemein die Bekämpfung von Antiziganismus[140] und die Förderung der Integration von Roma zum Ziel hat, die aus anderen europäischen Staaten stammen; sie befasst sich nicht mit der Verbesserung der Bedingungen der deutschen Sinti und Roma, die seit Jahrhunderten in Deutschland leben und Deutsch sprechen.[141] Vertreter der deutschen Sinti und Roma legen großen Wert auf die Feststellung, dass ihre Gemeinschaften keine soziale Integrationspolitik brauchen, da dies Antiziganismus auslösen würde. Die Behörden und die Zivilgesellschaft konzentrieren sich stattdessen auf die Bekämpfung des Antiziganismus. Im März 2019 wurde eine „Expertenkommission Antiziganismus“ eingerichtet, die die bestehenden Vorurteile und Stereotypen analysieren und Empfehlungen für deren Beendigung erarbeiten wird.[142] ECRI begrüßt des Weiteren die Tatsache, dass Deutschland seit 2017 das Europäische Roma Institut für Kunst und Kultur besitzt, das die Anerkennung der Kunst und Kultur von Roma, eine Steigerung des Selbstwertgefühls der Roma und einen Abbau der Vorurteile gegenüber Roma in der Mehrheitsgesellschaft zum Ziel hat.[143]

97. In Bezug auf die Bildungssituation der deutschen Sinti und Roma stellt ECRI besorgt fest, dass laut der oben erwähnten qualitativen Studie 44 % der befragten Sinti und Roma keinen Schulabschluss besaßen (im Vergleich zu 7,5 % der Allgemeinbevölkerung); 13 % hatten noch nie eine Schule besucht (im Vergleich zu 1 %); nur 19 % hatten eine abgeschlossene Berufsausbildung (im Vergleich zu 83 %); und 10,7 % hatten eine Sonderschule besucht (im Vergleich zu 4,9 %). Nur 11,5 % besuchten Schulen der Sekundarstufe I (im Vergleich zu mehr als 30 %) und nur 2,3 % die Sekundarstufe II. 46 % sagten, sie könnten innerhalb ihrer Familie keine Hilfe bei Hausaufgaben erhalten, der Hauptgrund hierfür sei der geringe Bildungsgrad der Eltern.[144]

98. ECRI stellt erfreut fest, dass vier Bundesländer (Berlin, Bremen, Hamburg und Schleswig-Holstein) Sinti und Roma-Mediatoren eingeführt haben und dass sich die Zusammenarbeit zwischen Sinti und Roma-Schülern, ihren Eltern und den Schulen verbessert hat. Während des Treffens mit der ECRI-Delegation betonten die Vertreter der Mediatoren den dringenden Bedarf für diese Unterstützung. Sie skizzierten außerdem den Entwurf und die Umsetzung der Ausbildung und der Zertifizierung der Sinti und Roma-Mediatoren sowie die wirksamen Protokolle im Fall des Schulschwänzens und wie diese dazu beitragen, die schulischen Ergebnisse von Sinti und Roma-Kindern zu verbessern. ECRI ruft die Behörden auf, diese gute Praxis auf weitere Bundesländer auszuweiten und auch Mediatoren für den Vorschulsektor einzustellen.

99. Im Hinblick auf kürzlich zugezogene Roma nimmt ECRI mit Sorge Berichte der Zivilgesellschaft zur Kenntnis, die auf ein hohes Maß an Diskriminierung und Ausgrenzung ihrer Kinder in den Schulen hinweisen.[145] ECRI wurde über die Existenz von Personen und Netzwerken in Kenntnis gesetzt, die Roma ermutigen, nach Deutschland zu ziehen, sie unter Missachtung der Arbeitsbestimmungen zum Mindestlohn oder Arbeitsstunden beschäftigen und sie in heruntergekommenen, überfüllten Wohnungen unterbringen, wobei sie gleichzeitig horrende Mieten fordern. Die Behörden wissen häufig nicht, wie sie zu diesen Gruppen Kontakt knüpfen können, und die prekären Lebensumstände führen zur Ablehnung seitens der Nachbarn und der Allgemeinheit sowie zu Hassdelikten, wie in Ziffer 67 beschrieben.[146]

100. In diesem Zusammenhang begrüßt ECRI ein Projekt, das vom Gewerkschaftsverband in Hessen betrieben wird und Roma in Fällen von Arbeitsausbeutung berät und unterstützt. Eine weitere gute Praxis wurde aus Dortmund gemeldet, wo die Stadt gemeinsam mit einem Roma-Verband heruntergekommene Häuser aufkaufte und diese für Roma-Familien renovierte.[147] Ein dritter ganzheitlicher Ansatz und ein Beispiel guter Praxis ist, erfahrene Roma-Mediatoren zu bitten, Kontakte zu abgeschieden lebenden Gruppen neu zugezogener Roma zu knüpfen, um den Schulbesuch ihrer Kinder zusammen mit einem Zugang zu angemessenen Unterkünften und Diensten, einschließlich medizinischer Versorgung, sicherzustellen. Gleichzeitig hat es sich als erfolgreich erweisen, dass der anfängliche Mediator unter den Angehörigen dieser Gruppen Personen identifiziert, die man als Roma-Mediatoren einstellen und ausbilden kann und die dann zum Aufbau nachhaltiger Kontakte beitragen können, die für eine vollständige Integration notwendig sind. In einem ersten Schritt sollten diese neuen Mediatoren auch ohne Abschluss eingestellt werden und anschließend eine Ausbildung erhalten, um die entsprechenden Qualifikationen und ein Diplom zu erwerben.

101. ECRI empfiehlt den Behörden, Roma-Mediatoren an allen Orten einzusetzen und zu finanzieren, an denen deutsche Sinti und Roma oder neu angekommene Roma leben.

IV. SPEZIFISCH THEMEN IN BEZUG AUF DEUTSCHLAND

A. Der Zwischenprüfung unterliegende Empfehlungen

102. In ihrem fünften Bericht empfahl ECRI, das Protokoll Nr. 12 zur Europäischen Menschenrechtskonvention so rasch wie möglich zu ratifizieren. Die Behörden haben ECRI informiert, dass Deutschland bei seiner Haltung bleibe, dieses Protokoll zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht zu ratifizieren, da das Gericht bisher noch keine konkreten Auslegungsrichtlinien erlassen habe, insbesondere nicht im Hinblick auf den weit gefassten Begriff „sonstiger Status”. In diesem Zusammenhang lenkt ECRI die Aufmerksamkeit der deutschen Behörden auf Ziffer 20 des Begründungstextes des Protokolls, wo betont wird, die Liste der Nichtdiskriminierungsgründe im Protokoll seien identisch mit der in Artikel 14 der Konvention, der ebenfalls „jeden sonstigen Status“ abdecke und für den eine vielfältige Rechtsprechung existiere.[148] ECRI ruft die deutschen Behörden auf, im Bereich der Gleichheit führend tätig zu werden und hält ihre Empfehlung aufrecht.

103. Die zweite Empfehlung der zwischenzeitlichen Nachverfolgung zur Erfassung rassistischer, homophober und transphober Zwischenfälle wurden bereits in Ziffer 58 ff. behandelt.

B. Racial Profiling

104. In seinem Bericht 2015 über Deutschland zeigte sich der Menschenrechtskommissar des Europarats besorgt über das rassistisch motivierte Verhalten von Strafverfolgungsbehörden und zahlreichen Berichten über Racial Profiling, das von der Polizei praktiziert werde. 2017 kam die Expertengruppe der Vereinten Nationen zu Menschen afrikanischer Abstammung zu dem Schluss, dass Racial Profiling unter deutschen Polizeikräften weit verbreitet sei. Laut einer Studie aus dem Jahr 2017 erklärten 34 % der Befragten schwarzafrikanischer Abstammung, sie seien in den fünf Jahren vor der Umfrage von der Polizei angehalten worden, und 14 % glaubten, dies sei aufgrund ihres Status als Migrant oder ethnischen Abstammung geschehen.[149]

105. ECRI erinnert daran, dass sie Racial Profiling als ohne objektive und vernünftige Begründung erfolgende polizeiliche Berücksichtigung von Merkmalen wie „Rasse“, Hautfarbe, Sprache, Religion, Staatsangehörigkeit oder nationale oder ethnische Herkunft im Rahmen von Kontrollen, Überwachungen oder Ermittlungen definiert. In Ziffer 3 ihrer GPR Nr. 11 über Bekämpfung von Rassismus und Rassendiskriminierung in der Polizeiarbeit empfiehlt ECRI die Einführung eines „Standards für einen begründeten Verdacht” für ein solches Vorgehen, weil Gesetze, die der Polizei die Befugnis geben, Personenkontrollen ohne Verdachtsmomente auf der Grundlage objektiver Kriterien durchzuführen, dem Racial Profiling Tür und Tor öffne. Wie ECRI bereits in Ziffer 15 des fünften Berichts über Deutschland ausgeführt hat, zeigt sie sich besorgt über die Tatsache, dass § 23 Bundespolizeigesetz (BPolG) Polizeikräften die Befugnis gibt, Personen ohne jeden Verdacht auf eine Straftat oder ein Vergehen oder Gefahr für die öffentliche Sicherheit einer Identitätsfeststellung unterziehen dürfen. Das Polizeigesetz mehrerer Bundesländer sieht vor, dass ihre Behörden Bereiche als „Kriminalitätsbrennpunkte” ausweisen können und die Polizei ermächtigen kann, Identitätsfeststellungen in diesen Bereichen ohne Verdachtsmomente bei den kontrollierten Personen durchzuführen.[150]

106. Die Empfehlung in Ziffer 3 von ECRI GPR Nr. 11 spiegelt die Rechtsprechung des Gerichtshofs wider, der feststellte, das Anhalten und Durchsuchen einer Person an einem öffentlichen Ort ohne begründeten Verdacht eines Fehlverhaltens stelle eine Verletzung von Artikel 8 EMRK dar. Er entschied des Weiteren, dass die Befugnis Personen anzuhalten und zu durchsuchen nicht „mit dem Recht vereinbar” sei (Artikel 8.2 EMRK), wenn diese weder ausreichend umschrieben noch Gegenstand angemessener rechtlicher Absicherungen gegen Missbrauch sei.[151] ECRI unterstreicht des Weiteren, dass der Gerichtshof der Europäischen Union festgestellt habe, das EU-Recht zum Schengen-Raum schließe nationale Gesetze aus, wie z. B. § 23 BPolG, die Kontrollen ungeachtet des Verhaltens des Betroffenen und des Vorliegens konkreter Umstände erlaubten, außer wenn jene Gesetze den erforderlichen Rahmen für diese Befugnis festlege.[152] Auf der Grundlage dieser Entscheidung entschied das Oberverwaltungsgericht von Baden-Württemberg 2018, §23 BPolG enthalte keine ausreichende gesetzliche Grundlage für Identitätsfeststellungen.[153] Ein anderes deutsches Gericht stellte ebenfalls fest, die Polizei missbrauche ihren Ermessensspielraum, wenn sie diese Identitätsfeststellungen durchführe.[154] Angesichts dieser neueren Entwicklungen ist ECRI der Meinung, die Behörden des Bundes und der Bundesländer sollten ein Rechtsgutachten über die Notwendigkeit der Abstimmung ihrer Bestimmungen zur Überprüfungs- und anderen Ermittlungstätigkeiten mit dieser Rechtsprechung in Auftrag geben.

107. Die Zivilgesellschaft hat ECRI informiert, zahlreiche Polizeidienste und -vertreter seien sich des Racial Profiling nicht bewusst oder würden dieses leugnen. Zwei Polizeidienste erkannten an, es seien illegale Polizeikontrollen durchgeführt worden, bevor eine Entscheidung in zweiter Instanz erfolgte, die wahrscheinlich zu dem Schluss gekommen wäre, die Polizeikontrollen hätten Racial Profiling dargestellt.[155] Auch wenn ein Oberverwaltungsgericht die Praxisrichtlinien der Polizei als zu vage erklärte, um Personen vor Missbrauch zu schützen,[156] hat ECRI keine Informationen über den Versuch erhalten, diese zu präzisieren. Darüber hinaus sind die meisten Behörden, die mit Ermittlungen mutmaßlicher Fälle von Rassendiskriminierung, einschließlich Racial Profiling und rassistisch motiviertem Fehlverhalten der Polizei, betraut seien, nicht unabhängig, entgegen der Empfehlung in Ziffer 10 von ECRI GPR Nr. 11.[157]

108. ECRI ist der Meinung, die Behörden des Bundes und der Bundesländer sollten die Frage des Racial Profiling auf systematische Weise untersuchen und bearbeiten. Sie ruft die Behörden auf, eine Studie durchzuführen, die die aktuelle Überprüfungspraxis analysiert und zu Empfehlungen führt, die nachhaltig Racial Profiling verhindert und die Zahl der unbegründeten Polizeikontrollen reduziert (siehe Ziffer 2 von ECRI GPR Nr. 11). Die Recherche für diese Studie sollte das Erfassen statistischer Daten über eine repräsentative Auswahl von Polizeikontrollen, eine tiefreichende und nachträgliche Analyse dieser Auswahl anhand der verschiedenen Polizeigesetze zusammen mit kontrollierten Personen und Organisationen der Zivilgesellschaft, eine nachträgliche Analyse der Ergebnisse dieser Kontrollen im Hinblick auf Strafverfolgung und Verurteilungen und eine Beurteilung des Verhältnisses zwischen Kontrollen und Verurteilungen sowie die Frage einschließen, ob bei Minderheitengruppen im Vergleich zum Rest der Bevölkerung Unterschiede bestehen. Die Studie und ihre Empfehlungen sollten genutzt werden, um die Wirksamkeit der hohen Zahl von durchgeführten Kontrollen mit geringer „Erfolgsquote“ und schlechten Ergebnissen zu prüfen, das Bewusstsein von Polizeikräften für Racial Profiling und dessen negative Folgen auf das Vertrauen der betroffenen Gruppen in die Polizei zu schärfen und diese Form des institutionellen Rassismus zu verhindern und zu beenden.[158]

109. ECRI empfiehlt den Polizeibehörden des Bundes und der Bundesländer, eine Studie zum Racial Profiling in Auftrag zu geben und sich an ihr mit dem Ziel zu beteiligen, Maßnahmen zur Beendigung bestehenden Racial Profilings und zur Verhinderung zukünftigen Racial Profilings zu entwickeln und umzusetzen.

EMPFEHLUNGEN, DIE EINER ZWISCHENPRÜFUNG UNTERZOGEN WERDEN

Die zwei konkreten Empfehlungen, für die ECRI eine vorrangige Umsetzung seitens der Behörden in Deutschland fordert, sind die Folgenden:

• (§ 11) ECRI empfiehlt den Behörden, ein stimmiges System von Organisationen zu schaffen, das Diskriminierungsopfern landesweit eine wirksame Unterstützung einschließlich rechtlichen Beistands gewährt. Zu diesem Zweck sollten die deutschen Bundesländer entsprechend ECRI‘s Allgemeinen Politikempfehlung Nr. 2 damit beginnen, unabhängige Gleichheitsstellen einzurichten.

• (§ 109) ECRI empfiehlt den Polizeibehörden des Bundes und der Bundesländer, eine Studie zum Racial Profiling in Auftrag zu geben und sich an ihr mit dem Ziel zu beteiligen, Maßnahmen zur Beendigung bestehenden Racial Profilings und zur Verhinderung zukünftigen Racial Profilings zu entwickeln und umzusetzen.
Spätestens zwei Jahre nach Veröffentlichung dieses Berichts wird ECRI in Bezug auf diese zwei Empfehlungen ein Verfahren zur zwischenzeitlichen Nachprüfung durchführen.

LISTE DER EMPFEHLUNGEN

Die Stelle der Empfehlungen im Berichtstext steht in Klammern.

1. (§ 10) ECRI empfiehlt den deutschen Behörden, die gesetzlichen Bestimmungen über die Kompetenzen und Befugnissen der Antidiskriminierungsstelle des Bundes und über ihre Unabhängigkeit und Effektivität in Einklang mit der Allgemeinen Politikempfehlung Nr. 2 der ECRI zu Gleichheitsstellen zu bringen. Insbesondere sollten sie (i) deren Mandat auf Hassrede, die Diskriminierungsgründe Hautfarbe, Sprache, Staatsangehörigkeit und Geschlechtsidentität sowie intersektionelle Diskriminierung ausweiten; (ii) sicherstellen, dass ihr Mandat alle Bereiche des öffentlichen und privaten Sektors abdeckt, die in die Zuständigkeit des Bundes fallen; (iii) sie mit den Kompetenzen ausstatten, im Gesetzgebungsprozess mitzuwirken, Menschen, die Rassismus und Diskriminierung ausgesetzt sind, Rechtsbeistand zu leisten, sie vor Institutionen, Entscheidungsorganen und Gerichten zu vertreten, im eigenen Namen Verfahren einzuleiten und in solchen Verfahren als amicus curiae, Drittpartei oder Sachverständige aufzutreten; (iv) ihr die Befugnis übertragen, Zeugen zu hören; (v) das Ernennungsverfahren für ihren Leiter/ihre Leiterin reformieren; (vi) festlegen, dass sie Jahresberichte verfasst, die im Parlament und der Regierung erörtert werden; und (vii) sie mit ausreichenden personellen und finanziellen Ressourcen ausstatten.

2. (§ 11) ECRI empfiehlt den Behörden, ein stimmiges System von Organisationen zu schaffen, das Diskriminierungsopfern landesweit eine wirksame Unterstützung einschließlich rechtlichen Beistands gewährt. Zu diesem Zweck sollten die deutschen Bundesländer entsprechend ECRI‘s Allgemeinen Politikempfehlung Nr. 2 damit beginnen, unabhängige Gleichheitsstellen einzurichten.

3. (§ 18) ECRI empfiehlt den Behörden aller deutschen Bundesländer, Menschenrechte und Gleichbehandlung in ihre Schulgesetze aufzunehmen und in ihren Lehrplänen den Unterricht zu diesen Themen verpflichtend zu machen. Außerdem sollten sie gute Praktiken, die in Projekten entwickelt wurden, an anderen Schulen einführen und Lehrer in der Aus- und Fortbildung verstärkt darauf vorbereiten, in von Diversität geprägten Klassen in inklusiver Weise zu unterrichten und in Fällen von Mobbing und Diskriminierung einzugreifen.

4. (§ 24) ECRI empfiehlt den Behörden, (i) die bestehende Schutzbarriere gegen das Melden irregulär anwesender Migranten, die eine medizinische Notfallbehandlung oder eine andere medizinische Versorgung in Anspruch nehmen, auf die Stellen auszuweiten, die für die Erstattung der Behandlungskosten zuständig sind; (ii) bundesweit niederschwellige Beratungs- und Hilfsdienste zu finanzieren, bei denen Migranten ohne Aufenthaltstitel die Optionen für eine Legalisierung ihrer Situation prüfen und Hilfe bei der Geltendmachung von Aufenthaltsrechten erhalten können; und (iii) Maßnahmen zu ergreifen, um Wissen über den rechtlichen Rahmen für irregulär anwesende Migranten zu verbreiten, wie z. B. das Bestehen von Schutzbarrieren in den Bereichen medizinische Versorgung und Schulbildung.

5. (§ 34) ECRI empfiehlt Deutschland, zeitnah eine gesetzliche Regelung zu verabschieden, die unnötige Operationen und Therapien bei intergeschlechtlichen Kindern verbietet. Des Weiteren empfiehlt sie allen Bundesländern, Stellen mit niederschwelligem Zugang einzurichten, die intergeschlechtlichen Menschen und deren Eltern Beratung und Unterstützung anbieten.

6. (§ 54) ECRI empfiehlt den deutschen Behörden, die Meldemechanismen und die Vorschriften über das Melden von Hassrede in den sozialen Medien zu standardisieren, sicherzustellen, dass Beweise für Hassrede im Internet gesichert und an die Strafverfolgungsbehörden weitergeleitet werden, und für die Polizei und die Staatsanwaltschaften Möglichkeiten zu entwickeln, mit denen im Internet die Verbreitung von Hassrede auf neuen Kanälen unterbunden werden kann.

7. (§ 62) ECRI empfiehlt, dass die Polizeidienste des Bundes und aller 16 Bundesländer zusammen mit zivilgesellschaftlichen Organisationen und wissenschaftlichen Einrichtungen systematisch Indizien für zurückliegende und neue Hassdelikte einschließlich strafbarer Hassrede analysieren, um Fälle von Hasskriminalität möglichst vollständig zu identifizieren und zu erfassen. Zu diesem Zwecke sollten sie in allen Bundesländern bei der Polizei und den Staatsanwaltschaften Stellen benennen, die sich auf die Ermittlung von Hassdelikten spezialisieren und mit zivilgesellschaftlichen Organisationen einen regelmäßigen Austausch zu Fällen von Hasskriminalität aufbauen.

8. (§ 63) ECRI empfiehlt des Weiteren, dass die Polizeidienste des Bundes und aller 16 Bundesländer Studien über die Ermittlung von Hassdelikten einschließlich strafbarer Hassrede in Auftrag geben, ihre Statistiken mit jenen der Justiz verknüpfen und detaillierte Berichte herausgeben, die ihre Statistiken und Aktivitäten zur Prävention und Ermittlung von Hassdelikten analysieren. Diese Berichte sollten die schwersten Fälle von Hasskriminalität untersuchen, mehr aufgeschlüsselte Daten enthalten (z. B. für die verschiedenen Vorschriften des Strafgesetzbuches zur Hasskriminalität, für die 16 Bundesländer, für Täter- und Opferkategorien) und Maßnahmen für ein besseres Erkennen, Erfassen und Ermitteln von Fällen der Hasskriminalität aufzeigen.

9. (§ 68) ECRI empfiehlt der Polizei und den Nachrichtendiensten des Bundes und der 16 Bundesländer, Strategien und Maßnahmen zu entwickeln und umzusetzen, um Radikalisierung zu verhindern und Mitglieder rassistischer, homophober, transphober und Neonazi-Gruppen gezielt anzusprechen und davon zu überzeugen, die jeweilige Organisation dauerhaft zu verlassen.

10. (§ 71) ECRI empfiehlt dem Bund und den Bundesländern, die Aus- und Fortbildung von Polizeibeamten, Staatsanwälten und Richtern im Erkennen, Ermitteln und Aburteilen von Hassdelikten einschließlich strafbarer Hassrede zu intensivieren, und verbindliche Regeln einzuführen, die sicherstellen, dass Opfer von Hassdelikten, deren Anträge auf Asyl abgelehnt wurden, nicht vor der endgültigen Entscheidung der Strafverfahren abgeschoben werden.

11. (§ 77) ECRI empfiehlt den Behörden, die Überarbeitung des Nationalen Aktionsplans Integration zu beschleunigen, zentrale Integrationsindikatoren für dessen Zielsetzungen und Maßnahmen zu definieren und diese in ihn einzufügen. Des Weiteren sollten sie in dem Plan für alle Ziele und Maßnahmen Ausgangswerte und messbaren Zielwerte, Zeitpläne und Budgets festlegen, Personen und/oder Behörden benennen, die für das Erreichen jeder Zielsetzung und das Umsetzen jeder Maßnahmen verantwortlich sind, und einen Mechanismus für eine regelmäßige Evaluierung schaffen.

12. (§ 81) ECRI empfiehlt den Behörden des Bundes, der Bundesländer und der Gemeinden nachdrücklich, in den Nationalen Aktionsplan Integration das Ziel und Maßnahmen für die signifikante Erhöhung der Zahl der Kinder mit Migrationshintergrund aufzunehmen, die Vorschuleinrichtungen besuchen.

13. (§ 92) ECRI empfiehlt den Behörden, die Charta der Vielfalt und deren Mitglieder dazu zu animieren, einen Index oder Indikatoren für die Evaluierung der Auswirkungen der Maßnahmen zu entwickeln, die die Mitgliedsorganisationen durchfühen. Auf Grundlage dieses Index sollte ein System für eine regelmäßige Evaluierung etabliert werden, um gute Praxisbeispiele zu identifizieren und die Voraussetzungen für ein Peer-Learning unter den Mitgliedsorganisationen der Charta zu schaffen.

14. (§ 101) ECRI empfiehlt den Behörden, Roma-Mediatoren an allen Orten einzusetzen und zu finanzieren, an denen deutsche Sinti und Roma oder neu angekommene Roma leben.

15. (§ 109) ECRI empfiehlt den Polizeibehörden des Bundes und der Bundesländer, eine Studie zum Racial Profiling in Auftrag zu geben und sich an ihr mit dem Ziel zu beteiligen, Maßnahmen zur Beendigung bestehenden Racial Profilings und zur Verhinderung zukünftigen Racial Profilings zu entwickeln und umzusetzen.

Bibliografie

Diese Bibliografie listet die wichtigsten veröffentlichen Quellen auf, die während der Prüfung der Situation in Deutschland benutzt wurden. Dies ist nicht als abschließende Liste aller Informationsquellen zu betrachten, die ECRI während der Arbeit an diesem Bericht zur Verfügung standen.

European Commission against Racism and Intolerance (ECRI)

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13. ECRI (2001), General Policy Recommendation No. 6: Combating the dissemination of racist, xenophobic and antisemitic material via the Internet, CRI(2001)1.

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____________

[1] Für Terminologie siehe das Glossar von ECRI, https://rm.coe.int/ecri-glossary/1680934974.
[2] Abgeordnetenhaus Berlin, Drucksache Nr. 18/1996 vom 12. Juni 2019.
[3] Berliner Zeitung 2019.
[4] Daten zu den Ressourcen der Gleichheitsstellen in anderen Ländern finden Sie auf der Internetseite von Equinet,http://www.equineteurope.org/spip.php?page=tableau_neb&section=members, aufgerufen am 15.05.2019.
[5] BDA 2018.
[6] Siehe zu den positiven Auswirkungen BDA 2016 und c.
[7] Kultusministerkonferenz 2018.
[8] Informationen, die von den deutschen Behörden mit Schreiben vom 30. Oktober 2018 übermittelt wurden.
[9] Kultusministerkonferenz 2017: 129.
[10]Deutsches Institut für Menschenrechte August 2017: 4.
[11] EU FRA 2019.
[12] OECD 19. April 2017.
[13] Telegraph 2018.
[14]Deutsches Institut für Menschenrechte, August 2017: 4; Europäische Agentur für besondere Bedürfnisse und inklusive Bildung 2019; vgl. auch Empfehlungen des UN-Ausschusses zu den Rechten des Kindes 2014: § 20b; UN-Ausschuss zu den Rechten von Personen mit Behinderungen 2015: § 28c; UN-Ausschuss zur Beseitigung der Rassendiskriminierung 2015: § 10iv, 11c und 16.
[15] http://www.antidiskriminierungsstelle.de/SharedDocs/Kontaktdaten/DE/Kontakt_AntidiskrB_Sen_BJF_Berlin.html?nn=8026478, aufgerufen am 14.03.2019; Morgenpost 2018.
[16] Telegraph 2018.
[17] https://www.demokratie-leben.de/, aufgerufen am 15.05.2019.
[18] https://www.schule-ohne-rassismus.org/startseite/, aufgerufen am 15.05.2019.
[19] Siehe Ziffer 3, 4, 11 und 12 der GPR und Ziffer 3, 4, 11 und 12 von deren Begründungstext.
[20] Schätzungen auf Grundlage polizeilicher Kriminalitätsstatistiken besagen, dass 2014 mehr als 100.000 Menschen in Deutschland ohne Aufenthaltserlaubnis lebten, Vogel, D. 2015. Siehe auch EU Destatis 2019.
[21] Siehe für diesen Abschnitt Hastie, B. 2015; Internationale Gesellschaft für Menschenrechte 2019.
[22] So erlaubt z. B. das Bundesland Hessen seit 2009 Kindern den Schulbesuch ohne Wohnsitznachweis, und mehrere Kommunen, u. a. Frankfurt, Hamburg und München, haben die Pflicht von Mitarbeitern, die im Bildungsbereich tätig sind, aufgehoben, illegale Migrantenkinder in Schulen zu melden, während die Schulbehörden in Hamburg und Berlin ihre Datenerfassungspraxis überarbeitet haben, nachdem sich Elternverbände und andere Aktivisten für Datenschutz eingesetzt hatten.
[23]Eine vorübergehende Aufenthaltserlaubnis gestattet dem Antragssteller, einer Arbeit nachzugehen. Sie kann maximal für die Dauer von drei Jahren ausgestellt bzw. verlängert werden.
[24] Bundestag, Bundestagsdrucksache Nr. 19/8258 vom 12. März 2019.
[25] Siehe diesbezüglich Ziffer 5.4.d des Nationalen Aktionsplans gegen Rassismus, Bundesregierung 2017.
[26] https://medibuero.de/, aufgerufen am 10.04.2019.
[27] DIMR 2018: 37 ff.
[28] Deutscher Bundestag Drucksache: 18/11101; FRA 2011: 39.
[29] Die Beratungsstellen „Faire Integration“ (https://www.faire-integration.de/en/topic/44.about-us.html, aufgerufen am 07.10.2019) beraten Flüchtlinge, insbesondere im Hinblick auf die Bedingungen für eine Beschäftigung. Es wäre wünschenswert, ihr Mandat auf die Beratung von Migranten mit illegalem Status auszuweiten, insbesondere im Hinblick auf die Frage, ob sie Anspruch auf eine Aufenthaltserlaubnis haben oder diese erhalten können.
[30] Haversath, J. et al. 2017.
[31] IFOP 2017; siehe auch LSVD 2019.
[32] Statistisches Bundesamt 2019a.
[33] Antidiskriminierungsstelle des Bundes 2017.
[34] Im vorliegenden Bericht ist Hassdelikt zu verstehen als jede Straftat, die durch Hass oder Vorurteile aufgrund von „Rasse”, Hautfarbe, Sprache, Religion, Staatsangehörigkeit, nationale oder ethnische Herkunft, sexuelle Orientierung oder Geschlechtsidentität motiviert ist, ungeachtet der Frage, ob diese real bestehen oder angenommen werden. Für weitere Informationen zum Verständnis von Hassdelikte siehe http://hatecrime.osce.org/what-hate-crime.
[35] Deutscher Bundestag 2019.
[36] Siehe in diesem Zusammenhang CoE PACE 2015: § 6.2.1 and www.Yogyakartaprinciples.org 2017: Principle 31.C.i.
[37] Siehe z. B. den Nationalen Aktionsplan gegen Rassismus (NAP), Bundesregierung 2017: 27, 29 und 109.
[38] BVerfG 1 BvR 1 BvR 2019/16, Entscheidung vom 10. Oktober 2017.
[39] Vor der Verabschiedung dieses Gesetzes war es möglich, die Angabe für das Geschlecht leer zu lassen, wenn ein Neugeborenes angemeldet wurde. Die betroffene Person konnte dann zu einem späteren Zeitpunkt entweder ihr Geschlecht auswählen oder keine Angabe machen.
[40] EU Europäisches Parlament 2019: § 9 ; www.Yogyakartaprinciples.org 2017: Principle 31.C.i.
[41]Deutsches Institut für Menschenrechte, August 2017: 9.
[42] ECRI hat Informationen über das Bestehen dieser Zentren in Berlin, Nordrhein-Westfalen, Schleswig-Holstein und Niedersachsen erhalten.
[43] Siehe auch EU, Europäisches Parlament 2019.
[44] Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz 2018. Dieses Thema wurde auch in den Koalitionsvertrag aufgenommen.
[45] Laut GPR Nr. 15 der ECRI über die Bekämpfung von Hassrede bezeichnet „Hassrede“ das Befürworten und Fördern von oder Aufstacheln zu jeglicher Form von Verunglimpfung, Hass oder Herabwürdigung einer Person oder Personengruppe, ebenso wie jegliche Belästigung, Beleidigung, negative Stereotypisierung, Stigmatisierung oder Bedrohung einer Person oder Personengruppe und die Rechtfertigung der genannten Ausdrucksformen – aufgrund von „Rasse“, Hautfarbe, Abstammung, nationaler oder ethnischer Herkunft, Alter, Behinderung, Sprache, Religion oder Weltanschauung, biologischem oder sozialem Geschlecht, Geschlechtsidentität, sexueller Orientierung und anderer persönlicher Merkmale oder Status.
[46] Sie enthalten nun 11 Kategorien: Antisemitismus, Antiziganismus, Fremdenfeindlichkeit, geistige Behinderung/Beeinträchtigung, „Anti-Christianismus”, sozialer Status, Islamophobie, Rassismus, weitere ethnische Gruppen, andere Religionen und sexuelle Orientierung.
[47] 1.903 Fälle dieser Hasskriminalität richteten sich gegen Asylsuchende, 1.504 (2016: 1.468) gegen Juden, 1.075 gegen Muslime, 312 gegen Asyleinrichtungen (2016: 995), 129 gegen Christen, 41 gegen Sinti und Roma und 39 gegen andere Gruppen. Zur Hasskriminalität gegen Roma siehe auch Amoro Foro 2018.
[48] Google 2019.
[49] Facebook 2019 a und b.
[50] Presserat 2017a.
[51] PEW Research Centre 2018: 37 ff.
[52] EU FRA 2017.
[53] Zu diesen gehörten Plakate mit dem Slogan „Geld für die Oma, statt für Sinti und Roma” oder „Maria statt Scharia” und „Gib Gas!”. Für eine rechtliche Bewertung siehe Schmahl 2015 und DIMR 2017. Am 24. Mai 2019 lehnte das BVerfG mehrere Dringlichkeitsanträge der NPD ab, Entscheidungen aufzuheben, neuere rassistische Wahlplakate zu entfernen, Entscheidung 1 BvQ 45/19 und andere.
[54] ISD 2017 und 2019.
[55] Zeit online 2015 a und b mit Beispielen für Hasskommentare; für weitere Beispiele siehehttps://perlen-aus-freital.tumblr.com/archive, aufgerufen am 18.03.2019.
[56]Unter ihnen waren ältere Menschen mit geringem Bildungsstand und Einkommen, die häufig in kleineren Gemeinden leben, insbesondere in Ostdeutschland. Zick, A., et Preuß M. 2016: 24 ; IPSOS 2017: 8 ff.
[57] Für weitere Einzelheiten siehe Polizei Nordrhein-Westfalen Köln 2017; Landtag von Nordrhein-Westfalen 2017 und Zeit Online 2017.
[58] BVerfG, Nr. 2 BvB 1/13, 17. Januar 2017 §§ 805 ff.
[59] Beatrix von Storch twitterte als Reaktion auf Informationen, die von der deutschen Polizei auf Arabisch veröffentlicht wurden: „Meinen Sie, die barbarischen, muslimischen, gruppenvergewaltigenden Männerhorden so zu besänftigen?”, Welt 2018; Alice Weidel postete: „Das Jahr beginnt mit dem Zensurgesetz und der Unterwerfung unserer Behörden vor den importierten, marodierenden, grapschenden, prügelnden, Messer stechenden Migrantenmobs, an die wir uns gefälligst gewöhnen sollen.” Vom Account des MP Jens Meier wurde ein Tweet verschickt, in dem Noah Becker, der Sohn von Tennisstar Boris Becker, angegriffen wurde mit „Dem kleinen Halbneger scheint einfach zu wenig Beachtung geschenkt worden zu sein.“ The Local 2019.
[60] Bundesamt für Verfassungsschutz 2019: A.I.2; Süddeutsche Zeitung 2019.
[61] Zeit 2018.
[62] Bild 2018. Zuvor hatten der damalige Bundespräsident Wulff im Jahr 2010, die Bundeskanzlerin im Jahr 2015 und viele andere Politiker bestätigt, der Islam gehöre zu Deutschland, Zeit 2015; Reuters 2015.
[63] Spiegel Online 2018b.
[64] Tagesspiegel 2018b.
[65] NTV 2018.
[66] Ein weiteres positives Beispiel ist die öffentliche Erklärung eines Ministers, die Ankunft einer syrischen Familie mit ihren Kindern habe das Fortbestehen der Grundschule in einer ländlichen Gemeinde ermöglicht.
[67] Süddeutsche Zeitung 2018a; Spiegel Online 2018c.
[68] DW 2018. 2018 verdoppelte sich nahezu die Anzahl gewalttätiger Angriffe auf Juden von 29 auf 49 Fälle, BMI 2019b.
[69] Einer erklärte in Bezugnahme auf die türkische Herkunft des Bundestagspräsidenten: „So können Sie ein Parlament in Anatolien führen, aber nicht in Deutschland.“, Göttinger Tageblatt 2019.
[70] Presserat 2017 a und b.
[71] Siehe Ziffer 88 des Begründungstextes zur GPR Nr. 11 von ECRI.
[72] Siehe diesbezüglich z. B. die Ergebnisse der von der EU im Jahr 2016 und 2017 durchgeführten Monitoring-Übungen, EU EC 2018: 3.
[73] EGMR, Delfi gegen Estland, Nr. 64569/09, 16. Juni 2015: Abs. 131 ff. Der EGMR schließt auf Grundlage von Artikel 17 EMRK (Verbot des Missbrauchs der Rechte) die eklatantesten Fälle von Hassrede selbst vom Schutz durch Artikel 10 EMRK aus, EGMR 2019: 1; Harris D.J., O’Boyle M. et al. 2018: 603 ff. und 836 ff.
[74] Facebook hat mehr als 1.000 Content Moderatoren in Deutschland eingestellt, Süddeutsche Zeitung 2018c, und Google begann die Arbeit mit dem NetzDG mit rund 100 Mitarbeitern.
[75] Golem 2019; Rebehn S. 2019.
[76] Bundesamt für Justiz 2019.
[77] Es hat den Anschein, dass deutsches Strafrecht anwendbar ist, wenn diese Hassrede in Deutschland zu sehen und dort gelesen wird, da in diesem Fall der Schaden auf deutschem Hoheitsgebiet stattfindet.
[78] BMI 2018a: 5; Der Tagesspiegel 2019a. Viele dieser Angriffe richteten sich gegen Asylsuchende und Flüchtlinge, 65 gegen Muslime, 49 gegen Juden, 12 gegen LGBT-Personen und 7 gegen Roma, BMI 2019b.
[79] EU FRA 2017: 46.
[80] Die Anzahl der versuchten und erfolgten Fälle von Totschlag, die in der Statistik für Hasskriminalität nicht erkennbar ist (Bundesministerium des Inneren 2018a: 5 ff.), sondern nur in den Verfassungsschutzberichten, liegt bei 12 Fällen des versuchten Totschlags aus fremdenfeindlichen Beweggründen im Jahr 2016 und bei vier solcher Fälle im Jahr 2017. Die Berichte enthalten des Weiteren drei Fälle von Totschlag (darunter ein versuchter Totschlag) mit islamistischem/fundamentalistischem Hintergrund. Im Vergleich dazu beurteilte die Zivilgesellschaft die Fälle von neun Opfern seit Mitte 2013 als Todesfälle durch rechte Gewalt, Amadeu Antonio Stiftung 2019; Zeit Online 2018; Der Tagesspiegel 2018a. Nicht alle Opfer wurden aufgrund einer rassistischen, homo- oder transphoben Gesinnung getötet.
[81] Brandenburg, Berlin und Sachsen-Anhalt haben für diese Fälle neue Ermittlungen durchgeführt, und Thüringen und Sachsen sind im Begriff, dies zu tun. In Folge wurde die offizielle Anzahl von Personen, die für den Zeitraum seit 1990 von Rechtsextremisten getötet wurden, im Januar 2019 auf 85 revidiert, Der Tagesspiegel 2018c und 2019b.
[82] Laut den Behörden wurden in Bayern, Berlin, Brandenburg, Bremen, Hamburg, Mecklenburg-Vorpommern, Rheinland-Pfalz, Sachsen-Anhalt, Schleswig-Holstein und Thüringen spezielle Kontaktstellen für eine oder mehrere Gruppen eingerichtet.
[83] See Bundesministerium des Inneren 2018b: 22.
[84] Dies geht Hand in Hand mit der Empfehlung des Bundestagsausschusses, rassistische Motive zu erfassen, die von einem Opfer oder Zeugen angeführt werden, Bundestag 2013: 861.
[85] Siehe diesbezüglich auch die Empfehlungen im Rechtsgutachten ADS 2015.
[86] Bundesministerium des Inneren 2018a.
[87]Bundesministerium des Inneren 2018b: 51.
[88]Oberlandesgericht Dresden, Nr. 4 St 1/16, 07.03.2018; Bundesgerichtshof, Nr. 3 StR 575/18, 16.05.2019; Süddeutsche Zeitung 2018b.
[89] Es gibt auch Beweise, dass die Autoren der Schreiben Verbindungen zur Polizei hatten und von der Polizei Informationen erhielen.
[90] Oberlandesgericht München 2018. Siehe auch Ziffer 50 ff. im fünften ECRI-Bericht über Deutschland.
[91] The Guardian 2016; bezüglich anderer Angriffe siehe BMI 2017: 155 ff.; 2018b: 165 ff. und BBC 2016. Der Angriff auf eine Synagoge und die Ermordung von Spaziergängern in der Nähe durch einen selbst bekennenden Rechtsextremisten in Halle am 8. Oktober 2019 ereignete sich nach dem Zeitraum, der in diesem Bericht behandelt wird (siehe Vorwort zu diesem Bericht).
[92]Bundesministerium des Inneren 2018b: 17 ff. und 321 ff.
[93] Siehe diesbezüglich z. B. Ziffer 45 ff. im fünften ECRI-Bericht über Norwegen.
[94]Laut einer neusten Studie ist das Risiko von Asylbewerbern, Opfer eines Hassdeliktes zu werden, in den östlichen Bundesländern bis zu 10 Mal höher, insbesondere in Gebieten, die vormals nur einen geringen Anteil von Migranten aufwiesen und denen eine große Zahl Asylbewerber zugewiesen wurden, ZEW 2019.
[95] Spiegel Online 2018a; Taz.de 2018.
[96] ECRI nimmt des Weiteren positiv die Pläne zur Kenntnis, § 130 StGB über Volksverhetzung zu ändern, LTO 2018.
[97] DIMR 2017b.
[98] DIMR 2019.
[99] In Deutschland bezeichnet dieser Begriff Personen, die nicht als deutsche Staatsbürger geboren wurden oder bei denen zumindest ein Elternteil nicht als deutscher Staatsbürger geboren wurde. Statistisches Bundesamt 2018b: 4 ff.
[100]Statistisches Bundesamt 2018b: 61; Frankfurter Rundschau 2017.
[101]Statistisches Bundesamt 2018b: 37; Konferenz der für Integration zuständigen Ministerinnen und Minister/Senatorinnen und Senatoren der Länder (IntMK) 2019: 4.
[102]Diese Zahl schließt Ausländer ein, die Schutz in Deutschland suchen, insbesondere Flüchtlinge und Personen, die einen subsidiären Schutz genießen. Dies entspricht 215 Personen pro 10.000 Einwohnern, Statistisches Bundesamt 2019c: 28.
[103]Staatsangehörigkeit, das Recht auf Freizügigkeit, Einwanderung und Auslieferung fallen unter die Gesetzgebungsbefugnis des Bundes, während die Bundesländer exklusive Zuständigkeiten in den Bereichen Bildung, Polizei, Justiz, Gesundheit und Wohnen haben, ECRI 2013: Ziffer 64.
[104] Für diesen und die folgenden Ansätze siehe: EU, EP 2018.
[105]Die Ablehnung oder der Abbruch des Integrationskurses kann durch Leistungskürzungen sanktioniert werden. Des Weiteren hängt der Erhalt einer unbefristeten Aufenthaltserlaubnis nun von den Bemühungen der Personen ab, sich zu integrieren, was definiert ist als das Erreichen der Stufe A2 in Deutsch und man in der Lage ist, den Lebensunterhalt sicherzustellen. Flüchtlinge können eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis bereits nach drei Jahren erhalten (anstatt nach fünf Jahren), wenn sie in Deutsch Stufe C1 nachweisen können.
[106] Bundesamt für Migration und Flüchtlinge 2016: 89.
[107] Bundesregierung 2019.
[108] Staatsministerin für Migration, Flüchtlinge und Integration 2018.
[109] Statistisches Bundesamt 2019e; IntMK 2019.
[110] Hanewinkel, V. & Oltmer, J. (2018); OECD (2018b): 12.
[111] UNESCO 2019.
[112] IntMK 2019: 7.
[113] Authoring Group Educational Reporting 2016: 17.
[114] Authoring Group Educational Reporting 2018: 74 mit Verweis auf Tabelle C3-14web. In Berlin z. B. erreichte die Anmelderate 95,1 %.
[115] OECD 2018a: 271; in Deutsch: „Alltagsintegrierte sprachliche Bildung“, „Frühe Chancen: Schwerpunkt-Kitas Sprache und Integration“ und „Sprach-Kitas: Weil Sprache der Schlüssel zur Welt ist“.
[116] IntMK 2019: 62 ff.; siehe die korrigierten Zahlen in der Tabelle http://www.integrationsmonitoring-laender.de/sites/default/files/d2b_2017.xls, aufgerufen am 9.10.19. Zu den Bundesländern mit überdurchschnittlichen Ergebnissen gehören Sachsen, Sachsen-Anhalt und Mecklenburg-Vorpommern.
[117] Karakayalı J. et al. 2016.
[118] Laut Statistischem Bundesamt 2019d: 49, wurden 272.475 ausländische Schüler in den drei Schularten Hauptschule, Realschule und Gymnasium angemeldet; 109.311 (40 %) von ihnen besuchten das Gymnasium (im Vergleich zu 67 % bei der restlichen Bevölkerung). Dies ist im Vergleich zum Anteil, der in Ziffer 87 im fünften ECRI-Bericht über Deutschland genannt wird, ein Anstieg. Andere Schularten, u.a. die Gesamtschulen, werden hier nicht berücksichtigt.
[119] Authoring Group Educational Reporting 2016: 17.
[120] Authoring Group Educational Reporting 2016: 19; OECD 2018a: 13; Statistisches Bundesamt 2018: 88; Zeit Online, 4. Juli 2017.
[121] Statistisches Bundesamt 2019e: Tabelle 4.2
[122] IntMK 2019: 76 ff.
[123] Bundeszentrale für Politische Bildung 2018.
[124]Statistisches Bundesamt 2018b: 322 ff.; Hanewinkel, V. & Oltmer, J. 2018.
[125] Siehe z. B. die Programme „Perspektiven für Flüchtlinge” und KompAS (Kompetenzfeststellung, frühzeitige Aktivierung und Spracherwerb).
[126] Bertelsmann-Stiftung 2016: 16.
[127] BAMF, Migration, Integration und Asyl, Forschungszentrum 2019:1; Tagesschau 2018b.
[128] Bundesamt für Migration und Flüchtlinge 2019: 12; IntMK 2019: 4.
[129] Bertelsmann Stiftung 2018: 58 ff.; Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung 2018: 4 ff.; Sachverständigenrat deutscher Stiftungen für Integration und Migration 2014: 4 ff.
[130] IntMK 2019: 12 ff.
[131] Siehe diesbezüglichhttps://www.netzwerk-iq.de/network-iq-start-page/developing-diversity.html, aufgerufen am 9.10.19.
[132]Erste von den Behörden vorgelegte Angabe. Für die zweite Angabe siehe IntMK 2019: 6.
[133] https://www.charta-der-vielfalt.de/, aufgerufen am 20. Mai 2019.
[134] Harris D.J., O’Boyle M. et al. 2018: 586-589; siehe z. B. Leyla Şahin gegen Türkei [Große Kammer], Nr. 44774/98, 10. November 2005; Dahlab gegen Schweiz, Nr. 42393/98, 15. Februar 2001; Kurtulmuş gegen Türkei, Nr. 65500/01, 24. Januar 2006; Ebrahimian gegen Frankreich, Nr. 64846/11, 26. November 2015; SAS gegen Frankreich, Nr. 43835/11, 1. Juli 2014. Der erste Fall ist auch im Hinblick auf die deutsche Debatte über das Kopftuchverbot an Schulen für Mädchen jünger als 14 Jahre relevant.
[135] BVerfG, Nr. 1 BvR 471/10, 1 BvR 1181/10, Entscheidung vom 27. Januar 2015.
[136]Aufgrund der Verfolgung und Ermordung von Sinti und Roma während der Nazizeit lehnen viele Sinti und Roma die Erfassung von Daten über sie strikt ab. Sinti und Roma lehnten die Teilnahme an der Erhebung der Europäischen Union zu Minderheiten und Diskriminierung der Agentur der Europäischen Union für Grundrechte ab.
[137] Strauss 2011: 99 ff.; die Studie stützt sich auf eine relativ kleine Auswahl von 261 Interviews.
[138] ADS 2014: 9 ff.; PEW 2016. Friedrich Ebert Stiftung 2019: 80; Spiegel Online 2019; The Local 2018.
[139] EU, EC, Roma Integration in Germany; EU, EC 2018: 10-15.
[140] ECRI verwendet, wie viele andere internationale Organisationen auch, den englischen Begriff „anti-zyganism“ (Antiziganismus), insbesondere in ihrer GPR 13. In Deutschland wird der Begriff „Antiziganismus” verwendet.
[141] Abgeordnetenhaus Berlin 2013; Senat von Berlin 2017.
[142] BMI 2019.
[143] ERIAC 2019. Im Rahmen des Programms „Demokratie leben!” (siehe oben Ziffer 16 und 45) beziehen sich relativ viele Aktivitäten auf die Bekämpfung von Antiziganismus.
[144] Strauss 2011: 99 ff.
[145] EU, EC 2018b: 7, 20-22.
[146] EU, EC 2018b: 8, 19-22.
[147] http://www.integrationsprojekt.net/uploads/media/flyer_web_deutsch.pdf, aufgerufen am 22.05.2019.
[148] Harris D.J., O’Boyle M., et al. 2018: 771.
[149] EU FRA 2017: 69 ff. Diese Zahlen sind für Menschen türkischer Abstammung 27 % bzw. 5 %.
[150] Siehe z. B. §§ 34.2.2, 21.2.1 Allgemeines Sicherheits- und Ordnungsgesetz von Berlin, § 13.1.2 Polizeiaufgabengesetz und § 19.1.2 Polizeigesetz von Sachsen.
[151] EGMR, Gillan und Quinton gegen Vereinigtes Königreich, Nr. 4158/05, 12. Januar 2010: 61 ff.; EGMR 2018: Ziffer 180.
[152] EuGH, C-9/16, 21. Juni 2017, ECLI:EU:C:2017:483.
[153] Oberverwaltungsgericht Baden-Württemberg, 1 S 1469/17, 13.2.2018.
[154] Oberverwaltungsgericht Münster, 5 A 294/16, 7. August 2018.
[155]Siehe die Fälle vor den Oberverwaltungsgerichten Koblenz und München, Büro zur Umsetzung von Gleichbehandlung 2019 a und b.
[156] Oberverwaltungsgericht Baden-Württemberg, 1 S 1469/17, 13.2.2018.
[157] Ein positives Beispiel ist diesbezüglich Schleswig-Holstein, wo der Bürgerbeauftragte für soziale Angelegenheiten auch dafür zuständig ist, Beschwerden gegen die Polizei entgegenzunehmen und zu bearbeiten (§ 13 Bürger-und Polizeibeauftragtengesetz).
[158] Studien zeigen, dass Racial Profiling de facto zu einer Verschwendung öffentlicher Gelder führt, vgl. EU FRA 2018: 49 ff. und die zitierte Forschung in EGMR, Gillan und Quinton gegen Vereinigtes Königreich, Nr. 4158/05, 12. Januar 2010: 84.

Zuletzt aktualisiert am September 17, 2021 von eurogesetze

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