EUROPÄISCHER GERICHTSHOF FÜR MENSCHENRECHTE
FÜNFTE SEKTION
RECHTSSACHE I. ./. DEUTSCHLAND
(Individualbeschwerden Nrn. 10211/12 und 27505/14)
URTEIL
STRASSBURG
2. Februar 2017
Dieses Urteil wird nach Maßgabe des Artikels 44 Abs. 2 der Konvention endgültig. Es wird gegebenenfalls noch redaktionell überarbeitet.
In der Rechtssache I. ./. Deutschland
hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (Fünfte Sektion) als Kammer mit den Richterinnen und Richtern
Erik Møse, Präsident,
Angelika Nußberger,
Ganna Yudkivska,
Faris Vehabović,
Yonko Grozev,
Síofra O’Leary
und Mārtiņš Mits
sowie Milan Blaško, Stellvertretender Sektionskanzler,
nach nicht öffentlicher Beratung am 10. Januar 2017
das folgende Urteil erlassen, das am selben Tag angenommen wurde:
VERFAHREN
1. Der Rechtssache lagen zwei Individualbeschwerden (Nrn. 10211/12 und 27505/14) gegen die Bundesrepublik Deutschland zugrunde, die ein deutscher Staatsangehöriger, I. („der Beschwerdeführer“), am 24. Februar 2012 bzw. am 4. April 2014 nach Artikel 34 der Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten („die Konvention“) beim Gerichtshof eingereicht hatte.
2. Der Beschwerdeführer, dem für beide Beschwerdeverfahren Prozesskostenhilfe gewährt worden war, wurde zunächst von Herrn A., Rechtsanwalt in M., und anschließend in beiden Verfahren von Herrn T., Rechtsanwalt in T., vertreten. Die deutsche Regierung („die Regierung“) wurde durch zwei ihrer Verfahrensbevollmächtigten, Herrn H.-J. Behrens und Frau K. Behr vom Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz, vertreten.
3. Der Beschwerdeführer machte geltend, dass sowohl seine einstweilige Unterbringung in der Sicherungsverwahrung (Gegenstand der Individualbeschwerde Nr. 10211/12) als auch seine im Hauptverfahren angeordnete nachträgliche Unterbringung in der Sicherungsverwahrung (Gegenstand der Individualbeschwerde Nr. 27505/14) gegen Artikel 5 Abs. 1 und Artikel 7 Abs. 1 der Konvention verstoßen habe. Auch hätten die innerstaatlichen Gerichte unter Verstoß gegen Artikel 5 Abs. 4 der Konvention nicht innerhalb kurzer Frist über die Rechtmäßigkeit seiner einstweiligen Unterbringung in der Sicherungsverwahrung entschieden. Außerdem sei Richter P. unter Verstoß gegen Artikel 6 Abs. 1 der Konvention in dem Hauptverfahren betreffend die Anordnung seiner nachträglichen Unterbringung in der Sicherungsverwahrung ihm gegenüber befangen gewesen.
4. Am 26. November 2013 wurde der Regierung die Beschwerde Nr. 10211/12 übermittelt. Am 22. Dezember 2014 wurden der Regierung die Rügen bezüglich der nachträglichen Anordnung der Sicherungsverwahrung des Beschwerdeführers und die Rüge bezüglich der Parteilichkeit des Richters P. aus der Beschwerde Nr. 27505/14 übermittelt und die Beschwerde im Übrigen nach Artikel 54 Abs. 3 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs für unzulässig erklärt.
SACHVERHALT
I. DIE UMSTÄNDE DES FALLES
5. Der Beschwerdeführer wurde 19.. geboren und ist derzeit in der Abteilung für Sicherungsverwahrte auf dem Gelände der Justizvollzugsanstalt S. (nachfolgend: Einrichtung für Sicherungsverwahrte der JVA S.) untergebracht.
A. Der Hintergrund der Rechtssache: Die Verurteilung des Beschwerdeführers und die erste Anordnung seiner nachträglichen Unterbringung in der Sicherungsverwahrung
6. Am 29. Oktober 1999 verurteilte das Landgericht Regensburg den Beschwerdeführer unter Anwendung des Jugendstrafrechts wegen Mordes zu zehn Jahren Freiheitsstrafe. Es stellte fest, der damals neunzehnjährige Beschwerdeführer habe im Juni 1997 eine Frau, die einen Waldweg entlang gejoggt sei, erwürgt, die tote oder sterbende Frau teilweise entkleidet und dann onaniert. Das Gericht war der Auffassung, dass der Beschwerdeführer die Tat im Zustand der vollen Schuldfähigkeit begangen habe.
7. Ab dem 17. Juli 2008 wurde der Beschwerdeführer, nach vollständiger Verbüßung seiner Freiheitsstrafe, gemäß § 275a Abs. 5 StPO (siehe Rdnr. 41) in der einstweiligen Sicherungsverwahrung untergebracht.
8. Am 22. Juni 2009 ordnete das Landgericht Regensburg mit Richter P. als Mitglied der Kammer gemäß § 7 Abs. 2 Nr. 1 i. V. m. § 105 Abs. 1 JGG (siehe Rdnrn. 38-39) die nachträgliche Unterbringung des Beschwerdeführers in der Sicherungsverwahrung an. Das Gericht befand unter Bezugnahme auf die Gutachten eines kriminologischen Sachverständigen (Bo.) und eines psychiatrischen Sachverständigen (Ba.), dass bei dem Beschwerdeführer weiterhin sexuelle Gewaltfantasien aufträten und er im Falle seiner Freilassung mit hoher Wahrscheinlichkeit erneut schwere Sexualstraftaten bis hin zum Mord zur Befriedigung seines Sexualtriebs begehen würde. Am 9. März 2010 verwarf der Bundesgerichtshof die Revision des Beschwerdeführers.
9. Am 4. Mai 2011 ließ das Bundesverfassungsgericht in einem Leiturteil die Verfassungsbeschwerde des Beschwerdeführers zu. Es hob das Urteil des Landgerichts vom 22. Juni 2009 und das Urteil des Bundesgerichtshofs vom 9. März 2010 auf und verwies die Sache zurück an das Landgericht. Ferner befand es die Anordnung der einstweiligen Unterbringung des Beschwerdeführers in der Sicherungsverwahrung – die mit Eintritt der Rechtskraft der Anordnung der nachträglichen Unterbringung des Beschwerdeführers in der Sicherungsverwahrung im Hauptverfahren erledigt gewesen sei – für verfassungswidrig (2 BvR 2333/08 und 2 BvR 1152/10). Das Bundesverfassungsgericht stellte fest, dass die angegriffenen Urteile und Beschlüsse das Freiheitsrecht des Beschwerdeführers sowie das rechtsstaatliche Vertrauensschutzgebot verletzt hätten (siehe Rdnr. 43).
B. Das den Gegenstand von Individualbeschwerde Nr. 10211/12 bildende Verfahren betreffend die einstweilige Unterbringung des Beschwerdeführers in der Sicherungsverwahrung
1. Das Verfahren vor dem Landgericht
10. Am 5. Mai 2011 beantragte der Beschwerdeführer beim Landgericht Regensburg seine sofortige Freilassung. Er machte geltend, dass keine Rechtsgrundlage mehr für seine Inhaftierung bestehe, nachdem das Urteil, mit dem seine nachträgliche Unterbringung in der Sicherungsverwahrung angeordnet worden sei, durch das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 4. Mai 2011 aufgehoben wurde.
11. Am 6. Mai 2011 gab das Landgericht Regensburg dem Antrag der Staatsanwaltschaft vom 5. Mai 2011 statt und ordnete gemäß §§ 7 Abs. 4 und 105 Abs. 1 JGG i. V. m. § 275a Abs. 5 Satz 1 StPO (siehe Rdnrn. 39 und 41) erneut die einstweilige Unterbringung des Beschwerdeführers in der Sicherungsverwahrung an. Es stellte fest, dass die einstweilige Unterbringung des Beschwerdeführers in der Sicherungsverwahrung notwendig sei, weil dringende Gründe für die Annahme vorhanden seien, dass auch unter Beachtung der Maßgaben des Urteils des Bundesverfassungsgerichts vom 4. Mai 2011 nach § 7 Abs. 2 Nr. 1 JGG seine nachträgliche Unterbringung in der Sicherungsverwahrung angeordnet werden würde.
2. Das Verfahren vor dem Oberlandesgericht
12. Mit Schriftsatz vom 27. Juni 2011, beim Landgericht eingegangen am 29. Juni 2011, erhob der Beschwerdeführer Beschwerde gegen den Beschluss des Landgerichts und begründete diese mit Schriftsätzen vom 15., 19., 22., 25. und 26. Juli 2011 weiter. Er machte insbesondere geltend, dass seine einstweilige Unterbringung in der Sicherungsverwahrung rechtswidrig sei.
13. Am 4. Juli 2011 lehnte es das Landgericht Regensburg ab, seinen Beschluss vom 6. Mai 2011 abzuändern.
14. Am 16. August 2011 verwarf das Oberlandesgericht Nürnberg die Beschwerde des Beschwerdeführers als unbegründet. Es berücksichtigte dabei (i) einen Antrag der Generalstaatsanwaltschaft Nürnberg vom 20. Juli 2011, die Beschwerde zu verwerfen, (ii) die Tatsachenfeststellungen des Landgerichts Regensburg in seinem Urteil vom 22. Juni 2009, (iii) die Feststellungen zweier medizinischer Sachverständiger in dem Verfahren, das zu dem Urteil vom 22. Juni 2009 geführt hatte, (iv) die in vorausgegangenen Verfahren getroffenen Feststellungen zweier weiterer medizinischer Sachverständiger bezüglich des psychischen Zustands des Beschwerdeführers und der von ihm ausgehenden Gefahr und (v) die in dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 4. Mai 2011 aufgestellten strengeren Maßstäbe.
15. Am 29. August 2011 wies das Oberlandesgericht Nürnberg die Anhörungsrüge des Beschwerdeführers und seine Gegenvorstellung gegen den Beschluss vom 16. August 2011 zurück. Der Beschluss wurde dem Rechtsanwalt des Beschwerdeführers am 6. September 2011 zugestellt.
3. Das Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht
16. Am 7. September 2011 erhob der Beschwerdeführer gegen den vom Oberlandesgericht Nürnberg bestätigten Beschluss des Landgerichts Regensburg vom 6. Mai 2011 Beschwerde zum Bundesverfassungsgericht. Er beantragte ferner, durch Erlass einer einstweiligen Anordnung die Vollziehung dieser Beschlüsse bis zur Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts auszusetzen. Der Beschwerdeführer machte insbesondere geltend, dass sein im Grundrecht auf Freiheit verankertes Recht auf eine Entscheidung innerhalb kurzer Frist in dem Verfahren zur Überprüfung seiner einstweiligen Unterbringung in der Sicherungsverwahrung missachtet worden sei.
17. Am 18. Oktober 2011 leitete das Bundesverfassungsgericht die Verfassungsbeschwerde des Beschwerdeführers der Bayerischen Staatsregierung, dem Präsidenten des Bundesgerichtshofs sowie dem Generalbundesanwalt beim Bundesgerichtshof zu.
18. Am 25. Oktober 2011 lehnte es das Bundesverfassungsgericht in einer begründeten Entscheidung ab, die einstweilige Unterbringung des Beschwerdeführers in der Sicherungsverwahrung durch Erlass einer einstweiligen Anordnung auszusetzen.
19. Mit Schriftsätzen vom 1. Januar 2012 erwiderte der Beschwerdeführer auf die vom 28., 24. bzw. 25. November 2011 datierenden Stellungnahmen der Bayerischen Staatsregierung, des Präsidenten des Bundesgerichtshofs sowie des Generalbundesanwalts beim Bundesgerichtshof.
20. Am 22. Mai 2012 lehnte es das Bundesverfassungsgericht ohne Angabe von Gründen ab, die Verfassungsbeschwerde (2 BvR 1952/11) des Beschwerdeführers zur Entscheidung anzunehmen. Der Beschluss wurde dem Rechtsanwalt des Beschwerdeführers am 30. Mai 2012 zugestellt.
C. Das den Gegenstand von Individualbeschwerde Nr. 27505/14 bildende Hauptverfahren betreffend die nachträgliche Unterbringung des Beschwerdeführers in der Sicherungsverwahrung
1. Das Verfahren vor dem Landgericht Regensburg
a) Die Entscheidung über das Ablehnungsgesuch des Beschwerdeführers
21. In dem nach der Zurückverweisung der Rechtssache wiederaufgenommenen Verfahren vor dem Landgericht Regensburg reichte der Beschwerdeführer ein Ablehnungsgesuch gegen Richter P. ein. Letzterer war ein Mitglied der Kammer gewesen, die am 22. Juni 2009 die nachträgliche Unterbringung des Beschwerdeführers in der Sicherungsverwahrung angeordnet hatte (siehe Rdnr. 8). Der Beschwerdeführer trug vor, Richter P. habe am 22. Juni 2009, unmittelbar nach der Verkündung des landgerichtlichen Urteils, mit dem die nachträgliche Unterbringung des Beschwerdeführers in der Sicherungsverwahrung angeordnet worden sei, mit Bezug auf den Beschwerdeführer zu dessen Verteidigerin gesagt: „Passen Sie auf, wenn er rauskommt, dass er nicht vor Ihrer Tür steht und sich dann […] bei Ihnen bedankt.“ Er behauptete, die Bemerkung sei während einer im Richterzimmer stattfindenden Besprechung zwischen den Richtern und den zwei Verteidigern des Beschwerdeführers bezüglich einer möglichen Verlegung des Beschwerdeführers in ein psychiatrisches Krankenhaus nach dem Urteil des Landgerichts gefallen.
22. In einer Stellungnahme vom 13. Dezember 2011 zum Ablehnungsgesuch des Beschwerdeführers erklärte Richter P., dass er sich an ein Gespräch über eine mögliche Verlegung des Beschwerdeführers in ein psychiatrisches Krankenhaus zu einem späteren Zeitpunkt nach der Urteilsverkündung erinnere. Angesichts der seitdem verstrichenen Zeit seien ihm jedoch weder die konkrete Gesprächssituation, in der er die behauptete Äußerung getätigt haben solle, noch die genauen Gesprächsinhalte erinnerlich.
23. Am 2. Januar 2012 wies das Landgericht Regensburg die von dem Beschwerdeführer eingereichten Ablehnungsgesuche zurück. Das Gericht vertrat insbesondere die Auffassung, dass selbst unter der Annahme, der Beschwerdeführer habe glaubhaft gemacht, dass Richter P. die in Rede stehende Äußerung getätigt habe, dies keine objektiv berechtigten Zweifel an dessen Unvoreingenommenheit begründe. Selbst wenn angenommen werde, der Beschwerdeführer habe begründeten Anlass zu der Annahme, das Wort „bedanken“ bedeute im vorgenannten Kontext die Begehung einer Gewalttat durch ihn, sei festzuhalten, dass das Landgericht unter Mitwirkung des Richters P. kurz zuvor festgestellt habe, dass die sexuellen Gewaltfantasien des Beschwerdeführers nach wie vor andauerten und dass zum damaligen Zeitpunkt eine hohe Wahrscheinlichkeit bestanden habe, dass er erneut schwere Straftaten gegen das Leben und die sexuelle Selbstbestimmung anderer begehen werde. Sollte Richter P. die in Rede stehende Äußerung tatsächlich getätigt haben, so habe sein „Ratschlag“ demnach im Wesentlichen nichts weiter als die Anwendung dieser Feststellungen des Landgerichts auf einen konkreten Fall dargestellt. Die Äußerung sei außerdem im Rahmen eines vertraulichen Gesprächs der Verfahrensbeteiligten in Abwesenheit des Beschwerdeführers getätigt worden. Richter P. habe davon ausgehen können, dass die Verteidigerin des Beschwerdeführers seine Äußerung in diesem Zusammenhang in der vorgenannten Art und Weise interpretieren würde.
24. Darüber hinaus spiegele die Äußerung des Richters P. dessen Einschätzung vom Tag der Urteilsverkündung durch das Landgericht am 22. Juni 2009 wider. Sie besage keineswegs, dass Richter P. nicht bereit gewesen sei, rund zwei Jahre nach der angegriffenen Äußerung und nach Abschluss einer erneuten Hauptverhandlung eine unparteiische Entscheidung in dem vorliegenden Verfahren zu treffen. Die Tatsache an sich, dass Richter P. bereits zuvor mit der Rechtssache des Beschwerdeführers befasst gewesen sei, mache ihn nicht voreingenommen.
b) Die erneute Anordnung der nachträglichen Unterbringung des Beschwerdeführers in der Sicherungsverwahrung
25. Am 3. August 2012 ordnete das Landgericht Regensburg nach 24 Verhandlungstagen erneut die nachträgliche Unterbringung des Beschwerdeführers in der Sicherungsverwahrung an.
26. Das Landgericht stellte insbesondere fest, dass im Sinne von § 7 Abs. 2 Nr. 1 und § 105 Abs. 1 JGG i. V. m. dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 4. Mai 2011 die Gesamtwürdigung des Beschwerdeführers, seiner Tat und ergänzend seiner Entwicklung während des Vollzugs seiner Jugendstrafe ergebe, dass der Beschwerdeführer aufgrund konkreter Umstände in seiner Person oder seinem Verhalten im Falle seiner Freilassung mit hoher Wahrscheinlichkeit schwerste Gewalt- oder Sexualstraftaten ähnlich denen, derer er für schuldig befunden worden sei, begehen werde.
27. Das Landgericht befand weiter, dass der Beschwerdeführer an einer psychischen Störung im Sinne des § 1 Abs. 1 ThUG (siehe Rdnr. 43) leide. Unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs und des Bundesverfassungsgerichts stellte es fest, dass zwar eine bloße „Persönlichkeitsauffälligkeit“ nicht ausreiche, um das Merkmal einer psychischen Störung im Sinne dieser Bestimmung zu erfüllen, eine solche psychische Störung jedoch auch nicht in einem Ausprägungsgrad vorhanden sein müsse, demzufolge die Schuldfähigkeit der betroffenen Person nach §§ 20 und 21 StGB vermindert oder ausgeschlossen sei (siehe Rdnr. 43). Da der sexuelle Sadismus des Beschwerdeführers sehr ausgeprägt sei und seit der Pubertät ganz wesentlich seinen Entwicklungsprozess bestimmt habe, stelle dieser eine psychische Störung im Sinne des ThUG dar.
28. Das Landgericht stützte sich bei dieser Einschätzung auf die Gutachten der zwei von ihm hinzugezogenen externeren psychiatrischen Sachverständigen K. und F. Unter Berücksichtigung der Feststellungen dieser Sachverständigen sowie mehrerer Sachverständiger, die den Beschwerdeführer seit seiner im Anschluss an die Tat erfolgten Verhaftung bereits untersucht hatten, war das Landgericht überzeugt, dass bei dem Beschwerdeführer seit seinem siebzehnten Lebensjahr sexuelle Gewaltfantasien aufgetreten seien, die sich auf das Würgen von Frauen gerichtet hätten. Er leide im Sinne des maßgeblichen Diagnoseklassifikationssystems, der Internationalen statistischen Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme in der aktuellen Fassung (ICD-10), an einer Störung der Sexualpräferenz, namentlich an sexuellem Sadismus; diese Störung habe seine brutale Straftat ausgelöst und sich in dieser manifestiert und sie daure auch weiterhin an. Die Therapie, der sich der Beschwerdeführer bis 2007 unterzogen habe, insbesondere eine Sozialtherapie, sei nicht erfolgreich gewesen. Obgleich er sich grundsätzlich weiterhin therapiebereit zeige, sei er aktuell nicht in therapeutischer Behandlung.
2. Das Verfahren vor dem Bundesgerichtshof
29. In einer Revision gegen das Urteil des Landgerichts vom 3. August 2012 rügte der Beschwerdeführer, dass seine nachträgliche Unterbringung in der Sicherungsverwahrung rechtswidrig und das Urteil unter Mitwirkung eines befangenen Richters, nämlich P., ergangen sei.
30. Am 5. März 2013 verwarf der Bundesgerichtshof die Revision des Beschwerdeführers als unbegründet.
3. Das Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht
31. Am 11. April 2013 erhob der Beschwerdeführer Verfassungsbeschwerde zum Bundesverfassungsgericht. Er rügte insbesondere, dass die nachträgliche Anordnung seiner Sicherungsverwahrung gegen das im Grundgesetz und in Artikel 7 Abs. 1 der Konvention verankerte Verbot der rückwirkenden Bestrafung, gegen das Recht auf Freiheit und gegen das rechtsstaatliche Vertrauensschutzgebot bzw. Artikel 5 Abs. 1 der Konvention verstoße. Er brachte ferner vor, dass sein Grundrecht auf einen gesetzlichen Richter verletzt worden sei, weil Richter P. ihm gegenüber befangen gewesen sei.
32. Am 5. Dezember 2013 lehnte es das Bundesverfassungsgericht ohne Angabe von Gründen ab, die Verfassungsbeschwerde des Beschwerdeführers zur Entscheidung anzunehmen (2 BvR 813/13).
D. Die Bedingungen der Unterbringung des Beschwerdeführers während der Vollstreckung der Sicherungsverwahrungsanordnung
33. Am 7. Mai 2011 wurde der Beschwerdeführer nach der Anordnung seiner einstweiligen Unterbringung in der Sicherungsverwahrung von der Abteilung für Sicherungsverwahrte der JVA S. in eine Abteilung für Untersuchungsgefangene verlegt. In der Folge verlor er die Privilegien, die Sicherungsverwahrten gewährt werden. Insbesondere bestand keine Therapiemöglichkeit mehr. Am 13. September 2011 wurde er in die Abteilung für Sicherungsverwahrte der JVA S. zurückverlegt und dort erneut bis zum 20. Juni 2013 untergebracht.
34. Seit dem 20. Juni 2013 ist er in der neu errichteten Einrichtung für Sicherungsverwahrte der JVA S. untergebracht. In dieser Einrichtung, die bis zu 84 Sicherungsverwahrte aufnehmen kann, werden die Untergebrachten von einem Psychiater, sieben Psychologen, einem Allgemeinmediziner, sieben Sozialarbeitern, einem Rechtsanwalt, einem Lehrer, einem Vollzugsinspektor, vier Krankenpflegern, 44 Bediensteten im allgemeinen Vollzugsdienst und vier Bediensteten im Bereich der Verwaltung betreut. Die Untergebrachten können sich zwischen 6:00 und 23:30 Uhr außerhalb der heute 15 m² großen Zellen aufhalten. Der Beschwerdeführer hat in dieser Einrichtung sämtliche Therapieangebote, insbesondere eine Sozialtherapie in Einzel- oder Gruppensitzungen, die Teilnahme an einem Intensivbehandlungsprogramm für Sexualstraftäter oder eine Therapie durch einen externen Psychiater, abgelehnt.
II. EINSCHLÄGIGES INNERSTAATLICHES RECHT UND EINSCHLÄGIGE INNERSTAATLICHE PRAXIS
A. Allgemeiner Rechtsrahmen
35. Ein umfassender Überblick über die Bestimmungen des Strafgesetzbuchs und der Strafprozessordnung zur Sicherungsverwahrung sowie zum Erlass, zur Überprüfung und zur praktischen Umsetzung von Sicherungsverwahrungsanordnungen einschließlich der in dem maßgeblichen Zeitraum vorgenommenen diesbezüglichen Gesetzesänderungen findet sich insbesondere in den Urteilen des Gerichtshofs in den Rechtssachen M. ./. Deutschland (Individualbeschwerde Nr. 19359/04, Rdnrn. 45-78, ECHR 2009), G. ./. Deutschland (Individualbeschwerde Nr. 7345/12, Rdnrn. 32-52, 28. November 2013) und B. ./. Deutschland (Individualbeschwerde Nr. 23279/14, Rdnrn. 42-76, 7. Januar 2016). Die in der vorliegenden Rechtssache in Bezug genommenen Bestimmungen sehen Folgendes vor (siehe Rdnrn 36-42):
B. Sicherungsverwahrungsanordnungen gegen Jugendliche und Heranwachsende
36. Zunächst gestattete das Jugendgerichtsgesetz (JGG) die Anordnung der Sicherungsverwahrung bei Jugendlichen oder Heranwachsenden, auf die das Jugendstrafrecht angewendet wurde, nicht.
37. Mit dem Gesetz zur Einführung der nachträglichen Unterbringung in der Sicherungsverwahrung bei Verurteilungen nach Jugendstrafrecht vom 8. Juli 2008, das am 12. Juli 2008 in Kraft trat, wurde § 7 Abs. 2 in das Jugendgerichtsgesetz eingefügt.
38. § 7 Abs. 2 JGG in der bis zum 31. Mai 2013 geltenden Fassung lautete:
„Sind nach einer Verurteilung zu einer Jugendstrafe von mindestens sieben Jahren wegen […] eines Verbrechens
1. gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit oder die sexuelle Selbstbestimmung oder
2. […]
durch welches das Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt oder einer solchen Gefahr ausgesetzt worden ist, vor Ende des Vollzugs dieser Jugendstrafe Tatsachen erkennbar, die auf eine erhebliche Gefährlichkeit des Verurteilten für die Allgemeinheit hinweisen, so kann das Gericht nachträglich die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung anordnen, wenn die Gesamtwürdigung des Verurteilten, seiner Tat oder seiner Taten und ergänzend seiner Entwicklung während des Vollzugs der Jugendstrafe ergibt, dass er mit hoher Wahrscheinlichkeit erneut Straftaten der vorbezeichneten Art begehen wird.“
39. § 105 Abs. 1 JGG sieht vor, dass, wenn ein zwischen 18 und 21 Jahren alter Heranwachsender eine Verfehlung begeht, der Richter bestimmte für einen Jugendlichen (eine Person zwischen 14 und 18 Jahren) geltende Vorschriften des Gesetzes anwendet, wenn die Gesamtwürdigung der Persönlichkeit des Täters bei Berücksichtigung auch der Umweltbedingungen ergibt, dass er zur Zeit der Tat nach seiner sittlichen und geistigen Entwicklung noch einem Jugendlichen gleichstand.
40. Nach § 7 Abs. 4 JGG in der bis zum 31. Mai 2013 geltenden Fassung waren die Gerichte verpflichtet, in jährlichen Abständen zu prüfen, ob die weitere Vollstreckung einer konkreten Sicherungsverwahrungsanordnung zur Bewährung auszusetzen war; mit Urteil vom 4. Mai 2011 ordnete das Bundesverfassungsgericht die Verkürzung dieser Frist von einem Jahr auf sechs Monate an.
41. Nach § 7 Abs. 4 JGG i. V. m. § 275a Abs. 5 Satz 1 StPO in der zur maßgeblichen Zeit geltenden Fassung konnte ein Gericht nach der anzuwendenden Übergangsvorschrift die einstweilige Unterbringung einer Person in der Sicherungsverwahrung (bis zum Eintritt der Rechtskraft des maßgeblichen Urteils über die nachträgliche Unterbringung in der Sicherungsverwahrung) anordnen, wenn dringende Gründe für die Annahme vorhanden waren, dass die nachträgliche Unterbringung dieser Person in der Sicherungsverwahrung angeordnet werden würde.
42. Nach §§ 304 Abs. 1 und 305 StPO ist die (an keine Frist gebundene) Möglichkeit gegeben, beim Oberlandesgericht Beschwerde gegen die von einem Landgericht angeordnete einstweilige Unterbringung einer Person in der Sicherungsverwahrung einzulegen; nach § 310 StPO besteht vor den ordentlichen Gerichten keine weitere Beschwerdemöglichkeit gegen die Entscheidung des Oberlandesgerichts. Ein Untergebrachter kann nach der Entscheidung des Oberlandesgerichts die Anordnung seiner einstweiligen Unterbringung in der Sicherungsverwahrung durch erneute Beschwerde beim zuständigen Landgericht anfechten.
C. Weitere einschlägige Bestimmungen des innerstaatlichen Rechts und weitere einschlägige innerstaatliche Praxis
43. Nachfolgend finden sich die weiteren im vorliegenden Fall in Bezug genommenen Bestimmungen in der zur maßgeblichen Zeit geltenden Fassung. Die Bestimmungen über die Schuldunfähigkeit und die verminderte Schuldfähigkeit (§§ 20 und 21 StGB) sind in der Rechtssache B. (a. a. O., Rndrn. 61-62) dargestellt. Die Vorschriften zur Unterbringung psychisch kranker Personen (§ 63 StGB und § 1 ThUG) sind in der Rechtssache B. (a. a. O., Rndrn. 63-64) aufgeführt. Schließlich ist in der Rechtssache B. (a. a. O., Rdnrn. 66-72) auch das Leiturteil des Bundesverfassungsgerichts zur Sicherungsverwahrung vom 4. Mai 2011 zusammengefasst. Dieses u. a. im Hinblick auf den Beschwerdeführer der vorliegenden Rechtssache erlassene Urteil betraf die nachträgliche Unterbringung in der Sicherungsverwahrung nach § 7 Abs. 2 JGG und die nachträgliche Unterbringung erwachsener Straftäter in der Sicherungsverwahrung nach dem StGB gleichermaßen.
RECHTLICHE WÜRDIGUNG
I. VERBINDUNG DER BESCHWERDEN
44. Da sich die beiden vorliegenden Individualbeschwerden auf zwei miteinander zusammenhängende Verfahren beziehen, von denen das eine die einstweilige und das andere die rechtskräftige Anordnung der Sicherungsverwahrung des Beschwerdeführers zum Gegenstand hatte, beschließt der Gerichtshof, die Individualbeschwerden zu verbinden (Artikel 42 Abs. 1 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs).
II. BEHAUPTETE VERLETZUNG VON ARTIKEL 5 ABS. 1 UND ARTIKEL 7 ABS. 1 DER KONVENTION AUFGRUND DER SICHERUNGSVERWAHRUNG DES BESCHWERDEFÜHRES VOM 6. MAI 2011 BIS ZUM 20. JUNI 2013
45. Der Beschwerdeführer rügte, dass seine nachträglich angeordnete Sicherungsverwahrung – die vom 6. Mai 2011 bis zum 20. Juni 2013 gedauert und ursprünglich auf der einstweiligen Anordnung seiner Sicherungsverwahrung und anschließend auf der im Hauptverfahren ergangenen rechtskräftigen Anordnung der Sicherungsverwahrung beruht habe – sein Recht auf Freiheit nach Artikel 5 Abs. 1 der Konvention und das Verbot der rückwirkenden Bestrafung nach Artikel 7 Abs. 1 der Konvention verletzt habe.
46. Nachdem die Versuche der Regierung, direkt mit dem Beschwerdeführer eine gütliche Einigung zu erreichen, gescheitert waren, unterrichtete sie den Gerichtshof mit Schreiben vom 23. Mai 2014 von ihrem Vorschlag, mit Blick auf das Urteil des Gerichtshofs in der Rechtssache G. (a. a. O.) eine einseitige Erklärung zur Erledigung der in diesem Teil der Individualbeschwerde Nr. 10211/12 aufgeworfenen Frage abzugeben. Ferner beantragte sie beim Gerichtshof, die Beschwerde gemäß Artikel 37 der Konvention zu streichen.
47. Die Erklärung lautete wie folgt:
„1. Die gütliche Einigung mit dem Beschwerdeführer ist gescheitert.
2. Die Bundesregierung erkennt – durch einseitige Erklärung – an, dass der Beschwerdeführer dadurch in seinen Rechten aus Art. 5, Art. 7 EMRK verletzt worden ist, dass seine Sicherungsverwahrung mit dem Unterbringungsbefehl vom 6. Mai 2011 einstweilig nachträglich angeordnet wurde. Maßgeblich ist, dass sich der Beschwerdeführer dabei – unter Berücksichtigung der einzelnen Umstände seiner konkreten Unterbringungssituation – zunächst nicht in einer für die Freiheitsentziehung in der Sicherungsverwahrung „geeigneten“ Einrichtung befand.
3. Die Bundesregierung ist bereit, aufgrund der konkreten Umstände dieses Einzelfalls, eine Entschädigung in Höhe von 12.500 Euro an den Beschwerdeführer zu leisten, wenn der Gerichtshof das Individualbeschwerdeverfahren unter der Bedingung der Zahlung dieses Betrages gemäß Art. 37 Abs. 1 c) EMRK aus dem Register streicht. Damit würden sämtliche Ansprüche des Beschwerdeführers gegen die Bundesrepublik (d.h. gegen den Bund und/oder die Länder) wegen konventionswidriger Unterbringung in der Sicherungsverwahrung, Kosten und Auslagen als abgegolten gelten.
Der Betrag ist zahlbar innerhalb von drei Monaten nach Endgültigkeit der Entscheidung des Gerichtshofs über die Streichung der Rechtssache aus seinem Register.“
48. Die Regierung führte ferner aus, dass der Beschwerdeführer aus ihrer Sicht über einen Zeitraum von etwa 25 Monaten – also vom 6. Mai 2011 bis zu seiner Verlegung in die Abteilung für Sicherungsverwahrte auf dem Gelände der JVA S. am 20. Juni 2013 – nicht in einer für psychisch Kranke geeigneten Einrichtung untergebracht war. Nachdem der Regierung die Individualbeschwerde Nr. 27505/14 übermittelt worden war, stellte sie auf Anfrage des Gerichtshofs klar, dass sie sich mit ihrer Erklärung auf die Unterbringung des Beschwerdeführers bis zum 20. Juni 2013 sowohl aufgrund der einstweiligen Anordnung als auch aufgrund der im Hauptverfahren erfolgten Anordnung bezogen habe.
49. Mit Schreiben vom 16. Juni 2014 wies der Beschwerdeführer darauf hin, dass er mit den Bedingungen der einseitigen Erklärung nicht einverstanden sei, weil sie nicht alle aufgetretenen Konventionsverletzungen miteinbeziehe, die vorgeschlagene Entschädigungssumme den von ihm infolge dieser Verletzungen erlittenen Schaden nicht vollständig abdecke und er seine sofortige Freilassung aus der Sicherungsverwahrung erreichen wolle.
50. Der Gerichtshof erinnert daran, dass er nach Artikel 37 der Konvention jederzeit während des Verfahrens entscheiden kann, eine Beschwerde in seinem Register zu streichen, wenn die Umstände Grund zu einer der in Abs. 1 Buchst. a, b oder c genannten Annahmen geben. Insbesondere kann der Gerichtshof nach Artikel 37 Abs. 1 Buchst. c eine Rechtssache in seinem Register streichen, wenn:
„[…] eine weitere Prüfung der Beschwerde aus anderen vom Gerichtshof festgestellten Gründen nicht gerechtfertigt ist.“
51. Er erinnert außerdem daran, dass er unter bestimmten Umständen eine Beschwerde auch dann nach Artikel 37 Abs. 1 Buchst. c aufgrund einer einseitigen Erklärung der beschwerdegegnerischen Regierung streichen kann, wenn der Beschwerdeführer die Fortsetzung der Prüfung der Rechtssache wünscht.
52. Zu diesem Zweck hat der Gerichtshof die Erklärung im Lichte der Grundsätze geprüft, die er in seiner Rechtsprechung aufgestellt hat, und zwar insbesondere im Urteil Tahsin Acar (siehe Tahsin Acar ./. Türkei (prozessuale Einreden) [GK], Individualbeschwerde Nr. 26307/95, Rdnrn. 75-77, EGMR 2003-VI; WAZA Spółka z o.o. ./. Polen (Entsch.), Individualbeschwerde Nr. 11602/02, 26. Juni 2007; und Herman ./. die Niederlande (Entsch.), Individualbeschwerde Nr. 35965/14, Rdnrn. 15-18, 17. November 2015).
53. Der Gerichtshof hat in einer Reihe von Fällen seine Praxis in Bezug auf Rügen wegen einer Verletzung von Artikel 5 Abs. 1 und Artikel 7 Abs. 1 der Konvention durch die nachträgliche Verlängerung oder Anordnung einer Sicherungsverwahrung, die in gesonderten Abteilungen für Sicherungsverwahrte vollzogen wird, festgelegt (siehe beispielsweise M. ./. Deutschland, a. a. O., Rdnrn. 86-105 und Rdnrn. 117-137; B. ./. Deutschland, Individualbeschwerde Nr. 61272/09, Rdnrn. 66-89, 19. April 2012; G. ./. Deutschland, Individualbeschwerde Nr. 65210/09, Rdnrn. 69-80, 7. Juni 2012; und G., a. a. O., Rdnrn. 71-108 und Rdnrn. 118-131).
54. Unter Berücksichtigung der Art des in der Erklärung der Regierung enthaltenen Eingeständnisses und der vorgeschlagenen Entschädigungssumme – die den in ähnlich gelagerten Fällen zugesprochenen Beträgen entspricht – ist der Gerichtshof der Auffassung, dass eine Fortsetzung der Prüfung dieses Teils der Beschwerde nicht gerechtfertigt ist (Artikel 37 Abs. 1 Buchst. c).
55. Darüber hinaus ist der Gerichtshof im Lichte vorstehender Erwägungen und insbesondere in Anbetracht der eindeutigen und umfangreichen Rechtsprechung zu diesem Thema überzeut, dass die Achtung der Menschenrechte, wie sie in der Konvention und den Protokollen dazu anerkannt sind, keine Fortsetzung der Prüfung dieses Teils der Beschwerden erfordert (Artikel 37 Abs. 1 am Ende).
56. Nach Ansicht des Gerichtshofs sollte der in der Erklärung der Regierung bezeichnete Betrag binnen drei Monaten ab der Bekanntgabe der Entscheidung des Gerichtshofs nach Artikel 37 Abs. 1 der Konvention gezahlt werden. Erfolgt die Zahlung innerhalb dieser Frist nicht, fallen für den betreffenden Betrag einfache Zinsen in Höhe eines Zinssatzes an, der dem Spitzenrefinanzierungssatz (marginal lending rate) der Europäischen Zentralbank zuzüglich drei Prozentpunkten entspricht.
57. Der Gerichtshof betont abschließend, dass die Beschwerden nach Artikel 37 Abs. 2 der Konvention wieder in das Register eingetragen werden könnten, sollte die Regierung die Bedingungen ihrer einseitigen Erklärung nicht einhalten (Josipović ./. Serbien (Entsch.), Individualbeschwerde Nr. 18369/07, 4. März 2008).
58. Nach alledem ist es angezeigt, die Rechtssachen im Register zu streichen, soweit sie die vorgenannten Rügen betreffen.
III. BEHAUPTETE VERLETZUNG VON ARTIKEL 5 ABS. 1 DER KONVENTION AUFGRUND DER SICHERUNGSVERWAHRUNG DES BESCHWERDEFÜHRES AB DEM 20. JUNI 2013
59. Der Beschwerdeführer rügte weiter, dass seine nachträglich angeordnete Sicherungsverwahrung in der Einrichtung für Sicherungsverwahrte der JVA S. ab dem 20. Juni 2013 (soweit sie auf der Grundlage des Urteils des Landgerichts Regensburg vom 3. August 2012 vollstreckt worden sei) auch sein Recht auf Freiheit nach Artikel 5 Abs. 1 der Konvention verletzt habe; dieser lautet, soweit maßgeblich, wie folgt:
„(1) Jede Person hat das Recht auf Freiheit und Sicherheit. Die Freiheit darf nur in den folgenden Fällen und nur auf die gesetzlich vorgeschriebene Weise entzogen werden:
[…]
e) rechtmäßige Freiheitsentziehung mit dem Ziel, die Verbreitung ansteckender Krankheiten zu verhindern, sowie bei psychisch Kranken, Alkohol- oder Rauschgiftsüchtigen und Landstreichern; […]“
60. Die Regierung trat diesem Vorbringen entgegen.
A. Zulässigkeit
61. Der Gerichtshof stellt fest, dass diese Rüge nicht im Sinne von Artikel 35 Abs. 3 Buchst. a der Konvention offensichtlich unbegründet ist. Sie ist auch nicht aus anderen Gründen unzulässig. Folglich ist sie für zulässig zu erklären.
B. Begründetheit
1. Die Stellungnahmen der Parteien
62. Der Beschwerdeführer trug vor, die in Rede stehende Sicherungsverwahrung habe gegen Artikel 5 Abs. 1 verstoßen, da sie insbesondere nicht nach Buchst. e dieser Bestimmung gerechtfertigt gewesen sei. Er sei nicht „psychisch krank“ gewesen. Außerdem sei er, zumindest bis zu seiner Verlegung in die Einrichtung für Sicherungsverwahrte der JVA S. am 20. Juni 2013, nicht in einer für die Behandlung psychisch Kranker geeigneten Einrichtung untergebracht gewesen.
63. Die Regierung vertrat die Auffassung, dass die im Hauptverfahren angeordnete nachträgliche Unterbringung des Beschwerdeführers in der Sicherungsverwahrung nach seiner am 20. Juni 2013 erfolgten Verlegung in die Einrichtung für Sicherungsverwahrte der JVA S. mit Artikel 5 Abs. 1 in Einklang gestanden habe. Sie sei nach Artikel 5 Abs. 1 Buchst. e als Freiheitsentziehung bei einem „psychisch Kranken“ gerechtfertigt gewesen. Wie von den zwei vom Landgericht hinzugezogenen psychiatrischen Sachverständigen bestätigt worden sei, habe der Beschwerdeführer insbesondere an einer tatsächlichen psychischen Störung im Sinne dieser Bestimmung, namentlich an einer pathologischen Störung der Sexualpräferenz, gelitten. Überdies sei die vorgenannte Einrichtung, in der der Beschwerdeführer untergebracht gewesen sei, eine für „psychisch Kranke“ geeignete Einrichtung gewesen.
2. Würdigung durch den Gerichtshof
64. Bezüglich einer Übersicht der hinsichtlich Artikel 5 Abs. 1 Buchst. e festgelegten maßgeblichen Grundsätze verweist der Gerichtshof auf die Zusammenfassung dieser Grundsätze in seinem Urteil in der Rechtssache B. (a. a. O., Rdnrn. 95-99).
65. Bei der Entscheidung darüber, ob die nachträglich angeordnete Sicherungsverwahrung des Beschwerdeführers nach Artikel 5 Abs. 1 Buchst. e als Freiheitsentziehung bei einem „psychisch Kranken“ gerechtfertigt war, stellt der Gerichtshof fest, dass das Landgericht Regensburg im Hauptverfahren zu der Auffassung gelangt war, dass der Beschwerdeführer zur maßgeblichen Zeit nach wie vor an einer Störung der Sexualpräferenz, namentlich an sexuellem Sadismus im Sinne des ICD-10, gelitten habe. Der Zustand des Beschwerdeführers habe eine psychische Störung im Sinne von § 1 Abs. 1 ThUG dargestellt. Das Gericht stützte seine in der Beschwerdeinstanz bestätigten Feststellungen auf die Gutachten zweier externer psychiatrischer Sachverständiger (siehe Rdnrn. 25-28).
66. Mit Blick auf die zu berücksichtigenden Gesichtspunkte ist der Gerichtshof überzeugt, dass vor den zuständigen innerstaatlichen Gerichten auf der Grundlage objektiver ärztlicher Gutachten nachgewiesen wurde, dass der Beschwerdeführer an einer tatsächlichen psychischen Störung im Sinne von Artikel 5 Abs. 1 Buchst. e litt. Berücksichtigung findet insbesondere, dass die von den innerstaatlichen Gerichten bei dem Beschwerdeführer festgestellte psychische Krankheit – sexueller Sadismus mit sexuellen Gewaltfantasien, die sich auf das Würgen von Frauen richteten – sehr ausgeprägt war, den von dem Beschwerdeführer begangenen Mord ausgelöst und sich in diesem manifestiert hatte, weiterhin andauerte und psychiatrische Behandlung erforderlich machte.
67. Der Gerichtshof ist zudem der Ansicht, dass die zuständigen innerstaatlichen Gerichte wie nach seiner Rechtsprechung erforderlich (siehe Rdnr. 64) zu Recht davon ausgehen konnten, dass die psychische Störung des Beschwerdeführers ihrer Art oder Schwere nach eine Zwangsunterbringung rechtfertigte, da, wie sie festgestellt hatten, eine hohe Wahrscheinlichkeit bestand, dass der Beschwerdeführer im Falle seiner Freilassung eine weitere schwere Straftat ähnlich derjenigen, für die er verurteilt worden war, begehen würde (siehe Rdnr. 26). Ferner hing die Frage, ob die Fortdauer der Unterbringung des Beschwerdeführers berechtigt war, vom Fortbestehen seiner psychischen Störung ab, denn nach dem innerstaatlichen Recht konnte die Fortdauer seiner Sicherungsverwahrung nur angeordnet werden, wenn und solange eine hohe Wahrscheinlichkeit bestand, dass er aufgrund dieser Störung im Falle seiner Freilassung rückfällig werden würde (siehe Rdnr. 40).
68. Daraus folgt, dass der Beschwerdeführer „psychisch krank“ im Sinne von Artikel 5 Abs. 1 Buchst. e war.
69. Im Hinblick auf die Rechtmäßigkeit der in Rede stehenden, nach § 7 Abs. 2 Nr. 1 und § 105 Abs. 1 JGG i. V. m. dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 4. Mai 2011 (siehe Rdnrn. 26 und 38, 39 und 43) angeordneten Sicherungsverwahrung des Beschwerdeführers muss der Gerichtshof unter Berücksichtigung der in seiner Rechtsprechung festgelegten Anforderungen (siehe Rdnr. 64) prüfen, ob diese Sicherungsverwahrung in einem Krankenhaus, einer Klinik oder einer anderen für psychisch Kranke geeigneten Einrichtung erfolgte. Er stellt fest, dass der Beschwerdeführer in dem hier in Rede stehenden Zeitraum vom 20. Juni 2013 bis zur darauffolgenden Entscheidung im Rahmen der regelmäßigen gerichtlichen Überprüfung der Fortdauer seiner Sicherungsverwahrung in der neu errichteten Einrichtung für Sicherungsverwahrte der JVA S. untergebracht war.
70. Der Beschwerdeführer bestreitet nicht, dass sich die ärztliche und therapeutische Betreuung, die ihm in dieser Einrichtung angeboten wurde, im Vergleich zu den Bedingungen in der JVA S. wesentlich verändert hat. Angesichts der Personalsituation, der äußeren Bedingungen und insbesondere der ihm unterbreiteten Therapieangebote (u. a. Sozialtherapie in Einzel- oder Gruppensitzungen, Intensivbehandlungsprogramm für Sexualstraftäter oder Therapie durch einen externen Psychiater) ist der Gerichtshof überzeugt, dass dem Beschwerdeführer ein für eine wegen psychischer Krankheit untergebrachte Person angemessenes Therapieumfeld geboten wurde und er somit in einer im Sinne von Artikel 5 Abs. 1 Buchst. e geeigneten Einrichtung untergebracht war.
71. Folglich war die nachträglich angeordnete Sicherungsverwahrung des Beschwerdeführers, soweit sie infolge der angegriffenen Entscheidungen ab dem 20. Juni 2013 in der Einrichtung für Sicherungsverwahrte der JVA S. vollzogen wurde, nach Artikel 5 Abs. 1 Buchst. e als rechtmäßige Freiheitsentziehung bei einem „psychisch Kranken“ gerechtfertigt.
72. Folglich ist Artikel 5 Abs. 1 der Konvention im Hinblick auf diesen Teil der Beschwerde nicht verletzt worden.
IV. BEHAUPTETE VERLETZUNG VON ARTIKEL 7 ABS. 1 DER KONVENTION AUFGRUND DER SICHERUNGSVERWAHRUNG DES BESCHWERDEFÜHRES AB DEM 20. JUNI 2013
73. Der Beschwerdeführer machte geltend, seine nachträglich angeordnete Sicherungsverwahrung auf der Grundlage des Urteils des Landgerichts Regensburg vom 3. August 2012 in der Einrichtung für Sicherungsverwahrte der JVA S. ab dem 20. Juni 2013 habe auch sein Recht, nicht mit einer schwereren als der zur Tatzeit im Juni 1997 angedrohten Strafe belegt zu werden, verletzt. Er berief sich auf Artikel 7 Abs. 1 der Konvention, der, soweit maßgeblich, wie folgt lautet:
„(1) Niemand darf wegen einer Handlung oder Unterlassung verurteilt werden, die zur Zeit ihrer Begehung nach innerstaatlichem oder internationalem Recht nicht strafbar war. Es darf auch keine schwerere als die zur Zeit der Begehung angedrohte Strafe verhängt werden.“
74. Die Regierung trat diesem Vorbringen entgegen.
A. Zulässigkeit
75. Der Gerichtshof stellt fest, dass diese Rüge nicht im Sinne von Artikel 35 Abs. 3 Buchst. a der Konvention offensichtlich unbegründet ist. Sie ist auch nicht aus anderen Gründen unzulässig. Folglich ist sie für zulässig zu erklären.
B. Begründetheit
1. Die Stellungnahmen der Parteien
76. Aus Sicht des Beschwerdeführers ist seine in Rede stehende Sicherungsverwahrung nicht mit Artikel 7 Abs. 1 der Konvention vereinbar. In Anbetracht der durch den Gerichtshof in der Rechtssache M. ./. Deutschland (a. a. O.) aufgestellten Kriterien hätte diese Sicherungsverwahrung, die nachträglich angeordnet worden sei, als „Strafe“ eingestuft werden müssen. Der Umstand, dass die Sicherungsverwahrung entsprechend den durch das Gesetz zur bundesrechtlichen Umsetzung des Abstandsgebots im Recht der Sicherungsverwahrung vom 5. Dezember 2012 eingeführten Neuerungen in der Einrichtung für Sicherungsverwahrte der JVA S. vollzogen worden sei, ändere nichts an dieser Feststellung. Sehe man vom äußeren Anschein ab, stelle die Sicherungsverwahrung nach wie vor eine „Strafe“ im Sinne von Artikel 7 Abs. 1 der Konvention dar.
77. Die Regierung trug vor, dass die im Hauptverfahren ergangene nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung des Beschwerdeführers seit der Verlegung des Beschwerdeführers in die Einrichtung für Sicherungsverwahrte der JVA S. am 20. Juni 2013 mit Artikel 7 Abs. 1 der Konvention vereinbar gewesen sei. Ab diesem Zeitpunkt könne die Sicherungsverwahrung des Beschwerdeführers nicht mehr als „Strafe“ im Sinne von Artikel 7 Abs. 1 eingestuft werden. Seine Unterbringung solle der Behandlung seiner psychischen Störung dienen. In dieser Einrichtung fänden seitdem intensive Bemühungen eines multidisziplinären Teams von Fachkräften statt, um den Beschwerdeführer für eine Behandlung seines Störungsbildes zu gewinnen.
2. Würdigung durch den Gerichtshof
78. Bezüglich einer Übersicht der hinsichtlich Artikel 7 Abs. 1 festgelegten maßgeblichen Grundsätze verweist der Gerichtshof auf die Zusammenfassung dieser Grundsätze in seinem Urteil in der Rechtssache B. (a. a. O., Rdnrn. 149-150).
79. Bei der Entscheidung darüber, ob in der vorliegenden Rechtssache die Sicherungsverwahrung des Beschwerdeführers, die nach seiner Verurteilung wegen eines im Jahr 1997 begangenen Mordes nachträglich angeordnet worden war, eine „Strafe“ im Sinne von Artikel 7 Abs. 1 Satz 2 darstellte, verweist der Gerichtshof zunächst auf seine Feststellungen in der Rechtssache B. (a. a. O., Rdnrn. 153-183). In diesem Fall hatte der Gerichtshof darüber zu entscheiden, ob die Sicherungsverwahrung des betroffenen Beschwerdeführers, die nur aufgrund seiner psychischen Störung nachträglich verlängert werden konnte und in einer neuen, zur Erfüllung der verfassungsrechtlich gebotenen Unterscheidung zwischen Sicherungsverwahrung und Strafhaft errichteten Einrichtung für Sicherungsverwahrte vollzogen wurde, als „Strafe“ einzustufen war.
80. Der Gerichtshof stellte in diesem Urteil fest, dass sich in Fällen, in denen die Sicherungsverwahrung der betroffenen Person aufgrund der Notwendigkeit der Behandlung ihrer psychischen Störung verlängert wurde, sowohl das Wesen als auch der Zweck ihrer Sicherungsverwahrung gegenüber einer Sicherungsverwahrung, die unabhängig von einer psychischen Störung vollzogen wird, grundlegend geändert haben. In Fällen, in denen die Sicherungsverwahrung nur verlängert wurde und auch nur verlängert werden konnte, um eine psychische Störung in einer geeigneten Einrichtung zu behandeln, traten der strafende Charakter der Sicherungsverwahrung und ihr Zusammenhang mit der strafrechtlichen Verurteilung der Person so weit in den Hintergrund, dass die Maßnahme keine Strafe im Sinne von Artikel 7 Abs. 1 mehr darstellte.
81. Der Gerichtshof ist der Auffassung, dass dieselben Erwägungen auch für eine Sicherungsverwahrung gelten, die nicht wie in der Rechtssache B. (a. a. O.) über eine ehemals gesetzlich vorgeschriebene Höchstdauer hinaus verlängert, sondern in einem gesonderten Urteil nachträglich angeordnet worden war, ohne dass – wie im vorliegenden Fall – die Anordnung der Sicherungsverwahrung Bestandteil des Urteils des erkennenden Gerichts gewesen wäre.
82. Der Gerichtshof stellt fest, dass die Sicherungsverwahrung des Beschwerdeführers ebenfalls nur angeordnet wurde und nur angeordnet werden konnte, weil bei dem Beschwerdeführer eine psychische Störung festgestellt wurde (siehe Rdnrn. 27 und 43). Sie wurde ebenfalls in einer neu errichteten Einrichtung für Sicherungsverwahrte vollzogen. In dieser Einrichtung wurden dem Beschwerdeführer eine individuelle Betreuung und eine umfassende Therapierung seiner psychischen Störung durch Sozialtherapie in Einzel- oder Gruppensitzungen, ein Intensivbehandlungsprogramm für Sexualstraftäter bzw. eine Therapie durch einen externen Psychiater angeboten.
83. Angesichts dieser Umstände kommt der Gerichtshof zu dem Ergebnis, dass die aus den angegriffenen Entscheidungen resultierende Sicherungsverwahrung des Beschwerdeführers in dem in Rede stehenden Zeitraum nicht mehr als „Strafe“ eingestuft werden konnte.
84. Folglich ist Artikel 7 Abs. 1 der Konvention im Hinblick auf diesen Teil der Beschwerde nicht verletzt worden.
V. BEHAUPTETE ÜBERLANGE DAUER DER GERICHTLICHEN PRÜFUNG
85. Der Beschwerdeführer rügte mit Individualbeschwerde Nr. 10211/12 ferner, dass die innerstaatlichen Gerichte in dem in Rede stehenden Verfahren nicht innerhalb kurzer Frist entschieden hätten. Er berief sich auf Artikel 6 Abs. 1 der Konvention.
86. Der Gerichtshof stellt fest, dass der Beschwerdeführer mit diesem Verfahren beabsichtigte, die Rechtmäßigkeit seiner Freiheitsentziehung anzufechten. Die Rüge des Beschwerdeführers ist daher nach Artikel 5 Abs. 4 der Konvention zu prüfen, der wie folgt lautet:
„(4) Jede Person, die festgenommen oder der die Freiheit entzogen ist, hat das Recht zu beantragen, dass ein Gericht innerhalb kurzer Frist über die Rechtmäßigkeit der Freiheitsentziehung entscheidet und ihre Entlassung anordnet, wenn die Freiheitsentziehung nicht rechtmäßig ist.“
87. Die Regierung trat diesem Vorbringen entgegen.
A. Zulässigkeit
88. Der Gerichtshof stellt fest, dass der Beschwerdeführer geltend machte, das Recht auf Prüfung innerhalb kurzer Frist sei unter anderem in dem Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht missachtet worden. Der Gerichtshof verweist auf seine wiederholt getroffene Feststellung, wonach Artikel 5 Abs. 4 auf Verfahren vor innerstaatlichen Verfassungsgerichten anwendbar ist, die sich im Rahmen der Überprüfung der Wahrung der Grundrechte durch eine angegriffene Freiheitsentziehungsanordnung von der Rechtmäßigkeit der Freiheitsentziehung bei der betroffenen Person zu überzeugen haben, und die für die Aufhebung von Entscheidungen der ordentlichen Gerichte sowie gegebenenfalls für die Anordnung der Entlassung der Person, der die Freiheit entzogen wird, zuständig sind (siehe insbesondere Smatana ./. die Tschechische Republik, Individualbeschwerde Nr. 18642/04, Rdnrn. 119-124, 27. September 2007; und Žúbor ./. Slowakei, Individualbeschwerde Nr. 7711/06, Rdnrn. 71-77, 6. Dezember 2011 m. w. N.). Der Gerichtshof stellt im Hinblick auf die Zuständigkeit des Bundesverfassungsgerichts fest (siehe hierzu bspw. auch dessen Leiturteil vom 4. Mai 2011, Rdnr. 43), dass Artikel 5 Abs. 4 auf Verfahren vor diesem Gericht ebenfalls Anwendung findet. Dies ist zwischen den Parteien auch unstreitig.
89. Der Gerichtshof stellt ferner fest, dass diese Rüge nicht im Sinne von Artikel 35 Abs. 3 Buchst. a der Konvention offensichtlich unbegründet ist. Er stellt weiter fest, dass sie auch nicht aus anderen Gründen unzulässig ist. Folglich ist sie für zulässig zu erklären.
B. Begründetheit
1. Die Stellungnahmen der Parteien
90. Der Beschwerdeführer trug vor, dass die Dauer des Verfahrens zur Anfechtung der Rechtmäßigkeit seiner einstweiligen Unterbringung in der Sicherungsverwahrung dem Erfordernis der „kurzen Frist“ aus Artikel 5 Abs. 4 der Konvention nicht gerecht geworden sei. Ab dem Zeitpunkt, als er am 27. Juni 2011 seine Beschwerde gegen den Beschluss des Landgerichts Regensburg vom 6. Mai 2011 eingelegt habe, seien nahezu elf Monate vergangen, bis das Bundesverfassungsgericht am 22. Mai 2012 abschließend über die Rechtmäßigkeit seiner einstweiligen Unterbringung in der Sicherungsverwahrung entschieden habe. Er machte insbesondere geltend, dass das Bundesverfassungsgericht, bei dem das Verfahren vom 7. September 2011 bis zum 22. Mai 2012 anhängig gewesen sei, nicht zügig entschieden habe.
91. Die Regierung war der Auffassung, dass das in Rede stehende Verfahren wie nach Artikel 5 Abs. 4 gefordert zügig geführt worden sei. Der Beschwerdeführer habe am 29. Juni 2011 die gerichtliche Überprüfung des landgerichtlichen Beschlusses vom 6. Mai 2011, mit dem seine einstweilige Unterbringung in der Sicherungsverwahrung angeordnet worden war, beantragt. In Anbetracht der Komplexität des Falles – die innerstaatlichen Gerichte hätten sich nicht nur mit einer umfangreichen Verfahrensakte auseinandersetzen müssen, sondern hätten auch die Rechtmäßigkeit der Sicherungsverwahrung des Beschwerdeführers im Lichte des neuen Leiturteils des Bundesverfassungsgerichts vom 4. Mai 2011 und den darin festgelegten neuen Kriterien überprüfen müssen – sei sowohl im Hinblick auf das Oberlandesgericht als auch auf das Bundesverfassungsgericht davon auszugehen, dass diese ihre Entscheidungen innerhalb kurzer Frist erlassen hätten. Überdies habe dem Beschwerdeführer die Möglichkeit (von der er auch Gebrauch gemacht habe) offengestanden, beim Landgericht eine erneute Beschwerde gegen seine einstweilige Unterbringung in der Sicherungsverwahrung einzulegen, während das hier in Rede stehende Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht anhängig gewesen sei.
2. Würdigung durch den Gerichtshof
a) Zusammenfassung der einschlägigen Grundsätze
92. Der Gerichtshof wiederholt, dass Artikel 5 Abs. 4 der Konvention dadurch, dass er Personen, denen die Freiheit entzogen ist, das Recht auf Anfechtung der Rechtmäßigkeit ihrer Freiheitsentziehung garantiert, nach Einleitung des entsprechenden Verfahrens auch ein Recht auf zügige gerichtliche Entscheidung über die Rechtmäßigkeit der Freiheitsentziehung sowie auf deren Aufhebung bei Feststellung ihrer Unrechtmäßigkeit gewährt (siehe M. ./. Deutschland [GK], Individualbeschwerde Nr. 11364/03, Rdnr. 106, 9. Juli 2009; und Idalov ./. Russland [GK], Individualbeschwerde Nr. 5826/03, Rdnr. 154, 22. Mai 2012).
93. Die Frage, ob das Recht auf eine zügige Entscheidung beachtet worden ist, muss – wie dies auch für das Gebot der „angemessenen Frist“ aus Artikel 5 Abs. 3 und Artikel 6 Abs. 1 der Konvention gilt – im Lichte der Umstände jedes einzelnen Falles betrachtet werden, einschließlich der Komplexität des Verfahrens, der Verfahrensführung seitens der innerstaatlichen Behörden und des Beschwerdeführers sowie der Bedeutung der Rechtssache für die Interessen des Beschwerdeführers (siehe M., a. a. O., Rdnr. 106, m. w. N.; S.T.S. ./. die Niederlande, Individualbeschwerde Nr. 277/05, Rdnr. 43, ECHR 2011; und Shcherbina ./. Russland, Individualbeschwerde Nr. 41970/11, Rdnr. 62, 26. Juni 2014).
94. Artikel 5 Abs. 4 verpflichtet die Vertragsstaaten nicht, Verfahren zur Überprüfung der Rechtmäßigkeit von Freiheitsentziehungen und zur Verhandlung über Freilassungsanträge mehrinstanzlich auszugestalten. Wenn ein Staat jedoch eine zweite Instanz vorsieht, muss er Personen, denen die Freiheit entzogen ist, im Rechtsmittelverfahren grundsätzlich dieselben Garantien zugestehen wie in der ersten Instanz (siehe Navarra ./. Frankreich, 23. November 1993, Rdnr. 28, Serie A Band 273‑B; Khudobin ./. Russland, Individualbeschwerde Nr. 59696/00, Rdnr. 124, ECHR 2006‑XII (Auszüge); und S.T.S. ./. die Niederlande, a. a. O., Rdnr. 43).
95. Bei der Entscheidung darüber, ob das Erfordernis erfüllt wurde, dass eine Entscheidung innerhalb „kurzer Frist“ zu ergehen hat, ist, wenn das Verfahren in mehreren Instanzen geführt wurde, eine Gesamtwürdigung vorzunehmen (siehe Navarra, a. a. O., Rdnr. 28; und M., a. a. O., Rdnr. 106). Wurde die ursprüngliche Unterbringungsanordnung von einem Gericht (also von einem unabhängigen und unparteiischen Organ der Rechtspflege) unter Gewährung angemessener rechtsstaatlicher Verfahrensgarantien erlassen und sieht das innerstaatliche Recht ein Rechtsmittelsystem vor, ist der Gerichtshof bereit, im zweitinstanzlichen Verfahren eine längere Überprüfungsdauer gelten zu lassen (siehe Lebedev ./. Russland, Individualbeschwerde Nr. 4493/04, Rdnr. 96, 25. Oktober 2007; und Shcherbina, a. a. O., Rdnr. 65). Diese Erwägungen gelten auch für Beschwerden nach Artikel 5 Abs. 4 im Hinblick auf Verfahren vor den Verfassungsgerichten, die aufgrund der maßgeblichen strafverfahrensrechtlichen Bestimmungen von Verfahren vor den ordentlichen Gerichten getrennt geführt wurden (siehe Žúbor, a. a. O., Rdnr. 89).
96. Der Gerichtshof hat in seiner Rechtsprechung verhältnismäßig strenge Maßstäbe zu der Frage aufgestellt, ob ein Staat dem Erfordernis der „kurzen Frist“ gerecht geworden ist. Eine Analyse seiner Rechtsprechung ergibt, dass in Rechtsmittelverfahren vor den ordentlichen Gerichten, die auf die Anordnung einer Freiheitsentziehung durch ein Gericht erster Instanz folgen, den Behörden zuzurechnende Verzögerungen von mehr als drei bis vier Wochen geeignet sind, eine Frage nach dem aus Artikel 5 Abs. 4 herrührenden Erfordernis der „kurzen Frist“ aufzuwerfen, sofern nicht nach den Umständen des Falles ausnahmsweise eine längere Überprüfungsdauer gerechtfertigt war (vgl. u. a. G. B. ./. Schweiz, Individualbeschwerde Nr. 27426/95, Rdnrn. 27 und 32-39, 30. November 2000 – in der eine Dauer von zweiunddreißig Tagen für die Entscheidung über den Freilassungsantrag des Beschwerdeführers durch eine Bundesanwältin und ein Bundesgericht als Verletzung von Artikel 5 Abs. 4 gewertet wurde; Lebedev, a. a. O., Rdnrn. 98-102 – wo eine Verletzung von Artikel 5 Abs. 4 festgestellt wurde, da die Verantwortung für eine siebenundzwanzigtägige Verlängerung der Gesamtdauer bis zur Entscheidung des Rechtsmittelgerichts über den Freilassungsantrag des Beschwerdeführers den Behörden zuzurechnen war; Lebedev, a. a. O., Rdnr. 97; und Shcherbina, a. a. O., Rdnr. 65).
b) Anwendung dieser Grundsätze auf die vorliegende Rechtssache
97. Hinsichtlich des Zeitraums, der bei der Beurteilung der Einhaltung des Erfordernisses der „kurzen Frist“ durch den beschwerdegegnerischen Staat zu berücksichtigen ist, stellt der Gerichtshof fest, dass der Beschwerdeführer am 5. Mai 2011 seinen ersten Freilassungsantrag beim Landgericht stellte. Er verwies darauf, dass nach der Aufhebung des Urteils, mit dem seine Sicherungsverwahrung angeordnet worden war, durch das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 4. Mai 2011 keine Rechtsgrundlage mehr dafür bestehe, dass ihm die Freiheit entzogen werde (siehe Rdnr. 10). Daraufhin ordnete das Landgericht am darauffolgenden Tag, dem 6. Mai 2011, seine einstweilige Unterbringung in der Sicherungsverwahrung an. In dem Verfahren vor dem Gerichtshof rügte der Beschwerdeführer lediglich, dass die innerstaatlichen Gerichte nicht zügig über seine Beschwerden gegen diese Unterbringungsanordnung entschieden hätten (siehe Rdnr. 90). Folglich begann der zu untersuchende Zeitraum am 29. Juni 2011 mit dem Eingang der Beschwerde des Beschwerdeführers gegen die Unterbringungsanordnung vom 6. Mai 2011 beim Landgericht. Er endete am 30. Mai 2012 mit der Zustellung des Beschlusses des Bundesverfassungsgerichts vom 22. Mai 2012 an den Rechtsanwalt des Beschwerdeführers. Er erstreckte sich somit auf elf Monate und einen Tag für drei Instanzen.
98. Der Gerichtshof stellt fest, dass das Landgericht nach dem Eingang der Beschwerde des Beschwerdeführers am 29. Juni 2011 die Entscheidung, seine Unterbringungsanordnung vom 6. Mai 2011 nicht abzuändern, am 4. Juli 2011 – also innerhalb kurzer Frist – fällte.
99. Im Anschluss an die Entscheidung des Landgerichts entschied das Oberlandesgericht, nachdem es Stellungnahmen von Staatsanwaltschaft und Verteidigung eingeholt hatte, am 16. August 2011 über die Beschwerde des Beschwerdeführers; das Verfahren vor diesem Gericht dauerte somit zweiundvierzig Tage.
100. Bei der Beurteilung der Frage, ob das Recht des Beschwerdeführers auf eine Entscheidung innerhalb kurzer Frist angesichts der Umstände des Falles trotz dieser relativ langen Dauer noch gewahrt wurde, ist der Gerichtshof der Auffassung, dass das Verfahren vor dem Oberlandesgericht sowohl in rechtlicher als auch in tatsächlicher Hinsicht verhältnismäßig komplex war. Nachdem das Bundesverfassungsgericht in einem Leiturteil eine Wende in seiner Rechtsprechung vollzogen hatte, musste das Oberlandesgericht prüfen, inwieweit nach den vom Bundesverfassungsgericht neu festgelegten strengen Maßstäben weiterhin dringende Gründe für die Annahme gegeben waren, dass die nachträgliche Unterbringung des Beschwerdeführers in der Sicherungsverwahrung angeordnet werden würde. Insbesondere war es nunmehr notwendig, festzustellen, ob hinreichende Gründe für die Annahme einer psychischen Störung bei dem Beschwerdeführer vorlagen; eine entsprechende Prüfung war nach den Bestimmungen des JGG in seiner früheren Fassung und der früheren Rechtsprechung nicht erforderlich gewesen. Bei dieser Prüfung berücksichtigte das Oberlandesgericht im Falle des Beschwerdeführers die Tatsachenfeststellungen des Landgerichts Regensburg in dessen Urteil vom 22. Juni 2009 sowie die Gutachten von vier medizinischen Sachverständigen, die in diesem und vorausgegangenen Verfahren angefordert worden waren. Seine Entscheidung, mit der die einstweilige Unterbringung des Beschwerdeführers in der Sicherungsverwahrung angeordnet wurde, war umfassend begründet.
101. Obwohl der Beschwerdeführer, der fünf Mal Ergänzungen zu seiner Beschwerdebegründung nachreichte, offenbar nicht wesentlich zur Dauer des Verfahrens beigetragen hat, befindet der Gerichtshof daher, dass das Verfahren vor dem Oberlandesgericht angesichts seiner Komplexität unter den besonderen Umständen der Rechtssache dem Erfordernis der „kurzen Frist“ noch gerecht geworden ist.
102. Der Gerichtshof stellt ferner fest, dass das Oberlandesgericht am 29. August 2011 über die Anhörungsrüge des Beschwerdeführers sowie seine Gegenvorstellung gegen den Beschluss vom 16. August 2011 entschieden hat; diese Entscheidung wurde dem Rechtsanwalt des Beschwerdeführers am 6. September 2011 zugestellt. Das Verfahren dauerte demnach 21 Tage, was im Lichte der vorstehenden Erwägungen nicht als überlang angesehen werden kann.
103. Im Hinblick auf das Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht merkt der Gerichtshof an, dass – nach Einlegung der Verfassungsbeschwerde durch den Beschwerdeführer am 7. September 2011 – das Bundesverfassungsgericht am 25. Oktober 2011 (also innerhalb von 47 Tagen) entschied, den Antrag des Beschwerdeführers auf Aussetzung der Unterbringungsanordnung abzulehnen. Seine Entscheidung vom 22. Mai 2012, die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung anzunehmen, wurde dem Rechtsanwalt des Beschwerdeführers am 30. Mai 2012 zugestellt (es ergibt sich also eine Gesamtdauer von acht Monaten und 22 Tagen).
104. Der Gerichtshof stellt in diesem Zusammenhang fest, dass das Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht komplex war, da dieses zum ersten Mal nach seinem Leiturteil vom 4. Mai 2011 im Hinblick auf den Beschwerdeführer prüfen musste, ob die Auslegung und Anwendung dieses Leiturteils durch die ordentlichen Gerichte mit dem Freiheitsgrundrecht des Beschwerdeführers vereinbar war. Die Komplexität des Verfahrens kann auch daran ermessen werden, dass das Bundesverfassungsgericht die Verfassungsbeschwerde der Bayerischen Staatsregierung, dem Präsidenten des Bundesgerichtshofs sowie dem Generalbundesanwalt beim Bundesgerichtshof zuleitete. Überdies wies es den Antrag des Beschwerdeführers auf eine einstweilige Anordnung mit einer begründeten Entscheidung zurück.
105. Weiterhin ist der Gerichtshof der Auffassung, dass bei der Beurteilung der Einhaltung des Erfordernisses der „kurzen Frist“ aus Artikel 5 Abs. 4 die Besonderheiten von Verfahren vor Verfassungsgerichten wie dem Bundesverfassungsgericht Berücksichtigung finden müssen. Obwohl ein Verfassungsgericht genau wie die Fachgerichte die Freiheitsentziehung eines Beschwerdeführers auf ihre Rechtsmäßigkeit hin überprüft, fungiert es dabei nicht als zusätzliche „vierte Instanz“, sondern prüft allein die Vereinbarkeit der Anordnung der Freiheitsentziehung mit dem Grundrecht auf Freiheit. Diese anders gelagerte Rolle des Verfassungsgerichts innerhalb der innerstaatlichen Rechtsordnung lässt sich auch daran ablesen, dass eine Person, der die Freiheit entzogen ist, die Unterbringungsanordnung erneut vor den ordentlichen Gerichten überprüfen lassen kann, selbst wenn ein früheres Verfahren noch beim Bundesverfassungsgericht anhängig ist (siehe Rdnr. 42).
106. Außerdem verweist der Gerichtshof auf den unter Rdnr 95 ausgeführten, seiner Rechtsprechung zugrundeliegenden Gedanken der Vertretbarkeit einer längeren Überprüfungsdauer im zweitinstanzlichen Verfahren. Wurde die Anordnung der Freiheitsentziehung von einem Gericht unter Gewährung angemessener rechtsstaatlicher Verfahrensgarantien erlassen, sind die nachfolgenden Verfahren weniger auf Willkürkontrolle ausgerichtet, sondern bieten zusätzliche Garantien vornehmlich im Hinblick auf eine Angemessenheitsbeurteilung der fortgesetzten Freiheitsentziehung (vgl. Lebedev, a. a. O., Rdnr. 96). Die vorstehenden Erwägungen gelten erst recht für Verfahren vor einem Verfassungsgericht als zusätzlicher Instanz mit der alleinigen Aufgabe der Überprüfung der Beachtung des Freiheitsgrundrechts im Falle einer Freiheitsentziehung, in deren Verlauf bereits ein erneutes Überprüfungsverfahren vor den ordentlichen Gerichten angestrengt werden kann.
107. Der Gerichtshof stellt fest, dass nicht behauptet werden kann, der Beschwerdeführer, der mit Schriftsätzen vom 1. Januar 2012 auf die vom 28., 24. bzw. 25. November 2011 datierenden Stellungnahmen der Bayerischen Staatsregierung, des Präsidenten des Bundesgerichtshofs sowie des Generalbundesanwalts beim Bundesgerichtshof erwiderte, habe maßgeblich zur Gesamtdauer des Verfahrens vor dem Bundesverfassungsgericht beigetragen. Dennoch ist der Gerichtshof angesichts der unter Rdnr. 105 dargelegten Besonderheiten von Verfassungsbeschwerdeverfahren, der Komplexität des Verfahrens vor dem Bundesverfassungsgericht im vorliegenden Fall und der besonderen Umstände des vorliegenden Falles der Auffassung, dass das Erfordernis der „kurzen Frist“ aus Artikel 5 Abs. 4 eingehalten wurde.
108. Folglich ist Artikel 5 Abs. 4 der Konvention nicht verletzt worden.
VI. BEHAUPTETE MANGELNDE UNPARTEILICHKEIT DES RICHTERS P.
109. Der Beschwerdeführer rügte, dass Richter P. im Hauptverfahren vor dem Landgericht Regensburg betreffend die Anordnung seiner nachträglichen Unterbringung in der Sicherungsverwahrung ihm gegenüber befangen gewesen sei. Er berief sich auf Artikel 6 Abs. 1 der Konvention, der, soweit maßgeblich, wie folgt lautet:
„(1) Jede Person hat ein Recht darauf, dass über Streitigkeiten in Bezug auf ihre zivilrechtlichen Ansprüche und Verpflichtungen oder über eine gegen sie erhobene strafrechtliche Anklage von einem unabhängigen und unparteiischen […] Gericht in einem fairen Verfahren […] verhandelt wird.“
110. Die Regierung trat diesem Vorbringen entgegen.
A. Zulässigkeit
111. Der Gerichtshof muss zunächst feststellen, ob, wie der Beschwerdeführer angibt, Artikel 6 Abs. 1 auf das in Rede stehende Verfahren anwendbar ist, bei dem es darum ging, ob die Sicherungsverwahrung des Beschwerdeführers nach § 7 Abs. 2 Nr. 1 und § 105 Abs. 1 JGG aufgrund seiner (in einer vorausgegangenen schweren Straftat manifestierten) Gefährlichkeit und einer psychischen Störung nachträglich angeordnet werden sollte.
112. Der Gerichtshof merkt zunächst an, dass das vorliegende Verfahren von Verfahren unterschieden werden muss, bei denen es – wie in früheren Individualbeschwerdeverfahren gegen Deutschland – um die gerichtliche Überprüfung der Fortdauer der Unterbringung eines Beschwerdeführers in der Sicherungsverwahrung oder einem psychiatrischen Krankenhaus ging, die zuvor von einem Strafgericht angeordnet worden war. Diese Verfahren, die die regelmäßigen Überprüfungen der fortgesetzten Rechtmäßigkeit einer zuvor angeordneten Freiheitsentziehung der Beschwerdeführer zum Gegenstand hatten, waren nach Artikel 5 Abs. 4 der Konvention zu prüfen (siehe bspw. H. ./. Deutschland (Entsch.), Individualbeschwerde Nr. 12788/04, 9. Mai 2007; und P. ./. Deutschland (Entsch.), Individualbeschwerde Nr. 1241/06, 24. März 2009). Bei dem vorliegenden Verfahren hingegen geht es nicht um die Rechtmäßigkeit der andauernden Freiheitsentziehung des Beschwerdeführers nach Artikel 5 Abs. 4, sondern die Frage, ob erstmalig nachträglich seine Sicherungsverwahrung angeordnet werden sollte. Artikel 5 Abs. 4 findet keine Anwendung auf derartige Verfahren.
113. Der Gerichtshof befindet ferner, dass bei Verfahren vor den Strafgerichten, die eine gegen einen Beschwerdeführer gerichtete nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung zum Gegenstand haben, nicht mehr im Sinne von Artikel 6 Abs. 1 „über eine […] strafrechtliche Anklage […] verhandelt“ wird. Der Beschwerdeführer wurde im Oktober 1999 rechtskräftig wegen Mordes verurteilt. Das Verfahren betreffend die nachträgliche Anordnung seiner Sicherungsverwahrung wegen dieses Mordes enthielt keine strafrechtliche Anklage wegen einer (neuen) Straftat, so dass Artikel 6 Abs. 1 in seinem strafrechtlichen Teil hier nicht zum Tragen kommt (vgl. Ganci ./. Italien, Individualbeschwerde Nr. 41576/98, Rdnr. 22, ECHR 2003‑XI; H., a. a. O., m. w. N.; und B. ./. Deutschland, a. a. O., Rdnr. 73).
114. Allerdings hat der Gerichtshof wiederholt die Auffassung vertreten, dass Verfahren im Zusammenhang mit der Unterbringung einer Person in der psychiatrischen Abteilung einer Haftanstalt oder in einem psychiatrischen Krankenhaus im Wesentlichen die Rechtmäßigkeit einer Freiheitsentziehung betreffen. Da das Recht auf Freiheit einen „zivilrechtlichen“ Anspruch darstellt, ist auf solche Verfahren der zivilrechtliche Teil von Artikel 6 Abs. 1 anwendbar (siehe u. a. Aerts ./. Belgien, 30. Juli 1998, Rdnr. 59, Reports of Judgments and Decisions 1998‑V; Laidin ./. Frankreich (Nr. 2), Individualbeschwerde Nr. 39282/98, Rdnrn. 75-76, 7. Januar 2003; und Shulepova ./. Russland, Individualbeschwerde Nr. 34449/03, Rdnr. 59, 11. Dezember 2008). Der Gerichtshof befindet, dass dieselben Erwägungen auch für das hier vorliegende Verfahren gelten, bei dem es um die Rechtmäßigkeit der nachträglichen Anordnung der Sicherungsverwahrung des Beschwerdeführers und damit die Beurteilung seines zivilrechtlichen Freiheitsanspruchs ging. Folglich ist Artikel 6 Abs. 1 unter seinem zivilrechtlichen Aspekt anwendbar.
115. Der Gerichtshof stellt ferner fest, dass diese Rüge nicht im Sinne von Artikel 35 Abs. 3 Buchst. a der Konvention offensichtlich unbegründet ist. Er stellt weiter fest, dass sie auch nicht aus anderen Gründen unzulässig ist. Folglich ist sie für zulässig zu erklären.
B. Begründetheit
1. Die Stellungnahmen der Parteien
116. Der Beschwerdeführer vertrat die Ansicht, dass Richter P. in dem in Rede stehenden Verfahren nicht wie nach Artikel 5 Abs. 4 und Artikel 6 Abs. 1 der Konvention erforderlich unparteiisch gewesen sei. Richter P. habe sich ihm gegenüber persönlich voreingenommen gezeigt, da er nach der Verkündung des landgerichtlichen Urteils vom 22. Juni 2009 die frühere Verteidigerin des Beschwerdeführers gewarnt habe, sie solle aufpassen, dass dieser nach seiner Freilassung nicht vor ihrer Tür stehe, um sich persönlich zu „bedanken“. Richter P. habe demnach zum Ausdruck gebracht, dass er den Beschwerdeführer für fähig halte, eine schwere Gewalt- oder Sexualstraftat gegen seine Verteidigerin zu begehen.
117. Der Beschwerdeführer betonte, dass Richter P. diese Bemerkung im Hinblick auf die behauptete Gefährlichkeit des Beschwerdeführers nicht im Rahmen der Begründung des landgerichtlichen Urteils vom 22. Juni 2009 geäußert habe, sondern in einem Kontext, in dem diese Gefährlichkeit völlig irrelevant gewesen sei. Es habe keine Veranlassung für ihn bestanden, in einem Gespräch über die Möglichkeit der späteren Verlegung des Beschwerdeführers aus der Sicherungsverwahrung in ein psychiatrisches Krankenhaus zu behaupten, dass von dem Beschwerdeführer möglicherweise eine Gefahr für seine Verteidigerin ausgehe.
118. Der Regierung zufolge war das in Rede stehende Verfahren mit Artikel 5 Abs. 4 i. V. m. Artikel 6 Abs. 1 der Konvention vereinbar. Insbesondere habe die Äußerung von Richter P. gegenüber der damaligen Verteidigerin des Beschwerdeführers keine objektiv berechtigten Zweifel an der Unparteilichkeit des Richters begründet.
119. Die Regierung räumte ein, dass die streitige Äußerung des Richters dahingehend zu verstehen sei, dass er den Beschwerdeführer für gefährlich halte. Diese Bewertung habe sich jedoch mit der Einschätzung gedeckt, zu der das Landgericht unter Mitwirkung des Richters P. in seinem Urteil vom 22. Juni 2009 – kurz vor der von Richter P. getätigten Äußerung – gelangt sei. In diesem Urteil habe das Gericht angesichts der hohen Wahrscheinlichkeit, dass der Beschwerdeführer erneut Straftaten gegen das Leben und die sexuelle Selbstbestimmung begehen werde, dessen nachträgliche Unterbringung in der Sicherungsverwahrung angeordnet. Die Äußerung rechtfertige daher nicht die Befürchtung mangelnder Unparteilichkeit des Richters P. in dem hier in Rede stehenden Verfahren, bei dem das Landgericht unter Mitwirkung von Richter P. am 3. August 2012 (mehr als drei Jahre später) ein weiteres Urteil gegen den Beschwerdeführer erlassen habe. Überdies habe sich damals die Situation des Beschwerdeführers (insbesondere die Rechtslage) durch die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 4. Mai 2011 geändert.
2. Würdigung durch den Gerichtshof
120. Der Gerichtshof wiederholt, dass die Unparteilichkeit im Sinne von Artikel 6 Abs. 1 (i) anhand eines subjektiven Ansatzes, bei dem auf die persönliche Überzeugung und das Verhalten eines bestimmten Richters zu achten ist, also darauf, ob der Richter in einem konkreten Fall persönliche Vorurteile oder Voreingenommenheiten an den Tag legte, und (ii) anhand eines objektiven Ansatzes, also durch die Feststellung, ob das Gericht selbst sowie neben anderen Aspekten auch seine Zusammensetzung hinreichend Gewähr für den Ausschluss aller berechtigten Zweifel an seiner Unparteilichkeit bot, zu prüfen ist (siehe u. a. Kleyn u. a. ./. die Niederlande [GK], Individualbeschwerden Nrn. 39343/98, 39651/98, 43147/98 und 46664/99, Rdnr. 191, ECHR 2003‑VI; und Oleksandr Volkov ./. Ukraine, Individualbeschwerde Nr. 21722/11, Rdnr. 104, ECHR 2013).
121. Beim subjektiven Ansatz ist bis zum Beweis des Gegenteils die persönliche Unparteilichkeit eines Richters zu unterstellen (siehe Morel ./. Frankreich, Individualbeschwerde Nr. 34130/96, Rdnr. 41, ECHR 2000‑VI; und Micallef ./. Malta [GK], Individualbeschwerde Nr. 17056/06, Rdnr. 94, ECHR 2009).
122. Beim objektiven Ansatz muss festgestellt werden, ob es abgesehen vom Verhalten des Richters feststellbare Tatsachen gibt, die Zweifel an seiner Unparteilichkeit begründen können. Folglich ist bei der Entscheidung darüber, ob in einem bestimmten Fall ein berechtigter Grund zu der Befürchtung besteht, dass ein bestimmter Richter oder Spruchkörper parteiisch ist, der Standpunkt des Betroffenen zwar wichtig, aber nicht entscheidend. Entscheidend ist, ob diese Befürchtung als objektiv gerechtfertigt angesehen werden kann (siehe Wettstein ./. Schweiz, Individualbeschwerde Nr. 33958/96, Rdnr. 44, ECHR 2000‑XII; und Micallef, a. a. O., Rdnr. 96).
123. Aus der Pflicht zur Unparteilichkeit kann kein allgemeiner Grundsatz abgeleitet werden, wonach eine Rechtsmittelinstanz, die eine Verwaltungs- oder eine Gerichtsentscheidung aufhebt, verpflichtet wäre, die Sache an eine andere Gerichtsbehörde oder ein anders zusammengesetztes Organ der betreffenden Behörde zurückzuverweisen (siehe Ringeisen ./. Österreich, 16. Juli 1971, Rdnr. 97, Serie A Band. 13; und Diennet ./. Frankreich, 26. September 1995, Rdnr. 38, Serie A Band 325‑A).
124. Was die behauptete mangelnde Unparteilichkeit des Richters P. im vorliegenden Fall anbelangt, stellt der Gerichtshof fest, dass die innerstaatlichen Gerichte die Rechtssache unter der Annahme geprüft haben, dass die fragliche Bemerkung (siehe Rdnr. 23) von Richter P. geäußert worden sein könnte; daher geht der Gerichtshof ebenfalls von dieser Annahme aus. Er stellt weiterhin fest, dass Richter P. die angegriffene Bemerkung im Rahmen eines vertraulichen Gesprächs zwischen den Richtern des Landgerichts und den zwei Verteidigern des Beschwerdeführers geäußert hat. Bei dieser Besprechung, die kurz nach der Verkündung des landgerichtlichen Urteils stattfand, mit dem am 22. Juni 2009 die nachträgliche Unterbringung des Beschwerdeführers in der Sicherungsverwahrung angeordnet worden war, ging es um eine mögliche künftige Überweisung des Beschwerdeführers in ein psychiatrisches Krankenhaus. Dass die angeblich von Richter P. in diesem Zusammenhang getätigte Äußerung, wonach die Verteidigerin des Beschwerdeführers aufpassen solle, dass der Beschwerdeführer sie nach seiner Freilassung nicht aufsuche und sich bei ihr „bedanke“, so zu verstehen sei, dass Richter P. der Ansicht war, es bestehe die Gefahr, dass der Beschwerdeführer im Falle seiner Freilassung eine schwere Gewalt- oder Sexualstraftat (ähnlich derjenigen, für die er verurteilt worden war) gegen seine Rechtsanwältin begehen würde, ist zwischen den Parteien offenbar unstreitig und der Gerichtshof schließt sich dieser Deutung an.
125. Der Gerichtshof möchte zunächst die Bedeutung des beruflichen Verhaltens bei der Erfüllung richterlicher Aufgaben hervorheben. Bei der Prüfung der Frage, ob Richter P. angesichts dieser angeblichen Äußerung gegenüber dem Beschwerdeführer persönlich voreingenommen war (siehe den oben dargestellten „subjektiven Ansatz“), misst der Gerichtshof dem Kontext, in dem Richter P.s Bemerkung fiel, entscheidendes Gewicht bei. Geht man wie die innerstaatlichen Gerichte davon aus, dass er sich tatsächlich wie behauptet geäußert hat, tat er dies unmittelbar nachdem das Landgericht, dem er angehörte, die nachträgliche Unterbringung des Beschwerdeführers in der Sicherungsverwahrung angeordnet hatte, da es der Auffassung war, dass bei dem Beschwerdeführer weiterhin sexuelle Gewaltfantasien aufträten und er im Falle seiner Freilassung mit hoher Wahrscheinlichkeit erneut schwere Sexualstraftaten bis hin zum Mord zur Befriedigung seines Sexualtriebs begehen würde (Rdnr. 8). Unter diesen Umständen stellte die behauptete Äußerung des Richters P. im Wesentlichen eine Bestätigung der Feststellung des Landgerichts in dem gerade erlassenen Urteil dar. Selbst unter der Annahme, dass die Äußerung getätigt wurde, ist der Gerichtshof daher nicht überzeugt, dass ausreichende Beweise dafür vorliegen, dass sich Richter P. aus persönlichen Gründen feindselig zeigte und dem Beschwerdeführer gegenüber folglich persönlich voreingenommen war.
126. Der Gerichtshof wird ferner prüfen, ob das Verhalten des Richters P. aus der Sicht eines unbeteiligten Betrachters objektiv gerechtfertigte Zweifel an seiner Unparteilichkeit wecken kann (siehe den oben dargestellten „objektiven Ansatz“). Er stellt fest, dass das Landgericht unter Mitwirkung von Richter P. in dem in Rede stehenden Verfahren neu zu entscheiden hatte, ob die Anordnung der nachträglichen Unterbringung des Beschwerdeführers in der Sicherungsverwahrung notwendig war, nachdem das Bundesverfassungsgericht sein Urteil vom 22. Juni 2009 aufgehoben und die Sache an das Landgericht zurückverwiesen hatte.
127. In Anbetracht seiner Rechtsprechung (siehe Rdnr. 123) ist der Gerichtshof der Auffassung, dass allein der Umstand, dass Richter P. bereits der Kammer angehört hatte, die die erste nachträgliche Unterbringung des Beschwerdeführers in der Sicherungsverwahrung angeordnet hatte, und darüber hinaus nach der Aufhebung dieses Urteils Mitglied der Kammer war, die am 3. August 2012 erneut die nachträgliche Unterbringung des Beschwerdeführers in der Sicherungsverwahrung anordnete, nicht ausreicht, um objektiv berechtigte Zweifel an dessen Unvoreingenommenheit zu begründen.
128. Der Gerichtshof stellt weiterhin fest, dass der Umstand, dass Richter P. mit seiner angegriffenen Äußerung mutmaßlich bestätigte, dass er den Beschwerdeführer am 22. Juni 2009 für gefährlich hielt, keine objektiv berechtigten Zweifel dahingehend aufkommen lässt, dass es dem Richter in dem hier in Rede stehenden Verfahren an Unparteilichkeit gemangelt hätte. In diesem Verfahren, das etwa drei Jahre nach der angegriffenen Äußerung abgeschlossen wurde, würdigte das Landgericht neue Beweise, um festzustellen, ob zu diesem Zeitpunkt unter der veränderten Gesetzeslage infolge der Kehrtwende in der Rechtsprechung durch das Urteil des Bundesverfassungsgerichts die nachträgliche Unterbringung des Beschwerdeführers in der Sicherungsverwahrung anzuordnen war. Die angegriffene Bemerkung gibt keinen berechtigten Grund zu der Befürchtung, dass Richter P. diese erforderliche erneute Beurteilung der Gefährlichkeit des Beschwerdeführers nicht auf der Grundlage der in dem neuen Verfahren beigebrachten Beweismittel und vorgetragenen Argumente vorgenommen hätte.
129. Folglich ist Artikel 6 Abs. 1 der Konvention nicht verletzt worden.
AUS DIESEN GRÜNDEN ENTSCHEIDET DER GERICHTSHOF EINSTIMMIG:
1. Die Individualbeschwerden werden verbunden;
2. er nimmt den Wortlaut der Erklärung der beschwerdegegnerischen Regierung nach Artikel 5 und Artikel 7 Abs. 1 der Konvention in Bezug auf die Sicherungsverwahrung des Beschwerdeführers vom 6. Mai 2011 bis zum 20. Juni 2013 sowie die Modalitäten für die Erfüllung der darin enthaltenen Verpflichtungen zur Kenntnis;
3. dieser Teil der Beschwerden wird gemäß Artikel 37 Abs. 1 Buchst. c der Konvention im Register gestrichen;
4. im Übrigen werden die Individualbeschwerden für zulässig erklärt;
5. es liegt keine Verletzung von Artikel 5 Abs. 1 der Konvention aufgrund der Sicherungsverwahrung des Beschwerdeführers ab dem 20. Juni 2013 infolge der angefochtenen Anordnung seiner nachträglichen Unterbringung in der Sicherungsverwahrung vor;
6. es liegt keine Verletzung von Artikel 7 Abs. 1 der Konvention aufgrund der Sicherungsverwahrung des Beschwerdeführers ab dem 20. Juni 2013 infolge der angefochtenen Anordnung seiner nachträglichen Unterbringung in der Sicherungsverwahrung vor;
7. es liegt keine Verletzung von Artikel 5 Abs. 4 der Konvention aufgrund der Dauer des Verfahrens zur Überprüfung der einstweiligen Unterbringung des Beschwerdeführers in der Sicherungsverwahrung vor;
8. es liegt keine Verletzung von Artikel 6 Abs. 1 der Konvention aufgrund der behaupteten mangelnden Unparteilichkeit des Richters P. im Hauptverfahren betreffend die Anordnung der nachträglichen Unterbringung des Beschwerdeführers in der Sicherungsverwahrung vor;
Ausgefertigt in englischer Sprache und schriftlich zugestellt am 2. Februar 2017 nach Artikel 77 Abs. 2 und 3 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs.
Milan Blaško Erik Møse
Stellvertretender Sektionskanzler Präsident
Zuletzt aktualisiert am Dezember 5, 2020 von eurogesetze
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