Gericht: VG Berlin 35. Kammer. Entscheidungsdatum: 15.07.2021. Aktenzeichen: 35 L 182/21

Gericht: VG Berlin 35. Kammer
Entscheidungsdatum: 15.07.2021
Aktenzeichen: 35 L 182/21
ECLI: ECLI:DE:VGBE:2021:0715.35L182.21.00
Dokumenttyp: Beschluss

Verfahrensgang
vorgehend VG Berlin, VG 35 L 182/21, Beschluss

Tenor

Der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes wird zurückgewiesen.
Die Antragsteller tragen die Kosten des Verfahrens.
Der Wert des Verfahrensgegenstandes wird auf 2.500,- Euro festgesetzt.

Gründe

1. Die Antragsteller begehren im Wesentlichen die Aufnahme des am 8… 2015 geborenen Antragstellers zu 1, Sohn der Antragstellerin zu 2 und des Antragstellers zu 3, in die Jahrgangsstufe 1 eines Zuges der Staatlichen Europa-Schule Berlin – SESB – an der Charles-Dickens-Grundschule mit den Partnersprachen Deutsch und Englisch zum kommenden Schuljahr 2021/2022. Die ältere Schwester des Antragstellers zu 1 besucht derzeit die Jahrgangsstufe 5 der genannten Schule.

2. Der Antrag vom 18. Juni 2021,

3. den Antragsgegner im Wege einstweiliger Anordnung zu verpflichten, den Antragsteller zu 1 vorläufig in die Jahrgangsstufe 1 der Charles-Dickens-Grundschule, Staatliche Europaschule Berlin – SESB –, zum Schuljahr 2021/2022 aufzunehmen,

4. hilfsweise, den Antragsgegner im Wege einstweiliger Anordnung zu verpflichten, die Sprachkenntnisse des Antragstellers zu 1 in der Muttersprache Englisch erneut zu überprüfen und den Antragsteller zu 1 für den Fall des Bestehens des Sprachtests zum Schuljahr 2021/22 vorläufig in die Jahrgangsstufe 1 der Charles-Dickens-Grundschule, SESB, aufzunehmen,

5. hat keinen Erfolg.

6. Der Antrag ist nach § 123 Abs. 1 der Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO – statthaft. Es kann vorliegend dahinstehen, ob der Bescheid des Antragsgegners vom 17. Februar 2021 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 4. Mai 2021 mangels Klageerhebung bereits bestandskräftig geworden ist oder nicht (vgl. dazu Bl. 3, 10 und 30 der Streitakte sowie Zusatzblatt 7 ff. des Verwaltungsvorgangs des Antragsgegners – VV –). Denn der vorliegende Antrag ist jedenfalls unbegründet.

7. Wegen des im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes grundsätzlich zu beachtenden Verbots, die Entscheidung in einem Klageverfahren in der Hauptsache vorwegzunehmen, käme der Erlass der begehrten, dem (möglichen) Prozessergebnis in der Hauptsache weitgehend vorgreifenden einstweiligen Anordnung nur dann in Betracht, wenn mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwarten wäre, dass eine Klage mit dem Ziel, den Antragsteller zu 1 zum Schuljahr 2021/2022 als Schulanfänger in die Charles-Dickens-Grundschule – SESB – aufzunehmen, Erfolg hätte (Anordnungsanspruch) und dass den Antragstellern durch die Verweisung auf das Hauptsacheverfahren unzumutbare, irreparable Nachteile entstünden (Anordnungsgrund). Diese Voraussetzungen liegen hier nicht vor.

8. Nach der im Eilverfahren gebotenen und nur möglichen summarischen Prüfung haben die Antragsteller gemäß § 123 Abs. 3 VwGO in Verbindung mit §§ 920 Abs. 2, 294 der Zivilprozessordnung – ZPO – bereits nicht glaubhaft gemacht, dass sie über einen Anordnungsanspruch verfügen. Der Bescheid des Antragsgegners vom 17. Februar 2021 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 4. Mai 2021, mit dem eine Aufnahme des Antragstellers zu 1 als Schulanfänger an der Charles-Dickens-Grundschule – SESB – mangels Mindesteignung abgelehnt wird, erscheint als rechtmäßig und die Antragsteller nicht in ihrem Rechten verletzend (§ 113 Abs. 5 VwGO).

9. 1. Rechtliche Grundlage für das Begehren der Antragsteller ist das Schulgesetz für das Land Berlin – SchulG – in Verbindung mit der gemäß § 18 Abs. 3 SchulG erlassenen Verordnung über die Aufnahme in Schulen besonderer pädagogischer Prägung – AufnahmeVO-SbP –.

10. Nach § 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Alt. 2 AufnahmeVO-SbP ist die Charles-Dickens-Grundschule eine Staatliche Europa-Schule Berlin – SESB – mit den Partnersprachen Deutsch und Englisch. Nach § 3 Abs. 4 Sätze 1 und 10 AufnahmeVO-SbP nimmt die genannte Schule im Rahmen der Einschulung ausschließlich Kinder auf, die Deutsch oder Englisch altersgemäß wie eine Muttersprache beherrschen sowie bilinguale Kinder, die eine Partnersprache auf muttersprachlichem Niveau und die andere Sprache auf mindestens annähernd muttersprachlichem Niveau beherrschen (Mindesteignung). Nach § 2 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 Satz 1 AufnahmeVO-SbP ist auch bei freien Kapazitäten die Eignung der Schülerinnen und Schüler für das spezifische Angebot der jeweiligen Schule erforderlich.

11. § 3 Abs. 4 Satz 3 AufnahmeVO-SbP regelt, dass die für die Aufnahme erforderlichen sprachlichen Kompetenzen in einer von der Schulaufsichtsbehörde einheitlich genehmigten Überprüfung nachzuweisen sind. Maßgeblich sind die zum Zeitpunkt der Überprüfung festgestellten Sprachkenntnisse (Satz 4). Die Überprüfung der muttersprachlichen Kenntnisse erfolgt durch die SESB (Satz 5). Je nachdem, welche Sprache als Muttersprache angegeben wird, erfolgt die Überprüfung in einem in Deutsch oder in der nichtdeutschen Partnersprache geführten Test; bei Kindern, die als bilingual angemeldet wurden, erfolgt sie in beiden Unterrichtssprachen (Satz 6). Das Testergebnis eines Standorts gilt für alle Standorte derselben Sprachkombination (Satz 7). Die Wiederholung des Tests ist unzulässig (Satz 8). Muttersprachliche Kenntnisse hat, wer im Test mindestens 80 Prozent der möglichen Punkte erreicht, annähernd muttersprachliche Kenntnisse hat, wer mindestens 60 Prozent der möglichen Punkte erreicht (Satz 9).

12. 2. Hiervon ausgehend haben die Antragsteller keinen Anspruch darauf, dass der Antragsteller zu 1 im kommenden Schuljahr (vorläufig) in die Jahrgangsstufe 1 der Charles-Dickens-Grundschule – SESB – aufgenommen wird (Hauptantrag) oder darauf, dass seine Sprachkenntnisse zum Zweck der Aufnahme erneut überprüft werden (Hilfsantrag). Denn der Antragsteller zu 1 verfügt nicht über die erforderliche Mindesteignung im Sinne der genannten Vorschriften. Entgegen der Ansicht der Antragsteller sind keine Fehler bei der Durchführung, Auswertung oder Bewertung der für die Aufnahme auf die Charles-Dickens-Grundschule – SESB – erforderlichen sprachlichen Kompetenzen des Antragstellers zu 1 zu erkennen, aufgrund derer ein Anspruch auf Aufnahme in die genannte Schule oder jedenfalls auf Neuüberprüfung seiner Sprachkenntnisse bestehen könnte.

13. Die Überprüfung der Sprachkompetenzen des Antragstellers zu 1 erfolgte am 10. November 2020 in der englischen Sprache, nachdem die Antragstellerin zu 2 und der Antragsteller zu 3 bei der Anmeldung am 28. September 2020 angegeben hatten, dass die Muttersprache des Antragstellers zu 1 Englisch sei (Bl. 187 des Verwaltungsvorgangs – VV –). Bei der Sprachprüfung erzielte der Antragsteller zu 1 lediglich 59 von 100 möglichen Punkten. Er erreichte somit nicht mindestens 80 Prozent der möglichen Punkte. Muttersprachliche Englischkenntnisse im Sinne von § 3 Abs. 4 Sätz 1 und 9 AufnahmeVO-SbP liegen nicht vor.

14. a) Die Bewertung der muttersprachlichen Englischkenntnisse des Antragstellers zu 1 mit weniger als 80 Punkten ist im Ergebnis nicht zu beanstanden.

15. Bei der Überprüfung der Sprachkenntnisse eines Bewerberkindes kommt der Schule ein Bewertungsspielraum zu, der gerichtlich nur eingeschränkt überprüfbar ist. Das Gericht kann daher nur prüfen, ob die Testenden die rechtlichen Grenzen ihres Bewertungsspielraums überschritten haben. Dies ist der Fall, wenn Verfahrensfehler gemacht werden, die Testenden anzuwendendes Recht verkennen, von einem unrichtigen Sachverhalt ausgehen, allgemeingültige Bewertungsmaßstäbe verletzen oder sich von sachfremden Erwägungen leiten lassen (vgl. bspw. VG Berlin, Beschluss vom 12. Juni 2020 – VG 35 L 135/20 – juris, Rn. 35, m. w. N.).

16. Solche Überschreitungen des Bewertungsspielraumes liegen hier jedenfalls nicht dergestalt vor, dass im Ergebnis von einer Mindesteignung des Antragstellers zu 1 auszugehen wäre.

17. Ohne Erfolg behaupten die Antragsteller, dass der Testbereich „Picture set“ (VV Bl. 191 R) zu Unrecht mit 17 statt 30 von 30 erzielbaren Punkten bewertet worden sei. Ihr Einwand, der Antragsteller zu 1 habe ausweislich der Testdokumentation bei allen zehn Antworten Gegenteile erkannt und benannt, so dass ihm jeweils die volle Punktzahl von 3 Punkten pro Aufgabe zugestanden habe, trifft nicht zu. Der Leitfaden der Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Familie vom August 2020 zur Sprachstandserhebung „Spiel mit mir!“ enthält neben den Auswertungsbögen zu den verschiedenen Aufgaben des Sprachtests auch detaillierte Erläuterungen zur Durchführung und Bewertung des Tests sowie organisatorische Vorgaben und Materialen zu den verschiedenen Testversionen. Der Antragstellerseite ist auch Gelegenheit gegeben worden, Einsicht in den Leitfaden zu nehmen, da ihr mit Eingangsverfügung vom 21. Juni 2021 (Bl. 26 d. Streitakte) mitgeteilt worden ist, dass der Kammer bereits Materialien und Unterlagen zum Sprachtest vorliegen, die eingesehen werden könnten. Ausweislich von Nr. 6.3 des Leitfadens wird die volle Punktzahl von 3 Punkten nur bei einer differenzierten und fehlerfreien Beschreibung der Gegensätze in vollständigen Sätzen vergeben. Bei Satzfragmenten – wie hier bei den Antworten des Antragstellers zu 1 (bspw. Aufgabe 10: „Night + morning“) – ist lediglich 1 Punkt zu vergeben (S. 13 f., 29 ff., 43 ff. des genannten Leitfadens). Ein Bewertungsfehler ist daher (jedenfalls im Sinne einer zu niedrigen und damit die Antragsteller beschwerenden Punktvergabe) bei diesem Bereich nicht erkennbar.

18. Bei dem Testbereich „At the pool“ (VV Bl. 192 R) rügen die Antragsteller die Vergabe von 17 Punkten und sind der Meinung, dass diese Aufgabe ebenfalls mit der vollen Punktzahl – hier in Höhe von 40 Punkten – hätte bewertet werden müssen. Auch hier sieht der genannte Leitfaden indes differenzierte Bewertungskriterien je nach Komplexität der Sätze und Fehlern innerhalb der einzelnen Satzglieder vor (S. 12 f.; 26 ff., 42). Eine Bewertung aller Teilaufgaben mit der vollen Punktzahl von 4 Punkten wäre nur dann möglich, wenn der Antragsteller zu 1 jede einzelne Teilaufgabe mit einem grammatikalisch korrekten und vollständigen komplexen Satz bestehend aus Subjekt, Prädikat und Ergänzung(en) beantwortet hätte. Dies ist ausweislich der Testdokumentation offensichtlich nicht geschehen. Insofern ist auch unschädlich, dass manchmal – wie von Antragstellerseite gerügt – nicht nur ein Satz, sondern zwei Sätze aufgeschrieben worden sind. Denn auch in diesen Fällen handelt es sich jeweils nicht um Sätze, die die genannten Kriterien erfüllen würden. Selbst wenn man jedoch trotz des pauschal gebliebenen und nicht auf einzelne Aufgaben eingehenden Vortrags der Antragsteller von Bewertungsfehlern hinsichtlich gewisser Aufgaben ausginge, würde sich dies im Ergebnis nicht auswirken. In Betracht kämen insoweit allenfalls die Antworten 2, 3, 6, 7 und 8. Selbst wenn der Antragsteller zu 1 hier die jeweils maximal mögliche Punktzahl (4) erreicht hätte, würde dies bestenfalls zu einer Erhöhung der Punktzahl um insgesamt 11 Punkte führen. Auch bei Hinzuzählung dieser Punkte würde der Antragsteller zu 1 jedoch nicht die Mindestanzahl von 80 Punkten, sondern nur 70 Punkte erreichen.

19. Gleiches gilt für den letzten von Antragstellerseite gerügten Teil des Sprachtests: Bereich 4B (Section 4B, Bl. 191 VV). Hier sind die Antragsteller der Meinung, dass der Test zu Unrecht mit 11 statt mit 14 von 15 erzielbaren Punkten bewertet worden sei. Es kann dahinstehen, ob insoweit Bewertungsfehler vorliegen, insbesondere ob die Dokumentation der vom Kind gegebenen Antworten den im Test genannten Vorgaben entspricht (s. hierzu die Hinweise zu Aufgabenbereich 4B, Bl. 191 VV Mitte, sowie die fehlende Kennzeichnung der richtigen Auswahl des jeweils verwendeten Verbs im Feld hinter der Antwort). Denn auch bei Hinzuzählung dieser von Antragstellerseite begehrten 3 Punkte träte im Ergebnis keine Änderung ein. Selbst bei Hinzuzählung der oben bezeichneten weiteren 11 Punkte im Testbereich „At the Pool“ käme man maximal auf ein Ergebnis von insgesamt 73 Punkten und damit nicht zu einem Erreichen der Mindestanzahl von 80 Punkten. Der Antragsteller zu 1 hätte dann noch immer keine muttersprachlichen englischen Sprachkenntnisse im Sinne des § 3 Abs. 4 Satz 9 AufnahmeVO-SbP nachgewiesen und würde nicht über die erforderliche Mindesteignung gemäß § 3 Abs. 4 Satz 1 und 10 AufnahmeVO-SbP verfügen.

20. b) Es lassen sich entgegen der Ansicht der Antragsteller auch keine sonstigen Verfahrensfehler bei der Durchführung des Sprachtests erkennen, welche eine Neuüberprüfung seiner Sprachkenntnisse erforderlich machen würden. Die Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Familie vom August 2020 empfiehlt in ihrem oben genannten Leitfaden laut Nr 7.1 „Organisatorisches für die Schulleitung“ (S. 15), die Sprachtests von Expertenteams, bestehend aus zwei Personen, durchführen zu lassen. Für ein sicheres und einheitliches Vorgehen sei die jährliche Teilnahme an der entsprechenden Fortbildung zur Durchführung der Sprachstandserhebung verpflichtend. Diese dienten als Multiplikator/-innen vor Ort für die anderen Personen der Sprachstandserhebung.

21. Aus der E-Mail des Schulleiters Herr E… der Charles-Dickens-Grundschule – SESB – vom 30. Juni 2021 (Bl. 44 d. Streitakte) ergibt sich, dass jeder Sprachtest von zwei Personen (einer testenden und einer protokollierenden Person) durchgeführt worden ist und dass es zuvor eine interne Schulung durch die Moderatorinnen Mrs. B… und Frau H… gab, in der die Vorgaben aus den Unterlagen der Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Familie zur Sprachstandserhebung „Spiel mit mir“ beachtet worden seien und bei der Testsimulationen stattgefunden hätten. Die Vorgaben des Leitfadens hinsichtlich Anzahl und Schulung der testenden Personen sind damit erfüllt. Dass nicht die gleichen beiden Personen alle Kinder im Rahmen des Sprachtests getestet haben, stellt entgegen der Ansicht der Antragsteller keinen Verfahrensfehler dar. Eine solche Vorgabe lässt sich dem Leitfaden nicht entnehmen und ist auch im Hinblick auf das Ziel einer einheitlichen Bewertung der Tests nicht erforderlich. Denn die vorgesehene Dokumentation des Testverfahrens, bei der die vom Kind gegebenen Antworten und die für die einzelnen Aufgaben vergebenen Punkte notiert werden, sowie die beschriebenen differenzierten Bewertungskriterien des Leitfadens dienen gerade dem Zweck, einen einheitlichen Bewertungsmaßstab auch bei unterschiedlichen Testpersonen zu gewährleisten.

22. Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 1, 159 Satz 1 VwGO i. V. m. § 100 Abs. 1 ZPO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 53 Abs. 2 Nr. 1 i. V. m. § 52 Abs. 2 des Gerichtskostengesetzes, wobei die Kammer in schulrechtlichen Eilverfahren nach den Nrn. 1.5 Satz 1 Hs. 1 und 38.4 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013 die Hälfte des für das Hauptsacheverfahren anzusetzenden Auffangstreitwertes zugrunde legt.

Zuletzt aktualisiert am August 17, 2021 von eurogesetze

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